Lyrikbände, Anthologien und andere Gedichtsammlungen

[Brynhilda]

Stimmen im Kanon
Deutsche Gedichte, ausgewählt von Ulla Hahn
(Erschienen im Reclam Verlag, Stuttgard, 2003)

Dieser Band enthält eine Sammlung von Gedichten, die sich quer durch die deutsche Literaturgeschichte zieht. Sie beginnt mit den anonymren Dichtern des Mittelalters und endet in der Gegenwart.
Jeder Dichter, der mit einem Gedicht vertreten ist, wird in einer Kurzbiographie vorgestellt.

Die Sammlung ist spannend und ausgewogen. Über die Lücken kann man leicht hinwegsehen. Aber gerade der Neuling auf den Spuren der Literaturgeschichte findet hier einen Wegweiser und gute Hinweise zum weiteren Lesen.
Und wer Freude an Gedichten hat, findet sicher auch, was er sucht.

Das recht kleine, stabile Format (Leineneinband mit Schutzumschlag) machen das Buch zu einem idealen Begleiter für unterwegs.
Eine durch und durch lohnenswerte Lektüre.

[Brynhilda]

DOPPELINTERPRETATIONEN
Das zeitgenössische deutsche Gedicht zwischen Leser und Autor
Herausgegeben von Hilde Domin
Erschienen bei Fischer Taschenbuch Verlag GmbH Frankfurt, 1966

Dieses Buch ist mehr als eine einfache Anthologie. Es ist ein Experiment und eine Studie zugleich.
Zweiunddreißig Gedichte von zweiunddreißig Gedichte sind hier, unter der Federführung von Hilde Domin, zusammengetragen worden. Und jedes einzelne Gedicht ist mit zwei Interpretationen versehen. Eine stammt vom Verfasser des Textes, die andere von einem der anderen Mitautoren.
Dem Leser, als Drittem im Bunde, wird somit auf jedes Gedicht ein zweifacher Blick gestattet - zum einen aus dem Inneren, und der Blick von außen ins Innere hinein.
Jede Interpretation ist ein Werkstattbericht, der zum Denken anregt.
Jedes Gedicht wird geradezu zu Glas.

Der an Lyrik interessierte Leser stößt hier auf Anregungen und Gedankenspiele, die den Blick auf Lyrik und Poesie grundlegend verändern. Wer selbst schreibt, findet sich vielleicht wieder in den Berichten, oder er oder sie erhält Anregungen für die eigene schöpferische Arbeit.
Auf

Auf jeden Fall wird die Lektüre den Blick des Lesenden auf das, was Lyrik und Poesie ist und sein kann, zumindest beeinflussen.
Es lohnt sich, jedem Gedicht einen weitere Gedanken zu widmen.

[Rennschnitzel]

Messer
von Till Lindemann
mit Fotografien von Gert Hof

Eine beeindruckende Gedichtauswahl, von den einen genau so sehr geliebt, wie von den anderen verachtet. Sie sind mir eine sehr große Inspiration (allerdings nicht bei Lyrik - ich schreibe keine) und sollten in einer guten Lyrikauswahl auf keinen Fall fehlen.

Die Gedichte sind zum Teil sehr kurz und prägnant gehalten, doch die überwiegende Mehrheit ist ausschweifend, wortgewandt und lässt viel Interpretationsspielraum.

(Nur am Rande - ist es eigentlich zulässig wenn ich jetzt einfach eins der Gedichte aus dem Buch hier reinsetze?)

[Brynhilda]

MENSCHHEITSDÄMMERUNG
Ein Dokument des Expressinismus
neu herausgegeben von Kurt Pinthus
(Erschienen bei Rowolths RoRoRo Klassiker, Ernst Rowolth Verlag, Berlin, 1920)

Ein Standart-Werk!

Der Expressionismus war die letzte große Blütezeit der deutschsprachigen Literatur. Niemals wieder sind Dichter zusammen gekommen, die mit solcher Kunstfertigkeit und und solcher Schöpferkraft lebten und schrieben.
Man denke an die großen Namen: Else Lasker-Schüler, Geork Trakl, Gottfried Benn, Franz Werfel, Johannes R. Becher.
Nur der romantik war es zuvor gelungen, Dichter solchen Ranges hervorzubringen.

