18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Allgemeines rund um die Schriftstellerei -> Kurse, Weiterbildung / Literatur, Links
Wer gendert?, fragt die Federwelt

 
 
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9  Weiter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag06.12.2018 15:03

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

Moin in die Runde!

Obwohl mir bewusst ist, dass gesellschaftliche Veränderungen sich (zumindest las ich das mal zum Thema "Gewalt") zuerst in der Sprache (und erst dann im Tun) niederschlagen, kann ich dem Gendern wenig abgewinnen. Der Gedanke dahinter leuchtet mir ein. Aber es stört mich in jeder bisher gefundenen Form - in der Schriftsprache wie auch in der gesprochenen Sprache.

Auch hinken wir ja der Realität ständig hinterher: Werden in einer Rede die Schülerinnen und Schüler angesprochen, bleiben all jene außen vor, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen (oder beiden oder oder oder).

Oft ist es ja so, dass die Sprache Lösungen (er)findet, die sich dann verbreiten und einbürgern, weil sie praktikabel sind - wie eben zum Beispiel das Wort "Handy". Das Gendern ist aber (nach meinem Empfinden) eher etwas, das "von außen kommt", weil es politisch gewollt ist. Auf diesem Wege die Sprache zu beeinflussen, erscheint mir heikel - zumal Druck (nicht nur in der Physik, sondern auch sonst) gern Gegendruck erzeugt. Solche Widerstände würden dann aber möglicherweise nicht nur Rückschläge für die Sprache mit sich bringen, sondern auch für die Sache selbst, die durch solche neuen Sprachregelungen doch eigentlich in den Köpfen ankommen soll. Mein Eindruck ist, dass die Gefahr groß ist, dass zunehmende „Denk-Verbote", „Sprech-Gebote" und das teils militante Bestreben nach politischer Korrektheit irgendwann das Gegenteil bewirken. Denn all diese sprachlichen Verrenkungen machen das Leben komplizierter - und es ist für viele Menschen schon kompliziert genug. (Wer sich einmal ein beliebiges Behörden-Formular in diesem Land angesehen hat, wird vielleicht ahnen, was ich meine. Oft ist es selbst für Menschen mit Universitätsabschluss kaum noch zu schaffen, ein solches Machwerk vernünftig auszufüllen. Wie sich das für Menschen anfühlt, die sich nicht in solche komplizierten Wenn-Dann-Ketten eindenken können, mag ich mir gar nicht ausmalen. )

Es gibt - das ist jedenfalls mein Fazit aus den politischen Entwicklungen der letzten Zeit - als Reaktion auf die immer komplizierteren Zusammenhänge - ein zunehmendes Bedürfnis der Menschen nach einfachen Antworten. Dass unser Leben mittlerweile so komplex ist, dass es keine einfachen Antworten mehr geben kann (genau genommen gab es die wahrscheinlich sowieso noch nie), ist Menschen wurscht, denen jetzt schon alles zu viel ist. Wenn man die Leute überfordert, machen sie dicht, stampfen trotzig auf, ziehen sich in Filterblasen zurück und wählen die, deren Versprechungen möglichst derb und möglichst prägnant formuliert sind - Inhalte? Wen kümmert´s… Das Pendel schwingt in die andere Richtung. Auf einmal sind Strömungen da, die alles vereinfachen wollen. Da könnte es leicht passieren, dass auch das Gender-Kind ausgeschüttet wird, und zwar mitsamt seinem Bade. Und je mehr der Bogen jetzt überspannt wird, desto größer ist die Gefahr.

Was mich außerdem beschäftigt, ist die Frage, ob die Welt hierzulande denn tatsächlich besser wird, wenn wir uns das Gendern auferlegen - denn wenn nicht, könnten wir es ja lassen und nach andern Wegen ans Ziel suchen. Geht es denn in anderen Ländern, in denen es das Phänomen aufgrund anderer sprachlicher Strukturen nicht gibt, tatsächlich gleichberechtigter zu - oder kämpft man dort mit den gleichen Problemen?

An der Sprache herumzubiegen, führt in meinen Augen zu immer größeren Verrenkungen, weil auch die nun gefundenen Lösungen nicht lange tragfähig sein werden und durch weitere Verrenkungen nachgebessert werden müssen. Um das Gender-Problem wirklich zu lösen, müssten wir m.E. die Sprache komplett neutralisieren. „Die“ und „der“ und alles, was daraus folgt, radikal auslöschen. Alles nur noch „das“ und „es“ usw.   Das würde uns zumindest dazu führen, dass wir das Verbindende wahrnehmen, nämlich das Mensch-Sein, anstatt uns weiterhin auf die Unterschiede zu konzentrieren und diese durch immer weitere Verfeinerung zu betonen und zu zementieren. Abgesehen davon ist es ja auch praktikabel, wenn man für Sachverhalte, die eben nicht gleich, sondern verschieden sind, gegebenenfalls auch verschiedene Benennungen zur Verfügung hat. Ob ich mir eine derartige Verstümmelung unserer Sprache  wirklich wünsche, darüber muss ich zum Glück nicht nachdenken - da besteht ja wohl eher keine Gefahr Wink.

Und das Problem, der Vielfalt/den Unterschieden gerecht zu werden, stellt sich an vielen Ecken des Lebens, nicht nur bei der Sprache. Mit der Eintragung eines dritten Geschlechts z.B. sind auch nicht alle Probleme gelöst - viel konsequenter wäre es m.E., das Geschlecht gar nicht mehr zu erfassen/zu kategorisieren, bzw. nur noch in Zusammenhängen, in denen das tatsächlich wichtig ist (da fallen mir am ehesten biologische/medizinische Themen ein). Ansonsten könnten wir doch alle einfach Mensch sein - und fertig…

So richtig kompliziert wird es unter anderem auch, wenn wir in allen Einrichtungen jedes Ernährungs-Ge-und-Verbot (Allergien und Unverträglichkeiten, Vegetarier, Veganer, Rohköstler, unzählige religiöse Ausrichtungen,…) beachten wollen - so richtig und wichtig es auch ist, das alles zu achten und zu berücksichtigen. Da gibt es offenbar bereits jetzt Einrichtungen, die an ihre Grenzen kommen.

Kurzfassung der Langfassung: Das Gendern schafft in meinen Augen mehr Probleme als es löst, weshalb ich mich (trotz Einsicht, welchen Sinn es hat) nicht damit anfreunden kann.

Vor ein paar Jahrzehnten haben wir im ganzen Land über Jahrhunderte gewachsene Strukturen der Flurbereinigung geopfert. Und fühlen uns heute scharenweise zu den wenigen Dorfangern und Alleen hingezogen, die versehentlich den Planierraupen entkamen.

Jetzt sind wir offenbar im Zeitalter der Sprachbereinigung angekommen. Hm. Können wir das wollen? Wird uns das bereichern? Oder ärmer machen?

Was ich, wenn ich König von Duden wär, im ersten Schritt aber mal ganz schnell ganz kritisch überdenken würde, wäre das hier Wink :

Wie kann es sein, dass in Zeiten fortschreitender Gleichberechtigung die „Herren“ immer noch „herrlich“ sind, während die „Damen“… öhm… also, Ihr wisst schon…

*duck-und-wech*
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag06.12.2018 21:50

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Haha. Schön, wie du deinen sinnvollen Beitrag so humorvoll abschließt.

