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Eine Prüfungssituation ....


 
 
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Smokowski
Leseratte

Alter: 42
Beiträge: 139
Wohnort: Berlin


Beitrag29.01.2023 09:04
Eine Prüfungssituation ....
von Smokowski
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

„Ich messe Ihnen den Blutdruck“, sagte ich dem Herrn um die Neunzig herum, welcher in einem weißen, robusten Plastikstuhl saß.
Ich prüfte seinen Puls, während ich die Manschette um seinen Arm aufpumpte. Der Puls war nicht mehr zu spüren, nun konnte ich das Stethoskop auf seine trockene Armbeuge legen und leicht Luft aus der Manschette lassen. Mit dem Stethoskop lauschte ich nach dem ersten Ausschlag des Blutes …. 150 zu neunzig zeigte die Anzeige an der Manschette … Moment, wie viele Pulsschläge in der Minute?
Ich sah mich nach der Uhr um. Sie lag nicht in diesem weißgefliesten Badezimmer. Warum musste ich ausgerechnet hier dem Herrn Buschmeier den Blutdruck messen? Ich wusste keine Antwort. Ich fasste mit meiner rechten Hand in die leere Tasche meines weißen Kittels. Verdammt …. Wo schreibe ich den Wert auf, bevor ich ihn wieder vergesse?
„Können Sie mir bitte diese Armbinde abmachen?“ fragte mich Herr Buschmeier in einer freundlichen, fast schon zarten Stimme, und er hakte nach: „Was soll ich jetzt tun?“
Er tat mir fast schon leid, so freundlich, wie er nachfragte. Ich nahm ihm sofort die Blutdruckmess-Manschette ab und steckte sie in meine Kitteltasche. Moment … ich wollte noch den Puls messen. Wo war die Uhr? Ich sah aus dem Bad in das gelb gestrichene Bewohnerzimmer, in welchem der Prüfer mit einem grimmigen Blick auf seine Armbanduhr blickte. Die Oberschwester stand mit verschränkten Armen daneben. Sie zählte auf mich, weil sie mich gut vorbereitet hatte.
War ich über der Zeit? Ich wollte es nicht riskieren und tat so, als hätte ich den Puls gemessen.
„Vitalwerte?“, fragte der Prüfer.
„Äh…“ Ich räusperte. „150 zu Neunzig ist der Blutdruck, Herr Hügler!“ Das konnte ich mir seltsamerweise merken.
„Und der Puls?“
Verdammt … was war bei so einem hohen Blutdruck normal? „Achtzig, oder …. Neunzig!“
„Was denn nun?“, fragte Herr Hügler frustriert nach.
„Neunzig, äh, ganz sicher!“
Herr Hügler stieß frustriert die Luft aus, griff ruckartig sein Klemmbrett vom Nachtkasten des Bettes und schmierte hektisch Notizen drauf. „Machen Sie weiter, Herr Smokowski!“ Die Oberschwester zeigte keine Reaktion.
Merkte Herr Hügler, dass ich ihm den Puls vorgelogen hatte? Weiter drüber nachzudenken, dafür war keine Zeit. Seit den zwei Jahren, wo Herr Buschmeier in unserem Pflegeheim verweilte, hatte er keinen gefährlichen Bluthochdruck mehr. Das stand in der Dokumentation. In Lebensgefahr schwebte Herr Buschmeier also nicht, wenn ich den falschen Puls nannte. Es war ungefähr halb 10, eine Viertelstunde blieb mir noch. Leider stand ich noch am Anfang der Versorgung von Herrn Buschmeier. Der schmächtige Mann mit den grauen Haaren sah mich immer noch fragend an.
Ich säuselte ihn zu: „Sie können sich das Gesicht waschen?“
Er hob die Hände: „Aber, womit?“
Ich deutete auf das Waschbecken neben ihm. „Ach, das meinen Sie. Wo ist der Waschlappen?“
Neben dem Becken war ein roter Haken, an welchem der Lappen baumelte – unerreichbar für den gebrechlichen Herrn im weißen Plastikstuhl. Ich reichte ihm das Stoffstück, machte es mit dem warmen Wasser aus dem Hahn feucht und bat Herrn Buschmeier, mit der Hand in den Lappen zu schlüpfen.
„Und was jetzt?“, fragte mich der demente Herr.
„Jetzt können Sie sich das Gesicht waschen!“
Er führte den Lappen zum Gesicht und wusch sich. Derweil inspizierte ich das Regal neben dem Waschbecken … so weit war alles gut vorbereitet. Die Tochter von Hr. Buschmeier hatte gestern noch einen neuen Schub seiner speziellen Hautcremes mitgebracht, für das ich ihr sehr dankbar war, sonst wäre die Prüfung vollends aus dem Ruder gelaufen.
Aber, die Prüfung war noch nicht vorbei!
Ich half ihn bei der restlichen Oberkörperwäsche mit anschließendem Eincremen, wobei es keine Probleme gab. Als ich damit aber fertig war, bat ich Herrn Buschmeier, vom Stuhl aufzustehen und sich am Waschbecken festzuhalten. Er brauchte etwas Starthilfe. Etwas Wackelig stand er nun dort, konnte aber selber stehen. Ich zog Herrn Buschmeier die Hose samt der weißen Einlage aus urinsaugfähigem Spezialpapier bis auf die Knie herunter und wusch seinen Intimbereich. Danach musste ich meine Handschuhe ausziehen, an welchen noch die Keime der Intimwäsche hafteten. Ich wollte dann meine Hände desinfizieren, weil das Vorschrift ist. Fast schon prüfungsentscheidend. Wenn ich diese Prüfung nicht bestehe, müsste ich meine Ausbildung zum Pflegefachmann abbrechen, welche schon seit einem halben Jahr läuft. Wahrscheinlich war ich deswegen so sehr unter Stress. Meine Hände aber fanden in meinem weißen Kittel nur die Blutdruckmessinstrumente – wo war das Fläschchen mit dem Desinfektionsmittel?
O nein. Es fiel mir wieder ein. Auf dem Flur draußen, auf dem Pflegewagen, stehen gelassen! So konnte es nun aber wirklich nicht bleiben! Eigentlich sollte Herr Buschmeier sich hinsetzen, aber das dauerte wieder … schnell flitzte ich auf den Flur und nahm mein Fläschchen und desinfizierte meine Hände. Herr Buschmeier stand zum Glück noch … der Prüfer aber stand daneben, sah mich grimmig an und winkte mit dem Stift in Richtung des Gesäß´ vom Herrn Buschmeier. Die Oberschwester hatte die Augenbrauen angehoben, was ich als Entsetzen wertete. Warum? Mir fiel es wieder ein. Ich hatte den Greis unbeaufsichtigt gelassen, trotz seines Sturzrisikos. Das war fast schon fahrlässig! Es hätte mich gewundert, wenn ich die Prüfung bestanden hätte.
Große Hoffnung machte ich mir also nicht mehr, trotzdem brachte ich ohne weitere große Ausrutscher die Versorgung von Herrn Buschmeier zu Ende. So schwer war es eigentlich nicht, einen Senior zu pflegen – ich war nur super vergesslich. Warum, das wusste ich selber nicht. Herr Buschmeier saß letztlich fertig gecremt, unversehrt und angezogen in seinen Ohrensessel und lehnte sich zurück, um ein Glas Wasser zu trinken. Dies war der Moment, an welchem die praktische Prüfung als beendet galt – aber, die Auswertung stand noch an und da sah ich schwarz.
Herr Hügler, die Oberschwester und ich verabschiedeten uns vom Bewohner und traten auf den schmucklosen, gelbgestrichenen Flur des Pflegestifts hinaus. Wird mir der Prüfer sofort das Ergebnis um die Ohren schlagen? „Komm, Max!“, sagte die Oberschwester zu mir und winkte uns freundlich in einen schmucklosen Raum am Ende des Ganges. Professionalität wurde vom Personal gegenüber den Senioren verlangt. Mir war klar, dass ich so eben meine praktische Prüfung zur Pflegefachkraft nicht bestanden hatte und ich hätte da mit meinem Herumheulen gar nicht gut ausgesehen und die dementen Greise verunsichert.
Im Raum schließlich beichtete ich Herrn Hügler und der Oberschwester: „Ich … ich habe den Blutdruck vorgelogen. Warumich das sage? Ich habe es eh´ vergeigt!“
 Ich hatte schon die Hände gehoben, um mich vor seinem Schlag mit dem Klemmbrett zu schützen. Doch Herr Hügler lächelte mich freundlich an – und sein Lächeln war fast zart, wie das von Herrn Herr Buschmeier.
„Reden Sie weiter, Herr Smokowski!“, sagte er in einer freundlichen Stimme.
Hm. Brachte dem Choleriker das nicht aus der Ruhe? War er nun vollends verrückt geworden nach all dem, was ich ihm geliefert hatte? Doch ich war nicht da, um Fragen zu stellen. Verunsichert stotterte ich weiter:  „Okay, okay …. ich hätte beinahe Herrn Buschmeier zum Stürzen gebracht – und das in der Prüfung, ich bin ein miserabler Pfleger. Ich … ich hatte zig Sachen vergessen und dachte erst, ich wüsste alles. Ich wundere mich selber über mich. Ich habe mich so gnadenlos überschätzt! Aber, ich liebe meine Arbeit mit Menschen, nur leider bin ich eine Gefahr für sie.“
Der Prüfer nickte. „Sind sie fertig?“
„Ja, ich geh´ meinen Rucksack holen!“
„Warten Sie …“
Ich wollte mir nicht anhören, dass ich vergeigt hatte. Es war sowieso klar! Ich verließ den Raum, nahm meinen Rucksack aus dem Schwesternzimmer und lief in die Umkleide.
Während des Umziehens überlegte ich. Was konnte ich nun tun? Hm. Wieder auf Hartz leben und vom Jobcenter in stupide Tätigkeiten gepresst werden, die ich aber wieder genauso vermasseln werde? Bestimmt. Ein tolles System, dass wir in Deutschland haben! Hier bleibt man chancenlos zurück!
Ich wollte das Pflegestift verlassen, doch der Prüfer stand mir im Weg.
„Ist gut, ich hab´ nicht bestanden!“, zischte ich schroff.
„Ich verstehe Sie nicht.“
„Wieso?“
„In Selbstreflexion haben Sie eine Eins!“
„Selbstreflexion?“
„Das heißt, dass Sie Ihre eigenen Fehler wahrnehmen und diese dem Personal nennen können. In der Pflege, wo Sie mit gebrechlichen Menschen zu tun haben, ist dies die wichtigste Eigenschaft, die eine werdende Fachkraft mitbringen muss!“
„Aber … ich war miserabel … !“
„In der Versorgung haben Sie eine 5!“
Ein Blitz fuhr durch meinen Körper. Ich sah betrübt zu Boden. Wenn es doch nur eine 4 gewesen wäre, dann hätte ich wenigstens noch bestanden.
„Ach, nun haben Sie sich doch nicht so. Ihre 1 in Selbstreflexion fließt in die Gesamtnote mit ein, so dass Sie mit einer gesunden 3 erfolgreich Ihre Prüfung abgeschlossen haben!“ Herr Hügler lächelte zufrieden und reichte mir sogar noch die Hand zum Abschied, welche ich erwiderte. „Herr Smokowski, Ihr unbenotete Einsatz war schlimmer!“
Ich musste mich erst einmal setzen, um das zu verdauen. Solch einer Reaktion hatte ich am aller wenigsten erwartet.



