Die Grille und die Ameise. Alternative Fabel

[Ekkehart Mittelberg]

Die Grille und die Ameise. Alternative Fabel

Die Grille hatte sich mit ihrem Gesang redlich durchgeschlagen. Sie beschloss sich auf ihre alten Tage mehr Muße zu gönnen. So bummelte sie über die Flaniermeile der Stadt, wo sie zufällig eine Leuchtreklame las: „Cafė zur Ameise“.
Sie staunte nicht schlecht, als sie dort ihre spezielle Freundin, die Ameise, schwer gealtert, hinter dem Ausschank sah.
Die Ameise musterte den neuen Gast mit finster abweisender Miene, ein Zeichen, dass sie die Grille wiedererkannt hatte.
Die Grille lächelte die Workaholic an  und sagte: „Immer noch arbeitsam und rührig, wie man sieht.“ „Das konnte man von dir nicht gerade behaupten“, entgegnete die Ameise.  Die Grille ließ die Bemerkung leer laufen und bestellte sich einen Kaffee.
Die Ameise lächelte säuerlich, als sie feststellte, dass der von ihr vergeblich umworbene Gast Dr. Heuschreck sich an den Tisch der Grille gesetzt hatte.
Als sie den Kaffee persönlich brachte, um zu lauschen, machte dieser gerade der Grille ein Kompliment: „Es ist die Kunst, die ihre Verehrer jung und charmant erhält.“

[realo]

Warum ist das eine alternative Fabel, was ist daran alternativ? Es agieren Insekten in einer menschlichen Kultur, diese Insekten können als Synonym für menschliche Namen stehen. So gesehen sind es menschliche Eigenschaften von Tieren verkörpert, eine Fabel.

[Häherfeder]

Liest sich flüssig, allerdings ist mir das moralische Ende der Geschichte ( was ja bei Fabeln schon eine große Rolle spielt) irgendwie zu platt rübergebracht...
Gerne gelesen,
Gruß Häherfeder

[Ekkehart Mittelberg]

In der klassischen Fabel "Die Grille und die Ameise" hat die Grille im Sommer gesungen und nicht für den Winter vorgesorgt. Sie bittet die Ameise um Hilfe, die diese verweigert, weil die Grille zu sorglos war.
In der alternativen Fabel dreht die Grille den Spieß um und die von Arbeit zermürbte Ameise ist die Verliererin.

[Ekkehart Mittelberg]

@Häherfeder: Ich tröste mich damit, dass du die Fabel gerne gelesen hast. Dass du die Pointe als platt empfindest, muss ich akzeptieren.
LG
Ekki

[Ekkehart Mittelberg]

@Häherfeder: Ich tröste mich damit, dass du die Fabel gerne gelesen hast. Dass du die Pointe als platt empfindest, muss ich akzeptieren.
LG
Ekki

[Arminius]

Ich musste sofort an die Bildergeschichte von Janosch denken. Eigentlich ist es mehr eine "umgedrehte" Fabel. Die Idee ist originell.

[V.K.B.]

[Häherfeder]

Die Variante von VKB feier ich

[Ekkehart Mittelberg]

@Arminius: Merci, du nennst es "umgedrehte" Fabel, ich nenne es alternative Fabel, weil nicht die seriöse Arbeiterin, die Ameise, sich durchsetzt, sondern die Künstlerin, die Grille.

[Soleatus]

Hallo Ekkehart!

"Alternative Fabel" kannst du ruhig weglassen – die alten Fabeln neu zu erzählen ist ja eine beliebte Beschäftigung, da braucht niemand einen besonderen Hinweis, worum es geht. Hm, mir fällt gerade Helmut Arntzen ein (Überschrift "Grille und Ameise"), der mich auf das bringt, was mich ein klein wenig stört an deiner Ausformung der Geschichte: Sie ist mir ein wenig zu breit, zu wenig holzschnittartig; aber das mag daran liegen, dass ich das von modernen Fabeln gewohnt bin und auch selbst Fabeln nur so schreibe. Bleibt also nur die eine Sache, das "leer laufen": Das kenne ich so gar nicht und es war ein kleines Schlagloch; wäre da "ins Leere laufen" nicht der übliche Ausdruck?!

In jedem Fall aber schön, die ehrwürdige Tradition der Fabel hier gepflegt zu sehen!

