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Traumhändler


 
 
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Rodion
Wortedrechsler

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Wohnort: Berlin


Beitrag29.05.2014 13:27
Traumhändler
von Rodion
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nun will ich es also mal versuchen. Dieser Text ist ein Anfang einer längeren Geschichte, die ich gern endlich irgendwann einmal zu ende bringen möchte. Ich frage mich, ob dieser Einstieg den Leser neugierig genug macht oder nicht. Ob es vielleicht nicht spannend genug ist? Die ganze Geschichte, das sollte man vielleicht vorher wissen, handelt vom Träumen. Dabei soll ein großes Gewicht auf das Psychische gelegt werden, zugleich aber gibt es eine starke äußere Handlung, wenn man das so sagen kann, die auch Sciencefiction Elemente aufweist. Ob das nun gut zu vereinen ist...?
Na, ich bin mal gespannt, was dazu meint.

Traumhändler (das ist nur ein provisorischer Titel)

Er war zurück. Unfähig sich zu bewegen oder auch nur die Augen zu öffnen, lag Jan auf seinem Bett und registrierte die bekannte Kühle des Raumes. Er spürte die Stille. Er fühlte die Position von Fenster und Tür. Und er wartete  mit angewohnter Gelassenheit ab, bis diese Phase vorüber und seine volle Kontrolle über seinen Körper wieder hergestellt war.
Dann öffnete er die Augen.
Die Dunkelheit, die ihn sofort umschlang, kam beinahe überraschend. Aber Jan dachte nicht daran, dass es wieder einmal mitten in der Nacht war. Das Villenviertel schlief friedlich wie ein Dorf. Menschenleere, einwandfrei asphaltierte Straßen, gesäumt von modernen Laternen und exotischen Büschen. Dazwischen herrschten die völlig unterschiedlichen, verspielten Miniaturschlößchen über ihre winterkargen, mit eisernen Zäunchen voneinander abgetrennten Königreiche. Richtig zu Hause würde Jan sich hier wohl nie fühlen.
Seine Augen schauten in den hellen, runden Vollmond, der sein Silberlicht durch die Jalousie warf, doch seine Gedanken weilten noch immer in der heißen, rotglühenden, trockenen Wüste. Die hauchdünnen, wehenden Stoffe eines Gewandes, Blau und Weiß, der Geruch der Kamele, die Sonne auf der Haut, der Sand unter den nackten Füßen, um deren Knöchel geflochtene Bänder lagen, ein kräftiges, grobes Seil in der Hand - der zarten, schönen Hand... Irgendwo weit hinten am Horizont verschwommen die Umrisse der halb fertig gestellten Pyramide, Goldarmreifen und kalte Fliesen in den Gedanken, dazu der ersehnte Geschmack kühlender Milch auf den Lippen... Es war ein Jammer diese Welt verlassen zu müssen, jedes Mal. Dieses herrlich lange, dunkle Haar, das als Zopf schwer über der Schulter hing, diesen wunderschönen, fast göttlichen Körper und das ganze Leben einer jungen Frau, mit allem was dazu gehört, Erinnerungen, Wünschen, Ängsten, Verbindungen und so weiter, Unmöglich all das aufzuzählen. Unmöglich all das mit in die Realität zu nehmen. Beinahe schien der Mond etwas spöttisch zu schmunzeln, als wollte er sagen:
“Na, hast du Narr wieder geglaubt, du könntest dein Leben beliebig austauschen wie die Bücher einer Bibliothek?“
Jan nahm es dem kalten Himmelskörper nicht übel, denn was verstand der schon vom Leben. Bestimmt war er bloß neidisch, weil er selbst nichts dergleichen kannte. Und trotzdem - die Erkenntnis aufgewacht zu sein schmeckte bitter. Da lag das kleine, unaufgeräumte Zimmer Grau in Grau um ihn herum. Der Tisch voll mit Büchern, Laptop, Stiften, leeren Trinkgläsern, Klamotten und Schmuck. Ein Drehstuhl, besetzt von Tasche und weiteren Textilien. Eine Kommode, fast verborgen hinter zwei Leinwänden und stapelweise Büchern, noch mehr Kleidung, einem Hut und einem Paar schwarzer Schürstiefel. Gläser mit Pinseln, Farbtuben, Hefte und Blöcke. Darauf ein Teller mit Gabel und Krümeln. Mehr passte außer dem Bett nicht in das Zimmer. Im Mietvertrag zählte es nur als halber Raum. Irgendwann muss jemand wohl auf die Idee gekommen sein, aus dem ehemals geräumigen Schlafzimmer mittels Leichtbauwänden drei kleine Zimmer zu machen. Die abgeschnittene Stuckkante an der Decke berichtet noch davon. Jan ließ seinen Blick teilnahmslos über all dies schweifen und merkte kaum, dass er aufstand und ins Badezimmer ging. Grelles Krankenhauslicht, so unangenehm, dass es schonwieder zu absurd war um wirklich zu stören, ergänzte sich mit dem komplett in weiß gekachelten Raum zu einer irgendwie beruhigend unnatürlichen Umgebung. Ein irritierender Gedanke, doch immerhin mit der mehr als wagen Aussicht, noch immer im Traum zu sein. Aber er war viel zu flüchtig um bewusst wahrgenommen zu werden, denn die Realität kannte keinen Halt. Einmal in sie hineingeworfen, greift sie um sich wie ein heranpreschender Reiter, der auf seinem Weg alles in eine riesige Staubwolke verwandelt. Jan sah in den Spiegel über dem Waschbecken. Er sah sein müdes, blasses Gesicht und fand es in seiner Leblosigkeit irgendwie passend. Seine Augen schauten ihn an, als hätten sie jemand anderen erwartet. Sein schulterlanges, blondes Haar verbarg sich hinter dem Kopf zum Zopf gebunden, weil Jan vergessen hatte diesen am Abend zu lösen. Nach einer Weile, einem Augenblick nur, wunderte er sich, was er hier im Bad eigentlich wollte, ärgerte sich darüber hergekommen zu sein und wollte gerade wieder gehen, als hinter ihm aus dem Schatten des Flures Malte auftauchte. Im Gegensatz zu Jan besaß er bereits alle typischen Merkmale erwachsener Männer. Und dies in einer besonders schönen Art, die ihm sehr wohl bewusst war. Eine gute Portion Eitelkeit gehörte zu seinem Charakter und grenzte zuweilen an Überheblichkeit, was er sich jedoch dank seiner allgemeinen Beliebtheit und seiner hohen Position durchaus leisten konnte, meinte er jedenfalls. Selbstsicher und sanft zugleich trat er bis dicht hinter den Jüngeren, schaute ihn durch den Spiegel an und berührte seine Arme. Wie warm seine Hände sich anfühlten, dachte Jan.
„ Kannst du nicht schlafen?“ fragte Malte, wusste aber dass er keine Antwort brauchte, denn Jan wachte jede Nacht auf. Er konnte nicht ahnen, dass dieser noch immer den Klang der Kamelsglöckchen im Ohr und den heißen Wüstenwind auf der Haut hatte, kannte aber wohl diesen Blick, mit dem Jan ihn ansah. Ein Außenstehender würde meinen er schliefe mit offenen Augen oder stünde unter irgendeiner Betäubung. Malte fasste seinen jungen Freund etwas fester bei den Oberarmen.
„Komm mit mir...“ schlug er leise aber bestimmt vor. Er hatte keinen Grund daran zu zweifeln, dass er bekommen würde was er wollte, denn er bekam nahezu immer was er wollte. Solche Menschen gibt es eben. Ob es ihrem Charakter oder ihrem Glück nun dienlich war, sei einmal dahingestellt.

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Klemens_Fitte
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Beitrag29.05.2014 14:06

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Hallo Rodion,

zumindest mein Interesse hat dein Text geweckt, so sehr, dass ich mich sicher nochmal zu Wort melden werde, wenn ich mir etwas mehr darüber im Klaren bin, welchen Detailgrad an Feedback du dir hier erhoffst (mehr grundsätzliche Rückmeldung oder kleinteilige Textarbeit?).