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anuphti
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Beitrag29.01.2023 16:31

von anuphti
Antworten mit Zitat

Hallo Smokowski,

der Alptraum einer vergeigten Prüfung.

Ein paar Erbsen:

Max hat den Puls geraten, aber am Ende gesagt, er hätte den Blutdruck erfunden.
Nach einem halben Jahr Ausbildung ist es allerdings kein Problem einen Puls zu schätzen (woraus ich schließe, dass Du das nicht wirklich gemacht hast?), vor allem bei inaktiven Senioren, die sich nicht großartig bewegen.
Zur Technik, die Ellenbeuge kann auch feucht sein, das beeinträchtigt die Messung nicht, und nicht das Blut schlägt aus, sondern bestenfalls die Pulswelle. Und auch das würde ich nicht so formulieren.
Puls misst man generell über 15 Sekunden und multipliziert den gezählten Wert mit 4 (das geht bei 80 aber nicht bei 90)

Die Stelle mit dem Desinfektionsmittel:
In Heimen/Krankenhäusern sind bei allen Waschbecken Desinfektionsmittelspender angebracht. Kleine Flaschen für den Handgebrauch sind lediglich für Privatpersonen unterwegs gedacht, aber nicht im Pflegealltag.

Die Pointe am Ende:
Selbstreflexion gut und schön, aber in dieser Form fließt sie sicher nicht in einer Bewertung ein. Sowas geht vielleicht im Bereich Marketing, aber nicht bei Patientenversorgung.

Ich fand es gar nicht so schlecht geschrieben, aber unsauber recherchiert und dadurch unglaubwürdig.

Gesamtnote: Ich fürchte, da musst Du noch mal ran!

Liebe Grüße
Nuff


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Calvin Hobbs
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Beiträge: 564
Wohnort: Deutschland


Beitrag29.01.2023 16:57
Re: Eine Prüfungssituation ....
von Calvin Hobbs
Antworten mit Zitat

Hallo smile
Smokowski hat Folgendes geschrieben:
Ich messe Ihnen den Blutdruck“, sagte ich dem Herrn um die Neunzig herum, welcher in einem weißen, robusten Plastikstuhl saß.
Ich prüfte seinen Puls, während ich die Manschette um seinen Arm aufpumpte. Der Puls war nicht mehr zu spüren, nun konnte ich das Stethoskop auf seine trockene Armbeuge legen und leicht Luft aus der Manschette lassen. Mit dem Stethoskop lauschte ich nach dem ersten Ausschlag des Blutes Blut schlägt nicht aus! …. 150 zu neunzig zeigte die Anzeige an der Manschette … Moment, wie viele Pulsschläge in der Minute?
Ich sah mich nach der Uhr um. Sie lag nicht in diesem weiß_gefliesten Badezimmer. Warum musste ich ausgerechnet hier dem Herrn Buschmeier den Blutdruck messen?
Ich wusste keine Antwort.
Ich fasste mit meiner rechten Hand in die leere Tasche meines weißen Kittels. Verdammt …. Wo schreibe ich den Wert auf, bevor ich ihn wieder vergesse?
„Können Sie mir bitte diese Armbinde abmachen?“ Komma fragte mich Herr Buschmeier in einer freundlichen, fast schon zarten Stimme, und er hakte nach: „Was soll ich jetzt tun?“
Er tat mir fast schon leid, so freundlich, wie er nachfragte. Ich nahm ihm sofort die Blutdruckmess-Manschette ab und steckte sie in meine Kitteltasche. Moment … ich wollte noch den Puls messen. Wo war die Uhr?
Ich sah aus dem Bad in das gelb gestrichene Bewohnerzimmer, in welchem der Prüfer mit einem grimmigen Blick auf seine Armbanduhr blickte. Die Oberschwester stand mit verschränkten Armen daneben. Sie zählte auf mich, weil sie mich gut vorbereitet hatte.
War ich über der Zeit? Ich wollte es nicht riskieren und tat so, als hätte ich den Puls gemessen.
„Vitalwerte?“, fragte der Prüfer.
„Äh…“ Komma Ich räusperte. „150 zu Neunzig ist der Blutdruck, Herr Hügler!“ Das konnte ich mir seltsamerweise merken.
„Und der Puls?“
Verdammt … was war bei so einem hohen Blutdruck normal? „Achtzig, oder …. Neunzig!“
„Was denn nun?“, fragte Herr Hügler frustriert nach.
„Neunzig, äh, ganz sicher!“
Herr Hügler stieß frustriert die Luft aus, griff ruckartig sein Klemmbrett vom Nachtkasten des Bettes und schmierte hektisch Notizen drauf.
„Machen Sie weiter, Herr Smokowski!“ Die Oberschwester zeigte keine Reaktion.
Merkte Herr Hügler, dass ich ihm den Puls vorgelogen hatte? Weiter drüber nachzudenken, dafür war keine Zeit. Seit In den zwei Jahren, wo Herr Buschmeier in unserem Pflegeheim verweilte, hatte er keinen gefährlichen Bluthochdruck mehr. Das stand in der Dokumentation. In Lebensgefahr schwebte Herr Buschmeier also nicht, wenn ich den falschen Puls nannte. Es war ungefähr halb 10, eine Viertelstunde blieb mir noch. Leider stand ich noch am Anfang der Versorgung von Herrn Buschmeier. Der schmächtige Mann mit den grauen Haaren sah mich immer noch fragend an.
Ich säuselte ihm zu: „Sie können sich das Gesicht waschen?“
Er hob die Hände: „Aber, womit?“
Ich deutete auf das Waschbecken neben ihm. „Ach, das meinen Sie. Wo ist der Waschlappen?“
Neben dem Becken war ein roter Haken, an welchem der Lappen baumelte – unerreichbar für den gebrechlichen Herrn im weißen Plastikstuhl.
Ich reichte ihm das Stoffstück, machte es mit dem warmen Wasser aus dem Hahn feucht und bat Herrn Buschmeier, mit der Hand in den Lappen zu schlüpfen.
„Und was jetzt?“, fragte mich der demente Herr.
„Jetzt können Sie sich das Gesicht waschen!“
Er führte den Lappen zum Gesicht und wusch sich. Derweil inspizierte ich das Regal neben dem Waschbecken … so weit war alles gut vorbereitet. Die Tochter von Hr. Buschmeier hatte gestern noch einen neuen Schub seiner speziellen Hautcremes mitgebracht, für das die ich ihr sehr dankbar war, sonst wäre die Prüfung vollends aus dem Ruder gelaufen.
Aber, die Prüfung war noch nicht vorbei!
Ich half ihn bei der restlichen Oberkörperwäsche mit anschließendem Eincremen, wobei es keine Probleme gab. Als ich damit aber fertig war, bat ich Herrn Buschmeier, vom Stuhl aufzustehen und sich am Waschbecken festzuhalten. Er brauchte etwas Starthilfe. Etwas wackelig stand er nun dort, konnte aber selber stehen.
Ich zog Herrn Buschmeier die Hose samt der weißen Einlage aus urinsaugfähigem Spezialpapier bis auf die Knie herunter und wusch seinen Intimbereich. Danach musste ich meine Handschuhe ausziehen, an welchen noch die Keime der Intimwäsche hafteten.
Ich wollte dann meine Hände desinfizieren, weil das Vorschrift ist. Fast schon prüfungsentscheidend. Wenn ich diese Prüfung nicht bestehe, müsste ich meine Ausbildung zum Pflegefachmann abbrechen, welche schon seit einem halben Jahr läuft. Wahrscheinlich war ich deswegen so sehr unter Stress. Meine Hände aber fanden in meinem weißen Kittel nur die Blutdruckmessinstrumente – wo war das Fläschchen mit dem Desinfektionsmittel?
O nein. Es fiel mir wieder ein. Auf dem Flur draußen, auf dem Pflegewagen, stehen gelassen! So konnte es nun aber wirklich nicht bleiben! Eigentlich sollte Herr Buschmeier sich hinsetzen, aber das dauerte wieder … schnell flitzte ich auf den Flur und nahm mein Fläschchen und desinfizierte meine Hände. Herr Buschmeier stand zum Glück noch … der Prüfer aber stand daneben, sah mich grimmig an und winkte mit dem Stift in Richtung des Gesäß vom Herrn Buschmeier. Die Oberschwester hatte die Augenbrauen angehoben, was ich als Entsetzen wertete. Warum? Mir fiel es wieder ein. Ich hatte den Greis unbeaufsichtigt gelassen, trotz seines Sturzrisikos. Das war fast schon fahrlässig! Es hätte mich gewundert, wenn ich die Prüfung bestanden hätte.
Große Hoffnung machte ich mir also nicht mehr, trotzdem brachte ich ohne weitere große Ausrutscher die Versorgung von Herrn Buschmeier zu Ende. So schwer war es eigentlich nicht, einen Senior zu pflegen – ich war nur super vergesslich. Warum, das wusste ich selber nicht. Herr Buschmeier saß letztlich fertig gecremt, unversehrt und angezogen in seinen Ohrensessel und lehnte sich zurück, um ein Glas Wasser zu trinken. Dies war der Moment, an welchem die praktische Prüfung als beendet galt – aber, die Auswertung stand noch an und da sah ich schwarz.
Herr Hügler, die Oberschwester und ich verabschiedeten uns vom Bewohner und traten auf den schmucklosen, gelb_gestrichenen Flur des Pflegestifts hinaus. Wird mir der Prüfer sofort das Ergebnis um die Ohren schlagen? „Komm, Max!“, sagte die Oberschwester zu mir und winkte uns freundlich in einen schmucklosen Raum am Ende des Ganges. Professionalität wurde vom Personal gegenüber den Senioren verlangt. Mir war klar, dass ich so eben meine praktische Prüfung zur Pflegefachkraft nicht bestanden hatte und ich hätte da mit meinem Herumheulen gar nicht gut ausgesehen und die dementen Greise verunsichert.
Im Raum schließlich beichtete ich Herrn Hügler und der Oberschwester: „Ich … ich habe den Blutdruck vorgelogen. Warum_ich das sage? Ich habe es eh´ vergeigt!“
Ich hatte schon die Hände gehoben, um mich vor seinem Schlag mit dem Klemmbrett zu schützen. Doch Herr Hügler lächelte mich freundlich an – und sein Lächeln war fast zart, wie das von Herrn Herr Buschmeier.
„Reden Sie weiter, Herr Smokowski!“, sagte er in einer freundlichen Stimme.
Hm. Brachte dem Choleriker das nicht aus der Ruhe? War er nun vollends verrückt geworden nach all dem, was ich ihm geliefert hatte? Doch ich war nicht da, um Fragen zu stellen. Verunsichert stotterte ich weiter:  „Okay, okay …. ich hätte beinahe Herrn Buschmeier zum Stürzen gebracht – und das in der Prüfung, ich bin ein miserabler Pfleger. Ichich hatte zig Sachen vergessen und dachte erst, ich wüsste alles. Ich wundere mich selber über mich. Ich habe mich so gnadenlos überschätzt! Aber, ich liebe meine Arbeit mit Menschen, nur leider bin ich eine Gefahr für sie.“
Der Prüfer nickte. „Sind sie fertig?“
„Ja, ich geh´ meinen Rucksack holen!“
„Warten Sie …“
Ich wollte mir nicht anhören, dass ich vergeigt hatte. Es war sowieso klar!
Ich verließ den Raum, nahm meinen Rucksack aus dem Schwesternzimmer und lief in die Umkleide.
Während des Umziehens überlegte ich. Was konnte ich nun tun? Hm. Wieder auf Hartz leben und vom Jobcenter in stupide Tätigkeiten gepresst werden, die ich aber wieder genauso vermasseln werde? Bestimmt. Ein tolles System, dass wir in Deutschland haben! Hier bleibt man chancenlos zurück!
Ich wollte das Pflegestift verlassen, doch der Prüfer stand mir im Weg.
„Ist gut, ich hab´ nicht bestanden!“, zischte ich schroff.
Ich verstehe Sie nicht.“
„Wieso?“
„In Selbstreflexion haben Sie eine Eins!“
„Selbstreflexion?“
„Das heißt, dass Sie Ihre eigenen Fehler wahrnehmen und diese dem Personal nennen können. In der Pflege, wo Sie mit gebrechlichen Menschen zu tun haben, ist dies die wichtigste Eigenschaft, die eine werdende Fachkraft mitbringen muss!“
„Aber … ich war miserabel … !“
„In der Versorgung haben Sie eine 5!“
Ein Blitz fuhr durch meinen Körper. Ich sah betrübt zu Boden. Wenn es doch nur eine 4 gewesen wäre, dann hätte ich wenigstens noch bestanden.
„Ach, nun haben Sie sich doch nicht so. Ihre 1 in Selbstreflexion fließt in die Gesamtnote mit ein, so dass Sie mit einer gesunden 3 erfolgreich Ihre Prüfung abgeschlossen haben!“ Herr Hügler lächelte zufrieden und reichte mir sogar noch die Hand zum Abschied, welche ich erwiderte. „Herr Smokowski, Ihr unbenotete Einsatz war schlimmer!“
Ich musste mich erst einmal setzen, um das zu verdauen. Solch einer Reaktion hatte ich am aller wenigsten erwartet.

