18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Von Regenschirmen und Männern auf Einrädern


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
PaperSkin
Schneckenpost
P


Beiträge: 8



P
Beitrag14.11.2012 04:05
Von Regenschirmen und Männern auf Einrädern
von PaperSkin
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Edit: Lasst euch bitte nicht von der Länge des Textes abschrecken ^^'




Kennst du diese Tage, die Dir den letzten Nerv rauben? Die Dir alles, was Dich zerstört, zumuten? An denen Du am besten gar nicht aufgestanden wärest? Die Dich fertigmachen? An denen du alles anzweifelst und alles über den Haufen werfen willst?
Nun, Du bist nicht alleine. Es gibt so viele Menschen, denen es genauso geht wie Dir. Doch manche fühlen sich jeden Tag so. Es zerstört sie und es zerreißt sie. Lässt sie erblinden, abstumpfen und macht sie ohnmächtig.
Es gibt auch diese, die sich allem verschließen und aufhören, sich zu kümmern. So machen sie es sich leichter. Sie schalten ihre Gefühle ab. Zerstören sich selbst so weit, dass sie kaum noch etwas wahrnehmen.
Jeder fühlt sich einsam. Du, die Ohnmächtigen, die Verzweifelten und auch die emotionalen Trümmerhaufen. In einer Gesellschaft wie dieser kann vielleicht nicht auf jeden Rücksicht genommen werden, da magst Du recht haben. Man kann nicht jeden glücklich machen, aber man kann den Menschen helfen, es zu werden. Sie müssen nur ihre Engstirnigkeit, ihre Mutlosigkeit, ihr Desinteresse, ihre Weltfremdheit und ihr Selbstmitleid ablegen. Aufstehen und ein Zeichen setzen.
Ich bin kein Idealist. Ich glaube an keinen Gott, der uns alle eines Tages retten wird. Ich glaube nicht an ein jüngstes Gericht. Nicht daran, dass die Wissenschaft uns irgendwann den Weg zum Glück weisen kann.
Das alles müssen wir selbst tun. Nicht alleine, aber man darf sich nicht auf das Schicksal oder eine andere höhere Macht verlassen.
Am Ende muss natürlich jeder seinen Weg selbst finden, doch dies sollte niemand im Alleingang tun müssen.