Erstmal nur grob gesprochen: Du besitzt anscheinend die Fähigkeit, deine Figuren sehr feinfühlig zu betrachten und deine Geschichte mit schönen, teilweise unverbrauchten Bildern auszustaffieren. Oftmals wirkt deine Schilderung aber wenig zielgerichtet - und das ist vielleicht das, was deinem Einstieg ein wenig fehlt, dieses Zielgerichtete, das nicht unbedingt mit Spannung synonym ist, aber den gleichen Effekt für den Leser haben kann: dass er in die Geschichte hineingezogen wird und sich nicht etwas orientierungslos fühlt.

Was ich damit meine sind zwei Dinge:

(1) Du schreibst sehr detailgetreu - was ja nicht schlecht sein muss bzw. eine regelmäßige Empfehlung an alle Autoren ist - an Stellen, die sich nicht unbedingt dafür eignen, und nimmst somit völlig die Fahrt aus der Geschichte. Muss ich so genau wissen, was sich alles in Jans Zimmer befindet? Die Krümel auf dem Teller? Den Hut und die Stiefel? Mein Tipp: Erwähne nur die Dinge, die mir als Leser ungewöhnlich oder erwähnenswert vorkommen, denn sonst habe ich das Gefühl, dass hier einfach jemand - wie gesagt - ziellos drauflos aufzählt.
Andererseits bleibst du recht oberflächlich an Stellen, wo ich mir gerne mehr Bilder, mehr Sinneseindrücke wünschen würde:
Zitat:
Es war ein Jammer diese Welt verlassen zu müssen, jedes Mal. Dieses herrlich lange, dunkle Haar, das als Zopf schwer über der Schulter hing, diesen wunderschönen, fast göttlichen Körper und das ganze Leben einer jungen Frau, mit allem was dazu gehört, Erinnerungen, Wünschen, Ängsten, Verbindungen und so weiter, Unmöglich all das aufzuzählen.

Hier stört mich vor allem der abstrakte Begriff der "Verbindungen", der so überhaupt nichts in mir auslöst - aber auch die Unmöglichkeit, "all das aufzuzählen" - aufzählen solltest du hier mE auch gar nichts, aber gib mir als Leser irgendetwas an die Hand, um das "Aufgezählte" nachfühlen oder visualisieren zu können. Was ist denn ein "göttlicher Körper"? Welche Wünsche, Ängste etc. Hier fühle ich mich mit meinem Interesse ein wenig im Stich gelassen.

(2) Die Perspektive ist mir noch unklar. Es gibt Passagen, in denen aus meiner Sicht ein eindeutig auktorialer Ton mitschwingt oder sich der Autor gar an den Leser zu wenden scheint:
Zitat:
Solche Menschen gibt es eben. Ob es ihrem Charakter oder ihrem Glück nun dienlich war, sei einmal dahingestellt.

Das ist zunächst mal nicht allzu schlimm, obwohl es dem Text natürlich auch einiges an Spannung nehmen kann, da man nicht so recht an den Protagonisten heran kommt (was andererseits auch wieder interessant sein kann) - schwierig wird es aber, wenn dann an solchen Stellen
Zitat:
Grelles Krankenhauslicht, so unangenehm, dass es schonwieder zu absurd war um wirklich zu stören, ergänzte sich mit dem komplett in weiß gekachelten Raum zu einer irgendwie beruhigend unnatürlichen Umgebung. Ein irritierender Gedanke, doch immerhin mit der mehr als wagen Aussicht, noch immer im Traum zu sein. Aber er war viel zu flüchtig um bewusst wahrgenommen zu werden, denn die Realität kannte keinen Halt. Einmal in sie hineingeworfen, greift sie um sich wie ein heranpreschender Reiter, der auf seinem Weg alles in eine riesige Staubwolke verwandelt.

nicht klar ist, mit wessen Gedanken und Empfindungen ich es grade zu tun habe; mit denen des Protagonisten oder denen des Erzählers? Empfindet Jan in diesem Moment das Licht als "Krankenhauslicht", ist es der Erzähler, der Jans Empfindung als irritierenden Gedanken kommentiert? Zu wem gehört das Bild von der Realität als Reiter?

Da gäbe es mE noch Verbesserungspotential. Außerdem habe ich ein paar kleine Erbsen im Text gefunden, die würde ich aber nachreichen, falls du, wie gesagt, an detaillierter Textarbeit interessiert bist.

So, das hört sich jetzt vielleicht ein wenig sehr kritisch an, aber ich hätte mich ja nicht zu diesem langen Kommentar hinreißen lassen, wenn ich deinem Text nicht auch einiges abgewinnen könnte.

Gruß,
Klemens


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»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer)
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Rodion
Wortedrechsler

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Beitrag29.05.2014 14:33

von Rodion
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Hallo Klemens

vielen Dank für deine ausführliche Kritik. Ich kann deine Argumente und Anmerkungen sehr gut nachvollziehen und werde mich mal daran machen, den Text dementsprechend zu ändern.
Die Perspektive sollte schon die des Protagonisten sein. Kommentare wie "solche Menschen gibt es eben...", sind Meinungen der Hauptfigur und des Autors. Geht das nicht auch?
Das mit dem Reiter oder dem Krankenhauslicht sieht oder denkt die Figur.
"Verbindungen, göttlicher Körper..." nun, ich werd mal in meinem Gehirnskasten kramen und mir was ausdenken, was hoffentlich mehr aussagt.

Ach und übrigens, du hast Recht, auf kleinste Rechtschreibfehlerkorrektur lege ich wesentlich weniger Wert als auf inhaltliches, was dann aber schon recht detailliert sein kann. Das wichtigste ist mir: versteht man alles? Wird Wirkung erzielt? Ist alles logisch, ist es spannend, ist es sprachlich gut? So was eben. Aber das hast du dir bestimmt schon gedacht, nicht wahr?

Bis dann erstmal
LG, Rodion
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Rodion
Wortedrechsler

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Beitrag29.05.2014 15:18

von Rodion
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Hier ist eine überarbeitete Variante. Wie ist das?



