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[Rom] Treibjagd (Arbeitstitel)


 
 
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Locard
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 36
Beiträge: 696
Wohnort: Münster


Beitrag10.07.2007 23:33
[Rom] Treibjagd (Arbeitstitel)
von Locard
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Das erste Licht des Tages brach sich im Schilf des Sumpfes. Dicke, grün-gelbe Halme formten einen unüberwindbaren Vorhang, versperrten ihr die Sicht. Sie wusste nicht, wo sie war. Sie irrte nur noch umher, in der Hoffnung, dass er sie nicht fand. Schneller. Sie musste weiter. Sie wusste, dass sie nicht stehen bleiben durfte. Das Schilf riss an ihr, an ihren Armen und Beinen, an ihren Händen. Die nackten Füße waren aufgerissen. Dreck benetzte ihren zierlichen, entstellten Körper. Aus der Ferne hörte sie ihn rufen.
Bitte erlaube mir, mich euch vorzustellen: Ich bin ein Mann von Reichtum und Geschmack.
Mich gibt es schon seit langer Zeit, ich stahl vieler Menschen Seele und Glaube.

Weiter. Immer weiter. Nur nicht müde werden. Ihre Beine wurden immer schwerer. Sie watete durch das knöchelhohe Wasser, zog abwechselnd ihre Füße aus dem schlammigen Untergrund. Der Atem brannte in ihren Lungen. Jeder Zug nach Luft brachte neues Feuer in ihren nackten Torso. Nasse Haarsträhnen klebten in der schwülen Hitze in ihrem Gesicht.
Sie wollte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr. Sie wünschte sich, einfach nur stehen zu bleiben. Die Hatz sollte ein Ende finden. Wie schön es doch gewesen wäre, engelsgleich im seichten Wasser zwischen Schilf und Wurzeln zu treiben. Alles würde gut werden. Doch sie konnte nicht. Ihre Beine trugen sie weiter. Die unbändige Angst trug sie weiter. Eine Angst, wieder in seine perfiden Fänge zu geraten.
Erfreut dich kennen zu lernen. Ich hoffe, du errätst meinen Namen. Aber was dich verwirrt, ist die Natur meines Spiels.
Sie rannte. Sie rannte um ihr Leben. Salzige Tränen vermischten sich mit getrocknetem Blut auf ihren eins makellosen Wangen. Sie wischte diese aus ihrem Gesicht. Das Blut verschmierte und malte eine Totenmaske. Sie schaute nach hinten. Links. Rechts. Er war nicht zu sehen.
Kopf oder Zahl! Nenn mich einfach Luzifer, denn ich könnte Zurückhaltung gebrauchen.
Sie lief weiter, stolperte. Sie spuckte einen schmerzverzerrten Schrei aus, als ihr rechts Handgelenk mit einem spitzen Knacken an einer Wurzel nachgab. Tränen rannten erneut über ihr Gesicht und spülten die Maske fort. Einige aufgeschreckte Vögel flogen rufend über sie hinweg; sie riefen nach ihm. Scharfes Schilf schnitt in ihren Körper. Blutige Kratzer und dunkle Wunden blieben zurück. Sie atmete tief durch und biss sich auf die Lippe, um den elendigen Schmerz aushalten zu können. Immer noch fuhr er ihr durch Mark und Bein. Ihre feinen Lippen waren schroff und aufgerissen. Sie musste weiter. Er würde kommen, sie finden. Die scheinbar endlosen Weiten an Wasser wurden tiefer. Sie sackte bis zu den Knien ein. Es wurde anstrengender im nassen Grab voran zu kommen. Dennoch gab sie nicht auf. Sie kämpfte weiter. Die steigende Sonne tauchte ihre Umgebung in einen unwirklichen Goldton. Es schien alles so friedlich, doch in ihrem Inneren pulsierte Unruhe wie flüssige Lava aus einem Vulkan.
Also, wenn du mich triffst, sei höflich, zeig Sympathie und Geschmack, benutz all deine erlernte Diplomatie und Höflichkeit - oder ich werfe deine Seele in den Müll!
Erschöpfung machte sich in ihr breit. Ihr Herzschlag wurde langsamer. Das Atmen fiel ihr schwerer. Ihr wurde schwindelig. Eine Schwärze schob sich vor ihre Augen, machte sie blind für die Welt. Alles drehte sich um sie herum; blauer Himmel, schwarze Vögel, Wasser, Schilf. Sie griff nach Halmen, um Halt zu finden. Blut quoll aus ihrer geballten Faust. In Trance zog sie sich die Böschung hinauf. Übergab sich. Schließlich gab ihr Körper der Anstrengung nach. Sie sackte kraftlos zusammen, fiel auf einen harten, von der Sonne aufgewärmten Untergrund. Es war stinkender Asphalt. Da lag sie. Ein säuerlicher Geschmack im Mund auf ihr Ende wartend.



