18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Altes und Neues aus der Premiumwelt


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag14.06.2015 15:54
Altes und Neues aus der Premiumwelt
von Christof Lais Sperl
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Neue Version »

Sie hatte Lais in den Glaskasten rufen lassen.
„Schon wieder eine Uhr?“, dachte er. Erst gestern hatte er am Boulevard Lafayette für ihren gegenwärtigen Freund eine Swatch besorgen müssen.

Zaffira, die alle hinter ihrem Rücken nur beim Nachnamen nannten, nutzte Untergebene gern für allerlei Botengänge. „Sie müssen auch nicht ausstempeln.“

Der Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Sie saß, die Beine übereinandergeschlagen, hinterm Schreibtisch in der gläsernen Bürozelle. Sie und ein paar andere aus der Oberliga hatten einen eigenen Arbeitsbereich, während das Fußvolk im Sinne einer als dynamisch hochgejubelten  Unternehmenskultur täglich den Platz wechseln musste. Man nannte das die „Politik des desk sharing“. Ein Wortgestrüpp, bei dem nicht nur die unfreiwillig komische Aussprache desque charingue dem kostensparenden Arrangement eine unfranzösisch-exotische Würze gab. Diese Politik verkaufte man den kleinen Angestellten gern als unternehmenskulturellen Zugewinn, als wertvolle Flexibilität, einer Beweglichkeit, auf die allerdings niemand besonderen Wert legte. In Zeffiras Aschenbecher qualmte eine stinkende Gitane vor sich hin. Auf den übereinandergeschlagenen Beinen ihre rechte Hand, die zwischen Daumen und Zeigefinger einen Stapel Dokumente hielt.  

Eine Kopfbewegung nach rechts oben befahl Lais, Platz zu nehmen. Eine Minute lang starrte Zaffira  ihn wortlos an. Ihre linke Hand klopfte den Rand einer goldenen Kreditkarte rhythmisch auf die Schreibtischoberfläche, indem sie dem zwischen Daumen und Mittelfinger gehaltenen Plastikrechteck nach jedem Klopfen eine Vierteldrehung ermöglichte. Plick, plock, plick, plock. Das Gesicht ebenmäßig, aber langweilig. Von einer aalglatten Schönheit, die keine war, ein schales Gefühl hinterließ, und der zur Vervollkommnung ein gerüttelt Maß Menschlichkeit fehlte. Zeffira atmete jetzt geräuschvoll ein.

„Da ist ein Fehler in der Akte“, sagte sie, während sie Lais den Stapel mit einer raschen Drehbewegung der Hand in einem Bogenflug über der Schreibtisch vor die Füße warf. Auf dem Weg in Lais Richtung hatte sich der Papierstoß in eine Garbe loser Zettel aufgeteilt, von denen der größte Teil auch wirklich vor seinen Füßen zu Boden ging. Geschickter Wurf. Ein wollüstiges Zucken, kaum wahrnehmbar, spielte dazu um Zeffiras Unterlippe. Noch viel beschämender aber war, dass ihm einige der Protokollseiten auf Brust und Schoß gelandet waren, und er sich nicht traute, seine Akte mit einen Griff zusammenzuraffen, und zu ordnen.  

„Ab morgen auf GOLDEX“, hörte Lais sie sagen. „Die Entscheidung wird nicht zurückgenommen, und ist mit Daniel Arnou abgesprochen.“ Die angedeutete Kopfbewegung nach links veranlasste Lais, den Glaskasten sofort zu verlassen. Die restlichen Protokollseiten flatterten an seinen Beinen herab.

„Daniel Arnou“. Das klang in Lais’ Kopf bedrohlich nach. Das firmeninterne Anredesystem war komplex, und alle waren gut daran beraten, die Stellung noch unbekannter Kollegen an der jeweiligen Namensnennung abzulesen. Lais war als einem der vielen kleinen Angestellten schon dadurch hierarchisch einzementiert, als ihm lediglich die Nennung des Vornamens als Anredeformel zugestanden worden war. Wer in der Ordnung etwas höher angesiedelt war, konnte es zu Vor- und Nachnamen bringen. Lais Teamleiter, ein pilote, war als Placide Ronan geläufig. Wer das beste Alter überschritten hatte, durfte auch mit dem Nachnamen angeredet werden, allerdings in Verbindung mit einem madame oder monsieur. Die Ärzte, ohnehin die Coolness selbst,  hatten nur Nachnamen. Abteilungschefs wurden, wie die pilotes, grundsätzlich nur mit Vor- und Nachnamen bezeichnet. Der Geschäftsführer war für die meisten Monsieur Arnou. Für diejenigen allerdings, die ihm hierarchisch etwas näher standen, hieß er David Arnou. Und für die ganz oben bloß David. Ein David, mit dem man sich schmücken konnte. Wobei wir schon wieder beim Vornamen angelangt wären.




Lais Firma hatte drei Bereiche: AXE, INA oder GOLDEX. Auf AXE gab es schnell abgewickelte Fahrzeugpannen mit zeternden Kunden am Telefon, die schnell weiter wollten. Doch wer auf AXE einen schlechten Tag erwischte, hatte am Abend bis zu hundertachtzig Anrufe bearbeitet, und eine heisere Stimme.

Auf INA ging es überwiegend um Krankenrücktransporte und man musste oft ins Arztbüro um Anweisungen einzuholen. Und auf GOLDEX ging es um Karten. Kreditkarten. Grüne, goldene, silberne und schwarze Karten. Kartenbesitzer. Wichtige Kartenbesitzer, solche, die sich dafür hielten, und - Premiumpersönlichkeiten.

Zeffira hatte Lais mit einem Kopfzucken, einem Stapelwurf  und einer Bemerkung strafversetzt. Auf eine Abteilung, die unter alles anderen Umständen als die beste galt, und für die eine Versetzung eher Aufwertung als Strafe war. Doch man hatte ganz oben von den Swatch-Käufen Wind bekommen, Zeffira musste beweisen, dass es keine Klüngelwirtschaft gab, und sich mit schnellen und brutalen Entscheidungen brüsten, die im oberen Management registriert, aber nicht richtig eingeschätzt wurden. Zeffira hatte diesmal zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sich selbst in ihrem Ruf als harter Höllenhund bestätigt, und damit den Schlangenkopf aus der Schlinge gezogen, hatte Lais noch dazu und wie gewünscht zutiefst verletzt, sich selbst daran berauscht, aber Lais nach oben weggelelobt. Dieses Opfer musste sie bringen.


Schließlich brauchten sie auf GOLDEX mehr Deutsch. Das hatte Monsieur Arnou anklingen lassen. Auf INA ging’s auch ohne. Spanisch und Französisch, ein bisschen Arabisch reichten aus. Und man konnte Lais bei schwierigen Fällen ohnehin vorübergehend in den zweiten Stock holen lassen. So hatten es die Träger der Sonderfunktionen entschieden, von denen es in Frankreich, einem Land mit hoher Machtdistanz, von einhundert Angestellten sechsundzwanzig, in einem deutschen Unternehmen mit seiner geringeren Machtdistanz durchschnittlich aber nur siebzehn gibt. Kleine Chefs nennen die Franzosen augenzwinkernd solch geringfügig besser bezahlten Funktionsinhaber.

Die französischen cardholder, wie die pilotes sie in ihren Schulungen gern nannten, fuhren gern geschäftlich nach Deutschland, die Deutschen kamen gelegentlich nach Frankreich, und somit gab es für Lais auf ALEX einiges zu koordinieren, was in den Abteilungen der Assistancegesellschaft  auch gern organisieren genannt wurde. Die Bedeutung ist ähnlich, letzteres allerdings klang für Lais’ deutsche Ohren immer noch  nach staubigen Trümmerfrauen und Nachkriegsland. Doch der Hang der Menschheit zur Fachsprache schafft immer wieder neue Paletten von Sondervokabular.

Ein Korrespondentennetz, weltweit rund um die Uhr erreichbar, leistete Kranken und Verunfallten gute Dienste. Warum, fragte der GOLDEX-Teamleiter, sollte ein Krankenwagenfahrer in Afrika nicht auch mal eine Pulle Schampus für Premiumkunden an den Strand fahren, wenn gerade keine Verletzten zu transportieren waren? Da sprach doch nichts dagegen. Lais begann, sich nach den Schulungen der pilotes mit der Lektüre abgelegter Akten in das Denken der Oberschichtseele hineinzuarbeiten.
 
GOLDEX war in seiner Gunstgewährungsstrategie intelligent vorgegangen. Zunächst hatten sie erfolgreich am Mythos gearbeitet, nur Gutverdiener kämen an eine entsprechende Karte. In den geldgierigen Achtzigern war dieses pekuniäre Abwehrschild wichtig, schließlich wollten alle echten Yuppies, und diejenigen, die einen gebrauchten Mercedes fuhren und sich für welche hielten, solch eine seltene Karte herumzeigen können. Sogar manche von Lais Kollegen mit ihrem Mindestlohn sich hatten welche besorgt und gaben damit an.

Das Fußvolk draußen hatte die Basiskarte, die monopolyblaue mit dem verspielten Logo. Die etwas wichtigeren Kartenträger hatten die Silberkarte. Ob jemand die Mercurykarte führen konnte, kam auf den Umsatz an. Mercurybesitzer hatten eine gesonderte Rufnummer, die Telefone blinkten orange, konnten vor Stolz und Bedeutung viel freier durchatmen und das Kreuz am Hörer richtig durchdrücken: Ich bin seit zwanzig Jahren Mercury, also jetztmal zackzack, bitte.

Die Steigerung von allem aber war Black Titanium. Es war in den sich aristokratisch gebenden Kreisen die Rede von der Banalisierung der Mercury gegangen, und wenn schon höhere Angestellte eine solche Karte hatten, musste man einen neuen Ausweis erfinden. Einem richtigen Wichtigtuer war Mercury nun nicht mehr zumutbar. Die zur seelischen Entlastung der Erlesenen geschaffene BT-Card sollte Lais ob der gefühlten Erhabenheit ihrer Besitzer und anderer Phänomene in der folgenden Zeit noch eingehend beschäftigen. BT bekam man nicht. BT war man, wurde hineingeboren - oder man wurde nachträglich zum BT befördert. Und dass hieß, von GOLDEX dazu eingeladen werden. Wer das schwere BT-Gefühl in der Hose tragen wollte, der musste erst einmal Umsatz machen. Kaufen. Am besten alles auf Karte. Dabei war auch hilfreich, wenn man ein wenig bekannt, einer der Masters of the Universe, oder wenigstens C-Klassen-Promi, oder die Frau von irgendeinem wichtigen Balltreter war. Hatte man den Eintrittsausweis in die Welt der maximal Erlauchten, konnte man bei Lais und den Kollegen anrufen, und hatte immer einen persönlichen BT-conseiller am Telefon. Lais hatte dies zunächst für einen Witz der neuen Kollegen von GOLDEX gehalten, aber es war die Wahrheit. Man bekam einen conseiller, genau so wie der Käufer bestimmter Edelautos zum Vertrag einen persönlichen Betreuer geschenkt bekommt, der Tag und Nacht im Fall der Fälle für den Besitzer da sein muss. Zwar waren Lais und die anderen Mindestlohnarbeiter keine wirklichen conseillers, nichtmal die pilotes, sondern taten nur als ob. Die eigentlichen Betreuer saßen im Ausland, und leiteten nur weiter, wenn es für sie selbst zu anspruchsvoll wurde.  

Die wirklichen conseillers saßen in Hoboken, irgendwo zwischen Lincoln Tunnel und Newport. Der BT selbst wusste nicht, dass der conseiller in der Zentrale zugleich Berater von fünftausend anderen BTs war. Egal. Es zählte, wie immer in Frankreich, die Fassade. Und Menschen die Illusion zu geben, einer der ganz wenigen Leistungsträger dieser Galaxie zu sein. „Bei Scientology gibt’s übrigens sprachklanglich auch so was Ähnliches: Den operierenden Thetanen OT. Was für ein religiotischer Schwachsinn, wie er nur in den USA entstehen kann,“ dachte Lais. Der BT konnte alles, aber auch alles, beim Berater anfragen. Aber Hauptsache legal. Ein Kilo Koks, das ging nicht. Lais und die Kollegen mussten jeden Tag aufs Neue versuchen, alle Wünsche der Kalifen wahr zu machen.

Klar, der BT sprach schon ein wenig Fremdsprachen, und hätte sich manchmal auch selbst helfen können. Der Münchner konnte sein obligatorisches Italienisch, der eine oder andere wohl auch Französisch. Vor allem aber verwendete der typische BT eine Art Englisch, Lais nannte es einmal transatlantisches US-Slanglo, das offensichtlich auf bloßen Annahmen über die reale Sprache basierte, dessen Sprecher es aber in all ihrer Oberflächlichkeit für richtiges Englisch hielten. Englisch, das eine nicht nur auf fünfzig Bundesstaaten beschränkte Weltläufigkeit mit amerikanischem „r“ verleiht. Sondern Formen von Uöri uöri goot- Englisch, Tschikago-Englisch, Great, I loff it-Englisch, I-wutt-like-a-Englisch, Ar-’känsäs-Englisch, Coloräido-Englisch, ing-Form-Englisch, German-TV-Wetten, dass-Promi-Englisch, Formen die alle in den Ohren schmerzen.

Man erkennt dieses Promi-Small-Talk-Idiom auch daran, dass der Städtename Los Angeles grundsätzlich immer in der Äintscheles-Variante ausgesprochen wird. Es gibt ja noch andere - und in den USA einen erbitterten Streit über die richtige Aussprache, denn wer die hispanische Herkunft betonen möchte, bevorzugt eher die Lautung Los Ängie-lies. Der durchschnittliche BT kannte diese zweite Variante natürlich nicht. Der kannte nur den Möchtegern-Sprech. Und mit dem war organisatorisch nicht viel zu bewerkstelligen.

Lais fuchste sich in die neue Aufgabe hinein. Saß der BT in seinem Berliner Loft und begann zu spüren was er nun haben musste, ging sein Anruf erst mal nach Hoboken. Wussten die nicht weiter, wurde er an Lais und die Kollegen, die  unsichtbare Intelligenz weitergeleitet. Und es hieß um drei Uhr nachts durch Lais Headset: "Ja, ich bin hier gerade zu Hause und gucke fern - und auf einmal denk’ ich, Spaghetti mit Olivenöl und Knoblauch, dass wär’s jetzt." Dann mussten Lais und die Kollegen alles daransetzten, dem Titanium seine Spaghetti zu organisieren.

In der Vor-Internet-Zeit hieß das: Gelbe Seiten von allen größeren Städten wälzen, alle Bände standen im Regal, Taxiunternehmer anrufen, und fragen, ob sie Spaghetti beim Italiener holen könnten, und mit der Karte abrechnen, das gab Umsatzpunkte, während der nächste BT schon in der Warteschleife kreiste. In Berlin ging das ja noch, aber manchmal war was in München zu organisieren. Lais und die anderen sagten zur Taxizentrale: „Hier ist GOLDEX in Paris…“ und die fragte: „Jo wos is des jetzada?“ Und das hieß vor allem natürlich auch, dass sie Lais Team nicht glaubten und erst lang und breit belatschert werden mussten. Zeffira glotzte böse aus dem Glaskasten, hörte Gespräche mit und überwachte alles. Manchmal regnete es im Glaskasten beschriebene Papierseiten. Doch das konnte Lais jetzt egal sein. Er hatte keine Zeit zum Nachdenken.


Wenn der BT in seinem Lieblingsland USA war, und das Flughafenenglisch für seine wenig kreativen Wünsche nicht ausreichte, er aber unbedingt und sofort tausend kondomförmige Weingummis für seine Party brauchte, oder für Freundinnen Hotelzimmer mit Luftballons füllen lassen wollte, hieß es: Gelbe Seiten New York wälzen, Sexshops anrufen, my name is Peter, it’s GOLDEX in Paris, one of our customers would like to purchase some so on and so forth, und die am anderen Ende davon überzeugen, dass es keine verdammte Verarschung  war. Den ganzen Dreck fedexen lassen, oder im Falle des Scheiterns gleich Uhse in Hamburg anrufen und fragen, ob sie es in die USA senden können. Dann ging’s beim Zoll um lebensmittelrechtliche Fragen, und GOLDEX saß eine halbe Woche pro Fall daran, die Gummis über die Grenze zu kriegen. Als Belohnung entstanden fernmündliche Beziehungen und Freundschaften, von denen Lais eine mit dem Namen Mark Jahre später sogar besucht hat. Der Mann  aus Hoboken hatte Lais unbedingt kennenlernen wollen, da seine Telefonansagen für ihn  off beat waren, und er das dazugehörige Gesicht einmal sehen wollte. Oft hatten sie lange, transatlantische Gespräche über Leonard Cohen und Daisy Chain geführt, oder sich über BTs das Maul zerrissen.

