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Rollreiner Gänsefüßchen
Alter: 37 Beiträge: 19
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16.03.2015 18:09 Wie sehr darf der Held leiden? von Rollreiner
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OK, erstmal vorab: Ich hab per Sufu nichts dazu gefunden. Wenns da schon was gibt - sorry.
Ich bin drauf gekommen, weil ich zur Zeit - mal wieder - den Herrn der Ringe lese. Kennen ja sicher die meisten.
Und wieder erwische ich mich an den selben Stellen, dass ich ganze Absätze überspringe. Denn dem armen Fodo geht es ja so schlecht. Weil der Ring so furchtbar schwer ist. Und Sam will ihn aufheitern, aber neee, nicht Frodo, der muss ja schließlich den Ring tragen, und das ist so anstrengend.
Versteht mich jetzt nicht falsch, ich will das Werk nicht schlecht reden, ich liebe es. Aber es führt mir mal wieder vor Augen, dass ich es als Leser ungemein anstsrengend finde, wenn die Stimmung eines Romans zu schwermütig wird. Andererseits müssen dem Helden ja schon ein paar schlimme Sachen passieren, sei es um Mitleid zu erzeugen oder nur um den Ernst der Lage zu demonstrieren. Wenn er als strahlender Supermann durch die Handlung spaziert, kommt sicher keine Spannung auf.
Wo zieht ihr da die Grenze? Sagt ihr euch "OK, jetzt gehts ihm mal richtig dreckig, aber nur für ein Kapitel"? Oder macht ihr Zeitsprünge und deutet dann hinterher an, dass er eine Weile vor sich hingelitten hat?
Würde mich mal interessieren.
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Seraiya Mondsüchtig
Beiträge: 924
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16.03.2015 18:25
von Seraiya
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Hm,
Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen - ist da mein Motto
Ja, bei mir muss der Held muss auch mal leiden, muss grausamen, tiefen, abartigen Schmerz empfinden, der ihn (fast) in die Knie zwingt, um sich dann wie Phoenix aus der Asche empor zu heben und allen Widerwärtigkeiten die Stirn zu bieten!
Ich finde, dass so etwas Helden "menschlich" macht. Ich versuche aber, keinen üblen Nachgeschmack beizubehalten. Natürlich erinnert sich mein Held mal an den dumpfen Schmerz in der Nähe seines Herzens (oder sonstwo), aber ich möchte nicht, dass er langfristig gebrochen wird. Das überlasse ich anderen Figuren, die mir weniger wertvoll sind.
Ich habe auch gerne mal Blicke in die Vergangenheit. Erinnerungen, in denen aus der möglichen schweren Kindheit des Helden erzählt wird z.B. und anderen Erfahrungen.
Das macht ihn dann ebenfalls etwas verwundbarer.
Dass mein Held, so wie Frodo, am Ende das Weite suchen muss, weil er nicht mehr in sein altes Leben zurück kann und einfach zu viel passiert ist, würde ich so niemals schreiben.
Liebe Grüße,
Seraiya
_________________ "Some people leave footprints on our hearts. Others make us want to leave footprints on their faces." |
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Belfort Klammeraffe
Beiträge: 641 Wohnort: tief im Herzen
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16.03.2015 18:36
von Belfort
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"Lass Deinen Helden leiden!"
Das ist die Devise in DEM Standardwerk aller Schriftsteller und Drehbuchautoren, "The Writers Journey" von Christopher Vogler. Grundlage dieses Buches ist das Prinzip der "Heldenreise", das seit der Antike existiert und dem seit je her gute, ergreifende, mitreißende Geschichten folgen.
Der Held erhält seinen Ruf und muss hinaus in die Welt, um sein Ziel zu erreichen, etwas großes zu gewinnen - in vielen Filmen und Romanen heißt das: die Welt zu retten. Dabei muss er nicht nur viele Prüfungen bestehen und leiden, sondern er reift mit jeder Schwelle, die er (im Kampf) überschreitet.
Die Schwellen werden immer höher, das Leid und der Kampf also immer heftiger, je näher er seinem Ziel kommt.
So ist die "Heldenreise" beschrieben:
1. Ausgangspunkt ist die gewohnte, langweilige oder unzureichende Welt des Helden. (Bei "Herr der Ringe" ist das Auenland zwar ein friedliches Paradies, aber es droht die Kunde vom Untergang, von der Übernahme der Macht durch das Böse)
2. Der Held wird von einem Herold zum Abenteuer gerufen. (Oft ist das ein Brief, ein Anruf, eine Testamentseröffnung oder irgendeine andere Form, mit der der Held mit einer großen Aufgabe konfrontiert wird.)