Mein Eindruck, da der Text ohne Kontext eingestellt wurde: Ein Schulaufsatz über einen Praktikumstag.


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Smokowski
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Beitrag18.02.2023 00:12

von Smokowski
pdf-Datei Antworten mit Zitat

anuphti hat Folgendes geschrieben:

Nach einem halben Jahr Ausbildung ist es allerdings kein Problem einen Puls zu schätzen (woraus ich schließe, dass Du das nicht wirklich gemacht hast?), vor allem bei inaktiven Senioren, die sich nicht großartig bewegen.

Die Ausbildung ist nicht einheitlich. Manche lehren Blutdruckmessen früher, manche später.


anuphti hat Folgendes geschrieben:

Die Stelle mit dem Desinfektionsmittel:
In Heimen/Krankenhäusern sind bei allen Waschbecken Desinfektionsmittelspender angebracht. Kleine Flaschen für den Handgebrauch sind lediglich für Privatpersonen unterwegs gedacht, aber nicht im Pflegealltag.

Auch hier hängt das vom jeweiligen herum ab. In Krankenhäusern sicher, aber nicht im Stift.
Aber wenn Desinfektionsmittelspender sonst viel verbreitet sind, könnte ich den Protagonisten denken lassen: "Ein Desinfektionsmittelspender im Bad wäre cool, es gibt nur leider keinen"

anuphti hat Folgendes geschrieben:

Die Pointe am Ende:
Selbstreflexion gut und schön, aber in dieser Form fließt sie sicher nicht in einer Bewertung ein. Sowas geht vielleicht im Bereich Marketing, aber nicht bei Patientenversorgung.

Doch. Auch in der Patientenversorgung. Ich weiß nicht, wann deine Ausbildung war, vielleicht war es früher anders. Heute wird viel für die "Professionalisierung" der Pflege getan, insbesondere in der ganzheitlichen Pflege auch Selbstreflexion.

Die "sichere" Variante, den Puls zu messen ist die Impulse pro Minute zu zählen. Ich könnte Georg so denken lassen, dass er sich denkt, dass so müssen am sichersten ist, aber dann ist ja die Uhr nicht dabei.


@calvin_hobbs
Danke für die Erbsen. Ein Schulaufsatz ist es nicht. Eher ein Erfahrungsbericht.


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Justadreamer
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J
Beitrag14.04.2023 09:42

von Justadreamer
Antworten mit Zitat

Hallo Smokowski,

ich finde, die Geschichte ist im Großen und Ganzen sauber geschrieben, hat ein Hauptthema und stringente Handlung. Das hat überzeugt und ich habe bis zum Schluss gelesen!

In puncto Spannungsbogen und "Kurzgeschichten-Stil" könnte man noch etwas nachlegen; die Geschichte liest sich tatsächlich wie ein Erfahrungsbericht - ich denke, die Frage, ob man das supergern liest, kannst du selbst euch beantworten Wink Wenn du den Stil etwas anspruchsvoller machen möchtest, würde ich dir fürs nächste Mal vorschlagen: Frage dich: "Was ist das besondere an dieser Geschichte?" und stelle das sehr kontrastreich dar. In diesem Fall wäre es wohl die Überzeugung des Prota, wertlos zu sein. Und dieses Merkmal kann man dann als Subtext, als faden Beigeschmack, in jedem Satz mitlaufen lassen - und schwupps wird aus "jetzt passiert das und dann das und dann das" ein mehrschichtiger Handlungsverlauf.  
Handwerklich und in Bezug auf Kohärenz, wie gesagt, überzeugend! Jetzt noch ein bisschen mehr AndersArTigKeit

LG
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Pickman
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Beitrag14.04.2023 22:06
Re: Eine Prüfungssituation ....
von Pickman
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Hi Smokowski,

zum Inhalt kann ich nichts beitragen, aber am Stil nörgeln. Da gibt es zu viele unnötige Adjektive und vermeidbare Wortwiederholungen. Ich hab mir mal die ersten paar Absätze vorgenommen und die Stellen, die ich meine, unterstrichen.