Er war zurück. Unfähig sich zu bewegen oder auch nur die Augen zu öffnen, lag Jan auf seinem Bett und registrierte die bekannte Kühle des Raumes. Er spürte die Stille. Er fühlte die Position von Fenster und Tür. Und er wartete  mit angewohnter Gelassenheit ab, bis diese Phase vorüber und seine volle Kontrolle über seinen Körper wieder hergestellt war.
Dann öffnete er die Augen.
Die Dunkelheit, die ihn sofort umschlang, kam beinahe überraschend. Aber Jan dachte nicht daran, dass es wieder einmal mitten in der Nacht war. Das Villenviertel schlief friedlich wie ein Dorf. Menschenleere, einwandfrei asphaltierte Straßen, gesäumt von modernen Laternen und exotischen Büschen. Dazwischen herrschten die völlig unterschiedlichen, verspielten Miniaturschlößchen über ihre winterkargen, mit eisernen Zäunchen voneinander abgetrennten Königreiche. Richtig zu Hause würde Jan sich hier wohl nie fühlen.
Seine Augen schauten in den hellen, runden Vollmond, der sein Silberlicht durch die Jalousie warf, doch seine Gedanken weilten noch immer in der heißen, rotglühenden, trockenen Wüste. Die hauchdünnen, wehenden Stoffe eines Gewandes, Blau und Weiß, der Geruch der Kamele, die Sonne auf der Haut, der Sand unter den nackten Füßen, um deren Knöchel geflochtene Bänder lagen, ein kräftiges, grobes Seil in der Hand - der zarten, schönen Hand... Irgendwo weit hinten am Horizont verschwommen die Umrisse der halb fertig gestellten Pyramide, Goldarmreifen und kalte Fliesen in den Gedanken, dazu der ersehnte Geschmack kühlender Milch auf den Lippen... Es war ein Jammer diese Welt verlassen zu müssen, jedes Mal. Dieses herrlich lange, dunkle Haar, das als Zopf schwer über der Schulter hing, diesen wunderschönen, geschmeidigen Körper und das ganze Leben einer jungen Frau, mit allem was dazu gehört, All die tausend bunten Erinnerungen aus fast 20 Jahren, die unausgesprochenen Wünsche und Ängste, die farbenprächtigen Gedanken und einen selbstbewussten, unberechenbaren Charakter. Unmöglich, all dies in Worte zu fassen, denn wie soll man mit wenigen Worten die ganze Welt beschreiben? Unmöglich all das mit in die Realität zu nehmen. Beinahe schien der Mond etwas spöttisch zu schmunzeln, als wollte er sagen:
“Na, hast du Narr wieder geglaubt, du könntest dein Leben beliebig austauschen wie die Bücher einer Bibliothek?“
Jan nahm es dem kalten Himmelskörper nicht übel, denn was verstand der schon vom Leben. Bestimmt war er bloß neidisch, weil er selbst nichts dergleichen kannte. Und trotzdem - die Erkenntnis aufgewacht zu sein schmeckte bitter. Da lag das kleine, unaufgeräumte Zimmer Grau in Grau um ihn herum. Tisch und Stuhl voll mit Büchern und Krempel, ein paar leere Leinwände vor der Kommode, daneben die schwarzen Schürstiefel, Bücher, Farben und Klamotten. Ein richtiger Kleiderschrank passte neben dem Bett nicht in das Zimmer. Im Mietvertrag zählte es nur als halber Raum. Irgendwann muss jemand wohl auf die Idee gekommen sein, aus dem ehemals geräumigen Schlafzimmer mittels Leichtbauwänden drei kleine Zimmer zu machen. Die abgeschnittene Stuckkante an der Decke berichtet noch davon. Jan ließ seinen Blick teilnahmslos über all dies schweifen und merkte kaum, dass er aufstand und ins Badezimmer ging. Grelles Krankenhauslicht, so unangenehm, dass es schon wieder zu absurd war um wirklich zu stören, ergänzte sich mit dem komplett in weiß gekachelten Raum zu einer irgendwie beruhigend unnatürlichen Umgebung. Ein irritierender Gedanke, doch immerhin mit der mehr als wagen Aussicht, noch immer im Traum zu sein. Doch Jan wusste, die Realität kannte keinen Halt. Einmal in sie hineingeworfen, greift sie um sich wie ein heranpreschender Reiter, der auf seinem Weg alles in eine riesige Staubwolke verwandelt. Jan sah in den Spiegel über dem Waschbecken. Er sah sein müdes, blasses Gesicht und fand es in seiner Leblosigkeit irgendwie passend. Seine Augen schauten ihn an, als hätten sie jemand anderen erwartet. Sein schulterlanges, blondes Haar verbarg sich hinter dem Kopf zum Zopf gebunden, weil Jan vergessen hatte diesen am Abend zu lösen. Nach einer Weile, einem Augenblick nur, wunderte er sich, was er hier im Bad eigentlich wollte, ärgerte sich darüber hergekommen zu sein und wollte gerade wieder gehen, als hinter ihm aus dem Schatten des Flures Malte auftauchte. Im Gegensatz zu Jan besaß er bereits alle typischen Merkmale erwachsener Männer. Und dies in einer besonders schönen Art, die ihm sehr wohl bewusst war. Eine gute Portion Eitelkeit gehörte zu seinem Charakter und grenzte zuweilen an Überheblichkeit, was er sich jedoch dank seiner allgemeinen Beliebtheit und seiner hohen Position durchaus leisten konnte, meinte er jedenfalls. Selbstsicher und sanft zugleich trat er bis dicht hinter den Jüngeren, schaute ihn durch den Spiegel an und berührte seine Arme. Wie warm seine Hände sich anfühlten, dachte Jan.
„ Kannst du nicht schlafen?“ fragte Malte, wusste aber dass er keine Antwort brauchte, denn Jan wachte jede Nacht auf. Er konnte nicht ahnen, dass dieser noch immer den Klang der Kamelsglöckchen im Ohr und den heißen Wüstenwind auf der Haut hatte, kannte aber wohl diesen Blick, mit dem Jan ihn ansah. Ein Außenstehender würde meinen er schliefe mit offenen Augen oder stünde unter irgendeiner Betäubung. Malte fasste seinen jungen Freund etwas fester bei den Oberarmen.
„Komm mit mir...“ schlug er leise aber bestimmt vor. Er hatte keinen Grund daran zu zweifeln, dass er bekommen würde was er wollte, denn er bekam nahezu immer was er wollte. Solche Menschen gibt es eben. Ob es ihrem Charakter oder ihrem Glück nun dienlich war, sei einmal dahingestellt.
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Klemens_Fitte
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Beitrag29.05.2014 15:22

von Klemens_Fitte
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Rodion hat Folgendes geschrieben:
Die Perspektive sollte schon die des Protagonisten sein. Kommentare wie "solche Menschen gibt es eben...", sind Meinungen der Hauptfigur und des Autors. Geht das nicht auch?


Nein, das geht so mE nicht. Natürlich kannst du als Autor die Meinung deines Protagonisten teilen - aber sobald du als Autor selbst im Text auftrittst, verunklärst du die gesamte Erzählperspektive und machst es dem Leser unmöglich, zwischen deinen Kommentaren und den Gedanken deines Protagonisten zu unterscheiden.
Vielleicht an dieser Stelle mal ein grundsätzlicher Link zur Perspektive.
http://www.dsfo.de/dsfopedia/index.php/Perspektive

Falls du den Text als "interne dritte Person" angelegt hast (schließlich schilderst du ja Jans Gedanken und Empfindungen), dann gibt es ein paar Passagen, die so nicht funktionieren:

Zitat:
Und dies in einer besonders schönen Art, die ihm sehr wohl bewusst war. Eine gute Portion Eitelkeit gehörte zu seinem Charakter und grenzte zuweilen an Überheblichkeit, was er sich jedoch dank seiner allgemeinen Beliebtheit und seiner hohen Position durchaus leisten konnte, meinte er jedenfalls. Selbstsicher und sanft zugleich trat er bis dicht hinter den Jüngeren, schaute ihn durch den Spiegel an und berührte seine Arme. Wie warm seine Hände sich anfühlten, dachte Jan.


Ich habe dir hier mal alle Stellen markiert, die ich problematisch finde. Natürlich kann Jan, wenn er Malte gut kennt, darüber spekulieren, was Malte bewusst ist und was nicht, was er meint und was nicht - das musst du dann aber explizit als Vermutungen oder Überlegungen deines Protagonisten schildern; ebenso das "selbstsicher", das ja auf eine innere Befindlichkeit Maltes verweist, die Jan bestenfalls aus dessen Körpersprache lesen, nicht aber derart behaupten kann. Und würde Jan sich als "der Jüngere" bezeichnen?
Noch ein Beispiel:
Zitat:
Er hatte keinen Grund daran zu zweifeln, dass er bekommen würde was er wollte, denn er bekam nahezu immer was er wollte.

Auch das kann nur ein auktorialer Erzähler in der Form ausdrücken.

Wenn der Text dagegen aus der auktorialen Perspektive geschildert ist, dann musst du jeden Gedanken, jeden Kommentar deines Protagonisten als solchen definieren, über ein "dachte Jan", "es kam Jan vor als ob" etc. Sonst hast du das eingangs erwähnte Problem, dass sich der Leser nicht zurechtfindet. Hier nochmal mein Beispiel von oben:
Zitat:
Solche Menschen gibt es eben. Ob es ihrem Charakter oder ihrem Glück nun dienlich war, sei einmal dahingestellt.

Das kann in dieser Situation nur der Erzähler meinen, nicht Jan selbst. Oder schießt ihm dieser Gedanke gerade in diesem Moment durch den Kopf? Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Und wenn es ein Gedanke ist, den Jan in dieser Form schon einmal hatte bzw. es zu seiner grundsätzlichen Einschätzung von Malte gehört, dann musst du das an dieser Stelle klar kennzeichnen.
Diese Probleme hättest du nicht, wenn der Text aus der Ich-Perspektive geschrieben wäre. Das ist dann aber wieder ein anderes Thema.

Edit: Deine überarbeitete Version hat sich jetzt mit meinem Kommentar überschnitten. Aber ich glaube, die Perspektivproblematik stellt sich immer noch.


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Rodion
Wortedrechsler

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Beitrag30.05.2014 01:17

von Rodion
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Hallo und eine schöne Nacht,

danke Klemens.
Es ist mir gar nicht so sehr leicht gefallen, die Sache mit der Erzählperspektive zu ändern, zumal ja der Erzählfluss nicht darunter leiden soll. Aber ich verstehe, was du meinst. Ist es denn so besser? Und wenn die Perspektive nun klarer ist, hört es sich denn auch noch gut an? Man müsste jetzt eigentlich ein Weilchen Zeit verstreichen lassen, dann den Text nochmal lesen und dann würde man das wohl besser beurteilen können.
Und ja, Jan weiß, dass er der Jüngere ist, denn es ist offensichtlich.