Wieso spricht man im Deutschen eigentlich von "gendern"?

Da fällt mir noch was ein, woran ich beim Lesen hier dachte: Ich stelle mir das Gendern, nicht nur wegen den Sternchen, in gesprochener Sprache ziemlich mühsam vor. Ist ja schon verkompliziert genug beim Schreiben und Lesen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
nebenfluss
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5982
Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
Podcast-Sonderpreis


Beitrag07.12.2018 12:05

von nebenfluss
Antworten mit Zitat

Hallo a.no-mym,

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Das Gendern ist aber (nach meinem Empfinden) eher etwas, das "von außen kommt", weil es politisch gewollt ist. Auf diesem Wege die Sprache zu beeinflussen, erscheint mir heikel - zumal Druck (nicht nur in der Physik, sondern auch sonst) gern Gegendruck erzeugt. Solche Widerstände würden dann aber möglicherweise nicht nur Rückschläge für die Sprache mit sich bringen, sondern auch für die Sache selbst, die durch solche neuen Sprachregelungen doch eigentlich in den Köpfen ankommen soll. Mein Eindruck ist, dass die Gefahr groß ist, dass zunehmende „Denk-Verbote", „Sprech-Gebote" und das teils militante Bestreben nach politischer Korrektheit irgendwann das Gegenteil bewirken.


Was meinst du mit "politisch gewollt"?
Befürchtest du tatsächlich staatliche Sprachverbote? Nicht-Gendern als Straftatbestand?

Das wird wohl nicht kommen. Es geht um sprachliche Konventionen, die der Höflichkeit dienen. Vergleiche etwa die Konvention, formelle Briefe mit der Grußformel
"Sehr geehrte Damen und Herren"
zu beginnen. Das ist für mich eine Art Urform des Genderns, die ich seit meiner Jugend kenne. Es dürfte aber noch niemand rechtskräftig verurteilt worden sein, weil er/sie eine Behörde, in der Frauen und Männer arbeiten, nur mit "Sehr geehrte Damen" oder "Sehr geehrte Herren" angeschrieben hat. Es gibt (meines Wissens) keine juristische Grundlage dafür.
(Es kommt z. B. auch regelmäßig vor, dass Angela Merkel in Interviews nicht als "Frau Bundeskanzlerin" sondern als "Frau Merkel" ansprochen wird. Anne Will darf trotzdem ungestraft weitermoderieren Laughing)

Ob es unter Genderbefürwortern "teils militantes Bestreben" gibt ... ich würde sagen, es wird öfter mal versucht, moralischen Druck auf die Nicht-Genderer auszuüben. Diese Äußerung von NikCe geht für mich ich in dieser Richtung:
NikCe hat Folgendes geschrieben:
* oder _ zu gebrauchen, würde bedeuten, anzuerkennen, dass es mehr als zwei binäre Geschlechter gibt und Personen, die sich als nonbinär empfinden zu akzeptieren, anstatt sie zu ignorieren/diffamieren.

Aber es bleibt doch jedes Einzelnen Entscheidung, ob er gängige Konventionen als diffamierend empfindet oder nicht; ob er am eigenen Sprachgebrauch etwas ändern möchte, oder nur teilweise, nur im Schriftlichen, nur in Kreisen, wo das üblich ist etc.

LG


_________________
"You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag07.12.2018 14:03

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

Moin Smile

nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Was meinst du mit "politisch gewollt"?

Ich habe versucht, Worte für meinen Eindruck zu finden, dass das Gendern nicht wie andere Begriffe (Handy) irgendwo "auf der Straße" entsteht und sich dann (weil der Bedarf da ist, es vielen einleuchtet und sich als brauchbar erweist) überall ausbreitet und einbürgert (und im Duden landet).
Beim Gendern ist meine Beobachtung, dass es eher Organisationen sind, die versuchen, durch gezielte Veränderung von Sprache ihrem gesellschaftlichen Ideal näherzukommen. Das ist in meinen Augen ein Unterschied (auch wenn mir bewusst ist, dass eine Organisation selbst gar nichts entscheidet oder will, sondern es (demokratische Verhältnisse vorausgesetzt) der Wille der Mitglieder ist, der da zum Ausdruck kommt). Über das Gendern werden öffentliche Debatten geführt (ist mein Eindruck beim Zeitunglesen), da wird gerungen und gestritten, teils mit Leidenschaft und viel Energie. Zu der Frage, wie wir ein tragbares Telefon nennen wollen, gab es sowas nicht (soweit ich weiß). Das Handy hat sich „von unten“ oder „aus der Mitte der Gesellschaft“ durchgesetzt - und kam in den Duden. Beim Gendern hingegen wurde kürzlich - nach immer neuen Debatten - mit viel medialem Tamtam eine Entscheidung des Dudens bezüglich der Gender-Schreibweise erwartet, obwohl sich dazu (nach meiner Beobachtung) bisher keine bestimmte Form etabliert hat. Es ist also eher der umgekehrte Weg (wobei die Duden-Leute letztlich so weise waren, sich zu keiner Entscheidung hinreißen zu lassen, wenn ich es richtig mitbekommen habe).

nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Befürchtest du tatsächlich staatliche Sprachverbote?
Ich befürchte eher, dass Freiheit und Demokratie sich demnächst selbst grundlegend abschaffen könnten. Eher nicht aus dieser Richtung:  
nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Nicht-Gendern als Straftatbestand?
Sondern durch eine Gegenbewegung (die dann im Ergebnis noch mit ganz anderen Verboten einhergehen könnte). Wodurch diese Gegenbewegung in meinen Augen gestärkt wird, habe ich ja gestern schon versucht zu beschreiben. Wobei die Genderthematik zwar durchaus Energie bindet (die dann nicht für anderes zur Verfügung steht), aber trotzdem sicher nur eins von vielen Rädchen im Getriebe ist. Die wirklich großen Gefahren liegen vielleicht eher woanders. Aber es sind eben immer viele Tropfen, die das Fass irgendwann überlaufen lassen.

nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Ob es unter manchen Genderbefürchworten "teils militantes Bestreben" gibt ... ich würde sagen, es wird versucht, moralischen Druck auf die Nicht-Genderer auszuüben.


nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Aber es bleibt doch jedes Einzelnen Entscheidung, ob er gängige Konventionen als diffamierend empfindet oder nicht; ob er am eigenen Sprachgebrauch etwas ändern möchte, oder nur teilweise, nur im Schriftlichen, nur in Kreisen, wo das üblich ist etc.LG


Nach meiner Erfahrung ist der Großteil der Menschen durch moralischen (oder sonstigen) Druck leicht beeinflussbar. Das Bestreben, sich (gern auch vorauseilend, bevor überhaupt Druck da ist) nur ja umfassend anzupassen (und ab da sofort auf unvorsichtige Nichtangepasste zu lauern), ist uns (vielleicht aus Evolutionsgründen?) in die Wiege gelegt. Anders kann ich mir geschichtliche Entwicklungen und eigene Alltagsbeobachtungen nicht erklären.

