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Verlöschende Glut


 
 
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nasskalt
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
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Alter: 29
Beiträge: 5
Wohnort: Berlin


N
Beitrag05.10.2016 19:59
Verlöschende Glut
von nasskalt
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Diese Geschichte habe ich vor einiger Zeit geschrieben, sie ist mir jetzt wieder in die Hände gefallen. Vielleicht haben einige von euch Lust, sich daran auszutoben.Razz

„Manchmal ist die Wahrheit größer als die Liebe“, sage ich.
„Wir sollten irgendwo hinfahren, wo es schön ist“, sagst du.
Also setzen wir uns ins Auto und fahren. Die Straße ist neu und ziemlich gerade und scheint ins Nichts zu führen. Du fährst zu schnell, aber das tust du immer. Jede Unebenheit im Boden fühlt sich an wie ein tiefer Fall.
Wir halten an, wo es schön ist, aber eigentlich sieht man nicht viel. Obwohl du den Zündschlüssel schon gedreht hast und der Motor mit einem letzten, altersschwachen Husten ausgesprungen ist, bleibst du sitzen. Du hältst das Lenkrad in den Händen, als befürchtetest du, es könnte abfallen.
Ich steige aus und zünde mir eine Zigarette an. Es ist stürmisch, ich muss mich mit dem Rücken zum Wind drehen.
Als wir uns das erste Mal getroffen haben, haben wir beide geraucht, auch du, aber deine Hände haben dabei spitz und ungelenk ausgesehen. Später hast du es gelassen. „Ich bin nicht cool genug“, hast du gesagt und wahrscheinlich hattest du Recht. Nicht jeder sieht aus wie James Dean, wenn er raucht.
Als du endlich aussteigst, ziehst du dir den Reißverschluss deiner Jacke bis unters Kinn zu. Dabei rutscht die Jacke hoch und entblößt ein Stück deines Bauches. Schnell schaue ich wieder weg. Du hast schwarze Haare unterm Bauchnabel, obwohl du nicht aussiehst, wie jemand, der Haare auf dem Bauch hat.
In deiner Jacke sammelt sich der Wind, bläht dich auf, lässt dich unförmig erscheinen und aus dem Augenwinkel siehst du aus wie ein aufblasbares Gummispielzeug. Eins dieser treudoofen Hüpfpferdchen mit den weißen Punkten.
„Gib mir auch eine“, sagst du und hältst die Hand hin.
„Du hast doch aufgehört.“
„Man hört doch immer nur auf, weil man weiß, dass man wieder anfangen kann.“
Ich denke, dass es genau umgekehrt ist. Man fängt immer nur an, weil man weiß, dass man aufhören kann. Langsam reiche ich dir eine Zigarette.
Nebeneinander stehen wir und starren ins Leere. Vor uns liegen ewige Felder, ein grün-braunes Schachbrettmuster, nur begrenzt durch die Krümmung der Erde.
Ich werfe meine Kippe in den Dreck und ein paar Sekunden glüht sie vor sich hin, bis der Wind sie findet, packt und durch den Sand schleift. Wir sehen ihr nach, bis wir sie nicht mehr von den Steinen unterscheiden können. Ganz so, als wären wir traurig über die verlöschende Glut.
„Da wären wir“, sagst du.
„Ja, da wären wir“, wiederhole ich und habe das Gefühl, über etwas anderes zu sprechen als du.
Am Anfang hat meine Mutter dich „den Schlaksigen mit dem schiefen Lächeln“ genannt, damals kamst du nach dem Abendbrot und bist vor dem Frühstück gegangen. Das ist lange her und in meiner Erinnerung vermischen sich die Jahre wie die Farben des Himmels bei Sonnenuntergang. Irgendwann ist es dann einfach dunkel. Leise schaue ich zu dir, aber dein schiefes Lächeln ist weg, da ist bloß noch ein verbissener Strich anstelle deiner Lippen. Du bewegst sie und siehst aus wie eine wiederkäuende Kuh.
„Man könnte hier losgehen“, sage ich. „Einfach in die Wiese hinein, immer weiter laufen, auf die Wolken zu, und niemand würde einen je finden. Und vielleicht würde man wirklich verschwinden irgendwann. Sich einfach in Luft auflösen, zwischen Staub und Grashalmen.“
„Möchtest du gerne verschwinden?“, fragst du, ohne mich anzusehen.
„Wer möchte das nicht.“
„Ich verrat dich nicht“, sagst du leise und streckst einen Arm in die Weite, zeigst auf einen Punkt, den es nicht gibt. „Du kannst gehen, wenn du willst.“
„Nicht jetzt“, meine ich. Mit meinem Schuh male ich Wirbel in den Boden, Bilder von der Luft, die zu schnell an uns vorbei fließt, als dass wir sie richtig atmen könnten. „Der Herbst kommt, und ich hab doch meine Jacke nicht dabei.“
Du berührst den dünnen Stoff meiner Bluse und ich bin sicher, dass du die Gänsehaut fühlen kannst, die meine Arme umspannt. Deine Fingerspitzen brennen auf mir, als hättest du deine Zigarette auf meinem Unterarm ausgedrückt.
Ein bisschen schauen wir uns noch die eiligen Wolken an und lauschen dem Knistern unserer eigenen Haare. Dann steigen wir wieder in deinen Wagen. Er ist rot und hat diese Beule auf dem Blech, direkt unter dem Türgriff. Wir haben sie „Hulks Faust“ getauft, weil sie aussieht, als hätte jemand mit voller Wucht gegen die Tür geschlagen. Früher habe ich meine eigene Faust in die Beule gelegt und mich stark gefühlt. Heute sitze ich bloß unter dem nach Vanillesoße stinkenden Wunderbaum und du drehst das Radio zu laut auf. Du gibst der Stille keine Chance.
Wie eine schmutzige Schlange gleitet die Seitenlinie unterbrechungslos an mir vorbei. Ich lasse mich hypnotisieren. Vor meinen Augen krümmt sich die Fahrbahn, als würde sie sich um das Auto rollen wollen. Manchmal atmest du schwer, aber ich schaffe es, meinen Blick nicht abzuwenden von der weißen Farbe auf der Straße, die auf meiner Netzhaut Blasen wirft.
Zuhause machen wir Tee und setzen uns an den Küchentisch. Den Kalender über dem Kühlschrank hat seit drei Monaten niemand umgeschlagen. Auf dem Papier ist noch Sommer.
„Vielleicht ist die Liebe aber manchmal leichter, als die Wahrheit“, sagst du und dann trinken wir aus.
Später liege ich neben dir im Bett und sehe dir beim Einschlafen zu. Das habe ich lange nicht mehr getan. Deine Lider flattern unruhig und ab und zu zucken deine Beine, als würde man dir Stromschläge verpassen. Einmal rammst du dein Knie in meinen Oberschenkel und ich spüre, wie die kleinen Äderchen platzen und das Blut bleich und stockend den Umriss deiner Kniescheibe unter meiner Haut nachzeichnet.
Als du ruhig atmest, steige ich aus dem Bett in meine Kleider.
Ich schließe die Tür, ohne dich aufzuwecken.
Draußen ziehe ich meine Jacke an.