Müde saß Toulouse im Klassenzimmer. Bemüht, sich zu konzentrieren, doch immer wieder schweifte ihr Blick ab und sie sah aus dem Fenster hinaus in den Regen. Die dunkelgrauen Wolken schienen sich wie ein Leichentuch über die Welt gelegt zu haben. Dicke Tropfen prasselten gegen das noch dickere Glas der Fenster, verschmolzen miteinander und flossen in kleinen Rinnsalen an der Scheibe herab.
Ein erneuter Blick auf die Uhr und das Mädchen seufzte leise.
Seit Beginn der Stunde waren erst wenige Minuten vergangen. Vor wenigen Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten, war ihren Klassenkameraden eingefallen, welche Schwierigkeiten die Lehrerin sich hatte, sich durchzusetzen und die Klasse halbwegs im Griff zu haben. Sie hatten begonnen, sich zu unterhalten, doch Toulouse wusste, dass die nur die Ruhe vor dem Sturm war.
Mit halbe Ohr lauschte sie den Gesprächen der anderen. Eines der Mädchen hatte nun einen festen Freund, ein anderes hatte keinen mehr, wofür es eine Menge Mitleid erntete, während es auf übelste Weise über den Jungen schimpfte. Die Jungs unterhielten sich über Durchfall und alle möglichen Farbabstufungen, die dieser annehmen konnte. Und genau als das ließ sich jedes Gespräch in diesem Raum bezeichnen: Geistiger Durchfall.
Wie bin ich nur hierher geraten?, fuhr es ihr durch den Kopf.
Sie hatte weder einen Freund noch Durchfall. Sie redete nicht gerne über Schminke, dir Figur oder Frisur anderer, sah sich keine Castingshows im Fernsehn an. Sie trug auch keine teure Markenkleidung, damit sie dazugehörte. Sie hatte kein teures Handy, das sie stets bei sich trug. Tatsächlich war sie die einzige Schülerin, die ihr Handy im Unterricht ausgeschaltet hatte und es sogar gelegentlich zu Hause liegen ließ, weil sie nicht daran dachte, es einzupacken. Traf sie sich mit jemandem, hielt sie nicht jede ihrer Bewegungen mit einem Foto fest.
Mit anderen Worten: Toulouse war weder cool, noch der Durchschnitt. Sie bezeichnete sich nicht als Teil einer Clique, denn sie hasste solche Gruppen, in denen jeder alles über jeden wusste und dies bei einem Streit bereitwillig unter Beweis stellte.
Deshalb wollte sie auch gar nicht dazugehören. Wenn einer ihrer Klassenkameraden mit ihr sprach, was nur dann geschah, wenn sie ihre Hausaufgaben vergessen hatten, wies sie diese meist mit einem bestimmten "Lass mich in Ruhe!", zurück. Oft musste sie danach mehrere Tage mit bösen Blicken rechnen, doch daran hatte das Mädchen sich bereits gewöhnt. Wenn sie etwas vergaß, dann half ihr auch niemand weiter, doch das verlangte Toulouse gar nicht.
Gerade strich sie sich ein paar lose Haarsträhnen hinter ihr Ohr, als ein Stift sie am Hinterkopf traf und für schallendes Gelächter im Raum sorgte. Dies überging sie. Rechnete stattdessen einfach die Aufgaben auf dem Blatt, das zu Beginn der Stunde ausgeteilt worden war. Sie versuchte es zumindest.
Sich bei einer lauten Geräuschkulisse zu konzentrieren, konnte man lernen, Toulouse war das beste Beispiel dafür, doch mittlerweile war diese "Fähigkeit" eher zu einer Qual geworden, sodass sie zu Hause bei den Hausaufgaben und beim Lernen laute Musik hören musste, da sie sich sonst nicht konzentrieren konnte.
Erneut hörte sie ihre Mitschüler lachen. Wenn sie über sie lachten, dann machte es ihr nichts aus. Es war ihr egal, sie würde sich nicht zu ihnen umdrehen, um herauszufinden, was sie erheiterte.
Erneut stellte sie fest, dass viele von ihnen ein hässliches, hämisches Lachen hatten, das eher zu Hexen oder anderen Bösewichten gepasst hätte als zu Jugendlichen im Alter von vierzehn bis sechzehn.
Doch fühlte sie sich wie ein ganz normaler Bürger zwischen dem Joker, Godzilla, dem Tintenphantom, Cruella Deville und diversen anderen Charakteren. Wobei dies nicht unbedingt ein angebrachter Vergleich war, schließlich fühlte sie sich nicht eingeschüchtert. Eher belästigt.
Eine Weile dachte sie über eine geeignete Beschreibung ihrer Situation nach. Dann über eine treffende Metapher. Leider kam ihr nichts wirklich Angebrachtes in den Sinn.
Verzweifelt versuchte die Lehrerin die Klasse unter Kontrolle zu bekommen. Seit Stundenbeginn mussten nun etwa zehn Minuten, höchstens eine Viertelstunde vergangen sein.
"Wie die Zeit doch vergeht.", murmelte Toulouse und lächelte zynisch. Wie sarkastisch sie doch manchmal sein konnte.
Sie begann, in ihrer Tasche nach einem Taschenrechner zu suchen, während der Lärm an ihr abperlte. Sie saß in einer Glaskugel, die bloß sie, ihren Rucksack und ihr Pult umfasste. Nichts drang zu ihr durch,
theoretisch hätte sie Musik hören können, wäre das nicht so unverschämt wie das Verhalten ihrer Mitschüler gewesen. Und sobald sie etwas tat, das nicht der ruhigen, höflichen Toulouse entsprach, die sie nun mal war, wäre sie kaum mehr als ein Teil des Chaos. All diese Gedanken schob sie beiseite, als sie ihren mit bunten Bildchen beklebten Taschenrechner fand und sich weiterhin um die Aufgaben bemühte.
Schneller verging die Zeit deshalb noch lange nicht.Alle fünf Minuten riskierte sie einen Blick auf die Uhr. Und jedes Mal stellte sie ernüchtert fest, dass nicht mal annähernd so viel Zeit vergangen war, wie sie gehofft hatte. Zwischendurch sah sie zur Lehrerin, der mittlerweile Tränen in den Augen standen.