Hier der überarbeitete Abschnitt:


Im Gegensatz zu Jan besaß er bereits alle typischen Merkmale erwachsener Männer. Warum schlief er noch nicht? Hatte er wieder viel zu tun und sich in seinem Arbeitszimmer mit Kaffee wach gehalten? Warum sonst sollte er noch komplett angekleidet sein? Jan registrierte derlei Dinge bloß ohne sich darüber wirklich zu wundern.  Er kannte Malte längst gut genug, um nicht mehr ständig daran denken zu müssen, wie schön er ihn doch fand. Eine gute Portion Eitelkeit gehörte zu dessen Charakter und grenzte zuweilen an Überheblichkeit, was er sich jedoch dank seiner allgemeinen Beliebtheit und seiner hohen Position durchaus leisten konnte. Früher schoss diese Erkenntnis oft durch Jans Kopf, mit einer seltenen Mischung aus Bewunderung und Verachtung. Jetzt aber dachte er gar nichts. Er beobachtete das Geschehen, als befände er sich noch weit weg, selbst dann noch, als der andere mit selbstsicherem, lächelnden Blick bis dicht hinter ihn heran trat, ihn durch den Spiegel anschaute und seine Arme berührte. Wie warm seine Hände sich anfühlten, dachte Jan.
„ Kannst du nicht schlafen?“ fragte Malte mit einem  Ton, der verriet, wie wenig er sich eine erklärende Antwort erhoffte. Denn Jan wachte jede Nacht auf. Wie sollte jener ahnen, dass er noch immer den Klang der Kamelsglöckchen im Ohr und den heißen Wüstenwind auf der Haut hatte. Jan sah ihn an und sah einfach durch ihn hindurch. Ein Außenstehender würde meinen er schliefe mit offenen Augen oder stünde unter irgendeiner Betäubung. Malte fasste seinen jungen Freund etwas fester bei den Oberarmen. Das Gefühl kam fast plötzlich, aber nicht erschreckend zurück, der Traum entglitt.
„Komm mit mir...“ schlug er leise aber bestimmt vor. Und, ja, natürlich würde er ihm folgen. So, wie alles dem Willen dieses schönen Mannes folgte - ein Gedanke, den Jan nach wie vor sehr anziehend fand.



Vielen Dank schonmal fürs Lesen
LG, Rodion
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Klemens_Fitte
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Beitrag30.05.2014 01:53

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Hallo nochmal,

ja, es ist sicher nicht einfach, die Perspektive eines bestehenden Textes zu ändern, ohne dass er seine sprachlichen Qualitäten einbüßt. Ich halte das daher für eine gute Idee:

Rodion hat Folgendes geschrieben:
Man müsste jetzt eigentlich ein Weilchen Zeit verstreichen lassen, dann den Text nochmal lesen und dann würde man das wohl besser beurteilen können.


Du hast jetzt in der neuen Version ein paar sprachliche Unsauberkeiten drin, die eben dieser Umarbeitung in situ geschuldet sind und dir wahrscheinlich mit etwas Abstand selbst auffallen.
Zitat:
Wie sollte jener ahnen, dass er noch immer den Klang der Kamelsglöckchen im Ohr und den heißen Wüstenwind auf der Haut hatte. Jan sah ihn an und sah einfach durch ihn hindurch.

Ansonsten finde ich, dass die Perspektive schon viel klarer eingehalten ist als in der ersten Version. Dazu gleich noch etwas.
Zitat:
Und ja, Jan weiß, dass er der Jüngere ist, denn es ist offensichtlich.

Natürlich weiß er das. Aber der Clou an der "internen dritten Person" (falls du die verwenden willst) ist ja, dass sie sehr nah am Protagonisten heranrückt (gewissermaßen als Pendant zur Ich-Perspektive) und somit seine Reflexionen, Gedanken, aber auch seine Empfindungen und selbstreferentiellen Aussagen direkt wiedergibt. Und da passt ein "der Jüngere" einfach nicht, weil Jan von sich selbst nie als "der Jüngere" sprechen oder denken würde.

Nochmal zur Perspektive:

Zitat:
Er kannte Malte längst gut genug, um nicht mehr ständig daran denken zu müssen, wie schön er ihn doch fand. Eine gute Portion Eitelkeit gehörte zu dessen Charakter und grenzte zuweilen an Überheblichkeit, was er sich jedoch dank seiner allgemeinen Beliebtheit und seiner hohen Position durchaus leisten konnte. Früher schoss diese Erkenntnis oft durch Jans Kopf, mit einer seltenen Mischung aus Bewunderung und Verachtung. Jetzt aber dachte er gar nichts.


Der blau markierte Abschnitt, mit dem du Malte charakterisierst, wirkt jetzt natürlich ein wenig wie ein Fremdkörper, zumal er ja durch den letzten zitierten Satz als solcher entlarvt wird: Wenn Jan gerade an nichts denkt, warum wird mir als Leser dann an dieser Stelle eine "frühere Erkenntnis" von ihm untergejubelt? Das reißt mich zumindest ziemlich aus der Szene raus. Verstehst du, was ich meine? Der Reiz liegt ja gerade darin, dass wir uns in Jan hineinversetzen, an seinen Gedanken teilhaben wollen, den Charakter von Malte durch Jans Augen betrachten und erschließen wollen, durch kleine beobachtete Details oder Gedankenfetzen, die uns der autodiegetische Erzähler bietet. Stattdessen bleibst du hier in einer recht abstrakten, 'ungreifbaren' Beschreibung, die, wie du uns dann eröffnest, nicht einmal an diese Stelle 'gehört'.

Wie gesagt, ich finde, dass deine Überarbeitung schon in eine gute Richtung geht, aber wenn du dich noch ein wenig damit beschäftigst, wie nahe du an deinen Protagonisten heran willst und wie du uns die Geschichte evtl. aus seiner Sicht schildern kannst, dann kann der Text nur gewinnen.
Lass dir dabei ruhig Zeit, denn ich denke, es ist wichtig, sich über solche grundlegenden Fragen erstmal im Klaren zu sein, dann geht auch die Überarbeitung wesentlich leichter von der Hand.

Ich wünsche dir viel Spaß dabei und freue mich auf das Ergebnis.

Gruß,
Klemens


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Rodion
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Beitrag31.05.2014 06:06

von Rodion
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Hallo und guten Morgen,

danke dir für dein anhaltendes Interesse, Klemens.
Ich habe noch einmal ein bißchen herumgebastelt, das mit dem Warten ist so eine Sache...
Vielleicht kommt das ganze  in der Ich-Perspektive doch besser rüber? Nur wird ja allgemein immer davon abgeraten diese Perspektive zu wählen, solange man sich nicht erst einmal an den anderen erfolgreich erprobt hat.
Wie wirkt das ganze jetzt?