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Longo
Geschlecht:männlichKlammeraffe
L

Alter: 34
Beiträge: 890



L
Beitrag10.07.2007 23:44

von Longo
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Schönes Textchen, für meinen Geschmack zwar etwas in der Beschreibung ihrer Flucht zu ausgedehnt, aber trotzdem nice work. Die Pointe am Ende ist auch nett.  Wink

MFG Longo
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Locard
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 36
Beiträge: 696
Wohnort: Münster


Beitrag13.07.2007 01:56

von Locard
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Also, du bist der Meinung, dass ich noch etwas über ihre Umgebung verlieren sollte? Oder sollte ich lieber die ganze Passage kürzen? Wobei ich eigentlich finde, dass es von der Länge her vollkommen oke ist.

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MosesBob
Geschlecht:männlichGehirn²

Administrator
Alter: 44
Beiträge: 18339

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Beitrag13.07.2007 03:24

von MosesBob
Antworten mit Zitat

Moin Locard!

Knie nieder und bedanke dich für meinen unermüdlichen Einsatz, trotz verkrüppelter Schwanzflosse und damit einhergehender Bewegungslegasthenie eine optisch ansprechende Rezension geschrieben zu haben, in der sogar Groß- und Kleinschreibung berücksichtigt wurden.

Falls es dir aus einem Gefühl anti-altruistischer Arroganz widerstrebt, mir diesen Tribut zu zollen, sind wir künftig per Sie. wink

Locard hat Folgendes geschrieben:
Die unbändige Angst trug sie weiter. Eine Angst, wieder in seine perfiden Fänge zu geraten.

Du hast die Angst im vorherigen Satz bereits definiert: „Die unbdändige Angst trug sie weiter.“ Also ist es auch die – nämlich die bereits definierte – Angst, in seine perfiden Fänge zu geraten. Will sagen: Ein bestimmender Artikel erscheint mir hier logischer als ein unbestimmter.

Locard hat Folgendes geschrieben:
Sie rannte. Sie rannte um ihr Leben. Salzige Tränen vermischten sich mit getrocknetem Blut auf ihren eins makellosen Wangen. Sie wischte diese aus ihrem Gesicht.

Warum nicht „sie“? Klingt viel flüssiger. Ich sehe keinen Grund, sich mit einem Demonstrativpronomen betont auf die Tränen zu beziehen.