Der Job war schnell und atmosphärisch dicht. Mal hatte ein BT Wer mit den Wölfen tanzt gesehen. Mit Kevin Costner und einer Menge Produktionskosten. Seit dieser Zeit heißt jeder zweite Problemschüler Kevin. Der BT aber wollte keinen Problemschüler, sondern lediglich das Pferd aus dem Film. Oder wenigstens ein Tier gleicher Rasse. GOLDEX rief in Hollywood an. Aha, ein American Quarter Horse also. Lais fand einen Züchter. Fünfzigtausend Euro sollte das Pferd kosten. Per Flugzeugtransport, so hieß es, könne es sogar nach Deutschland gebracht werden. Lais faxte dem Titanium alles was er erfahren hatte, denn wie wir nun alle wissen dürften,  sollten die Mindestlöhner nicht direkt, und nur in Ausnahmefällen unter Einwilligung von Hoboken mit einem Kunden Kontakt aufnehmen. Ein Privileg, dessen Gewährung den echten Beratern von GOLDEX vorbehalten war, denn die BTs sollten doch alle weiterhin glauben, sie hätten ihren persönlichen conseiller an Zügel und Strippe. Der Pferdefan hat sein Tier per Luftfracht bekommen und mit seinen Pferdewirten am Flughafen im Empfang genommen.

Mal wollte ein BT einem erkrankten Hund aus Württemberg, der bereits auf dem Wege der Besserung war, ein Kilo Hühnerherzen mit Krankenwagen und roter Schleife zum Geburtstag schenken. Lais und die anderen hatten dann, weil in Deutschland niemand so einen Blödsinn machen wollte, eine  blauweiße Ambulanz aus dem Elsass vorfahren lassen, die dem Verwöhnten Schwanzwedler das Fresschen bringen musste. „Ach!“, dachte Lais sich mit Goethe. Doch er war jung, und brauchte das Geld.

Frauen gab’s übrigens kaum im BT-Universum. Das war denen dann wohl doch um einiges zu blöd. Das sprach für die Frau im Allgemeinen. Genau so, wie es auch kaum weibliche Cayenne-Fahrerinnen oder Autobahndränglerinnen gibt. Frauen kamen in der BT-Welt nur als kaum wahrnehmbares, und doch unentbehrliches Dekor vor, als hübsche Prestigedamen, die sich mit viel Silikon an die jeweiligen Sugardaddy gehängt hatten, halfen Paare zu bilden, die sich wechselseitig Glanz spendeten. Er im hellen Licht des potenten Jägers, sie im Glanze des Fortünenprunks.

Erbe, Spielerfrau, Zierdenpracht von dem und dem,
Glorie, Rauschgold, Promi-Alkoholproblem.


Das hatte ein trauriger Lais sich einmal aufgeschrieben. Und sich dann doch „Sterben müssen wir alle“ gedacht - und am nächsten Morgen beruhigt weitergearbeitet.

Es war in Mode gekommen, im Windows on the World in New York zu dinieren. Deshalb wollte jeder wichtige BT nun im WOW essen, so war die Abkürzung, oder viel mehr noch beim Essen gesehen werden. Deshalb legte GOLDEX auch noch ein Gourmand-Program auf. Jeden Tag wurde im WOW ein Tisch mit ein paar Plätzen nur für BTs reserviert. Ein Anruf genügte, Lais hatte den Tisch, und der Promi-Helikopter konnte gleich auf dem Dach landen. Beliebte und geschwätzige Fersehmoderatoren, die in ihrem Informationsstand über die Welt garantiert immer knapp daneben lagen, wollten sehr oft im WOW speisen oder, was etwas seltener vorkam, auch mal in der Little White Chapel heiraten. Lais arrangierte das.

Ein buddhistischer Mönch starb. Einer der phantasievolleren Oligarchen wollte für ihn einen Bleikristallsarg bauen lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lais immer geglaubt, dass alle Buddhisten sich kremieren lassen müssten, aber das war nun auch egal geworden. Lais rief eine Glashütte im Bayerischen Wald an, sie gossen einen Sarg, und der Mönch konnte bestattet werden.


Mal sollte ein Apartment mit rosa Teddys und bunten Ballons für eine erwachsene Frau und Verliebtheit eines BT gefüllt werden. Lais und die anderen machten das klar. Mal hatte sich ein BT auf einer Veranstaltung in eine unbekannte japanische Tänzerin verliebt. Lais und die anderen organisierten Treffen, Kennenlernen und Hochzeit. Mal wollte ein BT Karten für ein Konzert in Finnland, das seit Jahren schon ausverkauft war. Lais rief seinen alten Professor Jako aus Finnland an, der die Karten irgendwie besorgte.

Im Vergleich zu den Franzosen waren die deutschen BTs, die vornehmlich von Lais betreut wurden, recht ordinär und in ihrer Manier klassischer Parvenüs schmerzhaft peinlich. Einer wollte zum Geburtstag Nackttanz auf dem Tisch sehen, „geil, aber nicht zu ordinär“ hatte es auf dem Bestellfax geheißen. Lais lachte sich eins ob der dümmlichen Formulierung. Sie holten sich  die Gelben Seiten rund um den Bodensee aus dem Regal, riefen die Puffs an: „Hallo, ist da die Monique-Bar? Hier ist GOLDEX in Paris, einer unserer BT-Kunden möchte einen Nackttanz: Geil, aber nicht zu ordinär. Geht das?“

Irgendeine hat’s dann für ein paar Hunderter gemacht.

Der BT mit der wohl größten Profilneurose des bekannten Universums aber wollte ein Topmodel mit dem Vornamen Claudia zur Party: „Preis egal“, hatte er vermerkt. Lais rief  Claudias Agentur in New York an, prinzipiell ginge das für ein einige zehntausend schon, sie müssten Claudia allerdings erst noch fragen. Das hatten sie wir dem BT mitgeteilt.  Er war schon ganz aus dem Häuschen vor Vorfreude. Claudia hatte dann aber doch abgesagt, warum sollte sie sich auf der Party eines ihr völlig Unbekannten aus Deutschland langweilen, wo ihr Leben doch auch so schon ziemlich öde sein musste? Vielleicht gab es auch Termingründe. Claudias Bedauern hatte Lais dem Platinum schriftlich mitgeteilt. Er gab dem Team dann seine Privat-Faxnummer und hatte Lais angewiesen: „Nehmen Sie eine Kollegin aus Ihrem amerikanischen Büro mit sehr weiblicher Handschrift, und faxen Sie übermorgen um zwanzig Uhr local den von ihr handgeschriebenen Text: Hallo Michi, hier Claudi in NY, kann leider zu deiner Party nicht kommen. Dringende Termine.“ Und sogar das hatte Lais getan, damit der BT dann ganz stolz den anderen Lackaffen auf der Party sein billiges und verlogenes Fax mit der 001-Vorwahl und der Zeitverschiebung vorzeigen, und dabei auch noch Geld hat sparen konnte. „Wenn das keine Dekadenz ist, was ist es dann?“ fragte sich Lais. Und musste später, als er die eine oder andere Wahlkampfsendung sehen würde, immer wieder daran denken.

Der arroganteste von allen aber war der Sohn eines mittelmäßigen Entertainers. Frech, hochfahrend, dumm. Leider fragte der fast täglich nach irgendetwas: Karten für Wimbledon, wo schon alles ausverkauft war. Stones-Tickets, die es nicht mehr gab, denn Jagger  hatte sich, jugendkulturell gesehen, genau so in die Masse hineinbanalisiert wie die Mercury-Karte, (g)esse(h)en (werden) im, na wo wohl? Windows of the World, 56er Buick plus Hochzeit in St. Louis.

Zeit seines Kreditkartenelends hatte Lais die Stones nicht mehr mit Überzeugung hören können, da doch Rock und alles gute Musik immer gerade das sein muss, was das Arschloch von nebenan gerade nicht ertragen kann, und eine Haltung der stetigen Verbesserung und Veränderung darstellen soll. Trotzdem musste Lais sie dann doch immer wieder auch aus egoistischen Gründen reiner Selbstbefriedigung klammheimlich auflegen, weil sie so rotzig blechern und gut, so genial nachlässig scheppernd schrammeln und deshalb und trotz alledem immer noch vom Feinsten sind. Sogar bei Lais’ Hausarzt hängt ein Poster der Schrumpfköpfe über dem Board mit den Pur-Zellin-Spendern: „Guck mal, was so’n Körper aushält, stell’ dich nicht so an“, soll es den Patienten sagen.

Lais musste jeden Tag an Zeffiras Glaskasten vorbei. Denn der lag auf dem Weg zum Lift. Oft regnete es darin lose Blätter, und ein zusammengekauertes Wesen saß auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch.

Doch irgendwann war Schluss damit. Zeffiras Extravaganzen waren der Firma zuviel geworden. Und auf allen drei verrauchten Stockwerken hatten auf einmal die Schampuskorken geknallt.



_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Slaavik
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 509



Beitrag14.06.2015 17:34
Re: Altes und Neues aus der Premiumwelt
von Slaavik
Antworten mit Zitat

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Erst gestern hatte er am Boulevard Lafayette für ihren gegenwärtigen Freund eine Swatch besorgen müssen.


Hier musste ich unwillkürlich schmunzeln, vielleicht liegt es an mir, aber auch wenn ich weiß das Swatch Uhren in einer Preisklasse im fünfstelligem Bereits anbietet, muss ich bei einer Swatch immer an eine bunte und billige Uhr denken.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Zaffira, die alle hinter ihrem Rücken nur beim Nachnamen nannten,


Also beim reden über eine Person, hinter ihrem Rücken, denke ich persönlich immer an schlecht über diese Person reden. Wieso sollte die Verwendung des Nachnamens dazu zählen?

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

In Zeffiras Aschenbecher qualmte eine stinkende Gitane vor sich hin.


Sollte einem der Begriff Gitane etwas sagen? Weil selbst eine schnelle Suche im Netz hat mich jetzt nur auf einen französischen Fahrradhersteller gebracht, wobei ich mir absolut sicher bin, dass seine Produkte nicht gemeint sind. Und  nun frage ich mich, ist nun einfach eine Zigarette gemeint, ein Zigarillo oder eine Zigarre, es macht für die Geschichte vermutlich absolut keinen Unterschied, aber die Frage bleibt.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Plastikrechteck


Halte ich für überflüssig, selbst Menschen wie ich, die keine Kreditkarte verwenden, wissen dass sie rechteckig und aus Plastik sind.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Das Gesicht ebenmäßig, aber langweilig. Von einer aalglatten Schönheit, die keine war, ein schales Gefühl hinterließ, und der zur Vervollkommnung ein gerüttelt Maß Menschlichkeit fehlte.


Lais oder Zaffira? Ich würde auf Zaffira tippen, aber vollkommen sicher bin ich mir nicht. Außerdem, wenn das Gesicht langweilig ist, wie kann dann im nächsten Satz von einer Schönheit die Rede sein? Gut, eine Schönheit, die keine ist, aber das verwirrt mich nur noch mehr. Wenn es keine ist, warum dass Wort überhaupt verwenden? Und wenn es langweilig ist wie im ersten Satz beschrieben, dann fehlt deutlich mehr zur Vollkommenheit, als nur ein gerütteltes Maß an Menschlichkeit.

Ein Bild der Person konnte ich mir, trotz dieser zwei Sätze, nicht machen.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Zeffira atmete jetzt geräuschvoll ein.


Wieso ist hier ein Absatz? Es liest sich doch eher so, als würde sie einatmen um zum sprechen anzusetzen und dann spricht sie ja auch.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
über der Schreibtisch vor die Füße warf... ...von denen der größte Teil auch wirklich vor seinen Füßen zu Boden ging.


Also selbst wenn ich mir nun denke, dass es erst nur als sprichwörtliches vor die Füße geworfen, gemeint ist. Kommt es mir beim lesen irgendwie überflüssig vor, noch zu erwähnen, dass sie tatsächlich vor seinen Füßen gelandet sind.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Geschickter Wurf.


Warum sollte der Wurf geschickt gewesen sein?

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Noch viel beschämender aber war, dass ihm einige der Protokollseiten auf Brust und Schoß gelandet waren, und er sich nicht traute, seine Akte mit einen Griff zusammenzuraffen, und zu ordnen.


Soll es wirklich beschämend sein, dass einige Seiten auf ihm gelandet sind? Ich kann sehen, dass es beschämend ist, dass er sich nicht traut sie zu ordnen, aber weil sie auf ihm gelandet sind nicht. Warum traut er sich eigentlich nicht? Bisher habe ich noch keinen Grund entdecken können warum dies so sein sollte. Weil sie seine Vorgesetzte ist, reicht mir da persönlich nicht aus. Was ist eigentlich aus der Kreditkarte geworden, hätte angenommen, dass sie nun noch irgendeine Rolle spielt, nachdem sie anderthalb Sätze bekommen hatte und mir deutlicher beschrieben wurde als Lais.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
„Ab morgen auf GOLDEX“, hörte Lais sie sagen. „Die Entscheidung wird nicht zurückgenommen, und ist mit Daniel Arnou abgesprochen.“


Keine Ahnung was dies nun bedeuten soll. Gut, für sie ist klar was sie meint, ebenso für ihn und für dich. Ich stehe verwirrt wie ein Ochse im Wald und frage mich, was ist hier eigentlich los.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Die angedeutete Kopfbewegung nach links


Diese Frau kommuniziert viel mit Kopfbewegungen, die mich wohl nur eine Augenbraue würde heben lassen. Kopfwackeln rechts, hinsetzen, Kopfwackeln links, Raum verlassen. Also wenn es nicht dabei stehen würde, würde ich mich ernsthaft fragen, was ist jetzt damit gemeint.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
veranlasste Lais, den Glaskasten sofort zu verlassen. Die restlichen Protokollseiten flatterten an seinen Beinen herab.


Ist die Akte jetzt ebenfalls unwichtig und bleiben jetzt dort liegen? Ich weiß nicht so recht was ich jetzt noch von der Szene mit der Akte halten soll. Also hat sie ihm die Akte, nur aus Dramatik, vor die Füße geworfen, ohne jetzt näher darauf einzugehen und sie jetzt einfach dort liegen zu lassen?

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
„Daniel Arnou“. Das klang in Lais’ Kopf bedrohlich nach.


Warum wird mir selbst nach der danach folgenden, langatmigen Erläuterung des Anredesystems nicht klar. Und mit langatmig meine ich tatsächlich, langweilig. Ich gehe auch davon aus, dass hier wohl der Schlüssel, zur Benutzung des Nachnamens hinter dem Rücken zu finden ist, tatsächlich sicher bin ich mir allerdings nicht und es interessiert mich auch nicht wirklich genug, um mich nun dort durchzuwursteln. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass ich sämtliche Informationen des Anredesystems bereits wieder vergessen haben werde, sobald ich es gelesen habe. Sollte es also wirklich wichtig sein, um bestimmte Dinge zu verstehen, solltest du es vielleicht in kleineren Portionen verabreichen und vielleicht auch einfach nebenbei einstreuen.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Lais Firma hatte drei Bereiche: AXE, INA oder GOLDEX. Auf AXE gab es schnell abgewickelte Fahrzeugpannen mit zeternden Kunden am Telefon, die schnell weiter wollten.


Und nach einem Abschnitt über Unternehmenskultur und ein Anredesystem, kommt nun bereits eine detaillierte Beschreibung der Tätigkeiten der Firma? Ich meine wir sprechen hier von einer Firma, deren Namen ich noch nicht einmal kenne, mit einem Mitarbeiter als Protagonist, von dem ich weniger weiß, als von einem Anredesystem, dass mir recht egal ist. Und ich weiß nicht einmal, was die Firma im allgemeinen macht. Nach diesem Abschnitt vermute ich, es geht um Versicherungen. Aber sicher kann ich mir nicht sein. Und tatsächlich verliere ich auch langsam, aber sicher, vollkommen das Interesse an all den Erklärungen, ich will eine Geschichte lesen. Aber der Großteil des bisherigen Textes war mehr Erklärung als Erzählung. Was auf mich schon abschreckend wirkt.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Auf INA ging es überwiegend um Krankenrücktransporte und man musste oft ins Arztbüro um Anweisungen einzuholen. Und auf GOLDEX ging es um Karten. Kreditkarten. Grüne, goldene, silberne und schwarze Karten. Kartenbesitzer. Wichtige Kartenbesitzer, solche, die sich dafür hielten, und - Premiumpersönlichkeiten.


Und trotzdem wird weiter erklärt. ich muss ehrlich gestehen, dies wäre wohl der Zeitpunkt, an dem ich wohl aufgegeben und das Buch einfach zur Seite gelegt hätte.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Zeffira hatte Lais mit einem Kopfzucken, einem Stapelwurf  und einer Bemerkung strafversetzt. Auf eine Abteilung, die unter alles anderen Umständen als die beste galt, und für die eine Versetzung eher Aufwertung als Strafe war.


Also war es keine Strafe, war es eine Strafe?

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Doch man hatte ganz oben von den Swatch-Käufen Wind bekommen, Zeffira musste beweisen, dass es keine Klüngelwirtschaft gab, und sich mit schnellen und brutalen Entscheidungen brüsten, die im oberen Management registriert, aber nicht richtig eingeschätzt wurden.