3. Diesem Ruf verweigert er sich zunächst. (Weil er Angst hat. Die Aufgabe erscheint zu groß, die Hindernisse zu gewaltig. Er zweifelt, ob er das wirklich kann)
4. Ein Mentor überredet ihn daraufhin, die Reise anzutreten, und das Abenteuer beginnt. (Der Mentor ist bei "Herr der Ringe" am ehesten Gandalf, aber auch Aragorn)
5. Der Held überschreitet die erste Schwelle, nach der es kein Zurück mehr gibt. (Frodo nimmt den Ring an und damit die Aufgabe von dessen Vernichtung)
6. Der Held wird vor erste Bewährungsproben gestellt und trifft dabei auf Verbündete und Feinde. Hier darf er schon mal richtig leiden... etwa, indem er von Gollum (einem "Gestaltenwandler") verführt wird oder gegen die Spinne kämpft. Bevor der Held eine Schwelle überschreitet/ein Hindernis überwindet, muss er einen "Schwellenhüter" besiegen, der ihn davon abhalten will, die Reise forzusetzen - zum Beispiel die Spinne im "Herrn der Ringe".
7. Nun dringt er bis zur tiefsten Höhle, zum gefährlichsten Punkt, vor und trifft dabei auf den wahnsinnig mächtigen Gegner. (das ist wohl Frodos Gang auf den Berg, der schreckliche Gegner ist Sauron)
8. Hier findet die entscheidende Prüfung statt: Konfrontation und Überwindung des Gegners.
9. Der Held kann nun den „Schatz“ oder „das Elixier“ (konkret: ein Gegenstand oder abstrakt: besonderes, neues Wissen) rauben. Bei "Herr der Ringe" raubt er nichts, sondern vernichtet den Ring. Und Gollum gleich mit...
10. Er tritt den Rückweg an, während dessen es zu seiner Auferstehung aus der Todesnähe kommt. (Bei "Herr der Ringe" ist ja Frodo fast gestorben am Feuerschlund des Berges....)
11. Der Feind ist besiegt, das Elixier befindet sich in der Hand des Helden. Er ist durch das Abenteuer zu einer neuen Persönlichkeit gereift.
12. Das Ende der Reise: Der Rückkehrer wird zu Hause mit Anerkennung belohnt. (Bei "Herr der Ringe" vielleicht etwas zuuuu lang zelebriert...)
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zwima Klammeraffe
Beiträge: 640 Wohnort: Reihenhausidyll
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16.03.2015 18:41
von zwima
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Wie so vieles ist glaube ich auch das eine Frage des Genres. Was empfindet der Leser als noch zumutbar und wo schaltet er ab.
Außerdem gibt es eine Differenzierung zwischen körperlichem und seelischen Schmerz. Ich denke, sehr oft können die Leser es eher ab, wenn der Held geprügelt und gefoltert wird, als wenn er sich seelisch in Leid ergießt. Da ist die Gefahr einfach sehr groß, dass er als Weichei abgestempelt wird. Dagegen spricht das Konzept des Tortured Hero, der gerade wegen seines Seelenleids ansprechend ist. Der Trick ist hierein ordentliches Gleichgewicht zu schaffen. Je strahlender die Heldentaten einerseits, desto größer darf das Seelenleid auf der anderen Seite sein.
Und noch etwas spielt meiner Meinung nach eine wichtige Rolle. Bei all dem, was der Schreiber seinem Helden zumutet, darf dieser seine Würde nicht verlieren. Das ist oft eine ganz schmale Trennlinie, auf die man achten muss. Aber sobald ein Held zum winselnden Hündchen mutiert, mit dem man nur noch Mitleid empfinden kann, verliert er seinen Heldenglanz.
_________________ HarperCollins:
Winterglück am Meer, Nordlichtträume am Fjord, Sommerzauber am Fjord, Winterküsse unterm Nordstern, Lichter, die vom Himmel fallen, Lichterzauber in Whispering Heights (2024), AT Van (2025)
Piper:
Späte Ernte, AT Moor
Lübbe:
Everything-for-youo-Trilogie, Unter-Haien-Dilogie |
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nothingisreal Bücherwurm
Beiträge: 3994 Wohnort: unter einer Brücke
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16.03.2015 18:55
von nothingisreal
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Aus irgendeinen unerklärlichen Grund tue ich meinen Figuren immer weh. Ich gönne ihn kaum etwas. Selbst meine Happy Ends haben einen bitteren Geschmack.