Auf der einen Seite tat sie Toulouse furchtbar leid. Auf der anderen Seite jedoch fragte sie sich, wie diese arme Frau so sehr ihren Beruf hatte verfehlen können. Es war ihr einfach nicht möglich, sich durchzusetzen. Die junge Frau drehte sich zur Tafel um und schrieb etwas an. Was man nicht sah, war auch nicht da. Diese Logik zeugte von der Verzweiflung der Lehrkraft.
Ihre Mitschüler begannen, Papierkugeln nach ihr zu werfen, einige äfften Toulouses angebliche Verhaltensweisen nach. Erneut fragte das junge Mädchen sich, wo sie gelandet war und was sie getan hatte, um das zu verdienen. Schnell wandt sie den Blick ab und heftete ihn stattdessen wieder auf ihr Blatt mit Aufgaben.
Besonders weit war sie noch nicht gekommen. Sie hatte sich bei diesem Thema schon zu Beginn recht schwer getan und sollte vielleicht ein weiteres Mal Julian, ihren älteren Bruder, um Hilfe fragen, ob er es ihr erklärte.
Schnell wurde ihr klar, dass sie diese Aufgaben alleine nicht bewältigen konnte und dass sie eine Alternative brauchte, die sie bis zum Stundenende beschäftigte. Und zwar so bald wie möglich.
Eine kurze Weile besah sie das Tafelbild, wurde jedoch nicht schlau daraus. Dennoch schrieb sie es ab und sah immer wieder zur Uhr. Wie sie die Zeit doch hasste. Nie tat sie, was man wollte. Sie beschloss, nachdem sie alles in ihrem Heft stehen hatte, zu überprüfen, ob sie überhaupt einen Regenschirm dabei hatte. Dieser lag ganz unten in ihrem Rucksack, sodass sie ihn beinahe übersehen hatte, doch als sie ihn fand, erlaubte Toulouse sich ein erleichtertes Aufatmen.
Was sind die Dinger auch immer so klein.
Mit dem Suchen ihres Schirms hatte sie immerhin gute drei Minuten verschwendet.
Noch eine halbe Stunde, dann hätte sie es endlich geschafft.
Die Gesprächsthemen der anderen waren, wie sie feststellte, noch immer nicht tiefgründiger geworden. Bei den Mädchen standen nun Lästereien im Vordergrund. Es drehte sich um ein Mädchen aus der Nachbarklasse, das Toulouse nur vom Sehen und Hörsagen kannte. Ihr Name war Sophie. Zumindest glaubte sie das.
Sie konzentrierte sich auf die Gespräche der Jungs, es interessierte sie nicht, was wer wann getan hatte und warum alle es so skandalös fanden. Sie hatten ihr Fäkalgespräche beendet und unterhielten sich nun über Videospiele. Allerdings bloß darüber, wo man eine Komplettlösung finden konnte.
Sie verstand es einfach nicht. Wieso sollte jemand etwas Derartiges kaufen und besitzen wollen?
Wenn man alles ganz genau wusste, würde man das Spiel gar nicht erst spannend finden können, so wäre es zumindest bei ihr.
Und so legte Toulouse ihren Kopf auf den Tisch und starrte teilnahmslos hinaus aus dem Fenster. Versank in kleine Träumereien, in denen es möglich war, auch ohne viele 'Freunde' gerne zur Schule zu kommen und in denen sie lernte. In denen Menschen erträglich waren. In denen man eine abweichende Meinung haben konnte, ohne sofort zum Außenseiter zu werden. Und in denen ein nach außen getragenes Gefühl keine Schwäche war.
Sie musste über sich selbst schmunzeln. Was für ein Kitsch das doch war. Es sollte sie eigentlich schon gar nicht mehr kümmern.
"Hey Toulouse!", drang es zu ihr durch ihre Glaskugel hindurch. "Schläfst du?!"
Es waren ihre Mitschüler.
In diesem Moment wünschte sie sich, taub zu sein.
"Hey, bist du taub?!" Schön wäre es. "Spreche ich vielleicht Französisch?!"
Letzteres hatte für Gelächter gesorgt. Was  für ein dummer Kommentar. Sie schloss die Augen und hoffte, dass ihnen bald der Spaß an ihr vergehen würde, wenn sie nicht auf sie reagierte. Sie war nicht da.
Erneut begannen ihre Mitschüler, Gegenstände nach ihr zu werfen. Es waren nicht alle, aber einige. Ein Radiergummi verfehlte ihr Ohr, andere Geräte prallten an ihrem Rücken ab. Sie war nicht da.
Obwohl Toulouse versuchte, ihre Umgebung zu ignorieren, fühlte sie sich wie ein Tier im Zoo, welches von Besuchern mit Stöckchen und Erdnüssen beworfen wurde, damit es für sie tanze oder sie unterhielt. Sie kniff ihre Augen so fest sie nur konnte zusammen. Sie war nicht da.
Jemand war aufgestanden und stand nun neben ihrem Pult. Klopfte mit der Faust auf das zerkratzte und bemalte Holz des kleinen Tisches. Der Lärm, den das Klopfen verursachte, schmerzte Toulouse in den Ohren. War unerträglich für Toulouse, doch sie würde ihm nicht den Gefallen tun und in irgendeiner Form reagieren. Nein, sie würde nicht nachgeben. Sie presste die Lippen zusammen und schluckte. Sie war nicht da.
Immer und immer wieder krachte die Faust des Jungen auf ihr Pult. Jeder Schlag war fester als der vorherige. "Jemand zu Hause?!", rief er.
Nein, sie war nicht da.
Seine Stimme war nicht länger spöttisch. Sein Hohn war Zorn über ihre Ignoranz gewesen. Dabei wollte sie doch bloß ihre Ruhe. Ruhe vor der aus Langeweile entstandenen Boshaftigkeit der anderen.
"Keiner da?!", versuchte er es ein letztes Mal.
Nein, keiner da.
Er musste zurück auf seinen Platz gegangen sein, denn sie wurde den Rest der Stunde weitestgehend in Ruhe gelassen. Nur ab und zu fiel ihr Name in den Gesprächen der anderen. Sie hob den Kopf nicht vom Tisch, hielt ihre Augen auch weiterhin geschlossen. Erwartete das Ende der Stunde wie ein Inhaftierter. Ihre Entlassung, bei der sie alles hinter sich lassen würde. Sie würde nach Hause gehen und abschalten. Mehr wollte sie auch nicht. Vielleicht etwas essen, ihre Hausaufgaben schnell hinter sich bringen und danach vielleicht fernsehen oder ein gutes Buch lesen. Vielleicht auch schlafen. Hauptsache zu Hause.