Ach ja, die Uhr, die ich persönlich inzwischen wieder vollkommen vergessen hatte. Nur, warum sollte sich die Chefetage dafür interessieren, wenn sie eine Uhr für ihren gegenwärtigen Freund kauft? Oder, ist es weil sie einen Arbeiter als Botenjunge verwendet hat? So oder so, ich kann nicht erkennen, was dies nun mit seiner "Beförderungen/Strafversetzung" zu tun hat. Und jetzt stellt sich noch mehr die Frage, was die Aktion mit der Akte nun sollte, wenn es jetzt so dargestellt wird, als ginge es um die Uhr.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Zeffira hatte diesmal zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sich selbst in ihrem Ruf als harter Höllenhund bestätigt, und damit den Schlangenkopf aus der Schlinge gezogen, hatte Lais noch dazu und wie gewünscht zutiefst verletzt, sich selbst daran berauscht, aber Lais nach oben weggelelobt. Dieses Opfer musste sie bringen.


Ja, einen Höllenhund habe ich nicht erkennen können. Und auch nicht, dass sie auch nur eine Fliege geschlagen hätte. Ich habe keine Ahnung, inwiefern sie nun ihren Kopf aus der Schlinge gezogen haben, oder welches Opfer sie nun gebracht soll.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Schließlich brauchten sie auf GOLDEX mehr Deutsch.


Und? Ich könnte jetzt vermuten, dass Lais Deutsch beherrscht, und es darum geht, mehr Personal zu haben welches Deutsch beherrscht, aber das ist alles nur geraten. Nur wenn sie Personal brauchen, welches Deutsch beherrscht, aus welchen Gründen ist er dann eigentlich, "befördert/strafversetzt" worden? Wegen der Akte? Wegen der Uhr? Wegen vermuteter Deutschkenntnise?

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Das hatte Monsieur Arnou anklingen lassen. Auf INA ging’s auch ohne. Spanisch und Französisch, ein bisschen Arabisch reichten aus. Und man konnte Lais bei schwierigen Fällen ohnehin vorübergehend in den zweiten Stock holen lassen.


Oh, noch mehr Erklärungen. Die nur Fragen aufwerfen, aber eigentlich keine beantworten. Und mich eigentlich nur ganz schnell weiterlesen lassen, in der Hoffnung, vielleicht kommen wir irgendwann in einem Teil der Geschichte an, der mehr aus Geschichte, als aus Erklärungen besteht.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Die Bedeutung ist ähnlich, letzteres allerdings klang für Lais’ deutsche Ohren immer noch  nach staubigen Trümmerfrauen und Nachkriegsland. Doch der Hang der Menschheit zur Fachsprache schafft immer wieder neue Paletten von Sondervokabular.


Moment, Lais ist deutsch? Jetzt bin ich endgültig verwirrt und frage mich, warum muss das so nebenher eingeworfen werden? Es ist wenn ich nicht etwas übersehen habe, dass erste Mal, dass wir etwas über unseren Protagonisten erfahren, außer seinem Namen. Und es wird halt hingeworfen, als sollte der Leser es schon längst wissen. Und was an organisieren nun nach Nachkriegsland klingen soll, erschließt sich mir ebenfalls nicht.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Warum, fragte der GOLDEX-Teamleiter, sollte ein Krankenwagenfahrer in Afrika nicht auch mal eine Pulle Schampus für Premiumkunden an den Strand fahren, wenn gerade keine Verletzten zu transportieren waren?


Und ich frage mich, was ist das für eine Firma, es erschließt sich mir immer noch nicht. Und wenn dieser Vorschlag deutlich machen soll, wie korrupt sie sind, dann halte ich das Beispiel für falsch gewählt.  Alleine schon weil sich mir nicht erschließt, welche französische Firma, irgendeine Befugnisgewalt über Krankenwagenfahrer in Afrika haben könnte.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

GOLDEX war in seiner Gunstgewährungsstrategie intelligent vorgegangen. Zunächst hatten sie erfolgreich am Mythos gearbeitet, nur Gutverdiener kämen an eine entsprechende Karte.


Oh, mehr Erklärungen und noch mehr Erklärungen. Und ganz ehrlich, hier überfliege ich nur noch die nächsten Absätze und lese immer noch Gerede über Karten, die mir recht egal sind und überfliege weiter. Bleibe kurz an Wörtfetzen hängen wie Masters of the Universe,Hoboken oder Uöri uöri goot- Englisch, Tschikago-Englisch. Aber wieder in den Text hinein komme ich so nicht mehr.


_________________
I don't care what model it was. No vacuum cleaner should give a human being a double polaroid.

Bonvolu alsendi la pordiston? Lausajne estas rano en mia bideo! And I think we all know what that means.

I'm not sure the flashlight is gonna kill that tank.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Rübenach
Geschlecht:männlichExposéadler
R


Beiträge: 2832



R
Beitrag14.06.2015 19:09

von Rübenach
Antworten mit Zitat

zu viel text für mein zeitbudget. zwei flüchtigkeitsfehler sind mir aufgefallen:

david arnou und daniel arnou - sind das zwei personen?

sagt man wirklich eine "gitane", wenn man eine zigarette der marke "gitanes" raucht?


_________________
"Vielleicht sollten mehr Leute Schreibblockaden haben." Joy Williams
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag14.06.2015 19:25
Zwei Kritiken
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für eure Kritik. Zur ersten Kritik: wenn du eine Geschichte lesen willst, dann lese eine Geschichte. Es gibt auch Textsorten, die eventuell deinem Geschmack nicht entsprechen. Geht mir genau so. Es drängt sich der Eindruck auf, man wollte einfach mal jemanden eine schlechtgelaunte Breitseite verpassen. Und wenn du keine Erklärungen magst, einfach dieLektüre abbrechen. Zu den anderen Punkten kann ich dir vielleicht später recht geben und korrigiere dann. Im Übrigen täte ein wenig Allgemeinbildung dem Leser gut.
Wer den Begriff GItane nicht kennt, tut mir leid.
Rübenach, ja die Einzahl ist tatsächlich Gutane. Französische Zigarettenmarke.


_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag14.06.2015 19:26
Zwei Kritiken
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für eure Kritik. Zur ersten Kritik: wenn du eine Geschichte lesen willst, dann lese eine Geschichte. Es gibt auch Textsorten, die eventuell deinem Geschmack nicht entsprechen. Geht mir genau so. Es drängt sich der Eindruck auf, man wollte einfach mal jemanden eine schlechtgelaunte Breitseite verpassen. Und wenn du keine Erklärungen magst, einfach dieLektüre abbrechen. Zu den anderen Punkten kann ich dir vielleicht später recht geben und korrigiere dann. Im Übrigen täte ein wenig Allgemeinbildung dem Leser gut.
Wer den Begriff GItane nicht kennt, tut mir leid.
Rübenach, ja die Einzahl ist tatsächlich Gutane. Französische Zigarettenmarke.


_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag14.06.2015 19:34
Slaavik
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe deine Kritik erneut gelesen. Vielleicht solltest du dich lieber mit der BILD- Zeitung beschäftigen?

_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
nebenfluss
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5982
Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
Podcast-Sonderpreis


Beitrag15.06.2015 09:37

von nebenfluss
Antworten mit Zitat

Hallo CLS,

du hast diesen Text in die Werkstatt gestellt und damit die Leser zur Textarbeit aufgefordert. Slaavik hat nichts anderes getan als das, was hier üblich und (im Sinne der Forenidee) erwünscht ist. Wenn du eine Gesamtschau bzw. eine daraus fortgeführte Diskussion anstoßen willst, müsstest du den Text ins Feedback stellen. Allerdings erwarten manche dort, ganz platt gesagt, Besseres. Von dem Reifegrad der "Social Call"-Auszüge ist das hier noch mehrere Evolutionsstufen entfernt. Insofern finde ich den Text in der Werkstatt durchaus richtig, deine Arroganz dagegen ziemlich unangebracht.

Etwas hat deine Abrechnung mit der Premium-Welt doch mit der BILD-Zeitung gemeinsam: Sie hält den Leser für geistig dezent minderbemittelt.
Dass Zeffira ihre Beine übereinandergeschlagen hat, wird im gleichen Absatz vorsichtshalber zweimal erwähnt. Dass sie, wenn sie einen unhandlichen Stapel Papier zwischen Daumen und Zeigefinger hält, alles kleinere nicht mit der vollen Faust anpacken wird, kann ich mir auch denken - ihre an Affektiertheit grenzende Bemühung um Eleganz (klar, wir sind ja auch in Frankreich Rolling Eyes) hatte ich hier längst begriffen:
Zitat:
Ihre linke Hand klopfte den Rand einer goldenen Kreditkarte rhythmisch auf die Schreibtischoberfläche, indem sie dem zwischen Daumen und Mittelfinger gehaltenen Plastikrechteck nach jedem Klopfen eine Vierteldrehung ermöglichte.

Vielleicht erklärst du uns mal, warum diese nebensächliche Handlung so umständlich beschrieben werden muss? Vielleicht lernen wir dann ja was.

Nichts gegen die genaue Beobachtung deines Prota - viellecht liefert der weitere Verlauf gute Gründe dafür, (Ich habe irgendwann die Lust am genauen Lesen verloren, eigentlich schon bei der Erläuterung dieser Vor- und Nachnamen-Hierarchie, die ich keine Lust hatte mir zu merken. Das bedeutet nicht, dass ich sie mir nicht hätte merken können.) aber wenn du die Klammer mitgelesen hast und gerade merkst, wie der rote Faden, den du bis vor kurzem sicher zwischen Daumen und Zeigefinger deiner linken (oder war's die rechte) Hand festzuhalten geglaubt hast, dieser nun langsam aber sicher zu entgleiten droht, hast du einen Eindruck davon, wie mühsam sich dein Text liest. Kurz gesagt: Dass dein Text länger und eloquenter konstruiert ist als die Sprache einer BILD-Reportage, beweist an sich gar nichts.

Ich mag deine Schreibe an sich sehr, und hoffe eigentlich auch, deine Texte weiterhin im dsfo lesen zu können. Auch den (zunehmenden?) Hang zur Gesellschaftskritik begrüße ich prinzipiell - gibt ja wenig genug davon in der heutigen Literaturlandschaft. Aber das hat seine Gründe, auf die man (z. B. stilistisch) reagieren könnte. Die Haltung: "Wer's halt nicht rafft oder falsch liest, hat Pech gehabt", ist doch nur selbstgerecht und führt zur Frustration. Progressiver fände ich, sich zu fragen, wie man den Leser "dort abholt, wo er steht."


_________________
"You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag15.06.2015 13:26
@Nebenfluss
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

OK, danke, damit kann ich etwas anfangen.
Was mir an Slavik nicht behagte, war das Gefühl. hier wollte einer einem mal so richtig einen reindreschen...
LG, CLS


_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag15.06.2015 19:54
Premiumwelt, zusammengeknüllt
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe meinen Text erzählerischer und straffer gestaltet. Wo für mich berechtigt, wirde die Kritik berücksichtigt.

Neues aus der Premiumwelt

Sie hatte Lais in den Glaskasten rufen lassen.
„Schon wieder eine Uhr?“, dachte er. Erst gestern hatte er am Boulevard Lafayette für ihren gegenwärtigen Freund eine hässliche Swatch besorgen müssen.

Zaffira, die alle hinter ihrem Rücken nur beim Nachnamen nannten, nutzte Untergebene gern für allerlei Botengänge.

„Sie müssen auch nicht ausstempeln.“

Doch heute verhieß ihr Gesichtsausdruck nichts Gutes. Sie saß, die Beine übereinandergeschlagen, hinterm Schreibtisch in der gläsernen Bürozelle. Im Aschenbecher qualmte eine stinkende Gitane vor sich hin. Zeffiras rechte Hand hielt zwischen Daumen und Zeigefinger einen Stapel Dokumente.  

Eine Kopfbewegung nach rechts oben befahl Lais, Platz zu nehmen. Eine Minute lang starrte Zaffira ihn wortlos an. Ihre linke Hand klopfte den Rand einer goldenen Kreditkarte rhythmisch auf die Schreibtischoberfläche. Plick, plock, plick, plock. Das Gesicht ebenmäßig, aber langweilig. Von einer aalglatten Schönheit, die zugleich keine Schönheit war, deren Wahrnehmung ein schales Gefühl hinterließ, und der zur Vervollkommnung ein gerüttelt Maß an Menschlichkeit fehlte. Zeffira atmete jetzt geräuschvoll ein, wie Lais mit von Beklemmung überdeutlicher Wahrnehmung hören konnte.

„Da ist ein Fehler in der Akte“, sagte sie, während sie Lais den Stapel mit einer raschen Drehbewegung der Hand in einem Bogenflug über der Schreibtisch vor die Füße warf. Auf dem Weg hatte sich der Papierstoß in eine Garbe loser Zettel aufgeteilt, von denen der größte Teil vor Lais Füßen zu Boden ging. Ein wollüstiges Zucken, kaum wahrnehmbar, spielte dazu um Zeffiras Unterlippe. Noch viel beschämender als all dies aber war, dass ihm einige der Bögen auf Brust und Schoß gelandet waren, und er sich nicht traute, die Akte  zusammenzuraffen und zu ordnen.  

„Ab morgen auf GOLDEX“, hörte Lais sie sagen. „Die Entscheidung wird nicht zurückgenommen, und ist mit Daniel Arnou abgesprochen.“ Die angedeutete Kopfbewegung nach links veranlasste Lais, den Glaskasten sofort zu verlassen. Die restlichen Protokollseiten flatterten an seinen Beinen herab.

Lais Firma hatte drei vollgequalmte Bereiche: AXE, INA oder GOLDEX. Auf AXE gab es schnell abgewickelte Fahrzeugpannen mit zeternden Kunden am Telefon, die schnell weiter wollten. Doch wer auf AXE einen schlechten Tag erwischte, hatte am Abend bis zu hundertachtzig Anrufe bearbeitet, und eine heisere Stimme. Auf INA ging es um Medizinfälle und man musste ständig ins Arztbüro um Anweisungen einzuholen. Und auf GOLDEX ging es um Karten. Kreditkarten. Grüne, goldene, silberne und schwarze Karten. Kartenbesitzer. Wichtige Kartenbesitzer, solche, die sich dafür hielten, und - Premiumpersönlichkeiten.

Zeffira hatte Lais mit einem Kopfzucken, einem Stapelwurf  und einer Bemerkung strafversetzt. Auf eine Abteilung, die unter allen anderen Umständen als die beste galt, und für die eine Versetzung eher Aufwertung als Strafe war. Doch man hatte ganz oben von den Swatch-Käufen und noch anderen Vorgängen Wind bekommen, Zeffira musste beweisen, dass es keinen Klüngel gab, und sich mit schnellen und brutalen Schachzügen profilieren, die auch im oberen Management mit Genugtuung registriert wurden. Zeffira hatte diesmal zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sich selbst in ihrem Ruf als hartem Höllenhund bestätigt, den Schlangenkopf aus der Schlinge gezogen, den Unbequemen ob eines kleinen Fehlers zutiefst verletzt, sich selbst an der Macht berauscht, und Lais dennoch nach oben wegloben müssen. Ein Opfer, dass sie bringen musste, um aus der Gefahrenzone zu geraten.

Lais sprach Deutsch, was sie auf GOLDEX dringend brauchten. Auf INA ging’s auch ohne. Spanisch und Französisch, ein bisschen Arabisch, das reichte aus. Dazu konnte man Lais in Notfällen ohnehin vorübergehend in den zweiten Stock holen lassen.  


GOLDEX war äußerst intelligent vorgegangen. Zunächst hatten sie am Mythos gearbeitet, nur Gutverdiener kämen an eine Karte. Und die Yuppies gierten nach diesen verschiedenfarbigen Ausweisen vorgeblichen Wohlstands, die sich spätabends in der Bar so eindrucksvoll auf den Tresen knallen ließen. Das gemeine Volk hatte die Basiskarte, die monopolyblaue mit dem verspielten Logo. Die etwas Wichtigeren hatten die Silberkarte. Und ob jemand die Mercurykarte führen konnte, kam nur auf den Umsatz an. Mercurybesitzer hatten eine gesonderte Rufnummer, die Telefone auf GOLDEX blinkten orange, wenn einer von ihnen anrief. Länger als dreimal durfte man nicht klingeln lassen. Sonst brüllten die pilotes.

Die Steigerung von allem aber war Black Titanium. Es war die Rede von der Banalisierung der Mercury gegangen, denn wenn schon höhere Angestellte eine solche Karte hatten, musste man einen neuen Ausweis erfinden, um sich von der Masse abzusetzen. So hieß es auch in den Schulungen. Was dort gesagt wurde, war Gesetz. Black Titanium bekam man nicht, BT war man. Schon allein umsatzmäßig. Und dass hieß, von GOLDEX dazu eingeladen zu werden. Wer das BT-Gefühl richtig schwer in der Hose tragen wollte, musste erst einmal kräftig einkaufen. Am besten alles auf Karte. Dabei war hilfreich, wenn man ein wenig bekannt, einer der Masters of the Universe aus der Bankenzone, C-Klassen-Promi, oder die Frau von Irgendeinem war. Hatte man den Eintrittsausweis in die Chefetage der Welt, konnte man bei Lais und den Kollegen anrufen, hatte immer einen persönlichen BT-conseiller am Telefon. Allein, Lais hatte dies zunächst für einen Witz der Kollegen von GOLDEX gehalten, aber es war die Wahrheit. Man bekam einen conseiller, genau so wie der Käufer bestimmter Edelkarren einen persönlichen Betreuer geschenkt bekommt, der Tag und Nacht im Fall der Fälle für den Besitzer da sein muss. Zwar waren die Leute auf GOLDEX keine wirklichen conseillers. Nicht einmal die schichtführenden pilotes, sie taten nur als ob. Die wirklichen Betreuer saßen in Hoboken, irgendwo zwischen Lincoln Tunnel und Newport. Der BT selbst wusste nicht, dass der conseiller in der Zentrale zugleich Berater von fünftausend anderen BTs war. Egal. Es zählte die Fassade. Menschen die Illusion zu geben, einer der ganz wenigen Leistungsträger dieser Galaxie zu sein. Der BT konnte alles, aber auch alles, beim Berater anfragen. Hauptsache legal. Ein Kilo Koks, das ging nicht. Eine Zofe, das ging. Lais und die anderen auf GOLDEX mussten jeden Tag aufs Neue versuchen, die Wünsche der Kalifen wahr zu machen.