Smokowski hat Folgendes geschrieben:
„Ich messe Ihnen den Blutdruck“, sagte ich dem Herrn um die Neunzig herum, welcher in einem weißen, robusten Plastikstuhl saß.
Ich prüfte seinen Puls, während ich die Manschette um seinen Arm aufpumpte. Der Puls war nicht mehr zu spüren, nun konnte ich das Stethoskop auf seine trockene Armbeuge legen und leicht Luft aus der Manschette lassen. Mit dem Stethoskop lauschte ich nach dem ersten Ausschlag des Blutes …. 150 zu neunzig zeigte die Anzeige an der Manschette … Moment, wie viele Pulsschläge in der Minute?
Ich sah mich nach der Uhr um. Sie lag nicht in diesem weißgefliesten Badezimmer. Warum musste ich ausgerechnet hier dem Herrn Buschmeier den Blutdruck messen? Ich wusste keine Antwort. Ich fasste mit meiner rechten Hand in die leere Tasche meines weißen Kittels. Verdammt …. Wo schreibe ich den Wert auf, bevor ich ihn wieder vergesse?
„Können Sie mir bitte diese Armbinde abmachen?“ fragte mich Herr Buschmeier in einer freundlichen, fast schon zarten Stimme, und er hakte nach: „Was soll ich jetzt tun?“
Er tat mir fast schon leid, so freundlich, wie er nachfragte. Ich nahm ihm sofort die Blutdruckmess-Manschette ab und steckte sie in meine Kitteltasche. Moment … ich wollte noch den Puls messen. Wo war die Uhr? Ich sah aus dem Bad in das gelb gestrichene Bewohnerzimmer, in welchem der Prüfer mit einem grimmigen Blick auf seine Armbanduhr blickte. Die Oberschwester stand mit verschränkten Armen daneben. Sie zählte auf mich, weil sie mich gut vorbereitet hatte.
War ich über der Zeit? Ich wollte es nicht riskieren und tat so, als hätte ich den Puls gemessen.


Manchmal handelt es sich um Fachbegriffe, die sich nicht leicht ersetzen lassen, aber in vielen Fällen kannst Du die Wiederholung auch ersatzlos streichen.

Cheers

Pickman


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Smokowski
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Beitrag02.06.2023 17:09

von Smokowski
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So, ich habe den Text jetzt überarbeitet. Manche Dopplungen lassen sich nicht vermeiden.

Eine Prüfungssituation
„Ich messe den Blutdruck“, sagte ich dem Herrn um die Neunzig herum, welcher im Schlafanzug im weißgefliesten Badezimmer auf einem Plastikstuhl saß, gegenüber vom Waschbecken. Die Ohr-Oliven des Stethoskops lagen bereits in meinem Ohr und obwohl ich glaubte, ein chronischer Versager zu sein, fühlte ich mich diesmal gut vorbereitet. Mit dem Herholen des Mannes aus dem Bett hatte offiziell die Prüfung zum Abschluss des Orientierungseinsatzes der generalisierten Ausbildung zur Pflegefachkraft begonnen. Ich beugte mich zu Hrn. Buschmeier herab, legte ihm am rechten Arm die Manschette des Blutdruckmessgerätes an und platzierte den Lauscher des Stethoskops in seiner rechten Armbeuge. Sie war über einem schwarzen Schlauch mit einem Blasebalg, einer analogen Anzeige und einem Ventil verbunden. Ich erfühlte mit Zeige- und Mittelfinger am rechten Handgelenk des Bewohners die Pulswellen des Blutes in der Arteria radialis und pumpte mit meiner linken Hand Luft in die Manschette, bis der Zeiger auf der Anzeige den Druckwert 160 mmHg erreicht hatte. Das war nah am Ende der Skala, weil ich aus der Dokumentation wusste, dass der gute Herr unter chronischen Bluthochdruck litt. Die Pulswellen in der Arteria radialis  waren nicht mehr zu spüren, weswegen ich über das Ventil leicht Luft entweichen ließ und lauschte. Der Zeiger fiel bis auf 150 mmHg ab, er blieb kurz stehen und das typische Geräusch der Pulswelle war im Stethoskop zu hören. Er wanderte weiter herunter, gefolgt von weiteren, gleichmäßigen Geräuschen, welche bei neunzig ein letztes mal erklangen. 150 zu neunzig mmHg.
„Ihr Blutdruck ist im oberen Normbereich“, ließ ich Hrn. Buschmeier wissen.
Der schmächtige Mann mit den grauen Haaren nickte zustimmend. „Na, das geht ja noch.“
Irgendetwas fehlte. Oje. Die Uhr zum Pulsmessen lag noch auf dem Pflegewagen im Flur des Seniorenstifts. Den Puls schätzen war untersagt und ich konnte die Uhr nicht holen gehen, weil ich den dementen Herrn nicht alleine lassen durfte. Wieder alles vergessen. Typisch für einen Versager wie mich. Hoffentlich war der Prüfer gerade pinkeln. Ich blickte aus dem Bad, im gelb gestrichenen Bewohnerzimmer sah er mir entgegen. Mist! Die Oberschwester stand mit verschränkten Armen daneben. Sie zählte auf mich, weil sie mich gut vorbereitet hatte.
„Vitalwerte?“, fragte der Prüfer.
„Äh…“, Ich räusperte. „150 zu Neunzig ist der Blutdruck, Herr Hügler!“
„Und der Puls?“
Ich nannte zur Sicherheit besser noch eine Zahl. „Achtzig, oder …. Neunzig!“
„Was denn nun?“, fragte Herr Hügler frustriert nach.
Verdammt. „Neunzig!“
Herr Hügler stieß frustriert die Luft aus, griff ruckartig sein Klemmbrett vom Nachtkasten des Bettes und schmierte hektisch Notizen drauf. „Machen Sie weiter, Herr Smokowski!“
Die Oberschwester zeigte keine Reaktion, aber sie wusste wie ich, dass Herr Buschmeier nicht in Lebensgefahr schwebte, wenn ich den falschen Puls nannte, weil in den zwei Jahren, wo Herr Buschmeier in unserem Seniorenstift verweilte, er nie über 90 ging. Das wusste aber nicht Hr. Hügler, der von der Kommission geschickt wurde.
„Können Sie mir bitte diese Armbinde abmachen?“, fragte mich Herr Buschmeier in einer fast schon zarten Stimme. Ich folgte seiner Bitte und stopfte die Blutdruckutensilien in die rechte meiner zwei Kittelbauchtaschen. Das Stethoskop fiel wieder heraus. Verdammt! Auf den verkeimten Boden. Ich hätte am liebsten laut „Scheiße“ geschrien, fing mich aber. Man durfte mir meinen Zorn nicht mal anmerken, um die Bewohner nicht zu verunsichern. Ich hängte das Gerät über einer der Griffe auf der Wand neben dem Klo.
Nun blieben mir noch 15 Minuten, um den Bewohner zu waschen, frisch anzuziehen und in den Speisesaal zu bringen. Leider stand ich noch am Anfang der Waschung.
Hr. Buschmeier sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Der gute Mann wusste, wie viele andere Senioren mit Demenz nicht mehr, wie alltägliche Aufgaben zu bewältigen waren, weswegen ich ihm sagen musste, was zu tun war. Ich säuselte ihm zu: „Ich kann Sie gerne bei der Körperpflege unterstützen. Ziehen Sie bitte ihr Oberteil aus.“
Der Herr guckte auf seinen blauen Schlafanzug und zog ihn ohne Mühen aus. Ich gratulierte ihn. Senioren für etwas zu loben, was sie noch konnten, war wichtig, damit sie motiviert blieben, noch so viel es geht selber zu tun. Aktive Pflege nannte sich das. Ich legte sein Schlafanzugoberteil auf die Lehne des Stuhls neben dem Patienten. Das machte ich auch. Das war einfach.
