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Die Bewegungen des Minyon


 
 
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Anoa
Geschlecht:weiblichLeseratte
A

Alter: 67
Beiträge: 143
Wohnort: Berlin


A
Beitrag12.10.2017 10:29
Die Bewegungen des Minyon
von Anoa
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Auszug aus „Die Bewegungen des Minyon“ zu Thema „Mitgefühl“

Ich sah Victor Dana mit unverwandtem Blick beim Weinen zu, mit dem Gefühl, mir diese Szene einprägen zu müssen; das schien alles zu sein, was ich für ihn tun konnte. Ich erinnerte mich an eine andere Szene, die weit zurück lag. Sie hat sich in meiner frühen Kindheit und auf einem Spielplatz zugetragen. Ich erinnerte mich an die hässliche kleine Lucia mit der spitzen Nase und den dünnen braunen Ringellocken, die von den meisten anderen Kindern mit unbefangener Grausamkeit permanent herumgestoßen, misshandelt und verlacht wurde. Ich hatte mich nie daran beteiligt, mich aber auch nie ihrer angenommen. Sie interessierte mich nicht. Sie hatte einen allzu schlechten Anwalt an ihrer kläglichen kleinen Leidensmiene; sie war abstoßend. Und sie war eine besonders rotzige Rotznase.

Dann fiel sie an einem trüben Wintertag von der Schaukel und schlug sich den Kopf blutig. Irgendjemand holte ihre Mutter herbei, ein dürres kleines Weib mit ebensolcher Leidensmiene. Ich weiß noch, dass sie eine buntgemusterte Schürze mit langen Bändern trug; wann immer ich später eine solche Schürze sah, dachte ich an diesen Unfall zurück. Als sie Lucia auf dem Rasen neben der Schaukel liegen sah, stieß sie einen fürchterlichen Schrei aus, einen kurzen, schrillen I-Laut. Sie rannte zu ihrem Kind, fiel neben ihm auf die Knie und riss es an ihre Brust, in schrilles Weinen ausbrechend. Ich sah ihre Hand hilflos über die blutige Stirn tasten. Ich begriff, dass Lucia, die wir als wertlos abgetan hatten, für diesen einen Menschen unersetzlich war. Lucias Mutter schien mir in Besitz eines besonderen Wissens zu sein, des Wissens um Lucia, und dieses Wissen war entweder gleichbedeutend mit Liebe oder eine Folge von Liebe.

Der Schmerz dieser Frau ging mir durch und durch. Ich habe ihn eigentlich nie wieder vergessen. Er war eine notwendige Lehre für mich, denn er weckte in mir die Fähigkeit zum Mitgefühl und das allgemeine Interesse für meine Mitmenschen – all das, was Rufus Marhaba sich wieder anzueignen bestrebt ist, zumindest in der Theorie.



_________________
Mona Ullrich, Berlin
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realTJL
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 25
Beiträge: 17



Beitrag12.10.2017 22:40

von realTJL
Antworten mit Zitat

Auch wenn ich einige Formulierungen nicht ganz so passend finde ("I-Laut", "rotzige Rotznase", "hässliche kleine Lucia" -> das würde für mich nur funktionieren, wenn der Ich-Erzähler ein Kind ist und sich auch dementsprechend kindlich bzw. unreflektiert verhält), bin ich begeistert von der Art und Weise, wie du das Gefühl versuchst herüberzubringen (Stichwort "zeigen" statt "beschreiben"). Durch die kurze Geschichte hast du gut dargelegt, in welcher Form du das Mitgefühl thematisierst - ich hoffe, dass du das gut in dein restliches Buch einbauen konntest!
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Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag13.10.2017 21:39

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Moin,

gefällt mir. Die emotionale Botschaft kommt gut rüber und es liest sich größtenteils flüssig.
Ein bisschen könnte man noch feilen, ich mache ein paar Vorschläge.