Es erschien ihr so weit weg, obwohl sie nur zwanzig Minuten Fußweg hatte und somit nicht mit dem Bus zur Schule kommen musste. Sie fuhr auch nicht mit dem Fahrrad. Viel lieber ging Toulouse zu Fuß, um etwas Zeit zum Nachdenken zu haben. Zeit für Tagträumereien. Zeit zum Vergessen und Zeit zum Aufatmen, das einen besonders auf dem Heimweg erleichterte.
Die Gespräche waren nun nur noch ein leises Murmeln im Hintergrund. Genau wie das Trommeln der Regentropfen, die auf die Fensterscheibe herabfielen. Alles war nun ein Hintergrundgeräusch für sie geworden.
Mit dem Klingeln kehrte Toulouse zurück. Eilig packten alle ihre Sachen ein, während sie sich zunächst langsam aufsetzte und gemächlich alles in ihrem Rucksack verstaute, als wäre sie die ganze Zeit in Trance gewesen. Sie klappte ihr Heft zu, alle anderen schulterten bereits ihre Taschen. Gemächlich packte sie ihre Sachen ein, während die übrigen euphorisch nach draußen stürmten. Toulouse zog ihre Jacke an und schlich langsam hinaus auf den Gang, nachdem sie die Stühle noch alle hochgestellt hatte und die Schritte der Schüler, die das Gebäude verließen, schon eine Weile verstummt waren.
Bevor sie hinaus in den Regen trat, holte Toulouse ihren Schirm hervor und versuchte ihn zu öffnen. Doch er klemmte.
So trat sie mit ihrer Tasche, die sie sich über den Kopf hielt, um nicht nass zu werden. Hinaus in den erbarmungslosen und kalten Regen.
Auf dem Schulhof wartete sie mit zur Sporthalle gerichtetem Blick auf Julian. Zwei Minuten vergingen, irgendwann waren es zwanzig. Dann eine halbe Stunde. Die ganze Zeit verbrachte sie draußen im Regen.
Ihr wurde klar, dass ihr Bruder nicht mehr kommen würde.
Toulouse machte sich auf den Heimweg. Sie hatte es nicht besonders eilig, ließ sich also Zeit. Ihre Tasche war ein schlechter Schutz vor dem Regen gewesen, sodass sie nun vollkommen durchnässt war.
In Gedanken versunken trödelte sie nach Hause.
Ein Auto fuhr an ihr vorbei. Eine Fontäne aus schmutzigem, kalten Regenwasser schlug Toulouse entgegen.
Das Mädchen erschrak fürchterlich, fing sich jedoch schnell wieder. Und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie einen schrecklichen Tag gehabt hatte. Ihre Klasse bestand beinahe ausschließlich aus Proleten. Ihr Bruder hatte offenbar nicht auf sie gewartet. Sie war nass und ihr war kalt.
Verzweifelt schlug sie die Hände vors Gesicht und ließ sich langsam auf die Knie sinken. Es kümmerte sie nun nicht mehr, ob man sie sah und auch nicht, dass sie im Dreck hockte. Es machte alles keinen Unterschied mehr für sie, denn sie wollte bloß weg von allem. Weg von ihrer Schule. Am liebsten wäre sie auf der Stelle verschwunden.
Wie ein Häufchen Elend kniete sie auf dem Bürgersteig. Toulouse biss sich auf die Lippen, damit sie nicht den letzten Rest ihrer Würde verlor und begann zu weinen, als jemand mitleidig mit der Zunge schnalzte.
"Dieser Tag ist doch viel zu schön, um zu weinen.", hörte sie eine sanfte Männerstimme sagen. "Auf das schlimmste Unwetter folgen Sonne und ein Regenbogen."
Überrascht sah sie auf. Traute ihren Augen nicht.
Die Person, zu der die Stimme gehörte, bot einen nahezu lächerlichen Anblick.
Nachdem sie mehrfach geblinzelt hatte, realisierte sie, dass der Mann vor ihr in dem mottenzerfressenen und zerrissenen Anzug mit ehemals weißen, nun eher gelblichen Jackett, tatsächlich vor ihr stand. Um seinen Zylinder war es nicht besser bestellt. Am meisten jedoch verwirrte sie, dass er barfuß auf einem Einrad saß und einen löchrigen Schirm über ihr Haupt hielt, obwohl es nun keinen Unterschied mehr machte, denn sie war bereits bis auf die Knochen nass.
Als Toulouse auffiel, dass sie noch immer auf dem Boden saß, rappelte sie sich eilig auf, ehe sie ihn noch einmal von Kopf bis Fuß besah.
Noch immer lächelnd hob er den Schirm über ihr an, damit er ihr nicht wie ein Hut direkt auf dem Kopf saß. "Ist alles in Ordnung mit dir?", erkundigte er sich bei ihr, als wäre es nicht offensichtlich.
Sie konnte ihn einen Moment lang nur anstarren, bis auch sein Blick prüfend an sich herabglitt. "Ist ein Fleck auf meinem Anzug?"
Damit holte er Toulouse zurück in die Wirklichkeit. "Oh, verzeihen Sie bitte.", flüsterte sie. Mit seiner Kleidung war nichts in Ordnung. "Nein, es ist alles okay."
Aber durfte man jemanden, der so höflich war, eigentlich anlügen?
Er reichte ihr den Schirm mit den Worten "Damit du nicht nass wirst."
Die Ironie wäre perfekt gewesen, wäre es nicht sein voller Ernst gewesen: Ein Mann in einem schmutzigen und vollkommen kaputten Anzug auf einem Einrad reichte einem klatschnassen Mädchen seinen durchlöcherten Regenschirm mit den Worten "Damit du nicht nass wirst."
Es hätte tatsächlich nur ein amüsiertes Lachen im Hintergrund gefehlt.
Doch statt sich nach den versteckten Kameras umzusehen, nahm Toulouse den Schirm an und bedankte sich höflich. Sie wollte weitergehen, als er langsam neben ihr herfuhr. Sie blieb stehen und er tat es ihr gleich. Sie sah ihn an, er sagte: "Ich will mich wirklich nicht aufdrängen, doch es sieht aus, als müssten wir in dieselbe Richtung." Sie nickte und nach einer kurzen Pause fuhr er fort. "Und zu zweit ist man nicht ganz so allein."