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nebenfluss
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Beitrag05.10.2016 22:37
Re: Verlöschende Glut
von nebenfluss
Antworten mit Zitat

Hallo nasskalt,

ehrlich gesagt finde ich solche Einleitungen
nasskalt hat Folgendes geschrieben:
Vielleicht haben einige von euch Lust, sich daran auszutoben.Razz

nicht besonders einladend ... kommentiert wird hier wohl weniger, um sich auszutoben, und mir die Zunge rausstrecken darf auch nicht gleich jeder ... eigentlich.
Aber sei's drum, Ich lass dir trotzdem meine Meinung da.

Viel Licht und viel Schatten, würde ich sagen. Begabung hast du definitiv. Man merkt der Geschichte deine Lust am Schreiben (Beschreiben, Umschreiben) an. Doch was darüber hinaus? Der Konflikt zwischen den beiden bleibt diffus, und auch sonst habe ich kein Spannung erzeugendes Element gefunden. Bräuchte der Text aber, mMn.
Da wäre zunächst eine, sorry, schon fast kitschige Ansammlung an Symbolik, die auf das Ende einer Liebesbeziehung hindeutet (der Titel; die Straße die ins Nichts zu führen scheint; dort ist es "schön, aber eigentlich sieht man nicht viel" * ; letztes Husten des Motors usw.). Da bleibt dem Prosa-Du gar nichts übrig als diese Endzeitstimmung auch mitzukriegen, es bietet selbst die Trennung an, die aber doch von Ich auszugehen scheint. So jedenfalls mein Eindruck, da sich Ich zunehmend körperlich von Du distanziert: Zunächst ist er nur nicht so cool wie James Dean, dann ekelt sie sich vor den Haaren unterm Bauchnabel, schließlich vergleicht sie ihn mit einem treudoofen Gummipferd und einer wiederkäuenden Kuh (eins von beiden würde vielleicht reichen?)
Klar, dass deine Prota (ich gehe einfach mal von einer Frau aus) dadurch nicht gerade sympathischer wird, aber ich würde ihr diese (unfreiwilligen) Assoziationen schon verzeihen, wenn sie mir denn außer diesen Oberflächlichkeiten noch irgendetwas mitzuteilen hätte. Das kryptische Gespräch ist für mich ebenso ziellos wie die ganze Fahrt.
Am Ende, nachdem er eingeschlafen ist, geht sie dann wohl doch. Aber warum jetzt und nicht vorher? Weil er sie im Schlaf getreten hat? Hmm. Erzählt mir der Text nicht.