Vielleicht, weil ich in erster Linie für mich schreibe und mir das gefällt.
Ich habe das gegenteilige Problem: Wennn der Figur in einem Roman zu gut geht, neige ich dazu diese Passagen zu überlesen, und wenn es ganz toll ist, dann lege das Buch aus der Hand.
Es heißt nicht, dass ich mir nicht wünsche, dass es gut ausgeht - das tue ich immer. Auch wünsche ich mir alles Glück der Welt für meine Protas. Aber ich werde es ihnen nicht gönnen.
_________________ "Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten." - William Somerset Maugham |
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G.T. Klammeraffe
G Alter: 38 Beiträge: 674
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G 16.03.2015 19:02
von G.T.
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Ich finde Belforts Beitrag sehr interessant. Dieser Standardaufbau erinnert mich auch ein bisschen an mittelalterlicher Literatur, in der der Held sein ziel ("êre") immer erreicht, indem er seine gewohnte Umgebund verlässt und auf "aventiure" auszieht, also Prüfungen zu bestehen hat.
Es gibt sicher eine Menge Unterschiede zwischen mittelalterlicher und moderner Literatur, aber ein paar Dinge bleiben anscheinend bestehen - finde ich cool.
Aber zum Wesentlichen: Ich finde, es kommt auf die Sinnhaftigkeit des Schmerzes an - sowohl für den Protagonisten als auch für die Handlung. Beim HdR kann es vielleicht langweilig werden, weil die Beschreibung von Frodos Last zwar wiederkehrt, aber nichts Neues hinzukommt.
Das wurde im Film zum Beispiel mehr zur "Geschichte" gemacht: Frodos Verfall an den Ring ging langsam vonstatten, er wurde immer seltsamer, fing an, Sam zu beschuldigen, schickte ihn schließlich weg (ob man diese Änderungen gut findet oder nicht, sei dahingestellt). Im Buch ist Frodos Schmerz dagegen relativ gleichbleibend, es ist eine Last, eine Last, eine Last, die wird immer schwerer. Bis auf die Szene im Turm von Cirith Ungol, wo Frodo Sam als Dieb bezeichnet und die Szene im Schicksalsberg, wo er den Ring als Eigentum beansprucht, wird Frodos Abhängigkeit vom Ring kaum deutlich. Es ist halt eine Last, die immer, immer schwerer wird. Einzelne Leidensszenen mögen so einigen Lesern wenig bringen.
Ein Held kann m. E. sehr viel leiden, ohne das es langweilig wird, wenn sein Leid sich auf eine konkrete Situation bezieht und immer wieder Nuancen aufweist.
Wenn Ben zum Beispiel eine Blume sieht und dadurch an seine verflossene Liebe Karin erinnert wird und sich ihm das Herz zusammenzieht, wenn er danach eine Vase sieht und dadurch an Karin erinnert wird und sich ihm das Herz zusammenzieht, wenn er danach einen Hund sieht und dadurch an Karin erinnert wird und sich ihm das Herz zusammenzieht - dann kann das schnell langweilig werden. Aber es spricht nichts dagegen, dass Ben beim Anblick dieser drei Dinge - Blume, Vase, Hund - seelischen Schmerz empfindet, nur sollte es ein jeweils spezifischer Schmerz sein, der sich nicht austauschen lässt. Etwas, das ihn als vielschichtigen Charakter zeigt, und am besten auch noch etwas zur Handlung beiträgt.
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Beka Exposéadler
Beiträge: 2374
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16.03.2015 20:26
von Beka
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Ich mag "tortured Heroes".
Wichtig finde ich aber einmal das:
zwima hat Folgendes geschrieben: | Bei all dem, was der Schreiber seinem Helden zumutet, darf dieser seine Würde nicht verlieren. Das ist oft eine ganz schmale Trennlinie, auf die man achten muss. |
Und er darf nicht passiv leiden. Selbst, wenn es ihm nicht gelingt, etwas an seiner Situation zu ändern, er sollte es versuchen, und wenn er nur im Geiste Widerstand leistet. Wenn er resigniert, dann nur vorübergehend.
nothingisreal hat Folgendes geschrieben: | Aus irgendeinen unerklärlichen Grund tue ich meinen Figuren immer weh. Ich gönne ihn kaum etwas. Selbst meine Happy Ends haben einen bitteren Geschmack. |
In irgendeinem Schreibratgeber habe ich genau diesen Tipp gefunden: Die Figuren leiden zu lassen.