Immer wenn ich diesen Abschnitt lese, komme ich übrigens nicht von dem Gedanken los, dass die ersten beiden Sätze ein Lückenfüller sind. Vielleicht ist an dieser Stelle sogar kurzzeitig der Punkt erreicht, wo die kurzen, rasch aufeinanderfolgenden Sätze nicht mehr zünden. In diesem Fall tendiere ich zu einem „Sie rannte weiter um ihr Leben“. Jedoch wäre das im Grunde genommen ebenfalls ein Lückenfüller. Daher stelle ich mir die Frage, ob dem Leser überhaupt etwas fehlen würde, wenn die ersten beiden Sätze gestrichen würden. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr denke ich: Nö! Die Frau hat nicht aufgehört zu laufen. Sie hatte es einen Absatz vorher erwogen, ja, aber dass sie dazu nicht imstande war, hast du hinlänglich geschildert: Sie wollte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr. Sie wünschte sich, einfach nur stehen zu bleiben. Die Hatz sollte ein Ende finden. Wie schön es doch gewesen wäre, engelsgleich im seichten Wasser zwischen Schilf und Wurzeln zu treiben. Alles würde gut werden. Doch sie konnte nicht. Ihre Beine trugen sie weiter. Die unbändige Angst trug sie weiter. Eine Angst, wieder in seine perfiden Fänge zu geraten.

Locard hat Folgendes geschrieben:
Einige aufgeschreckte Vögel flogen rufend über sie hinweg; sie riefen nach ihm.

Rufende Vögel? Schreiende, kreischende, krächzende, ja, aber rufende? Nicht für mich, danke.

Locard hat Folgendes geschrieben:
Scharfes Schilf schnitt in ihren Körper.

Schwerter, Macheten und Bajonetts schneiden in den Körper. Körper? Körper: Das räumliche Gesamt eines Lebewesens. Wenn das Schilf also nicht gerade neben der Reaktorruine in Tschernobyl steht und nachts, wenn keiner hinguckt, freudestrahlend nach Bisamratten schnappt, würde ich das Schilf in die Haut schneiden lassen. „Körper“ klingt für meinen Geschmack etwas arg überspitzt an dieser Stelle. Es vermittelt mir den Eindruck, dass nicht nur die Haut, sondern auch Muskeln und Sehnen betroffen sind.


Locard hat Folgendes geschrieben:
Da lag sie. Ein säuerlicher Geschmack im Mund auf ihr Ende wartend.

Na, da fehlt doch ein Satzzeichen. Ich würd´s so schreiben: „Da lag sie, einen säuerlichen Geschmack im Mund, auf ihr Ende wartend.“





Ansonsten: Flotte Erzählung einer Flucht, wunderbar aufgepeppelt durch die Monologe des Verfolgers – wenn du mich fragst, machen diese Monologe die Geschichte erst interessant. Der Wortlaut klingt so herrlich dominant und herablassend, arrogant und zynisch. Solche Verfolger mag ich. Fiese-Verfolger-Fan-Club 2007, Mitglied-Nummer #00001. smile

Schmerzerfüllte und unendlich leidende Grüße,

Martin


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Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)

Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)

Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse)
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Locard
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Beitrag13.07.2007 13:34

von Locard
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Ich verneige mich tief vor dir und erschütter vor Ehrfurcht!

Oh, du mein guter Herr! Ich bin Euch stets zu großem Dank verpflichtet!

Vielen Dank für dein doch ganz positives Feedback. Es freut mich, wenn ich dir einen fiesen Verfolger vor die Nase setzen durfte, der deinem Geschmack entspricht.
Wobei ich selbst finde, dass ich an "seinen" Ausrufen noch etwas arbeiten sollte. Sie klingen zu plump. Vielleicht täte ihnen etwas mehr Poesie gut.

Übrigens: Herzlich Willkommen im Fanclub wink


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Locard
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 36
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Beitrag10.09.2008 01:34

von Locard
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Ich habe an der Idee, einen "fiesen-Verfolger-Fanclub 2007" aufzubauen, festgehalten und mir einige Gedanken diesbzeüglich gemacht. Heraus kam eine interessante Grundidee.