Noch eine konkrete Stelle, die ich unschön fand:
Zitat:
Obwohl du den Zündschlüssel schon gedreht hast und der Motor mit einem letzten, altersschwachen Husten ausgesprungen ist, bleibst du sitzen. Du hältst das Lenkrad in den Händen, als befürchtetest du, es könnte abfallen.

Ein Motor springt an, aber aus? Klingt schräg. Das Starten eines Automotors - Anlasser, Lichtmaschine - ist technisch (und akustisch) ein anderer Vorgang als das Ausschalten. Oder meintest du ein Abwürgen ohne Bremse/Kupplung? Dann springt aber das Auto, nicht der Motor (aus).
befürchtetest - passt (wohl eher unabsichtlich) irgendwie zum aus-stotternden Motor. Komplizierte Konstruktionen wie Konjunktiv II Präteritum lassen sich meist recht einfach vermeiden. Naheliegend hier:
Du hältst das Lenkrad in den Händen, als könnte es abfallen.
Kürzer, ohne das etwas fehlt -> das befürchten brauchst du gar nicht, es steckt als Subtext drin.

Und noch dieses:
Zitat:
und lauschen dem Knistern unserer eigenen
Haare

Wessen Haare sollen denn sonst knistern, ist doch sonst niemand da Rolling Eyes

* erinnerte mich übrigens irgendwie an diesen Song von Tocotronic.


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Stimmgabel
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Beitrag06.10.2016 04:46
Re: Verlöschende Glut
von Stimmgabel
Antworten mit Zitat

nasskalt/der Text hat Folgendes geschrieben:


Verlöschende Glut

---------------------------------------------

„Manchmal ist die Wahrheit größer als die Liebe“, sage ich.

„Vielleicht ist die Liebe aber manchmal leichter, als die Wahrheit“, sagst du ...
.



Hallo nasskalt,


mir gefällt deine Kurzprosa ausgenommen gut; fast sehr gelungen Smile  ... auf das 'fast' komme ich dann unten zu sprechen.

Sehr fein wird der Text, fast schon oxymoronal durch beide Aussagen [ von Prota-ich; Prota-du ] umrandet; wird hier schon mMn die Intention beider Protas verdeutlicht, die sich natürlich erst im Laufe des textalen Erzählens aufblättert  / quasi in der Rückschau werden die Konsequenzen beider Aussagen sichtbar.

Treffen sich beide nach ihrer (mindestens fast vollzogenen) Trennung wieder / noch einmal, verbringen den Tag miteinander. Irgendwie ein beidseitiges Ab_checken, inwieweit die Trennung tatsächlich vollzogen ist. MMn geht Prota-ich diesen Treff ein, um sich über die längst getroffene Entscheidung über das Ende der Beziehung nochmal im Klaren zu werden  / und Prota-du laviert irgendwie mit sich rum, vielleicht doch noch mal in die Beziehung einzusteigen;

was ja letztlich genau dem Tenor beider obigen Aussagen entspricht.

Mit dem aus der Wohnung Gehen, während Prota-du noch schläft, bestätigt sich Prota-ich ihre vorab getroffene Entscheidung der Trennung, vollzieht sie mMn damit endgültig.

zu Prota-ich:  wärhrend des Lesens empfand ich die Erzählweise von P-ich einerseits als ich-Erzähler zugleich auch mit einem Hauch eines auktorialen Erzähltons unterlegt  / mMn sehr gut passend zu der 99% vorab Entscheidung, die P-ich getroffen hat.