Ich war zurück. Unfähig mich zu bewegen oder auch nur die Augen zu öffnen, lag ich auf meinem Bett und registrierte die bekannte Kühle des Raumes. Ich spürte die Stille, fühlte die Position von Fenster und Tür. Und ich wartete  mit angewohnter Gelassenheit ab, bis diese Phase vorüber und meine volle Kontrolle über meinen Körper wieder hergestellt war.
Dann öffnete ich die Augen.
Die Dunkelheit, die mich sofort umschlang, kam beinahe überraschend. Aber ich dachte nicht daran, dass es wieder einmal mitten in der Nacht war. Das Villenviertel schlief friedlich wie ein Dorf. Menschenleere, einwandfrei asphaltierte Straßen, gesäumt von modernen Laternen und exotischen Büschen. Dazwischen herrschten die völlig unterschiedlichen, verspielten Miniaturschlößchen über ihre winterkargen, mit eisernen Zäunchen voneinander abgetrennten Königreiche. Wann würde ich mich hier wohl zu Hause fühlen können?
Meine Augen schauten in den hellen, runden Vollmond, der sein Silberlicht durch die Jalousie warf, doch meine Gedanken weilten noch immer in der heißen, rotglühenden, trockenen Wüste. Die hauchdünnen, wehenden Stoffe eines Gewandes, Blau und Weiß, der Geruch der Kamele, die Sonne auf der Haut, der Sand unter den nackten Füßen, um deren Knöchel geflochtene Bänder lagen, ein kräftiges, grobes Seil in der Hand - der zarten, schönen Hand... Irgendwo weit hinten am Horizont verschwommen die Umrisse der halb fertig gestellten Pyramide, Goldarmreifen und kalte Fliesen in den Gedanken, dazu der ersehnte Geschmack kühlender Milch auf den Lippen... Es war ein Jammer diese Welt verlassen zu müssen, jedes Mal. Dieses herrlich lange, dunkle Haar, das als Zopf schwer über der Schulter hing, diesen wunderschönen, geschmeidigen Körper und das ganze Leben einer jungen Frau, mit allem was dazu gehört, All die tausend bunten Erinnerungen aus fast 20 Jahren, die unausgesprochenen Wünsche und Ängste, die farbenprächtigen Gedanken und einen selbstbewussten, unberechenbaren Charakter. Unmöglich, all dies in Worte zu fassen, denn wie soll man mit wenigen Worten die ganze Welt beschreiben? Unmöglich all das mit in die Realität zu nehmen. Beinahe schien der Mond etwas spöttisch zu schmunzeln, als wollte er sagen:
“Na, hast du Narr wieder geglaubt, du könntest dein Leben beliebig austauschen wie die Bücher einer Bibliothek?“
Ich nahm es dem kalten Himmelskörper nicht übel, denn was verstand der schon vom Leben. Bestimmt war er bloß neidisch, weil er selbst nichts dergleichen kannte. Und trotzdem - die Erkenntnis aufgewacht zu sein schmeckte bitter. Da lag das kleine, unaufgeräumte Zimmer Grau in Grau um mich herum. Tisch und Stuhl voll mit Büchern und Krempel, ein paar leere Leinwände vor der Kommode, daneben meine Stiefel, Bücher, Farben und Klamotten. Ein richtiger Kleiderschrank passte neben dem Bett nicht in das Zimmer. Im Mietvertrag zählte es nur als halber Raum. Irgendwann muss jemand wohl auf die Idee gekommen sein, aus dem ehemals geräumigen Schlafzimmer mittels Leichtbauwänden drei kleine Zimmer zu machen. Die abgeschnittene Stuckkante an der Decke berichtet noch davon. Ich ließ meinen Blick teilnahmslos über all dies schweifen und merkte kaum, dass ich aufstand und ins Badezimmer ging. Grelles Krankenhauslicht, so unangenehm, dass es schon wieder zu absurd war um wirklich zu stören, ergänzte sich mit dem komplett in weiß gekachelten Raum zu einer irgendwie beruhigend unnatürlichen Umgebung. Ein irritierender Gedanke, doch immerhin mit der mehr als wagen Aussicht, noch immer im Traum zu sein. Aber ich wusste, die Realität kannte keinen Halt. Einmal in sie hineingeworfen, greift sie um sich wie ein heran preschender Reiter, der auf seinem Weg alles in eine riesige Staubwolke verwandelt. Beinahe hörte ich das dumpfe Klopfen der Hufe im Sand.
Der rahmenlose Spiegel hing breit über dem Waschbecken. Ich war tatsächlich ich, wie eh und je, Jan Turin, 19 Jahre alt, ein irgendwer, ein ich-weiß-nicht-wer. Mein müdes, blasses Gesicht erschien mir in seiner Leblosigkeit nur allzu passend. Die  Augen schauten mich an, als hätten sie jemand anderen erwartet und das zerwühlte, blonde Haar erinnerte mich ganz unbestimmt an ein Bild von Robinson Crusoe. Fehlte bloß noch der Bart. Nach einer Weile, einem Augenblick nur, wunderte ich mich, was ich hier im Bad eigentlich wollte, ärgerte mich darüber hergekommen zu sein und wollte gerade wieder gehen, als hinter mir aus dem Schatten des Flures Malte auftauchte. Im Gegensatz zu mir besaß er bereits alle typischen Merkmale erwachsener Männer. Warum schlief er noch nicht? Hatte er wieder viel zu tun und sich in seinem Arbeitszimmer mit Kaffee wach gehalten? Warum sonst sollte er noch komplett angekleidet sein? Ich registrierte derlei Dinge bloß ohne mich darüber wirklich zu wundern.  Ich kannte Malte längst gut genug, um nicht mehr ständig daran denken zu müssen, wie schön ich ihn doch nach wie vor fand. Stattdessen beobachtete ich das Geschehen, als befände ich mich noch weit weg, selbst dann noch, als er mit selbstsicherem, lächelnden Blick bis dicht hinter mich heran trat, mich durch den Spiegel anschaute und meine Arme berührte. Wie warm seine Hände sich anfühlten. Oder war meine Haut bloß so kalt?.
„ Kannst du nicht schlafen?“ fragte Malte mit einem  Ton, der verriet, wie wenig er sich eine erklärende Antwort erhoffte. Wir hatten längst aufgehört nach den Gründen für meine ständigenSchlafstörungen zu suchen, zumindest sprach kaum einer mehr darüber. Wie sollte er ahnen, dass ich noch immer den Klang der Kamelsglöckchen im Ohr und den heißen Wüstenwind auf der Haut hatte? Ausdruckslos blickte ich ihn an. Ein Außenstehender würde meinen ich schliefe mit offenen Augen oder stünde unter irgendeiner Betäubung. Aber Malte fasste mich etwas fester bei den Oberarmen. Das Gefühl kam fast plötzlich, doch nicht erschreckend zurück, der Traum entglitt entgültig.
„Komm mit mir...“ schlug er leise aber bestimmt vor. Und, ja, natürlich würde ich ihm folgen. So, wie alles dem Willen dieses schönen Mannes folgte - ein reizender Gedanke, der mein Handeln nach wie vor bestimmte, solange ich Malte noch mehr bewunderte als verachtete.
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Klemens_Fitte
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Beitrag01.06.2014 09:17

von Klemens_Fitte
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Moin Rodion,

so, ich schon wieder. Ein bisschen habe ich ja Sorge, dass du dich von meinen Kommentaren nicht motiviert, sondern mehr getrieben fühlst, daher kommt jetzt mal zunächst ein Disclaimer: Alles, was ich hier anmerke, spiegelt natürlich nur meine persönliche (und auch eher intuitive und nicht durch jahrelanges Kritisieren geschärfte) Meinung wider. Was du davon umsetzt, bleibt immer noch dir überlassen - und natürlich besteht bei dieser Form der Textarbeit immer die Gefahr, dass man einen Text zu Tode operiert.

Okay, und jetzt greife ich doch wieder zum Skalpell.

Ich denke, das Problem bei der Ich-Perspektive liegt einfach darin begründet, dass sie dem Autor eines möglichen Filters zwischen dem, was er denkt und dem, was er schreibt, beraubt; es erfordert eine gewisse Disziplin und Zurückhaltung, nicht einfach ins 'Labern' oder 'Schwafeln' zu kommen, wenn es zwischen den eigenen Gedanken und der Erzählstimme keine Zwischenstufe gibt. (Und dass ich selbst meine Texte aus der Ich-Perspektive schreibe, tut jetzt einfach mal nichts zur Sache Smile )

Man ist halt da schon sehr gebunden, und auch der Reiz für den Leser, in den Kopf einer fremden Person gucken zu können, ist geringer - einfach, weil du in der dritten Person die Distanz, aus der du uns deinen Protagonisten präsentierst, leichter variieren kannst als beim Ich-Erzähler, bei dem der Leser meist einfach davon ausgeht, es mit einem Ebenbild des Autors zu tun zu haben.

Problematisch finde ich dann auch solche Stellen:

Zitat:
Aber ich dachte nicht daran, dass es wieder einmal mitten in der Nacht war.


Wenn er gerade nicht daran denkt, warum steht es dann da?

Zitat:
Das Villenviertel schlief friedlich wie ein Dorf. Menschenleere, einwandfrei asphaltierte Straßen, gesäumt von modernen Laternen und exotischen Büschen. Dazwischen herrschten die völlig unterschiedlichen, verspielten Miniaturschlößchen über ihre winterkargen, mit eisernen Zäunchen voneinander abgetrennten Königreiche.