„Sie können sich Ihr Gesicht waschen.“
Er hob die Hände: „Aber, womit?“
Ich deutete auf den Stuhl links neben ihm. „Ach, das meinen Sie. Mit dem Waschlappen?“
Er konnte den Lappen ergreifen, aber rieb ihn trocken über sein Gericht. Ich nahm den Lappen dem Patienten ab und tränkte ihn mit warmem Wasser aus dem Hahn.  
„Und was jetzt?“
„Jetzt können Sie sich Ihr Gesicht waschen!“ Hr. Buschmeier wusch sich. Derweil inspizierte ich das Regal neben dem Waschbecken, so weit war alles gut vorbereitet. Die Tochter von Hr. Buschmeier hatte gestern noch einen neuen Schub seiner speziellen Hautcremes mitgebracht, für die ich ihr sehr dankbar war, sonst wäre die Prüfung vollends aus dem Ruder gelaufen.
Ich wollte ihm bei der restlichen Oberkörperwäsche helfen, er konnte alles selber machen. Für das anschließende Eincremen zog ich blaue Latexhandschuhe an, um seinen besonders trockenen Rücken einzucremen. Geschafft.
„Herr Buschmeier, Sie können sich jetzt am Waschbecken festhalten und aufstehen, damit ich Ihren Unterkörper waschen kann.“
Er tat sich schwer und ich fragte: „Brauchen Sie Starthilfe?“
Er aber konnte alleine aufstehen, wofür ich ihn gratulierte. Nur etwas wackelig stand er da, weshalb er sich nicht allein ausziehen sollte.
„Herr Buschmeier, ich ziehe Ihnen Ihre Schlafanzughose und Einlage aus.“
„Aber, warum denn?“
Typisch Demenz, aber das frustrierte mich nicht, weil er nichts dafür konnte. „Damit ich Ihren Unterkörper waschen kann.“
Herr Buschmeier nickte zustimmend und ich zog ihm die Hose bis auf die Knie herunter. Die weiße Einlage aus urinsaugfähigem Spezialpapier entsorgte ich im nebenstehenden Abfalleimer. Puh! Und ich dachte, den Abfalleimer hätte ich auch vergessen. Glück gehabt!  Dann wusch ich den Intimbereich des Bewohners. Moment. Ich hatte die Handschuhe nicht gewechselt. Jetzt hingen Cremereste am Hodensack, was nicht sein sollte. Verdammt! Ich zog die Handschuhe aus, an welchen die Keime der Intimwäsche hafteten. Ich wollte meine Hände desinfizieren. Desinfektionsspender aber waren in diesem Zimmer speziell für Demenzkranke nicht vorhanden und mein Fläschchen mit dem Desinfektionsmittel, dass ich extra für diesen Zweck mitbringen sollte, stand … auf dem Pflegewagen! Oje.
„Sch…“, ich wollte losfluchen.
„Gesundheit!“, sagte Herr Buschmeier.
„Danke!“
Eigentlich konnte ich Herr Buschmeier nicht alleine lassen, aber desinfizierte Hände nach der Intimwäsche war prüfungsentscheidend. Schnell flitzte ich auf den Flur und desinfizierte meine Hände. Herr Buschmeier stand zum Glück noch … der Prüfer aber stand daneben, sah mich grimmig an und winkte mit dem Stift in Richtung des Gesäß´ des Bewohners. Die Oberschwester hatte die Augenbrauen angehoben, was ich als Entsetzen wertete. Warum? Mir fiel es wieder ein. Ich hatte den Greis nicht nur alleine gelassen, ich hatte ihn, trotz seines Sturzrisikos, unbeaufsichtigt stehen gelassen. Das war fast schon fahrlässig! Konnte ich die Prüfung vergessen? Ich ballte meine Fäuste und versteckte sie hinter meinen Rücken. Ich wollte schließlich keine falschen Signale senden. Aber, machte das noch Sinn? Große Hoffnung machte ich mir nicht mehr, trotzdem brachte ich ohne weitere große Ausrutscher die Versorgung von Herrn Buschmeier zu Ende. Sogar an das Desinfizieren meiner Geräte dachte ich am Ende, weil das Desinfektionsfläschchen so schmerzhaft in meinen Erinnerungen blieb. Vielleicht hatte ich die Schwere, einen Senior zu pflegen, unterschätzt.
Herr Buschmeier saß letztlich im Speisesaal und war beim Essen. Die praktische Prüfung galt als beendet – aber, die Auswertung stand noch an und da sah ich schwarz.
Herr Hügler, die Oberschwester und ich verabschiedeten uns vom Bewohner und traten auf den schmucklosen, gelbgestrichenen Flur des Pflegestifts hinaus. Ich erwartete bereits, dass der Pfleger mich zur Sau machte. „Komm, Max!“, sagte die Oberschwester zu mir und winkte uns in den Konferenzraum am Ende des Ganges.
Im Raum schließlich beichtete ich Herrn Hügler: „Ich … ich habe die Blutdruckmessung nicht direkt nach dem Aufstehen von Hrn. Buschmeier gemacht. Ich habe den Puls abgeschätzt. Ich habe die Handschuhe vor der Intimwäsche nicht gewechselt und nicht drauf geachtet, dass meine Desinfektion bereit stand, was wiederum weitere Fehler zur Folge hatte. Warum ich das sage? Ich habe es eh´ vergeigt!“
Ich hatte schon die Hände gehoben, um mich vor seinem Schlag mit dem Klemmbrett zu schützen. Doch Herr Hügler sein Lächeln war fast so zart wie das von Herrn Herr Buschmeier.
„Reden Sie weiter, Herr Smokowski!“, sagte er in einer freundlichen Stimme.
Hm. War er nun vollends verrückt geworden nach all dem, was ich ihm geliefert hatte? Doch ich war nicht da, um Fragen zu stellen. Verunsichert stotterte ich weiter:  „Okay, okay …. ich hätte Herrn Buschmeier beinahe zum Stürzen gebracht – und das in der Prüfung, ich bin ein miserabler Pfleger.“
Der Prüfer nickte. „Sind sie fertig?“
„Ja, ich geh´ meinen Rucksack holen!“
„Warten Sie …“
Ich wollte mir nicht anhören, dass ich vergeigt hatte, wo ich schlimmstenfalls ausgerastet wäre. Ich verließ den Raum. Während des Umziehens spielte ich, weitere berufliche Perspektiven durch. Hm. Wieder vom Jobcenter in stupide Tätigkeiten gepresst werden? Bestimmt. Ein tolles System, dass wir in Deutschland haben! Hier bleibt man chancenlos zurück!
Ich wollte das Pflegestift verlassen, doch der Prüfer stand mir im Weg.
„Ist gut, ich hab´ nicht bestanden!“, zischte ich schroff.
„Ich verstehe Sie nicht.“
„Wieso?“
„In Selbstreflexion haben Sie eine Eins!“
„Selbstreflexion?“
„Das heißt, dass Sie Ihre eigenen Fehler wahrnehmen und diese dem Personal nennen können. In der Pflege, wo Sie mit gebrechlichen Menschen zu tun haben, ist dies die wichtigste Eigenschaft, die eine werdende Fachkraft mitbringen muss!“
„Aber … ich war miserabel … !“
„In der Versorgung haben Sie eine 5!“
Ein Blitz fuhr durch meinen Körper. Ich sah betrübt zu Boden. Wenn es doch nur eine 4 gewesen wäre, dann hätte ich wenigstens noch bestanden.
„Ach, nun haben Sie sich doch nicht so. Ihre 1 in Selbstreflexion fließt in die Gesamtnote mit ein, so dass Sie mit einer gesunden 3 erfolgreich Ihre Prüfung abgeschlossen haben!“
Herr Hügler lächelte zufrieden und reichte mir sogar noch die Hand zum Abschied, welche ich erwiderte. Ich musste mich erst einmal setzen, um das zu verdauen. Solch einer Reaktion hatte ich am aller wenigsten erwartet.


