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Als ein Dealer nachts ermordet wurde


 
 
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Rodion
Wortedrechsler

Alter: 39
Beiträge: 80
Wohnort: Berlin


Beitrag13.06.2014 13:41
Als ein Dealer nachts ermordet wurde
von Rodion
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo
Dies ist der Anfang einer Geschichte. Was die Perspektive betrifft, dachte ich daran, dass jedes der drei Kapitel aus der Sicht eines anderen geschrieben ist, in diesem falle ist es Micha. Drei Hauptpersonen bestimmen das Geschehen, diese drei stehen dann auch jeweils namentlich über ihrem Kapitel.
Vor dem Hintergrund eines Mordes geht es um falsche Freunde, menschliche wie synthetische, und um die Überwindung gesellschaftlicher(alter) Normen. Davon bekommt man in diesem ersten kurzen Abschnitt nicht sehr viel mit. Mich würde aber mal interessieren, wie das mit der häufigen wörtlichen Rede rüberkommt, denn die ganze Geschichte hat sehr viel davon.

Und übrigens, dass der Titel seltsam ist, ist mir klar, mir fiel bloß kein besserer ein, denn die Geschichte hat noch keinen


Micha


Er stellte sein Glas auf das Fensterbrett und betrachtete es eine Weile. Draußen stieg bereits der Morgen über die grauen Dächer. Und darunter, hinter diesen dunklen Fenstern, die wie Löcher in der Wand aussahen, schliefen sie alle in ihren Betten und das erste, was sie denken würden, wenn sie aufwachten, ist: Wie spät ist es? Micha drehte sich um, ließ seinen Blick flüchtig durch das dunkle Zimmer schweifen und fand nichts, an dem er verweilen wollte. Sein Zimmer unterschied sich wahrscheinlich nicht im geringsten von denen, der anderen Leute. Wie leicht wäre es doch gewesen, all die Schuld für das, was passiert war, einem kleinen Zimmer zuzuschreiben. Denn wie die Schlaumeier immer wieder betonen: das Umfeld formt den Menschen!
Sophia schlief immer so still wie eine Tote. Sie hatte ihn nicht kommen gehört, war wohl zu erschöpft von ihrer Arbeit in der Bar. Er sah ihr gleichmäßiges, entspanntes Gesicht gern an, wenn sie schlief und glaubte, sie könnte jeden Moment die Augen aufschlagen, ihn direkt und klar ansehen und sagen: Du kannst aufhören zu lügen, ich weiß doch längst Bescheid. Würde sie es gütig und liebevoll sagen? Oder würden ihre grünen Augen ihn zornig anstarren? Er streckte die Hand aus und strich ihr sanft die Locke aus dem Gesicht. Dann entschloss sich Micha endlich, auch schlafen zu gehen.
Kaum hatte er den ersten Fuß auf das Bett gesetzt, drehte sich seine Freundin um, blinzelte ihn schläfrig an und fragte:
"Wie spät ist es?"
"Kurz vor 5."
Sophia stöhnte und ließ sich wieder auf ihr Kissen fallen.
"Gehst du jetzt erst ins Bett...? murmelte sie schon halb wieder eingeschlafen. Micha schwieg. Dann deckte er sie vorsichtig etwas besser zu und zog sich selbst seine Decke bis über den Kopf, als könnte er so verhindern, dass der Morgen auch ihn treffen würde.

Mit dem Frühstücksbrötchen in der Hand stand Sophia am Fenster und meinte:
"Hast du schon gesehen? Der Typ mit dem Hund hat wohl ne neue Freundin. Oder ist das seine Mutter da auf dem Balkon?
Micha schielte nur kurz rüber. Er wusste nicht einmal, dass im Haus ein Typ mit Hund wohnt.
"Nö, ist mir auch egal."
"Also ich finde die andere Marmelade hat besser geschmeckt als die hier. Die schmeckt ja nur nach Zucker." Sophia legte ihr angebissenes Brötchen auf den Teller, setzte sich zu Micha an den Tisch und begann ihren Kaffee zu rühren und zu pusten.
"Warum bist du so still? Ist irgendwas?" wollte sie wissen.
"Nein, was soll denn sein?"
"... Wie wars denn gestern? Wart ihr noch Billard spielen?"
Um Zeit zu gewinnen, nahm Micha einen gewaltigen Haps von seinem Brötchen und nickte.
Er hatte den Billardtisch in Bennis Keller seit Monaten nicht gesehen.

Aber wie schon so oft, eignete ich auch dieser Moment nicht dafür, Sophia alles anzuvertrauen. Es würde sie bloß bei ihrem Studium stören. Sie würde sich unnötig Sorgen machen. Und sowieso, in ein paar Tagen ist das ganze wieder vergessen und niemand musste deswegen unglücklich sein, redete sich Micha ein und kippte zu viel Milch in seinen Kaffee.

War nicht alles wunderbar passend? Hatte er nicht die Schönste und Klügste von allen zur Freundin? War er nicht schon so gut wie fertig mit seinem Studium um demnächst endlich richtig starten zu können? Hatte nicht die große Firma, in der er sein Praktikum erfolgreich absolvierte, ihm bereits eine Stelle mit hervorragenden Aufstiegschancen zu gesagt? Und hatte er nicht eine liebevolle Familie, einen gesunden, jungen Körper, eine schöne, helle Wohnung? Micha rieb sich mit den Fingern einer Hand die Augen.
"Na schön," sprach Sophia und erhob sich nachdem sie aufgegessen hatte,"ich muss los. sehen wir uns nachher in der Mensa?"
"Mal sehen, vielleicht."
Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
"Du solltest früher ins Bett gehen."
 
Dann war sie fort. Micha hörte ihre Schritte die Treppen hinunter trippeln und dachte an ihre kleinen, roten Schuhe.
Dann nahm er sein Handy und schrieb:
Wegen gestern tut mir leid.Kann nicht wiederkommen.Vergiss mich bitte
er löschte die Zeilen und schrieb
Vergiss das alles.Mein Leben ist woanders, ich komme nicht wieder. Sei nicht böse.Alles Gute dir
Er zögerte fast zehn Minuten, ehe er doch endlich die SMS losschickte.

Am Nachmittag. als Micha mit einem Kaffebebecher und zwei Kumpels auf der Wiese das Campus saß, klingelte sein Telefon. Er zog es wie gewohnt aus seiner Hosentasche, schaute auf die Nummer und- ging nicht ran.
"Warum gehst du nicht ran?" fragte Freddy verwundert.
Micha zuckte mit den Schultern:
"Keine Ahnung, ich kenne die Nummer nicht. Wenn derjenige was wichtiges wollte, wird er sich nochmal melden."
"Kann er ja nicht, wenn du dein Handy aus schaltest." bemerkte David nicht ganz ohne belustigten Argwohn.
Freddy und David tauschten kurz Blicke aus.
War es schon den ganzen Tag so heiß gewesen, oder erst jetzt? Micha trank seinen Kaffee schnell aus.
"Kommt, dann kriegen wir noch Stühle." forderte er seine Freunde auf und eilte in das Gebäude.

Sophia war nicht die erste, die sich erst wunderte und dann beklagte, dass Micha sein Handy verloren hätte und sich kein neues holte. Seit drei Tagen schon konnte ihn niemand erreichen. Seit drei Tagen schon hockte er fast ununterbrochen zwischen seinen Büchern und Ordnern am Schreibtisch und war so beschäftigt, dass er nicht einmal viel Zeit zum Essen fand. Sophia stand in der Tür, beobachtete ihn nachdenklich und fragte:
"Du, Micha, du hast doch noch meinen Kuli, oder?"
"Hm," er schaute nicht auf.
"Ist schon gut, ich hole ihn mir auch selbst." und sie ging in den Flur, wo Michas Ledertasche unter der Garderobe stand, öffnete sie, griff nach dem Etui und entdeckte, als sie es herauszog, das Handy.
Sie nahm es in die Hand.
"Micha, ich glaube du hast wohl Tomaten auf den Augen. Guck mal, hier."
Jetzt legte er den Stift aus der Hand.
"Oh..."
Sie warf es ihm zu, er fing es auf.

Als Sophia schlief, wagte er es anzuschalten und tatsächlich viele Anrufe und zwei SMS. Eine von Freddy und eine von jener, unter keinem Namen gespeicherten Nummer.
Bin nicht böse, nur traurig. Du hast dein Wort gegeben. Ruf mich wenigstens an.

Diese wenigen Worte auf dem grünen Display verursachten in Micha's Kopf eine wahre Flut an Gedanken und Gefühlen. Alles drängte auf einmal in sein Bewusstsein, Bilder und Stimmen, Erinnerungen an jene Nächte. Es prasselte auf ihn ein, als hätte er eine Plane lange in den Regen gehalten und sie plötzlich an einer Seite losgelassen. Er wählte die Nummer.

"Hallo." wie erschreckend enttäuscht und beherrscht seine Stimme klang.
"Hallo Jan. Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe."
Schweigen.
"Hör mal, ich hatte wirklich sehr viel zu tun, weißt du? Und ich dachte, naja, ich dachte ich melde mich, wenn ich wieder Zeit habe..." Micha kam sich lächerlich vor und hoffte, Jan würde das nicht merken.
"Du hast versprochen zu kommen. Ich habe dich extra nochmal gefragt."
"Ja, tut mir leid, O.K.?"
"Kommst du heute?"
"Jetzt?"
"Warum nicht? Es ist sehr schön heute. Wir sehen auch, dass du nicht so spät wieder zurück bist."
Einmal ganz kurz, dachte Micha, das würde nicht schaden und vielleicht ließe sich dann alles ein für allemal klären und die Sache wäre erledigt.
"Na schön. Wo finde ich dich?"
"Wieder vor der Kirche, auf einer der Bänke."
"Ich bin in einer Viertelstunde dort. Also dann, bis gleich."

