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Trostbrief


 
 
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RunaSomberg
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 104
Beiträge: 27



Beitrag21.11.2009 21:35
Trostbrief
von RunaSomberg
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Der Brief an einen vertrauten Fremden. Ein Brief, der
niemals abgeschickt wurde und den ich in Zeiten höchster Einsamkeit hervor hole und mich wundere, dass ich noch lebe.

Ist es ein ganzes Leben her? Oder erst drei Jahre, die die Menschen zählen?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass der Hauch der Erinnerung die Gegenwart mit Wehmut erfüllt. Mit dieser bitteren Süße, mit der es begann, um sofort wieder zu enden. Mein lieber, großer Freund, lebst Du noch in dieser Welt?
Ich sehe dich und deine großen Hände vor mir. Hände, in die ich mich hineinkuscheln konnte, so groß waren sie ... und so zärtlich. Wenn ich heute mit geläuterter Traurigkeit an dich und die Zeit, die wir zusammen verbracht haben, denke, dann weiß ich, dass ich dich treffen musste, um mich selbst kennen zu lernen. Wir verbrachten drei Tage miteinander. Drei Tage, ein ganzes Leben. Ich sehe deine Augen vor mir. Blau oder grau. Strahlen ohne Extra. Ein Strahlen, in dem die Farbe nur gestört hätte. Einfach nur das Strahlen, das mich so sehr an die Augen meines geliebten Großvaters erinnert hat. Du schautest mich mit ihnen an und trafst mich ganz tief in meiner Seele. Ein Blick ohne Schau und ohne Scheu. Ich will diese Augen wieder sehen. Erleben. Und ich weiß, dass es unmöglich ist. Unmöglich wegen der Fesseln, die das Leben um dich legt. Und unmöglich wegen des fehlenden Mutes, wegen der Angst, aus eingefahrenen Gleisen auszubrechen, eine unbekannte Weiche zu nehmen. Angst vor dem Neubeginn. Und Angst davor, dass die Gefühle trügen könnten. Angst vor Enttäuschung? Ich weiß es nicht. Ich glaube, wenn ich dich getroffen hätte zwischen Kindsein und Erwachsenensein, ich wäre dir bedingungslos in dein Land gefolgt. Warum können wir Menschen nicht Kinder sein? Wenn wir Kinder sind, träumen wir davon, erwachsen zu werden. Wenn wir erwachsen sind, wünschen wir uns zurückversetzt in die Kindheit. Der Mensch ist das ärmste Lebewesen auf Gottes Erdboden, weil er denken kann, Gefühle entwickelt und Gefühle lebt. Der Mensch, und ich bin keine Ausnahme, versucht, sich in höhere Bewusstseinsstufen hineinzuschaukeln. Und je energischer er schaukelt, desto tiefer stürzt er zwischendurch ab.
An die Zeit mit dir sind für mich keine Erinnerungen an Begebenheiten geknüpft. Alles, an das ich Erinnerung habe, ist ein tiefes sehnsüchtiges Ziehen in der Seele. Ein Gefühl, das mich bis an die Grenzen meiner Selbst ausfüllt und mir vor allem die Grenzen meines eigenen körperlichen Bereichs so deutlich macht. Unerfülltes Glück. Unerfüllte Seligkeit. Ist  das der Fluch, womit Gott Adam und Eva aus dem Garten Eden verscheucht hat? Du nimmst soviel Platz in mir ein wie deine große Gestalt, deine großen schönen Hände und deine aristokratische Nase. Wenn es stimmt, dass die Seele nicht mit dem Körper stirbt und allgegenwärtig ist, dann habe ich Hoffnung, dass sich unsere Seelen wieder begegnen werden. Unabhängig von einem menschlichen Leib, der nur Probleme um sich herum verbreitet, alt und hässlich wird und die Seele vergiftet.
Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich dich wieder sehen würde. Dann reicht mein Ausmaltalent nicht weiter als bis zu deinen tiefen Augen, die mich streicheln und deine großen Hände, in die ich mich bedingungslos hineinwerfen würde. Dann hätte ich auch keine Angst vor dem Tod, weil ich wüsste, dass deine Seele bei mir wäre. Ich habe versucht, darüber nachzudenken, was du für mich warst und bist. Ein Liebesabenteuer kann es nicht gewesen sein. Ein Bestätigung für meine Wirkung auch nicht. Ein Fluchtpunkt erst recht nicht ... sonst wäre ich schon lange bei dir. Es muss etwas ganz anderes sein. Vielleicht ein kurzes Wiedersehen nach zehntausend Jahren? Oder nach zweitausend Jahren? Wer weiß es? Ich hatte auf jeden Fall das Gefühl, dass ich dich schon immer gekannt. Am Telefon redest du von deinen beiden kleinen Töchtern, als wären es unsere Töchter. Wenn du mir erzählst, was du deinen Gästen gekocht hast, weiß ich es schon vorher. Und wenn du nicht von deinen kleinen Töchtern oder vom Kochen erzählst, dann ist es beinahe so wie bei einem alten Paar, das sich seit fünfzig Jahren kennt: man will sich viel sagen, kommt sich zu blöd dabei vor und sagt lieber nichts. Wir sind ja keine Kinder mehr.
An dem Morgen, als wir uns trennten, gingen Renata und ich auf den Golfplatz, auf dem wir uns kennen gelernt hatten. Jedes Flugzeug über uns verfolgte ich mit einem Gedanken an dich. Bei jedem Zug, den ich ausatmete, wurde die räumliche Entfernung zwischen dir und mir größer. Unlustig und nicht so recht wissend, was ich mit meiner halben Seele anfangen sollte, fuhren wir zum Hotel zurück. Und ich fand deine Nachricht vor. Ich wünschte, es wäre keine Nachricht über deinen verpassten Abflug da gewesen. Dann wärest du nur eine kleine sehnsüchtige Erinnerung für mich geblieben. Die Tatsache, dass ich noch ein paar Stunden länger mit mir verbringen durfte, hat mir nur die Grausamkeit des Schicksals gezeigt, nämlich, dass alles möglich ist und aus irgendwelchen Gründen niemals konsequent genug. Durch die paar Stunden Verlängerung bekomme ich dich nicht mehr aus dem Raum, in dem meine Seele wohnt. Ich habe nie ein Bild von dir verlangt. Ich wüsste auch gar nicht, was ich damit anfangen sollte. Der Abdruck in meiner Seele ist völlig ausreichend, um dich immer vor Augen zu haben. Das hast du unter anderem mit dem Stein erreicht. Erinnerst du dich? Wir waren bei Sonnenuntergang am Meer. Es war einer jener kitschig-schönen Sonnenuntergänge, wie man sie auf Postkarten anschauen kann und wie man sie nur am Meer erlebt. Die Sonne wie ein samtener, glühender Ball, riesig groß. Scheinbar trennten sie am Horizont nur wenige Meter vom Hineinstürzen ins Meer. Wir schwammen ziemlich weit hinaus. Das kalte Wasser prickelte angenehm auf der Haut. Das Meer hatte eine goldrote Tönung angenommen. Du sagtest, es sehe aus wie mein Haar, wenn die Mittagssonne ihre Strahlen hineinschickt. Wir waren so weit hinausgeschwommen, dass ich das Gefühl hatte, dass es nur noch dich und mich auf der Welt geben würde. Mit einem lautlosen Riesenplumps versank die Sonne im Meer, und wir schwammen zurück ans Land. Nachdem ich die Geborgenheit des Wassers abgeschüttelt hatte, bibberte ich vor Kälte. Du riebst mich mit deinem Handtuch trocken und hülltest mich in deinen Bademantel. Plötzlich bücktest du dich nach einem kleinen Stein, hobst ihn hoch und küsstest ihn. Dann legtest du ihn wieder auf die Erde und batest mich, meinen Fuß darauf zu stellen. Ich folgte deinen Anweisungen. Ich fühlte mich wie ein Kind bei einem sehr ernsthaften Spiel. Dann sagtest du: Auf diesem Stein wohnen wir jetzt beide! Ich lachte glücklich, ohne mich dabei albern und alt zu fühlen.
Ich habe noch immer diesen Stein, mein Freund. Lass andere denken, es sei ein unnützes, sentimentales Sammlerstück in meinem Regal. Wenn ich mich einsam fühle, ziehe ich mich auf unseren Stein zurück. Dann fühle ich deine Nähe. Spüre deine Seele, sehe deine Augen und deine großen zärtlichen Hände und denke, dass es noch nicht tausend Jahre her sein kann, dass wir uns getroffen haben.

