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Alogius
Kinnbeber
 Alter: 46 Beiträge: 3637

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 16.09.2009 15:35 Vom Wunsch, gegen Windmühlen zu kämpfen von Alogius
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Vom Wunsch, gegen Windmühlen zu kämpfen
Wie lächerlich würde ich mich machen, die Lanze in die Hand zu nehmen, meinem Knappen zu befehlen, das Pferd zu satteln, dass ich in den Krieg gegen Windmühlen ziehen kann.
Der Sturm der vergangenen Nacht hat mein Haus davon getragen.
Mein Hab und Gut ist durch den Wind in alle Himmelsrichtungen geweht worden, und in einem weit entfernten Land mag man sich über allerlei Tand freuen, der nicht mehr mir gehört.
Mit ausgetretenen Schuhen plage ich mich durch den zerstörten Garten, weil schon vor dem Unwetter meine Nachbarn ihn seiner Pflanzen beraubt haben. Das Gemüse ist mir bereits durch die Trockenheit des Sommers eingegangen. Schreite ich durch das kleine Tor, das als einziges übrig geblieben ist, finde ich davor den abgerissenen Zaun.
Das Vogelnest, welches ich vor ein paar Tagen zurück auf den Baum getragen habe, ist fort. Ich glaube, die Jungen bewegen noch ihre dürren Glieder, aber es ist der nachlassende Wind, der sie zucken lässt.
In meinen Händen halte ich den Schlüssel zu meinem Haus. Ich benötige ihn nicht mehr.
Meine Freunde leben am Ende der Straße. Ihr Haus ist nicht zerstört.
Zu ihnen kann ich nicht gehen, denn schon vor Wochen haben wir uns gestritten. Ich bin anderer Meinung gewesen, weshalb man mir untersagt hat, mich ihrem Hause zu nähern. Das verstehe ich natürlich, darum stellt sich keine weitere Frage.
Ich überlege, meine Verwandtschaft um Hilfe zu bitten. Sie leben auf dem Lande, wo das Leben noch einfach ist. Es ist nicht so unüberschaubar. Hier kann ich in alle Richtungen gehen und finde mein Ziel nicht. Wo mein Onkel und seine Töchter wohnen, ist jeder Ort in gleicher Entfernung. Kaum gehe ich die ersten Schritte, kommen mir auch hier Zweifel.
Was, wenn sie mich bereits verstoßen haben, so wie meinen Vetter, als er sich einen Beruf in der Stadt gesucht hat?
Nein, ich kann es nicht über mich bringen, ihre enttäuschten Gesichter zu sehen. Sie werden sagen, dass es nicht der Wind gewesen ist, der mein Haus mitgenommen hat, sondern mir die Schuld daran geben. In meiner Eitelkeit, werden sie sagen, habe ich es selbst vom Fundament gehoben, um es in den Himmel zu werfen.
Es ist, wie mein Vater gesagt hat: Der Mensch taugt so viel, wie er anderen wenig auf die Schultern legt. Ich habe ihm viel Last und Sorge bereitet, bevor er im Totenbett meinen Namen gerufen hat. Seine erstarrten Augen und die Hand an der Stirn haben mir gegolten.
Wie kann ich also von seinem Bruder anderes erwarten?
Vor der Stadt gibt es einen alten Hof, auf dem ich vor einigen Monaten gearbeitet habe. Ihn kann ich sicher noch erreichen. Man kann mich dort aufnehmen.
Meine Schuhe werfe ich fort, denn die Sohlen haben sich nun aufgelöst. Es wird nicht lange dauern, dann sind meine Hosen verschwunden, und das letzte Hemd streift sich selbst ab. Beide werden sie sich einen anderen Träger suchen, der sein Leben mehr in den Händen hält, denn ich lasse es treiben und bemühe mich nicht, in Freundschaft oder Verständnis mit anderen zu sein.
Mein Wanderstab bricht beinahe in der Mitte durch. Sollte es nicht bald geschehen, wird er mich an Ort und Stelle zu Tode prügeln. Er zuckt bereits, folgt meinen Anweisungen nicht mehr; ich lasse ihn fallen.
Der Hof ist verlassen. Früher haben sich die Aufseher hier selbst angepeitscht, nachdem die Arbeiter sie im Stich gelassen haben. Jetzt sind auch ihre Peitschen fort. Das Vieh, das zur Schlachtung vorbereitet worden ist, hängt zappelnd an den Ketten. Langsam bewegen sie sich auf und ab. Den anklagenden Blicken der Tiere will ich keine weitere Beachtung schenken, sondern mein Glück hinter dem Hof suchen.
Dort steht eine Mühle. Einen Knappen habe ich nicht. Aber sie ist ein Anfang – wären ihre Flügel nur nicht zerbrochen.
Weitere Werke von Alogius:
_________________ Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt. |
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Enfant Terrible
alte Motzbirne
 Alter: 29 Beiträge: 10245 Wohnort: München

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 16.09.2009 15:59
von Enfant Terrible
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Ein trauriges, fast schon apokalyptisches Bild ist es, welches du hier mit den genau richtigen Worten zeichnest. Ein geheimnisvoller Protagnist, der alles verloren hat - außer dieser Windmühle.
Ich habe den Text trotz oder gerade wegen des verkopften Stils in einem Rutsch gelesen, jedes Detail scheint perfekt auf die Innen- und Außenwelt des Protagonisten abgestimmt.
Ein Text ohne Anfang und ohne Ende, ein Fragezeichen mitten in der Verwüstung ... ganz habe ich seine Ebenen noch nicht erschlossen, bin jedoch beeindruckt.
_________________ "...und ich bringe dir das Feuer
um die Dunkelheit zu sehen"
ASP
Geschmacksverwirrte über meine Schreibe:
"Schreib nie mehr sowas. Ich bitte dich darum." © Eddie
"Deine Sprache ist so saftig, fast möchte man reinbeißen." © Hallogallo |
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lupus
Papiertiger
 Alter: 55 Beiträge: 4162 Wohnort: wien