Leiden sollst du, Baby!
_________________ *Die Sehnsucht der Albatrosse*
*Das Geheimnis des Nordsterns*
*Die Tochter der Toskana*
*Das Gutshaus in der Toskana*
*Sterne über der Toskana*
*Der Himmel über Amerika - Rebekkas Weg*
*Der Himmel über Amerika - Esthers Entscheidung*
*Der Himmel über Amerika - Leahs Traum*
*Anita Garibaldi - Ein Leben für die Freiheit*
*Bergleuchten* |
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Flar Eselsohr
Alter: 56 Beiträge: 406 Wohnort: Bei Halle, Sachsen-Anhalt
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16.03.2015 23:51
von Flar
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Belfort hat die Heldenreise gut beschrieben, ja, der Held muss leiden! Es muss was auf dem Spiel stehen. Und im ersten Versuch darf er auch nicht gewinnen, das wäre zu leicht und evtl. kaum spannend. Wenn der Held leidet und kämpft, entwickelt er sich.
Leg ihm Hinternisse in den Weg, und dann noch größere...
_________________ "Leute fragen mich, warum ich so grausame Sachen schreibe. Ich erkläre ihnen dann gerne, dass ich das Herz eines kleinen Jungen habe… und es in einem Einmachglas auf meinem Schreibtisch steht."
(King of Horror Stephen King) |
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Ynishii Eselsohr
Alter: 47 Beiträge: 355 Wohnort: Erde
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17.03.2015 11:54
von Ynishii
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Komisch, bei mir ist es genau andersrum
Wenn ein "Held" zu viel leidet, dann leg ich da Buch weg, weil ich es als zu deprimierend empfinde. Das Leben ist schlimm genug. Gegen ein paar Schwierigkeiten habe ich auch nix einzuwenden aber wenn einer wirklich immer nur vom Schicksal gebeutelt ist, dann wird es auch langweilig.
Wenn man denkt: "Klar, natürlich musste es wieder in die Unterhose fahren", dann verliere ich schnell die Lust.
Liegt vielleicht daran, dass ich klassische Krimis gerne lese. Da leidet der Held ja auch nur eher wenig, dafür steht Kreativität und Logik im Vordergrund. Oder es hat damit zu tun, dass mein eigenes Gefühlsleben eher flach ist und mich zu starke Ausbrüche eher befremden, ja beinahe schon körperlich angreifen. Ich schreibe lieber mit ein wenig Selbstironie gegenüber meinen Protas, ist aber Geschmackssache. Wirklich extreme Qualen sind eher selten.
Im Grunde gibt es sicherlich für jede gute Geschichte, wenn sie professionell geschrieben ist, ein Publikum. Leid oder nicht
Eine Art Kuchenrezept für eine gute Geschichte finde ich ein wenig befremdlich, weil die Geschmäcker nun mal extrem unterschiedlich sind. Wie Zwima schon geschrieben hat ist es auch sehr schwierig die richtige Balance zu finden. Bei zu starker Beanspruchung des Helden kann das nur selten glaubwürdig sein. Wäre es realistisch, so würde er oder sie irgendwann zusammenbrechen müssen, dann ist es aber peinlich zu lesen. Übersteht er oder sie alles um sich hinterher nur mal den Dreck vom Sakko zu klopfen, dann wirkt es lächerlich wie in einem Groschenroman aus den Fünfzigern.
Augenmaß ist da extrem wichtig.
Leiden nur um des Leidens Willen finde ich blöd.
LG Y.
_________________ Verehrt mich nicht an dunklen Orten. Tretet hinaus in die Welt und macht sie bunt. - Arthamos, Gott der Künste (auch »Der Bunte« genannt)
Ich kann beweisen, dass dem Schöpfungsprozess eine gewisse kreative Eigeninitiative innewohnt. - Dr. Aurora Fleming |
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Michel Bücherwurm
Alter: 52 Beiträge: 3374 Wohnort: bei Freiburg
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17.03.2015 11:59
von Michel
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Zitat: | Leiden nur um des Leidens Willen finde ich blöd. | Dem stimme ich zu, das Leid sollte eine Funktion in der Geschichte haben, wie schon weiter oben angemerkt. Leid sagt erst mal: Hier steht etwas auf dem Spiel. Vor diesem Hintergrund kann das Verhalten des Helden besser wirken, sein Kampf gegen das Leid wird authentischer und interessanter. Die Frodo-Anmerkungen fand ich sehr treffend, aber auch im Film (spätestens beim vierten oder fünften Ansehen) kommt die Gestalt trotz der langen Reise zu Fuß relativ passiv rüber, ein Gemarterter, der selbst eher wenig bewegt. Das hat mich früher fasziniert, heute finde ich es langatmig.