Der gewöhnliche BT lebte seit Jahren in den USA, sprach allerdings nur Billigenglisch aus den zusammengesetzten Samples ein paar cool klingender Versatzstücke, womit man auf Partys talken, aber nicht viel bewerkstelligen konnte.  


Lais fuchste sich in die neue Aufgabe hinein. Saß der BT in seinem Berliner Loft, und begann zu spüren, was er nun haben musste, ging sein Anruf erst mal in die deutschsprachige Zelle von Hoboken. Wussten die nicht weiter, wurde er an Lais und die Kollegen, die unsichtbare Intelligenz, weitergeleitet. Dann hieß es um drei Uhr nachts durchs Headset: Ja, ich bin hier gerade zu Hause und gucke fern - und auf einmal denk’ ich, Mensch, Spaghetti mit Olivenöl und Knoblauch, dass wär’s jetzt. Dann mussten Lais und die Kollegen alles daransetzten, dem BT seine Spaghetti zu organisieren.

Was in der Vor-Internet-Zeit hieß: Gelbe Seiten aller größeren Städten wälzen, Taxiunternehmer anrufen, fragen, ob sie Spaghetti beim Italiener holen könnten, und mit der Karte vom BT abrechnen, das gab Umsatzpunkte, herumtelefonieren, während der nächste Wichtigmann schon in der Warteschleife kreiste. In Berlin ging das ja noch, aber manchmal war was in München zu organisieren:

„Hier ist GOLDEX in Paris…“
„GOLDEX? Jo wos is des jetzada? Paris? Spaghetti? “


Zeffira glotzte böse aus dem Glaskasten, hörte Gespräche mit, und überwachte alles. Manchmal regnete es im Glaskasten beschriebene Papierseiten über zusammengesunkene Gestalten.  Doch das konnte Lais nunmehr egal sein. Da er viel zu arbeiten hatte, und dies jeder wusste, war er für Zeffira unangreifbar geworden. Mal musste er auf INA, irgendwelchen Medizinkram übersetzen. Mal sollte er auf AXE für schottische Werkstätten Kabelbäume besorgen. Sogar Arnou grüßte ihn, wenn er die Abteilungen besichtigte.

Wenn der BT in den USA war, und das Flughafenenglisch nicht ausreichte, um die kondomförmigen Weingummis für seine Party zu besorgen, wenn er für seine Verliebtheiten Hotelzimmer mit Luftballons füllen lassen wollte, oder im Caesar’s einen Sonderwunsch anmelden wollte, dann hieß es: Gelbe Seiten wälzen, zwielichtige Sexshops anrufen, my name is Peter, it’s GOLDEX in Paris, one of our customers would like to purchase some so on and so forth, und die am anderen Ende davon überzeugen, dass es keine Verarschung war, wenn einer aus Frankreich absurde Anfragen vorbrachte. Den ganzen Dreck fedexen lassen. Im Falle des Scheiterns gleich Uhse in Hamburg anrufen und fragen, ob sie den Kram in die USA senden können. Dann ging’s das Zeug raus, aber der Zoll stellte lebensmittelrechtliche Fragen, und Lais saß eine halbe Woche pro Fall daran, die Gummis über die Grenze zu schaffen. Es entstanden fernmündliche Beziehungen, Vertrautheiten und auch Freundschaften, von denen Lais sogar später einige traf. Mark aus Hoboken hatte Lais unbedingt kennenlernen wollen, da seine Telefonansagen für ihn, wie er es ausdrückte,  off beat waren, und er das dazugehörige Gesicht einmal sehen wollte. Oft hatten sie lange, transatlantische Gespräche über Cohen und Daisy Chain geführt, oder sich über die BTs und ihre billigen Vorlieben die Mäuler zerrissen.

Der Job war schnell, hektisch und dicht. Hier und dort klingelte es in unterschiedlichen Tastenfarben. Mal hatte der BT Wer mit den Wölfen tanzt gesehen. Mit Costner. Hollywood. Seit dieser Zeit heißt jedes zweite Problemkind Kevin. Der BT aber wollte keinen Kevin, sondern das Pferd aus dem Film, oder wenigstens ein Tier gleicher Rasse. Man rief in Hollywood an. Aha, American Quarter Horse also. Lais fand einen Züchter. Fünfzigtausend sollte das Pferd kosten. Per Flugzeugtransport, so hieß es, könne es sogar nach Deutschland gebracht werden. Lais faxte dem BT alles was er erfahren hatte, er durfte ja nicht mit ihm reden, und nur in Ausnahmefällen, unter Einwilligung von Hoboken, Kontakt aufnehmen.

Das Pferd flog als Luftfracht nach Deutschland. Der BT nahm es in Empfang, hatte ein paar zahntausend weniger auf dem Konto. Portokasse.

Mal wollte einer dem erkrankten Hund aus Württemberg, schon bereits auf dem Wege der Besserung, ein Kilo Hühnerherzen mit Krankenwagen und roter Schleife zum Geburtstag schenken. Lais und die anderen hatten, weil in Deutschland niemand eine derartig irrsinnige Aktion zu machen bereit war, eine  blauweiße Ambulanz aus dem Elsass vorfahren lassen, die dem Schwanzwedler das Fresschen bringen musste. „Habe nun, ach!“, dachte Lais sich mit Goethe. Doch er war jung, und brauchte das Geld.

Frauen als BT gab es nicht. Wie Lais sie kannte, war ihnen das sicherlich um einiges zu blöd. Genau so, wie es auch keine Autobahndränglerinnen gibt. Frauen kamen in der BT-Welt nur als kaum wahrnehmbares, und doch immer vorhandenes, unentbehrliches Dekor vor, als hübsche Prestigedame, die sich mit all dem Silikon an ihren BT gehängt hatte, als gute Fee, die versuchte, alles irgendwie noch im Rahmen zu halten. Der BT und seine Gefährtin, sie bildeten Paare von Wesen, die sich gegenseitig Glanz spendeten.  Er im hellen Licht des potenten und gönnerhaften Jägers, sie im Glanze des Fortünenprunks.

Nun war es in Mode gekommen, im New Yorker Windows on the World zu speisen, und jeder wichtige BT wollte auf einmal im WOW essen, so lautete die griffige Abkürzung, beim Essen gesehen werden. Deshalb legte GOLDEX nun noch ein Gourmand-Program auf: Jeden Tag ein freigehaltener Tisch im WOW. Ein Anruf genügte, Lais hatte die Plätze, und der Helikopter konnte auf dem Dach landen. Beliebte und geschwätzige Fersehmoderatoren, die in ihrem Informationsstand über die Welt garantiert immer knapp daneben lagen, wollten oft im WOW speisen. Und mancher, was etwas seltener vorkam, auch mal in der Little White Chapel heiraten. Lais arrangierte das.

Mal sollte ein Apartment mit rosa Teddys und bunten Ballons gefüllt werden, mal hatte sich ein BT auf einer Veranstaltung in eine unbekannte japanische Tänzerin verliebt. Lais und die anderen organisierten Treffen, Kennenlernen und Hochzeit. Mal wollte ein BT Karten für ein Konzert in Finnland, das seit Jahren schon ausverkauft war. Lais rief seinen alten Professor Jako aus Finnland an, der die Karten irgendwie besorgte. Lais besorgte einen Glassarg für einen buddhistischen Mönch, reservierte ganze Schiffe, buchte Bands, besorgte Parfüm, schickte Dunhill-Pfeifen in afrikanische Krisenregionen, orderte Golfschläger für zehntausende Dollar, bestellte Superstars auf Privatfeiern in Drittweltländer, schickte Sachertorten mit dem Taxi über Grenzen. Einer wollte zum Geburtstag Nackttanz auf dem Tisch sehen, „geil, aber nicht zu ordinär“ so hatte man es auf das Bestellfax gekritzelt. Lais lachte sich eins ob der dümmlichen Formulierung. Sie holten sich  die Gelben Seiten rund um den Bodensee, riefen die Puffs an: „Hallo, ist da die Monique-Bar? GOLDEX in Paris. Einer unserer Kunden möchte einen Nackttanz: Geil, aber nicht zu ordinär. Geht das?“ Und klar, irgendeine hat’s dann für ein paar Hunderter gemacht.

Einer wollte ein Topmodel mit Vornamen Claudia zur Party: „Preis egal“, hatte er vermerkt. Lais rief  die Agentur in New York an. Prinzipiell ginge das für ein einige zehntausend schon, vorbehaltlich Claudias Einverständnis. Das hatte Lais dem BT mitteien lassen, der schon ganz aus dem Häuschen vor Vorfreude war. Claudia hatte dann aber doch abgesagt, warum sollte sie sich auf der Party eines ihr völlig Unbekannten aus Süddeutschland langweilen, wo ihr Leben doch auch so schon ziemlich öde langweilig musste? Lais hatte dem BT Claudias Bedauern schriftlich übermittelt, der Lais sofort angewiesen hatte: „Nehmen Sie eine Kollegin aus Ihrem amerikanischen Büro mit sehr weiblicher Handschrift, legen Sie übermorgen um zwanzig Uhr local den von ihr handgeschriebenen Text aufs Fax: Hallo Michi, hier Claudi in NY, kann leider zu deiner Party nicht kommen. Dringende Termine. Bussi.“ Auch das hatte Lais, dem die Arbeit immer zäher wurde, getan, damit der BT dann auf der Party mit dem billigen und verlogenen Fax mit der 001-Vorwahl und der Zeitverschiebung herumwedeln, und dabei auch noch Geld sparen konnte. „Wenn das keine Dekadenz ist, was ist es dann?“ fragte Lais sein Selbst.

Der Arroganteste der Sohn eines mittelmäßigen Entertainers, frech, hochfahrend, dumm, BT. Der wollte täglich irgendwas: Karten für Wimbledon, wo schon alles ausverkauft war. Stones-Tickets, die es nicht mehr gab, denn Jagger  hatte sich, jugendkulturell gesehen, genau so in die Masse hinein banalisiert wie die Mercury-Karte. WOW-Essen, 56er Buick und Hochzeit in St. Louis.

Seit der BT-Zeit hatte Lais die Stones nicht mehr hören können, da gute Musik immer genau das sein muss, was das Arschloch von nebenan gerade nicht ertragen kann, und eine Haltung des stetigen Hinterfragens sein muss. Und dennoch sollte Lais sie dann doch immer wieder aus egoistischen Gründen reiner Selbstbefriedigung und  klammheimlich auflegen. Weil sie so rotzig blechern und gut waren, so nachlässig scheppern konnten, zu den Kratzern in den Plattenrillen passten, und immer noch vom feinsten Dilettantismus waren. Was hatten sie mit all dem Quatsch zu tun?

Bei Lais’ Hausarzt hängt ein Poster der Schrumpfköpfe: „Guck mal, was ein menschkicher Körper aushält. Stell’ dich nicht so an“, soll es manchem Patienten sagen.

Lais musste täglich an Zeffiras Glaskasten vorbei. Beim Kommen und beim Gehen, beim Warten auf den Lift. Oft konnte er darin lose Blätter regnen sehen. Zusammengekauerte Wesen saßen auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch.

Doch irgendwann war Schluss damit. Zeffiras Extravaganzen waren der Firma zuviel geworden. Und auf allen drei verrauchten Stockwerken hatten die Schampuskorken geknallt.

Und nun war auch für Lais die Zeit gekommen, zu gehen. Er beschloss erwachsen zu werden, und sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Er trank den Sekt noch mit, kam aber nie mehr zurück.


_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
nebenfluss
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5982
Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
Podcast-Sonderpreis


Beitrag18.06.2015 20:04

von nebenfluss
Antworten mit Zitat

Hallo Lais,

wollte mich an dieser Stelle noch mal für die Tendenz in meinem letzten Kommentar entschulden - ich hatte gar nicht vor, mich auf eine Seite zu schlagen, sondern nur einer eventuellen Eskalation vorbeugen.

Zur neuen Version:

Das Positive vorweg:
- insgesamt deutlich besser: lesefreundlicher, ohne langweilig zu sein
- das Thema finde ich auf jeden Fall interessant.
- Schauplatz und Struktur der Firma wirken plausibel und authentisch
- gute Entscheidung, dass du dich von der Erläuterung des "Ansprechformalien" getrennt hast - in einer längeren Erzählung könnte die sicher zum Tragen kommen, aber für diesen Text ist sie entbehrlich.

Aber:
Ich habe es jetzt auch konzentriert zu Ende gelesen und finde (nach wie vor), dass der Aufbau problematisch ist.

Du steigst szenisch in den Text ein, und deshalb erwarte ich im Grunde eine konventionell erzählte Geschichte mit fortschreitender Handlung in weiteren verglechbaren Szenen bzw. Dialogen.

Das heißt, zwischen diesen beiden Absätz ist ein Bruch, ...
Zitat:
„Ab morgen auf GOLDEX“, hörte Lais sie sagen. „Die Entscheidung wird nicht zurückgenommen, und ist mit Daniel Arnou abgesprochen.“ Die angedeutete Kopfbewegung nach links veranlasste Lais, den Glaskasten sofort zu verlassen. Die restlichen Protokollseiten flatterten an seinen Beinen herab.

Lais Firma hatte drei vollgequalmte Bereiche: AXE, INA oder GOLDEX. Auf AXE gab es schnell abgewickelte Fahrzeugpannen mit zeternden Kunden am Telefon, die schnell weiter wollten. Doch wer auf AXE einen schlechten Tag erwischte, hatte am Abend bis zu hundertachtzig Anrufe bearbeitet, und eine heisere Stimme. Auf INA ging es um Medizinfälle und man musste ständig ins Arztbüro um Anweisungen einzuholen. Und auf GOLDEX ging es um Karten. Kreditkarten.

... der völlig in Ordnung geht: Da wird jetzt eben etwas zum Aufbau der Versicherungsfirma und den Hierarchien (der Mitarbeiter wie der Kunden) erzählt. Klar, das wäre szenisch viel zu umständlich, deshalb kommt das als ein Info-Paket, sorgt so auch für Abwechslung.
Nur hört dieser Info-Dump irgendwie gar nicht mehr auf bzw. geht irgendwann in die geradezu endlos scheinende Aufzählung der Anforderungen der BT-Kunden über.
Was ich eigentlich schade finde, denn das ist ja eine beeindruckende Menge origineller Beispiele, die ihre sarkastische Wirkung aber als Streusalz in einer deutlich längeren Erzählung sicher besser entfalten würde - mit Szenen dazwischen, die mir mehr über Lais erzählen und seine Entwicklung zeigen, seine zunehmende Genervtheit, die schließlich zum Ausstieg aus dem Laden führt. Aber so, wie es dasteht, ist es mir e. g. noch zu undynamisch, zu leierig in seiner reinen Aneinanderhängung.

Das Ende hat mich zwar ein wenig versöhnt, weil du mit dem wiederkehrenden Bild des Papierregens über Zeffiras zusammengekauerten Opfern, ihrem Rausschmiss und Lais' eigenen Abschied doch einen Rahmen gefunden hast. Aber wie gesagt: Ich denke, das Material schreit eigentlich nach einer richtigen, handlungsgetragenen "Geschichte", die an diesem Schauplatz und in diesem Milieu ihren Lauf nimmt.
Das ist, wenn ich eine Äußerung an Slaavik richtig interpretiere, nicht dein Vorhaben. Aber ich kann dir nur sagen, was ich damit machen würde. Vielleicht überdenkst du es ja nochmal.

Lesenswert fand ich es auf jeden Fall.

LG


_________________
"You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag11.07.2015 17:41
Neues aus der Premiumwelt 3.0
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Neues aus der Premiumwelt

Sie hatte Lais in den Glaskasten rufen lassen.
„Schon wieder eine Uhr?“, dachte er. Erst gestern hatte er am Boulevard Lafayette für ihren Freund eine hässliche, blauweiße Swatch mit Cupido-Bild besorgen müssen.

Zaffira, die alle hinter ihrem Rücken nur beim Nachnamen nannten, nutzte Untergebene gern für allerlei Botengänge.

„Sie müssen auch nicht ausstempeln.“

Doch heute verhieß ihr Gesichtsausdruck wieder mal nichts Gutes. Sie saß, die Beine übereinandergeschlagen, hinterm Schreibtisch in der gläsernen Bürozelle. Im Aschenbecher qualmte eine stinkende Gitane vor sich hin. Zeffiras rechte Hand hielt zwischen Daumen und Zeigefinger einen Stapel Dokumente.   