Es entsteht (nach meiner Beobachtung) gerade durch die Vehemenz und die teilweise Empörung, mit der diese Debatten öffentlich geführt werden, ein Klima, in dem auch K, der Vorsitzende das sprichwörtlichen Kaninchenzuchtvereins, sich fragt, wie er denn nun bitteschön die Vereinsmitglieder in der Einladung zur nächsten Versammlung ansprechen soll, ohne einen fatalen "Fehler" zu begehen (er kennt seine Pappenheimer und weiß genau, Mitglied X lauert nur darauf, dass er irgendwann mal mit irgendwas daneben liegt oder aneckt. K weiß auch, dass X das ganze Genderthema im Grunde vollkommen am Ärmel vorbeigeht (genau wie ihm selbst). Aber X liebäugelt seit sieben Jahren mit dem Vereinsvorsitz und macht K das Leben grundsätzlich schwer, wenn es sich irgend anbietet. Und X hat garantiert auch den Artikel im Buppelwerderer Anzeiger gelesen, in dem stand "Anrede ab jetzt nur noch mit * oder _". Das war zwar nur ein Bericht über eine politische Debatte in der fernen Hauptstadt, aber egal. Die Überschrift sagte ja wohl schon alles. Und in Zeiten, in denen selbst Worte wie "Farbtupfer" nicht mehr frei von Kündigungsrisiken und Empörungsnebenwirkungen sind, kann man ja wohl gar nicht vorsichtig genug sein, denkt sich K - und sucht schon mal die passenden Zeichen auf seiner Tastatur zusammen (später erscheint er in der vollen Notaufnahme des Kreiskrankenhauses Blastedt, wo in letzter Zeit auffallend viele Tastatureinklemmungen versorgt werden).

Nicht anders wird es Firmenchefs ergehen. Auch hier reicht eine ausreichende Lautstärke der politischen Debatte, um verantwortliche Menschen zur Anpassung zu veranlassen. Die Mehrheitsverhältnisse sind dabei überhaupt nicht entscheidend - es genügt die Tatsache, dass Aufregung und Diskussion da ist. Man möchte ja zu den "Guten" gehören und vor allem: Man möchte sich nicht angreifbar machen. Ärger mit den Dauernörglern vom Betriebsrat und den gewerkschaftlich organisierten Korrektheits-Veganern gibt es schon genug, bitte zur Schlacht um den Veggie Day und dem Gerichtsverfahren mit dem Mann, der Frauenbeauftragter werden will, nicht noch so eine Baustelle. Konfliktvermeidungs-Strategie?: siehe Karnickel e.V.

Das Ganze kommt also vielleicht auf diese Weise sogar "im Volk an", nimmt dabei aber  einen anderen Weg als das Handy. Und während der Begriff Handy sich im alltäglichen Gebrauch als nützlich (weil kurz und prägnant) erweist, werden wohl die wenigsten Verwender Freude an diesen * und _ Ungetümen haben. Weil die innere Überzeugung fehlt, weil das Ganze total gekünstelt und überdies umständlich zu handhaben ist. Unpraktisch. Viele werden das nicht aus Überzeugung verwenden, sondern aus anderen Gründen (siehe oben). Und möglicherweise werden sie irgendwann so genervt davon sein (in Kombination mit anderen Dingen, die genau so nerven), dass sie sich mit einem martialischen Wutschrei auf dem nächsten Wahlzettel Luft verschaffen - und sich von dem befreien, was sie als unnützen, lähmenden Ballast empfinden (ohne auch nur ansatzweise zu reflektieren, wen oder was sie da dann eigentlich wählen und ob sie tatsächlich gezwungen wurden zu dem, was sie nervt und piekst, oder ob sie sich selbst gezwungen haben. Das alles beiseite, und: Hauptsache was anderes… Nur noch das glauben, was man will und was bequem ist. Bier- und sesseltauglich. Einfach muss es sein. Je einfacher desto besser...)

Um mal zu gucken, wie weit und wie schnell das mit der vorauseilenden Anpassung so geht, wäre es vermutlich auch interessant, eine Statistik der hierzulande besuchten Chinesisch-Kurse anzugucken…

So, und jetzt müsste ich wohl eigentlich noch mit der Gießkanne über meinen Text schlendern und vielerorts Zwinkersmilies, “Vorsicht! Überspitzt!“-Sticker und „Nur ein provokantes Beispiel, um Himmels Willen nicht meine Überzeugung!“-Etiketten verteilen. Mache ich aber nicht, denn ich muss jetzt gleich zum Chinesisch-Kurs und danach zum Astronauten-Training (ist ja schließlich abzusehen, dass wir uns bald einen andern Planeten suchen müssen)

Freundlich grüßend
a.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
agu
Geschlecht:weiblichExposéadler

Alter: 49
Beiträge: 2009
Wohnort: deep down in the Brandenburger woods


Beitrag07.12.2018 18:57

von agu
Antworten mit Zitat

a.no-nym: Ja, ja, ja und ja.
So ungefähr sehe und beobachte ich das auch Smile


_________________
Meine Bücher:
Engelsbrut (2009 Sieben, 2011 LYX) | Engelsjagd (2010 Sieben) | Engelsdämmerung (2012 Sieben)
Die dunklen Farben des Lichts (2012, SP)
Purpurdämmern (2013, Ueberreuter)
Sonnenfänger (2013, Weltbild)
Kill Order (2013 Sieben)
Choice / als Chris Portman (2014, Rowohlt)
Wie man ein Löwenmäulchen zähmt / als Eva Lindbergh (2016, Droemer Knaur)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4299

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag07.12.2018 23:01

von hobbes
Antworten mit Zitat

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Ich befürchte eher, dass Freiheit und Demokratie sich demnächst selbst grundlegend abschaffen könnten.

Und das alles nur wegen eines Sternchens.

(ja, das ist jetzt auch eine sehr überspitzte "Zusammenfassung")

Ich halte ziemlich viel vom Gendern. Dass ich *und Co. trotzdem eher weniger verwende, nun, das liegt daran, dass ich, solange das immer noch für Irritationen sorgt, lieber von Autorinnen, Leserinnen, Kritikerinnen, etc. schreibe. Was wiederum nicht im Sinn des Genderns ist, ich weiß.

Hat jetzt fast nichts mit dem Thema zu tun, aber mir fällt gerade das Kinderbuch ein, dass uns kürzlich in die Hände fiel. Berufe vorstellen für Kleinkinder. Bauer Ben, Pilot Piet, Feuerwehrmann Finn, Baggerfahrer Bernd, Lokführer Leo, ...
Von 2011, das Buch. Kam nicht eine Frau drin vor. Weil die ja zu Hause sind und mit dem Kind Plätzchen backen, so dass, wenn der Papa endlich von seiner anstrengenden Arbeit nach Hause kommt, er sich nur noch an den gedeckten Tisch setzen muss (anderes Kinderbuch).

Eigenlich bin ich gar nicht vom Thema abgekommen, denn Gendern und "es wäre wirklich prima, wenn auch eine Frau Bäuerin, Pilotin, etc. ist" ist für mich im Grunde ein und dasselbe, nämlich ein tatsächliches mitgemeint und angesprochen sein. Und zwar ohne dass das in irgendeiner Fußnote, für die sich kein Schwein interessiert, gesagt wird. Show, don't tell, quasi.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag07.12.2018 23:20

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

hobbes hat Folgendes geschrieben:
a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Ich befürchte eher, dass Freiheit und Demokratie sich demnächst selbst grundlegend abschaffen könnten.

Und das alles nur wegen eines Sternchens.