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4301
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17.03.2015 12:20
von hobbes
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Ich find ja, es gibt zwei Sorten Leiden. Die eine, bei der man dem Held ständig zurufen will: "Du Pflaume!!!! Nun tu doch endlich dies oder das, ruf sie an, kündige, kündige nicht, weiß der Geier, ist doch nicht so schwer, jetzt stell dich mal nicht so an, verdammt."
Die Art des Leidens geht mir beim Lesen ziemlich auf den Keks. Weiterlesen tue ich dann meistens doch, man muss ja herausfinden, ob der Held noch zu Verstand kommt.
Die andere Sorte ist mir aber viel lieber, das tiefere und unausweichliche Leiden, bei dem man auch als Leser die totale Ausweglosigkeit sieht und mit dem armen Kerl / der armen Frau mitleidet. Die mag ich sehr und am liebsten ist mir sogar, wenn die Autorin nicht zwingend nach einem Ausweg sucht und am Ende eben nicht alles Friede, Freue Eierkuchen ist (gell, Beka )
Oh, es gibt noch eine Sorte - das Sylvester-Stallone*-Leiden. Ein "jetzt wird's aber langsam unglaubwürdig"-Leiden: der Held im blutigen Unterhemd, unbewaffnet, ihm gegenüber zwölf Typen mit Maschinengewehren, am Ende sind die tot und der Held überlebt. Das Unterhemd ein bisschen blutiger, aber ansonsten alles gut.
Harry Hole** fällt mir dazu spontan ein.
Das finde ich dann ganz unterhaltsam, jedenfalls, wenn es unterhaltsam gemacht ist und einfach so übertrieben, dass ganz klar ist, es ist übertrieben.
Was war jetzt eigentlich noch gleich die Frage?
Ah, die Frage war so eine, die ich eh nicht verstehe, denn meinen Helden füge ich nichts zu, die tragen ihr Leiden schon in sich.
Helden ohne Leiden hatte ich bisher noch nicht, aber das wäre ja auch langweilig. Als Schreiber wie als Leser.
* Bruce Willis, James Bond, ...
** Krimiheld von Jo Nesbo
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Belfort Klammeraffe
Beiträge: 641 Wohnort: tief im Herzen
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17.03.2015 12:24
von Belfort
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Ynishii hat Folgendes geschrieben: | Komisch, bei mir ist es genau andersrum
Wenn ein "Held" zu viel leidet, dann leg ich da Buch weg, weil ich es als zu deprimierend empfinde. Das Leben ist schlimm genug. Gegen ein paar Schwierigkeiten habe ich auch nix einzuwenden aber wenn einer wirklich immer nur vom Schicksal gebeutelt ist, dann wird es auch langweilig.
(...)
Eine Art Kuchenrezept für eine gute Geschichte finde ich ein wenig befremdlich, weil die Geschmäcker nun mal extrem unterschiedlich sind. Wie Zwima schon geschrieben hat ist es auch sehr schwierig die richtige Balance zu finden. Bei zu starker Beanspruchung des Helden kann das nur selten glaubwürdig sein. Wäre es realistisch, so würde er oder sie irgendwann zusammenbrechen müssen, dann ist es aber peinlich zu lesen. Übersteht er oder sie alles um sich hinterher nur mal den Dreck vom Sakko zu klopfen, dann wirkt es lächerlich wie in einem Groschenroman aus den Fünfzigern.
Augenmaß ist da extrem wichtig.
Leiden nur um des Leidens Willen finde ich blöd.
LG Y. |
Da ist ja einiges missverstanden worden.
Es geht nicht darum, den Helden "um des Leides Willen leiden zu lassen" - sondern es geht darum, dass er ein Ziel braucht und einen Weg beschreitet, um dieses Ziel zu erreichen. Und dieser Weg, der braucht "Hürden", die er überwinden muss. Er muss sich ein bisschen Mühe geben, er muss was tun - ihm darf die gebratene Taube nicht einfach in den Mund fliegen.