So gingen sie zusammen weiter. Und obwohl er sehr freundlich zu ihr war, hoffte Toulouse doch, dass sich ihre Wege trennten, bevor sie ihr Haus erreichte. Sie mochte es nicht, wenn Fremde wussten, wo sie wohnte. Es war ihr schlichtweg unangenehm.
Eine Weile schwiegen sie einander an, ehe sie sich noch einmal für den Schirm bedankte. Etwas Besseres fiel ihr für den Moment nicht ein. Das Lächeln des Herrn war warm. "Nichts zu danken.", versicherte er ihr nickend. "Aber du hast dich schon bedankt."
Toulouse errötete leicht. Sie mochte es nicht, wenn man sie darauf hinwies, dass sie sich wiederholte. Zumal es ihr auch nicht zusagte, wenn andere sich wiederholten. Offenbar brachte ihn dies zum Lachen.
Und zum ersten Mal seit langer Zeit hörte sie ein Lachen, das weder gemein, noch gehässig oder dreckig war. Es war eine angenehme Abwechslung zu dem, was sie sonst gewohnt war.
"Mach dir keine Gedanken.", sagte er dann.
Bei einem Haus, das eher baufällig als bewohnbar wirkte, hielt er an und stieg von seinem Einrad.
"So", er sah Toulouse an. "Hier trennen sich unsere Wege, Mademoiselle."
Geistesabwesend nickte sie. Er wohnte doch hoffentlich nicht in dieser Bruchbude mit verwildertem Vorgarten, eingeworfenen Fenstern und morscher Treppe, welche zu der leicht erhöhten Haustür führte?
"Behalt den Schirm.", fuhr er fort. "Du kannst ihn mir einfach später vorbeibringen, ja?" Seine Hand griff nach dem alten, hüfthohen Gartentor mit der rostigen Klinke, das mit einem lauten Quietschen aufschwang.
Toulouse begutachtete das Gewächs im Vorgarten des Mannes. Wenn sie sich überlegte, dass sie sich durch diesen Dschungel würde kämpfen müssen, wenn sie den Schirm zurückbrachte, wurde ihr ganz anders. Sie hatte eindeutig zu viele Horrorfilme mit Killerpflanzen angesehen, die sich einen um die Knöchel schlangen und einen ins Unterholz zogen.
Nickend verabschiedete sie sich von ihm und sah noch einen Augenblick zu, wie er sich barfuß durch das Gestrüpp kämpfte. Dann ging sie eilig weiter und atmete erleichtert auf, als ihr zu Hause, welches ihrer Meinung nach in ziemlichen Kontrast zu dem des freundlichen Herrn stand, in Sicht kam.
Toulouse wohnte mit ihrer Familie in einem großen Holzhaus, welches ihr Vater zusammen mit ihrem Onkel ganz allein gebaut hatte.
An der Haustür angekommen schüttelte sie den Schirm aus. Gerade wollte sie die Tür aufschließen, als ein bemitleidenswertes Maunzen sie aufsehen ließ: Zwischen den Blumentöpfen ihres Bruders mit den roten Blumen, deren Blüten zahlreich und winzig waren, saß ihr kleiner Kater. Er war ganz nass und bot einen bemitleidenswerten Anblick. Anscheinend war kein Fenster offen gewesen für ihn. So nahm sie ihn auf den Arm und betrat mit ihm das Haus. Warf ihre Schuhe achtlos in eine Ecke, setzte die Katze behutsam auf dem Boden a und legte den Schirm offen irgendwohin, wo er niemanden störte und in Ruhe trocknen konnte. Anschließend ging sie die hölzerne Wendeltreppe hinauf ins erste Stockwerk, wo sie zunächst heiß duschen ging, damit ihr nicht länger kalt war. Im Anschluss verschwand sie in Handtücher gewickelt auf dem Dachboden, wo sich ihr Zimmer befand und wo sie die nassen Handtücher gegen einen warmen Pullover und eine ihrer kurzen Sporthosen tauschte.
Seufzend ließ sie sich auf ihr ungemachtes Bett fallen, wo der Kater auf sie wartete und seinen kleinen schwarzen Kopf an ihr rieb.
Erneut seufzte das Mädchen, als es sich aufsetzte und die langen, braunen Haare zu einem strengen Dutt zusammenband. Danach drehte sie sich auf den Bauch und verschränkte die Arme, um ihren Kopf darauf abzulegen. Schloss die Augen und ließ sich immer weiter fallen, bis die Trägheit überhand gewann und sie sich für den Rest des Jahres nicht mehr bewegen zu können glaubte. Niemals wieder würde sie ihr Bett freiwillig verlassen.
So lag sie eine Weile da. Mit geschlossenen Augen lauschte sie auf das Geräusch des Regens, der in kleinen Sturzbächen an der Scheibe ihres großen Rundfensters hinablief.
Ihr Kopf war leer, sie konnte sich nicht auf etwas konzentrieren. Nicht mehr als ein unbefülltes Behältnis war sie in diesem Moment.
Ihr Kater lief über ihren Rücken und seine weichen Pfoten drückten sich sanft durch den weichen Stoff ihres Pullovers, ehe er sich maunzend neben ihren Kopf auf das Kissen setzte und sie aus seinen großen gelben Augen mit den gigantischen Pupillen ansah. Es sah so aus, als würde er lächeln.
Wie konnte er nur? Heute war ein furchtbarer Tag gewesen. Wie konnte er dem nur etwas abgewinnen?
Sie dachte an den Herrn mit dem kaputten Anzug. Er war wahrlich eine kuriose Gestalt gewesen. Gleich morgen sollte sie ihm seinen Schirm zurückgeben.
Morgen. Morgen war Samstag. Diese Woche hatte sie hinter sich gebracht. Nun würde sie Ruhe haben. Vor ihrem Wecker, ihren Mitschülern und allem, was zu ihrer Schule gehörte.
Es hätte eigentlich ein erleichtertes Gefühl sein sollen, doch dass es in nur wenigen Tagen wieder Montag sein würde, war ein zu ernüchternder Gedanke für Toulouse, der jeden Anflug von Freude im Keim erstickte. Es blieb ein erschöpfendes Gefühl der Leere.
"Meow", machte der Kater.