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Ithanea
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 34
Beiträge: 1062

Ei 3 Pokapro 2017


Beitrag13.06.2014 15:24

von Ithanea
Antworten mit Zitat

Hey Rodion,

ich für meinen Teil finde das gut geschrieben und auch deine Worte zur Geschichte klingen interessant.
Der Ton von Michas Sicht der Dinge kommt für mich sehr melancholisch rüber, ich glaube, durch eine nüchterne Erzählweise und sehr kurze Abschnitte, als würde Micha nicht viel Anteil nehmen, an dem, was sonst so geschieht.

Ich wäre gespannt, wie der Erzählton der anderen zwei Personen (Freddy und David? Oder Jan?) sein wird, ich erwarte eine etwas andere Grundstimmung. Würde mich freuen, wenn du noch etwas mit uns teilst.

Du fragst, wie das mit der wörtlichen Rede ankommt. Ich mag viel wörtliche Rede gern, ich lese gern Dialoge und habe in meinen Texten meistens ganz viel wörtliche Rede. Soo viel finde ich es bei dir gar nicht, zumindest sind die Dialoge sehr kurz (das gibt auch noch was zu dem melancholischen Touch dazu, finde ich), aber in Relation zum beschreibenden Text ist es natürlich ein hoher Anteil. Mir gefällt es gut so, wie es ist, ich hoffe aber auf ein bisschen Abwechslung später im Text, z.B. längere beschreibende Passagen, längere Dialoge, mehr Dialog mit Handlungssätzen zwischendrin. Bisher ist der Aufbau so: Kurzer beschreibender Teil, kurzer Dialog, Szenenwechsel. Kurzer beschreibender Teil, kurzer Dialog, Szenenwechsel...usw. Es gibt da ja viel mehr. ABER: Man muss auch nicht alles reinhauen, was geht, und bislang finde ich es gut so. Der Text ist für mich langsam (wegen der "Traurigkeit"), aber fesselnd.
Ich kann mir vorstellen, dass die anderen Perspektiven sich dann anders lesen und fände das eine schöne Möglichkeit, die Erzähler einzusetzen und zu charakterisieren. Ob das wohl so sein wird bei dir? Oder hast du anderes geplant?

Ich weiß nicht, möchtest du genaue Textarbeit? Dann kann ich mich nochmal auf Erbsensuche begeben.


_________________
Verschrieben. Verzettelt.
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Rodion
Wortedrechsler

Alter: 39
Beiträge: 80
Wohnort: Berlin


Beitrag14.06.2014 00:41

von Rodion
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo

danke Ithanea, für deinen Kommentar, freut mich, dass es dir gefällt. Ich weiß nicht, ob ich deine Erwartungen erfüllen kann, was den weiteren Verlauf der Geschichte betrifft. Das kannst du mir ja selbst sagen, denn hier kommt ein weiterer Abschnitt, das Ende des Abschnitts ist vielleicht nicht so glücklich gewählt, das liegt daran, dass die Geschichte weiter noch nicht geschrieben ist. Im Kopf ist sie fertig.
Die anderen Erzähler sind Sophia und Jan, in dieser Reihenfolge, aber Micha ist ja noch nicht fertig.
Genaue Textarbeit möchte in, wenn es um unpassend klingende Ausdrücke, seltsam verkorkste Sätze oder inhaltliche Fragen geht. Die Rechtschreibung ist mal zweitrangig, die kann man ja auch allein überprüfen.

na dann viel Spaß beim Lesen:


Leise, um Sophia nicht zu wecken, wusch er sich schnell, nahm einen Minzkaugummi, die Schlüssel, eine Fahrradlampe und Geld mit und lief so leise es ging die alten, knarzenden Treppen hinunter.

Jan saß allein auf der Bank, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, irgendetwas an seinem MP3 Player herumspielend. Er schien Micha noch nicht zu hören. Von der Hecke aus betrachtete der den jungen Freund. Wie wundersam unwirklich er doch aussah. Weder Kind noch erwachsen, alterslos, Mädchen und Junge zugleich und bei all dem so schön, wie es ein Mensch gar nicht sein konnte. Unnatürlich, ja, auch das träfe zu, künstlich und dadurch so zerbrechlich, als wäre seine ganze Existenz auf ein paar dünne Stelzen gebaut. Trotzdem besaß er Macht. Macht über ihn. Micha war sich sicher, dass Jan sich dieser Macht bewusst war. Aber er war sich nicht sicher, ob er das eher gut oder eher schlecht finden sollte. Was er hier eigentlich wollte, hatte er ohnehin längst vergessen und trat auf die Kirche zu.
Jan stand auf, wartete bis Micha bei ihm angekommen war und umarmte ihn. Er küsste Micha. Wie hatte er nur wirklich glauben können, das alles hier sei so einfach zu vergessen? Wie konnte er von Jan so etwas verlangen, wenn er es ja selbst nicht konnte? Seine großen, dunklen Augen schauten ihn glitzernd und glücklich an, hatten auch etwas erwartendes, ungeduldiges. Micha genoss es, wie sich der schmale, warme Körper an ihn schmiegte. Was war er bloß für ein Dummkopf gewesen? Was hatte ihn nur dazu getrieben, sich einzubilden, er liebte diesen jungen Mann nicht wirklich?
Jan reichte Micha die Cognac Flasche und zwei Gläser. In seinem kleinen Zimmer herrschte wie immer das Chaos, aber in dem spärlichen Licht fiel das nur halb so sehr auf. Micha wusste nicht viel über diese Zimmer, nur, dass Jan allein dort wohnte und ab und zu Schwierigkeiten hatte, die Untermiete zu bezahlen, weil er sein Geld für alles mögliche Unnötige herausschleuderte. Außerdem- und das war wesentlich wichtiger- wusste Micha, dass in diesem Haus niemand ihn kennen konnte. Außer einer alten, etwas verwahrlosten Frau lebten noch ein völlig zurückgezogener Programmierer, ein Dealer und ein Pärchen, das etwa Dreiviertel des Jahres woanders war, dort. Jans Zimmer gehörte zu der Wohnung jenes Paares.
"Musst du morgen wieder zur Uni?" fragte Jan als er nackt und mit offenem Haar zu seinem Tisch ging um sich sein Glas zu holen.  Er blieb dort stehen und trank es aus. Es schien ihm entweder nicht aufzufallen oder eben sehr zu gefallen, wie Micha ihn beobachtete.
"Ja, leider."
"Und wann sehen wir uns wieder?" er reichte auch Micha ein gefülltes Glas. Zitterte seine Hand ein wenig?
Micha wusste keine Antwort, trank einen Schluck, starrte an die Wand. Plötzlich dachte er an Sophia. Jan erriet seine Gedanken und sagte leise:
" Ist sie der Grund weshalb du nie wieder kommen wolltest?"
Micha schaffte es nicht dem Freund in die Augen zu sehen. Alles, was so herrlich begonnen hatte, drohte nun wieder in dem alten Grau des Alltags zu versinken.
"Habe ich überhaupt eine Chance gegen sie?"
"Das kann man doch nicht so vergleichen. Und außerdem liebe ich sie, das weißt du. Genauso wie ich dich liebe."
Micha fragte sich, ob der Ausdruck in Jans Blick eher Unglauben oder Betroffenheit war. Ein paar Gründe seinen Worten nicht zu glauben gab es ja schon, stellte er selbstkritisch fest. Außerdem war ihm klar, dass dieses Gerede  auf Jan sowieso nur wie eine Floskel wirken musste. Aber es entsprach der Wahrheit.
"Ich habe einen Vorschlag," unterbreitete Jan, als hätte er das ganze schon länger vorbereitet. " Wie wäre es, wenn Sophia und ich uns einfach mal kennenlernen?"
Micha riss die Augen weit auf, was Jan ein wenig verärgerte, doch er fuhr fort:
"Denkst du etwa ich laufe immer so herum? Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich ohne diese Klamotten und den ganzen Firlefanz genauso normal aussehe, wie jeder bei euch an der Uni?"
Ehrlich gesagt, hatte sich das Micha wirklich noch nie vorgestellt und schämte sich fast dafür. Aber auch wenn er normale Sachen tragen würde, was wäre mit seinem Verhalten? Micha schaute so skeptisch, dass Jan darüber lachen musste.
"Du wirst mich nicht wieder erkennen, schätze ich. Komm, wir probieren das aus. Das wird lustig. Und ich war schon so lange nicht mehr mitten am Tag draußen."
"Und was willst du ihr sagen, woher ich dich kenne?"
"Na von deinem Praktikum, da habe ich dort auch gearbeitet, zum Beispiel."
"O:K., gab Micha etwas zögerlich zur Antwort. Vielleicht wäre es wirklich gut, wenn Sophia ihn kennenlernt."

Schon am nächsten Tag stand er da, mit seinem roten Rad, woran Micha ihn sofort erkannte, denn nahezu alles andere schien verändert zu sein. Seine kniehohen Schnürstiefel hatte er gegen Sneakers eingetauscht, dazu trug er eine beigefarbene Hose einen geringelten, dünnen Pulli und eine braune Lederjacke darüber. sein Haar war zum Zopf gebunden, sein Gesicht ungeschminkt, keine Ohrringe, keine Ketten. Sogar eine Tasche trug er, mit der er wie ein normaler Student aussah. Micha kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, erst das bekannte Lächeln weckte ihn wieder.