(ja, das ist jetzt auch eine sehr überspitzte "Zusammenfassung")


Öhm. Nee. Eher nicht. Zumindest, wenn es sich auf das bezieht, was ich geschrieben hatte. Dann wäre es eher sowas wie ein rasch zusammengedrehter Strick, an dem ich mich ungern aufhängen würde Embarassed

Dieses tatsächliche mitgemeint und angesprochen sein, von dem Du schreibst - das ist auch in meinen Augen der wichtigste Gedanke. Aber wird denn das tatsächlich dadurch gefördert, dass wir dafür neue Sprachregelungen schaffen? Ich habe in letzter Zeit ein paar Veranstaltungen besucht, da dauerte die Anrede der verschiedenen Anwesenden fast länger als die eigentliche Rede. Ich krieg dann immer die Krise und sitze wie auf Kohlen. Noch vor ein paar Jahren wäre doch keine Frau auf die Idee gekommen, sich nicht mit angesprochen zu fühlen, wenn nur die "Mitarbeiter", die "Kunden", die "Kollegen" oder wer auch immer genannt wurden. Es war eine absolute Selbstverständlichkeit, dass diese Wörter für alle galten. Erst durch das Wanken dieser Selbstverständlichkeit entsteht heute der Raum für die Frage, ob die Mädels nicht eingeschlossen sein sollen, wenn jemand immer noch diese einfachen Formen benutzt. Was früher selbstverständlich war und sich zu allen Zeiten aus der Sprache ergeben hat, steht nun in Frage. Aber was gewinnen wir dadurch? Bzw. was können wir dadurch in Zukunft gewinnen? Ich vermute, dass wir uns sehr einig über das Ziel des Ganzen sind. Nur frage ich mich, ob das Gendern überhaupt zu diesem Ziel führt (oder uns dem wenigstens näher bringt) oder ob es nicht ein Irrweg ist.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag07.12.2018 23:36

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

hobbes, dein Kinderbuch ist einseitig, klar. Weil das alles Männer(namen) sind.
Ich überlege jetzt aber, wie es wäre mit

Bauer Bella, Pilot Petra, Feuerwehrmann Fiona, Baggerfahrer Berndadette, Lokführer Lea

Ob so was überhaupt noch ginge? Sind ja die -in Formen schon so gebräuchlich.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Aneurysm
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 462



Beitrag08.12.2018 01:03

von Aneurysm
Antworten mit Zitat

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Eigenlich bin ich gar nicht vom Thema abgekommen, denn Gendern und "es wäre wirklich prima, wenn auch eine Frau Bäuerin, Pilotin, etc. ist" ist für mich im Grunde ein und dasselbe, nämlich ein tatsächliches mitgemeint und angesprochen sein. Und zwar ohne dass das in irgendeiner Fußnote, für die sich kein Schwein interessiert, gesagt wird. Show, don't tell, quasi.

Warum denkst du, dass Frauen ohne Gendersprache nicht mitgemeint und angesprochen sind?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4299

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag08.12.2018 15:07

von hobbes
Antworten mit Zitat

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Ich habe in letzter Zeit ein paar Veranstaltungen besucht, da dauerte die Anrede der verschiedenen Anwesenden fast länger als die eigentliche Rede.

Meiner Erfahrung nach dauert das oft so lange, weil jeder persönlich begrüßt wird. Der Herr Bürgermeister B, die Frau M von der Musikstiftung, der Herr X von wasweißich und so weiter.
Und weil irgendjemand im Publikum damit anfängt, die alle einzeln zu beklatschen.
Will sagen: Wenn das Argument heißt: An zu langen Einleitungen ist allein das Gendern schuld, dann, nun ja, sehe ich auch das anders. An zu langen Einleitungen ist diejenige schuld, die die Leute begrüßt. Ein einfaches Guten Abend würde doch auch reichen.

Zitat:
Noch vor ein paar Jahren wäre doch keine Frau auf die Idee gekommen, sich nicht mit angesprochen zu fühlen, wenn nur die "Mitarbeiter", die "Kunden", die "Kollegen" oder wer auch immer genannt wurden. Es war eine absolute Selbstverständlichkeit, dass diese Wörter für alle galten.

Nun. Das hört sich leider ein bisschen nach "haben wir schon immer so gemacht" an.
Zumal ich auch diese Selbstverständlichkeit in Frage stelle, denn nur, weil sich niemand darüber lautstark aufgeregt hat, heißt das doch noch lange nicht, dass es alle völlig in Ordnung fanden.

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Ich vermute, dass wir uns sehr einig über das Ziel des Ganzen sind.

Was ist denn das Ziel? Für mich unter anderem dass ein Umdenken stattfindet, in dem Sinn, dass man nicht sofort einen Mann vor Augen hat, wenn irgendwo von einem Arzt die Rede ist. Und klar, da könnte man die Frage stellen, ob Gendern tatsächlich was bringt, aber wenn es nur bei einem Menschen etwas in Gang bringt, dann Hurra.

firstoffertio, ich verstehe deine Frage nicht, falls es eine war. Meinst du, man solle Bauer Bella schreiben statt Bäuerin Bella? Aber warum denn, in diesem Fall wäre es doch (vermutlich) ganz konkret eine Frau?

Aneurysm hat Folgendes geschrieben:

Warum denkst du, dass Frauen ohne Gendersprache nicht mitgemeint und angesprochen sind?

Liebe Aneurysm, liebe Schreibkollegin, liebe Leserin,
Gegenfrage: Fühlst du dich gerade angesprochen? So richtig, vollends, ohne den geringsten Zweifel?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag08.12.2018 16:13

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

Moin hobbes,

hobbes hat Folgendes geschrieben:

Meiner Erfahrung nach dauert das oft so lange, weil jeder persönlich begrüßt wird. Der Herr Bürgermeister B, die Frau M von der Musikstiftung, der Herr X von wasweißich und so weiter.
Und weil irgendjemand im Publikum damit anfängt, die alle einzeln zu beklatschen.

Da, wo ich war, wurde niemand einzeln begrüßt, es wurden nur verschiedene Gruppierungen Anwesender begrüßt - und geklatscht wurde nur nach der gesamten Rede. Trotzdem stimme ich Dir zu: es liegt am Redner, das (möglichst zuhörerfreundlich) zu gestalten.
hobbes hat Folgendes geschrieben:

Will sagen: Wenn das Argument heißt: An zu langen Einleitungen ist allein das Gendern schuld, dann, nun ja, sehe ich auch das anders. An zu langen Einleitungen ist diejenige schuld, die die Leute begrüßt. Ein einfaches Guten Abend würde doch auch reichen.
Will sagen: Das Argument hat sich als Nicht-Argument erwiesen - und kann frisch gestrichen werden Smile

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Nun. Das hört sich leider ein bisschen nach "haben wir schon immer so gemacht" an.

