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jim-knopf
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Beiträge: 3974
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Goldene Feder Lyrik


Beitrag11.09.2009 16:12
Was ist ein Gedicht?
von jim-knopf
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Was ist ein Gedicht?


Was ist eigentlich Lyrik? Oder was ist eigentlich ein Gedicht? Keine einfache Frage, wenn man mal darüber nachdenkt. Zwar haben sich eine ganze Horde von Literaturwissenschaftlern und Lyrikern schon darüber den Kopf zerbrochen, zu einer allgemein anerkannten, klaren Definition sind sie dabei aber nicht gekommen.

Nun, woran könnte das liegen?

Lyrische Texte existieren seit mehreren tausend Jahren. Man denke dabei beispielsweise an die Psalmen aus dem alten Testament oder an die Dichter des antiken Griechenlands. In dieser langen Zeit haben sich eine Menge verschiedener „Spielarten“ der Lyrik herausgebildet. Ihre Unterschiedlichkeit macht es so schwer, eine Definition zu finden, die alle Arten von Gedichten einschließt.

Ein Versuch der Annäherung:

Es gibt eine ganze Reihe von Eigenschaften, die auf einen Großteil aller existierenden Gedichte zutreffen. Keineswegs aber auf alle.
Eine Auswahl:

Liedhaftigkeit:

Der Begriff der Lyrik leitet sich bekanntlich von dem altgriechischen Wort „Lyra“ ab. Was nahe legt, dass die lyrischen Texte der damaligen Zeit auf diesem Instrument dargeboten wurden. Schon rein von der Begrifflichkeit her steht also das Gedicht dem Lied sehr nahe. Leider trifft diese Singbarkeit von Gedichten vor allem auf viele Texte der Moderne nicht mehr zu. Man denke nur an die ungereimten, metriklosen „freien Verse“ von Brecht, Celan, Domin, u.a.   

Kürze:

Die relative Kürze ist ein Merkmal, dass auf die allermeisten Gedichte zutrifft. Leider ist „kurz“ doch ein ziemlich schwammiger Begriff. Wann ist ein Gedicht nicht mehr kurz? Ist „das Lied von der Glocke“ von Schiller kein Gedicht mehr, weil es 424 Verse hat? Und sind die nur wenige Zeilen langen Kurzgeschichten von Brecht oder Kafka jetzt auf einmal Gedichte? Wohl eher nicht.

Abweichung von der Alltagssprache:

Grammatikalische Abweichungen. Klangliche Besonderheiten (Lautmalerei). Verformung der Wortgestalt. Unübliche Wortstellungen. Nicht zuletzt Reim und Metrum. All dies sind in Gedichten häufig vorkommende Abweichungen von der Alltagssprache. Allgemein kann von einer etwas abgehobenen Sprache sprechen, die wir gerne als „lyrische Sprache“ bezeichnen. Darunter fällt auch die große Bedeutung der Bildlichkeit (Metapher, Symbol, …), sowie der besonders „verdichtete“ Wortgebrauch (Wiederholungen, Variationen, …) in Gedichten. Doch betrachtet man beispielsweise Gedichte von Günther Eich oder Charles Bukowski, so wird einem schnell klar, dass diese Lyriker sich bewusst von der lyrischen Sprache abgrenzen und für ihre Gedichte gerade diese „entgegen gesetzte“ Alltagssprache verwenden.

Versstruktur:

Die allermeisten Gedichte sind aus Versen aufgebaut. D.h., die Verse/Zeilen eines Gedichtes sind durch Zeilenumbrüche voneinander getrennt. Allerdings gibt es auch die etwas schwammige Kategorie der Prosagedichte, die eben keine Zeilenumbrüche besitzen und sich dennoch als Gedichte bezeichnen. Zudem ist es eine Streitfrage, ob ein Text über mehrere Zeilen nicht einfach als ein einziger, langer Vers (Streckvers) bezeichnet werden kann. Geht dieser Text von Jean Paul…

Hinter den Sonnen ruhen Sonnen im letzten Blau, ihr fremder Strahl fliegt seit Jahrtausenden auf dem Wege zur kleinen Erde, aber er kommt nicht an. O du sanfter, naher Gott, kaum tut ja der Menschengeist sein kleines, junges Aug auf, so strahlst du schon hinein, o Sonne der Sonnen und Geister.

(Quelle: Jean Paul. Die nächste Sonne. Werke 2. S.636)  


… nun als Gedicht durch? Oder handelt es sich um einen Prosatext?  

Nähe von lyrischem Ich und Autor

In vielen Fällen besteht eine sehr große Nähe zwischen dem lyrischen Ich im Text und dem Autor. D.h., die im Gedicht zum Ausdruck gebrachten Emotionen sind oftmals die Gefühle des Verfassers selbst.


Die Liste der Merkmale ließe sich weiterführen. Wichtig dabei ist noch einmal festzuhalten, dass keines der Merkmale auf alle Gedichte zutrifft und dass es keine gängige Definition eines Gedichts geben kann, weil stets Gegenbeispiele dazu existieren.

Nun, der eine oder andere wird sich nun – sofern er sich bis zum Schluss durchgequält hat – fragen, was dieses Wissen dem Lyriker in der Praxis nützt. Auf den ersten Blick vielleicht recht wenig. Auf den zweiten Blick im Grunde auch. Aber vielleicht war ja doch jemand mir ein wenig Interesse dabei?

Mir persönlich bleibt noch, einen kurzen Tipp loszuwerden: Wollt ihr schreiben, dann kümmert euch erstmal gar nicht darum, was genau ihr denn da schreibt. Schreibt ihr Lyrik? Ist es Prosa oder einfach irgendetwas dazwischen? Oder etwas ganz anderes? Im Grunde erstmal vollkommen uninteressant. Es geht ums schreiben und nicht im irgendwelche Klassifikationen. Damit kann man sich später expliziter befassen. Und lasst euch von niemandem reinreden, eure Texte können aus dem und dem Grund nicht als Lyrik durchgehen. Denn: Was ist schon dabei, wenn es keine Lyrik ist? Und da es sowieso keine Definition von Lyrik gibt (siehe oben), kann dieser Kritiker von vornherein nicht erst genommen werden. Einfach sein Ding machen und die Frage "Ist das Lyrik, ist das keine Lyrik?" einfach gar nicht erst stellen.


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