"Hallo Micha." grüßte er freundlich.
"Oh, hallo Jan. Was machst du denn hier. Darf ich dir Sophia vorstellen, meine Freundin?"
Beide lächelten einander erfreut an, schüttelten die Hände mit ausgestreckten Armen.
"Freut mich sehr."
"Was machst du hier, ich meine arbeitest du noch in der Firma?" fragte Micha.
"Nein. Die konnten mich nicht übernehmen. Nachdem du fort warst gab es einige Umstrukturierungen, dabei wurden etliche entlassen. Ich habe Glück, dass ich die Ausbildung noch zu Ende machen konnte."
"Aha, und jetzt studierst du?"
Jan lachte heiter über diese Vermutung. Aber nur Micha wusste, dass er in Wahrheit darüber lachte, wie Micha den Unwissenden spielte.
"Nein, ich studiere nicht. Aber du anscheinend immer noch. Wolltest du nicht längst fertig sein?"
"Nein. Ich bin sogar ganz gut in der Zeit. Nächstes Jahr werde ich wohl fertig. Wir beide."
"So? na das ist ja praktisch. Aber ihr macht doch bestimmt nicht auch dasselbe, oder doch?" die Frage galt mehr Sophia als Micha. Sie schüttelte ihre dunklen Locken:
"Nein, ich habe mit Wirtschaft nichts am Hut. Ich studiere Archäologie."
Jan machte große Augen und stellte viele Fragen zu diesem Thema. So viele, dass Micha den beiden ganz erstaunt bei ihrem lebhaften Gespräch zu schaute. Er hatte ja nicht geahnt, dass sich Jan so für dieses Thema interssierte. oder spielte er das alles bloß? Wenn er einerseits so sein konnte wie jetzt und andererseits so, wie Micha ihn kennengelernt hatte, was war er dann vielleicht noch alles? Er fragte sich, ob er sich auch in ihn verliebt hätte, wenn er ihn so kennengelernt hätte, wie er ihn jetzt sah. Und gerade als er seine Frage in Richtung Nein beantworten wollte, warf ihm Jan einen schelmischen, verschwörerischen Blick mit  einem verwegenem Grinsen zu. Sophia kramte einen Block aus ihrer Tasche und sah das nicht. Micha aber wusste nun, die Antwort war Ja. Und er war froh, dass er ihn nicht hier sondern ganz woanders, unter wesentlich leichteren Umständen gefunden hatte.
Bald schon mussten sie sich verabschieden, die Vorlesungen begannen.
"Vielleicht sieht man sich ja mal. Und wenn du ein Praktikum in Asien bekommst, sag mir Bescheid, dann komme ich mit." rief Jan und schwang sich elegant auf sein altes DDR-Rad.
"Kannst dich ja auch mal melden!" rief Micha ihm noch hinterher und sah nur noch, wie der andere seinen Arm hob, als Zeichen, dass er ihn gehört hatte und einverstanden war.

Später, in der Mensa beim Kaffee, wollte Micha wissen,was Sophia dachte.

"Ich weiß nicht recht, was ich von ihm halten soll. Er erinnert mich an irgendetwas oder irgendwen..." antwortete sie mit auf das Fenster gerichtetem, nebeligen Blick. ich meine, ja, na klar ist  er sehr nett... "
"Aber?"
Sophia zuckte mit den Schultern und schaute Micha wieder an:
"Keine Ahnung, nichts aber."
Zu gerne hätte Micha sie bis ins Detail ausgefragt, doch das hätte viel zu riskant werden können.

Die folgenden Tage brachten nicht viele, aber dafür eine sehr wichtige Veränderung mit sich: Micha konnte endlich ohne Geheimniskrämerei mit Jan telefonieren, was er dann auch oft tat.

Am Freitagabend trafen sich Sophia und Micha mit einem anderen befreundeten Paar in einer kleinen Kellerkneipe, um die Woche gemütlich ausklingen zu lassen. Als die Frauen gemeinsam losgingen, um noch ein Glas Wein zu bestellen und Patrick auf die Toilette musste, blieb Micha allein am Tisch zurück.
"Hey Kumpel," grimmte plötzlich eine angetrunkene Stimme dich hinter ihm. Micha hatte den leicht untersetzten aber recht stark aussehenden Mann noch nie zuvor gesehen. Wieder einer, der ihn mit jemand anderem verwechselte, dachte er unbeschwert.
"Meinen sie mich?"
Der Fremde trug eine schwarze Designerjacke aus Fell, worin er ein wenig verloren aussah, da sie ihm bis zum Knie hing. Auf seinem glänzendem Schädel wuchs noch ein Kranz schwarzer Haare, die in Wahrheit wohl eher grau sein müssten. Eine große Sonnenbrille verdeckte die Augen. Er nahm sie jetzt langsam ab, klappte sie zusammen und steckte sie, ohne den Blick von Micha abzuwenden, in die Mantelasche.
"Ja, ich meine dich, du kleines Arschloch." die schlecht gespielte Gelassenheit in seiner Stimme schlug bei Micha die Alarmglocken.
Gefahr!"
Aber ihm blieb gar nichts anderes übrig, als ganz ruhig sitzen zu bleiben.
"Ich wüsste nicht, dass wir uns schon einmal begegnet wären."
"Nein, in der Tat, das sind wir auch nicht." entgegnete der Fremde, wobei er seine Zigarette qualmend im Aschenbecher ausdrückte.
"Aber wenn dir deine Gesundheit lieb ist, dann lässt du ab sofort deine perversen Finger von Jan, oder ich hacke sie dir ab. Ist das klar?"
Micha wehrte sich gegen die Vorstellung zweier fingerloser, blutüberlaufener Hände. Wie absurd und unreal, solche Drohungen erinnerten ihn an das alte, grausame Kinderbuch Der Struwwelpeter, vor dem er sich als Kind immer sehr gegruselt hatte. Aber wer bitte schön war dieser Kerl? Micha ließ sich normalerweise nicht von irgendwelchen Idioten zur Gewalt anstacheln, auch nicht von solchen, die dicke Pelzmäntel an warmen Frühlingstagen trugen. Doch das Wort, das dieser gebraucht hatte, blieb Micha im Halse stecken. Pervers. Ein Wort, das in seiner Familie mit nichts anderem als Todesurteil diskutiert wurde.
"Ich glaube mit dir ist nichts klar."
Sophia erschrak, als sie merkte, wie schnell und wie heftig der Fremde rot anlief. Micha beobachtete seine Freundin aus den Augenwinkeln heraus und beschwor sie in Gedanken, jetzt nicht an diesen Tisch zu kommen oder etwas zu sagen. Erstaunlicherweise tat sie das auch nicht.
"Willst du´n paar aufs Maul, oder was?" wetterte der Betrunkene weiter und unterstrich seine Aggressivität mit einer vielsagenden Geste.
"Ich sage dir, wenn ich euch noch einmal zusammen sehe, hohle ich meine Jungs und die machen dich alle!"
Damit verschwand er wieder in den Massen.

"Was war das denn?" wollte Sophia sogleich wissen und setzte sich dicht neben ihren Geliebten, als wollte sie ihm mit ihrer Anwesenheit Mut machen.
"Keine Ahnung,..."
"Was wollte der von dir? Und woher kennt der Jan?"
Micha spürte, wie sich eine Schlinge um seinen Hals legte und langsam zuzog. Ihm wurde sehr heiß, er nahm einen großen Schluck und traute sich nicht Sophia anzusehen, die hingegen jede seiner Regungen wahrnahm.
"Was weiß ich? In dieser verkakten Stadt kennt doch jeder jeden." Was natürlich nicht im Geringsten stimmte. Micha kramte in seinen Taschen, fand aber keine Zigaretten, fragte daher einen zufällig neben ihm stehenden, jungen Mann.
"Ich dachte, du rauchst nicht mehr?" Sophia hob eine Augenbraue.
"Tu ich auch nicht. Aber wie würdest du dich denn fühlen, wenn dir gerade eben jemand angedroht hätte, dir die Finger abzuhacken?" Offenbar sann sie ernsthaft darüber nach. Wie lange sie dort so nebeneinander saßen, wusste Micha nicht. Ein unbestimmtes Gefühl in seinem Bauch ließ ihn befürchten, das Jan ihm nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Und er war sich nicht sicher, ob er die überhaupt hören wollte.
Zudem beunruhigte ihn Sophias ungewöhnlich langes, nachdenkliches Schweigen.
Als sie irgendwann recht früh am Abend, vielleicht sogar noch vor Mitternacht, gemeinsam hinaus gingen um ein Taxi zu nehmen, fing Sophia an zu reden.
"Weißt du Micha, neulich, als wir Jan vor dem Campus begegnet sind, da dachte ich doch, er käme mir bekannt vor, weißt du noch?"
"Ja, kann sein..." Michas Stimme klang verunsichert.
"Ich glaube jetzt ist es mir eingefallen. Ich habe die ganze Zeit schon darüber nachgedacht." Sie schaute ihren Freund mit diesen klugen, klaren Augen an, wissend und fragend zugleich. Was suchte sie in seinem Blick? Was sah sie darin?
"Im Herbst, als ich einmal bei Franzi übernachtet habe, sind wir spät abends zu Fuß nach Hause gegangen. Es war Samstag wir hatten ein wenig zu viel getrunken. Wir kamen auf die Idee am Boulevard entlangzugehen, du weißt, wie es dort nachts aussieht. Wir wollten es auch einmal sehen und zwar nicht nur im Vorbeifahren. Ja, und dort- ich bin mir so gut wie sicher- habe ich ihn gesehen. Er stand dort an einer Hauswand mit ein paar anderen Jungs, ich glaubte sie rauchten Gras, jedenfalls roch es so. Und - wenn ich dir beschreiben würde, wie diese Jungs gekleidet waren, wirst du mir sicher nicht mehr glauben können, dass einer von ihnen Jan gewesen ist. Ich habe sein Gesicht sogar ganz deutlich angeschaut, denn er war der einzige, der zu uns herüber sah."
Micha kam sich vor, als würde ihm übel. Aber gleichzeitig empfand er auch eine eigenartige Genugtuung darin, dass Sophia im Begriff war, alles selbst herauszufinden. Hatte er nicht verdient zu leiden? nachdem er ihr solange die Wahrheit vorenthalten hatte?
"Wie waren sie denn gekleidet?" fragte er mit einer ruhigen Stimme, die nicht die seine zu sein schien.
Sophia suchte passende Worte, wollte dem Freund anscheinend nicht allzu sehr erschrecken.
"Naja, sie trugen enge Hosen, die mehr wie Leggings aussahen. Einer hatte ein weites, zerrissenes Shirt, dass ihm fast von den Schultern fiel an. Ein anderer trug ein Hemd, ein Unterhemd meine ich. Dabei war es gar nicht mehr so heiß. Der dritte hatte ein weites Hemd mit hochgerämpelten Ärmeln und Kragen an, aber er trug es offen und war darunter nackt. Und der, den ich für Jan halte, trug ein schwarzes Netzshirt, darunter nichts. Er war der dunkelste von allen, an den Kleidern meine ich. Glaubst du, er führt vielleicht ein Doppelleben?"
Irgendetwas versagte Micha die Stimme, er schüttelte bloß den Kopf. Seine Lippen zusammengepresst, als wäre er auf etwas wütend oder sehr traurig.
"Sag, hast du das gewusst?" bohrte Sophia hellsichtig nach, aber ohne Anklage, nur neugierig.
War jetzt endlich ein guter Zeitpunkt? Es war der denkbar schlechteste. Aber vielleicht auch der letzte mögliche.
"Naja..." fing er an, konnte aber nicht weiter reden. Ihm fiel nicht das passende ein.  Auf einmal kam ihm Sophias Nähe so beklemmend, so bedrängend vor. Er glaubte, die Luft hätte an Dichte zugenommen und der Straßenlärm an Lautstärke. Sein Schritt wurde schneller, ohne dass er es merkte. Alles drehte sich um Jan, um den Typen in der Bar und um Flucht. Seine Flucht. Wovor genau, wusste er nicht. Sophia jedoch sah ihm seine Gedanken scheinbar an der Nasenspitze an.
"Aber ist das nicht schrecklich? Ich meine, was muss passiert sein, dass sich ein junger Mann so etwas antut?"
Eine Antwort erwartete sie gar nicht, schaute nur in die Ferne und sprach weiter, ohne sich zu vergewissern, ob Micha ihr zu hörte oder nicht.
"Ich habe mir bei unserer Begegnung am Campus auch kurz vorgestellt, dass er vielleicht auf Männer steht. Er ist wirklich sehr hübsch. Aber so, wie er redet und sich verhält, glaube ich das eher nicht."
Sie gingen über eine Brücke mit verziertem Eisengitter. Das gelbe Laternenlicht floss großzügig darüber.
Micha fragte sich, ob sie sich das bei ihm denn auch schon einmal vorgestellt hätte, auch wenn er nicht so zart und hübsch wie Jan aussah.
"Man sieht doch meistens nur einen Teil des Menschen, der andere bleibt verborgen." hörte er sich sagen.
Sophia, solche Sätze von ihm nicht gewohnt, sah ihn verwundert von der Seite an.
"Wie gut kennt ihr euch eigentlich?"
Es hatte keinen Sinn. So vernichtend diese Einsicht auch sein mochte, es würde ihn nur noch tiefer in den Schlamassel treiben, wenn er weiter lügen würde, denn Sophia fand alles heraus. Zum ersten Mal wünschte sich Micha, er hätte sich eine dumme, einfältige Freundin gesucht. Er nahm sich fest vor, sie behutsam an die Wahrheit heran zuführen, oder besser an das, was er von der Wahrheit wusste.