Zitat:
Ich sah Victor Dana mit unverwandtem Blick beim Weinen zu, mit dem Gefühl, mir diese Szene einprägen zu müssen; das schien alles zu sein, was ich für ihn tun konnte. Ich erinnerte mich an eine andere Szene, Wortdopplung, hat mich beim Lesen stocken lassen die weit zurück lag. Sie hat sich in meiner frühen Kindheit Redundanzalarm! frühe Kindheit = weit zurück. Ich würde das allgemeinere, also "weit zurück", weglassen und auf einem Spielplatz zugetragen. Ich erinnerte mich an die hässliche kleine Lucia mit der spitzen Nase und den dünnen braunen Ringellocken, die von den meisten anderen Kindern mit unbefangener Grausamkeit permanent ein unnötiges Füllwort, zudem klingt es etwas abgedroschen herumgestoßen, misshandelt und verlacht wurde. Ich hatte mich nie daran beteiligt, mich aber auch nie ihrer angenommen. Sie interessierte mich nicht. Sie hatte einen allzu schlechten Anwalt an ihrer kläglichen kleinen Leidensmiene; sie war abstoßend. Und sie war eine besonders rotzige Rotznase. Ich mag die Formulierung mit der rotzigen Rotznase. Muss man vielleicht Kinder für haben.

Dann "Dann" klingt oft etwas ungelenk, insbesondere bei einer rückblickenden Erzählung. Du könntest den Satz problemlos mit "An einem trüben Wintertag ..." beginnen fiel sie an einem trüben Wintertag von der Schaukel und schlug sich den Kopf blutig. Irgendjemand holte ihre Mutter herbei, ein dürres kleines Weib mit ebensolcher Leidensmiene. Ich weiß noch, dass sie eine buntgemusterte Schürze mit langen Bändern trug; wann immer ich später eine solche Schürze sah, dachte ich an diesen Unfall zurück. Als sie Lucia auf dem Rasen neben der Schaukel liegen sah Wortdopplung, stieß sie einen fürchterlichen Schrei aus, einen kurzen, schrillen I-Laut Hier stimme ich realtjl zu, das ist unglücklich. Mir würde "Laut" genügen, du könntest auch "ein kurzes, schrilles I" ausprobieren. Sie rannte zu ihrem Kind, fiel neben ihm auf die Knie und riss es an ihre Brust, in schrilles vielleicht nicht schon wieder schrill ... Weinen ausbrechend Lieber kein Partizip, wenn du auch ein Verb verwenden könntest. Meistens. Ist jedenfalls mein Geschmack. Ich sah ihre Hand hilflos über die blutige Stirn tasten. Ich begriff, dass Lucia, die wir als wertlos "wertlos" klingt ein bisschen nach dem moralischen Beobachter von außen, als würde die Szene analysiert (ok, wird sie auch). Trotzdem fände ich eine Konkretisierung besser. Als Missgeburt, als widerlich ... oder, noch besser: die wir verachteten abgetan hatten, für diesen einen Menschen unersetzlich war. Lucias Mutter schien mir inm Besitz eines besonderen Wissens zu sein, des Wissens um Lucia, und dieses Wissen war entweder gleichbedeutend mit Liebe oder eine Folge von Liebe. Auch hier könntest du die Dopplung vermeiden: ...gleichbedeutend mit Liebe oder eine Folge davon

Der Schmerz dieser Frau ging mir durch und durch. Ich habe ihn eigentlich Füllwort, schwächt die Aussage nie wieder vergessen. Er war eine notwendige Lehre für mich, denn er weckte in mir die Fähigkeit zum Mitgefühl und das allgemeine Interesse für meine Mitmenschen – all das, was Rufus Marhaba sich wieder anzueignen bestrebt ist, zumindest in der Theorie.


Nimm, was du gebrauchen kannst, den Rest in die Tonne.

Beste Grüße, ZT
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