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 16.09.2009 16:40
von lupus
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Hallo Tom,
sehr schöner Text, beeindruckend, wie sanft die sprache daherkommt, trotz der Permakatastrophe. Es wird nicht ganz klar, wie nun das Ich sich selbst sieht. Sieht er sich selbst als 'teilschuldig'?
Diese Stellen lassen es erahnen. Dennoch ist da ein klein wenig wehleidiger Ton zu erkennen:
Zitat: | Ich habe ihm viel Last und Sorge bereitet, bevor er im Totenbett meinen Namen gerufen hat |
Zitat: | denn ich lasse es treiben und bemühe mich nicht, in Freundschaft oder Verständnis mit anderen zu sein. |
Oder sind es immer die äußeren Umstände, die Schuld tragen?
Der letzte Satz ließe darauf schließen. Nicht einmal die Windmühlen sind in Takt. Und so hat er nicht wogegen er kämpfen kann und nichts wofür.
Persönlich hätte ich mir einen anderen Schluß gewünscht. So zu sagen eine Auflösung:
a) Und so habe ich nichts wogegen ich kämpfen kann und nichts wofür.
b) such ich mir eben eine Windmühle gegen die zu kämpfen es lohnt.
Aber das ist bloß Geschmackssache. Allerdings liefert die Geschichte - wegen der fehlenden Auflösung - keine Moral. Muss ja nicht sein.
Ein Punkt ist mir aufgefallen:
Zitat: | Mit ausgetretenen Schuhen plage ich mich durch den zerstörten Garten, weil schon vor dem Unwetter meine Nachbarn ihn seiner Pflanzen beraubt haben. |
das 'weil' sollte wohl meinen: der Garten ist zerstört, weil...
heiß aber: ich gehe durch den Garten, weil ... und das ergibt keinen Sinn, oder ich erkenn' ihn nicht .. is ja schließlich ein Tom-Text, da is alles möglich
Schön. Danke
LGs
L
Edit: hab vergessen, die Passagen zu liefern, die ich für besonders geglückt halte:
Zitat: | In meinen Händen halte ich den Schlüssel zu meinem Haus. Ich benötige ihn nicht mehr. |
Zitat: | In meiner Eitelkeit, werden sie sagen, habe ich es selbst vom Fundament gehoben, um es in den Himmel zu werfen. |
Zitat: | Der Mensch taugt so viel, wie er anderen wenig auf die Schultern legt. |
Zitat: | dann sind meine Hosen verschwunden, und das letzte Hemd streift sich selbst ab. |
_________________ lg Wolfgang
gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben
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"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi |
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Alogius
Kinnbeber
 Alter: 46 Beiträge: 3637

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 16.09.2009 21:16
von Alogius
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Moin,
Zitat: | Ein trauriges, fast schon apokalyptisches Bild ist es, welches du hier mit den genau richtigen Worten zeichnest. Ein geheimnisvoller Protagnist, der alles verloren hat - außer dieser Windmühle.
Ich habe den Text trotz oder gerade wegen des verkopften Stils in einem Rutsch gelesen, jedes Detail scheint perfekt auf die Innen- und Außenwelt des Protagonisten abgestimmt.
Ein Text ohne Anfang und ohne Ende, ein Fragezeichen mitten in der Verwüstung ... ganz habe ich seine Ebenen noch nicht erschlossen, bin jedoch beeindruckt. |
Danke, Krümel.
Das ist genau das, was es ist. Mehr kann ich nicht sagen.
Zitat: | sehr schöner Text, beeindruckend, wie sanft die sprache daherkommt, trotz der Permakatastrophe. Es wird nicht ganz klar, wie nun das Ich sich selbst sieht. Sieht er sich selbst als 'teilschuldig'?
Diese Stellen lassen es erahnen. |
Die Selbsterkenntnis des Ichs verschwindet in Wehmut. Bald ist da nichts mehr, nicht einmal die Schuld.
Zitat: | Der letzte Satz ließe darauf schließen. Nicht einmal die Windmühlen sind in Takt. Und so hat er nicht wogegen er kämpfen kann und nichts wofür. |
Genau.
Zitat: | Persönlich hätte ich mir einen anderen Schluß gewünscht. So zu sagen eine Auflösung: |
Ja, das wäre die Alternative. Aber es kann keine Lösung geben. Alles geht.
Zitat: | Allerdings liefert die Geschichte - wegen der fehlenden Auflösung - keine Moral. Muss ja nicht sein. |
Stimmt. Selbst die Moral schwindet - ist tatsächlich so. Der Text ist ein Kreis, wie EnfantTerrible angedeutet hat.
Ratlosigkeit bleibt.
Zitat: | das 'weil' sollte wohl meinen: der Garten ist zerstört, weil...
heiß aber: ich gehe durch den Garten, weil ... und das ergibt keinen Sinn, oder ich erkenn' ihn nicht .. is ja schließlich ein Tom-Text, da is alles möglich |
Er "plagt" sich durch einen zerstörten Garten. Ein Trümmerfeld, das ich dem Leser überlasse. Darum das verschwurbelte "weil"- Gefüge.
Ist ein Tomtext, ja... ^^
Vielen Dank Euch fürs Lesen und Kommentieren!
Gruß
Tom
_________________ Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt. |
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Alogius
Kinnbeber
 Alter: 46 Beiträge: 3637

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 05.11.2009 15:15
von Alogius
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Jetzt vertont...
_________________ Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt. |
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