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F.Ellringmann Schneckenpost
F
Beiträge: 14
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F 08.08.2023 14:02 Flucht von F.Ellringmann
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Flucht
Seit er vor drei Jahren in diese fremde Stadt gezogen war, hatte sich die Einrichtung seines Zimmers nicht geändert. Sie bestand aus einer Matratze, einem Stuhl, der ihm als Kleiderschrank diente und einem bereits zerkratzten Spiegel. Unter seiner Matratze hatte er vor zwei Jahren eine Pistole platziert. Und jeden Abend bereute er, es nicht getan zu haben, den Stein am nächsten Morgen wieder aufs Neue den Berg hinauf zu rollen. Nichts hielt ihn davon ab, er selbst war sein Gefängnis, geboren ohne Schlüssel zur Tür, und doch mit blutigem Willen zur Existenz. Ja, blutig war der Wille, aber genau dieses Blut schien ungehindert aus ihm auszufließen, mal als Tropfen, mal als stürzender Bergbach. Er spürte seine Kräfte schwinden. Das Schicksal gab ihm nicht den Schlüssel seines Käfigs, es gab ihm ätzende Säure. Langsam, aber doch unfassbar stetig, zerfraß sie die Gitter, biss sich ins Eisen und nährte sich an ihm, bis von einst stahlharten Stangen nur noch rostende Gerippe übrig blieben. Durchbrechen konnte er selbst die nicht mehr, es fehlte ihm mittlerweile alle Stärke. Von selbst brachen schließlich die Überbleibsel des Käfigs unter ihrer eigenen Last zusammen, begruben das Bisschen Elend, das von ihm überblieben war. So nah war er seinem Ziel und doch ihm ferner denn je, darin lag sein wahres Leid. Er hatte den Ausweg, die Freiheit, immer vor Augen und doch blieb sie ihm verwehrt, unter den fallenden Mauern selbst erdrückt.
„Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Das war´s!“, rief er in die Dunkelheit. Schweißgebadet saß er mit aufgerichtetem Oberkörper in seinem Bett. Er stand auf. Ein Knall, dann Stille. Endlose, dunkle Stille. Auch wenn das Fenster jetzt fest verschlossen war, zog die kalte Nachtluft noch hinein, sooft hatte er es schon mit aller Kraft zugeschmissen. Er stand allein in seinem Zimmer, eine leere weiße Hölle, mit alten Dielen und einer einzigen Matratze. Er war allein, aber nicht einsam. Einsam war er unter Leuten, gefesselt durch ihre Blicke, durch ihre Gedanken verschandelt und deformiert. Er war nicht wie sie, er sprach und doch verstand man ihn nicht, sein Gesicht war für sie eine antike Statue, lebensecht und doch kalt wie Stein. Der Unendlichkeit geweiht, nicht tot und doch nicht lebendig, ein Konzept, eine Idee, das höchste aller Kunstwerke und doch für immer verdammt, unverstanden zu bleiben.
So blieb er in der Nacht, ging umhüllt von Dunkelheit durch die menschenleeren Straßen, und manchmal, wenn es ihn reizte, kehrte er in eine Kneipe ein. Dort waren alle gleich, zu Brüdern gemacht im Suff, ihre Augen erschöpft und doch strahlten sie in diesem Moment einen kindlichen Glanz aus. Hier war er weniger einsam, nicht, weil er sich mit Menschen umgab, sondern weil er existieren durfte, weil sie nicht versuchten ihn zu verstehen, sondern er, selbst als kalte Statue, wie einer von ihnen erschien, niedergeschlagen und erschöpft. Sei es der Bankier, sei es der Tagelöhner, hier waren sie eins, selbst er konnte es miterleben, wenn auch nicht Teil davon sein.
Betrunken stolperte er durch die verregneten Gassen in Richtung seiner Wohnung. Die Straßenlaternen warfen einen dimmen Schein auf seinen Weg. Immer noch torkelnd fiel er erst durch die Tür und nach kurzer Zeit auch auf seine Matratze, auf der er rasch einschlief. Etwas später wachte er immer noch betrunken zum Klappern der offengelassenen Tür auf und griff in Angst nach seiner Pistole. Er spürte wie das kalte Eisen seiner Seele Wärme gab. Gefüllt mit Mut und Trunkenheit sprang er auf. Im zerkratzen Spiegel gegenüber der Matratze stand ein Mann, der eine Pistole auf ihn richtete. Eine lallende Stimme sprach: „Renn oder stirb!“.