Die Dialogie-Sequenzen sind sehr tiefgründig und spiegeln mMn die oxymoronale Einstellung beider Protas indirekt meta_ebnig immer wieder ab, wie z.B. : die Dialogie bzgl der Zigarettenrauchens  / genauso die anderen Gedankensplitter ...  [ gefällt mir sehr gut ].

Nun zu meinem obigen 'fast' sehr gelungen:  der Text fließt flüssig in seinem inneren Takt [ eher zügig ], unterlegt mit einem Hauch schlacksigem Erzahlton [ Wortewahl ] und die Dialogie ist durchgängig sehr tiefgründig

... ein feiner eigenwilliger Duktus ...

aber, mMn platzen die dialogen und dipolar sehr bedenkenswerten Gedanken zu sehr in den Grund-Text hinein, werden zu wenig inhaltlich vom Grund-Text eingeführt ... laufen Gefahr, vom Leser in ihrer Tiefe zu schnell überflogen zu werden, als ließe der Text dem Leser nicht die nötige Zeit, diese meta_Ebenen in ihrer Weite [ ist ja quasi permanent ein meta-Spiel der intentionalen Textfolie ] auch bedenken zu dürfen ...

ergo würde ich persönlich im Grund-Text ein kleines Hubberle diese tiefen und fein_gewichtigen Dialogie-Gedanken einbetten, irgendwie einen Hauch ankündigen und einen Böe_wind auffangen  / die Dialoge aber so genau so belassen ... hätte ich dann als Leser während des Lesens mehr Zeit bekommen, ihren inneren meta_Wert zu entdecken, möglicherweise nicht doch zu überlesen, wäre echt schade ob ihrer Qualität !!!!  ... passieren ja nun wirklich einige dieser dipolaren Gedanken beider Protas, prallen aufeinander und gehen in den assoziativen Raum über.


nasskalt, habe deinen eigenwiligen duktualen Text echt genossen  Smile , umso mehr in der Nach-Schau, die feinen Splitter teilweise nach_aufgehoben  / für mich ein sehr Stück ... zum bedenken, nach_bedenken und eine eigenwillige und frische Sprache erleben [ die mMn angemessen zu der so erzählten Geschichte sehr gut passt ].


Gruß Stimmgabel ...


-------------------


Nachtrag : ach ja, noch etwas zum Titel "Verlöschende Glut"  / gefällt mich nicht so ... ob er tatsächlich die dipolare Zweiersituation wirklich widerspiegelt? bin mir da nicht so sicher ...


mir könnte gefallen, irgendwie in diese Richtung gehend:  manchmal ist die Liebe leichter, als die Wahrheit

-


_________________
Gabel im Mund / nicht so hastig...
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Seraiya
Geschlecht:weiblichMondsüchtig


Beiträge: 924



Beitrag06.10.2016 09:55

von Seraiya
Antworten mit Zitat

Hallo nasskalt,


Der Text gefällt mir eigentlich ganz gut.
Für mich sieht es von Beginn an so aus, als ob die Prota sich trennen möchte und ich kann die Resignation und Distanz von Anfang an miterleben, die nur noch auf den letzten Schritt warten, was das Ganze widerum vorhersehbar macht. Der Text ist ein einziger Abschied, nicht zu kurz, nicht zu lang.
Und doch fehlt mir etwas.
Ich brauche nicht den Grund für das Beziehungsende, doch hier lese ich nur Äußerlichkeiten, die die Prota scheinbar anöden, vlt. sogar abstoßen, was widerum auf die breits entstandene Distanz zum Partner zurückzuführen ist. Das ist schade, weil das "Warum" für mich zurückbleibt, auch wenn der Text es eigentlich nicht sucht und braucht.
Ich bin unschlüssig. Würde der Text Gründe ansprechen, wäre er ein anderer.
So erfährt eine festgefahrene Situation, gut beschrieben, doch es bleibt nichts hängen.

Ansonsten ist mir aufgefallen, dass sich die gleiche Melodie durch den ganzen Text zieht, was auf Dauer eintönig wirkt, weil die Sätze erst gegen Ende auch mal abwechslungsreicher anfangen. Sonst meist mir "Ich", "Du", "Wir", "Als". Vielleicht kommt mir das aufgrund der Kürze aber auch nur so vor.