Stellt Euch vor, bei "Herr der Ringe" hätte Frodo sich einfach den Ring geschnappt, ihn in den Höllenschlund geworfen und wäre wieder nach Hause gefahren. Das wäre kurz gewesen - und total öde.
Der Weg mit all seinen Hürden, das ist das, was eine Geschichte spannend macht.
Und das Heldenreise-Prinzip als "Kuchenrezept" zu verspotten, wird der Sache absolut nicht gerecht. Es ist kein "Kuchenrezept", sondern eine Analyse eines seit dem Altertum funktionierenden Ablaufs von archetypischen Geschichten. Das ist eine große, eine ganz (!) große Sache und kein "neumodisches Kochrezept".... Es ist auch keine irre Idee irgendeines Schreibcoaches, sondern ein tiefes, fundiertes Prinzip, das nahezu allen erfolgreichen Geschichten aller Zeiten zugrundeliegt. Lies gern mal darüber, es ist sehr interessant!
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nothingisreal Bücherwurm
Beiträge: 3994 Wohnort: unter einer Brücke
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17.03.2015 12:37
von nothingisreal
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Belfort hat Folgendes geschrieben: |
Und das Heldenreise-Prinzip als "Kuchenrezept" zu verspotten, wird der Sache absolut nicht gerecht. Es ist kein "Kuchenrezept", sondern eine Analyse eines seit dem Altertum funktionierenden Ablaufs von archetypischen Geschichten. Das ist eine große, eine ganz (!) große Sache und kein "neumodisches Kochrezept".... Es ist auch keine irre Idee irgendeines Schreibcoaches, sondern ein tiefes, fundiertes Prinzip, das nahezu allen erfolgreichen Geschichten aller Zeiten zugrundeliegt. Lies gern mal darüber, es ist sehr interessant! |
Kann ich nur unterzeichnen. Vor allem Filme funktionieren nach diesem Prinzip. Ich bin langsam so darauf geschult, dass ich ungefähr sagen kann, zu welchen Minute des Filmes der Held sich auf die Reise macht, in welcher Minute alles schief laufen wird und der Held alles verliert, dann einsieht, dass er es besser machen soll und bei welcher Minute er sein Ziel erreicht.
Ehrlich? Diese Geschichten funktionieren (fast) immer. Aber mir gefallen auch Geschichten, die sich nicht auf dieses Schema orientieren.
Das Tolle an diesem Schema ist, dass ich im Kino ganz genau weiß, ob es sich lohnt weiter die Blase unter Kontrolle zu halten, weil ich sonst den Schluss verpasse, oder getrost aus Klo gehen kann, ohne etwas wirklich Wichtiges zu verpassen.
Aber ein Held muss leiden. Und nur, wenn es zur Geschichte passt. Willkürlich seine Ehefrau mit einem anderen Typen im Bett erwischen zu lassen, wenn es im Buch über Aliens geht, finde ich unpassend (es sei denn, sie ist mit 'nem Alien im Bett ). Klar, es kann auch passen, aber nur Leiden um des Leidens Willen ist einfach sinnlos.
_________________ "Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten." - William Somerset Maugham |
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Rollreiner Gänsefüßchen
Alter: 37 Beiträge: 19
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17.03.2015 15:31
von Rollreiner
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vielleicht sollte die Frage eher lauten: Wie sehr darf er jammern.
Ich finde es wirklich schwer, da einen Mittelweg zwischen Nachvollziehbarkeit und Unterhaltung zu finden. Wenn der Held, keine Ahnung, seine Familie, eine Hand oder sonstwas verliert, kann man ihn schlecht in der nächsten Szene fröhlich abenteuern lassen.
Wenn er aber in Selbstmitleid versinkt und nur noch jammert, wird er den Leser ziemlich schnell nerven.
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two-face Gänsefüßchen
T Alter: 38 Beiträge: 18
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T 17.03.2015 15:48
von two-face
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Der Protagonist muss leiden, egal ob geistig oder körperlich. Am besten sogar beides. Schmerz gehört zu einem guten Roman einfach dazu, weil sich a) viele Leser mit dem Schmerz/ Leidensweg in irgendeiner Weise identifizieren können und b) ein Protagonist, der keinen Leidensweg durchläuft, einfach langweilig ist.
Ich kann mich an ein Interview mit J.K. Rowling erinnern, wo sie sich bei ihrem Harry entschuldigt, weil sie ihn hat so viel leiden lassen.