Im folgenden Ausschnitt treten erstmalig die beiden Ermittler auf und sehen sich eine Fundstelle an. Ich habe das Gefühl, dass es alles zu steif klingt und die Szene recht schnell abgehakt wirkt. Sollte ich mehr über die beiden Kommissare verlieren?! Naja, ihr werdet es schon richten Wink


Kapitel 2

„Spaziergänger haben das Opfer gefunden“, erklärte ein junger Polizist. Er stellte den Revers seiner schwarzen Lederjacke auf. Seine weiße Mütze schien vom feinen Regen durchnässt zu sein.
„Wie wurde es gefunden“, hakte Sönke Kleeberg und schnürte sich die Schuhe fester, um im Gelände den nötigen Halt nicht zu verlieren. Sein Blick fiel auf die zwei Sterne auf den Schultern und das Namensschild auf der Brust; Polizeiobermeister Fuchs.
„Erhängt in einem der Bäume“, fuhr Fuchs fort und reichte Kleeberg die Hand, um die kleine Böschung hinauf zu kommen.
„Danke.“
Der Untergrund war vom Regen der Nacht durchtränkt und das Moos schmatzte unter den Schritten der beiden Ermittler. Ein rot-weißes Absperrband wies ihnen den Weg durch das Gestrüpp zur Leiche.
„Es handelt sich um einen Mann, vermutlich kaukasischer Abstammung. Aber in jedem Fall ein Weißer.“
Sönke nickte unmerklich, scheinbar darauf konzentriert, seine Schritte richtig zu plazieren.
„Kennen wir den Namen?“, wollte er wissen und hielt sich an der Spitze eines herunter hängenden Astes fest, von dem die Tropfen wie Krieger zu Boden fielen.
Der Beamte schüttelte den Kopf: „Er ist nackt. Eine Brieftasche oder ähnliches wurde bisher nicht gefunden“
Sie kamen an einem umgestürzten Baum, der den Tribut des Sturmes Kyrill zahlen musste. Das Wurzelwerk ragte einige Meter wie Tentakeln in den Himmel.
„Da vorne ist es“, sagte der Polizist und deutete mit einem Finger auf eine Stelle ungefähr zwanzig Meter entfernt. Sönke Kleeberg konnte bereits einige Männer in weißes Tyvec-Anzügen beobachten, wie sie die Fundstelle akribisch absuchten und Fotos zur räumlichen Identifikation von Indizien anfertigten.
„Gibt es sonst noch Besonderheiten?“, wollte Kleeberg wissen und stieg über einige Äste, die unter seinem Gewicht knackten.
„Von hier an übernehme ich, Herr Fuchs“, hörte Kleeberg eine Stimme hinter ihnen. Er erkannte die Stimme sofort; es war seine Partnerin Eva Lyder.
„Du bist auch schon hier?!“, Sönke war sichtlich überrascht und reichte der jungen Frau die Hand.
„Du weißt doch, der frühe Vogel fängt den Wurm.“, zwinkerte sie ihm zu und deutete an, dass der Beamte zurückkehren konnte.
„Ist er ein weiteres Opfer?“, wollte der Kommissar wissen und schaute in Richtung Fundort.
„Allem Anschein nach schon. Hier ist die Besonderheit, nach der du fragtest.“
Eva Lyder reichte ihm ein Plastikbeutel mit einer Skatkarte.
„Herzbube“, murmelte Sönke und musterte den Gegenstand weiter. „Ein Knick in der Mitte. Sieht aus wie die, die wir bei der letzten Leiche gefunden haben. Hielt er sie auch in der Hand?“
„Dieses Mal nicht.“
„Nicht?“, Kleeberg war erstaunt.
„Nein. Sie steckte im Mund des Opfers.“, fuhr Eva entsetzt fort und rieb sich ihre kalten Hände.
Beide hielten für einen Moment inne und sogen die kalte, klare Morgenluft in ihre Lungen. Kurzzeitig erfrischte es sie, aber den Geist der Müdigkeit konnte man nicht einfach so aus den Knochen verbannen.
„Eine recht kurze Nacht, was?“, stelle Lyder fest. Ihr müder Blick schweifte durch den Wald.
„Definitiv“, gab Sönke ihr Recht. „Er muss einige Strapazen auf sich genommen haben, um hierhin zu kommen. Die nächste Straße ist gut einen Kilometer von hier entfernt und der Pfad, über den wir gekommen sind, ist mit einer Schranke versperrt.“
„Denkst du, dass er sein Opfer bis hierhin getragen hat?“, fragte Lyder und stellte sich neben ihren Kollegen. Sie schauten in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
„Vermutlich. So war er wenigstens sicher, dass ihm sein Opfer nicht abhanden kommen würde.“
„Vielleicht hat auch das Opfer die Utensilien selbst bis hierhin getragen?“, vermutete Eva.
„So wie Jesus sein Kreuz zum Berg Golgatha“, stellte Sönke fest und sah, wie ein Mann in einem der weißen Anzüge auf sie zu kam.
„Guten Morgen“, begrüßte er die beiden und nahm die Kapuze vom Kopf. Mit einer Hand strich er sich durch seine kurzen, grauen Haare.
„Hallo Gerd“, entgegnete Sönke.
Gerd Pöttkens war ein Leiter der Spurensicherung des Landeskriminalamtes, mit dem Eva und Sönke zusammen arbeiteten und der sie bereits beim ersten Opfer unterstützte.
„Sieht ähnlich aus wie bei Opfer Nummer eins. Dieses Mal hatte der Herzbube mehr Glück gehabt. Der Regen hat den Großteil der Spuren unkenntlich gemacht.“, erklärte Pöttkens und zog dabei die Handschuhe von seinen schwitzigen Händen. „Wir haben bereits erste Abstriche vom Strick gemacht. Sollte Gewebe dabei sein, werden wir es isolieren und die DNA aufbereiten. Allerdings bezweifle ich das. Der Täter geht zu akribisch, zu sorgfältig vor, als dass ihm solch ein Fehler unterlaufen könnte.“
„Gibt es irgendwelche Fußabdrücke?“, wollte Lyder wissen.
„Außer denen des Ehepaars konnten wir keine sicherstellen. Euer Täter muss also bereits vor dem Regen zugeschlagen haben.“
Kleeberg machte sich einige Notizen und fragte, ob er die Fundstelle besichtigen könnte.
„Natürlich. Wir sind jetzt fertig und fahren zurück ins Labor, um einige der Proben auszuwerten.“
Lyder nickte.