Zitat:
   „Manchmal ist die Wahrheit größer als die Liebe“, sage ich. <- ein schöner Anfang, hier jedoch bin ich innerlich bereits gegen die Trennung gewappnet.
„Wir sollten irgendwo hinfahren, wo es schön ist“, sagst du.
Also setzen wir uns ins Auto und fahren. Die Straße ist neu und ziemlich gerade und scheint ins Nichts zu führen. <- die Stelle gefällt mir sehr gut und erinnert mich direkt an die geraden, vorhersehbaren Spuren einer Beziehung. Du fährst zu schnell, aber das tust du immer. Jede Unebenheit im Boden fühlt sich an wie ein tiefer Fall. <- Das beißt sich mMn ein wenig mit der neuen Straße, zeigt aber auf eine Beziehung bezogen ein klasse Bild auf, wenn es denn so gewollt ist.
Wir halten an, wo es schön ist, aber eigentlich sieht man nicht viel. Obwohl du den Zündschlüssel schon gedreht hast und der Motor mit einem letzten, altersschwachen Husten ausgesprungen ist, bleibst du sitzen. Du hältst das Lenkrad in den Händen, als befürchtetest du, <- das könnte raus es könnte abfallen.
Ich steige aus und zünde mir eine Zigarette an. Es ist stürmisch, ich muss mich mit dem Rücken zum Wind drehen.
Als wir uns das erste Mal getroffen haben, haben wir beide geraucht, auch du, <- diese Info ist doppelt gemoppelt aber deine Hände haben dabei spitz und ungelenk ausgesehen. Später hast du es gelassen. „Ich bin nicht cool genug“, hast du gesagt und wahrscheinlich hattest du Recht. Nicht jeder sieht aus wie James Dean, wenn er raucht.
Als du endlich aussteigst, ziehst du dir den Reißverschluss deiner Jacke bis unters Kinn zu. Dabei rutscht die Jacke hoch und entblößt ein Stück deines Bauches. Schnell schaue ich wieder weg. Du hast schwarze Haare unterm Bauchnabel, obwohl du nicht aussiehst, wie jemand, der Haare auf dem Bauch hat. <- ich bin mir nicht sicher, ob die Geschichte das braucht. Hier halte ich die Prota für oberflächlich, was sie widerum unsympathisch macht. Schwierig, weil man den ganzen Text nichts über negative Charaktereigenschaften des Partners erfährt, die sie in dem Entschluss der Trennung bestärken. Muss man hier wohl auch nicht, das passt schon, die innere Distanz wird so für mich deutlich. Dennoch fehlt es mir, was vlt. auch meinem Geschmack verschuldet ist.
In deiner Jacke sammelt sich der Wind, bläht dich auf, lässt dich unförmig erscheinen und aus dem Augenwinkel siehst du aus wie ein aufblasbares Gummispielzeug. Eins dieser treudoofen Hüpfpferdchen mit den weißen Punkten.
„Gib mir auch eine“, sagst du und hältst die Hand hin.
„Du hast doch aufgehört.“
„Man hört doch immer nur auf, weil man weiß, dass man wieder anfangen kann.“
Ich denke, dass es genau umgekehrt ist. Man fängt immer nur an, weil man weiß, dass man aufhören kann. Langsam reiche ich dir eine Zigarette. <- das bräuchte es mMn auch nicht.
Nebeneinander stehen wir und starren ins Leere. Vor uns liegen ewige <- könnte auch raus Felder, ein grün-braunes Schachbrettmuster, nur begrenzt durch die Krümmung der Erde.
Ich werfe meine Kippe in den Dreck und ein paar Sekunden glüht sie vor sich hin, bis der Wind sie findet, <- das auch packt und durch den Sand schleift. Wir sehen ihr nach, bis wir sie nicht mehr von den Steinen unterscheiden können. Ganz so, als wären wir traurig über die verlöschende Glut.
„Da wären wir“, sagst du.
„Ja, da wären wir“, wiederhole ich und habe das Gefühl, über etwas anderes zu sprechen als du.
Am Anfang hat meine Mutter dich „den Schlaksigen mit dem schiefen Lächeln“ genannt, damals kamst du nach dem Abendbrot und bist vor dem Frühstück gegangen. Das ist lange her und in meiner Erinnerung vermischen sich die Jahre wie die Farben des Himmels bei Sonnenuntergang. Irgendwann ist es dann einfach dunkel. <- Schön. Leise <- kann man laut schauen? schaue ich zu dir, aber dein schiefes Lächeln ist weg, da ist bloß noch ein verbissener Strich anstelle deiner Lippen. Du bewegst sie und siehst aus wie eine wiederkäuende Kuh.