Er rannte. Er rannte bis sämtlicher Alkohol ausgeschwitzt war und der wärmende Rausch durch das Brennen der Beine ersetzt wurde. Verfolgt nur von seinem Schatten rann er bis zum rettenden Licht des Bahnhofs, das auf den Vorplatz schien. Am nächsten Morgen wachte ihn das Pfeifen des Zuges. Er stand in einer fremden Stadt, in einem fremden Land. „Alles von vorne?“ fragte er sich, als er in ein billiges Hotel eincheckte. Des Nachts suchte er abermals eine Kneipe auf, wie immer trank er kräftig. Auf dem Rückweg verschlug es ihn in die Hafengegend der Stadt. Er schlenderte schwankend am Pier entlang und schaute auf das vom Mondschein beschienene, ewig scheinende Meer hinaus. In dieser Nacht kehrte er nicht zurück in sein Hotelzimmer, er ging nicht wieder in die verdrossene Stadt. Stattdessen schlief er friedlich an einer Kiste gelehnt ein, zugedeckt von einer warmen Meeresbrise. Als er aufwachte herrschte bereits reger Betrieb. Er fasste sich in die Taschen und stellte fest, dass sein Geld noch an Ort und Stelle war. Doch anstatt sich zurück ins Hotel zu begeben, fand er das nächst beste Schiff, bezahlte für seine Mitfahrt und verließ noch am gleichen Tag die Stadt. Er winkte seinem Leben nicht hinterher, er streckte seinen Kopf in die frischen Böen, der über das Deck fegte. „Ich muss nicht mehr“, sprach eine Stimme klar und nüchtern in den Wind.
Weitere Werke von F.Ellringmann:
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abentroth Eselsohr
Beiträge: 257
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08.08.2023 15:07
von abentroth
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Kampf gegen die Sucht, dem Fluch des Alkohols entkommen - kein einfaches Thema. Ob es am Ende so einfach ist, den Ausweg zu finden? Das fehlt mir in Deinem Text: Der Auslöser, der Deinen Protagonisten den Schritt von "Ich will nicht mehr" zu "Ich muss nicht mehr" ermöglicht.
Gern gelesen.
Gruß,
abentroth
PS - Ein paar Kleinigkeiten. Verwende gern, was Dir brauchbar scheint.
Du neigst zu tlw. sehr langen Sätzen.
F.Ellringmann hat Folgendes geschrieben: | Seit er b]vor [drei Jahren[/b] (...) hatte er vor zwei Jahren eine Pistole platziert. |
Abgesehen von der Wiederholung: warum ist die zweite Zeitangabe wichtig? Ich würde sie streichen.
F.Ellringmann hat Folgendes geschrieben: | begruben das Bisschen Elend, das von ihm übergeblieben war |
F.Ellringmann hat Folgendes geschrieben: | sondern er, selbst als kalte Statue, wie einer von ihnen erschien, niedergeschlagen und erschöpft |
Warum erschien? Was unterscheidet ihn denn von den anderen Trinkern?
F.Ellringmann hat Folgendes geschrieben: | Verfolgt nur von seinem Schatten rannte er bis zum rettenden Licht des Bahnhofs |
Wegen der beiden vorherigen Sätze ("Er rannte. Er rannte bis ...") würde ich hier ein anderes Verb wählen.
F.Ellringmann hat Folgendes geschrieben: | Am nächsten Morgen wachte weckte ihn das Pfeifen des Zuges. |
F.Ellringmann hat Folgendes geschrieben: | das vom Mondschein beschienene, ewig scheinende Meer hinaus |
F.Ellringmann hat Folgendes geschrieben: | die frischen Böen, der die über das Deck fegten |
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F.Ellringmann Schneckenpost
F
Beiträge: 14
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Arminius Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1244 Wohnort: An der Elbe
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08.08.2023 16:24
von Arminius
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Hallo F.Ellringmann,
kurz, aber sehr eindringlich geschildert .
Im ersten Absatz sind für meinen Geschmack zu viele vor Pathos strotzende Formulierungen. Wie gesagt: Geschmacksache.
Was mir sonst noch auffiel: dass der Spiegel "bereits" verkratzt war, kann man weglassen.
Im zerkratzen Spiegel gegenüber der Matratze stand ein Mann Den zweiten Hinweis auf das Zerkratztsein könnte man sich sparen, ebenfalls die Ortsangabe "gegenüber der Matratze". Das würde die spartanische Einrichtung unterstreichen. Außerdem könntest Du dann die mehrfach erwähnte Matratze einmal einsparen.