Die beiden Kriminaloberkommissare ließen sich Latexhandschuhe geben und betraten die Fundstelle, die weiträumig abgesperrt war.
Der nackte Körper der Leiche hing immer noch wie ein Mahnmal einen knappen Meter über dem Boden. Die Augen waren weit aufgerissen und starrten in den Wald; so, als fokussierten sie den Schrecken, der die Seele noch weit über den Tod hinaus verfolgte.


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Murmel
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Beitrag10.09.2008 03:43

von Murmel
Antworten mit Zitat

Ich weiss zwar, dass mein Komentar, der nun folgt, nicht immer willkommen ist, aber ich muss ihn trotzdem loswerden.

Der Prolog oder was das ist: schon zu oft gelesen. Fast jeder meint, einen spannenden Einstieg in eine Geschichte mit einem Sterbenden einleiten zu müssen

Nein. Meistens braucht man das gar nicht. Meistens gewinnen die Geschichten, wenn man mit Kapitel 2 oder gar 3 anfängt. Aber wahrscheinlich reviewe ich zuviele Geschichten.

Es gibt hier in den USA eine interessante Serie, die heisst "I survived". Sehr interessant den Leuten zu zuhören wie sie ihre near-death Erfahrungen erzählen. Stimmt meistens nicht mit dem was man sich so vorstellt überein.

Nun zum Positiven: Show don't tell hast du begriffen. Sehr gut! Nun müssten wir uns über den Blickwinkel (argh, weiss immer noch nicht wie der Point of View im Deutschen genannt wird). Omniscient, allwissend, oder wie auch immer, ist nur was für Könner. Viel besser und pregnanter ist es, sich auf einen (oder zwei)  Charakter(e) festzulegen und diese nach allen Regeln der Kunst zu bearbeiten. Du verlierst die Steifheit wenn du
dich auf einen Charakter konzentrierst,
die Kontraste klar aufzeigst,
und den Dialog so natürlich wie möglich gestaltest.