Ja. Das tut es. In meinen Augen kann dieses "haben wir schon immer so gemacht"  allerdings (mindestens) für zweierlei stehen:
- keinen Bock, was zu ändern
- hat sich bewährt, sollte deshalb so bleiben - vor allem, so lange nix Besseres erfunden ist

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Zumal ich auch diese Selbstverständlichkeit in Frage stelle, denn nur, weil sich niemand darüber lautstark aufgeregt hat, heißt das doch noch lange nicht, dass es alle völlig in Ordnung fanden.
Möglicherweise stellst Du hier etwas in Frage, das Du nicht selbst erlebt hast? Ich bleibe bei meinem Hinweis, dass sich damals schon deshalb niemand etwas dabei gedacht hat, weil das allgegenwärtige "innen", das heute an alles Mögliche drangehängt wird, schlicht nicht im Sprachgebrauch verankert war (Keine Ahnung, wann das überhaupt erfunden wurde. Es war jedenfalls nicht „schon immer da“, auch wenn es sich heute so anfühlt. Die Menschen hatten es nicht anders gelernt, als sich gemeinsam angesprochen zu fühlen, wenn von „Kollegen“ die Rede war. (Wobei das Beispiel möglicherweise unglücklich ist - ich weiß gar nicht, seit wann das Wort Kollegen in unserem Sprachgebrauch etabliert ist. Ich bleibe jetzt trotzdem mal bei diesem Wort.

Im Grunde hat man durch die sprachliche Trennung in "Kolleginnen" und "Kollegen" doch das Problem erst geschaffen, dass nun jene, die weder zu den Kolleginnen noch den Kollegen gehören, genau durch diese Formulierung quasi ausgeschlossen werden (weshalb nun nach neuen Formen gesucht wird). Vor dieser Trennung schloss das Wort "Kollegen" mit der größten Selbstverständlichkeit alle ein: eben alle Menschen, die da arbeiteten. Punkt. Fertig.

Dass jemand, der diese Selbstverständlichkeit nicht erlebt hat, geneigt sein kann, sie in Frage zu stellen, verstehe ich. Aber dieses In-Frage-Stellen sollte nicht den heutigen Blickwinkel zugrunde legen. Genauso wenig wie sich z.B. die Werte und Normen vergangener Kulturen aus heutigem Blickwinkel bewerten lassen, verhält es sich auch mit jenen, die erst wenige Jahrzehnte zurückliegen (gerade in Anbetracht der massiven Veränderungen der letzten Jahrzehnte). Wenn ich wissen will, wie Menschen in den fünfziger, siebziger, neunziger Jahren gedacht und empfunden haben, kann ich nicht das Hier und Heute zugrunde legen - wenn ich der Sache gerecht werden will. Glaube ich. Aber vielleicht ist das wie mit der Länge der Reden. Mit Argumenten geht immer was Wink Zum Glück gibt es ja aus den Generationen vor uns noch genügend quicklebendige Vertreter, die das alles erlebt haben und aus eigener Anschauung berichten können. Wenn ich Frauen gefragt habe, ob sie sich in diese "männliche" Form der Anrede eigentlich eingeschlossen fühlten, habe ich bisher nur eine Antwort kennengelernt: Selbstverständlich! Erst nach diesem Punkt gehen die Meinungen erfahrungsgemäß auseinander: Viele Frauen, die es noch anders erlebt haben, begrüßen die Entwicklung zum "innen", ich kenne aber auch viele Frauen, die das für überflüssigen Schnickschnack halten, mit dem sie bis heute nix anfangen und von dem sie selbst auch sehr bewusst keinen Gebrauch machen.

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Was ist denn das Ziel? Für mich unter anderem dass ein Umdenken stattfindet, in dem Sinn, dass man nicht sofort einen Mann vor Augen hat, wenn irgendwo von einem Arzt die Rede ist. Und klar, da könnte man die Frage stellen, ob Gendern tatsächlich was bringt, aber wenn es nur bei einem Menschen etwas in Gang bringt, dann Hurra.

Hm. Wenn ich das Wort „Arzt“, „Professor“, „Lehrer“ oder „Schreiner“ höre, habe ich nicht per se einen Mann vor Augen. Vielleicht bin ich deshalb für die Mission so wenig offen, weil es da bei mir nix zu missionieren gibt. In meinen Augen ist das Ziel, dass die gleiche Wertschätzung für alle Menschen da ist, ganz egal, ob sie nun weiblich, männlich, beides oder noch irgendwie anders sind oder sich fühlen. Genau deswegen fände ich es auch so schön, wenn wir jeweils nur ein Wort bräuchten und uns darüber einig wären, dass dies eben alle einschließt, ganz unabhängig von ihren Sexualorganen und sonstigen… öhm… Ihr wisst, was ich meine, oder? Mir liegt daran, das Verbindende, das Menschliche zu unterstreichen, nicht das Trennende hervorzuheben. Denn das, was uns verbindet, ist im allgemeinen das, was uns weiterbringt und was uns hilft, gerade unsere unendliche Vielfalt so einzubringen, dass wir gemeinsam gute Lösungen finden - Probleme sind ja genügend vorhanden.

Freundliche Grüße, offen für weiteres Nachdenken
a.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Aneurysm
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 462



Beitrag08.12.2018 16:42

von Aneurysm
Antworten mit Zitat

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Aneurysm hat Folgendes geschrieben:

Warum denkst du, dass Frauen ohne Gendersprache nicht mitgemeint und angesprochen sind?

Liebe Aneurysm, liebe Schreibkollegin, liebe Leserin,
Gegenfrage: Fühlst du dich gerade angesprochen? So richtig, vollends, ohne den geringsten Zweifel?

Lieber hobbes, lieber Schreibkollege, lieber Leser,
die obenstehende Anrede war für Frauen zu keiner Zeit üblich. Es braucht keine Gendersprache, um sie abzuschaffen.

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Dass jemand, der diese Selbstverständlichkeit nicht erlebt hat, geneigt sein kann, sie in Frage zu stellen, verstehe ich.

Diese Selbstverständlichkeit erleben wir heute noch in Alltagsgesprächen. Das Gendern hat sich in der Umgangssprache nie durchgesetzt, sondern nur in Teilen der Schriftsprache und bei förmlichen Anlässen wie Reden.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Eliane
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 823



Beitrag08.12.2018 21:22

von Eliane
Antworten mit Zitat

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Was ist denn das Ziel? Für mich unter anderem dass ein Umdenken stattfindet, in dem Sinn, dass man nicht sofort einen Mann vor Augen hat, wenn irgendwo von einem Arzt die Rede ist. Und klar, da könnte man die Frage stellen, ob Gendern tatsächlich was bringt, aber wenn es nur bei einem Menschen etwas in Gang bringt, dann Hurra.

Hm. Wenn ich das Wort „Arzt“, „Professor“, „Lehrer“ oder „Schreiner“ höre, habe ich nicht per se einen Mann vor Augen. Vielleicht bin ich deshalb für die Mission so wenig offen, weil es da bei mir nix zu missionieren gibt.

Dachte ich von mir auch (allerdings nur, was den Plural angeht, im Singular würde ich immer das zur Person passende Genus verwenden und kenne zu jedem der von Dir angesprochenen Berufe weibliche und männliche Personen, die ihn ausüben). So oder so meinte ich, spielt ja keine große Rolle, kann sich ja jeder Mensch angesprochen fühlen. Wichtig ist, was man tut, wie man Gleichberechtigung lebt, nicht, wie man sie ausspricht.

Bis ich vor einiger Zeit in eine Arztpraxis kam und dort vom Sprechstundenhelfer begrüßt wurde. Das war wie ein Schlag vor den Kopf, weil mir in diesem Moment bewusst wurde, dass ich a) dieses Wort noch nie in meinem ganzen Leben benutzt hatte und b) mit diesem Beruf ausschließlich Frauen assoziiere. Weil: Männlich gibt's ja nicht. Worüber ich ebenfalls noch nie zuvor nachgedacht hatte.