Unter seiner Matratze hatte er vor zwei Jahren eine Pistole platziert. Und jeden Abend bereute er, es nicht getan zu haben, ... Zwischen diesen beiden Sätzen besteht auf den ersten Blick kein schlüssiger inhaltlicher Zusammenhang. Da gerät man beim Lesen aus dem Takt. "Und jeden Abend bereute er, sie nicht benutzt zu haben" würde diesen Zusammenhang eher herstellen. Nur mal so als Vorschlag.
Auch wenn das Fenster jetzt fest verschlossen war, zog die kalte Nachtluft noch hinein, sooft hatte er es schon mit aller Kraft zugeschmissen. Bei sooft bin ich mir nicht sicher, ob es sich tatsächlich um eine Konjunktion handelt oder eher um eine adverbiale Fügung (dann müsste man es in zwei Worten schreiben). Aber wir sind hier ja nicht in der Werkstatt
.
Frohes Schaffen weiterhin!
_________________ A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa) |
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realo Leseratte
Beiträge: 185
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08.08.2023 18:21
von realo
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Hallo,
habe den Text gelesen, er weckt bei mir Gefühle, weiß jedoch nicht welche und so werde ich aus dem Ganzen nicht schlau. Es gibt viele Bilder und Metaphern, teilweise ineinander verschachtelt, das schafft Verwirrung. Abgesehen davon, dass das Wort Matratze häufig erwähnt wird, kommt auch der Begriff 'fesseln' mehrfach vor, mit unterschiedlicher Bedeutung, auch das verwirrt. Soll etwas beschrieben und sichtbar gemacht werden, was eigentlich unsichtbar ist? Das ist mit Worten und Klarheit sehr schwierig. Besser man deutet etwas mit klaren Worten an, das Unsichtbare schwingt dann im Gefühl oder Kopf des Lesers nach und wird so deutlich empfunden. Jedoch einen abstrusen Zustand durch abstrusen Ausdruck schildern funktioniert eher nicht, zumindest bei mir nicht. Vielleicht liegt meine Verwirrung auch darin, dass Flucht beschrieben wird und ich halte im seelischen Bereich Flucht für eine ganz schlechte Option.
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2302 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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09.08.2023 10:46
von Pickman
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Hi F.Elllringmann,
vielen Dank für Deine Einstand. Vielleicht ist das hohe Literatur, aber mir ist es offengestanden zu anstrengend zu lesen. Die Begrifflichkeiten und Wendungen rund um "Schicksal", "Gefängnis", "Blut", "Käfig" sind mir zu abgegriffen, zu schwülstig und scheinen mir gelegentlich nicht ganz zu passen. Aber vielleicht bin ich auch einfach nicht in Deiner Zielgruppe.
Zwei Hinweise hätte ich noch, die in jedem Fall passen sollten. Prüfe für jedes Adverb und jedes Adjektiv, ob Du es tatsächlich brauchst. Muss es "ein bereits zerkratzter Spiegel" sein oder reicht "ein zerkratzter Spiegel"? Ebenso ist es mit Possessivpronomina. Dass es seine Matratze ist, ist nur wichtig, wenn sie mit ihrer Matratze verwechselt werden könnte.
Lass dich von mir nicht beirren.
Cheers
Pickman
_________________ Tempus fugit. |
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nebenfluss Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5982 Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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09.08.2023 12:09
von nebenfluss
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Hallo F.,
ich finde den Text insgesamt literarisch ansprechend, die Wiederholungen haben mich nicht sonderlich gestört, Detailbesserungen wurden schon benannt. Ich stimme aber Arminius (und Pickmann?) zu, dass der erste Absatz, die ganze pathetische Metaphorik rund um Käfig und Blut zu geballt, zu gewollt ist, um mich in die Geschichte zu ziehen. Ich würde versuchen, das mehr über den Text zu verteilen.
Abentroths Zweifeln, "ob es am Ende so einfach ist", schließe ich mich an. Ich vermute, jeder, der schon einmal durch einen Ortswechsel versucht hat, sein altes Ich hinter sich zu lassen, müsste früher oder später sein Scheitern feststellen. Oder liegt es vielmehr an der Gesellschaft, ist die anders auf dem Schiff oder am Ziel der Reise? Dazu fehlt mir hier noch ein Hinweis, oder eine Positionierung, Reflexion, so was. Oder der Text braucht schlicht eine Fortsetzung.
Unterm Strich gerne gelesen!
_________________ "You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson) |
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2302 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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09.08.2023 12:47
von Pickman
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben: | Ich stimme aber Arminius (und Pickmann?) zu, dass der erste Absatz, die ganze pathetische Metaphorik rund um Käfig und Blut zu geballt, zu gewollt ist, um mich in die Geschichte zu ziehen. |
Ja, ich sehe das auch so.
_________________ Tempus fugit. |
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