Viel Glück, das ganze hat Potential!


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Pencake
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Beitrag10.09.2008 09:41

von Pencake
Antworten mit Zitat

Moin Locard.

Zitat:
Sollte ich mehr über die beiden Kommissare verlieren?! Naja, ihr werdet es schon richten  


Sicher kennst du die Bestseller-Reihe von Klüpfel/Kobr über Kommissar Kluftinger -- die Leser scheinen in diesem Fall die Konzentration auf dessen Eigenarten und Background sehr zu mögen. (Ich persönlich fand "Milchgeld" so langweilig, dass ich nicht über die ersten 40 Seiten hinauskam.)
Ob mehr Charakterisierung bei deinen Hauptfiguren in dieser Szene schon sein muss, ist schlecht zu entscheiden. Allerdings ist es im weiteren Verlauf für die Lebendigkeit/Tiefe sicher notwendig, um die entscheidenden Charaktere näher kennenzulernen.          


Zitat:
Er stellte den Revers seiner schwarzen Lederjacke auf.

"Der Revers" ist nur in Österreich gebräuchlich. Im Deutschen "das Revers".

Zitat:
Seine weiße Mütze schien vom feinen Regen durchnässt zu sein.

Warum schien es nur so? Du weißt es, du bist der Chef, beschreib es.

Zitat:
„Wie wurde es gefunden“, hakte Sönke Kleeberg und schnürte sich die Schuhe fester, um im Gelände den nötigen Halt nicht zu verlieren.

"Er" wurde gefunden. "Fragte" Sönke K - oder "hakte S.K. nach".

Zitat:
„Erhängt in einem der Bäume“, fuhr Fuchs fort und reichte Kleeberg die Hand, um die kleine Böschung hinauf zu kommen.
„Danke.“

Schön, dass du eine solche Kleinigkeit schilderst. Gut für die Charakterisierung der Beziehung zwischen den Figuren.

Zitat:
Aber in jedem Fall ein Weißer.“

In Deutschland ungewöhnlich. Könnte eine ungewollte Übertragung aus einer Ami-Serie sein - es sei denn, schwarz/weiß spielt in diesem Fall schon vorher eine Rolle.

Zitat:
... plazieren.

Fuck the Rechtschreibreform ... "platzieren"

Zitat:
von dem die Tropfen wie Krieger zu Boden fielen.

Ich verstehs, halte das Bild der Krieger allerdings hier nicht für scharf und entsprechend. Trotzdem guter Versuch, vielleicht findet sich was Passenderes.  

Zitat:
Sie kamen an einem umgestürzten Baum,

..."einen"...

Zitat:
der den Tribut des Sturmes Kyrill zahlen musste.

"der dem Sturm Kyrill Tribut hatte zahlen müssen" wäre die richtige Form. Kannst du schlanker schreiben.

Zitat:
Das Wurzelwerk ragte einige Meter wie Tentakeln in den Himmel.

"Tentakel" ohne n --- um sie zu betonen, könntest du sie an den Anfang stellen. "Wie Tentakel ragte ..."

Zitat:
in weißes Tyvec-Anzügen

Cool, klingt nach einem Autor, der gut recherchiert hat.

Zitat:
„Du weißt doch, der frühe Vogel fängt den Wurm.“,

Ein eher ungewöhnliches Statement für eine Frau -- könnte aber eine schöne Eigenart sein. Wenn ja, entsprechend weiterführen. Konflikt macht sich bekanntlich immer gut, wäre hier eine schöne Möglichkeit zwischen der jungen Polizistin, die das Steuer übernehmen will und einem altgedienten Platzhirsch (wenn auch schon 1000 Mal gesehen/gelesen). Musst du entscheiden, wie die beiden zueinander stehen.  