Eine Kopfbewegung nach rechts oben befahl Lais, Platz zu nehmen. Zaffira starrte ihn eine Minute lang wortlos an. Ihre linke Hand klopfte den Rand einer goldenen Kreditkarte rhythmisch auf die Schreibtischoberfläche. Plick, plock, plick, plock. Das Gesicht darüber  ebenmäßig, aber langweilig. Von einer aalglatten Schönheit, die zugleich auch keine war, deren Betrachtung ein schales Gefühl hinterließ, und der zur Vervollkommnung ein gerüttelt Maß an Menschlichkeit und Makel fehlte. Zeffira atmete jetzt geräuschvoll ein, wie Lais mit vor Sorge überdeutlicher Wahrnehmung hören konnte.

„Da ist ein Fehler in der Akte“, sagte sie, während sie Lais den Stapel mit einer raschen Drehbewegung der Hand in einem Bogenflug über der Schreibtisch vor die Füße warf. Auf dem Weg hatte sich der Papierstoß in eine Garbe loser Zettel aufgeteilt, von denen der größte Teil vor Lais Füßen zu Boden ging. Ein wollüstiges Zucken, kaum wahrnehmbar, spielte dazu um Zeffiras Unterlippe. Noch viel beschämender als all dies aber war, dass ihm einige der Bögen auf Brust und Schoß gelandet waren, und er sich, vor Angst wie gelähmt, nicht traute, die Akte  zusammenzuraffen und zu ordnen.   

„Ab morgen auf GOLDEX“, hörte Lais sie sagen. „Die Entscheidung wird nicht zurückgenommen, und ist mit Arnou abgesprochen.“ Die angedeutete Kopfbewegung nach links veranlasste Lais, den Glaskasten sofort zu verlassen. Die restlichen Protokollseiten flatterten an seinen Beinen herab.

Lais Firma hatte drei vollgequalmte Bereiche: AXE, INA oder GOLDEX. Auf AXE gab es schnell abgewickelte Fahrzeugpannen, Unfälle, zeternde Kunden am Telefon, die schnell weiter wollten. Doch wer auf AXE einen schlechten Tag erwischte, hatte am Abend bis zu hundertachtzig Anrufe bearbeitet, und eine heisere Stimme. Auf INA gab es Medizinfälle, man musste ständig ins Arztbüro um Anweisungen einzuholen. Aber auf GOLDEX ging es um Karten. Kreditkarten. Grüne, goldene, silberne und schwarze Karten. Kartenbesitzer. Wichtige Kartenbesitzer, solche, die sich dafür hielten, und - Premiumpersönlichkeiten.

Zeffira hatte Lais mit einem Kopfzucken, einem Stapelwurf  und einer Bemerkung strafversetzt. Auf eine Abteilung, die unter allen anderen Umständen als die beste galt, und für die eine Versetzung eher Aufwertung als Strafe war. Doch man hatte ganz oben von den Swatch-Käufen und noch anderen Vorgängen Wind bekommen, Zeffira musste beweisen, dass es keinen Klüngel gab, und sich mit schnellen und brutalen Schachzügen profilieren, die auch im oberen Management mit Genugtuung registriert wurden. Zeffira hatte diesmal zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sich selbst in ihrem Ruf als hartem Höllenhund bestätigt, den Schlangenkopf aus der Schlinge gezogen, den Unbequemen ob eines kleinen Fehlers zutiefst verletzt, sich selbst an der Macht berauscht, und Lais dennoch nach oben wegloben müssen. Ein Opfer, dass sie bringen musste, um aus der Gefahrenzone zu geraten.

Lais sprach Deutsch, eine Sprache, die sie auf GOLDEX dringend brauchten. Auf INA ging’s auch ohne. Spanisch, Portugiesich und Französisch, ein bisschen Arabisch, die reichten aus. Dazu konnte man Lais in Notfällen ohnehin schnell in den zweiten Stock holen lassen.   

Lais trat aus dem Lift du betrat das INA-Plateau. Die Kollegen hatten seinen schlurfenden Gang gleich bemerkt. Und da jeder wusste, dass er direkt aus dem Glaskasten kam war ohnehin klar, dass Veränderungen bevorstanden. Lais packte seine Stifte, den Handatlas, die Zigaretten, die Flasche Contrex und ein paar verbliebene Schnellhefter in seine Aktentasche, erklärte Tarik, Assane und Philippe schnell die neue Situation, und machte sich daran, den verrauchten Bereich zu verlassen.

„Sagt es den anderen weiter.“

„Auf Goldex? Sei doch froh, dass du die Fälle in Marokko los bist“,
flötete Philippe, der immer gern über die letzte Nacht und die körperlichen Vorzüge seiner Liebhaber berichtete. Latinos, Chinesen, französische Muskelprotze, die wie Rechte aussahen.
Bei einer Sicherheitsschulung der Feuerwehr hatte er einmal brüllendes Gelächter ausgelöst. Der Feuerwehrmann hatte im Kommißton gefragt:

„Wenn’s brennt, kloppen wir alles zur Seite und brechen jede Tür auf. Schon jemand mal einen Brandalarm gehabt? Da stehen nach fünf Minuten zehn Feuerwehrmänner im Schlafzimmer. Ohne Rücksicht.“ Worauf Philippe ausgerufen hatte:
„Zehn Feuerwehrmänner im Schlafzimmer? Ein Traum!“
Der Feuerwehrmann hatte den Witz nicht verstanden.

„Vielleicht kommt für dich alles besser“, sagte Assane in seinem zischenden afrikanischen Akzent. Er hatte auch schon Ärger mit Zaffira gehabt. Denn im Männerklo hatte er Briefe von seiner Familie verbrannt: „Schlechte Nachrichten aus Afrika.“

Der fünfsprachige Tarik war ganz ruhig geblieben: „Sowieso die gleiche Scheiße wie hier“, hatte er lakonisch bemerkt, und den Einwurf mit den Punkten und Kommata, putain und con, der Südfranzosen gespickt.

Lais warf noch kurz einen Blick aus den hellen Fenstern, durch die man die Erker und Balkone der gegenüberliebenden Häuserzeile sehen konnte, auf denen Kübel mit kleinen Birken standen. Diese freundlichen Bäume wachsen überall, hatte Lais noch gedacht.

Zum Glück war der Lift leer. Lais fuhr zu GOLDEX hoch und ließ sich einweisen. Laut war es hier oben. Permanent klingelte es irgendwo. Je länger man den Anruf nicht annahm, desto lauter und aufgeregter wurde das Klingeln.


GOLDEX war äußerst intelligent vorgegangen. Zunächst hatten sie am Mythos gearbeitet, nur Gutverdiener kämen an eine Karte. Und die Yuppies gierten nach diesen verschiedenfarbigen Ausweisen vorgeblichen Wohlstands, die sich spätabends in der Bar so eindrucksvoll auf den Tresen knallen ließen. Das gemeine Volk hatte die Basiskarte, die monopolyblaue mit dem verspielten Logo. Die etwas Wichtigeren hatten die Silbernfarbige. Und ob jemand die Mercurykarte führen konnte, kam nur auf den Umsatz an. Mercurybesitzer hatten eine gesonderte Rufnummer, die Telefone auf GOLDEX blinkten orange, wenn einer von ihnen anrief. Länger als dreimal durfte man nicht klingeln lassen. Sonst brüllten die pilotes.

„Rangehen! Warteschleife!“

Die Steigerung von allem aber war Black Titanium. Es war die Rede von der Banalisierung der Mercury gegangen, denn wenn schon höhere Angestellte eine solche Karte hatten, musste man flugs einen neuen Ausweis erfinden, um sich von der Masse abzusetzen. So hieß es auch in den Schulungen; was dort gesagt wurde, war Gesetz. Black Titanium bekam man nicht, BT, wie man auf dem Plateau gern abkürzte, war man. Schon allein umsatzmäßig. Man wurde von GOLDEX dazu eingeladen. Anträge gab es nicht. Wer das BT-Gefühl richtig schwer in der Hose tragen wollte, musste also erst mal kräftig einkaufen. Natürlich auf Karte. Dabei war hilfreich, wenn man ein wenig bekannt, einer der Masters of the Universe aus der Bankenskyline, C-Klassen-Promi, oder wenigstens die konsumfreudige Frau von Irgendeinem war. Hatte man den Eintrittsausweis in die globale Chefetage, konnte man bei Lais und den Kollegen anrufen, hatte immer einen persönlichen BT-conseiller am Telefon. Allein, Lais hatte dies zunächst für einen Witz der Kollegen gehalten, aber es war die Wahrheit. Man bekam einen conseiller, genau so wie der Käufer bestimmter Edelkarossen einen persönlichen Betreuer geschenkt bekommt, der Tag und Nacht im Fall der Fälle für den Besitzer da sein muss. Zwar waren die Leute auf GOLDEX keine wirklichen conseillers. Nicht einmal die  pilotes. Sie taten nur als ob. Die wirklichen Betreuer saßen in Hoboken, irgendwo zwischen Lincoln Tunnel und Newport. Der BT selbst wusste nicht, dass der conseiller in der Zentrale zugleich Berater von fünftausend anderen BTs war. Egal. Es zählte die Fassade. Menschen die Illusion zu geben, einer der ganz wenigen Leistungsträger dieser Galaxie zu sein, die alles, aber auch alles, beim Berater anfragen konnten. Hauptsache legal. Ein Kilo Koks, das ging nicht. Eine Zofe, das ging. Waffen gingen nicht. Diamanten schon. Lais und die anderen auf GOLDEX mussten jeden Tag aufs Neue versuchen, die Wünsche wahr zu machen.

Der gewöhnliche BT lebte seit Jahren in den USA, meistens in Florida, sprach allerdings nur durchschnittliches Billigenglisch aus zusammengesetzten Samples ein paar cool klingender Versatzstücke, mit denen man auf Partys talken, aber nicht viel bewerkstelligen konnte.   


Lais fuchste sich in die neue Aufgabe hinein. Saß der BT in seinem Berliner Loft, und begann zu spüren, was er nun haben musste, ging sein Anruf erst mal in die deutschsprachige Zelle von Hoboken. Wussten die nicht weiter, wurde er an Lais und die Kollegen, die unsichtbare Intelligenz, weitergeleitet. Dann hieß es um drei Uhr nachts durchs Headset: Ja, ich bin hier gerade zu Hause und gucke fern - und auf einmal denk’ ich, wow, Mensch, Spaghetti mit Olivenöl und Knoblauch, dass wär’s jetzt. Dann mussten Lais und die Kollegen alles daransetzten, dem BT Spaghetti zu organisieren.

Gelbe Seiten aller größeren Städte wälzen, Taxiunternehmer anrufen, fragen, ob sie Spaghetti beim Italiener holen könnten, und mit der Karte vom BT abrechnen, das gab Umsatzpunkte. Herumtelefonieren, während der nächste Wichtigmann schon in der Warteschleife kreiste.

Zeffira glotzte böse aus dem Glaskasten, hörte Gespräche mit, und überwachte alles. Manchmal regnete es im Glaskasten beschriebene Papierseiten über zusammengesunkene Gestalten. Da er viel zu arbeiten hatte, und jeder dies auch wusste, war er für Zeffira unangreifbar geworden. Mal musste er auf INA, irgendwelchen Medizinkram übersetzen. Mal sollte er auf AXE für schottische Werkstätten Kabelbäume besorgen. Sogar Arnou grüßte ihn mittlerweile, wenn er die Abteilung besichtigte.

Wenn der BT in den USA war, und das Flughafenenglisch nicht ausreichte, um die kondomförmigen Weingummis für seine Party zu besorgen, wenn er für seine Verliebtheiten Hotelzimmer mit Luftballons füllen lassen wollte, oder im Caesar’s einen Sonderwunsch anmelden wollte, dann hieß es: Gelbe Seiten wälzen, zwielichtige Sexshops anrufen, my name is Peter, it’s GOLDEX in Paris, one of our customers would like to purchase some so on and so forth, und die am anderen Ende davon überzeugen, dass es keine Verarsche war, wenn einer aus Frankreich absurde Anfragen vorbrachte. Den ganzen Dreck fedexen lassen. Im Falle des Scheiterns gleich Uhse in Hamburg anrufen und fragen, ob sie den Kram in die USA senden können. Dann ging’s das Zeug raus, aber der Zoll stellte lebensmittelrechtliche Fragen, und Lais saß eine halbe Woche pro Fall daran, die Gummis über die Grenze zu schaffen. Es entstanden fernmündliche Beziehungen, Vertrautheiten und auch Freundschaften, von denen Lais sogar später einige traf. Mark aus Hoboken hatte Lais unbedingt kennenlernen wollen, da seine Telefonansagen für ihn, wie er es ausdrückte,  off beat waren, und er das dazugehörige Gesicht einmal sehen wollte. Oft hatten sie lange, transatlantische Gespräche über Cohen und Daisy Chain geführt, oder sich über die BTs und ihre billigen Vorlieben die Mäuler zerrissen.

Der Job war schnell, hektisch und dicht. Fortwährend klingelte es in unterschiedlichen Tastenfarben. Mal hatte der BT Wer mit den Wölfen tanzt gesehen. Mit Costner. Hollywood. Seit dieser Zeit heißt jedes zweite Problemkind Kevin. Der BT aber wollte keinen Kevin, sondern das Pferd aus dem Film, oder wenigstens ein Tier gleicher Rasse. Lais rief in Hollywood an. Aha, American Quarter Horse also. Lais fand einen Züchter. Fünfzigtausend sollte das Pferd kosten. Per Flugzeugtransport, so hieß es, könne es sogar nach Deutschland gebracht werden. Lais faxte dem BT alles was er erfahren hatte, er durfte ja nicht mit ihm reden, und nur in Ausnahmefällen, unter Einwilligung von Hoboken, Kontakt aufnehmen.

Das Pferd flog als Luftfracht nach Deutschland. Der BT nahm es in Empfang, hatte ein paar zehntausend weniger auf dem Konto. Egal. Portokasse.

Mal wollte einer dem erkrankten Hund aus Württemberg, schon bereits auf dem Wege der Besserung, ein Kilo Hühnerherzen mit Krankenwagen und roter Schleife zum Geburtstag schenken. Lais und die anderen hatten, weil in Deutschland niemand eine derartig irrsinnige Aktion zu machen bereit war, eine  blauweiße Ambulanz aus dem Elsass vorfahren lassen, die dem Schwanzwedler das Fresschen bringen musste. Lais’ Gewissen fragte öfter an, ob der Job der richtige wäre. Doch er war jung, und brauchte das bisschen Geld.

Frauen als BT gab es nicht. Genau so, wie es keine Autobahndränglerinnen oder Kampfradlerinnen gibt. Frauen kamen in der BT-Welt nur als kaum wahrnehmbares, und doch immer vorhandenes, unentbehrliches Dekor vor, als hübsche Prestigeobjekte, die sich unter Aufbringung von viel Silikon an ihren BT gehängt hatte, als gute Fee, die versuchte, alles irgendwie noch im Rahmen zu halten. Der BT und seine Gefährtin, sie bildeten Paare von Wesen, die sich gegenseitig Glanz spendeten.  Er im hellen Licht des potenten und gönnerhaften Jägers, sie im Glanze des Fortünenprunks.

Manchmal musste Lais zu den Ärzten. Medizinkram dolmetschen. Femur und Tibia. Österreich. Kleine Mädchen mit Embrionalanlagen im Bauch. Karibik. Leute, die sich für George Bush hielten, und in Badehosen in billigen Urlaubshotels Reden hielten. Jamaica. Die Ärzte wurden nur mit dem Nachnamen angeredet, sonnten sich in Eitelkeit, hatten den harten, französischen Medizin-Concours bestanden und aalten sich in Eitelkeit und machten unangebrachte Sprüche: „Voilà der Repräsentant des Vierten Reiches“, hieß es, wenn Lais das Büro betrat. Ihm war das egal. Die hatten zwar ihre Medizin in der Birne, aber von Subtilität keine Ahnung. Sei’s drum. Lais dolmetschte, und fuhr wieder nach oben. Aber all das machte ihn mürbe und müde. Die aufgeblasenen Ärzte. Die petits chefs in ihren Büros, Zaffira, die Premiumkunden, diese ganze elende Welt aus Unwichtigkeiten.

Nun war es in Mode gekommen, im New Yorker Windows on the World zu speisen, und jeder wichtige BT wollte auf einmal im WOW essen, so lautete die griffige Abkürzung, beim Essen gesehen werden. Deshalb legte GOLDEX nun noch ein Gourmand-Program auf: Jeden Tag ein freigehaltener Tisch im WOW. Ein Anruf genügte, Lais hatte die Plätze, und der Helikopter konnte auf dem Dach landen. Beliebte und geschwätzige Fersehmoderatoren, die in ihrem Informationsstand über die Welt garantiert immer knapp daneben lagen, wollten oft im WOW speisen. Und mancher, was nur geringfügig seltener vorkam, in der Little White Chapel heiraten. Lais arrangierte das.