Plötzlich zerriss ein lauter Knall die Stille. Beide zuckten zusammen, sahen sich um, woher das gekommen sein mochte.
"War das ein Schuss?" fragte Sophia erschreckt. Menschen liefen eine Ecke weiter hastig umher, jemand schrie etwas in einer fremden Sprache, ein schwarzes Auto kam mit quietschenden Reifen und ohne Licht aus der Gasse gerast, und verschwand an der nächsten Kreuzung. Eine allgemeine Hysterie brach aus. Als Micha und Sophia um die Ecke traten, eröffnete sich ihnen der Blick auf einen reglosen Männerkörper in schwarzem Fellmantel, der auf dem Bauch liegend die Pflastersteine zu umarmen schien. Eine Blutlache, die unter seiner Brust hervor sickerte, bestätigte das Vermutete.
Sophia hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund, Micha legte ihr seinen Arm um.
"Wir müssen einen Krankenwagen rufen. Und die Polizei." sie kramte nervös nach ihrem Handy, Micha hatte seines schneller zur Hand und wählte 110.
"Der Schuss kam von dort, aus dem Haus heraus." erklärte ein Mann mittleren Alters und stritt mit einer älteren Frau, die felsenfest davon überzeugt war, jemand aus dem flüchtendem Auto hätte geschossen. Erst als endlich die Polizei und ein Rettungswagen eintrafen, legte sich die aufgekratzte Stimmung einigermaßen und die Leute verschwanden, einige sogar verdächtig schell. Auch Micha und Sophia gingen weiter. Was sollten sie warten? Sie hatten ja sowieso nichts gesehen.

In der Tageszeitung stand am übernächsten Morgen:
In der Nacht vom 21. bis 22. April 2004 ist in der Badenstraße ein Mann mit einer .... getötet worden. Über den Täter ist nichts bekannt. Man vermutet, dass er mit einem schwarzen VW ... geflohen ist und dass die Tat im Zusammenhang mit illegalen Drogengeschäften steht. Hinweise hierzu melden sie bitte umgehend der Polizei.

Micha versuchte Jan anzurufen um ihn nach dieser Sache zu fragen, doch niemand  ging ans Telefon.
"Und?" Sophia schaute im Bett sitzend von ihrem Buch auf.
"Nichts und." Micha blieb am Fenster stehen, das Telefon noch in der Hand.
"Findest du das nicht seltsam? Er ging doch sonst immer gleich ans Handy, gerade so als hätte er auf deinen Anruf gelauert."
Micha hob ratlos die Schultern. Sein Gesicht wirkte grau, er fühlte sich müde und konnte dennoch kein Auge zu tun. Wie sollte er Sophia auch seine Sorgen unterbreiten, wenn die ja noch nicht einmal eine Ahnung vom ganzen Ausmaß der Sache haben konnte? Er wusste, er ist ihr die Wahrheit schuldig, und zwar sofort. Aber was, wenn sie ihm das nicht verzeihen würde? Was, wenn sie sagen würde- er oder ich? Ja, zugegeben, so etwas hatte Sophia noch nie getan, das entsprach schlicht nicht ihrem Niveau. Andererseits taten das viele Mädchen, wie man so hörte, und einmal ist immer das erste Mal. Ein Leben ohne Sophia wäre ein Leben ohne Grund. Sie würde nur ein großes schwarzes Loch in seinem Kopf hinterlassen. Und wenn aber Jan gerade jetzt Hilfe bitter nötig hätte? Micha wusste nicht viel über ihn, aber ihm war bekannt, dass es Leute gab, die er fürchtete. Wenn er über die gesprochen hatte, bekamen seine Augen einen eigenartig resignierenden Ausdruck und seine Sätze wurden immer kürzer. Bis er sich selbst gezwungen hatte, an etwas anderes zu denken und ganz plötzlich wieder fröhlich lächelte. Auf einmal kam Micha dieses Verhalten irgendwie gestört vor. Oder zumindest auffällig.
"Weißt du denn wo er wohnt?"
Micha wurde aus den Gedanken gerissen.
"Ja, weiß ich..."
"Na vielleicht klingeln wir einfach mal. Es kann ja auch etwas mit seinem Handy nicht stimmen." warum nur empfand er Sophias Aussagen als provozierend?

Das erste Mal klingelte es um halb 6 am Mittwochmorgen. Verschlafen öffnete Micha und war sofort hellwach. Vor ihm stand Jan. Er flüsterte:
"Bist du allein?"
"Was?" er ließ den Gast herein und schloss die Tür. Alles an Jan wirkte übermüdet, überdreht und nervös. Sein Lächeln war gezwungen, seine Gestik unruhig, seine Kleidung fremdartig, als wären es nicht die seinen.
Micha umarmte ihn.
"Wo warst du? Ich habe mir echt Sorgen gemacht."
"Tut mir leid. Bist du allein?"
"Sophia schläft noch, glaube ich. Was ist mit dir los?"
"Nichts, es geht mir gut. Aber ich habe auch keine Zeit. Ich wollte dich um einen sehr großen Gefallen bitten. Und ich verspreche dir, dass du alles zurückbekommst, wirklich."
"Brauchst du Geld?"
Jan nickte schüchtern mit gesenktem Kopf, was auf Micha irgendwie gespielt wirkte. Eigentlich sollte er darauf bestehen, dass Jan ihm zuerst erkläre wofür er das Geld so dringend brauchte.
"Komm erstmal rein, willst du was trinken?"
"Nein, das geht nicht, bitte. Ich muss schnell zurück... ich brauche 50 euro. Hast du so viel? Ich kann dir auch später alles erklären, O.K.? wenn ich dir alles zurück gebe."
Micha gab ihm einen Schein. Sofort steckte Jan ihn in seine Jackentasche. Diese blaue Windjacke mit den roten Bündchen passte absolut nicht zu seinen schwarzen Hosen und den Stiefeln. Sicher wusste er das. Auch dass sein Haar ungewaschen und zottelig aussah, was er ja sonst so schrecklich fand, musste ihm klar sein. Kam daher seine fremdartige Scheu? Micha schaute ihm in die Augen, suchte nach Anzeichen für Drogengebrauch und fand nichts dergleichen, bloß eine Art Schuldgefühl. Jan schlang plötzlich seine Arme um den Freund, hielt ihn fest und küsste ihn.
"Danke, Micha." sagte er schließlich und öffnete die Tür. Da hielt Micha ihn am Arm fest, ahnte nicht, dass er ihn damit so erschrecken würde und sah, dass eine Träne in Jans Auge glitzerte.
"Wo finde ich dich?"
"Das darf ich nicht verraten."
"Was? Wer sagt das?"
"Ich muss los, Micha."
"Dann komm heute Abend wieder!"
"Ich versuche es."
Und flink wie ein Wiesel oder ein geübter Dieb lief er die Treppen geräuschlos hinab. nicht einmal die Tür knallte.
Micha blieb verwirrt zurück.

