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Lozilias Wortedrechsler
Alter: 49 Beiträge: 58 Wohnort: Nordhausen
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11.12.2010 23:42 Frohe Weihnachten, Oma Gerlinde von Lozilias
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Frohe Weihnachten, Oma Gerlinde
Flatternd ließen sich die Tauben vor dem Hoffenster nieder und pickten begierig die Körner aus dem Schnee. Weitere Körner flogen aus dem Fenster in der ersten Etage. Einen Kittel über den alten Pullover, das weiße Haar zusammengesteckt, stützte sich Oma Gerlinde wieder auf das Kissen im Fenstersims. Ihre glasigen Augen begannen zu leuchten. Wie sich ihre Kleinen freuten. Manchmal glaubte Oma Gerlinde, Dankbarkeit ihren kleinen Knopfaugen sehen zu können. Die Tauben waren die einzigen, die ihr auf ihre alten Tage noch regelmäßig Gesellschaft leisteten.
Ihr hochgewachsener Nachbar schritt stramm quer über den Hof auf die Müllcontainer zu, einen kleinen Plastikeimer mit Bioabfällen in der Hand. Missmutig fiel sein Blick auf die Tauben, dann grüßte er Oma Gerlinde knapp mit einem Nicken. Oma Gerlinde lächelte. Es war schön, ein anderes Gesicht zu sehen. „Guten Tag, Herr Bodolka. Wie geht‘s Ihnen und Ihrer Frau heute?“
„Ganz gut, sind im Weihnachtsstress“, lautete seine lapidare Antwort, ohne auch nur zu ihr rüber zu schauen.
„Jonathan freut sich bestimmt, was?“
Herr Bodolka schüttete den Eimer in den Biocontainer, warf dessen Klappe runter und schritt eiliger als zuvor zurück ins Haus. Dann schien im einzufallen, dass er noch antworten musste. „Klar, der Junge ist richtig hippelig. Schönen Tag noch“, wimmelte er sie ab.
„Ja, ja, viel zu tun, so ist es eben. Ein schönes Weihnachtsfest, Herr Bodolka“, rief sie noch hinterher, doch ihr Nachbar war längst in der Hoftür verschwunden. Oma Gerlinde lächelte immer noch.
Drei Jungen sprangen über den Hof, grölten und johlten, Schneebälle flogen durch die Luft. Sie erspähten die pickenden Tauben. Nun feuerten sie ihre Schneegeschoße auf die Vögel ab. Die Tauben stoben wild auseinander und flatterten davon. Die drei Jungen jauchzten vor Freude und warfen noch ein paar Schneebälle hinterher, die aber nur die Hausfassade trafen, direkt neben Oma Gerlindes Fenster.
„Ach herrje, meine Kleinen“, rief Oma Gerlinde mit dünner Stimme und streckte zaghaft die geäderten und welken Hände aus. Wer sollte ihr nun Gesellschaft leisten? Wer würde ihr nun zuhören? Die drei Jungen bemerkten ihre Bestürzung wohl kaum, sie sprangen fröhlich über den kaputten Zaun auf den Nachbarhof.
Sie schloss das Fenster, nahm ihren Gehstock neben der Heizung und tippelte zum Stuhl am Küchentisch. Nur kurz ausruhen. Oma Gerlinde warf einen flüchtigen Blick auf den noch ungeöffneten Brief ihrer Tochter und lächelte. Später. Bestimmt teilte Ulrike ihr die Einzelheiten des lang vereinbarten Besuches am ersten Weihnachtstag mit.
Über dem Küchentisch hing ein Bild von ihr und ihrem Mann Karl, direkt über seinem Platz. Beim Aufstehen stöhnte Oma Gerlinde leicht, ihre alten Knochen waren müde geworden. Sie tippelte auf die Wand zu und stützte sich dabei auf Karls Stuhl ab. Ihre welken Finger streckten sich aus und rückten das alte schwarzweiß Foto von ihrer Hochzeit gerade, ein heller Streifen verschwand unter dem Bild. Oma Gerlinde hatte viele Fotos von früher hängen, in der ganzen Wohnung verteilt, die meisten schwarzweiß.