Mal sollte ein Apartment mit rosa Teddys und bunten Ballons gefüllt werden, mal hatte sich ein BT auf einer Veranstaltung in eine unbekannte japanische Tänzerin verliebt. Lais und die anderen organisierten Treffen, Kennenlernen und Hochzeit. Mal wollte ein BT Karten für ein Konzert in Finnland, das seit Jahren schon ausverkauft war. Lais rief seinen alten Professor Jako aus Finnland an, der die Karten irgendwie besorgte. Lais besorgte einen Glassarg für einen buddhistischen Mönch, reservierte ganze Schiffe, buchte Bands, besorgte Parfüm, schickte Dunhill-Pfeifen in afrikanische Krisenregionen, orderte Golfschläger für zehntausende Dollar, bestellte Superstars auf Privatfeiern in Drittweltländer, schickte Sachertorten mit dem Taxi über Grenzen. Einer wollte zum Geburtstag Nackttanz auf dem Tisch sehen, „geil, aber nicht zu ordinär“ so hatte man es auf das Bestellfax gekritzelt. Lais lachte sich eins ob der dümmlichen Formulierung. Sie holten sich  die Gelben Seiten rund um den Bodensee, riefen die Puffs an: „Hallo, ist da die Monique-Bar? GOLDEX in Paris. Einer unserer Kunden möchte einen Nackttanz: Geil, aber nicht zu ordinär. Geht das?“ Und klar, irgendeine hat’s dann für ein paar Hunderter gemacht.

Einer wollte ein Topmodel mit Vornamen Claudia zur Party: „Preis egal“, hatte er vermerkt. Lais rief  die Agentur in New York an. Prinzipiell ginge das für ein einige zehntausend schon, vorbehaltlich Claudias Einverständnis. Das hatte Lais dem BT mitteien lassen, der schon ganz aus dem Häuschen vor Vorfreude war. Claudia hatte dann aber doch abgesagt, warum sollte sie sich auf der Party eines ihr völlig Unbekannten aus Süddeutschland langweilen, wo ihr Leben doch auch so schon ziemlich öde langweilig musste? Lais hatte dem BT Claudias Bedauern schriftlich übermittelt, der Lais sofort angewiesen hatte: „Nehmen Sie eine Kollegin aus Ihrem amerikanischen Büro mit sehr weiblicher Handschrift, legen Sie übermorgen um zwanzig Uhr local den von ihr handgeschriebenen Text aufs Fax: Hallo Michi, hier Claudi in NY, kann leider zu deiner Party nicht kommen. Dringende Termine. Bussi.“ Auch das hatte Lais, dem die Arbeit immer zäher wurde, getan, damit der BT dann auf der Party mit dem billigen und verlogenen Fax mit der 001-Vorwahl und der Zeitverschiebung herumwedeln, und dabei auch noch Geld sparen konnte. „Wenn das keine Dekadenz ist, was ist es dann?“ fragte Lais sein Selbst.


Lais musste täglich an Zeffiras Glaskasten vorbei. Beim Kommen und beim Gehen, beim Warten auf den Lift. Oft konnte er lose Blätter regnen sehen. Zusammengekauerte Wesen saßen auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch. Gelegentlich kam ein Kellner mit einem Tablett Espressotassen aus dem Café und verteilte die Tassen in den Büros. In der einen Hand das Tablett, mit der anderen Hand das Wechselgeld aus den vielen Westentaschen abzählend.

Doch irgendwann war Schluss damit. Zeffiras Extravaganzen waren der Firma zuviel geworden. Auf allen drei verrauchten Stockwerken hatten die Schampuskorken geknallt.

Und nun war auch für Lais die Zeit gekommen. Er hatte genug und sich entschieden, erwachsen zu werden, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, damit Schluss zu machen, sich durchs Leben treiben zu lassen. Er fuhr mit dem Lift herunter. Ausgang Place Montholon. Lais kam nie mehr zurück.

_________________


_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag14.02.2016 12:09
La Bohème
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe meine Büro-Geschichte noch ein wenig verdichtet und schlüssiger gemacht. Ich finde sie ansprechend. Hoffentlich geht es auch anderen so.

Neues aus der Premiumwelt

Lais  war in den Glaskasten gerufen worden.
Sofort musste er an die Uhr denken. Erst gestern hatte er bei Lafayette eine hässliche, blauweiße Swatch mit Cupido-Bild besorgen müssen.  Für ihren Freund. Irgendein Kerl mit Kohle, den nie jemand im Laden zu Gesicht bekommen hatte.

Zaffira, die alle hinter ihrem Rücken nur beim Nachnamen nannten, nutzte Untergebene wie mich gern für allerlei Botengänge.

„Sie müssen auch nicht ausstempeln.“

Heute aber verhieß ihr Gesichtsausdruck wieder mal nichts Gutes. Sie saß, die Beine übereinandergeschlagen, hinterm Schreibtisch in der gläsernen Bürozelle. Im Aschenbecher qualmte eine stinkende Gitane vor sich hin. Zeffiras rechte Hand hielt zwischen Daumen und Zeigefinger einen Stapel Dokumente.    

Eine abrupte, kaum wahrnehmbare Kopfbewegung nach rechts oben befahl Lais, Platz zu nehmen. Während der Bewegung hatte sie ihn nicht aus den Augen gelassen. Nun starrte Zaffira ihn eine Minute lang an. Wortlos. Ihre linke Hand klopfte den Rand einer rotierenden, goldenen Kreditkarte rhythmisch auf die Schreibtischoberfläche. Plick, plock, plick und plock.

Das Gesicht darüber  ebenmäßig, aber langweilig: Das eines Windhundes mit Blondmähne und Sommersprossen. Von einer aalglatten, von Bösartigkeit verdorbenen Schönheit, deren Betrachtung ein schales Gefühl hinterließ, und der zur Vervollkommnung ein gerüttelt Maß an Menschlichkeit und körperlichem Makel fehlte.

Zeffira atmete jetzt geräuschvoll ein, wie Lais mit vor Sorge überdeutlicher Wahrnehmung schmerzerfüllt hören konnte.

„Da ist ein Fehler in der Akte“,

sagte sie, während sie Lais den Stapel mit einer raschen Drehbewegung der Hand in einem Bogenflug über der Schreibtisch vor die Füße warf. Auf dem Weg hatte sich der Papierstoß in eine Garbe loser Zettel aufgeteilt, von denen der größte Teil vor Lais Füßen zu Boden ging. Der Rest verteilte sich auf dem Boden und Lais’ Stuhllehnen. Ein wollüstiges Zucken spielte um Zeffiras Unterlippe. Noch viel beschämender aber war, dass ihm einige der Bögen auf Brust und Schoß gelandet waren, und er sich, vor Angst wie gelähmt, nicht traute, die Akte zusammenzuraffen und in ihren Papporner zu stopfen.    

„Ab morgen auf GOLDEX“,

hörte Lais sie sagen.

„Ist mit Arnou abgesprochen.“

Die angedeutete Kopfbewegung nach links veranlasste Lais, den Glaskasten sofort zu verlassen. Die restlichen Protokollseiten flatterten an seinen Beinen herab. Da war also nix mit Swatch heute, dachte Lais, da war eher Straflager angesagt.

Lais’ Firma hatte drei vollgequalmte Bereiche: AXE, INA oder GOLDEX. Auf AXE gab es schnell abgewickelte Fahrzeugpannen, Unfälle, zeternde Kunden am Telefon, die schnell weiter wollten. Doch wer auf AXE einen schlechten Tag erwischte, hatte am Abend bis zu hundertachtzig Anrufe bearbeitet, Rückenschmerzen und eine heisere Stimme. Auf INA gab es Medizinfälle, man musste ständig ins Arztbüro um Anweisungen einzuholen. Auf GOLDEX aber ging’s um Karten. Kreditkarten. Grüne, goldene, silberne und schwarze Karten. Kartenbesitzer. Wichtige Kartenbesitzer, Premiumpersönlichkeiten du solche, die sich dafür hielten.

Zeffira hatte Lais mit einem Kopfzucken, dem Stapelwurf  und der Erwähnung des Arnou strafversetzt. Auf eine Abteilung, die unter allen anderen Umständen als die beste galt, und für die eine Versetzung eher Aufwertung als Strafe war. Doch man hatte ganz oben von den Swatch-Käufen und noch anderen Vorgängen Wind bekommen, Zeffira musste beweisen, dass es keinen Klüngel gab, und sich mit schnellen und brutalen Schachzügen profilieren, die auch im oberen Management mit Genugtuung registriert wurden. Zeffira hatte diesmal zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sich selbst in ihrem Ruf als hartem Höllenhund bestätigt, den Schlangenkopf aus der Schlinge gezogen, den Unbequemen ob eines kleinen Fehlers zutiefst verletzt und seiner vertrauten Kollegen beraubt, sich selbst an der Macht berauscht, und Lais dennoch nach oben wegloben müssen. Ein Opfer, das sie bringen musste, um aus der Gefahrenzone zu geraten.

Lais sprach Deutsch, eine Sprache, die sie auf GOLDEX dringend brauchten. Auf INA ging’s auch ohne. Spanisch, Portugiesich und Französisch, ein bisschen Arabisch, die reichten aus. Dazu konnte man Lais in Notfällen ohnehin schnell in den zweiten Stock holen lassen.    

Lais schlüpfte aus der Liftöffnung und betrat sein INA-Plateau. Die Kollegen hatten seinen schlurfenden Gang gleich bemerkt. Und da jeder wusste, dass er direkt aus dem Glaskasten kam war ohnehin klar, dass Veränderungen bevorstanden. Lais packte seine Stifte, den Fabrical-Handatlas, die Zigaretten, die halbe Flasche Contrex und ein paar verbliebene Schnellhefter in seine Aktentasche, erklärte Tarik, Assane und Philippe die neue Situation, und machte sich daran, den vergilbten Bereich zu verlassen.

„Sagt es den anderen weiter.“

„Auf Goldex? Sei doch froh, dass du die Fälle in Marokko los bist“,
flötete Philippe, der immer gern und lautstark über die letzte Nacht und die körperlichen Vorzüge seiner Liebhaber berichtete. Latinos, Chinesen, französische Muskelprotze, die wie Rechte aussahen, aber schwul waren. Bei einer Sicherheitsschulung der Feuerwehr hatte er einmal brüllendes Gelächter ausgelöst, als der Feuerwehrmann hatte im Kommißton gefragt hatte:

„Wenn’s brennt, kloppen wir alles zur Seite und brechen jede Tür auf. Schon jemand mal einen Brandalarm gehabt? Da stehen nach fünf Minuten zehn Feuerwehrmänner im Schlafzimmer. Ohne Rücksicht.“

Worauf Philippe ausgerufen hatte:

„Zehn Feuerwehrmänner im Schlafzimmer? Ein Traum!“

Der Feuerwehrmann hatte den Witz nicht verstanden.

„Vielleicht kommt für dich alles besser“, sagte Assane in seinem zischenden afrikanischen Akzent. Er hatte auch schon Ärger mit Zaffira gehabt. Denn im Pissoir hatte er Briefe von seiner Familie verbrannt: „Schlechte Nachrichten aus Afrika.“ Man hatte ihn verpetzt und behauptet, er habe fehlerhafte Protokolle verbrannt, um neue, frisierte einzuheften.

Tarik, der fünfsprachige, war ganz ruhig geblieben: „Sowieso die gleiche Scheiße wie hier“, hatte er lakonisch bemerkt, und den Einwurf mit den Punkten und Kommata, putain und con, der Südfranzosen gespickt: „Entweder Arschlöcher ohne Kohle, oder welche mit. Macht aber keinen Unterschied. Außer, dass sie vielleicht Arnou kennen.“

Lais warf noch kurz einen Blick aus den hellen Fenstern, durch die man die Erker und Häuserzeilen mit ihren Mansardwalmdächern sehen konnte, auf deren Balkonen Kübel mit dürren, kleinen, freundlichen Birken standen.

Zum Glück war der Lift leer. Lais fuhr zu GOLDEX hoch und ließ sich einweisen. Laut war es hier oben. Permanent klingelte es irgendwo, und je länger der Anruf nicht angenommen wurde, desto lauter und aufgeregter wurde das Klingeln.


Die Chefs von GOLDEX war äußerst intelligent vorgegangen. Zunächst hatten sie mit viel Werbung am Mythos gearbeitet, nur Gutverdiener kämen an eine Karte. Und die Yuppies gierten nach diesen verschiedenfarbigen Ausweisen vorgeblichen Wohlstands, die sich spätabends in der Bar so eindrucksvoll auf den Tresen knallen ließen. Das gemeine Volk hatte die Basiskarte, die monopolyblaue mit dem verspielten Logo. Die etwas Wichtigeren hatten die silberfarbige. Und ob jemand die Mercurykarte führen konnte, kam nur auf den Umsatz an. Mercurybesitzer hatten eine gesonderte Rufnummer, die Telefone auf GOLDEX blinkten orange, wenn einer von ihnen anrief. Länger als dreimal durfte man nicht klingeln lassen. Sonst brüllten die Lotsen:

„Rangehen! Warteschleife!“

Die Steigerung von allem aber war Black Titanium gewesen. Es war die Rede von der Banalisierung der Mercury gegangen: Wenn mittlerweile schon höhere Angestellte eine solche Karte hatten, musste man flugs einen neuen Alpha-Ausweis erfinden, um sich von der Masse abzusetzen. So hieß es auch in den Schulungen; was dort gesagt wurde, war Gesetz. Black Titanium bekam man nicht, BT, wie man auf dem Plateau gern abkürzte, war man. Schon allein umsatzmäßig. Man wurde von GOLDEX dazu eingeladen. Anträge gab es nicht. Wer das BT-Gefühl richtig schwer in der Hose tragen wollte, musste also erst mal kräftig shoppen gehen. Natürlich auf Karte. Darüberhinaus war hilfreich, wenn man ein wenig bekannt, einer der Masters of the Universe aus der Bankenskyline, C-Klassen-Promi, oder wenigstens die konsumfreudige Frau von Irgendeinem war. Hatte man den Eintrittsausweis in die globale Chefetage, konnte man bei Lais und den Kollegen anrufen, hatte immer einen persönlichen BT-conseiller am Telefon. Allein, Lais hatte dies zunächst für einen Witz der Kollegen gehalten, aber es war die Wahrheit. Man bekam einen conseiller, genau so wie der Käufer bestimmter Edelkarossen einen persönlichen Betreuer geschenkt bekommt, der Tag und Nacht im Fall der Fälle für den Besitzer da sein muss. Zwar waren die Leute auf GOLDEX keine wirklichen conseillers. Nicht einmal die  Lotsen. Sie taten nur als ob. Die wirklichen Betreuer saßen in Hoboken, also irgendwo zwischen Lincoln Tunnel und Newport. Der BT selbst wusste nicht, dass der conseiller in der Zentrale zugleich Berater von fünftausend anderen BTs war. Egal. Es zählte die Fassade. Menschen die Illusion zu geben, einer der ganz wenigen Leistungsträger dieser Galaxie zu sein, die alles, aber auch alles, beim Berater anfragen konnten. Hauptsache legal. Ein Kilo Koks, das ging nicht. Eine Zofe, das ging. Waffen gingen nicht. Diamanten schon. Lais und die anderen auf GOLDEX mussten jeden Tag aufs Neue versuchen, alle Wünsche wahr zu machen.

Der durchschnittliche BT lebte seit Jahren in den USA, meistens in Florida, sprach allerdings nur ein durchschnittliches Billigenglisch aus zusammengesetzten Samples ein paar cool klingender Versatzstücke, mit denen man auf Partys reden, intellektuell aber nicht viel bewerkstelligen konnte.    


Lais fuchste sich in die neue Aufgabe hinein. Saß der BT in seinem Berliner Loft, und begann zu spüren, was er nun haben musste, ging sein Anruf erst mal in die deutschsprachige Zelle von Hoboken. Wussten die nicht weiter, wurde er an Lais und die Kollegen, die unsichtbare Intelligenz, weitergeleitet. Dann hieß es um drei Uhr nachts durchs Headset: „

Ja, ich bin hier gerade zu Hause und gucke fern - und auf einmal denk’ ich, wow, Mensch, Spaghetti mit Olivenöl und Knoblauch, dass wär’s jetzt.“

Dann mussten Lais und die Kollegen alles daransetzten, dem BT Spaghetti zu organisieren.

Gelbe Seiten aller größeren Städte wälzen, Taxiunternehmer anrufen, fragen, ob sie Spaghetti beim Italiener holen könnten, und mit der Karte vom BT abrechnen, das gab Umsatzpunkte. Herumtelefonieren, während der nächste Wichtigmann schon in der Warteschleife kreiste. Man schrieb die Zeit vor dem Internet. Jede Suche erfolgte analog.

Zeffira telefonierte stundenlang mit Freundinnen oder ihrem Stecher, verdiente das fünffache,  glotzte böse aus dem Glaskasten, hörte Gespräche mit, und überwachte alles. Manchmal regnete es im Glaskasten beschriebene Papierseiten über zusammengesunkene Gestalten. Angst macht blind, und niemend blickte in solchen Momenten beim Vorübergehen hinein.