Manchmal muss man eben mit der Nase drauf gestoßen werden, sei es von einem Beispiel, das genau andersrum funktioniert wie üblicherweise gedacht. Und irgendwie ist es wohl doch notwendig, das Gendern. So unpraktisch es auch ist.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag08.12.2018 22:12

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

hobbes, das war ein Gedankenexperiment. Hatte ja geschrieben, dass es diese -in Formen gibt. In manchen Fällen schon lange. Mein Denken ging so:
Wenn es nur eine Form der Berufsbezeichnung gibt, wird ja durch die Verwendung dieser mit einem weiblichen/männlichen  Vornamen das tatsächliche Geschlecht klar, und gerade die aufgrund der vergangenen üblichen Geschlechterrollen in der Gesellschaft Vorstellungen werden deutlich. Im Grunde geht es ja darum, dass die sich ändern sollen/geändert haben. Mit der Änderung von Berufsbezeichnungen ist es ja nicht getan.

Elianes Beispiel: Sprechstundenhilfe könnte Mann, Frau usw. sein.
Mir ging es selbst lange so, dass ich nurse im Englischen immer als Frau las, weil es hauptsächlich Frauen in diesem Beruf gab. Nurse ist aber geschlechtsneutral. Also lag es an meiner Erfahrung, an meinem Kopf, dass ich so dachte. Nicht am Wort.
Krankenpfleger ist besser als Krankenschwester, weil letzteres wegen schweste eindeutig auf Frau referiert.

Ach so, ja: Bei Berufsbezeichnung und Nachnamen ist das anders, weil die ja nicht auf das Geschlecht hinweisen. Schön finde ich, dass man sie und Patient sich hier  mit dem Vornamen ansprechen. Was auch in anderen Bereichen recht üblich ist.
Wie ist's mit Dr.X? Da fiele eine genderform schwer?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4299

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag08.12.2018 22:29

von hobbes
Antworten mit Zitat

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Möglicherweise stellst Du hier etwas in Frage, das Du nicht selbst erlebt hast?

Ach, so jung bin ich dann leider doch nicht (mehr). Und hätte die Welt in der Frage auf mich gewartet, hätte von diesem Gendern noch keiner je was gehört. Aber jetzt ist es nun mal in der Welt und allein dadurch stellt sich für mich das, was sich (vermeintlich) bewährt hat (für wen?) in Frage.

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Vor dieser Trennung schloss das Wort "Kollegen" mit der größten Selbstverständlichkeit alle ein: eben alle Menschen, die da arbeiteten. Punkt. Fertig.

Und auch da komme ich nicht zu Punkt. Fertig.
Ach, ich müsste doch mal all die Artikel suchen, die ich irgendwann mal gelesen habe und in denen sinngemäß so etwas gesagt wurde, dass selbst wenn man alle damit meint, sich eben nicht alle damit gleichwertig angesprochen fühlen. Und das nicht als unbestimmtes Gefühl, sondern die hatten das auf etwas ganz konkretes bezogen, so in Richtung Kinder lesen etwas über Baggerfahrer Ben und 95% der Jungs wollen dann Baggerfahrer werden, während nur 3% der Mädchen auf die Idee kommen.
(Jetzt aber bitte nicht auf dieses Beispiel festnageln, eventuell war das auch ganz anders, aber so ungefähr habe ich es sinngemäß in Erinnerung)
(Und wehe, jetzt kommt jemand mit dem Argument, Mädchen wollten üblicherweise eben nicht Baggerfahrerin werden - ja warum denn nicht, woran das wohl nur liegen mag? Rolling Eyes )


a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Aber dieses In-Frage-Stellen sollte nicht den heutigen Blickwinkel zugrunde legen.

Das verstehe ich nun gar nicht. Welchen Blickwinkel, wenn nicht den heutigen, sollte ich denn dann zugrunde legen? Früher war es ok, oder na ja, nicht ok, aber man hat es eben nicht besser gewusst, aber früher ist doch auch gar nicht das Thema. Ich will ja nicht die Vergangenheit schlecht reden, sondern am Jetzt etwas ändern.

a.no-nym hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich das Wort „Arzt“, „Professor“, „Lehrer“ oder „Schreiner“ höre, habe ich nicht per se einen Mann vor Augen.

Schätze, damit gehörst du zu einer winzig kleinen Minderheit. Auch dazu hatte ich irgendwann mal irgendwo einen Artikel gelesen, es ging darum, eine Geschichte zu lesen und dann hinterher mit den eigenen (unbewussten) Vorurteilen konfrontiert zu werden. Ich glaube, es war zum Beispiel von einem Büro und von Schreibkräften die Rede und - Überraschung - die überwiegende Mehrheit dachte beim Lesen sofort an Sekretärinnen.
Passt auch gut zu Eliane Sprechstundenhelfer. Obwohl, ich ja fürchte, der heißt eigentlich Medizinischer Fachangestellter (oder so ähnlich) smile

Aneurysm hat Folgendes geschrieben:
hobbes hat Folgendes geschrieben:
Aneurysm hat Folgendes geschrieben:

Warum denkst du, dass Frauen ohne Gendersprache nicht mitgemeint und angesprochen sind?

Liebe Aneurysm, liebe Schreibkollegin, liebe Leserin,
Gegenfrage: Fühlst du dich gerade angesprochen? So richtig, vollends, ohne den geringsten Zweifel?

Lieber hobbes, lieber Schreibkollege, lieber Leser,
die obenstehende Anrede war für Frauen zu keiner Zeit üblich. Es braucht keine Gendersprache, um sie abzuschaffen.

Verstehe ich nicht. Ist das auch wieder das "es war schon immer so"-Argument?
Welche obenstehende Anrede meinst du jetzt? Liebe Leserin versus Lieber Leser?
Oder willst du darauf hinaus, dass man üblicherweise im Plural angesprochen wurde? Liebe Leser versus Liebe Leserinnen?

Aneurysm hat Folgendes geschrieben:
Diese Selbstverständlichkeit erleben wir heute noch in Alltagsgesprächen.

Und in genau den Alltagsgesprächen ernte ich irritierte Blicke, wenn ich davon spreche, dass ich bei der Augenärztin war. Nein, nicht beim Augenarzt.
Und solange es diese irritierte Blicke gibt, bin ich ganz bei Eliane:
Eliane hat Folgendes geschrieben:
Und irgendwie ist es wohl doch notwendig, das Gendern. So unpraktisch es auch ist.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4299

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag08.12.2018 22:37

von hobbes
Antworten mit Zitat

firstoffertio hat Folgendes geschrieben:

Wie ist's mit Dr.X?

Ich glaube, so war das in dieser Vorurteils-Geschichte, da war von einem Dr. X die Rede und wenn man den als Mann verstanden hat, ging die Geschichte nicht auf, weil es eigentlich eine Frau war. So irgendwie.

Aber ja, mir geht es hauptsächlich darum, aus den bisher üblichen Geschlechterrollen und Festlegungen rauszukommen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Eliane
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 823



Beitrag08.12.2018 23:39

von Eliane
Antworten mit Zitat

hobbes hat Folgendes geschrieben:
firstoffertio hat Folgendes geschrieben:

Wie ist's mit Dr.X?

