kein muezzin im museum

[Perry]

kein muezzin im museum

I

da steht einer vor der wand nah
dem hygrometer starrt auf das bild
bricht in staunen aus weil ihm das

was er sieht nachts im traum erschien
vielleicht war‘s ja auch ein deja vu

es knirscht als er den kopf verdreht

II

neben der tür sitz einer auf dem stuhl
scheint uniformiert dahin zu dämmern
zumindest nickt er immer wieder mal

den vorbeigehenden zu scheinbar ein
leichtes verdienen wäre da nicht

die ständige angst den job zu verlieren


III

ich sehe auf dem bild eine karawane
elefanten mit auffälligen spinnenbeinen
die den boden spitz behaken darüber licht

wie ein universelles tor in fiktive weiten
bedroht von dunklen staubsturmwolken

winzig der mensch an der führungsleine

IV

ich suche nach weiteren anhaltspunkten
in dalis prozession pagoden türme und
pyramiden schweben über grauen rücken

einen muezzin scheint‘s nicht zu geben
keiner ruft hier zum salāt stumm auch

die skulpturen am rand des geschehens

V

da beginnt der stehende zu beten
wiegt den körper in sanftem schwingen
und aus seinen ohren wachsen rüssel

tropeten den untergang von jericho
die mauern sind gefallen auf dem bild

bleiben ruinen mahnverweht zurück

VI

der auf dem sessel kreist die schultern
sucht in den taschen nach bonbons
taxiert mich heimlich fotografierend

mit einem verwarnenden blick bilder
von salvatore gibt’s an der kasse

blitzlicht stört meditatives schauen


VII

kurz vor schluss der öffnungszeiten
rieselt sand aus dem bild aufs parkett
formt eine aufstiegsrampe zum rahmen

der betende fädelt in die wanderreihe
und der wärter schreibt fegend ins buch

ein kleines malheur bei den surrealen

[Aranka]

Perry, nur eine erste kurze Rückmeldung: der Besuch einer Dali Ausstellung in sieben Gedankensequenzen spricht mich sehr an.
Der Einstieg über ein mögliches Traum deja-vu, das Streifen des realen Raumes, das kurze Wahrnehmen des Aufsehers, das Wandern in einem Bild, welches dann lebendig wird, die Rückkehr zum Aufseher, das Heraustreten aus der surrealen Ebene mit einem humorigen Schluss-Schlenker. Wieder in der Realität.

Was mir auch gefällt ist der entspannte Erzählton und die gute Arbeit mit den unterschiedlichen Perspektiven. Hinzu kommt eine gute äußere Formgebungen, die konsequent eingehalten wird und für mich sehr gut zum Inhalt passt. Bin hier gerne mit dem Text mitgegangen.

Liebe Grüße Aranka

[Perry]

danke für die erste Einschätzung.
Das Ineinanderfließen von Perspektiven sowie der Realität und der Fiktion sind reizvolle Ansätze, auch für lyrisches Betrachten.
LG
Perry
PS: Sehe gerade, dass dem "trompeten" ein "m" verlorengegangen ist.

[Rosemary]

Hallo Perry, ich befinde mich gerade im Museum von Dali und staune, wieviel Bilder hast du hier ausgestellt. Ich weiß nicht ob ich genug Worte finde um es zu beschreiben. Also diese Verhältnis zwischen Realen und Surrealen im Kontext zum Dali Kunst hast du hervorragend geschildert und den Kontrast dazwischen I Teil, als "Hydrometer" und ein "deja vu". (auch die Wortspiele) Dann kommt die nackte Wirklichkeit Teil II. III Teil ist ein Hammer, die Bildbeschreibung,...eine Karawane ..dann "wie ein tor in fiktive weiten..winzig der mensch an der führungsleine, es ist großartig. "Ich suche nach Anhaltspunkten, Teil IV,... einen Ausrufer gibst nicht, die Skulpturen stehen nur am Rand des Geschehens. Dann kommt noch schlimmeres die Mauern fallen, das Beten beginnt. Der VII Teil, es formt sich eine Unebene, die schlechte Stunde kommt? ob das Wirklich oder Surreal ist? Ich hab das nach mein Gefühl gelesen, auf jeden Fall es ist ein sehr starker Text mit vielen Extras, danke liebe Grüsse Rosemary

[Perry]

sich auf Dalis Bilder einzulassen ist ein Wandeln auf dem Grat der Unmöglichkeiten und doch gibt es nichts Schöneres als die Fantasie mit den Bildern schweifen zu lassen.
Danke fürs Einlassen auf die Stationen und natürlich das "großartig."
LG
Perry

[firstoffertio]

Das ist ungewöhnlich lang von dir, aber auch ich finde dieses Gedicht stark.
Jeder Teil verwurstelt das Bild und die Realität auf neue, subtile Weise, dabei wirkt das Reale so surreal wie die Kunst. Und das Surreale ein kleines Malheur.  Da ist nichts zu viel oder zu wenig.

[Ronaldo]

Toller innerer Dialog, die Formatierung ist so luftig-elegant wie der Inhalt und die Pointe ein wahrhaft punktgenaues I-Tüpfelchen.

Ronaldo

[Perry]

Hallo firstoffertio,
danke für die Einschätzung und das "stark."
Die Länge war hier den verschiedenen Blickwinkeln geschuldet.
LG
Perry

Hallo Ronaldo,
die intensivste Unterhaltung führt man mit sich selbst, sie kann aber an reale Grenzen führen.
Danke fürs "punktgenaue I-Tüpfelchen."
LG
Perry