Als er sich umdrehte, um zurück ins Schlafzimmer zu gehen, erschrak auch er sehr heftig, denn an der Wand stand Sophia. Jetzt weiß sie alles-glaubte Micha. Wie dumm, dass gerade jetzt er selbst auch nicht viel wusste. Sie würde ihm seine Unwissenheit sicher nicht abnehmen.
Warum sagte sie denn nichts?
"Das war Jan, eben. Er hat es sehr eilig..." stammelte Micha.
"Wirklich? Ich finde, du kannst mir jetzt endlich mal die ganze Wahrheit erzählen. Wenn du mich richtig kennen würdest, wüstes du auch, dass ich ich sowieso viel mehr weiß, als du glaubst. Aber ich möchte es von dir hören, aus deinem Mund."
Micha stand da wie versteinert.
"Komm schon Micha," Sophia trat auf ihn zu, nahm ihn in die Arme,"ich sehe schon lange, wie du dich quälst. Denkst du wirklich ich würde das nicht verstehen? Du liebst ihn, stimmte?"
Dazu reichte ein langes Schweigen, bis Sophia fort fuhr.
"Das wundert mich kein bißchen. Ich sehe schon seit Wochen zu, wie du dich heimlich allein davonstiehlst, zurechtgemacht, als wolltest du auf die Party des Jahres ohne mich zu fragen, ob ich mit möchte. Ich weiß nicht, wie du dir das alles in Zukunft vorgestellt hast..."
"ich hatte immer vor, dir alles zu erzählen."
"Ja, vielleicht. Naja, nun ist es also geschafft. Ich finde es bloß schade, dass es dir so schwer fällt, ehrlich zu mir zu sein, weißt du? Gegen Jan habe ich ja gar nichts, im Gegenteil, ich mag ihn auch sehr. Bloß sag mir wo ich stehe. Würdest du lieber mit ihm zusammen leben als mit mir?"
Micha schüttelte den Kopf, Sophia lächelte erleichtert. Sie sah in ihrem weißen Nachthemd und dem offenen Haar aus, wie eine griechische Göttin, fand er und wagte nicht, sie jetzt zu küssen.
"Ich möchte euch alle beide." verkündete Micha endlich. Sophia las irgendetwas in seinen Augen, was, wusste er nicht.
Sie küsste ihn lange, und sagte schließlich mit tieferer, weicher Stimme:
"Dann sollten wir herausfinden, was da los ist und ihm helfen."

Das zweite Mal klingelte es am Freitagabend um halb 8.
"Komm rein." Micha entging keineswegs, wie mitgenommen Jan aussah.
"Hör mal zu, Jan. Was immer du auch für Probleme hast, du kannst es uns erzählen. Ich habe nämlich Sophia jetzt auch alles erzählt. Sie ist niemanden von uns böse. Außerdem hattest du Recht, sie wusste es längst."
Jan schaute etwas betreten zu Boden.
"Habt ihr vielleicht etwas zu Essen da?"
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MSchneider
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Beitrag14.06.2014 00:49
Re: Als ein Dealer nachts ermordet wurde
von MSchneider
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Hi Rodion. (:

Wie du schon selbst angemerkt hast: Von dem eigentlichen Inhalt der Geschichte bekommt man nicht besonders viel mit. Aber da du ohnehin lieber wissen wolltest, wie es um die Dialoge bestellt ist, werde ich mein Hauptaugenmerk eben darauf richten und geduldig warten, bis du die restlichen Teile deiner Geschichte veröffentlichst. Ich hoffe, du kannst etwas mit meiner Kritik anfangen.

Zitat:
Draußen stieg bereits der Morgen über die grauen Dächer.


Beginnen wir mit dem zweiten Satz deiner Geschichte: Das Bild, das du hier gewählt hast, ist meiner Ansicht nach ein wenig schief und leidet an "Blutarmut".

"Morgen" ist lediglich ein Begriff, der einen gewissen Zeitraum bezeichnet - er ist kein Objekt. Dennoch lässt du ihn an dieser Stelle agieren, du lässt ihn "steigen", so als handele es sich dabei um die Sonne oder um einen Heißluftballon. Das ist es, was das Bild schief macht.

Weiterhin würde ich mir wünschen, dass du das Bild etwas dynamischer gestaltest. Der Protagonist befindet sich offensichtlich in einer schwierigen Phase - und jetzt steht er da, vermutlich vollkommen übermüdet, blickt nach draußen und beobachtet einfach nur, wie irgendetwas über die grauen Dächer steigt. In dieser Szene steckt meiner Ansicht nach sehr viel Potenzial, aus denen sich ein gelungener Einstieg zaubern lässt - das solltest du nicht verschenken. Da gefällt mir dieses Bild schon wesentlich besser:

Zitat:
Und darunter, hinter diesen dunklen Fenstern, die wie Löcher in der Wand aussahen, schliefen sie alle in ihren Betten und das erste, was sie denken würden, wenn sie aufwachten, ist: Wie spät ist es?


Allerdings würde ich (wie du bereits siehst) den letzten Teil des Satzes ersatzlos streichen. Ich kann weder an dieser Stelle noch im weiteren Verlauf erkennen, wieso das Durchgestrichene für den Leser von Bedeutung sein sollte. Der Satz würde dadurch auch insgesamt wesentlich geschmeidiger klingen.

Zitat:
Micha drehte sich um, ließ seinen Blick flüchtig durch das dunkle Zimmer schweifen und fand nichts, an dem er verweilen wollte.


Da Micha sein Glas auf das Fensterbrett stellt und gleichzeitig nach draußen blickt, ist dem Leser bereits klar, dass er am Fenster steht. Es reicht daher, seinen Blick durch das Zimmer schweifen zu lassen. In dem Wort "flüchtig" sehe ich keinen wirklichen Mehrwert. Außerdem stellt es mich für sogar einen kleinen Kontrast zu dem Wort "schweifen" dar, mit dem ich eher eine ruhige Kopfbewegung verbinde.  

Zitat:
Sein Zimmer unterschied sich wahrscheinlich nicht im geringsten von denen, der anderen Leute. Wie leicht wäre es doch gewesen, all die Schuld für das, was passiert war, einem kleinen Zimmer zuzuschreiben. Denn wie die Schlaumeier immer wieder betonen: das Umfeld formt den Menschen!


Ich habe an dieser Stelle das Gefühl, dass du nach einer Grundlage gesucht hast, die dir erlaubt, zum ersten Mal das besondere Ereignis anzusprechen. Die Andeutungen sind mir aber viel zu vage. Als Leser ahnt man doch ohnehin instinktiv, dass irgendetwas vorgefallen sein muss, da dieser Umstand praktisch jeder Geschichte inne wohnt. (eine Geschichte durchläuft ja üblicherweise die Konflikt-Phase) Du bestärkst den Leser in diesem Gefühl spätestens beim abschließenden Telefonat, was für den Anfang vollkommen ausreichend ist. Der Absatz erweitert auch in keinster Weise den Charakter des Protagonisten. Ich würde daher komplett auf ihn verzichten.

Zitat:
Sophia schlief immer so still wie eine Tote.


Tote Menschen schlafen nicht, die sind einfach tot - und das ist auch gut so. Verstecken

Zitat:
Er sah ihr gleichmäßiges, entspanntes Gesicht gern an, wenn sie schlief und glaubte, sie könnte jeden Moment die Augen aufschlagen, ihn direkt und klar ansehen und sagen:


Ich würde dort einen Punkt machen, wo die Farbe des Satzes wechselt. Wenn man den Satz so am Stück liest, dann hat man (beziehungsweise ich) das Gefühl, auf der Eskalationsleiter sehr schnell nach oben zu wandern. Erst liegt sie da, ganz entspannt und schläft - und plötzlich schlägt sie ihre Augen auf und redet. Auch wenn das hier nur in der Vorstellung des Protagonisten passiert, so passt ein solches Szenario doch eher ins Horror-Genre. Wenn du die Sätze voneinander trennst, ist dieser Effekt deutlich weniger gegeben.

Zitat:
Dann entschloss sich Micha endlich, auch schlafen zu gehen.


Zitat:
Kaum hatte er den ersten Fuß auf das Bett gesetzt, drehte sich seine Freundin um, blinzelte ihn schläfrig an und fragte:


Hier kann etwas nicht stimmen: Der Protagonist sieht seiner Freundin in die Augen - heißt: sie liegt mit dem Gesicht zu ihm gewandt -, aber als er sich zu ihr legt, da dreht sie sich um. Sie würde jetzt also mit dem Hinterkopf zu ihm gerichtet liegen. Wink

Zitat:
"Hast du schon gesehen? Der Typ mit dem Hund hat wohl ne neue Freundin. Oder ist das seine Mutter da auf dem Balkon?
Micha schielte nur kurz rüber. Er wusste nicht einmal, dass im Haus ein Typ mit Hund wohnt.


Hier scheint sich auch ein kleiner Fehler eingeschlichen zu haben. Die Formulierung "im Haus" deutet darauf hin, dass es sich um das selbe Haus handelt, in dem auch der Protagonist wohnt. Dann wären die Balkone aber üblicherweise untereinander angeordnet. So liest es sich eher, als wäre der Balkon des "Typen mit dem Hund" gegenüber gelegen.

--

Ist leider doch mehr geworden, als ich zu Anfang gedacht hatte. Da es nun spät ist, werde ich mir vielleicht erst morgen die Dialoge anschauen.