Ich glaube, so war das in dieser Vorurteils-Geschichte, da war von einem Dr. X die Rede und wenn man den als Mann verstanden hat, ging die Geschichte nicht auf, weil es eigentlich eine Frau war. So irgendwie.

"Doktor" benutzt man tatsächlich nur in dieser Form, als Anrede wird normalerweise "Herr Doktor X" und "Frau Doktor X" draus. Das Wort "Doktorin" existiert meines Wissens nicht (hat mich auch noch niemand so angesprochen, obwohl ich wirklich schon viele Varianten gehört habe Laughing). Geschrieben wird ja eh meist nur das Kürzel "Dr.". Für "Professor" gilt das übrigens genauso: "Frau Professor Y". Obwohl es da die weibliche Form gibt und diese auch eingesetzt wird, nur eben nicht als Anrede. So die Sprachpraxis - wobei ich "Frau Professorin Y" als Anrede auch als gedoppelt empfinden würde, das Geschlecht ist ja durch "Frau" eindeutig festgelegt. Allerdings bringt mich das nun wiederum ins Grübeln, denn unsere Profs, egal ob weiblich oder männlich, werden häufig auch mit "Professor Y" angesprochen. Und auch hier würde ich das "-in" als sonderbar empfinden, weil (man kennt sich schließlich) durch die Nennung des Namens schon klar ist, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Hmm. Alles nicht so einfach.

In Österreich kann die "Frau Doktor" auch einfach die Frau von einem Dr.  sein ... umgekehrt geht glaube ich nicht. Auch ungerecht, oder? wink


hobbes hat Folgendes geschrieben:

Aber ja, mir geht es hauptsächlich darum, aus den bisher üblichen Geschlechterrollen und Festlegungen rauszukommen.

Mir auch. Eine einzige Maßnahme, ob sprachlich oder organisatorisch, das Problem allerdings eh nicht lösen. Die echte Schwierigkeit liegt in unseren Köpfen, in denen die Rollenbilder eingebrannt sind, und darin, dass unser Hirn danach lechzt, alles in Schubladen einzuordnen. Ohne die wäre es einfacher - das ist der Punkt, wo ich Anonym zustimme: Könnten wir nicht einfach alle nur Menschen sein?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Aneurysm
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 462



Beitrag08.12.2018 23:49

von Aneurysm
Antworten mit Zitat

Eliane hat Folgendes geschrieben:
Bis ich vor einiger Zeit in eine Arztpraxis kam und dort vom Sprechstundenhelfer begrüßt wurde. Das war wie ein Schlag vor den Kopf, weil mir in diesem Moment bewusst wurde, dass ich a) dieses Wort noch nie in meinem ganzen Leben benutzt hatte und b) mit diesem Beruf ausschließlich Frauen assoziiere. Weil: Männlich gibt's ja nicht. Worüber ich ebenfalls noch nie zuvor nachgedacht hatte.

Inwiefern zeigt das denn, dass wir bei maskulinen Formen nur an Männer denken? Im Beispiel mit der Sprechstundenhilfe bildet die Sprache die Wirklichkeit ab: Fast alle Personen mit diesem Beruf sind weiblich, also assoziierst du Frauen mit dem Beruf. Das liegt nicht an der deutschen Sprache, sondern an deiner Erfahrung in Arztpraxen. Und auch in hobbes' Beispiel mit den Schreibkräften verursacht nicht die Sprache das Bild in unserem Kopf, sondern die Erfahrung mit dem Beruf.

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Aneurysm hat Folgendes geschrieben:
Lieber hobbes, lieber Schreibkollege, lieber Leser,
die obenstehende Anrede war für Frauen zu keiner Zeit üblich. Es braucht keine Gendersprache, um sie abzuschaffen.


Verstehe ich nicht. Ist das auch wieder das "es war schon immer so"-Argument?
Welche obenstehende Anrede meinst du jetzt? Liebe Leserin versus Lieber Leser?
Oder willst du darauf hinaus, dass man üblicherweise im Plural angesprochen wurde? Liebe Leser versus Liebe Leserinnen?

Worauf ich hinauswill: Es war nie üblich, Frauen im Maskulinum anzusprechen, weder in Gruppen noch einzelne. Also passt fällt deine Anrede nicht unter das, was die Gendersprache ändert.

Dagegen ist es üblich, Gruppen mit Frauen und Männern oder Personen mit unbekanntem Geschlecht (zum Beispiel einen maskierten Einbrecher) im Maskulinum anzusprechen. Feministen halten das Maskulinum für die männliche Form und schließen aus dem Sprachgebrauch, dass Frauen seit Jahrtausenden in der deutschen Sprache diskriminiert werden – und sich selbst diskriminieren. Die logische Erklärung ist die, dass das Maskulinum nicht die spezifisch männliche Form ist, sondern für alle Personen(gruppen) verwendet wird, die nicht spezifisch weiblich sind.

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Und in genau den Alltagsgesprächen ernte ich irritierte Blicke, wenn ich davon spreche, dass ich bei der Augenärztin war. Nein, nicht beim Augenarzt.

Stört es dich, dass generell Geschäfte mit der maskulinen Form bezeichnet werden (also zum Beispiel auch "beim Friseur", "beim Kosmetiker")? Oder meinst du, dass die Leute Frauen nicht mit dem Arztberuf assoziieren?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag09.12.2018 00:41

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Je mehr ich hier lese, umso froher bin ich über das Englische. where I went to the GP, butcher, called the vet etc, und dann geht's halt weiter mit he oder she, je nachdem.
Auf Deutsch, wenn ich die Person kenne, sag ich zu meinem Mann: die Ärztin, die Tierärztin. Ich glaube, das ist schon ziemlich üblich so im Deutschen. Würde keiner vom Polizisten erzählen, der eine Frau war, nicht?
Wenn man aber erzählt: Erst war ich beim Bäcker, dann beim Zahnarzt usw. geht's um die Funktion … Gibt ja noch die Möglichkeit der Bäckerei, der Metzgerei, des Kosmetikstudios, der Polizei, usw., ist aber etwas umständlicher, verbal.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4299

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag09.12.2018 01:23

von hobbes
Antworten mit Zitat

Aneurysm hat Folgendes geschrieben:
Im Beispiel mit der Sprechstundenhilfe bildet die Sprache die Wirklichkeit ab: Fast alle Personen mit diesem Beruf sind weiblich, also assoziierst du Frauen mit dem Beruf.

Na ja, aber das ist doch vielleicht auch ein bisschen ein Henne-Ei-Problem und eben auch das, was ich mit dem Baggerfahrer-Beispiel im Sinn hatte.

Aneurysm hat Folgendes geschrieben:
Die logische Erklärung ist die, dass das Maskulinum nicht die spezifisch männliche Form ist, sondern für alle Personen(gruppen) verwendet wird, die nicht spezifisch weiblich sind.

Nun ja, es ist aber eben gleichzeitig auch die spezifisch männliche Form. Komisch, dass dass das nun ausgerechnet die ist, die für alle Personengruppen gilt. Ja ja, ich weiß, war doch schon immer so.