Zitat:
mit einer Skatkarte. „Herzbube“, murmelte Sönke

Entweder aus den Karten entwickelt sich was Sensationelles, oder du bist auf einer der abgelutschtesten Nummern überhaupt unterwegs - die du ersetzen solltest. Was könnte er sonst hinterlassen? Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Sammlungen? (Ok, das wäre was für die Zucker-Brüder) Schachfiguren? Überraschungsei-Kapseln? Akkus von Mobiltelefonen? Schlechte Romane? Weiß der Geier - dir wird was einfallen.

Zitat:
fuhr Eva entsetzt fort und rieb sich ihre kalten Hände.

"Entsetzt" klingt hier unpassend. Vielleicht ist sie noch "angewidert" - aber selbst das käme mir bei einer ambitionierten Polizistin seltsam vor. Wie wärs mit dem Gegenteil? "Sachlich", "kühl" oder Ähnlichem?   

Zitat:
Kurzzeitig erfrischte es sie, aber den Geist der Müdigkeit konnte man nicht einfach so aus den Knochen verbannen.

Hier über beide zu sprechen, hat den Effekt, dass es schief und unglaubwürdig klingt. beide werden sich nicht identisch wach/erschöpft fühlen, also besser eine Person durch das bestimmte Gefühl näher beschreiben.
"Geist der Müdigkeit" klingt für mich schräg, reicht schon wenn die Müdigkeit aus den Knochen vertrieben wird. "Verbannen" passt nicht zu deinem sonstigen Stil und klingt nach einer blaublütigen Tunte, die sich gerade schwätzend den Lidstrich nachzieht.     
 
Zitat:
„Eine recht kurze Nacht, was?“, stelle Lyder fest. Ihr müder Blick schweifte durch den Wald.
„Definitiv“, gab Sönke ihr Recht. „Er muss einige Strapazen auf sich genommen haben, um hierhin zu kommen.

Hört sich an, als würde Sönke einen Zusammenhang zwischen der kurzen Nacht und den Komplikationen der Anreise des Opfers herstellen. Falls das nicht beabsichtigt ist, einfach mit "Und er muss einige ..." fortsetzen.

Zitat:
„Vermutlich. So war er wenigstens sicher, dass ihm sein Opfer nicht abhanden kommen würde.“

Hmm, versteh ich nicht. Soll das ein Scherz sein oder hat er ihn tatsächlich getragen, damit ihm das Opfer nicht abhanden kommt? Vielleicht stehe ich auf der Leitung.

Zitat:
„Vielleicht hat auch das Opfer die Utensilien selbst bis hierhin getragen?“, vermutete Eva.
„So wie Jesus sein Kreuz zum Berg Golgatha“, stellte Sönke fest und sah,

Das Bild mit dem Kreuz Jesu´ finde ich klasse (vor allem wenn es Teil eines weiteren Zusammenhangs zischen Teufel/Gott und damit verknüpften Dimensionen wird - da freue ich mich drauf). Allerdings wird mir nicht klar, welche "Utensilien" gemeint sind, die in etwa einem Kreuz entsprechen könnten. Die Spielkarte? Seine Socken?
Edit: Mir kommt der Gedanke, dass du auf den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Strick und Kreuz rauswolltest, von wegen beide hatten ihr Todeswerkzeug bei sich. Wird dennoch nicht deutlich, solltest du direkter formulieren.   

Zitat:
mit dem Eva und Sönke zusammen arbeiteten und der sie bereits beim ersten Opfer unterstützte.

Das mit der Zusammenarbeit kann raus. Es reicht "...der sie bereits beim ersten Opfer unterstützt hatte" o.ä.

Zitat:
Dieses Mal hatte der Herzbube mehr Glück gehabt. Der Regen hat den Großteil der Spuren unkenntlich gemacht.“

"Diesmal hat der Herzbube mehr Glück gehabt" wäre die richtige Zeitform. Allerdings: weshalb hat er überhaupt mehr Glück gehabt? Dass er noch vorhanden ist? Das war er doch beim letzten Fall auch. Oder dass er noch gut erhalten ist? Dann müsstest du nochmal nachbessern.