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
anuphti
Geschlecht:weiblichTrostkeks

Alter: 58
Beiträge: 4320
Wohnort: Isarstrand
DSFo-Sponsor Pokapro 2015


Beitrag14.11.2012 05:04

von anuphti
Antworten mit Zitat

Hallo Paperskin,

erst einmal herzlich willkommen im dsfo!

Als zweites ein paar kleine Hinweise, Werke, an denen Du noch arbeiten willst (und ich nehme an, dass Du an diesem Text noch arbeiten möchtest?), posten wir hier im dsfo üblicherweise in der Prosa Werkstatt. Die Prosa Prosa ist den veröffentlichungsreifen Werken vorbehalten, deshalb würde ich  an Deiner Stelle einen Moderator per pn bitten, Deinen Beitrag in die Werkstatt zu verschieben.

Zur Textlänge, die ist grenzwertig, aber wir lesen hier ja alle gerne, deshalb stellt die reine Länge nicht das Problem dar. Immerhin siehst Du so, ob der Text so fesselnd ist, dass Dir die Leser nicht sofort wieder aussteigen. Das Problem für mich ist definitiv der erste Absatz, nach dem ich beinahe sofort wieder weg geklickt hätte.

Erstens ist er viel zu lang und erklärt in mühsamen Wiederholungen, das was Du im ersten Satz gesagt hast (nach der ersten Frage sagt der Leser schon, ja kenne ich, und dann sollte die Geschichte schon losgehen) und was leider noch schlimmer ist, Du schiebst dann noch eine "moralische Lektion" hinterher, indem Du sagst, was Deiner Meinung nach sein sollte (keiner sollte so etwas alleine machen müssen).
Und normalerweise hätte ich jetzt das Buch weg gelegt.

Da es mitten in der Nacht ist, und ich nichts Besseres zu tun habe, habe ich weiter gelesen.
Und dann bin ich leider über die ersten Tippfehler gestolpert, ein "sich" bei Lehrerin zuviel, ein "s" bei dies zuwenig, ein "m" fehlt bei dem "halbem" Ohr, alles meiner Meinung nach Flüchtigkeitsfehler, die unser "Gerold", das ist unsere Rechtschreibprüfung (rechts oben oberhalb vom Textfeld zum Anklicken) sicher gefunden hätte. Abgesehen davon empfiehlt es sich, seine Werke doppelt und dreifach Korrektur zu lesen, wenn Du sie hier einstellst, wobei ich generell sagen würde, dass Deine Rechtschreibung überwiegend in Ordnung ist, und die meisten Fehler schlicht auf Flüchtigkeit zurück zu führen sind.

Zum Inhalt, am Anfang neigst Du zum Schwafeln ... der Absatz über Toulouse und was sie alles nicht hat, keinen Freund, keine Markenklamotten, kein Handy, keine Schminke etc. ... puh, geht das nicht kürzer?  Dass sie anders ist hätte ich nach einem Satz schon verstanden.

Auch diese Endlosszene im Klassenzimmer, der nächste Teil, wo ich mich dunkel gefragt habe, warum ich eigentlich immer noch lese. Würde ich radikal kürzen.

Der erste Moment, in dem ich dachte, jetzt wirds spannend, war, als der Mann mit dem zerlöcherten Regenschirm auftaucht.
Und die hat mich richtig gepackt.
Danach wurde es leider wieder etwas schwafelig mit dem Duschen und der Katze (ich liebe Katzen), aber zumindestens würde ich weiterlesen wollen, was es mit dem Mann auf dem Einrad auf sich hat.

Die Herausforderung für Dich sehe ich jetzt vor allem darin, dass Du die Leser bis zum Auftauchen des Einradfahrers bei der Stange halten musst.

Soweit mein erster Eindruck smile

Liebe nächtliche Grüße
Nuff


_________________
Pronomen: sie/ihr

Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)

You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Nihil
{ }

Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag14.11.2012 11:46

von Nihil
Antworten mit Zitat

Mon Paperskin.
Ich kann mich fast vollständig anuphtis Urteil anschließen. Der Titel klang recht vielversprechend und von dir hatte ich bislang noch nichts gelesen, weshalb ich reingeschaut habe. Der erste Absatz hätte mich aber normalerweise schon abgeschreckt, wenn hinter meinem Klick nicht auch der Vorsatz gestanden hätte, mich wieder mehr zur Textarbeit zu bewegen (zwingen). Der erste Absatz ist völlig handlungsleer, stattdessen versuchst du philosophische Gedanken darzulegen. Mit einem Aphorismus zu starten, kann klappen, wenn man ihn knackig und interessant macht. Beides war dein Absatz leider nicht. Du sprichst die Leser direkt an und sprichst von Resignation, Gesellschaftskritik und Religion, doch leider alles auf recht seichtem Niveau. Du müsstest sehr viel spezifischer werden, um überhaupt die Qualität zu retten. Du gibst hier nur Allgemeinplätze wieder.