Bis dann,

Julian. (:
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Rodion
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Beitrag14.06.2014 01:26

von Rodion
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Hallo Julian

vielen Dank für deine Anmerkungen und Vorschläge. Ich glaube unsere Posts haben sich überschnitten, na macht ja nichts.

Die meisten deiner Vorschläge sind sehr einleuchtend und ich werde den Text  an diesen Stellen überarbeiten.

Findest du das echt so gruselig, dass einer der schlafend scheint plötzlich die Augen aufmacht? Na gut

Ich dachte mir, dass Micha einmal um das Bett herum geht, bevor er sich hinlegt, deshalb sieht er Sophia plötzlich von hinten.

Und die Sache mit dem Hund vom Nachbarn und so: Also das Haus hat ja ein Hinterhaus, in dessen Fenster man sehr gut sehen kann. Ich habe das Vorder- und das Hinterhaus als eins gezählt. Macht man das nicht so?

Sophia schlief immer so still wie eine Tote.
Natürlich schlafen Tote nicht. Aber ich dachte, dieser Gedanke, jemand schlafe wie ein Toter, wäre nicht nur mir sondern auch vielen anderen vertraut. Das denkt man doch hin und wieder, oder nicht? Du hast zwar recht, aber über die Logik seiner Gedanken denkt ja Micha nicht nach.

So, und nun überarbeite ich den Text mal.

Danke nochmal, dass du dir soviel Zeit genommen hast.
LG, Rodion
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MSchneider
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Beitrag14.06.2014 02:01

von MSchneider
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Rodion hat Folgendes geschrieben:
Findest du das echt so gruselig, dass einer der schlafend scheint plötzlich die Augen aufmacht? Na gut


Ja, schon. Es geht aber eigentlich nicht nur um den "Grusel-Faktor", sondern vielmehr darum, dass es sich meiner Meinung nach von der Betonung besser liest, wenn die Sätze getrennt werden würden. Der Übergang liest sich einfach nicht sauber - er tut etwas (er sieht sie gerne an) und er glaubt etwas (dass sie die Augen aufschlagen könnte). Wenn man bei dieser simplifizierten Struktur bleibt, dann müsste es (wenn schon, denn schon) eigentlich "erst tut er etwas, dann glaubt er etwas" heißen. Diese Struktur geht aus deinem Satz allerdings nicht hervor. Eher wirkt es so, als bestünde der Satz aus zwei voneinander unabhängigen Bausteinen - und je öfter ich den ihn lese, desto mehr werde ich in diesem Gefühl bestärkt. Der Grund dafür ist der rot-markierte Teil:

Zitat:
Er sah ihr gleichmäßiges, entspanntes Gesicht gern an, wenn sie schlief und glaubte, sie könnte jeden Moment die Augen aufschlagen, ihn direkt und klar ansehen und sagen:


Und jetzt vergleiche diesen Satz einmal mit dem folgenden Satz:

Zitat:
Er sah ihr gleichmäßiges, entspanntes Gesicht an und glaubte, sie könnte jeden Moment die Augen aufschlagen, ihn direkt und klar ansehen und sagen:


Bemerkst du den Unterschied? Die erste Variante spiegelt "Er tut etwas und er glaubt etwas" wider, die zweite Variante hingegen "Erst tut er etwas, dann glaubt er etwas" - und so wäre es auch richtig. Die zweite Variante stellt einen Zusammenhang dar, die erste Variante präsentiert zwei voneinander unabhängige Bausteine. Da die zweite Variante aber nicht der eigentlichen Aussage gerecht wird, musst du die beiden Sätze trennen, beispielsweise so:

Er sah ihr gleichmäßiges, entspanntes Gesicht gern an, wenn sie schlief. Dennoch glaubte er, dass sie jeden Moment die Augen aufschlagen, ihn direkt und klar ansehen und sagen könnte:

Ich hoffe das ist soweit einleuchtend. smile
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MSchneider
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Beitrag14.06.2014 13:34

von MSchneider
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Weiter geht's. (:

Rodion hat Folgendes geschrieben:
Ich dachte mir, dass Micha einmal um das Bett herum geht, bevor er sich hinlegt, deshalb sieht er Sophia plötzlich von hinten.


So etwas würde ich nicht implizit voraussetzen. Der Leser kann an dieser Stelle nicht erahnen, was du dir gedacht hast. Es ist aber auch kein besonders großer Fehler, den meisten Lesern würde es bei einem normalen Lesefluss wahrscheinlich nicht auffallen. Du könntest die Szene aber auch ohne das Umdrehen seiner Freundin schreiben - wie sie am Ende im Bett liegt, das ist ja eigentlich unwichtig und bringt die Geschichte nicht voran.

Zitat:
Und die Sache mit dem Hund vom Nachbarn und so: Also das Haus hat ja ein Hinterhaus, in dessen Fenster man sehr gut sehen kann. Ich habe das Vorder- und das Hinterhaus als eins gezählt. Macht man das nicht so?


Ich kann's mir schon vorstellen. Auch das ist eher ein kleiner, marginaler Fehler. Dass es dabei aber dennoch zu Verständnisschwierigkeiten kommen kann, siehst du an ja mir.

Zitat:
Sophia schlief immer so still wie eine Tote.
Natürlich schlafen Tote nicht. Aber ich dachte, dieser Gedanke, jemand schlafe wie ein Toter, wäre nicht nur mir sondern auch vielen anderen vertraut. Das denkt man doch hin und wieder, oder nicht? Du hast zwar recht, aber über die Logik seiner Gedanken denkt ja Micha nicht nach.


Das ist eine Frage der Perspektive - da kenne ich mich nicht so gut aus. Allerdings muss man auch hier wieder schauen, ob diese Information einen Mehrwert bietet. Ob Sophia wie eine Tote schläft oder nicht - ist das wichtig? Ich finde, man kann auch gut darauf verzichten. Dass sie nicht wach wird, wenn er durch das Zimmer marschiert, deutet ja bereits auf einen relativ festen Schlaf hin. Ich würde das gar nicht näher präzisieren.

Lieben Gruß,

Julian.
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hobbes
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Beitrag14.06.2014 14:46

von hobbes
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Hallo Rodion,

häufige wörtliche Rede? Fiel mir jetzt gar nicht auf (ich habe deine einleitenden Worte erst nach der Geschichte gelesen). Aber nun ja, ich mag Dialoge sowieso gern, von daher ist das mal wieder höchst subjektiv.

Den Titel finde ich übrigens gar nicht seltsam. Ich mag ihn und neugierig macht er auch.

Jetzt weiß ich nicht, was du gern an Rückmeldung hättest, ich fang mal ganz allgemein an:
Hab ich gern gelesen smile Macht neugierig, wirft Fragen auf, nicht zu viele, aber solche, deren Antwort ich gern noch erfahren würde. Ich mag auch diesen latent traurigen Erzählton, wobei ich mir gerade nicht sicher bin, ob es wirklich der Ton ist oder nicht doch eher Micha, den ich mag. Ich hab ein Faible für verlorene Gestalten und er scheint mir so eine zu sein.

Gerade zu Anfang holpert es aber sprachlich noch ein bisschen oder anders gesagt: da sehe ich noch Verbesserungspotential. Bin mir jetzt nicht sicher, ob du Interesse an Detailarbeit hast, vielleicht mal ein paar Beispiele, damit du weißt, was ich meine:

Zitat:
Micha drehte sich um, ließ seinen Blick flüchtig durch das dunkle Zimmer schweifen und fand nichts, an dem er verweilen wollte.

Zweideutig: Wer wollte verweilen, der Blick oder Micha?

Zitat:
Sein Zimmer unterschied sich wahrscheinlich nicht im geringsten von denen, der anderen Leute.

Das Komma ist da falsch, allerdings ist das ganze Konstrukt falsch. Da am Satzanfang von nur einem Zimmer die Rede ist, müsste es "von dem anderer Leute" heißen. Das hört sich aber seltsam an, besser wäre wohl "von den Zimmern anderer Leute". Na ja, auch nicht wirklich toll.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Zeiten immer stimmen, aber was das betrifft, bin ich wahrlich kein Experte, das würde ich lieber anderen überlassen.

Zitat:
Wie leicht wäre es doch gewesen, all die Schuld für das, was passiert war, einem kleinen Zimmer zuzuschreiben.

Das ist so ein Satz, der mir im Grunde total gut gefällt, vom Gedanken her (Schuld ist das Zimmer) und von dem Gefühl das er mit sich bringt (-> Oh weh. Irgendwas ist passiert und es war nichts Gutes.)
Allerdings finde ich den Satz so, wie er jetzt formuliert ist, ein bisschen umständlich. Also dieses "all die ... das, was ..." Wenn du aus "all die" ein "alle" machen würdest, fände ich es schon schöner, aber auch nicht so wirklich. Schwierig, an der Stelle Verbesserungsvorschläge zu machen, wenn mir die Hintergründe fehlen.

So viel erst mal von mir.
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hobbes
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Beitrag14.06.2014 15:04

von hobbes
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Hi noch mal,

habe gerade entdeckt, dass es ja noch weitergeht.
Hast du schon die Fortsetzungsoption kennengelernt? Einfach beim Einstellen bzw. Antworten anhaken.

Hm. Im zweiten Teil bleibe ich nicht dran. Das liegt einerseits daran, dass es sprachlich erneut ins holprige geht. Das hier ist noch nicht deine finale Version, oder? Die zum xten Mal überarbeitete, selbst nichts mehr findende, jetzt anderen zum Lesen gebende.
Oder doch?
In dem Fall und falls damit auch der Wunsch nach Detailkritik einhergeht: Bitte weniger Text auf einmal einstellen.