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Calvin Hobbs
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Beitrag03.06.2023 03:15

von Calvin Hobbs
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Hallo smile
Smokowski hat Folgendes geschrieben:

Eine Prüfungssituation
„Ich messe den Blutdruck“, sagte ich zu dem Herrn um die Neunzig herum, welcher im Schlafanzug im weißgefliesten Badezimmer auf einem Plastikstuhl saß, gegenüber vom Waschbecken. Die Ohr-Oliven des Stethoskops lagen bereits in meinem Ohren und obwohl ich glaubte, ein chronischer Versager zu sein, fühlte ich mich diesmal gut vorbereitet. Beides sind nur Behauptungen! Mit dem Herholen des Mannes aus dem Bett Jetzt hatte offiziell die Prüfung zum Abschluss des Orientierungseinsatzes der generalisierten Ausbildung zur Pflegefachkraft begonnen.
Ich beugte mich zu Hrn. Buschmeier herab, legte ihm am rechten Arm die Manschette des Blutdruckmessgerätes an und platzierte den Lauscher des Stethoskops in seiner rechten Armbeuge. Sie war über einem schwarzen Schlauch mit einem Blasebalg, einer analogen Anzeige und einem Ventil verbunden. Ich erfühlte mit Zeige- und Mittelfinger am rechten Handgelenk des Bewohners die Pulswellen des Blutes in der Arteria radialis und pumpte mit meiner linken Hand Luft in die Manschette, bis der Zeiger auf der Anzeige den Druckwert 160 mmHg erreicht hatte. Das war nah am Ende der Skala, weil ich aus der Dokumentation wusste, dass der gute Herr unter chronischen Bluthochdruck litt. Die Pulswellen in der Arteria radialis  waren nicht mehr zu spüren, weswegen ich über das Ventil leicht Luft entweichen ließ und lauschte. Der Zeiger fiel bis auf 150 mmHg ab, er blieb kurz stehen und das typische Geräusch der Pulswelle war im Stethoskop zu hören. Er wanderte weiter herunter, gefolgt von weiteren, gleichmäßigen Geräuschen, welche bei neunzig ein letztes mal erklangen. 150 zu neunzig mmHg. Das liest sich wie aus einer schriftlichen Prüfung und ich frage mich, worum es in dieser Geschichte geht.
„Ihr Blutdruck ist im oberen Normbereich“, ließ ich Hrn. Buschmeier wissen.
Der schmächtige Mann mit den grauen Haaren nickte zustimmend. „Na, das geht ja noch.“
Irgendetwas fehlte. Oje. Die Uhr zum Pulsmessen lag noch auf dem Pflegewagen im Flur des Seniorenstifts. Den Puls schätzen war untersagt und ich konnte die Uhr nicht holen gehen, weil ich den dementen Herrn nicht alleine lassen durfte. Wieder alles vergessen. Typisch für einen Versager wie mich. Hoffentlich war der Prüfer gerade pinkeln. Ich blickte aus dem Bad, im aus dem gelb gestrichenen Bewohnerzimmer sah er mir entgegen. Mist! Die Oberschwester stand mit verschränkten Armen daneben. Sie zählte auf mich, weil sie mich gut vorbereitet hatte.
„Vitalwerte?“, fragte der Prüfer.
„Äh Leerzeichen…“, Ich räusperte mich. „150 zu Neunzig ist der Blutdruck, Herr Hügler!“ Warum muss das hier für den Leser wiederholt werden?
„Und der Puls?“
Ich nannte zur Sicherheit besser noch eine Zahl. „Achtzig, oder …. Neunzig!“
„Was denn nun?“, fragte Herr Hügler frustriert nach.
Verdammt. „Neunzig!“
Herr Hügler stieß frustriert die Luft aus, griff ruckartig sein Klemmbrett vom Nachtkasten des Bettes und schmierte hektisch Notizen drauf.
„Machen Sie weiter, Herr Smokowski!“
Die Oberschwester zeigte keine Reaktion, aber sie wusste wie ich, dass Herr Buschmeier nicht in Lebensgefahr schwebte, wenn ich den falschen Puls nannte, weil in den zwei Jahren, wo Herr Buschmeier in unserem Seniorenstift verweilte, er nie über 90 ging. Das wusste aber nicht Hr. Hügler, der von der Kommission geschickt wurde.
„Können Sie mir bitte diese Armbinde abmachen?“, fragte mich Herr Buschmeier in einer fast schon zarten Stimme. Ich folgte seiner Bitte und stopfte die Blutdruckutensilien in die rechte meiner zwei Kittelbauchtaschen. Wäre die dran geblieben, wenn er nicht gefragt hätte? Das Stethoskop fiel wieder heraus. Verdammt! Auf den verkeimten Boden. Ich hätte am liebsten laut „Scheiße“ geschrien, fing mich aber. Man durfte mir meinen Zorn nicht mal anmerken, um die Bewohner nicht zu verunsichern. Ich hängte das Gerät über einer der Griffe auf der Wand neben dem Klo.
Nun blieben mir noch 15 Minuten, um den Bewohner zu waschen, frisch anzuziehen und in den Speisesaal zu bringen. Leider stand ich noch am Anfang der Waschung.
Hr. Buschmeier sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Der gute Mann wusste, wie viele andere Senioren mit Demenz nicht mehr, wie alltägliche Aufgaben zu bewältigen waren, weswegen ich ihm sagen musste, was zu tun war. Ich säuselte ihm zu: „Ich kann Sie gerne bei der Körperpflege unterstützen. Ziehen Sie bitte ihr Oberteil aus.“
Der Herr guckte auf seinen blauen Schlafanzug und zog ihn ohne Mühen aus. Ich gratulierte ihm. Senioren für etwas zu loben, was sie noch konnten, war wichtig, damit sie motiviert blieben, noch so viel es geht selber zu tun. Aktive Pflege nannte sich das. Ich legte sein Schlafanzugoberteil auf die Lehne des Stuhls neben dem Patienten. Das machte ich auch. Das war einfach.???
„Sie können sich Ihr Gesicht waschen.“
Er hob die Hände: „Aber, womit?“
Ich deutete auf den Stuhl links neben ihm. „Ach, das meinen Sie. Mit dem Waschlappen?“
Er konnte den Lappen ergreifen, aber rieb ihn trocken über sein Gericht. Ich nahm den Lappen dem Patienten ab und tränkte ihn mit warmem Wasser aus dem Hahn.  
„Und was jetzt?“
„Jetzt können Sie sich Ihr Gesicht waschen!“ Hr. Buschmeier wusch sich. Derweil inspizierte ich das Regal neben dem Waschbecken, so weit war alles gut vorbereitet. Die Tochter von Hr. Buschmeier hatte gestern noch einen neuen Schub seiner speziellen Hautcremes mitgebracht, für die ich ihr sehr dankbar war, sonst wäre die Prüfung vollends aus dem Ruder gelaufen. Verstehe ich nicht. Wieso muss die Tochter sich kümmern, damit die Prüfung eines Fremden gut wird?
Ich wollte ihm bei der restlichen Oberkörperwäsche helfen, er konnte alles selber machen. Für das anschließende Eincremen zog ich blaue Latexhandschuhe an, um seinen besonders trockenen Rücken einzucremen. Geschafft.
„Herr Buschmeier, Sie können sich jetzt am Waschbecken festhalten und aufstehen, damit ich Ihren Unterkörper waschen kann.“
Er tat sich schwer und ich fragte: „Brauchen Sie Starthilfe?“
Er aber konnte alleine aufstehen, wofür ich ihn gratulierte. Nur etwas wackelig stand er da, weshalb er sich nicht allein ausziehen sollte.
„Herr Buschmeier, ich ziehe Ihnen Ihre Schlafanzughose und Einlage aus.“
„Aber, warum denn?“
Typisch Demenz, aber das frustrierte mich nicht, weil er nichts dafür konnte. „Damit ich Ihren Unterkörper waschen kann.“
Herr Buschmeier nickte zustimmend und ich zog ihm die Hose bis auf die Knie herunter. Die weiße Einlage aus urinsaugfähigem Spezialpapier entsorgte ich im nebenstehenden Abfalleimer. Puh! Und ich dachte, den Abfalleimer hätte ich auch vergessen. Glück gehabt!  Dann wusch ich den Intimbereich des Bewohners. Moment. Ich hatte die Handschuhe nicht gewechselt. Jetzt hingen Cremereste am Hodensack, was nicht sein sollte. Verdammt! Ich zog die Handschuhe aus, an welchen die Keime der Intimwäsche hafteten. Ich wollte meine Hände desinfizieren. Desinfektionsspender aber waren in diesem Zimmer speziell für Demenzkranke nicht vorhanden und mein Fläschchen mit dem Desinfektionsmittel, dass ich extra für diesen Zweck mitbringen sollte, stand … auf dem Pflegewagen! Oje.
„Sch Leerzeichen…“, ich wollte losfluchen.
„Gesundheit!“, sagte Herr Buschmeier.
„Danke!“
Eigentlich konnte ich Herr Buschmeier nicht alleine lassen, aber desinfizierte Hände nach der Intimwäsche war prüfungsentscheidend. Schnell flitzte ich auf den Flur und desinfizierte meine Hände. Herr Buschmeier stand zum Glück noch … der Prüfer aber stand daneben, sah mich grimmig an und winkte mit dem Stift in Richtung des Gesäß´ des Bewohners. Die Oberschwester hatte die Augenbrauen angehoben, was ich als Entsetzen wertete. Warum? Mir fiel es wieder ein. Ich hatte den Greis nicht nur alleine gelassen, ich hatte ihn, trotz seines Sturzrisikos, unbeaufsichtigt stehen gelassen. Das war fast schon fahrlässig! Konnte ich die Prüfung vergessen? Ich ballte meine Fäuste und versteckte sie hinter meinen Rücken. Ich wollte schließlich keine falschen Signale senden. Aber, machte das noch Sinn? Große Hoffnung machte ich mir nicht mehr, trotzdem brachte ich ohne weitere große Ausrutscher die Versorgung von Herrn Buschmeier zu Ende. Sogar an das Desinfizieren meiner Geräte dachte ich am Ende, weil das Desinfektionsfläschchen so schmerzhaft in meinen Erinnerungen blieb. Erst wird alles bis ins Detail beschrieben und jetzt einfach abgebrochen. Vielleicht hatte ich die Schwere, einen Senior zu pflegen, unterschätzt.
Herr Buschmeier saß letztlich später im Speisesaal und war beim Essen. Die Meine praktische Prüfung galt als beendet – aber, die Auswertung stand noch an und da sah ich schwarz.
Herr Hügler, die Oberschwester und ich verabschiedeten uns vom Bewohner und traten auf den schmucklosen, gelbgestrichenen Flur des Pflegestifts hinaus. Ich erwartete bereits, dass der Pfleger mich zur Sau machte.
„Komm, Max!“, sagte die Oberschwester zu mir und winkte uns in den Konferenzraum am Ende des Ganges.
Im Raum schließlich beichtete ich Herrn Hügler: „Ich … ich habe die Blutdruckmessung nicht direkt nach dem Aufstehen von Hrn. Buschmeier gemacht. Ich habe den Puls abgeschätzt. Ich habe die Handschuhe vor der Intimwäsche nicht gewechselt und nicht drauf geachtet, dass meine Desinfektion bereit stand, was wiederum weitere Fehler zur Folge hatte. Warum ich das sage? Ich habe es eh´ vergeigt!“
Ich hatte schon die Hände gehoben, um mich vor seinem Schlag mit dem Klemmbrett zu schützen. Wird in Österreich bei solchen Situationen körperlich gezüchtig? Doch Herr Hüglers sein Lächeln war fast so zart wie das von Herrn Herr Buschmeier. ???
„Reden Sie weiter, Herr Smokowski!“, sagte er in einer freundlichen Stimme.
Hm. War er nun vollends verrückt geworden Komma nach all dem, was ich ihm geliefert hatte? Doch ich war nicht da, um Fragen zu stellen. Verunsichert stotterte ich weiter:  „Okay, okay …. ich hätte Herrn Buschmeier beinahe zum Stürzen gebracht – und das in der Prüfung, ich bin ein miserabler Pfleger.“
Der Prüfer nickte. „Sind sie fertig?“
„Ja, ich geh´ meinen Rucksack holen!“
„Warten Sie …“
Ich wollte mir nicht anhören, dass ich vergeigt hatte, wo ich schlimmstenfalls ausgerastet wäre. Ich verließ den Raum. Während des Umziehens spielte ich, weitere berufliche Perspektiven durch. Hm. Wieder vom Jobcenter in stupide Tätigkeiten gepresst werden? Bestimmt. Ein tolles System, dass wir in Deutschland haben! Hier bleibt man chancenlos zurück!
Ich wollte das Pflegestift verlassen, doch der Prüfer stand mir im Weg.
„Ist gut, ich hab´ nicht bestanden!“, zischte ich schroff.
„Ich verstehe Sie nicht.“
„Wieso?“
„In Selbstreflexion haben Sie eine Eins!“
„Selbstreflexion?“
„Das heißt, dass Sie Ihre eigenen Fehler wahrnehmen und diese dem Personal nennen können. In der Pflege, wo Sie mit gebrechlichen Menschen zu tun haben, ist dies die wichtigste Eigenschaft, die eine werdende Fachkraft mitbringen muss!“
„Aber … ich war miserabel … !“
„In der Versorgung haben Sie eine 5!“
Ein Blitz fuhr durch meinen Körper. Ich sah betrübt zu Boden. Wenn es doch nur eine 4 gewesen wäre, dann hätte ich wenigstens noch bestanden.
„Ach, nun haben Sie sich doch nicht so. Ihre 1 in Selbstreflexion fließt in die Gesamtnote mit ein, so dass Sie mit einer gesunden 3 erfolgreich Ihre Prüfung abgeschlossen haben!“
Herr Hügler lächelte zufrieden und reichte mir sogar noch die Hand zum Abschied, welche ich erwiderte. Ich musste mich erst einmal setzen, um das zu verdauen. Solch einer Reaktion hatte ich am aller wenigsten erwartet.