Was Expressionismus ist, was diese Richtung der Kunst vor anderen auszeichnet, wonach die Dichter, die sich diesem Stil verschreben strebten, all das läßt sich nirgends besser erleben und nachfühlen als in der grandiosen Sammlung "Menschheitsdämmerung".

Die Lektüre dieses Bandes wird vor allem eines lehren: Wahre Kunst verliert niemals ihre Lebendigkeit. Wenn auch die Zeiten sich ändern, daß, was unsere Herzen zum Klingen bringt, wird immer der gleiche Schmerz sein.
So berührt an den Gedichten des Expressionismus heute vor allem, daß diese Gedichte noch immer aus jeder fühlenden Seele zu sprechen scheinen.

[scriptor]

... neben den Doppelinterpretationen, die Hilde Domin herausgegeben hat, würde ich auch noch das Buch
"Wozu Lyrik heute?" erwähnen...
...etwa in diese Zeit gehört auch:
Heinz Piontek, Männer die Gedichte machen...
...um dann  zu den neueren Stimmen zu gehen:
Joachim Sartorius, Minima Poetica
Raoul Schrott, Die Erde ist blau wie eine Orange
(wobei beide in ihren Gedichten die eigenen Thesen so gut wie nicht beachten - merkwürdig)...
...und zur Erheiterung zwischendurch:
Jakob Stephan, Lyrische Visite...

...Anthologien mag ich nicht besonders - aber zwei scheinen mir dennoch erwähnenswert:
Harald Hartung, Luftfracht - Internationale Poesie 1940 - 1990
Joachim Sartorius, Atlas der neuen Poesie...

[Brynhilda]

DIE ERFINDUNG DER POESIE
Gedichte aus den ersten viertausend Jahren
verfaßt, übersetzt und herausgegeben von Raoul Schrott
erschienen im Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 1998.

Die Menschheitsgeschichte als Literaturgeschichte.
Der Dichter Raoul Schrott begibt sich auf eine Zeitreise durch die Welt der Poesie. Er beginnt mit den ältesten überlieferten poetischen Fragmenten der Babylonier. Und der Weg, der zu den antiken Griechen und Römern, den Arabern, den Kelten, und der jüdischen Poesie des 11. Jahrhunderts führt, endet bei den Walisern des 14. Jahrhunderts.

Man kann dieser Sammlung anlasten, daß sie wesentliche Elemente gerade der mitteleuropäischen Literatur vermissen läßt (man denke an die Merseburger Zaubersprüche), doch liegt ihre Stärke darin, daß sie auch den nahen und mittleren Osten, der, vielleicht mehr als das hellenistische Griechenland, die Wiege unserer Kultur ist, in sich aufgenommen hat.

Ein Buch, lehrreich und unterhaltsam zugleich. Es enthält babylonische Psalmen zum Lobe der Ischtar ebenso wie die Gesänge der Druiden und die Gassenlieder der Römer.

[Brynhilda]

METAMORPHOSEN EINES DICHTERS
Johannes R. Becher
Gedichte, Briefe, Dokumente, 1909 - 1945
(erschienen bei: ATV - Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin, 1992)

Die Expressionisten schätzten ihn als den Begabtesten unter ihnen. Er ging durch die Hölle von Sucht und Depression, und in seinen Werken treffen sich Tradition und Moderne in grandioser Harmonie.
Johannes R. Becher ist ein facettenreicher, genialer, außergewöhnlicher Dichter, und vielleicht einer der wirklichen Großen des vergangenen Jahrhunderts. Seine Sonette und Gedichte stehen den großen Poemen von Rilke und George in nichts nach. Er war ein Dichter und ein Meister, ein Getriebener, ein Suchender.
Viel von seiner genialistischen Aura verlor er, als er nach 1949 zum Nationaldichter der DDR und des SED-Regimes avencierte. Doch auch da bewahrte er sich immer seine künstlerische Intensität und Integrität, und auch aus seinen "regimetreuen" Texten sprühen noch immer die Funken expressionistischer Größe.