Da du im nächsten Satz erwähnst, dass der Blick des Ich-Erzählers aus dem Fenster auf den Mond gerichtet ist, ist auch das eigentlich schon eine unzulässige Spekulation. Woher weiß er denn in diesem Moment, dass das Villenviertel friedlich schläft? Und natürlich kennt er die Straßen, die Büsche, die Zäunchen - aber er sieht sie eben momentan nicht, und das ist ein Sprung in der Perspektive, für den ich als Leser gerne eine Begründung hätte.

Zitat:
Ich war tatsächlich ich, wie eh und je, Jan Turin, 19 Jahre alt, ein irgendwer, ein ich-weiß-nicht-wer. Mein müdes, blasses Gesicht erschien mir in seiner Leblosigkeit nur allzu passend.


Es wird ja in jedem Schreibratgeber davon abgeraten, diesen Blick in den Spiegel zu verwenden, um den Protagonisten vorzustellen - ich bin jetzt nicht unbedingt ein Verfechter dieser Ratgeberliteratur, aber in Verbindung mit der Ich-Perspektive finde ich diese Stelle auch irgendwie konstruiert und wenig 'organisch'.

Also, zumindest für mich funktioniert die personale Perspektive für diesen Text wesentlich besser. Vielleicht könntest du ja - falls du das noch nicht getan hast - ein kleines Psychogramm deines Protagonisten erstellen und für dich als Autor einfach solche Fragen beantworten wie: Wie drückt er sich aus? Gewählt, ordinär? Ist er laut, leise? Hat er (lästige) Angewohnheiten, Ticks? Geht er eher gebeugt oder gerade, sind seine Bewegungen fahrig oder präzise etc.
Damit findest du nicht nur, denke ich, zu einer Stimme, die zu ihm passt, sondern du machst ihn auch interessant für den Leser, zu jemandem, in dessen Kopf man gerne schauen möchte, weil er neuartige oder zumindest originell ausgedrückte Gedanken und Beobachtungen für uns bereithält.

So, das war jetzt alles recht verschwurbelt und unklar ausgedrückt, aber ich denke, dass es dein Text schon verdient hat, über die Textebene hinaus an der unterliegenden Struktur zu feilen - und dass er davon sehr profitieren könnte.

Gruß,
Klemens


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Rodion
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Beitrag01.06.2014 18:35

von Rodion
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Hallo Klemens

vielen Dank für deine Meinungen und Erklärungen.
das mit dem "tot-operieren" ist mir auch schon durch den Kopf gegangen.
Ich habe von meiner Hauptperson eine Biografie und Autobiografische Texte, Gedanken, die er zu Papier gebracht hat, in denen solche Sachen teilweise vorkommen. Auch das Äußere ist klar. Aber ich denke, das mit dem  Psychogram ist eine gute Idee, auch wenn mir die Figur im Grunde schon recht gut vertraut ist. Einfach der Übersicht wegen.
Was mir die ganze Zeit über eigentlich noch Sorgen macht, ist die Frage, ob es überhaupt möglich oder gut ist einen Text, eine längere Geschichte zu schreiben, die gleichermaßen von der Psyche einer Person und von einer starken äußeren Handlung erzählt. Ich frage mich, ob es nicht besser wäre zwei Texte daraus zu machen, einmal einen sehr vom Innenleben erzählenden und einmal einen mit jenen schon erwähnten Sciencefiction Elementen. Letzterer bräuchte nämlich gar nicht so eine Hauptfigur, wie Jan sie ist. Da würde auch eine weitaus gewöhnlichere Person reichen, die sich dann im Laufe der Story eben zum "Held" wenn man so will entwickelt.
Oder aber ich verzichte auf die Sache mit den Träumen und erzähle Jans Geschichte.
Nein, ich möchte beides vereinen. Was denkst du darüber? Kennst du das Problem? Kann es nicht passieren, dass das eine dem anderen die Kraft nimmt?
Vielleicht ist das ganze auch einfach zu groß. Ich habe ja schon etliche Seiten zu dieser  Geschichte geschrieben, aber ohne richtigen Plan, wie das alles miteinander verbunden werden soll. Nur im Groben.
O.K., lange Rede kurzer Sinn. Ich muss mir einfach mehr Gedanken machen, einen Plan. Und dann schreibe ich den Anfang wohl neu, vielleicht.

Einen schönen Sonntag noch
LG, Rodion
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Wildcat
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Beitrag01.06.2014 19:07

von Wildcat
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Hallo Rodion,

was mir ganz spontan in den Kopf kommt - keine Ahnung ob das irgendetwas taugt: wie wäre es, jeweils pro Kapitel einen ganz klaren Perspektivwechsel zu machen und die Kapitel zeitlich teilweise überschneidend zu schreiben?

Vielleicht zu komplex, vielleicht zu verwirrend, aber vielleicht auch was zum drüber nachdenken Smile

Liebe Grüße
Yvette
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Rodion
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Beitrag01.06.2014 19:17

von Rodion
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Hallo yvette

danke für den Einfall und, ja, er ist verwirrend.
Aber ich denke drüber nach.
Aber zeitlich überschneidend? Warum? Ob da der Leser noch durchsieht?
Die Geschichte hat schon genug Verwirrung dadurch, dass sie einerseits in der Realität und andererseits im Kopf, also im Traum spielt, was jetzt an dem ersten Abschnitt nur andeutungsweise zu erkennen ist.
Ich dachte daran das mit kursiver Schrift zu unterscheiden.
Wechselnde Perspektiven? Müsste man vielleicht mal ausprobieren. Ich glaube das habe ich auch noch nie gemacht.

LG, Rodion
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Klemens_Fitte
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Beitrag01.06.2014 19:29

von Klemens_Fitte
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Hallo nochmal,

ja, die Idee mit dem Perspektivwechsel finde ich auch problematisch. Interessant, ja, aber das erfordert mE viel Erfahrung, um die Perspektiven (a) richtig einzusetzen und (b) konsequent einzuhalten. Sonst wird es für den Leser eher zur Qual.

Rodion hat Folgendes geschrieben:
Was mir die ganze Zeit über eigentlich noch Sorgen macht, ist die Frage, ob es überhaupt möglich oder gut ist einen Text, eine längere Geschichte zu schreiben, die gleichermaßen von der Psyche einer Person und von einer starken äußeren Handlung erzählt. Ich frage mich, ob es nicht besser wäre zwei Texte daraus zu machen, einmal einen sehr vom Innenleben erzählenden und einmal einen mit jenen schon erwähnten Sciencefiction Elementen. Letzterer bräuchte nämlich gar nicht so eine Hauptfigur, wie Jan sie ist. Da würde auch eine weitaus gewöhnlichere Person reichen, die sich dann im Laufe der Story eben zum "Held" wenn man so will entwickelt.


Ich kenne ja bisher nur den Anfang und weiß nicht, wohin du mit dieser Geschichte noch möchtest, ich denke aber schon, dass das funktionieren kann. Bzw. ich denke, dass deine Geschichte, so wie sie gedacht ist, nur so funktionieren kann. Aber mit dem Anspruch steigt natürlich auch die Schwierigkeit, und manchmal ist das Beste, was man machen kann, den Text noch einmal in seine Einzelteile zu zerlegen und ihn wieder zusammenzusetzen.

Zitat:
Nein, ich möchte beides vereinen. Was denkst du darüber? Kennst du das Problem? Kann es nicht passieren, dass das eine dem anderen die Kraft nimmt?


Ich denke, diese Gefahr besteht nur dann, wenn diese Erzählweisen jeweils ungünstig eingesetzt werden. Beispiel: Was mich an deinem Einstieg interessiert, sind natürlich die Traumthematik, dein spannend angelegter Protagonist und das Verhältnis zu Malte. Dann müsstest du dir eben überlegen, ob es beispielsweise die Beschreibung der Nachbarschaft an dieser Stelle unbedingt braucht, oder die Beschreibung des Zimmers.
Klar, in einem Film ist das kein Problem, da ist das mit einem Kameraschwenk oder -zoom erledigt. Aber in einem Text lenkt es schnell den Fokus von dem, worum es in der Szene eigentlich gehen sollte, und das ist doch, das Interesse des Lesers auf die Hauptthematik des Textes zu lenken.
Und das meine ich mit Auseinanderbauen und wieder Zusammensetzen - guck dir genau an, was du mit welcher Szene erreichen willst und was du dafür brauchst, und dann bau die schmückenden Details so daran, dass sie die wichtigen Stellen auszeichnen und kein unnötiger Ballast sind.