Da er viel zu arbeiten hatte, und jeder dies auch wusste, war er für Zeffira unangreifbar geworden. Mal musste er auf INA, irgendwelchen Medizinkram übersetzen. Mal sollte er auf AXE für schottische Werkstätten Kabelbäume besorgen. Sogar Arnou grüßte ihn mittlerweile, wenn er die Abteilung besichtigte.

Wenn der BT in den USA war, und das Flughafenenglisch nicht ausreichte, um die kondomförmigen Weingummis für seine Party zu besorgen, wenn er für seine Verliebtheiten Hotelzimmer mit Luftballons füllen lassen wollte, oder im Caesar’s einen Sonderwunsch anmelden wollte, dann hieß es: Gelbe Seiten wälzen, zwielichtige Sexshops anrufen,

„My name is Peter, it’s GOLDEX in Paris, one of our customers would like to purchase some so on and so forth“,

und die am anderen Ende davon überzeugen, dass es keine Verarsche war, wenn einer aus Frankreich absurde Anfragen vorbrachte. Den ganzen Dreck fedexen lassen. Im Falle des Scheiterns gleich Beate Uhse in Hamburg anrufen und fragen, ob sie den Kram in die USA senden können. Dann ging’s das Zeug raus, aber der Zoll stellte lebensmittelrechtliche Fragen, und Lais saß eine halbe Woche pro Fall daran, die Gummis über die Grenze zu schaffen. Es entstanden fernmündliche Beziehungen, Vertrautheiten und auch Freundschaften, von denen Lais sogar später einige treffen sollte. Mark aus Hoboken beispielsweise hatte Lais unbedingt kennenlernen wollen, da seine Telefonansagen für ihn, wie er es ausdrückte,  „off beat“ waren, und er das dazugehörige Gesicht einmal sehen wollte. Oft hatten sie lange, transatlantische Gespräche über Cohen-Remixe und Daisy Chain geführt, oder sich über die BTs und ihre perversen Vorlieben die Mäuler zerrissen.

Der Job war schnell, hektisch und dicht. Fortwährend klingelte es in unterschiedlichen Tastenfarben. Mal hatte der BT Wer mit den Wölfen tanzt gesehen. Mit Costner. Seit dieser Zeit heißt jedes zweite Problemkind Kevin. Der BT aber wollte keinen Kevin, sondern das Pferd aus dem Film, oder wenigstens ein Tier gleicher Rasse. Lais rief in Hollywood an. Aha, American Quarter Horse also. Lais fand einen Züchter. Fünfzigtausend sollte das Pferd kosten. Per Flugzeugtransport, so hieß es, könne es sogar nach Deutschland gebracht werden. Lais faxte dem BT alles was er erfahren hatte, er durfte ja nicht mit ihm reden, und nur in Ausnahmefällen, unter Einwilligung von Hoboken, Kontakt aufnehmen. Das Pferd flog als Luftfracht nach Deutschland. Der BT nahm es in Empfang, und hatte ein paar zehntausend weniger auf dem Konto. Was für ihn zweitrangig war.

Mal wollte einer dem erkrankten Hund aus Württemberg, schon bereits auf dem Wege der Besserung, ein Kilo Hühnerherzen mit Krankenwagen und roter Schleife zum Geburtstag schenken. Lais und die anderen hatten, weil in Deutschland niemand eine derartig irrsinnige Aktion zu machen bereit war, eine  blauweiße Ambulanz aus dem Elsass vorfahren lassen, die dem verwöhnten Köter das Fresschen bringen musste. Lais’ Gewissen fragte öfter an, ob der Job der richtige wäre. Doch Lais war jung, und brauchte das Geld.

Frauen als BT gab es nicht. Genau so, wie es keine Autobahndränglerinnen, Dodge-Ram-Fahrerinnen oder Kampfradlerinnen gibt. Die Frau kam in der BT-Welt nur als unentbehrliches, junges Dekor vor, von dem der Alte sich versprach, es könne ihm etwas vom einstigen Galanz zurückgeben. Manchmal musste Lais zu den Ärzten. Medizinkram dolmetschen. Femur und Tibia. Skiunfall, Österreich. Kleine Mädchen mit Embrionalanlagen im Bauch, Karibik. Leute, die sich für Ronals Reagan hielten, und in Badehosen Reden hielten. Die Ärzte wurden nur mit dem Nachnamen angeredet, hatten den harten, französischen Medizin-Concours bestanden, aalten sich in Eitelkeit und machten unangebrachte Sprüche:

„Voilà, der représentant des Vierten Reisch“,

hieß es, wenn Lais das Büro betrat. Ihm war das egal. Die hatten zwar ihre Medizin in der Birne, aber von Subtilität überhaupt keine Ahnung. Sei’s drum. Lais dolmetschte, fuhr wieder nach oben. All das aber machte ihn mürbe und müde. Die aufgeblasenen Ärzte. Die petits chefs in ihren Büros, Zaffira, die Premiumkunden, diese ganze elende Welt aus Unwichtigkeiten.

Auf einmal war es in Mode gekommen, im New Yorker Windows on the World zu speisen. Jeder wichtige BT wollte auf einmal ins WOW (so lautete die griffige Abkürzung) und beim Austernschlürfen gesehen werden. Deshalb hatte GOLDEX nun noch ein Gourmand-Program aufgelegt: Jeden Tag ein freigehaltener Tisch im WOW für Titaniums. Ein Anruf genügte, Lais hatte die Plätze, und der Helikopter konnte auf dem Dach landen. Beliebte und geschwätzige, deutsche Fersehmoderatoren, die in ihrem Informationsstand über die Welt garantiert immer knapp daneben lagen, wollten sehr oft im WOW speisen. Und mancher, was etwas seltener vorkam, in der Little White Chapel heiraten. Lais arrangierte den Quatsch.

Mal sollte ein Apartment mit rosa Teddys und bunten Ballons gefüllt werden, mal hatte sich ein BT auf einer Veranstaltung in eine unbekannte japanische Tänzerin verliebt. Lais und die anderen organisierten Treffen, Kennenlernen und Hochzeit. Mal wollte ein BT Karten für ein Konzert in Finnland, das seit Jahren schon ausverkauft war. Lais rief seinen alten Professor Jako aus Jyväskilä an, der die Karten irgendwie besorgte. Lais besorgte einen Glassarg für einen buddhistischen Mönch, reservierte ganze Schiffe, buchte Bands, besorgte Parfüm, schickte Dunhill-Pfeifen in afrikanische Krisen- und Kriegsregionen, orderte Golfschläger im Wert von zehntausenden Dollar, bestellte Superstars auf Privatfeiern in Drittweltländer, schickte Sachertorten mit dem Taxi über Grenzen. Einer wollte zum Geburtstag Nackttanz auf dem Tisch sehen,

„geil, aber nicht zu ordinär“,

so hatte man es auf das Bestellfax gekritzelt. Lais lachte sich eins ob der dümmlichen Formulierung. Sie holten sich  die Gelben Seiten rund um den Bodensee, riefen die Puffs an:

„Hallo, ist da die Monique-Bar? GOLDEX in Paris. Einer unserer Kunden möchte einen Nackttanz: Geil, aber nicht zu ordinär. Geht das?“

Und klar, irgendeine hat’s für ein paar Hunderter gemacht.

Einer wollte ein Topmodel mit Vornamen Claudia zur Party: „Preis egal“, hatte er vermerkt. Lais rief  die Agentur in New York an. Prinzipiell ginge das für ein einige zehntausend schon, vorbehaltlich Claudias Einverständnis. Das hatte Lais dem BT mitteilen lassen, der schon ganz aus dem Häuschen vor Vorfreude war. Claudia hatte dann aber doch abgesagt, warum sollte sie sich auf der Party eines ihr völlig Unbekannten aus Süddeutschland langweilen, wo ihr Leben doch auch so schon in New York ziemlich öde sein musste? Lais hatte dem BT Claudias Bedauern schriftlich übermittelt, der Lais sofort angewiesen hatte:

„Nehmen Sie eine Kollegin aus Ihrem amerikanischen Büro mit sehr weiblicher Handschrift, legen Sie übermorgen um zwanzig Uhr local den von ihr handgeschriebenen Text aufs Fax: Hallo Michi, hier Claudi in NY, kann leider zu deiner Party nicht kommen. Dringende Termine. Bussi.“

Auch das hatte Lais, dem die Arbeit immer zäher und schmerzhafter wurde, getan, damit der BT auf seiner prolligen Party mit dem billigen und verlogenen Fax mit der 001-Vorwahl und der Zeitverschiebung herumwedeln, und dabei auch noch Geld sparen konnte.

„Wenn das keine Dekadenz ist, was ist es dann?“,

fragte Lais sein Selbst.


Lais musste täglich am Glaskasten vorbei. Beim Kommen und beim Gehen, beim Warten auf den Lift. Oft konnte er lose Blätter regnen sehen. Zusammengekauerte Wesen saßen auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch. Lsis wendete den Blick ab. Gelegentlich kam ein Kellner mit einem Tablett Espressi aus dem Café und verteilte die Tassen in den Büros. In der einen Hand das Tablett, mit der anderen Hand das Wechselgeld aus den vielen Westentaschen abzählend.

Doch irgendwann war Schluss damit. Zeffiras Extravaganzen waren der Firma zuviel geworden. Rauswurf. Auf allen drei verrauchten Stockwerken hatten die Schampuskorken geknallt, der Glaskasten war leer, war keine Schneekugel regnender Dokumente mehr,  stand dumm herum und wartete auf den nächsten Bewohner.

Und nun war auch für Lais die Zeit gekommen. Er hatte genug, sich entschieden, erwachsen zu werden, seinem Gewissen Gehör zu schenken und das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Damit Schluss zu machen, sich durchs Leben treiben zu lassen, fuhr mit dem Lift herunter. Ausgang Place Montholon.

Er kam nie mehr zurück.


_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag14.08.2016 16:15
Premium 2.1
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe meine Geschichte, mit der ich nie ganz zufrieden war, überarbeitet. Mir liegt etwas an ihr, vielleicht gefällt sie euch. LG, CLS

Premium

In den Glaskasten kommen.
Schon wieder Uhr? Erst gestern den Scheiß mit der hässlichen, blauweißen Swatch. Cupido-Bild. Ihr Freund und so. Irgendein Kerl mit Kohle, den nie jemand im Laden zu Gesicht kriegt.

Die, die alle hinter ihrem Rücken nur mit die und Nachnamen nennen, nutzt Untergebene gern für Botengänge: „Sie müssen auch nicht ausstempeln.“

Heute verheißt ihr Gesichtsausdruck wieder mal nichts Gutes. Sie sitzt, die Beine übereinandergeschlagen, hinterm Schreibtisch in der gläsernen Bürozelle. Im Aschenbecher qualmt eine stinkende Gitane vor sich hin. Zeffiras rechte Hand hält zwischen Daumen und Zeigefinger einen Stapel Dokumente.     

Eine abrupte, kaum wahrnehmbare Kopfbewegung nach rechts oben befiehlt mir, im Aquarium Platz zu nehmen. Draußen laufen sie glotzend vorbei. Freuen sich, dass sie nicht selbst dran sind. Latschen zum Gaffen da lang, selbst wenn’s nix zu kopieren gibt. Während der Kopfbewegung hat sie ihn nicht aus den Augen gelassen. Nun starrt sie ihn eine Minute lang an. Wortlos. Zaffiras linke Hand klopft den Rand einer rotierenden, goldenen Kreditkarte rhythmisch auf die Schreibtischoberfläche.

Plick, plock, plick und plock.

Das Gesicht darüber ebenmäßig, aber langweilig: Das eines Windhundes mit Blondmähne und Sommersprossen. Schöndidiotenfresse, Karrierevisage. Von einer aalglatten, von Bösartigkeit verdorbenen Symmetrie, deren Betrachtung ein schales Gefühl hinterlässt, und der zur Vervollkommnung Menschlichkeit und damit Makel fehlt.

Zeffira atmet jetzt geräuschvoll ein, wie ich mit vor Sorge überdeutlicher Wahrnehmung schmerzerfüllt hören muss.

„Da ist ein Fehler in der Akte“,

sagt sie, während sie den Stapel mit einer raschen Drehbewegung der Hand in einem Bogenflug über den Schreibtisch vor die Füße wirft. Auf dem Weg hat sich der Papierstoß in eine Garbe loser Zettel aufgeteilt, von denen der größte Teil vor meinen Füßen zu Boden gegangen ist. Der Rest verteilt sich auf dem Boden und meinen Stuhllehnen. Wollüstiges Zucken spielt um Zeffiras Unterlippe. Noch viel beschämender, dass mir einige der Bögen auf Brust und Schoß gelandet sind, und ich mich, vor Angst wie gelähmt, nicht traue, die Akte zusammenzuraffen und in ihren Pappordner zu stopfen.     

„Ab morgen auf GOLDEX. Ist mit Arnou abgesprochen.“

Die angedeutete Kopfbewegung nach links veranlasst mich, den Kasten sofort zu verlassen. Die restlichen Protokollseiten flattern an meinen Beinen herab. War also nix mit Swatch heute. Ist wohl eher Straflager angesagt.

Die Klitsche hat drei vollgequalmte Bereiche: AXE, INA oder GOLDEX. Auf AXE schnell abgewickelte Fahrzeugpannen, Unfälle, zeternde Kunden am Telefon, die schnell weiter wollen. Doch wer auf AXE einen schlechten Tag erwischt, hatte am Abend bis zu hundertachtzig Anrufe bearbeitet, Rückenschmerzen und eine heisere Stimme. Auf INA gibt es Medizinfälle, man muss ständig ins Doc-Büro um Anweisungen einzuholen. Auf GOLDEX aber geht’s um Karten. Kreditkarten. Grüne, goldene, silberne und schwarze. Kartenbesitzer. Wichtige Kartenbesitzer, Premiumpersönlichkeiten du solche, die sich dafür halten. Weiß ich von den Mittagspause beim Traiteur. Menü zu 36 Francs mit einem Viertel Roten. Da kommt man ins Gespräch mit denen von GOLDEX.

Zeffira hat mich mit einem Kopfzucken, dem Stapelwurf,  und der Erwähnung des Arnou strafversetzt. Auf eine Abteilung, die unter allen anderen Umständen als die beste galt, und für die eine Versetzung eher Aufwertung als Strafe war. Doch man hatte, wie man noch erfahren sollte,  ganz oben von den Swatch-Käufen und noch anderen Vorgängen Wind bekommen, Zeffira muss beweisen, dass es keinen Klüngel gibt, und sich mit schnellen und brutalen Schachzügen profilieren. Schnitte, die auch im oberen Management mit Genugtuung registriert wurden. Zeffira hat zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sich selbst in ihrem Ruf als harte Höllenhündin bestätigt, den hübschen Kopf aus der Schlinge gezogen, den Unbequemen ob eines kleinen Fehlers zutiefst verletzt und seiner vertrauten Kollegen beraubt, sich dabei an der Macht berauscht, und ihn dennoch nach oben wegloben müssen. Ein Opfer, das sie bringen muss, um aus der Gefahrenzone zu geraten.

Ich spreche Deutsch, eine Sprache, die sie auf GOLDEX dringend brauchen. Auf INA ginge es auch ohne. Das steinschlagartig rollende Spanisch, singendes Portugiesisch und kehliges Französisch, ein bisschen vom rauen Arabisch, die reichen aus. Und in Notfällen kann man mich eh schnell in den zweiten Stock holen lassen.     

Ich schlüpfe aus der Liftöffnung und betrete mein INA-Plateau. Die Kollegen haben den Gang gleich bemerkt. Und da jeder wusste, dass ich direkt aus dem Glaskasten geschlurft kam, war ohnehin klar, dass Veränderungen bevorstehen. Ich packe meine Stifte, den Fabrical-Handatlas, die Zigaretten, die halbe Flasche Contrex und ein paar verbliebene Schnellhefter in die Aktentasche, erklärte Tarik und Assane die neue Situation, mache mich daran, den vergilbten Bereich zu verlassen: „Sagt es den anderen weiter.“

„Auf Goldex? Sei doch froh, dass du Marokko los bist“,
flötete Philippe, der immer gern und lautstark über die letzte Nacht und die körperlichen Vorzüge seiner Liebhaber berichtet. Latinos, Chinesen, französische Muskelprotze, die wie Rechte aussehen, aber schwul sind. Bei einer Sicherheitsschulung der Feuerwehr hatte er einmal brüllendes Gelächter ausgelöst, als der Feuerwehrmann im Kommißton gefragt hatte:

„Wenn’s brennt, kloppen wir alles zur Seite und brechen jede Tür auf. Da gibt’s nix. Schon jemand mal einen Brandalarm gehabt? Da stehen nach fünf Minuten zehn Feuerwehrmänner im Schlafzimmer. Ohne Rücksicht“, worauf Philippe ausgerufen hatte: „Zehn Feuerwehrmänner im Schlafzimmer? Ein Traum!“

Der Feuerwehrmann hatte den Witz nicht verstanden.

„Vielleicht kommt für dich alles besser“, sagt Assane in seinem zischenden afrikanischen Akzent voller übertieben harter „ts“ und zu scharfer „ß’“. Er hat auch schon Ärger mit Zaffira gehabt. Denn im Pissoir hat er Briefe von seiner Familie verbrannt: „Schlechte Nachrichten aus Afrika.“ Man hatte ihn verpetzt und behauptet, er habe fehlerhafte Protokolle vernichtet, um neue, frisierte einzuheften.