Die Selbstreflexion besteht nur darin, dass der Prota sich selbst niedermacht. Ansonsten bleibt es, durch die Beschreibungen, für mich ein Schulaufsatz.
Frage: Was ist der Kern, der Fokus dieser Geschichte? Was soll der Leser am Ende für ein Fazit ziehen?
Geht es um Max? Wenn ja, warum muss der Leser dann wissen, dass da Creme am Hodensack des alten Mannes ist?
Geht es um die Beschreibung einer Prüfungssituation? Wenn ja, warum werden dann immer wieder Max' Versagensängste hervorgehoben?
Diese Geschichte mäandert kaum, trotzdem empfinde ich sie als unentschieden zwischen den Stühlen.
MfG


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Pickman
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Beitrag03.06.2023 12:05

von Pickman
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Hi Smokowski,

die Geschichte hat aus meiner Sicht an Qualität gewonnen. Ich habe sie ohne mich Zwingen zu müssen bis zum Ende gelesen, einen Spannungsbogen gefunden und eine Pointe. Allerdings haben einige Stellen stilistisch betrachtet durchaus Luft nach oben.

Smokowski hat Folgendes geschrieben:
Eine Prüfungssituation ((Sperriger Titel. "Prüfung" reicht völlig.))
„Ich messe den Blutdruck“, sagte ich dem Herrn um die Neunzig herum, welcher ((Man lernt in der Schule, dass man Relativsätze nicht mit "der", "die", "das" einleiten soll, sondern mit "welcher", "welche", "welches". Wenn man will, das eine Text sich wie ein Schulaufsatz ließt, sollte man diese Regel beherzigen, wenn nicht, dann nicht.)) im Schlafanzug im weißgefliesten ((Ist das Adjektiv nötig?)) Badezimmer auf einem Plastikstuhl saß, gegenüber vom Waschbecken. ((Zu viele Ortsangaben: Badezimmer, Plastikstuhl, Waschbecken. Zudem ist "gegenüber vom Waschbecken ungünstig platziert. Aus meiner Sicht besser: der im Schlafanzu auf einem Plastikstuhl vor dem Waschbecken saß".)) Die Ohr-Oliven des Stethoskops lagen bereits in meinem Ohr ((Die Doppelung stört mich als Leser und sie ist vermeidbar. Das Possessivpronomen ist überflüssig. "Die Enden der Ohrbügel hatte ich mir bereits in die Gehörgänge gesteckt")) und obwohl ich glaubte, ein chronischer Versager zu sein, fühlte ich mich diesmal gut vorbereitet. Mit dem Herholen des Mannes aus dem Bett hatte offiziell die Prüfung zum Abschluss des Orientierungseinsatzes der generalisierten Ausbildung zur Pflegefachkraft begonnen. Ich beugte mich zu Hrn. ((Die Abk. spart genau einen Anschlag und liest sich unschön.)) Buschmeier herab, legte ihm am rechten Arm die Manschette des Blutdruckmessgerätes ((Wie wäre es mit "Blutdruckmanschette"? Das würde einen Genitiv einsparen.)) an und platzierte den Lauscher des Stethoskops in seiner rechten Armbeuge, ((Possessivpronomina versuche ich stets zu vermeiden. Um welche Armbeuge es sich handelt, weiß der Leser aus seiner Lebenserfahrung. Deshalb: "platzierte ... in der Armbeuge".)) Sie war über einem schwarzen Schlauch mit einem Blasebalg, einer analogen ((Ein Adjektiv, das man einsparen könnte.)) Anzeige und einem Ventil verbunden. Ich erfühlte mit Zeige- und Mittelfinger am rechten Handgelenk des Bewohners die Pulswellen des Blutes in der Arteria radialis und pumpte mit meiner linken Hand Luft in die Manschette, bis der Zeiger auf der Anzeige den Druckwert 160 mmHg erreicht hatte. Das war nah am Ende der Skala, weil ich aus der Dokumentation wusste, dass der gute Herr unter chronischen Bluthochdruck litt. Die Pulswellen in der Arteria radialis  waren nicht mehr zu spüren, weswegen ich über das Ventil leicht Luft entweichen ließ und lauschte. ((Daraus würde ich zwei Sätze machen. Den Kausalzusammenhang kann der Leser erschließen.)) Der Zeiger fiel bis auf 150 mmHg ab, er blieb kurz stehen und das typische Geräusch der Pulswelle war im Stethoskop zu hören. ((Zu viele Worte, zu langer Satz, Wortwiederholung, unnötige Passivkonstruktion. Aus meiner Sicht besser: "Der Zeiger fiel auf 150 mmHg und blieb kurz stehen. Ich hörte das typische Geräusch kontrahierender Blutgefäße." Vielleicht kennst Du sogar einen Begriff, der genauer ist als "Geräusch".)) Er wanderte weiter herunter, gefolgt von weiteren, gleichmäßigen Geräuschen, welche bei neunzig ein letztes mal erklangen. ((Hier stimmt etwas nicht. "Er" ist der Zeiger. Oder? Auf den Zeiger folgen Geräusche?)) 150 zu neunzig mmHg.


Ich glaube Du weißt, worauf ich hinaus will. Dreh jedes Wort zweimal um. Ist es nötig? Ist es das Richtige?

Cheer

Pickman


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Smokowski
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Beitrag10.06.2023 13:11

von Smokowski
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Hi, danke für eure Mühe.

Ich will mit dieser Geschichte einfach nur einen Ausschnitt aus dem Leben eines Azubis zeigen, aber nicht starr wie ein Aufsatz, sondern unterhaltend dazu ist, um Leute für den Job zu begeistern (Klar, der Prüfer sollte nicht so raubeinig sein ... ganz klar ist mir alles hier so nicht).

Ja, es geht um Max. Dass mit der Creme am Hodensack soll einen Fehler aufzeigen, den er machte, weil er nicht selbstsicher war.