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Estelle
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 57
Beiträge: 44
Wohnort: Berlin


Beitrag26.11.2009 05:21

von Estelle
Antworten mit Zitat

Hallo Runa,

ich bin noch neu in diesem Forum und schreibe selbst  Lyrik.
In der Belletrisik lese ich am liebsten Kurzgeschichten. Meine Favoritin in diesem Bereich ist Elke Heidenreich.
Ich verlasse mich auf mein Gefühl beim Lesen, daher bin ich kein Profi für fundierte Kritik.
Mit Erstaunen habe ich festgestellt, dass deine Geschichte bisher keinen Kommentar erhalten hat. Verstehen kann ich das nicht.
Nach ein paar Tagen umschauen im Forum, habe ich sogar das Gefühl, dass gute Geschichten weniger beachtet werden, als fürchte man die Konkurrenz. Doch auch das ist wieder nur ein Gefühl von mir. Hoffentlich falle ich jetzt hier nicht in Ungnade.
Du hast eine anschauliche stilistisch saubere Geschichte geschrieben, die mich ein wenig an den Stil von E. Heidenreich erinnert.
Ich kann sie körperlich fühlen, diese Einsamkeit und das Nicht-Vergessen von nur drei Tagen Begegnung, die ein ganzes Leben prägen können.

Ich habe auch all deine anderen Geschichten gelesen.

Liebe Grüße
Estelle
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RunaSomberg
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 104
Beiträge: 27



Beitrag26.11.2009 14:30

von RunaSomberg
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Estelle,
tut gut etwas von Gleichgesinnten zu lesen.
Ich persönlich habe Ehrfurcht vor dem fertigen Werk eines anderen.
Deshalb eigne ich mich auch nicht all zu sehr zu einem Kritiker, der jedes einzelne Wort auseinander nehmen muss, um seine Wichtigkeit zu dokumentieren.
Habe wegen dieser offenen Sätze von mir schon ganz schön Haue bekommen, wie Du nachlesen kannst im Beitrag von hobbes...
Mir wurde sogar gesagt, ich hätte nichts auf dieser Plattform zu suchen.
Na ja, ich schreibe nicht, um anderen zu gefallen, sondern um andere Gefühle erleben und im Kopf Bilder entstehen zu lassen.
Sei gegrüßt
Runa smile
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Maria
Geschlecht:weiblichEvolutionsbremse

Alter: 52
Beiträge: 5998

DSFo-Sponsor Ei 1
Ei 4


Beitrag26.11.2009 15:30

von Maria
Antworten mit Zitat

Tach Runa,

man weiß garnicht was man sagen soll - braucht ihr beiden (oder Du eine, ich hab da ein gar komisches Gefühlchen), auch etwas Trost? Scheint ja ganz fürchterlich zu sein, bei uns. Alle wollen immer an den Texten rumverbessern und so. Scheußliche Angewohnheit. Aber in einem Forum für Textarbeit könnte man es fast verstehen, sind ja kein Schaufenster für Ausstellungsstücke, wa.
Und natürlich - mich hat man auch schon assimiliert.