Welcher Tag war doch gleich? Sie kniff etwas die Augen zusammen sah zu dem Kalender mit den großen Zahlen unter der Wanduhr. Bei den Gesprächen im Supermarkt wurde Oma Gerlinde nicht müde, stolz zu betonen, dass sie noch keine Brille brauchte. Der 22., Mittwoch. In drei Tagen war es soweit. Die Vorfreude wärmte ihr Herz.
Für diesen besonderen Tag hatte Oma Gerlinde sich vorgenommen, mal wieder zu backen. Es strengte sie zwar an, doch das tat sie gern. Ihr Enkel Benjamin würde am ersten Weihnachtstag kommen! Und er mochte ihre Plätzchen immer so.
Sonst war die kleine Familie ihrer Tochter an den großen Feiertagen zu Tante Agatha und deren Mann gefahren, zu denen sie seit Jahren kein gutes Verhältnis hatte. Sie besaßen ein schönes Haus, fast schon eine Villa. Ihr Mann, ein pensionierter Beamter im höheren Dienst, machte Benjamin dann immer teure Geschenke. Doch diesmal wollte Oma Gerlinde ihrem Enkel auch etwas Gutes schenken! Sie freute sich schon darauf, zu sehen, wie Benjamins Augen immer größer würden und vor Freude leuchteten.
Von den knarrenden Dielen im Flur hallten ihre kleinen Schritte wider, während sie in die gute Stube ging, um die Eisenbahnplatte in Geschenkpapier zu wickeln, die ihr ein freundlicher junger Mann aus der Nachbarschaft in die Wohnung getragen hatte. „Ja, ich weiß, Karl, das Geld, das gute Geld. Sie kommen doch so selten. Versteh doch. Benjamin, unser lieber Enkel. Bestimmt wird er sich sehr freuen. ... Ja. Dann müssen wir eben etwas sparsamer sein. Es wird schon gehen. Wir brauchen doch nicht viel.“
Oma Gerlinde sprach noch oft mit ihrem Ehemann, auch wenn er schon drei Jahre tot war. Sie hörte geradezu seine Vorwürfe, weil sie sich die teure Eisenbahnplatte von der schmalen Rente eigentlich nicht leisten konnte. Doch Oma Gerlinde war genügsam, genügsamer als sonst in den letzten zwei Monaten. Es sollte eine Überraschung werden, von der auch ihre Tochter nichts wusste. Wie Benjamin sich freuen wird!
Oma Gerlinde saß wieder am Küchentisch. Das Geschenk für Benjamin war sorgsam verpackt. Kleine Weihnachtsmänner, um die Schneeflocken tanzten, schmückten die Eisenbahnplatte. Nun hatte sie Zeit, den Brief ihrer Tochter zu lesen.
… Tante Agatha und ihr Mann haben uns auch in diesem Jahr wieder eingeladen. Sie hätten so viel vorbereitet, dass wir unmöglich absagen könnten. Du weißt doch, wie sehr sie sich freuen, den Kleinen zu sehen. Und wie viel Mühe sie sich jedesmal geben. Sie scheuen keine Umstände, um Benjamin ein schönes Weihnachten zu bereiten. Sie haben Benjamin extra eine Spielkonsole mit einem Rennspiel dazu gekauft. Das kostet alles. Darum haben wir letztendlich doch zugesagt. Man muss auch an den Kleinen denken. Das verstehst du doch, Mutter? Nach den Feiertagen werden wir bestimmt auch dich besuchen, sobald sich der Trubel wieder gelegt hat. Leider haben die Umstände in der Vergangenheit oft einen Strich durch die Rechnung gemacht. Diesmal wird jedoch nichts dazwischen kommen, versprochen.