Ich verliere aber nicht nur wegen sprachlicher Holprigkeiten die Lust am Weiterlesen, sondern auch, weil mir der Inhalt noch unausgegoren scheint. Oder, anders gesagt: hier fehlen noch Inhalte. Vermutlich hast du die alle in deinem Kopf und vor lauter "die Geschichte zu Papier bringen" vergisst du, dass der Leser eben nicht alles weiß.
Was ich meine:
Zitat:
Jan reichte Micha die Cognac Flasche und zwei Gläser. In seinem kleinen Zimmer herrschte wie immer das Chaos,

Gerade waren wir noch vor der Kirche. Jetzt in Jans Zimmer. Ich, als Leser, bin verwirrt, einmal, weil ich meine falsche Annahme korrigieren muss, dann, weil ich mich frage: wie sind sie jetzt dahin gekommen.
Hier dagegen:
Zitat:
Außer einer alten, etwas verwahrlosten Frau lebten noch ein völlig zurückgezogener Programmierer, ein Dealer und ein Pärchen, das etwa Dreiviertel des Jahres woanders war, dort.

Zu viel Info. Woher weiß er das alles? Na gut, er könnte es wissen. Aber muss ich es als Leser auch (so genau) wissen? Sind die Leute wichtig? Wenn nein, warum werden sie so explizit erwähnt?

Zitat:
"Denkst du etwa ich laufe immer so herum? Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich ohne diese Klamotten und den ganzen Firlefanz genauso normal aussehe, wie jeder bei euch an der Uni?"

Welche Klamotten? Welcher Firlefanz? Bis jetzt bin ich davon ausgegangen, dass Jan genauso normal herumläuft, wie jeder andere auch.
Ah ja, das bringt mich noch mal zum Anfang:
Zitat:
Von der Hecke aus betrachtete der den jungen Freund.

Junger Freund? Das bringt so die Assoziation mit sich, dass Micha ein alter Knacker und Jan ein junger Kerl ist. Aber die anderen Information hören sich eher so an, als wären sie gleich alt?

Ich würde diese Geschichte immer noch gern lesen. Aber nur, wenn du vorher noch ordentlich Arbeit reinsteckst.
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Rodion
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Beitrag15.06.2014 00:03

von Rodion
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Hallo
erst einmal vielen Dank für eure Mühe. Ich habe eure hilfreichen Vorschläge und Anmerkungen nun eingearbeitet und hoffe, das Ergebnis gefällt. Da der Text insgesamt ja zu lang ist, habe ich mal einen Schnitt gemacht, der Rest fällt erstmal weg.
Das mit den Leuten, die sich fragen wie spät es ist, habe ich als einzigen Verbesserungsvorschlag nicht geändert. Dadurch, dass Sophia genau das sagt, als sie aufwacht, sollte dargestellt werden, wie ähnlich auch die beiden all den anderen Leuten sind, die Micha eben noch so von ferne betrachtet hat und sich vielleicht insgeheim wünschte, er wäre anders. Oder man könnte es auch so sehen: wie ähnlich die anderen Leute ihnen in Wahrheit sind, also gar nicht so anders, wie man oft denkt., oder hofft.

So, ich hoffe das Leseverständnis ist nun besser, alle offenen fragen erst einmal geklärt und der Abschnitt nicht zu lang. Für den Fall, das es doch etwas zu lang ist, habe ich die Abschnitte, die ich verändert habe, blau markiert, um euch das Suchen zu ersparen.
LG, Rodion


Micha



Er stellte sein Glas auf das Fensterbrett und betrachtete es eine Weile. Draußen, weit hinten über den Dächern, färbte sich der Himmel bereits hellblau. Und darunter, hinter diesen dunklen Fenstern, die wie Löcher in der Wand aussahen, schliefen sie alle in ihren Betten und das erste, was sie denken würden, wenn sie aufwachten, ist: Wie spät ist es? Micha drehte sich um, ließ seinen Blick durch das dunkle Zimmer schweifen und fand nichts, das ihm interessant vorkam. Sein Zimmer unterschied sich wahrscheinlich nicht im geringsten von denen anderer Leute. Wie leicht wäre es doch gewesen, die Schuld für das, was passiert war, einem kleinen Zimmer zuzuschreiben. Denn wie die Schlaumeier immer wieder betonen: das Umfeld formt den Menschen!
Sophia schlief tief und fest. Sie hatte ihn nicht kommen gehört, war wohl zu erschöpft von ihrer Arbeit in der Bar. Er sah sich gern ihr entspanntes, schlafendes Gesicht an. Sie sah zufrieden und glücklich aus, ihr hübscher Mund schien oft im Schlaf kaum sichtbar zu lächeln. Dieses Mal jedoch kam Micha der Gedanke, sie könnte jeden Moment die Augen aufschlagen, ihn direkt ansehen und sagen: Du kannst aufhören zu lügen, ich weiß doch längst Bescheid. Würde sie es gütig und liebevoll sagen? Oder würden ihre grünen Augen ihn zornig anstarren? Er streckte die Hand aus und strich ihr sanft die Locke aus dem Gesicht. Dann entschloss sich Micha, auch schlafen zu gehen.
Kaum hatte er den ersten Fuß auf das Bett gesetzt, blinzelte Sophia ihn schläfrig an und fragte:

"Wie spät ist es?"
"Kurz vor 5."
Sie stöhnte und ließ sich wieder auf ihr Kissen fallen.
"Gehst du jetzt erst ins Bett...? murmelte sie schon halb wieder eingeschlafen. Micha schwieg. Dann deckte er sie vorsichtig etwas besser zu und zog sich selbst seine Decke bis über den Kopf, als könnte er so verhindern, dass der Morgen auch ihn treffen würde.

Mit dem Frühstücksbrötchen in der Hand stand Sophia am Fenster, deutete mit dem Kopf auf das Hinterhaus und meinte:
"Hast du schon gesehen? Der Typ mit dem Hund hat wohl ne neue Freundin. Oder ist das seine Mutter da auf dem Balkon?
Micha schielte nur kurz rüber. Er wusste nicht einmal, dass im Haus ein Typ mit Hund wohnt.
"Nö, ist mir auch egal."
"Also ich finde die andere Marmelade hat besser geschmeckt als die hier. Die schmeckt ja nur nach Zucker." Sophia legte ihr angebissenes Brötchen auf den Teller, setzte sich zu Micha an den Tisch und begann ihren Kaffee zu rühren und zu pusten.
"Warum bist du so still? Ist irgendwas?" wollte sie wissen.
"Nein, was soll denn sein?"
"... Wie wars denn gestern? Wart ihr noch Billard spielen?"
Um Zeit zu gewinnen, nahm Micha einen gewaltigen Haps von seinem Brötchen und nickte.
Er hatte den Billardtisch in Bennis Keller seit Monaten nicht gesehen.

Aber wie schon so oft, eignete ich auch dieser Moment nicht dafür, Sophia alles anzuvertrauen. Es würde sie bloß bei ihrem Studium stören. Sie würde sich unnötig Sorgen machen. Und sowieso, in ein paar Tagen ist das ganze wieder vergessen und niemand musste deswegen unglücklich sein, redete sich Micha ein und kippte zu viel Milch in seinen Kaffee.

War nicht alles wunderbar passend? Hatte er nicht die Schönste und Klügste von allen zur Freundin? War er nicht schon so gut wie fertig mit seinem Studium um demnächst endlich richtig starten zu können? Hatte nicht die große Firma, in der er sein Praktikum erfolgreich absolvierte, ihm bereits eine Stelle mit hervorragenden Aufstiegschancen zu gesagt? Und hatte er nicht eine liebevolle Familie, einen gesunden, jungen Körper, eine schöne, helle Wohnung? Micha rieb sich mit den Fingern einer Hand die Augen.
"Na schön," sprach Sophia und erhob sich nachdem sie aufgegessen hatte,"ich muss los. sehen wir uns nachher in der Mensa?"
"Mal sehen, vielleicht."
Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
"Du solltest früher ins Bett gehen."
 
Dann war sie fort. Micha hörte ihre Schritte die Treppen hinunter trippeln und dachte an ihre kleinen, roten Schuhe.
Dann nahm er sein Handy und schrieb:
Wegen gestern tut mir leid.Kann nicht wiederkommen.Vergiss mich bitte
er löschte die Zeilen und schrieb
Vergiss das alles.Mein Leben ist woanders, ich komme nicht wieder. Sei nicht böse.Alles Gute dir
Er zögerte fast zehn Minuten, ehe er doch endlich die SMS losschickte.

Am Nachmittag. als Micha mit einem Kaffebebecher und zwei Kumpels auf der Wiese das Campus saß, klingelte sein Telefon. Er zog es wie gewohnt aus seiner Hosentasche, schaute auf die Nummer und- ging nicht ran.
"Warum gehst du nicht ran?" fragte Freddy verwundert.
Micha zuckte mit den Schultern:
"Keine Ahnung, ich kenne die Nummer nicht. Wenn derjenige was wichtiges wollte, wird er sich nochmal melden."
"Kann er ja nicht, wenn du dein Handy aus schaltest." bemerkte David nicht ganz ohne belustigten Argwohn.
Freddy und David tauschten kurz Blicke aus.
War es schon den ganzen Tag so heiß gewesen, oder erst jetzt? Micha trank seinen Kaffee schnell aus.
"Kommt, dann kriegen wir noch Stühle." forderte er seine Freunde auf und eilte in das Gebäude.

Sophia war nicht die erste, die sich erst wunderte und dann beklagte, dass Micha sein Handy verloren hätte und sich kein neues holte. Seit drei Tagen schon konnte ihn niemand erreichen. Seit drei Tagen schon hockte er fast ununterbrochen zwischen seinen Büchern und Ordnern am Schreibtisch und war so beschäftigt, dass er nicht einmal viel Zeit zum Essen fand. Sophia stand in der Tür, beobachtete ihn nachdenklich und fragte:
"Du, Micha, du hast doch noch meinen Kuli, oder?"
"Hm," er schaute nicht auf.
"Ist schon gut, ich hole ihn mir auch selbst." und sie ging in den Flur, wo Michas Ledertasche unter der Garderobe stand, öffnete sie, griff nach dem Etui und entdeckte, als sie es herauszog, das Handy.
Sie nahm es in die Hand.
"Micha, ich glaube du hast wohl Tomaten auf den Augen. Guck mal, hier."
Jetzt legte er den Stift aus der Hand.
"Oh..."
Sie warf es ihm zu, er fing es auf.