„Man könnte hier losgehen“, sage ich. „Einfach in die Wiese hinein, immer weiter laufen, auf die Wolken zu, und niemand würde einen je finden. Und vielleicht würde man wirklich verschwinden irgendwann. Sich einfach in Luft auflösen, zwischen Staub und Grashalmen.“
„Möchtest du gerne verschwinden?“, fragst du, ohne mich anzusehen.
„Wer möchte das nicht.“
„Ich verrat dich nicht“, sagst du leise und streckst einen Arm in die Weite, zeigst auf einen Punkt, den es nicht gibt. „Du kannst gehen, wenn du willst.“
„Nicht jetzt“, meine ich. Mit meinem Schuh male ich Wirbel in den Boden, Bilder von der Luft, die zu schnell an uns vorbei fließt, als dass wir sie richtig atmen könnten. „Der Herbst kommt, und ich hab doch meine Jacke nicht dabei.“
Du berührst den dünnen Stoff meiner Bluse und ich bin sicher, dass du die Gänsehaut fühlen kannst, die meine Arme umspannt. Deine Fingerspitzen brennen auf mir, als hättest du deine Zigarette auf meinem Unterarm ausgedrückt.
Ein bisschen schauen wir uns noch die eiligen Wolken an und lauschen dem Knistern unserer eigenen <- das kann auch raus, sind ja keine anderen Haare da. Haare. Dann steigen wir wieder in deinen Wagen. Er ist rot und hat diese Beule auf dem Blech, direkt unter dem Türgriff. Wir haben sie „Hulks Faust“ getauft, weil sie aussieht, als hätte jemand mit voller Wucht gegen die Tür geschlagen. Früher habe ich meine eigene Faust in die Beule gelegt und mich stark gefühlt. Heute sitze ich bloß unter dem nach Vanillesoße stinkenden Wunderbaum und du drehst das Radio zu laut auf. Du gibst der Stille keine Chance.
Wie eine schmutzige Schlange <- ich hab noch die neue gerade Straße im Kopf, die für mich nicht mit Schlangenlinien zusammenpasst. gleitet die Seitenlinie unterbrechungslos an mir vorbei. Ich lasse mich hypnotisieren. Vor meinen Augen krümmt sich die Fahrbahn, als würde sie sich um das Auto rollen wollen. Manchmal atmest du schwer, aber ich schaffe es, meinen Blick nicht abzuwenden von der weißen Farbe auf der Straße, die auf meiner Netzhaut Blasen wirft. <- hier bin ich hängengeblieben. So schön sich das auch anhört, bei mir entsteht kein passendes Bild und kein Grund dazu/dafür.
Zuhause machen wir Tee und setzen uns an den Küchentisch. Den Kalender über dem Kühlschrank hat seit drei Monaten niemand umgeschlagen. Auf dem Papier ist noch Sommer.
„Vielleicht ist die Liebe aber manchmal leichter, als die Wahrheit“, sagst du und dann trinken wir aus.
Später liege ich neben dir im Bett und sehe dir beim Einschlafen zu. Das habe ich lange nicht mehr getan. Deine Lider flattern unruhig und ab und zu zucken deine Beine, als würde man dir Stromschläge verpassen. Einmal rammst du dein Knie in meinen Oberschenkel und ich spüre, wie die kleinen Äderchen platzen und das Blut bleich und stockend den Umriss deiner Kniescheibe unter meiner Haut nachzeichnet.
Als du ruhig atmest, steige ich aus dem Bett in meine Kleider.
Ich schließe die Tür, ohne dich aufzuwecken.
Draußen ziehe ich meine Jacke an. <- Klasse dieser Schlussatz mit der zuvor getätigten Aussage, dass sie ihre Jacke braucht, um zu gehen und evtl. im Nichts zu verschwinden.
  



Vielleicht ist etwas Hilfreiches dabei.

Gerne gelesen.


LG,
Seraiya


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nasskalt
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
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Alter: 29
Beiträge: 5
Wohnort: Berlin


N
Beitrag08.10.2016 22:15

von nasskalt
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank für eure ausführlichen Antworten!
Ihr habt mir wirklich sehr geholfen. All die unnötigen Wörter, die hätte ich alleine nie gefunden.
Ich werde mich wohl gleich nochmal hinsetzen und den Text überarbeiten. smile


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