…
Still rannen ihr Tränen das faltengefurchte Gesicht runter, tropften auf das Papier und verwischten die Tinte. Oma Gerlinde sah mit feuchten Augen ihren Mann auf dem Hochzeitsfoto an. Doch der schien nur einen vorwurfsvollen Blick übrig zu haben. Dann las sie die letzte Zeile des Briefes.
Wir wünschen dir noch frohe Weihnachten, Oma Gerlinde.
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Akiragirl Dünnhäuterin
Alter: 33 Beiträge: 3632 Wohnort: Leipzig
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11.12.2010 23:51
von Akiragirl
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Hallo Lozilias,
stilistisch habe ich erstmal nichts auszusetzen, du hast eine sichere Schreibe, jedenfalls sind mir beim ersten Lesen keine Patzer oder Stolpersteine aufgefallen. Vom sprachlichen her also nichts zu meckern ...
Aber: Inhaltlich mag mir die Geschichte so gar nicht gefallen. Sie trieft vor Klischees und ist von vorne bis hinten vorhersehbar und dazu noch sehr konstruiert.
Sie öffnet den Brief nicht, weil sie meint, eh schon zu wissen was drin steht (damit der "Hammer" am Ende kommen kann) - das ist ein ziemlich plumper Griff in die emotionale Trickkiste.
Dazu das übliche "böse Welt gegen arme, gutherzige alte Frau", also böser Nachbar, böse Kinder, böse Familie, und Eisenbahn gegen Spielekonsole - also das ist mir einfach zuviel, das tut schon richtig weh.
Tut mir leid, sicherlich ist das auch eine Geschmackssacke, aber ich kann mit derart "seichten" Geschichten nicht viel anfangen. Gib deiner Oma doch ein paar Ecken und Kanten und der Geschichte ein ordentliches Ende. Sie könnte doch auf ihre blöde Familie pfeifen und sich einen netten Abend mit dem (ebenso netten) Nachbarn machen?
Ist nur ne Idee, aber irgendwas Unvorhergesehenes könnte schon noch passieren ...
Hoffe, das war nicht zu deutlich. Detailkritik spare ich mir in der Belle
LG
Anne
_________________ "Man bereut nicht, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat." (Mark Aurel) |
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Lozilias Wortedrechsler
Alter: 49 Beiträge: 58 Wohnort: Nordhausen
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12.12.2010 08:05
von Lozilias
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Hallo Anne,
Danke für deine konstruktive und sachliche Kritik.
Im Gegensatz zu meiner anderen Kurzgeschichte (schreibe ich sonst nicht), "Gebrochener Schwur, die geradezu von der überraschenden Wendung lebt, kam es mir hier auf eine klare Botschaft an: Die Besinnung auf Werte und auf Menschen, die man vielleicht vergessen hat. Wenn das Klischee ist, dann wollte ich auch Klischee schreiben!
Beste Grüße,
Andreas
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derSibirier Reißwolf
D
Beiträge: 1250
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D 12.12.2010 08:50
von derSibirier
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Der Sibirier kann sich Akiragirl nur anschließen.
Du befindest dich hier in der belletristischen Prosa. In diesem Thread bekommst du Meinungen zu deiner Geschichte und keine Verbesserungsvorschläge, vom Sibirier jedenfalls.
Der Text langweilt sich so dahin, vom Anfang bis zum Ende, die häufigen Klischees machen den Text noch miserabler als er ohnehin schon ist.
derSibirier grüßt
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Gast
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12.12.2010 09:19
von Gast
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Guten Morgen Andreas,
mir gefällt, dass du versuchst, ruhige Geschichten zu schreiben. Leise Erzählungen (hab auch gerade den Schwur gelesen) aus dem Alltag.
Beide Geschichten sind meiner Meinung nach keine Kurzgeschichten, da gelten andere Kriterien. Ich finde auch, beide Werke gehören gründlich überarbeitet. Wenn du daran arbeiten möchtest,
dann bitte einen Mod. die Storys in die Talentschmiede zu verschieben. Dort werden sicherlich ein paar helfende Hände auftauchen.
Liebe Grüße
Monika
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