wenn gedanken verebben

[Perry]

es kommen dunklere zeiten klagen die möwen den tag
auf widerruf gestellt blutet der abend aus im meer
wohlwissend dass er als morgenröte wieder aufersteht

du möchtest gegen das vergessen anschreien doch auf
deiner zunge wandert eine düne weht mit jedem atemzug
sand in die kehle entlockt den stimmbänder nur krächzen

kurz sträuben sich die haare im nacken die wimpern
suchen am horizont flatternd nach aufhellung doch die
fällige flut des kommenden braust unaufhaltsam heran

[Stonefall]

Die Bilder gefallen mir sehr gut.
Ich bin leider kein Lyrikexperte, aber magst du mir erklären warum die Aufteilung in 3 Zeilen gewählt hast?
Bei der mp3 Version hat sich deine Pausensetzung ganz anders angehört, als die Schriftliche.

[Perry]

danke fürs Interesse!
Die Terzettform (3x3) ist der äußere formale Verdichtungsrahmen in dem die lyrischer Prosa hier in 3 Teilen
- Außenbetrachtung,
- innere Reflexion und
- Schlussfolgerung
dargestellt wird.
Die Langzeilen mit den stellenweise unrhythischen Zeilenbrüchen sind hauptsächlich der Form geschuldet, dienen aber auch dazu, durch Lesepausen die Auferksamkeit auf das Folgende zu erhöhen.
LG
Perry

[menetekel]

Hallo Perry,

das gut bebilderte Gedicht spricht mich an.
Allerdings würde ich am ersten Vers noch etwas basteln und statt

"es kommen dunklere zeiten klagen die möwen den tag"

"kommen dunklere zeiten verklagen die möwen den tag"

Das fände ich inhaltlich, grammatikalisch und klanglich einfach besser.

Liebe Grüße
m.

[Perry]

danke fürs konstruktive Interesse!
Die Möwen "verklagen" nicht, denn dazu haben sie kein Mandat. Vielleicht hilft es, wenn Du dir nach "Möwen" ein Komma denkst. Ich weiß, dass die satzzeichenlose Schreibweise etwas anstrengend ist, aber Lyrik als Kunstform darf das, auch wenn man es vielleicht zweimal lesen muss.
LG
Perry

[menetekel]

Sorry,
auch wenn ich mir ein Komma denke, können "die Möwen den Tag nicht klagen" ...

[Arminius]

Ich interpretiere die Sinneinheiten so:
es kommen dunklere zeiten (Komma) klagen die möwen (Punkt) den tag auf widerruf gestellt blutet der abend aus
Sorry wegen der allzu prosaischen Analyse
Bin zwar auch kein Lyriker, aber das Gedicht hat mich trotzdem angesprochen.

[Perry]

deine prosaische Analyse trifft es gut.
Meine Text haben ja meist eine prosaische Urfassung, bevor ich sie lyrisch verdichte.
LG
Perry

[Struwwelpeter]

Ich bin ebenfalls vernarrt in Metaphern. Dein Gedicht bewegt mich. Über das Klagen der Möwen bin ich auch beim ersten Mal gestolpert, vor allem weil der Tag auf Widerruf gestellt mir nichts sagen wollte.
Ab dem Ausbluten hast du mich aber. Ein Gedicht lädt ja auch dazu ein, es wieder und wieder zu lesen. Es soll ja stocken und nicht fließen, damit einem als Leser der Sand im Hals schmirgelt. Das einzige, was mir nicht so „gefällt" sind die suchenden Wimpern. Sie klingen fantastisch, aber mein rationales Gehirn begehrt auf, dass Wimpern nicht suchen können. Vielleicht geht das aber auch weg, wenn ich die Verse noch drei Mal lese.
Rein ästhetisch ein Genuss und schön fatalistisch. Es bringt mein Innerstes zum Klingen. Und das in diese Struktur zu gießen, das finde ich bewundernswert.

[Perry]

Metaphern, sind eben manchmal mehrdeutig, da sie als geistige Verbindungen bzw. Übertragungen bei jedem anders sein können.
"den tag / auf widerruf gestellt blutet der abend aus im meer" soll soviel wie ein verlorener Tag bedeuten.

"die wimpern / suchen am horizont flatternd nach aufhellung" soll für das angestrengte Blicken mit häufigem Wimpernschlag stehen.

Menschliche Handlungsübertragungen wie "klagen, suchen
auf Tiere oder Wimpern" können durchaus verstärkend wirken.

Danke fürs konstruktive Feedback und LG
Perry

[Struwwelpeter]

Klagende Möwen sind mir vollkommen vertraut. Danke für die Erklärung des Widerrufs.
Die Bedeutung der suchenden Wimpern war mir bereits klar. Da ging es ums Aufhängen.

Gestern Abend war ich schwimmen und deine Verse hallten in mir. Ich zähle dein Gedicht zu einem meiner Lieblinge. Ich werde es nicht zum letzten Mal gelesen haben.