Zitat:
O.K., lange Rede kurzer Sinn. Ich muss mir einfach mehr Gedanken machen, einen Plan. Und dann schreibe ich den Anfang wohl neu, vielleicht.


Die Sache mit dem Plan würde ich daher sehr befürworten. Deine Geschichte hat diese Form der Aufmerksamkeit verdient.

Dir auch einen schönen Sonntagabend,
Klemens


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Rodion
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Beitrag01.06.2014 23:50

von Rodion
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Schön guten Abend,

danke nochmal, ich weiß deine Tipps sehr zu schätzen. Und übrigens ich fühle mich von deinen Kommentaren durchaus motiviert und nicht getrieben, denn es liegt mir ja was daran, den Text erstens zu verbessern und zweitens irgendwann einmal zu vollenden.
Texte zu ende zu schreiben fällt mir nämlich offenbar schwer.

So, und jetzt mache ich mir noch mal einen Plan. Auf dem Papier! Das wirkt irgendwie viel inspirierender auf die Gedankenwuselei als dieses blendende Bildschirmchen.

Genießt die Nacht, auch wenn ihr wohl alle schon schlaft.
LG, Rodion
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Rodion
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Beitrag03.06.2014 22:02

von Rodion
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Hallo

so, auf die Gefahr hin, dass das ganze jetzt viel zu lang ist und es deswegen kaum noch einer liest, habe ich nun einen überarbeiteten Anfang+den Teil danach reingestellt.
Ich bin nicht zufrieden damit. In erster Linie aber deswegen, weil es einfach nicht spannend genug ist. Doch wie soll man so eine Geschichte, in der nunmal - zumindest am Beginn- nichts total mitreißendes passiert, auch anders erzählen? Ich kann doch nicht erst mitten drin beginnen.
Es ist auch sprachlich nicht gut genug. Zwar habe ich einen Plan für die ganze Geschichte, aber was bekommt man davon schon im ersten Abschnitt mit?
Ich habe mir auch noch mal genauere Gedanken zu den Figuren gemacht, aber auch das wird ja dem Leser erst nach und nach mitgeteilt. Die Frage ist, würde man nach dem ersten Abschnitt weiterlesen wollen? Viele sicherlich nicht. Hm...
Vielleicht rede ich auch zu lange drumherum, bevor die Geschichte richtig los geht, sozusagen. Na, hier ist sie erstmal:


Er war zurück. Unfähig sich zu bewegen oder auch nur die Augen zu öffnen, lag er auf seinem Bett und registrierte die bekannte Kühle des Raumes. Er spürte die Stille, fühlte die Position von Fenster und Tür. Und er wartete  mit angewohnter Gelassenheit ab, bis diese Phase vorüber und die volle Kontrolle über seinen Körper wieder hergestellt war.
Dann öffnete er die Augen.
Die Dunkelheit, die ihn sofort umschlang, kam beinahe überraschend. Aber es war bloß die Nacht. Jan lauschte einen Moment der friedlich schlafenden Stille und genoss das behagliche Gefühl. Er wusste, es würde nicht lange andauern.  
Dann schaute er in den hellen, runden Vollmond, dessen Silberlicht durch die Jalousie fiel. Seine Gedanken jedoch weilten noch immer in der heißen, rotglühenden, trockenen Wüste. Die hauchdünnen, wehenden Stoffe eines Gewandes, Blau und Weiß, der Geruch der Kamele, die Sonne auf der Haut, der Sand unter den nackten Füßen, um deren Knöchel geflochtene Bänder lagen, ein kräftiges, grobes Seil in der Hand - der zarten, schönen Hand... Irgendwo weit hinten am Horizont verschwommen die Umrisse der halb fertig gestellten Pyramide, Goldarmreifen und kalte Fliesen in den Gedanken, dazu der ersehnte Geschmack kühlender Milch auf den Lippen... Es war ein Jammer diese Welt verlassen zu müssen, jedes Mal. Dieses herrlich lange, dunkle Haar, das als Zopf schwer über der Schulter hing, diesen wunderschönen, geschmeidigen Körper und das ganze Leben einer jungen Frau, mit allem was dazu gehört, All die tausend bunten Erinnerungen aus fast 20 Jahren, die unausgesprochenen Wünsche und Ängste, die farbenprächtigen Gedanken und einen selbstbewussten, unberechenbaren Charakter. Unmöglich, all dies in Worte zu fassen, denn wie soll man mit wenigen Worten die ganze Welt beschreiben? Unmöglich all das mit in die Realität zu nehmen. Nebelige Schleier legten sich auf all die eben noch so echten Traumbilder. Beinahe schien der Mond etwas spöttisch zu schmunzeln, als wollte er sagen:
“Na, hast du Narr wieder geglaubt, du könntest dein Leben beliebig austauschen wie die Bücher einer Bibliothek?“
Jan nahm es dem kalten Himmelskörper nicht übel, denn was verstand der schon vom Leben. Bestimmt war er bloß neidisch, weil er selbst nichts dergleichen kannte. Und trotzdem - die Erkenntnis aufgewacht zu sein schmeckte bitter. Teilnahmslos ließ Jan seinen Blick über das farblose Durcheinander seines winzigen Zimmers schweifen und merkte kaum, dass er aufstand und ins Badezimmer ging. Grelles Krankenhauslicht, so unangenehm, dass es schon wieder zu absurd war um wirklich zu stören, ergänzte sich mit dem komplett in weiß gekachelten Raum zu einer irgendwie beruhigend unnatürlichen Umgebung. Ein irritierender Gedanke, doch immerhin mit der mehr als wagen Aussicht, noch immer im Traum zu sein. Aber Jan wusste nur allzu gut, die Realität kannte keinen Halt. Einmal in sie hineingeworfen, greift sie um sich wie ein heran preschender Reiter, der auf seinem Weg alles in eine riesige Staubwolke verwandelt. Beinahe hörte er das dumpfe Klopfen der Hufe im Sand.
Der klare Spiegel zeige ihm sein Bild, unverfälscht, unbeschönt.  Nach einer Weile, einem Augenblick nur, wunderte er sich, was er hier im Bad eigentlich wollte, ärgerte sich darüber hergekommen zu sein und wollte gerade wieder gehen, als hinter ihm aus dem Schatten des Flures Malte auftauchte. Im Gegensatz zu Jan besaß er bereits alle typischen Merkmale erwachsener Männer. Warum schlief er noch nicht? Hatte er wieder viel zu tun und sich in seinem Arbeitszimmer mit Kaffee wach gehalten? Warum sonst sollte er noch komplett angekleidet sein? Jan registrierte derlei Dinge bloß ohne sich darüber wirklich zu wundern.  Er kannte Malte längst gut genug, um nicht mehr ständig daran denken zu müssen, wie schön er ihn doch nach wie vor fand. Stattdessen beobachtete er das Geschehen, als befände er sich noch weit weg, selbst dann noch, als Malte mit selbstsicherem, lächelnden Blick bis dicht hinter ihn heran trat, ihn durch den Spiegel anschaute und seine Arme berührte. Wie warm seine Hände sich anfühlten. Oder war Jans Haut bloß so kalt?.
„ Kannst du nicht schlafen?“ fragte Malte mit einem  Ton, der verriet, wie wenig er sich eine erklärende Antwort erhoffte. Wie sollte er ahnen, dass Jan noch immer den Klang der Kamelsglöckchen im Ohr und den heißen Wüstenwind auf der Haut hatte? Ausdruckslos blickte er den Mann an. Ein Außenstehender würde meinen er schliefe mit offenen Augen oder stünde unter irgendeiner Betäubung. Aber Malte fasste ihn etwas fester bei den Oberarmen. Das Gefühl kam fast plötzlich, doch nicht erschreckend zurück, der Traum entglitt entgültig.
„Komm mit mir...“ schlug  er leise aber bestimmt vor. Und, ja, natürlich würde Jan ihm folgen. So, wie er es immer getan hat und so wie einfach alles dem Willen dieses schönen Mannes nachgab - ein reizender Gedanke der sich mit erstaunlicher Kraft einen einnehmenden Platz in Jans Kopf verschaffte und ihm ein kaum wahrnehmbares Lächeln entlockte.