_________________ Hör auf zu schieben, fang an zu schreiben! |
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Seraiya Mondsüchtig
Beiträge: 924
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17.03.2015 15:50
von Seraiya
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Zitat: | vielleicht sollte die Frage eher lauten: Wie sehr darf er jammern. |
Ich persönlich finde, dass Jammern gar nicht geht. Er darf, von mir aus, Gott und die ganze Welt mal verfluchen, aber niemals jammern.
Da schließe ich mich Zwimas Meinung an, was die Würde bzw. den Stolz des Helden betrifft.
In einer besonders schmerzhaften Situation, kann er auch mal Tränen in den Augen haben, aber ich würde ihn nicht weinend zusammenbrechen lassen.
Zitat: | Ich finde es wirklich schwer, da einen Mittelweg zwischen Nachvollziehbarkeit und Unterhaltung zu finden. |
Für mich ist das irgendwie dasselbe. So lange ich es verstehen, nachvollziehen, mich hinein fühlen kann und es mich mitnimmt, unterhält es mich.
Und ich würde den Helden auch nicht, nach dem Verlust seiner Familie, am nächsten Tag fröhlich über eine Wiese hüpfen lassen. Das wäre wohl kaum authentisch. Er müsste sich zusammenreißen, sich auf das Wesentliche konzentrieren. (je nachdem, was für einen Helden man hat) Es gibt sicher auch genug, die erstmal mit sich selbst wieder ins Reine kommen müssen, bevor sie z.B. ihre Reise fortsetzen.
Liebe Grüße,
Seraiya
_________________ "Some people leave footprints on our hearts. Others make us want to leave footprints on their faces." |
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nothingisreal Bücherwurm
Beiträge: 3994 Wohnort: unter einer Brücke
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17.03.2015 16:57
von nothingisreal
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Seraiya hat Folgendes geschrieben: | Zitat: | vielleicht sollte die Frage eher lauten: Wie sehr darf er jammern. |
Ich persönlich finde, dass Jammern gar nicht geht. Er darf, von mir aus, Gott und die ganze Welt mal verfluchen, aber niemals jammern.
Da schließe ich mich Zwimas Meinung an, was die Würde bzw. den Stolz des Helden betrifft.
In einer besonders schmerzhaften Situation, kann er auch mal Tränen in den Augen haben, aber ich würde ihn nicht weinend zusammenbrechen lassen.
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Finde ich nicht richtig. Wenn Jammern zum Charakter passt, dann soll er jammern. Jemand anderer kann ihn ja darauf aufmerksam machen. Aber ich mache mir mit Sicherheit keine Gedanken über die Würde oder den Stolz meiner Helden. Aber diese Diskussion hatten wir schon einmal, als ich behauptete, der Held darf mastrubieren oder sich in die Hosen scheißen, und alle schrien: "Bloss nicht."
_________________ "Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten." - William Somerset Maugham |
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Seraiya Mondsüchtig
Beiträge: 924
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17.03.2015 17:05
von Seraiya
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Zitat: | Ich: Er müsste sich zusammenreißen, sich auf das Wesentliche konzentrieren. (je nachdem, was für einen Helden man hat) |
Sage ich ja. Es kommt auf die Geschichte und den Helden an. Nur ich persönlich erschaffe keinen Helden, der richtig jammert und lese es nicht gerne bzw. gar nicht.
Zitat: | als ich behauptete, der Held darf mastrubieren oder sich in die Hosen scheißen, und alle schrien: "Bloss nicht." |
Jedem das seine. Wenn es zur Story passt, dass er masturbiert, von mir aus. In die Hose scheißen... Geschmackssache.
Liebe Grüße,
Seraiya
_________________ "Some people leave footprints on our hearts. Others make us want to leave footprints on their faces." |
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Ynishii Eselsohr
Alter: 47 Beiträge: 355 Wohnort: Erde
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17.03.2015 18:13
von Ynishii
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Belfort hat Folgendes geschrieben: | Und das Heldenreise-Prinzip als "Kuchenrezept" zu verspotten, wird der Sache absolut nicht gerecht. Es ist kein "Kuchenrezept", sondern eine Analyse eines seit dem Altertum funktionierenden Ablaufs von archetypischen Geschichten. Das ist eine große, eine ganz (!) große Sache und kein "neumodisches Kochrezept".... |
Es ist immer schön wenn, was tausend Jahre schon funktioniert hat, immer noch funktioniert. Wirklich schön.