Danach stellst du die Außenseiterin Toulouse vor und es wird schon nach wenigen Sätzen klar, dass du mehr oder weniger von einem Mobbing-Drama sprechen wirst. Dass auf eine derart lange Strecke auszuweiten ist absolut nicht nötig und ich habe festgestellt, beim Überfliegen nicht viel zu verpassen (hab dann nochmal gelesen), was immer ein schlechtes Zeichen ist. Noch dazu geht es jetzt zwar endlich mit der Handlung los, aber die allgemeinen Beschreibungen gehen weiter. Bezeichnend sind auch die gendertypischen Gegenüberstellungen von Jungs und Mädels, die zwar zutreffen mögen, aber schön wäre doch gewesen, wenn das etwas anders gegangen wäre. (Denn das ist schließlich, woran jeder zuerst denkt.) Außerdem kommt statt einer richtigen Handlung zuerst eine Beschreibung des Wetters: Die Todsünde für Schreiber. Und es zeigt, dass du selbst noch nicht in deiner Geschichte drin warst, als du zu schreiben begonnen hast.

Eigentlich wäre dein Text noch nicht vorzeigebereit gewesen, denn die Allgemeinheit und die große Menge an Text, die immer auf dem selben Punkt kreist und nichts voranbringt, deuten darauf hin, dass dein eigentliches Problem der Plot ist und die Plastizität deiner Vorstellungskraft (= Mit dem Schreiben fängt für dich erst die Arbeit an, die Szene auszumalen, das hast du nicht vorher gemacht). Auf dié doch etlichen Tippfehler hat anuphti schon verwiesen. Das ist meiner Meinung nach (in dem Ausmaß) Faulheit, die ja nun nicht sein muss. ;)

Das ist natürlich alles kein Problem, aber das sind Fehler, die man beheben sollte. Nach einer radikalen Kürzung läse sich dein Text sicher schon anders. Auch würde ich gerne wissen, ob du hier Längeres planst oder nicht. Du bist doch recht schnell in der Geschichte drin, wenn es ein Roman werden soll (mit dem Mobbing geht es schon zu Beginn los, der zweite Protagonist taucht wenig später auf), für eine Kurzgeschichte dauert das wiederum zu lange. Suche dir zwei Aktionen aus, die das Mobbing prägnant auf den Punkt bringen und schmeiß alle überflüssigen Gedanken raus.

Bin aber interessiert, wie du weitermachst. Meine ersten Gedanken beim Auftauchen des Mannes reichten von „Oha, jetzt wird sie auch noch vergewaltigt.“ zu „Das ist bestimmt nur ihr Phantasiefreund.“. Du müsstest dir allerdings generell angewöhnen, auf den Punkt zu kommen und dir vor dem Schreiben klarmachen, welche konkreten Handlungen für das Vorankommen der Szene nötig sind.

Grüße,
Nihil
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
LeBubi
Geschlecht:weiblichErklärbär
L

Alter: 27
Beiträge: 1



L
Beitrag15.11.2012 00:41
Auf geht's!
von LeBubi
Antworten mit Zitat

So, ihr Süßen, ich fange dann nun auch mal an.

Meinen Vorgängern kann ich mich leider kaum bis gar nicht anschließen, was natürlich meine rein subjektive Meinung ist, aber die tue ich nun einfach mal kund:

Zitat:
[...] Du schiebst dann noch eine "moralische Lektion" hinterher, indem Du sagst, was Deiner Meinung nach sein sollte (keiner sollte so etwas alleine machen müssen).


Dem kann ich mich schonmal gar nicht anschließen, da bereits Fünftklässlern zu Beginn einer Textanalyse eingetrichtert wird, dass das Geschriebene nicht unbedingt die Meinung des Autors sein muss. Dies ist hierbei auf jeden Fall zu beachten.

Über die Tippfehler lässt sich nicht streiten, das sehe ich durchaus ein, sie müssen nicht sein, jedoch hat Nihil schon ganz richtig gesagt, dass dies eigentlich kein Problem darstellt. Sehen nicht schön aus, aber ich denke, wenn man eine Geschichte bewertet, sollte man zunächst einmal auf Inhalt und Erzählstil achten, ehe man Korrekturleser spielt und sich an Kleinigkeiten wie Tippfehlern aufhängt.

Aber es geht hierbei ja mehr darum, dass der Text konstruktive Kritik erhält und nicht darum, meinen Vorgängern zu widersprechen. Auch wenn ich das an dieser Stelle tun musste.
So ein langer Text wirkt zunächst erstmal abschreckend auf viele, aber ich gehe davon aus, dass du Kritik zum Ganzen direkt haben wolltest, weshalb ich das nun auch nicht in Frage stelle.
Deinen ersten Absatz empfinde ich selbst als eine recht gute Einleitung, denn du arbeitest hier mit den Mitteln von Werbung, die die Menschen nun doch recht häufig beeinflussen kann, indem du den Leser 1. direkt ansprichst und 2. immer präziser wirst in Bezug auf die 'Probleme', die er haben mag und mit denen er sich identifizieren kann. Gerade das finde ich gut, da du so auf einer sehr persönlichen Basis arbeiten kannst.
Als dann die eigentliche Story losgeht, wirkt es dadurch, dass es eine unschöne Situation ist, die du bis ins kleinste Detail beschreibst, natürlich schleppend, aber dadurch hatte ich das Gefühl direkt dabei zu sein. Man sitzt in einem Raum voller Leute, die man nicht wirklich ausstehen kann und sofort fühlt man sich mit deiner Protagonistin verbunden, weil man sich ähnlich wie sie aus diesem Geschehen herauswünscht. So was kann man - zumindest fand ich bisher keine Möglichkeit - nicht angenehm und spannend beschreiben. Geht es dem Protagonisten, an dem der Leser sehr nahe ist, schlecht, dann muss man auch genau auf alles eingehen, was ihm/ihr auffällt eingehen, denn so ist es, wenn man sich in einem Klassenraum befindet, man beschäftigt sich mit jedem Regentropfen, jedem Stift und allem, was die anderen tun.
Die Reaktion ihrer Mitschüler auf sie war allerdings etwas platt. Ich selbst als Schülerin kann durchaus sagen, dass das, was hier als Mobbing betitelt wird, noch harmlos ist, es fallen Fäkalworte etc. und es herrscht ein gröberer Umgang untereinander, weshalb ich das ggf. überdenken würde.
Genauso als der Junge auf ihren Tisch haut. Das ist furchtbar unrealistisch, aber das sind Männer auf Einrädern in kaputten Anzügen auch. Zumindest ist mir bisher noch keiner begegnet. Du könntest auf jeden Fall stärker auf die Kacke hauen, was ihre Mitschüler betrifft, denn sonst wirkt es so, als wäre sie einfach ein bisschen verweichlicht.
Zitat:
"Hey Toulouse!", drang es zu ihr durch ihre Glaskugel hindurch. "Schläfst du?!" [...] "Hey, bist du taub?!" Schön wäre es. "Spreche ich vielleicht Französisch?!" [...] "Keiner da?!", versuchte er es ein letztes Mal.