Eine Prüfungssituation
„Ich messe den Blutdruck“, sagte ich zu dem Herrn um die Neunzig, der im Schlafanzug auf einem Plastikstuhl vor dem Waschbecken saß. Die Enden der Ohrbügel des Stethoskops hatte ich mir bereits in die Gehörgänge gesteckt und obwohl die Stationsleitung mir mehrmals vorgeworfen hatte, dass ich zu unsicher sei, fühlte ich mich diesmal gut vorbereitet. Ein Pack Handschuhe, die Uhr zum Pulsmessen, zwei Handtücher und zwei Waschlappen lagen sauber auf dem Pflegewagen. Jetzt hatte offiziell die Prüfung zum Abschluss des Orientierungseinsatzes der generalisierten Ausbildung zur Pflegefachkraft begonnen. Ich war mir sicher, die Versorgung von Hr. Buschmeier ohne Probleme zu bewerkstelligen. Ich beugte mich zum schmächtigen Herrn herab, legte seinen gestreckten rechten Arm auf seinen Schenkel und setzte die Blutdruckmanschette an. Sie war über einem schwarzen Schlauch mit einem Blasebalg, einer Anzeige und einem Ventil verbunden. Der Lauscher des Stethoskops lag in seiner rechten Armbeuge, genauer gesagt, über der Arteria Brachialis. Es lag kein intravenöser Gefäßzugang und kein Shunt an, also konnte ich problemlos messen.
Ich erfühlte mit Zeige- und Mittelfinger am rechten Handgelenk des Bewohners die Pulswellen des Blutes in der Arteria radialis und pumpte mit meiner linken Hand Luft in die Manschette, bis der Zeiger 160 mmHg erreicht hatte. Das war nah am Ende der Skala, weil ich aus der Dokumentation wusste, dass der gute Herr unter chronischen Bluthochdruck litt. Die Pulswellen in der Arteria radialis  waren nicht mehr zu spüren, weswegen ich über das Ventil leicht Luft entweichen ließ und dem einströmenden Blut der Arteria Brachialis lauschte.
„Vitalwerte?“, fragte der Prüfer.
„Äh…“, Ich räusperte. „150 zu Neunzig ist der Blutdruck, Herr Hügler!“
„Und der Puls?“
Oje. Die Uhr zum Pulsmessen lag noch auf dem Pflegewagen im Flur des Seniorenstifts. Den Puls schätzen war untersagt und ich konnte die Uhr nicht holen gehen, weil ich den dementen Herrn nicht alleine lassen durfte. Wieder was vergessen. Typisch für einen Versager wie mich. Hoffentlich war der Prüfer gerade pinkeln. Ich blickte aus dem Bad, im gelb gestrichenen Bewohnerzimmer sah er mir entgegen. Mist! Die Stationsleitung stand mit verschränkten Armen daneben. Sie zählte auf mich, weil sie mich gut vorbereitet hatte.
Ich tat einfach so, als ob ich den Puls gemessen hätte, vielleicht half es. Ich nannte zur Sicherheit besser noch eine Zahl. „Achtzig, oder …. Neunzig!“
„Was denn nun?“, fragte Herr Hügler frustriert nach.
Verdammt. „Neunzig!“
Herr Hügler stieß frustriert die Luft aus, griff ruckartig sein Klemmbrett vom Nachtkasten des Bettes und schmierte hektisch Notizen drauf. „Machen Sie weiter, Herr Smokowski!“
Die Oberschwester zeigte keine Reaktion, aber sie wusste wie ich, dass Herr Buschmeier nicht in Lebensgefahr schwebte, wenn ich den falschen Puls nannte, weil in den zwei Jahren, wo Herr Buschmeier in unserem Seniorenstift verweilte, er nicht über 90 ging. Das wusste aber nicht Hr. Hügler, der von der Kommission geschickt wurde. Doch zum Nachdenken war keine Zeit. Mir blieben noch 15 Minuten, um den Bewohner zu waschen, frisch anzuziehen und in den Speisesaal zu bringen. Leider stand ich noch am Anfang der Waschung.
Hr. Buschmeier sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Können Sie mir bitte diese Armbinde abmachen?“, fragte er mich in einer fast schon zarten Stimme. Oh, das hatte ich auch vergessen. Ich folgte seiner Bitte und stopfte die Blutdruckutensilien in die rechte meiner zwei Kittelbauchtaschen. Das Stethoskop fiel wieder heraus. Verdammt! Auf den verkeimten Boden. Ich hätte am liebsten laut „Scheiße“ geschrien, fing mich aber. Man durfte mir meinen Zorn nicht mal anmerken, um die Bewohner nicht zu verunsichern. Ich hängte das Gerät über einer der Griffe auf der Wand neben dem Klo.
Ich säuselte ihm zu: „Ich kann Sie gerne bei der Körperpflege unterstützen. Ziehen Sie bitte ihr Oberteil aus.“
Der Herr guckte auf seinen blauen Schlafanzug und zog ihn ohne Mühen aus. Ich gratulierte ihm. Senioren für etwas zu loben, was sie noch konnten, war wichtig, damit sie motiviert blieben, noch so viel es geht selber zu tun. Aktive Pflege nannte sich das. Ich legte sein Schlafanzugoberteil auf die Lehne des Stuhls neben dem Patienten.
„Sie können sich Ihr Gesicht waschen.“
Er hob die Hände: „Aber, womit?“
Ich deutete auf den Stuhl links neben ihm. „Ach, das meinen Sie. Mit dem Waschlappen?“
Er konnte den Lappen ergreifen, aber rieb ihn trocken über sein Gesicht. Der gute Mann wusste, wie viele andere Senioren mit Demenz nicht mehr, wie alltägliche Aufgaben zu bewältigen waren, weswegen ich ihn sogar bitten musste, den Lappen im warmem Wasser aus dem Hahn zu tränken.  
„Und was jetzt?“
„Jetzt können Sie sich Ihr Gesicht waschen!“ Hr. Buschmeier wusch sich. Derweil inspizierte ich das Regal neben dem Waschbecken. Ein neuer Schub der speziellen Hautcremes waren dabei. Ich hatte gestern die Tochter von Hr. Buschmeier gebeten, sie zu bringen. Es war sowohl für mich, als auch für ihren Vater das Beste, dass diese immer gut aufgefüllt waren.  
Ich wollte ihm bei der restlichen Oberkörperwäsche helfen, er konnte es selber machen, musste ihn dann nur noch anweisen, die Zähne zu putzen. Für das anschließende Eincremen zog ich blaue Latexhandschuhe an, um seinen besonders trockenen Rücken einzucremen. Geschafft.
„Herr Buschmeier, Sie können sich jetzt am Waschbecken festhalten und aufstehen, damit ich Ihren Unterkörper waschen kann.“
Er tat sich schwer und ich fragte: „Brauchen Sie Starthilfe?“
Er aber konnte alleine aufstehen, wofür ich ihn gratulierte. Nur etwas wackelig stand er da, weshalb er sich nicht allein ausziehen sollte.
„Herr Buschmeier, ich ziehe Ihnen Ihre Schlafanzughose und Einlage aus.“
„Aber, warum denn?“
Diese Frage stellte er öfter, obwohl andere Bewohner wussten, dass dies zur Waschung gehörte. Diese Frage stellte Hr. Buschmeier meiner Meinung nach bestimmt, weil er dement war. Ich sagte ihn trotzdem alles an, was ich vorhatte. „Damit ich Ihren Unterkörper waschen kann.“
Herr Buschmeier nickte zustimmend und ich zog ihm die Hose bis auf die Knie herunter. Die weiße Einlage aus urinsaugfähigem Spezialpapier entsorgte ich im Abfalleimer. Puh! Und ich dachte, den Abfalleimer hätte ich auch vergessen. Glück gehabt!  Dann wusch ich den Intimbereich des Bewohners. Moment. Ich hatte die Handschuhe nicht gewechselt. Jetzt hingen Cremereste am Hodensack, was nicht sein sollte. Verdammt! Ich zog die Handschuhe aus, an welchen die Keime der Intimwäsche hafteten. Ich wollte meine Hände desinfizieren. Desinfektionsspender aber waren in diesem Zimmer speziell für Demenzkranke nicht vorhanden und mein Fläschchen mit dem Desinfektionsmittel, das ich extra für diesen Zweck mitbringen sollte, stand … auf dem Pflegewagen! Oje.
„Sch…“, ich wollte losfluchen.
„Gesundheit!“, sagte Herr Buschmeier.
„Danke!“
Desinfizierte Hände nach der Intimwäsche waren prüfungsentscheidend. Schnell flitzte ich auf den Flur und desinfizierte meine Hände. Herr Buschmeier stand zum Glück noch … der Prüfer aber stand daneben, sah mich grimmig an und winkte mit dem Stift in Richtung des Gesäß´ des Bewohners. Die Oberschwester hatte die Augenbrauen angehoben, was ich als Entsetzen wertete. Warum? Mir fiel es wieder ein. Ich hatte den Greis nicht nur alleine gelassen, ich hatte ihn, trotz seines Sturzrisikos, unbeaufsichtigt stehen gelassen. Das war fast schon fahrlässig! Konnte ich die Prüfung vergessen? Ich ballte meine Fäuste und versteckte sie hinter meinen Rücken. Ich wollte schließlich keine falschen Signale senden. Aber, machte das noch Sinn? Große Hoffnung machte ich mir nicht mehr, das Schlimmste war überstanden, Herrn Buschmeier konnte sich weitgehend selber anziehen, während ich meine Geräte desinfizierte. Dies gelang mir nur, weil mir am Ende das Desinfektionsfläschchen so schmerzhaft in meinen Erinnerungen blieb. Vielleicht hatte ich die Schwere, einen Senior zu pflegen, unterschätzt.
Ich begleitete schließlich Herr Buschmeier noch zum Speisesaal und er konnte ungestört Essen. Die praktische Prüfung galt als beendet – aber, die Auswertung stand noch an und da sah ich schwarz.
Herr Hügler, die Stationsleitung und ich verabschiedeten uns vom Bewohner und traten auf den schmucklosen, gelbgestrichenen Flur des Pflegestifts hinaus. Ich erwartete bereits, dass der Prüfer mich zur Sau machte. „Komm, Max!“, sagte die Stationsleitung zu mir und winkte uns in den Konferenzraum am Ende des Ganges.
Im Raum schließlich beichtete ich Herrn Hügler: „Ich … ich habe die Blutdruckmessung nicht vor dem Aufstehen von Hrn. Buschmeier gemacht. Ich habe den Puls abgeschätzt. Ich habe die Handschuhe vor der Intimwäsche nicht gewechselt und nicht drauf geachtet, dass meine Desinfektion bereit stand, was wiederum weitere Fehler zur Folge hatte. Warum ich das sage? Ich habe es eh´ vergeigt!“
Ich hatte schon die Hände gehoben, um mich vor seinem Schlag mit dem Klemmbrett zu schützen. Doch Herr Hügler sein Lächeln war fast so zart wie das von Herrn Herr Buschmeier.
„Reden Sie weiter, Herr Smokowski!“, sagte er in einer freundlichen Stimme.
Hm. War er nun vollends verrückt geworden nach all dem, was ich ihm geliefert hatte? Doch ich war nicht da, um Fragen zu stellen. Verunsichert stotterte ich weiter:  „Okay, okay …. ich hätte Herrn Buschmeier beinahe zum Stürzen gebracht – und das in der Prüfung, ich bin ein miserabler Pfleger.“
Der Prüfer nickte. „Sind sie fertig?“
„Ja, ich geh´ meinen Rucksack holen!“
„Warten Sie …“
Ich wollte mir nicht anhören, dass ich vergeigt hatte, wo ich schlimmstenfalls ausgerastet wäre. Ich verließ den Raum. Während des Umziehens spielte ich, weitere berufliche Perspektiven durch. Hm. Wieder vom Jobcenter in stupide Tätigkeiten gepresst werden? Bestimmt. Ein tolles System, dass wir in Deutschland haben! Hier bleibt man chancenlos zurück!
Ich wollte das Pflegestift verlassen, doch der Prüfer stand mir im Weg.
„Ist gut, ich hab´ nicht bestanden!“, zischte ich schroff.
„Ich verstehe Sie nicht.“
„Wieso?“
„In Selbstreflexion haben Sie eine Eins!“
„Selbstreflexion?“
„Das heißt, dass Sie Ihre eigenen Fehler wahrnehmen und diese dem Personal nennen können. In der Pflege, wo Sie mit gebrechlichen Menschen zu tun haben, ist dies die wichtigste Eigenschaft, die eine werdende Fachkraft mitbringen muss!“
„Aber … ich war miserabel … !“
„In der Versorgung haben Sie eine 5!“
Ein Blitz fuhr durch meinen Körper. Ich sah betrübt zu Boden. Wenn es doch nur eine 4 gewesen wäre, dann hätte ich wenigstens noch bestanden.
„Ach, nun haben Sie sich doch nicht so. Ihre 1 in Selbstreflexion fließt in die Gesamtnote mit ein, so dass Sie mit einer gesunden 3 erfolgreich Ihre Prüfung abgeschlossen haben!“
Herr Hügler lächelte zufrieden und reichte mir sogar noch die Hand zum Abschied, welche ich erwiderte. Ich musste mich erst einmal setzen, um das zu verdauen. Solch einer Reaktion hatte ich am aller wenigsten erwartet.


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Pickman
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Beitrag10.06.2023 19:09

von Pickman
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Deutlich besser! Die Arbeit hat sich gelohnt.

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Tempus fugit.
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