Gruß,

Soleatus

[Ekkehart Mittelberg]

@V.K.B.
Deine geistreiche Variante gefällt mir auch. Jetzt haben wir drei Varianten:
1. die traditionelle moralinhaltige mit der fleißigen Ameise als Siegerin,
2. die alternative, in der sich die Grille durchsetzt
3. den Perspektivenwechsel, in der das Schicksal dominiert.

[Ekkehart Mittelberg]

@Soleatus: Danke für deine Anregungen. Mir fallen momentan keine traditionellen Fabeln ein, die neu erzählt werden. Wenn es mehrere gibt, kann man "alternative" weglassen.
"ins Leere laufen lassen" ist sprachlich korrekt.

[V.K.B.]

@Ekki: Du brauchst nicht immer auf "Fortsetzung" zu klicken, wenn du antwortest, der Faden wird auch so fortgesetzt. Die Fortsetzung-Funktion ist für Geschichten, die man nacheinander in mehreren Teilen einstellt, damit der Leser schnell zum nächsten Teil springen kann, ohne sich durch die anderen Antworten dazwischen wühlen zu müssen.

[V.K.B.]

[Soleatus]

Hallo nochmal!

Solche nacherzählten und dabei neu interpretierten Fabeln gibt es tatsächlich viele – mit meine liebsten sind die von Ambrose Bierce. Der hat in seiner Fabelsammlung "Fantastic fables" einen ganzen Abschnitt namens "Aesopus emendatus", und "Grille und Ameise" sieht da so aus:

The Grasshopper and the Ant
One day in winter a hungry Grasshopper applied to an Ant for some of the food which they had stored. "Why," said the Ant, "did you not store up some food for yourself, instead of singing all the time?" "So I did," said the Grasshopper, "so I did; but you fellows broke in and carried it all away."

Aber die ganze Sammlung ist absolut lesenswert – ist auch übersetzt worden, wird es aber wahrscheinlich nicht mehr geben im Handel?!

@ V.K.B. Hier geht es ja um Aesop – dem hat schon Lessing seinen eigenen "Spin" gegeben, und Bierce und James Thurber und Helmut Arntzen und und und; sogar meine Wenigkeit. Ich glaube, man könnte sogar diese Neufassungen wieder neu fassen – solange es eine eigene Sichtweise, ein eigener Dreh ist und den eigentlichen Text weniger als Vorlage und mehr als Bezug nutzt: warum nicht?! Aber das führt jetzt weit weg vom eingestellten Text ...

Gruß,

Soleatus

[realo]

Jetzt weiß ich, warum es alternative Fabel heißt. Da ich Fabeln mag und gerne lese, war mir das Original trotzdem nicht präsent. Die Idee ist gut, jedoch man muss das Original kennen, damit die Alternative funktioniert.

[Gast]

Hallo Ekkehart, ich kenne die Fabel als Stadt- und Landmausgeschichte. Die Stadtmaus feiert das ganze Jahr hindurch und spielt zum Tanz auf, macht sich den Lenz und genießt die Jahreszeiten, während die Landmaus das ganze Jahr hindurch ackert und sät, erntet und macht und tut ... bis sie im Winter behaglich im wohlig warmen Bau sitzt und die völlig verarmte, frierende Stadtmaus an ihre Türe klopft und um Almosen bettelt.
Als Kind sollte ich einen Aufsatz darüber schreiben - und wer es denn wohl besser gemacht habe.
Meine Antwort: Gemessen daran, dass beide Mäuse am Ende des Jahres auch tot sein könnten: Die Stadtmaus.
Ich bekam eine Fünf:Fehlinterpretation. Was die Lehrerin nicht bedacht hatte: Ich war Halbwaise und hatte meinen Vater, der sehr arbeitsam war, früh verloren.
Schön, dass Du jetzt hier bist - wir kennen uns bereits aus einem anderen Forum!

[Ekkehart Mittelberg]

Vielen Dank, Miss Purple,

Gott sei Dank steht es uns frei, ob wir unser Leben nach der Moral einer Fabel gestalten wollen.
Ich freue mich auf weiteren Austausch.

LG
Ekki

[Ekkehart Mittelberg]

@realo: Merci, ja, die Bezeichnung alternative Fabel funktioniert nur in Kenntnis des Originals. Ich denke, dass es sich um einen seit längerem bekannten Terminus technicus handelt, der mir auch für anders erzählte Märchen bekannt ist.
LG
Ekki