Wenn ich Dir jetzt sage, dass mir Dein Text nicht gefällt, dann sollst Du natürlich auch eine Begründung bekommen. Wie detailliert die ist, damit sie Dir weiterhilft, entscheidest Du selbst. Kanns nur anbieten - obendrein scheint das ein persönlicher Text zu sein, das ist immer etwas schwierig Kritik zu üben.

In zwei Sätzen: der Brief schwankt zwischen Pathos und unfreiwilliger Komik; ungelenke Formulierungen zusammen mit den teilweise übertrieben getragenen Worten und Formulierungen, ergeben zusammen eben diese Note, die mich Grinsen lässt.
Hab direkt einen Minnesänger vor Augen - der eine komische Nummer daraus macht. Das war mit Sicherheit nicht Dein Anliegen. Und Dinge wie Ausmaltalent wirken sehr unbeholfen.
Ich trau mich wirklich nicht mehr Beispiele zu bringen, respektiere ich Deinen Wunsch, Dich nicht mit einzelnen Krimskrams aufhalten zu müssen.

Nix für ungut.
Beste Grüsse, Maria


_________________
Give me sweet lies, and keep your bitter truths.
Tyrion Lannister
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RunaSomberg
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 104
Beiträge: 27



Beitrag26.11.2009 15:37

von RunaSomberg
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Maria,
danke für die netten Worte und die angedeutete Kritik.
Muss mich wohl demnachst mit meinen eigenen Beiträgen etwas zielgruppenorientierter verhalten...
Schönen Donnerstag
und ein Gruß
Runa Very Happy
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Aknaib
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 64
Beiträge: 740
Wohnort: Dresden
DSFo-Sponsor Lezepo IV


Beitrag06.12.2009 12:24

von Aknaib
Antworten mit Zitat

Hallo Runa,

mir gefällt dein, wie es aussieht autobiographischer, nie den Adressanten erreichender Brief.
Etwas komisches, wie es Maria ging, kann ich in deinem Text nicht finden.

Dein Text ist sehr kompakt. Ein paar Absätze mehr würden die Lesbarkeit erleichtern.
Du hast Aussagen, die mir sehr gefallen:
Zitat:
Warum können wir Menschen nicht Kinder sein? Wenn wir Kinder sind, träumen wir davon, erwachsen zu werden. Wenn wir erwachsen sind, wünschen wir uns zurückversetzt in die Kindheit. Der Mensch ist das ärmste Lebewesen auf Gottes Erdboden, weil er denken kann, Gefühle entwickelt und Gefühle lebt. Der Mensch, und ich bin keine Ausnahme, versucht, sich in höhere Bewusstseinsstufen hineinzuschaukeln. Und je energischer er schaukelt, desto tiefer stürzt er zwischendurch ab.
 

Allerdings würde ich schreiben: Warum können wir Menschen nicht Kinder bleiben?
Denn so, wie du sie stellst, ist die Frage nicht korrekt. Wir Menschen sind ja einen Teil unseres Lebens Kinder.

Ich habe deine Geschichte gern gelesen. Sie ist in sich stimmig und die Sache mit dem Stein hat mich berührt.

Liebe Grüße
Bianka
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RunaSomberg
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 104
Beiträge: 27



Beitrag06.12.2009 14:22
Trostbrief
von RunaSomberg
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Blanka,
Du hast Recht. Es ist schon etwas autobiographisch. Aber bitte: wie kann man Gefühle ausdrücken, wenn man sie nicht an sich selbst erfahren hat!
Für mich wäre dann die große Kunst, Gefühle mit großer Distanz zu beschreiben. Aber gut, das ist anderes Thema.
Mit dem "bleiben" ist es vielleicht richtiger. Ist mir allerdings zu zweisilbig. "Sein" schließt für mich das "bleiben" ein bisschen mit ein.
Freut mich sehr, dass Du meine Geschichte gern gelesen hast.
Gruß Runa
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