Aneurysm hat Folgendes geschrieben:
Stört es dich, dass generell Geschäfte mit der maskulinen Form bezeichnet werden (also zum Beispiel auch "beim Friseur", "beim Kosmetiker")? Oder meinst du, dass die Leute Frauen nicht mit dem Arztberuf assoziieren?

Letzteres.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag09.12.2018 01:48

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

Moin Smile,

ich würde gern nochmal ein paar Schritte rückwärts taumeln, und sei es nur, um mir selbst über ein paar Dinge klar zu werden.

Ich habe gerade in das große Online-Lexikon geschaut, um zu sehen, ob ich den Begriff "Gendering" überhaupt richtig verstanden habe... Da steht https://de.wikipedia.org/wiki/Gendering

"In der Linguistik bezeichnet Gendering die Bestrebung, die Gleichstellung aller Geschlechter in der Sprache zu etablieren und Sexismus entgegenzuwirken, indem Texte in einer möglichst geschlechtsneutralen oder Gender-inkludierenden Form verfasst werden. Die beiden Haupttechniken sind die Sichtbarmachung beider Geschlechter durch Beidnennung sowie die Verwendung geschlechtsneutraler Formulierungen."

Hm. "Geschlechtsneutrale Formulierungen" sind aus meiner Sicht genau das, was früher üblich war. Mit der Formulierung "deine Lehrer" waren alle Personen gemeint, die das Kind unterrichteten, "deine Ärzte" schloss alle behandelnden Mediziner ein. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, das zugrundeliegende  gedankliche Konstrukt, das so lange Zeit funktioniert hat, nennt sich "generisches Maskulinum"?

Erst, wenn dieses Konstrukt in Zweifel steht, ergibt sich überhaupt der Bedarf für andere Lösungen. Oder habe ich da einen Denkfehler? Bin gerade etwas unsicher.

Weil Menschen mit dem Empfinden, die männliche Form würde nicht allen gerecht werden/nicht alle einschließen, sich schließlich durchgesetzt haben, wurde aus "Studenten" dann "Studierende". (Obwohl das wieder  kein so gutes Beispiel ist, weil "Studenten" offenbar bei vielen Menschen andere Assoziationen hervorruft als "Studierende".)

Nun gibt es aber auch Fälle, in denen das mit der neutralen Form (eine von zwei "Haupttechniken" des Gendering) nicht klappt, weil die Sprache es nicht hergibt. In diesen Fällen greift dann Plan B, laut Wikipedia die "Sichtbarmachung beider Geschlechter".

Das ist der Punkt an dem Ganzen, an dem sich mir die Fußnägel aufrollen. Wir hatten mal eine in den Breiten und Tiefen der Gesellschaft verankerte Lösung (siehe oben) - eine Form, die alle einschloss. Die haben wir aufgegeben, so dass wir in die Verlegenheit kamen, "männlich" und "weiblich" sprachlich einzeln hervorzuheben.

Erst diese sprachliche Trennung führt dazu, dass ausgerechnet jene Menschen ausgegrenzt werden/nicht mehr eingeschlossen sind, deren geschlechtliche Identität nach jahrzehntelangem Kampf endlich, endlich als drittes Geschlecht wahrgenommen und anerkannt wird (zumindest in Anfängen, aber immerhin). Und ob wir nicht irgendwann da hinkommen, dass wir sogar noch ein  viertes oder fünftes Geschlecht akzeptieren, weiß vermutlich niemand. Sowas wie "Sichtbarmachung beider Geschlechter" ist für diese Menschen m.E. kein Fortschritt - im Gegenteil. Es gibt schlicht nicht nur zwei Geschlechter. Dass das dritte Geschlecht so lange Zeit totgeschwiegen und zwangsangepasst wurde, ändert nichts an seiner Existenz und seiner natürlichen Daseinsberechtigung. Wie mag es sich nun z.B. für einen intersexuellen Menschen anfühlen, wenn explizit "Kolleginnen und Kollegen" angesprochen werden? Wenn das Geschlecht also extra betont wird, auf diesen Menschen aber weder das eine noch das andere zutrifft? In die althergebrachte Form hätte dieser Mensch sich m.E. viel eher eingeschlossen fühlen können.

Dass es mir um das Verbindende geht, darum, dass ausnahmslos jeder Mensch sich so, wie er ist, eingeschlossen, wahrgenommen, gewürdigt und geschätzt fühlt, habe ich ja schon betont. Ob wir diesem Ziel durch das Gendern näher kommen oder es eines Tages wieder verwerfen, weil es sich als untauglich erweist oder weil wir bessere, einfachere, elegantere, praktikablere Lösungen finden (was ich mir sehr wünsche) - wer weiß. Ich bin da für alles offen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4299

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag09.12.2018 01:49

von hobbes
Antworten mit Zitat

Habe jetzt tatsächlich doch noch einen der besagten Artikel gefunden. Der wiederum auf diesen verweist.

edit:
Nachdem ich deinen Post (@a.no-nym) jetzt auch noch gelesen habe, zitiere ich den einen Abschnitt aus Antje Schrupps Text doch noch direkt:
Antje Schrupp hat Folgendes geschrieben:
An diese Grundpfeiler will der Feminismus aber ran, und um das besprechen zu können, brauchen wir eben zwei unterschiedliche Wörter: Eins für Menschen, und eins für Männer. Und diese zwei unterschiedlichen Wörter gibt eine Sprache, die generisches Maskulinum verwendet, einfach nicht her.


Und auch noch dies: In einem anderen von Antje Schrupp verlinkten Text geht es darum, dass Frauen eben nicht immer mitgemeint waren, geht man in der Historie nur weit genug zurück.

edit2:
Und noch einer. Hier geht es vor allem auch um die Baggerfahrer-Frage (allerdings ganz ohne Bagger) ->
Anatol Stefanowitsch hat Folgendes geschrieben:
Mit anderen Worten: Die Art, in der wir über stereotyp männliche Berufe reden, hat vor allem einen Einfluss darauf, ob Mädchen sich diesen Beruf zutrauen. Die konsequente Verwendung von Paarformeln kann dazu führen, dass sie den Beruf als zugänglicher bewerten und ihn für sich selbst als realistische Berufswahl einschätzen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 4 von 9 Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9  Weiter

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Allgemeines rund um die Schriftstellerei -> Kurse, Weiterbildung / Literatur, Links
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Roter Teppich & Check-In
Hallo Welt! sagte die schreibende Tig...
von Tigerlilie
Tigerlilie Roter Teppich & Check-In 8 26.04.2024 16:33 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Agenten, Verlage und Verleger
Nur mal in die Runde gefragt
von Alfred Wallon
Alfred Wallon Agenten, Verlage und Verleger 8 26.04.2024 13:01 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Rezensionen
,,Die Ärztin“- ein Theaterstück m...
von Oneeyedpirate
Oneeyedpirate Rezensionen 0 19.04.2024 22:53 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Feedback
Zieh die Flügel aus!
von Tisssop
Tisssop Feedback 2 15.04.2024 20:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Roter Teppich & Check-In
Check-In (Wer ich bin)
von Ella_Cross
Ella_Cross Roter Teppich & Check-In 4 12.04.2024 21:33 Letzten Beitrag anzeigen

BuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von Ralphie

von Tiefgang

von BerndHH

von Nora_Sa

von versbrecher

von Nora_Sa

von Magpie

von EdgarAllanPoe

von Charlie Brokenwood

von Enfant Terrible

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!