Natürlich schreibe ich auch ab und zu solche Geschichten. Allerdings ganz instinktiv. Manche Stories entwickeln sich so, andere nicht. Das ist allerdings keine Doktorarbeit.
Ich meine einfach, dass sich ja niemand hinsetzt und sich erstmal über das "Heldenreise-Prinzip" Gedanken macht. Wahrscheinlich wird die Geschichte sich sowieso rein instinktiv so entwickeln - oder sie tut es nicht. Es bedeutet ja nicht gleich, dass sie nicht funktioniert.
Was wäre zum Beispiel wenn sich mein Held nicht überreden lassen muss und gleich draufloslatscht. Dann wäre ja Punkt 3 nach Vogler schon gar nicht erfüllt. - und: Meine Geschichte ist Sch***. Das hab ich aber dann auch verdient. Hätte ich nur mal Punkt 1 bis 12 schön abgearbeitet, dann wäre es ein Bestseller geworden, ganz bestimmt.
Oder der Held bekommt zum Schluss eben keine Anerkennung, sondern landet im Knast oder fällt auf dem Rückweg vom Pferd und bricht sich den Hals. Warum nicht? Das gibt den Leuten sicher zu denken.
DIN-Norm lässt grüßen.
_________________ Verehrt mich nicht an dunklen Orten. Tretet hinaus in die Welt und macht sie bunt. - Arthamos, Gott der Künste (auch »Der Bunte« genannt)
Ich kann beweisen, dass dem Schöpfungsprozess eine gewisse kreative Eigeninitiative innewohnt. - Dr. Aurora Fleming |
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ZatMel Eselsohr
Z
Beiträge: 438 Wohnort: Köln
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Z 17.03.2015 19:25
von ZatMel
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Hallo!
Mal von einer ganz anderen Seite betrachtet:
Beim Improtheater gibt auch die "Heldenreise".
Der Held hat einen Wunsch/ein Ziel. Er kann etwas sehr gut, er hat aber auch vor etwas Angst.
Um an seinen Wunsch/Ziel zu kommen, muss er am Ende seine Urangst überwinden. Dazwischen trifft er auf sogenannte Schwellenhüter. Die legen ihm in den Weg, was nur geht, berauben ihn vielleicht sogar seiner Freunde. Am Ende muss er an jedem Schwellenhüter (das kann eine Angst, ein Gegner, ein Schicksalschlag, etc. sein) vorbei, ihn besiegen, an ihm wachsen, um die Kraft für seinen Wunsch/Ziel zu bekommen.
Hier ist ein Link, zum Improwiki, der das auch nochmal etwas genauer erklärt: http://improwiki.com/de/wiki/improtheater/heldenreise
Ich weiß, das ist alles auf Impro geschrieben, aber im Endeffekt sind die Typen und die Reisen dieselben. Mir hilft es, wenn ich mich in den Held hineinversetze. Und um auf Ideen zu kommen, lege ich ihm diese Sachen in den Weg.
Meine Helden leiden.
Und ja, ich lasse sie auch mal richtig fies heulen.
Ich schicke sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.
Dann gebe ich ihnen alles, nur um es ihnen wieder nehmen.
Bis am Ende der Held verdient gewinnt. Oder nicht.
Hoffe es hat geholfen!
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Sue Rovia Klammeraffe
Alter: 30 Beiträge: 586 Wohnort: Metronom
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19.03.2015 17:41
von Sue Rovia
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Ich würde sagen, wenn du das Buch aus der Ich-Perspektive schreibst, und dein Held stirbt bevor die Geschichte fertig erzählt ist, dann war das definitiv zu viel. Um mal eine feste obere Grenze zu nennen.
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nothingisreal Bücherwurm
Beiträge: 3994 Wohnort: unter einer Brücke
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19.03.2015 17:44
von nothingisreal
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Sue Ulmer hat Folgendes geschrieben: | Ich würde sagen, wenn du das Buch aus der Ich-Perspektive schreibst, und dein Held stirbt bevor die Geschichte fertig erzählt ist, dann war das definitiv zu viel. Um mal eine feste obere Grenze zu nennen. |
Nicht einmal das, ist es zu viel. Ich habe erst letztens ein Buch aus der Ich-Perspektive gelesen, dass mit dem Tod der Prota endete. Es war mehr als passend. Die Geschichte endete dann aus einer anderen Sicht.
_________________ "Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten." - William Somerset Maugham |
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