Tarik, der fünfsprachige, hat ganz lakonisch und ruhig („Sowieso die gleiche Scheiße wie hier“)  seinen Einwurf mit den Punkten und Kommata putain und con der Südfranzosen gespickt: „Entweder Arschlöcher ohne Kohle, oder welche mit. Macht aber keinen Unterschied. Außer, dass sie vielleicht Arnou kennen.“

Lais wirft noch kurz einen Blick aus den hellen Fenstern, durch die man die Erker und Häuserzeilen mit ihren Mansardwalmdächern sehen kann, auf deren Balkonen Kübel mit dürren, kleinen, freundlichen Birken stehen.

Zum Glück ist der Lift leer. Zu GOLDEX hoch und  Einweisung. Der Lotse in seinem Etagenaquarium ist schon informiert. Laut hier oben. Permanent klingelt es irgendwo, und je länger der Anruf nicht angenommen wird, desto lauter und aufgeregter wurde das penetrante Klingeln.


Die Chefs von GOLDEX. Irgendwo in Amiland. Äußerst intelligent vorgegangen. Zunächst mit viel Werbung am Mythos arbeiten, nur Gutverdiener kämen an eine Karte. Und die sich in ihren Scheiß Achtzigern rumflezenden Yuppies gieren nach diesen verschiedenfarbigen Ausweisen vorgeblichen Wohlstands, die sich spätabends in der Bar so eindrucksvoll auf den Tresen knallen lassen. Das gemeine Volk hat die Basiskarte, die monopolyblaue mit dem verspielten Logo. Die etwas Wichtigeren die silberfarbige. Und ob jemand die Mercurykarte führen kann, kommt nur auf den Umsatz an. Auch. Wichtig und so zählt auch. Mercurybesitzer haben eine gesonderte Rufnummer, die Telefone auf GOLDEX blinken orange, wenn einer von ihnen anruft. Länger als dreimal klingeln lassen, das geht gar nicht. Da brüllen die Lotsen:

„Rangehen! Warteschleife!“

Der Member könnte sich schließlich echauffieren. Das muss vermieden werden. Die Steigerung von allem aber ist Black Titanium. Es war die Rede von der Banalisierung der Mercury gegangen: Wenn mittlerweile schon höhere Angestellte eine solche Karte hatten, musste man flugs einen neuen Alpha-Ausweis erfinden, um sich von der Masse abzusetzen. So hieß es auch in den Schulungen; was dort von all den dümmlichen Referenten gesagt wurde, war Gesetz. Black Titanium bekam man nicht, BT, wie man auf dem Plateau gern abkürzt, ist man. Schon allein umsatzmäßig. Man wird von GOLDEX dazu eingeladen. Anträge gibt es nicht. Wer das BT-Gefühl richtig schwer in der Hose tragen will, muss also erst mal kräftig shoppen gehen. Natürlich alles auf Karte. Merkst ja sonst keiner. Darüber hinaus ist es hilfreich, wenn man ein wenig bekannt, einer der Götter aus der Bankenskyline, C-Klassen-Promi, oder wenigstens die konsumfreudige Frau von Irgendeinem ist. Hatte man den Eintrittsausweis in die globale Chefetage, kann man bei mir und den anderen Kollegen mit Mindestlohn anrufen, hat immer einen persönlichen BT-conseiller am Telefon. Allein, ich hatte dies zunächst für einen Witz der Kollegen gehalten, aber es ist die Wahrheit. Man bekommt einen conseiller, genau so wie der Käufer bestimmter Edelkarossen einen persönlichen Betreuer geschenkt bekommt, der Tag und Nacht im Fall der Fälle für den Besitzer da sein muss. Zwar sind die Leute auf GOLDEX keine wirklichen conseillers. Nicht einmal die  Lotsen im Glaskasten. Wir tun nur so als ob. Die wirklichen Betreuer sitzen in Hoboken, also irgendwo zwischen Lincoln Tunnel und Newport. Amiland. Der BT selbst weiss nicht, dass der conseiller in der Zentrale zugleich Berater von fünftausend anderen BTs ist. Egal. Es zählt die Fassade. Menschen die Illusion zu geben, einer der ganz wenigen Leistungsträger dieser Galaxie zu sein, die alles, aber auch alles, beim Berater anfragen können. Hauptsache legal. Ein Kilo Koks geht nicht. Eine Zofe, das geht. Ich mein’, wenn eine als Zofe arbeiten will. Waffen gehen nicht. Diamanten schon. Wir auf GOLDEX müsse en jeden Tag aufs Neue versuchen, alle Wünsche wahr zu machen.

Der durchschnittliche BT lebt in den USA, oder ist schon seit Jahren dort, wenn er nicht aus der Anglowelt stammt. Meistens Florida, wer will sich schon Minnesota antun, spricht allerdings nur unterdurchschnittliches Billigenglisch aus zusammengesetzten Sprüchen ein paar cool klingender Versatzstücke, mit denen man auf Partys reden, kommunikativ aber nicht viel bewerkstelligen kann.     


Ich fuchse mich in die neue Aufgabe rein. Sitzt der BT in seinem Loft, und beginnt zu spüren, was er haben muss, geht sein Anruf erst mal in die deutschsprachige Zelle von Hoboken. Wissen die nicht weiter, wird er an die unsichtbare Intelligenz von GOLDEX weitergeleitet. Dann heißt es um drei Uhr nachts durchs Headset:

„ Jaaa, ich bin hier gerade zu Hause und gucke fern - und auf einmal denk’ ich, wow, Mensch, Spaghetti mit Olivenöl und Knoblauch, dass wär’s jetzt.“

Dann müssen wir alles daransetzten, dem BT seine Spaghetti zu organisieren.

Gelbe Seiten aller größeren Städte wälzen, Taxiunternehmer anrufen, fragen, ob sie Spaghetti beim Italiener holen können, mit der Karte vom BT abrechnen, das ibt Umsatzpunkte. Herumtelefonieren, während der nächste Wichtigmann schon in der Warteschleife kreist. Man schreibt die Zeit vor dem Internet. Jede Suche erfolgt analog. Internet ist für die aus der Zukunft.

Zeffira telefoniert stundenlang mit Freundinnen oder ihrem Stecher, verdient das fünffache,  glotzt böse aus dem Glaskasten, hört Gespräche mit, und überwacht alles. Manchmal regnet es im Glaskasten beschriebene Papierseiten über zusammengesunkene Gestalten. Angst macht blind, und niemand blickt in solchen Momenten beim Vorübergehen gern hinein. Obwohl, Neugier siegt dann doch immer.

Da ich viel zu arbeiten habe, und jeder dies auch weiss, bin ich für Zeffira unangreifbar geworden. Mal muss ich auf INA, irgendwelchen Medizinkram für heulende Mütter dolmetschen. Mal auf AXE für schottische Werkstätten Kabelbäume besorgen. Sogar Arnou grüßt mittlerweile, wenn er die Abteilung besichtigt.

Wenn der BT in den USA ist, und das Flughafenenglisch nicht ausreicht, um die kondomförmigen Weingummis für seine Party zu besorgen, wenn er für seine Verliebtheiten Hotelzimmer mit Luftballons füllen lassen will, oder es heißt im Caesar’s einen Sonderwunsch anzumelden, dann heißt es: Gelbe Seiten wälzen, zwielichtige Sexshops anrufen, „My name is Lais, it’s GOLDEX in Paris, one of our customers would like to purchase some so on and so forth“, und die am anderen Ende davon überzeugen, dass es keine Verarsche ist, wenn einer aus Frankreich absurde Anfragen vorbringt. Den ganzen Dreck fedexen lassen. Im Falle des Scheiterns gleich Beate Uhse in Hamburg anrufen und fragen, ob sie den Kram in die USA senden kann. Dann geht das Zeug raus, aber der Zoll stellt lebensmittelrechtliche Fragen, und ich sitze eine halbe Woche pro Fall daran, die Gummis über die Grenze zu schaffen. Es entstehen fernmündliche Beziehungen, Vertrautheiten und auch Freundschaften, von ich sogar später einige treffen werde. Mark aus Hoboken will mich kennenlernen wollen, da meine Telefonansagen für ihn, wie er es ausdrückt,  „off beat“ sind, und er das dazugehörige Gesicht einmal sehen will. Oft führen wir lange, transatlantische Gespräche über Cohen-Remixe und Daisy Chain. Oder wir zerreißen uns die Mäuler über die BTs und ihre perversen Vorlieben.

Der Job ist schnell, hektisch und dicht. Fortwährend klingelt es in unterschiedlichen Tastenfarben. Mal hat der BT „Wer mit den Wölfen tanzt“ gesehen. Mit Costner.  Der BT will das Pferd aus dem Film, oder wenigstens ein Tier gleicher Rasse. Hollywood anrufen: American Quarter Horse also. Züchter finden. Fünfzigtausend soll das Pferd kosten. Kann nach Deutschland gebracht werden. Flieger. Ich faxe dem BT alles was ich erfahren habe, ich darf ja nicht mit ihm reden. Nur in Ausnahmefällen unter Einwilligung von Hoboken Kontakt aufnehmen. Das Pferd fliegt morgen als Luftfracht nach Deutschland. Der BT nimmt es in Empfang, paar zehntausend weniger auf dem Konto. Zweitrangig.

Mal will einer dem erkrankten Hund aus Württemberg, schon bereits auf dem Wege der Besserung, ein Kilo Hühnerherzen mit Krankenwagen und roter Schleife zum Geburtstag schenken. Wir haben, weil in Deutschland niemand eine derartig irrsinnige Aktion zu machen bereit war, eine  blauweiße Ambulanz aus dem Elsass vorfahren lassen, die dem verwöhnten Köter das Fresschen bringen muss. Das Gewissen fragt öfter an, ob der Job der richtige wäre. Doch ich bin jung und brauche das Geld. Wenn man das Geld nennen kann.

Frauen als BT gibt es nicht. Genau so, wie es keine Autobahndränglerinnen, Dodge-Ram-Fahrerinnen oder Kampfradlerinnen gibt. Die Frau kam in der BT-Welt nur als unentbehrliches, junges Dekor vor, von dem der Alte sich versprach, es könne ihm etwas vom einstigen Galanz zurückgeben. Schade. Hätte mich mal interessiert, wie so eine tickt, was sie bestellen würde und so. Manchmal muss ich ein paar Mal am Tag zu den Ärzten. Dolmetschen. Femur und Tibia. Skiunfall, Österreich. Arzt wetzt schon die Klinge in seiner Klinik am unteren Ende der Skipiste: „Wenn Sie das nicht sofort operieren lassen, garantiere ich für nichts!“ Kleine Mädchen mit Embrionalanlagen im Bauch. Karibik. Leute, die sich für Ronald Reagan halten, und in Badehosen Reden. Die Ärzte werden nur mit dem Nachnamen angeredet, aalen sich in Eitelkeit und machen unangebrachte Sprüche: „Voilà, der représentant des Vierten Reisch“,

heißt es, wenn ich das Büro betrete. Mir istt das egal. Die haben zwar ihre Medizin in der Birne, aber von Subtilität trotzdem keine Ahnung. Sei’s drum. Ich dolmetsche, fahre wieder nach oben. Am Aquarium von der fiesen Kuh vorbei. All das aber macht mich mürbe und müde. Die aufgeblasenen Ärzte. Die petits chefs in ihren Büros, die Zaffiraschlampe, die Premiumkunden, diese ganze elende Parade der Unwichtigkeiten.

Nun ist  es in Mode gekommen, im New Yorker Windows on the World zu speisen. Jeder wichtige BT will auf einmal ins WOW (so lautet die griffige Abkürzung) und beim Austernschlürfen gesehen werden. Deshalb hat GOLDEX nun noch ein Gourmand-Program aufgelegt: Jeden Tag ein freigehaltener Tisch im WOW für Titaniums. Ein Anruf genügt, ich kriege die Plätze, richtiges Promigefühl da am Telefon. Der Heli kann gleich auf dem Dach landen. Beliebte und geschwätzige, deutsche Fersehmoderatoren, die in ihrem Informationsstand über die Welt garantiert immer knapp daneben liegen, wollen sehr oft im WOW speisen. Und mancher, was naturgemäß etwas seltener vorkommt, in der Little White Chapel heiraten. Ich arrangiere den Quatsch.

Mal solle ein Apartment mit rosa Teddys und bunten Ballons gefüllt werden, mal hat sich ein BT auf einer Veranstaltung in eine unbekannte japanische Tänzerin verliebt. Wir organisierten Treffen, Kennenlernen und Hochzeit. Mal will ein BT Karten für ein Konzert in Finnland, das seit Jahren schon ausverkauft ist. Ich rufe meinen alten Professor Jako aus Jyväskilä an, der die Karten irgendwie besorgt. Ich ordere einen Glassarg für einen buddhistischen Mönch, reserviere ganze Schiffe, buche Bands, besorge Parfüm, schicke Dunhill-Pfeifen in afrikanische Krisen- und Kriegsregionen, ordere Golfschläger im Wert von zehntausenden Dollar, bestelle Superstars auf Privatfeiern in Drittweltländer, schicke Sachertorten mit dem Taxi über Grenzen. Einer will zum Geburtstag Nackttanz auf dem Tisch sehen, „geil, aber nicht zu ordinär“, hatte man es auf das Bestellfax gekritzelt. Wie soll das gehen, geil und nicht ordinär. Lache mir eins ob der dümmlichen Formulierung.  Hole mir die Gelben Seiten rund um den Bodensee, rufe die Bodensee-Puffs an:

„Hallo, ist da die Monique-Bar? GOLDEX in Paris. Einer unserer Kunden möchte einen Nackttanz: Geil, aber nicht zu ordinär. Geht das?“ Und klar, irgendeine macht das für ein paar Hunderter.

Einer will ein Topmodel mit Vornamen Claudia zur Party: „Preis egal“, hatt er vermerkt. Agentur in New York anrufen. Prinzipiell ginge das schon, vorbehaltlich Claudias Einverständnis. Einige Zehntausend. Habe ich dem BT mitteilen lassen, der schon ganz aus dem Häuschen vor Vorfreude war. Claudia hat dann aber doch abgesagt, warum soll sie sich auf der Party eines ihr völlig Unbekannten aus Süddeutschland langweilen, wo ihr Leben doch auch so schon in New York ziemlich öde sein muss? Ich habe dem BT Claudias Bedauern gefaxt. Der BT weist an:

„Nehmen Sie eine Kollegin aus Ihrem amerikanischen Büro mit sehr weiblicher Handschrift, legen Sie übermorgen um zwanzig Uhr local den von ihr handgeschriebenen Text aufs Fax: Hallo Michi, hier Claudi in NY, kann leider zu deiner Party nicht kommen. Dringende Termine. Bussi.“

Auch das habe ich, dem die Arbeit immer zäher und schmerzhafter wird, getan, damit der BT auf seiner prolligen Party mit dem billigen und verlogenen Fax mit der 001-Vorwahl und der Zeitverschiebung herumwedeln, und dabei auch noch Geld sparen kann.

„Wenn das keine Dekadenz ist, was ist es dann?“,

fragt mich mein Selbst.


Täglich am Glaskasten vorbei. Beim Kommen und beim Gehen, beim Warten auf den Lift. Oft kann ich lose Blätter regnen sehen. Zusammengekauerte Wesen sitzen auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch. Ich wende den Blick ab. Gelegentlich kommt ein Kellner mit einem Tablett Espressi aus dem Café. Verteilt die Tassen in den Büros. In der einen Hand das Tablett, mit der anderen Hand das Wechselgeld aus den vielen Westentaschen abzählend.

Doch irgendwann Schluss. Zeffiras Extravaganzen simd der Firma zuviel geworden. Rauswurf. Auf allen drei verrauchten Stockwerken knallen die Schampuskorken, der Glaskasten ist leer, ist keine Schneekugel regnender Dokumente mehr, steht dumm herum und wartet auf den nächsten Bewohner.

Und nun ist auch für mich die Zeit gekommen. Habe genug, mich entschieden, erwachsen zu werden, meinem Gewissen Gehör zu schenken und das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Damit Schluss zu machen, sich bloß durchs Leben treiben zu lassen. Fahre mit dem Lift herunter. Auszahlung, Papiere. Ausgang Place Montholon.

Nie mehr zurück.


_________________
Lais
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Rechtschreibung, Grammatik & Co
Semikolon und Apostroph
von Golovin
Golovin Rechtschreibung, Grammatik & Co 13 25.04.2024 22:56 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Profession Schriftsteller (Leid und Lust)
freie Lektoren und Testleser
von Colina
Colina Profession Schriftsteller (Leid und Lust) 22 23.04.2024 22:41 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Der Glücksritter
von Peter Hort
Peter Hort Werkstatt 0 22.04.2024 20:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Verlagsveröffentlichung
SPRINGS OF THE YELLOWSTONE RIVER und ...
von Alfred Wallon
Alfred Wallon Verlagsveröffentlichung 1 22.04.2024 19:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
Der Bandit
von dirkheg
dirkheg Einstand 5 22.04.2024 12:43 Letzten Beitrag anzeigen


Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!