In dem hier von mir beschriebenen Band wurden verschiedene Texte aus Bechers Feder zusammengestellt. Man findet hier Gedichte, Briefe und Essays. Nicht nur mit Dichterfreunden stand er in Korrespondenz, auch mit Menschen wie Willy Bredel oder Wilhelm Pieck.
Somit ist dieser Band auch ein Stück Zeitgeschichte.
Heutzutage ist es schwer geworden, an Bechers Werke heranzukommen. Aufgrund seiner kommunistischen Vergangenheit wird er kaum oder nur selten noch aufgelegt. Das ist schade.
Aber dieser Band "Metamorphosen eines Dichters" ist ein kleiner Trost für alle, die wissen, daß wahre Kunst über jeglicher Art von Weltanschauung steht.

[Brynhilda]

SELBSTMÖRDER-ZIRKUS
Russische Gedichte der Moderne
Herausgegeben von Alexander Nitzberg
(erschienen bei: Reclam Verlag Leipzig, 2003)

Die Russischen Futuristen sind ein feststehender Begriff in der Literatur. Sie waren die Revolutionäre der Dichtung. Mit dem Feuer und dem Elan der Revolution von 1917 strebten sie voran, und sie zerbrachen am Elend des stalinistischen Terrors.

In diesem Buch sind alle großen Namen jener Zeit versammelt: Jessenin, Majakowskij, Achmatowa, Mandelstam und viele andere.
In sehr guter Übersetzung werden die Gedichte dargeboten und jeweils durch kurze, aber intensive und sehr tiefgründige Erläuterungen zu dem jeweiligen Dichter ergänzt.

Ein interessantes Stück Literaturgeschichte.
Revolutionäre Lyrik auf erstaunlich hohem ästhetischen Niveau.
Das sollte nicht vergessen werden.

[Brynhilda]

WEST-ÖSTLICHER DIWAN
Johann Wolfgang von Goethe
(erschienen bei: Insel Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1987)


Ein Klassiker.

Pflichtlektüre!

[scriptor]

Karl Otto Conrady, Der neue Conrady - Das große deutsche Gedichtbuch, Artemis & Winkler 2000, ISBN 3-538-06894-1
(m.W. die umfangreichste Anthologie deutschsprachiger Gedichte / 1307 Seiten!)

[Brynhilda]

Deutsche Lyrik in 10 Bänden - Von den Anfängen bis zur Gegenwart
(Diverse Herausgeber)
Erschienen bei: DTV - Deutscher Taschenbuchverlag München GmbH&Ko. KG, September 2001

Dies ist wohl eine der umfassendsten Sammlung deutscher Lyrik, die es gibt. In zehn Bänden zieht sich die Sammlung, beginnend bei den Merseburger Zaubersprüchen, bis hinein in die Gegenwartslyrik.
Eine Sammlung von Schätzen, in denen man viel entdecken kann, und die auch davon lebt, daß man nicht nur den großen Namen begegnet.

[Brynhilda]

Hilde Domin
"NUR EINE ROSE ALS STÜTZE"
Erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main, 2001
ISBN: 3-596-12207-4 (Preis: ca. 6.90 Euro)


NUR EINE ROSE ALS STÜTZE

Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Aktobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des ZWeiges.

Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheiltende Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehen.

Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere.
Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.

Aber ich liebe in Vogelfederm, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze

[Brynhilda]

Hilde Domin
"Hier"
Erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main, 1993
ISBN: 3-596-12206-6 (Preis: ca. 5.90 Euro)



SCHÖNER

Schöner sind die Gedichte des Glücks.

Wie die Blüte schöner ist als der Stengel
der sie doch treibt
sind schöner die Gedichte des Glücks.

Wie der Vogel schöner ist als das Ei
wie es schön ist wenn Licht wird
ist schöner das Glück.

Und sind schöner die Gedichte
die ich nicht schreiben werde.

[Brynhilda]

Hilde Domin
"DIE RÜCKKEHR DER SCHIFFE"
Erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main, 1994
ISBN: 3-596-12208-2 (Preis: ca. 5.90 Euro)



NUR ZEUGEN

Diese entblätternde Blume,
Sensucht,
ins Zeitlose
so langsam
fallend.

Der Schmerz
mit der durchschnittenen Nabelschnur,
gestern noch heilbar,
heute schon weit
im Niewieder.