Als Sophia schlief, wagte er es anzuschalten und tatsächlich viele Anrufe und zwei SMS. Eine von Freddy und eine von jener, unter keinem Namen gespeicherten Nummer.
Bin nicht böse, nur traurig. Du hast dein Wort gegeben. Ruf mich wenigstens an.

Diese wenigen Worte auf dem grünen Display verursachten in Micha's Kopf eine wahre Flut an Gedanken und Gefühlen. Alles drängte auf einmal in sein Bewusstsein, Bilder und Stimmen, Erinnerungen an jene Nächte. Es prasselte auf ihn ein, als hätte er eine Plane lange in den Regen gehalten und sie plötzlich an einer Seite losgelassen. Er wählte die Nummer.

"Hallo." wie erschreckend enttäuscht und beherrscht seine Stimme klang.
"Hallo Jan. Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe."
Schweigen.
"Hör mal, ich hatte wirklich sehr viel zu tun, weißt du? Und ich dachte, naja, ich dachte ich melde mich, wenn ich wieder Zeit habe..." Micha kam sich lächerlich vor und hoffte, Jan würde das nicht merken.
"Du hast versprochen zu kommen. Ich habe dich extra nochmal gefragt."
"Ja, tut mir leid, O.K.?"
"Kommst du heute?"
"Jetzt?"
"Warum nicht? Es ist sehr schön heute. Wir sehen auch, dass du nicht so spät wieder zurück bist."
Einmal ganz kurz, dachte Micha, das würde nicht schaden und vielleicht ließe sich dann alles ein für allemal klären und die Sache wäre erledigt.
"Na schön. Wo finde ich dich?"
"Wieder vor der Kirche, auf einer der Bänke."
"Ich bin in einer Viertelstunde dort. Also dann, bis gleich."

Leise, um Sophia nicht zu wecken, wusch er sich schnell, nahm einen Minzkaugummi, die Schlüssel, eine Fahrradlampe und Geld mit und lief so leise es ging die alten, knarzenden Treppen hinunter.

Jan saß allein auf der Bank, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, irgendetwas an seinem MP3 Player herumspielend. Er schien Micha noch nicht zu hören. Von der Hecke aus betrachtete der den um einige Jahre jüngeren Freund. Wie wundersam unwirklich er doch aussah. Weder Kind noch erwachsen, alterslos, Mädchen und Junge zugleich und bei all dem so schön, wie es ein Mensch gar nicht sein konnte. Unnatürlich, ja, auch das träfe zu, künstlich und dadurch so zerbrechlich, als wäre seine ganze Existenz auf ein paar dünne Stelzen gebaut. Ja, als hinge alles davon ab, wie akkurat er seine Augen schminkte, wie aufwendig er das Haar flocht oder wie viel Ringe er an seinen Händen trug. Die durchweg schwarze Kleidung ließ ihn zu dem noch zierlicher und kleiner erscheinen als er ohnehin schon war. Und Trotzdem besaß er Macht. Macht über ihn. Micha war sich sicher, dass Jan sich dieser Macht bewusst war. Aber er war sich nicht sicher, ob er das eher gut oder eher schlecht finden sollte. Was er hier eigentlich wollte, hatte er ohnehin längst vergessen und trat auf die Kirche zu.
Jan stand auf, wartete bis Micha bei ihm angekommen war und umarmte ihn. Er küsste Micha. Wie hatte er nur wirklich glauben können, das alles hier sei so einfach zu vergessen? Wie konnte er von Jan so etwas verlangen, wenn er es ja selbst nicht konnte? Seine großen, dunklen Augen schauten ihn glitzernd und glücklich an, hatten auch etwas erwartendes, ungeduldiges. Micha genoss es, wie sich der schmale, warme Körper an ihn schmiegte. Was war er bloß für ein Dummkopf gewesen? Was hatte ihn nur dazu getrieben, sich einzubilden, er liebte diesen jungen Mann nicht wirklich?
Der Weg zu Jans Wohnung führte durch eine schmale Straße, die kaum breit genug für ein kleines Auto war und in die bei klarem Himmel der Mond genau hindurchschien, so wie an diesem Abend. Micha wusste nicht, wie oft er diesen Weg schon gegangen war, aber später, wenn er sich daran erinnern sollte, kam es ihm vor, als wäre es nur ein einziges Mal gewesen.
Und genauso wie er auf diesem Weg stets das Gefühl hatte, der Mond würde ihn beobachten, so war es auch, als er nach zwei Stunden etwa einen Blick aus Jans Fenster warf und feststellte, dass der silbern Leuchtende alles mit angesehen haben musste. Fast hätte Micha gesagt: Was willst du schon wieder?
Jan holte irgendwo her eine Flasche Congnac. In seinem kleinen Zimmer herrschte wie immer das Chaos, aber in dem spärlichen Licht fiel das nur halb so sehr auf. Micha wusste nicht viel über diese Zimmer, nur, dass Jan allein dort wohnte und ab und zu Schwierigkeiten hatte, die Untermiete zu bezahlen, weil er sein Geld für alles mögliche Unnötige herausschleuderte. Außerdem- und das war wesentlich wichtiger- wusste Micha, dass in diesem Haus niemand ihn kennen konnte. Die Menschen, die  hier lebten hatten sich mit genügend eigenen Problemen herumzuschlagen, als dass sie sich noch dafür interessierten, was der Untermieter im 3. Stock so tat.
"Musst du morgen wieder zur Uni?" fragte Jan als er nackt und mit offenem Haar zu seinem Tisch ging um zwei Gläser zu holen.  Er blieb dort stehen und füllte sie. Es schien ihm entweder nicht aufzufallen oder eben sehr zu gefallen, wie Micha ihn beobachtete. Seine von verwischtem Schwarz umgebenen  Augen.

"Ja, leider."
"Und wann sehen wir uns wieder?" er reichte Micha ein gefülltes Glas. Zitterte seine Hand ein wenig?
Micha wusste keine Antwort, trank einen Schluck, starrte an die Wand. Plötzlich dachte er an Sophia. Jan erriet seine Gedanken und sagte leise:
" Ist sie der Grund weshalb du nie wieder kommen wolltest?"
Micha schaffte es nicht dem Freund in die Augen zu sehen. Alles, was so herrlich begonnen hatte, drohte nun wieder in dem alten Grau des Alltags zu versinken.
"Habe ich überhaupt eine Chance gegen sie?"
"Das kann man doch nicht so vergleichen. Und außerdem liebe ich sie, das weißt du. Genauso wie ich dich liebe."
Micha fragte sich, ob der Ausdruck in Jans Blick eher Unglauben oder Betroffenheit war. Ein paar Gründe seinen Worten nicht zu glauben gab es ja schon, stellte er selbstkritisch fest. Außerdem war ihm klar, dass dieses Gerede  auf Jan sowieso nur wie eine Floskel wirken musste. Aber es entsprach der Wahrheit.
"Ich habe einen Vorschlag," unterbreitete Jan, als hätte er das ganze schon länger vorbereitet. " Wie wäre es, wenn Sophia und ich uns einfach mal kennenlernen?"
Micha riss die Augen weit auf, was Jan ein wenig verärgerte, doch er fuhr fort:
"Denkst du etwa ich laufe immer so herum? Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich ohne diese Klamotten und den ganzen Firlefanz genauso normal aussehe, wie jeder bei euch an der Uni?"
Ehrlich gesagt, hatte sich das Micha wirklich noch nie vorgestellt und schämte sich fast dafür. Aber auch wenn er normale Sachen tragen würde, was wäre mit seinem Verhalten? Micha schaute so skeptisch, dass Jan darüber lachen musste.
"Du wirst mich nicht wieder erkennen, schätze ich. Komm, wir probieren das aus. Das wird lustig. Und ich war schon so lange nicht mehr mitten am Tag draußen."
Trotz seiner sicheren Worte und seiner festen Stimme bemerkte Micha, dass Jans Blick suchend oder hoffend ihn fixierte. Nur eine Sekunde, einen Augenblick lang meinte er zu erkennen, dass dieser Vorschlag für Jan in Wahrheit viel mehr bedeutete als nur ein Spaß.
"Und was willst du ihr sagen, woher ich dich kenne?"
"Na von deinem Praktikum, da habe ich dort auch gearbeitet, zum Beispiel."
"O.K.", gab Micha etwas zögerlich zur Antwort. Vielleicht wäre es wirklich gut, wenn Sophia ihn kennenlernt.
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hobbes
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Moderatorin

Beiträge: 4298

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag16.07.2014 23:29

von hobbes
Antworten mit Zitat

Hi.

Öhm. Du schreibst, du hast alle Vorschläge übernommen, außer die Sache mit "wie spät usw."
Ich lese, komme genau bis hierhin
Rodion hat Folgendes geschrieben:
Sein Zimmer unterschied sich wahrscheinlich nicht im geringsten von denen anderer Leute.

und denke: Öhm. Dazu hatte ich doch schon etwas geschrieben?

Nun ist es ganz bestimmt nicht so, dass ich der Meinung bin, du müsstest alle Vorschläge, die man dir macht, klaglos übernehmen.
Zum Weiterlesen und damit auch zum erneuten Kommentieren animiert es mich allerdings nicht, wenn du schreibst, du hättest alles übernommen und dem ist dann gar nicht so. Womit ich, wie gesagt, nicht sagen will, du müsstest alles übernehmen, aber wenn du es nicht tust und auch keine Rückmeldung über das Warum Nicht abgibst, verliere ich die Lust, mich weiter mit deinem Text zu beschäftigen.
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