Zwei Spatzen stritten sich lautstark vor dem Fenster und die schwachen Sonnenstrahlen erreichten das Bett. Jan blinzelte ins Tageslicht, warf einen Blick auf Maltes nostalgischen Wecker und fand, dass halb 10 eine vernünftige Zeit zum Aufstehen war. Mit der knisternden Toastbrottüte in der Hand, aus der er zwei Scheiben holte, las er den gelben Zettel, den Malte ihm auf dem Küchentisch hinterlassen hatte. Eine langweilige Liste von Erledigungen. Nun ja, als wichtiger Produktmanager hat man eben wenig Zeit, dachte Jan und stellte sich vor, wie Malte einem Bus hinterher rannte, rufend und seinen Koffer schwenkend.

Auf der Staffelei im hellen Dachgeschosszimmer wartete aber auch auf ihn Arbeit. Das Bild stand dort schon so lange wie kein anderes jemals zuvor. Es wollte weder gelingen, noch vorankommen oder aufgegeben werden. Aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund hing Jan an diesem Kopf aus kalten Blau- und Violetttönen.
Malte mochte das Bild nicht. Fast jedes Mal wenn Jan sich wieder daran machte, neue Farben für diesen Kopf zu mischen, musste er daran denken, was Malte einmal gesagt hatte:
"Du hast schon viel schönere gemalt. Das mit dem Impala zum Beispiel, oder das Märchenbild, dass du verschenkt hast." Deutlich sah er noch immer Maltes abschätzenden Blick, der eindeutig verriet, wie unwirtschaftlich und dumm er es fand, ein Bild einfach so zu verschenken.
"Hättest du ihr doch lieber diesen Kopf geschenkt, den hätte sie bestimmt auch toll gefunden, so wie er jetzt ist. Dann hättest du das Märchenbild auf der letzten Ausstellung bestimmt für 1000 Euro verkaufen können."
Was sollte Jan dazu schon sagen? Angesichts derartiger Äußerungen zog er es vor Malte einfach zu ignorieren, wenn auch leicht genervt. Er legte die Mischpalette auf den Stuhl, wo sie dann auch den Rest des Tages blieb.
 
Am Abend kehrte Malte heim. Er stellte seine Tasche neben das Regal, hing das Jackett an den Haken, löste die Krawatte und die oberen Hemdknöpfe. Wie gewöhnlich setzte er sich an den kleinen Küchentisch und ließ sich einen Teller mit fertigem, warmen Mikrowellenssen bringen, alles ohne ein Wort, abgesehen von belanglosem :Wie gehts? Alles in Ordnung?
Jan erzählte irgendetwas. von flüchtigen Neuigkeiten aus der Stadt oder eventuellen Anrufen oder angekommenen Paketen oder einfach von der Nachbarskatze. Dabei beobachtete er den Mann ihm gegenüber genau und dachte: Was für eine Verschwendung, dass ein so schöner Mann ein so ödes Alltagsleben hat und es noch nicht einmal ändern will. Möglicherweise sitzt er noch mit 80 Jahren jeden Abend so vor seinem Teller. Dann lebe ich bestimmt nicht mehr. Und er wird ganz schön griesgrämig sein, so wie der Alte in der Weihnachtsgeschichte vielleicht...
Nach dem Essen aber, wenn er sich etwas entspannt hatte und sich im Bad um sich selbst kümmern konnte, wurde Malte wieder lebendiger.  

„Hast du an dem Bild weitergemalt?“ fragte er aus dem Badezimmer heraus und spülte dann mit rauschendem Wasser die Zahnbürste aus.
„Nein.“
Malte knipste das Licht aus und betrat das Schlafzimmer. Er schloss das gekippte Fenster.
„Das ist nicht gut.“
„Weiß ich...“
Malte stieg ins Bett, kalt aber angenehm duftend.
„Wir sollten mal sehen, dass wir wieder eine Ausstellung organisieren. Das gibt dir vielleicht mehr Antrieb, meinst du nicht?“
„Ja, kann schon sein...“
„Du träumst einfach zu viel. Aber ich befürchte das willst du gar nicht ändern, hab ich recht?“
Jan wusste es selbst nicht so genau.
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Brita A.
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Beitrag04.06.2014 15:10

von Brita A.
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Hallo Rodion,

Kleinigkeiten nur:

- runden Vollmond ?  Ist Vollmond nicht immer rund? (Redundanz)
- warum Milch statt Wasser ?!
- zarten, schönen Hand - reicht nicht zart, schön ist so relativ und für mich oberflächlich
- Fliesen in den Gedanken - kann ich nicht richtig verstehen...
- die Realität kannte keinen Halt. - verstehe ich auch nicht, ist nicht der Traum das haltlosere

Sind Jan und Malte ein Paar oder "nur" Freunde?


Frohes Schaffen weiter :-) !
LG, Brita


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Rodion
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Beitrag04.06.2014 18:06

von Rodion
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Hallo Brita

klar, runder Vollmond ist quatsch
Milch, weil Milch sinnlicher, nahrhafter, weiß und rein u.s.w. ist. Weil Milch insgesamt, wie soll ich sagen, voller, leckerer, anziehender ist als Wasser. Aber so richtig erklären kann ich das gar nicht, weil es einfach aus dem Bauch heraus geschrieben wurde, oder sagen wir besser, nach dem Bild, was ich so im Kopf hatte.
schön, hast recht, das Wort ist nicht so gut
Fliesen, na ich meine das Gefühl, das man hat, wenn man über angenehm kalte Fliesen geht, über kleine farbige kacheln mit der Hand streicht oder einfach nur ein tolles Muster bewundert oder es nur im Hintergrund eines Bildes wahrnimmt.
Die Realität kennt keinen Halt, wenn man dabei ist aufzuwachen, denn dann kommt ja die Realität unaufhaltsam. Halt im sinne von Stopp also.

Jan und Malte sind kein richtiges Paar, es ist so, dass Jan sich von Malte aushalten lässt. Sie wären sicher nicht "befreundet", wenn der eine nicht viel Geld und der andere nicht so eine Vergangenheit gehabt hätten. Trotzdem mögen sie sich auch, so ists ja nicht...


LG, Rodion
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saher
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Beitrag11.06.2014 14:16

von saher
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Wow!

Komplizierte Geschichte, aber WOW! Eine wunderschöne Idee, die du da im Kopf hast und eine komplexe noch dazu. Da trifft es einen doch direkt wie ein Blitz: Da ist immens was drin, an Potential!
Das ist dir sicher ohnehin schon längst klar - wahrscheinlich seit dich die Idee umgehauen hat. Bei solchen Wahnsinnsideen hat nur leider der Autor - du - den Nachteil, dass wir - die Leser - nicht in deinem Kopf sind. Wenn du deine Idee als zu Papier bringst, gerade eine, die's echt wert ist: Nimm dir Zeit, für jeden Satz, für jedes Wort, wenn nötig. Die Idee hat's verdient! Auch der liebe Konrad D kann an mancher Stelle durchaus befragt werden. Wie war noch gleich ein Synonym für ... Deine Idee hat etwas poetisches, starkes, sie verdient die beste Wortwahl.

Dein Schreibstil an sich ist packend. Nicht der Stil, nur ab und an der Ausdruck sind irritierend, aber daran wirst du wohl von dir aus noch ein bissl was machen.
                                           Daumen hoch²

Weiter so. Die Überarbeitung...klar, die wird es nochmal in sich haben, aber das ist bei uns allen so. Frag mal rum... sogar gestandene Bestsellerautoren, wie zB Eschbach, geben zu, dass das den Haupteil der Arbeit ausmacht... Sad
Alles Gute für die weitere Entwicklung und: Schön dranbleiben, wenn die Überarbeitung ansteht!
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Rodion
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Beitrag11.06.2014 17:40

von Rodion
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Hallo saher

Es freut mich sehr, dass dir die Geschichte so gefällt. Deine vielen positiven Worte haben meinen Optimismus wieder vergrößert. Danke.
Aber ich muss das ganze wohl ganz anders angehen. Einen anderen Anfang finden oder so. Dranbleiben werde ich auf jeden Fall.
Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast

LG, Rodion
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