Nichts können wir andern.
nur zusehn,
über dem unbegreiflichen
Vermögen weh zu tun
die Tränen mischend.

[Brynhilda]

Hilde Domin
"ICH WILL DICH"
Erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main, 1995
ISBN: 3-596-12209-0 (Preis: ca. 6.90 Euro)



ABEL STEH AUF

Abel steht auf
Es muß neu gespielt werden
Täglich muß es neu gespielt werden
Täglich muß die Antwort noch vor uns sein
Die Antwort muß ja sein können
Wenn du nicht aufstehst Abel
Wie soll die Antwort
Diese einzige wichtige Antwort
Sich je verändern
Wir können alle Kirchen schließen
Und alle Gesetzbücher abschaffen
In allen Sprachen der Erde
Wenn du nur aufstehst
Und es rückgängig machst
Die erste falsche Antwort
Auf die einzige Frage
Auf die es ankommt
Steh auf
Damit Kain sagt
Damit er es sagen kann
Ich bin dein Hüter
Bruder
Wie sollte ich nicht dein Hüter sein
Täglich steh auf
Damit wir es vor uns haben
Dies Ja ich bin hier
Ich
Dein Bruder
Damit die Kinder Abels
Sich nicht mehr fürchten
Weil Kain nicht Kain ist
Ich schreibe dies
Ich ein Kind Abels
Und fürchte mich täglich
Vor der Antwort
Die Luft in meiner Lunge wird weniger
Wie ich auf die Antwort warte

Abel steh auf
Damit es anders anfängt
Zwischen uns allen

Die Feuer brennen
Das Feuer das brennt auf der Erde
Soll das Feuer von Abel sein

Und am Schwanz der Rakete
Sollen die Feuer von Abel sein

[Brynhilda]

Gerade heute flog mit einem Buch-Katalog folgender Literaturhinweis in meinen Postkasten. Da er wie die Faust aufs Auge zur Lektion 12 dieser Lyrikwerkstatt paßt, muß ich ihn hier unbedingt festhalten:

Das Balladenbuch
Herausgegeben von Fran T. Zumbach
608 Seiten, Gebunden
erschienen im Verlag Albatros für 14,95 Euro

Der Albatros-Verlag ist einer jener Zweitverwerter-Verlage, die gute Bücher zu angemessenen Preisen publizieren.
Für den, der noch nicht allzu viele Bücher mit Gedichten etc. besitzt, ist das Buch sicher eine gute Anschaffung.

[Pinta Oleander]

Empfehlen kann ich den Band "Guillaume Apollinaire" von André Billy, übersetzt von Gerd Henninger und Lothar Klünner (ausgewählte Gedichte und eine Biographie). Erschienen beim Luchterhand-Verlag, Berlin.

[jim-knopf]

hatten wir das schon:

Deutsche Lyrik vom Barock bis zur Gegenwart

http://www.amazon.de/Deutsche-Lyrik-vom-Barock-Gegenwart/dp/3423123974/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1243513991&sr=8-1

Elf Euro sind ein ziemlich erschwinglicher Preis für ein Buch mit über 300 Gedichten, die vom Barock bis zur Gegenwart alle Themen und Motive der Lyrik der neueren deutschen Literatur repräsentieren.

Eine kleine Auswahl der Lyriker:

Andreas Gryphius
Friedrich Gottlieb Klopstock
Johann Wolfgang von Goethe
Friedrich Schiller
Johann Christian Friedrich Hölderlin
Clemens Brentano
Joseph Freiherr von Eichendorff
Heinrich von Kleist
Heinrich Heine
Annette Elisabeth Freiin von Droste-Hülshoff
Theodor Storm
Theodor Fontane
Wilhelm Busch
Arno Holz
Stefan George
Hugo von Hoffmannsthal
Rainer Maria Rilke
Christian Morgenstern
Else Lasker-Schüler
Gottfried Benn
Georg Heym
Bertolt Brecht
Herman Hesse
Erich Kästner
Kurt Tocholsky
Günter Eich
Paul Celan
Günter Grass
Erich Fried
Ernst Jandl
Hans Magnus Enzensberger
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