Zitat:
und betraten die Fundstelle, die weiträumig abgesperrt war.

Klingt für mich nach zu viel, da ich durch deinen Beschreibungen vorher schon im Bilde bin. Vielleicht erreichen sie einfach die Fundstelle o.ä.

Zitat:
so, als fokussierten sie den Schrecken, der die Seele noch weit über den Tod hinaus verfolgte.

Ich weiß, was du willst und finde es gut, dem Leser hier noch einen Schuss "Grauen" mit auf den Weg zu geben. Allerdings klingt es nach einem der Klischees, die im "Sakrileg" unter 10000 anderen bestimmt keinen Ehrenplatz erhielten. Brich mit dem Einheitsbrei, damit der Leser aufmerksam wird. Vielleicht sieht es so aus, als hätten die Augen ein Bild von Bosch gesehen? Naja, vielleicht auch nicht. Es gibt was Gutes, genau Passendes, ich weiß das. Und du wirst es finden.

Ok, Locard, dein "Problem" ist offensichtlich. Du beschreibst eine Szene, die für jeden Leser schon zum Kanon tagtäglicher Krimi-Unterhaltung gehört. Und dafür hältst du mich dennoch schon nicht schlecht auf dem Papier/am Bildschirm.

Doch dein Text verdient noch mehr: brich wann immer es möglich ist, mit den Erwartungen, mach deine Figuren durch Eigenarten/besonders präzise Beschreibungen lebendig und schreibe aus deinem ganz eigenen Blickwinkel. Vielleicht wirst du hier und da besonders psychologisch, vielleicht sind präzise Aktionsbeschreibungen deine Stärke, vielleicht sind es die Kleinigkeiten, die du besonders lebendig rüberbringst und verknüpfst, vielleicht erweiterst du in deinem Text die normale Polizeiarbeit zu  einem dunklen Diskurs in religiöse Untiefen.          - was auch immer, bastel dein eigenes Bild, das genau dein Gefühl und deinen Herzschlag wiedergibt.

Ich freu mich auf die Fortsetzung.

Herzlich - Niko
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Locard
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Wohnort: Münster


Beitrag10.09.2008 12:07

von Locard
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Hallo Murmel, hey Niko Wink

Vielen Dank für eure beiden sehr hilfreichen Kommentare! Es ist doch erstaunlich, was man alles so noch findet, wenn man mit einem wachen Auge durch den Text geht. Ich sollte vielleicht nicht nur außschließlich nach 0 Uhr schreiben ...

Murmel, du hast recht. Ich sollte den Personalen Erzähler wählen, um zunächst aus der Sicht von Kleeberg die Geschichte zu schreiben. Meinem Text fehlen die Gefühle und Gedanken. Daher könnte er leblos erscheinen, obwohl ich bemüht war, die Umwelt mit einzubeziehen.
Im Deutschen heißt der point of view übrigens Blickwinkel Wink

Niko, du hast den Text ja ordentlichst zerlegt  Laughing Teilweise peinlich, was mir da alles durch die Lappen ging. Vielen Dank dafür!
Ich denke, mein Problem resultiert daraus, dass ich möglichst realitätsnah schreiben wollte. Realismus - pah! Wer liest denn schon Lessing, wenn er die Möglichkeit hat, die Bild-Zeitung in der Hand halten zu können.
Das Motiv "Herzbube" wird eigentlich zum Grundgerüst der Geschichte. Denn hinter jeder französischen Spielkarte verbirgt sich eine historische Gestalt - und hinter dem Herzbuben ist es La Hire, die Wut. Damals bekannt unter dem Namen Étienne de Vignolles, Gefährte von Johanna von Orléans.

Ich bin erst einmal froh, aus dem Mariannengraben der Schreibblockade heraus gekommen zu sein und jetzt langsam den Schelf zur Oberfläche zu folgen.

Mfg: Locard Wink


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