An diesen Stellen kannst du dich verbal richtig austoben. Mach die Mitschüler einfach 'grausamer' und es wird sofort authentischer.
In dieser Szene gefällt mir die Metapher mit der Glaskugel allerdings sehr gut, weil sie recht treffend und schön vorzustellen ist.

Ich hoffe, dass du halbwegs etwas damit anfangen kannst.

Auf bald!
LeBubi
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
jim-knopf
Geschlecht:männlichDichter und Trinker

Alter: 35
Beiträge: 3974
Wohnort: München
Das Goldene Pfand DSFo-Sponsor
Goldene Feder Lyrik


Beitrag15.11.2012 13:44

von jim-knopf
Antworten mit Zitat

guten tag

ich habe diesen text auf wunsch des autors in die werkstatt verschoben

viele grüße
roman


_________________
Ich habe heute leider keine Signatur für dich.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Endgegner
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 36
Beiträge: 36



Beitrag18.11.2012 20:57

von Endgegner
Antworten mit Zitat

Hallo PaperSkin,

ich finde, dass du den einleitenden ersten Absatz weglassen könntest. Aus meiner Sicht enthält er keine wesentlichen Informationen für den Hauptteil deines Textes. Der Hauptteil spricht schon für sich und bedarf keiner Einleitung, um den Leser einzustimmen.

Die Szene im Klassenzimmer war mir insgesamt zu langatmig. Ich bin mir sicher, dass du diesen Abschnitt straffen könntest, ohne etwas von seiner Wirkung einzubüßen. Beispielsweise werden an zwei Stellen die Gespräche der Schüler aufgegriffen, jeweils mit der Feststellung, dass es sich dabei um "geistigen Durchfall" handelt. Einmal wäre deutlich genug, finde ich. Das zweite Mal ist verzichtbar, da wenig überraschend.

Zitat:
Auf dem Schulhof wartete sie mit zur Sporthalle gerichtetem Blick auf Julian. Zwei Minuten vergingen, irgendwann waren es zwanzig. Dann eine halbe Stunde. Die ganze Zeit verbrachte sie draußen im Regen.

Diese Stelle kommt mir merkwürdig vor: Warum bleibt Toulouse im Regen stehen, anstatt einen nahen Unterschlupf aufzusuchen? Autoaggressives Verhalten? Falls ja, wird es nicht deutlich genug. Der Grund für Toulouse' Verhalten müsste nachvollziehbarer werden, sonst wirkt die Szene wie ein zu offensichtlicher Versuch, Mitleid zu erzeugen.

Zitat:
"Meow", machte der Kater.

American tom? Hier würde ich ein "Miau" vorziehen. Smile


Deine Geschichte an sich hat mir dennoch gefallen. Abgesehen von den genannten Längen war der Text flüssig und gut lesbar. Der Einradfahrer ist interessant und rätselhaft. Auch Toulouse wirkt insgesamt noch geheimnisvoll auf mich, denn bisher habe ich hauptsächlich erfahren, wer dieses Mädchen nicht ist. Wer also ist Toulouse? Und wer ist dieser mysteriöse Einradfahrer? Mich interessiert der Fortlauf der Geschichte.

Cheers und einen schönen Abend
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Rechtschreibung, Grammatik & Co
Semikolon und Apostroph
von Golovin
Golovin Rechtschreibung, Grammatik & Co 13 25.04.2024 22:56 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Profession Schriftsteller (Leid und Lust)
freie Lektoren und Testleser
von Colina
Colina Profession Schriftsteller (Leid und Lust) 22 23.04.2024 22:41 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Verlagsveröffentlichung
SPRINGS OF THE YELLOWSTONE RIVER und ...
von Alfred Wallon
Alfred Wallon Verlagsveröffentlichung 1 22.04.2024 19:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Plot, Handlung und Spannungsaufbau
Gliederung, Strukturierung und zeitli...
von BerndHH
BerndHH Plot, Handlung und Spannungsaufbau 26 20.04.2024 07:10 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Rezensionen
,,Die Ärztin“- ein Theaterstück m...
von Oneeyedpirate
Oneeyedpirate Rezensionen 0 19.04.2024 22:53 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlung

von KeTam

von BlueNote

von JGuy

von Mercedes de Bonaventura

von MShadow

von Sabine A.

von Schreibmaschine

von BlueNote

von Raven1303

von MoL

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!