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Weinen nach Gateway Gardens


 
 
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 941
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag25.12.2022 15:00
Weinen nach Gateway Gardens
von Christof Lais Sperl
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Liebe Leute, ich habe dermaßen viel geschrieben und stelle dies nun in einen größeren Zusammenhang. Die Kapitel bestehen aus Beobachtungen, mal kurz, mal länger, mal sehr lang. Sie bestehen aus Leben, nichts ist erfunden. Ich stelle nun mal eines der Kapitel über >Bewegung vor und würde gern mal wissen, ob ihr das gern lesen würdet. Bisschen politisch, bisschen philosophisch, bisschen witzig.  Passt das? Interessiert das? Muss nur noch ordnen, eientlich ist alles fertig.


Weinen nach Gateway Gardens

Die Schlappen gehören allen. Gummilatschen, auf die irgendwer einen persönlichen Anspruch erheben könnte, gibt es nicht. Da nimmt jeder, was gerade herumliegt, rote, schwarze, blaue. Die müsste man schon unterm Bett verstecken, nachts, doch die gehören nicht ins Haus. Schuhe sind Schmutz, die stellt man nach draußen. Zu den unter den  Autos dösenden und lungernden Hunden, die früh um vier schon aufs Frühstück warten und durch die Glastür jede Bewegung verfolgen, mit schiefgelegtem Kopf, um besser erkennen zu können, was drinnen abläuft. Jeden Morgen allerlei zerfetzte Reste von Reissäcken, Plastiktüten, angenagten Wasserflaschen, zerknabberten Sandalen, ich habe welche in einer Tasche an einen Haken gehängt, unerreichbar für die Bande, hab mir auf dem Markt schon zweimal neue holen müssen, die Händlerfamilie hat die zerknabberten alten gleich immer lachend zurückgenommen.

Rat kommt um fünf, da muss ich los. Nächtliches Seitenschlafen unbekleidet auf dem Bett. Das rechte Ohr auf dem Kissen, gewöhnt sich das linke Ohr allmählich ans Rauschen der Klimaanlage. Beim Umdrehen auf die linke Seite flutet der Lärm umso lauter an, bis es auch dieser Seite gelungen ist, ihn wieder auszublenden. Das Hirn ist damit beschäftigt, Gedanken wieder in den Schlaf zu lenken.
Der Wecker. Kaffee am Tisch, dessen Beine in wassergefüllten Schüsseln stehen: Ameisen. Ohne Schüssel bildet sich sofort eine Straße aus Insekten. Lichtschein. Rat schon an der Einfahrt, Bellen, da muss keiner klingeln, man sieht die Scheinwerfer durch die Streben an der Einfahrt. Mit der Fernbedienung kann ich das Tor zur Seite fahren lassen, muss nur aufpassen, dass die Hunde nicht wieder weglaufen, doch die Freude am grüngelben Corolla wiegt im Hundehirn stärker als die Möglichkeit, am langen Wegrand zur Tankstelle herumzuschnuppern. Wie ein Wirbel umtosen sie das vorsichtig einfahrende Auto. A boiling cloud of dogs hat William Faulkner mal geschrieben, was ziemlich genial ist. Die Räder bringen den Kies zu asthmatischem Knirschen. Rat fährt los. Krung Thep, Flughafen. Muss heim. Zum Glück ist am Ziel gerade Sommer, da muss man sich temperaturmäßig nicht so furchtbar umstellen. Rat bremst öfter ab, denn all die herrenlosen Hunde rennen über die Landstraße, an der die Mönche schon begonnen haben, in ihren Körben und Töpfen Essen zu sammeln. Links, rechts, die vielen vogelgespickten Gitter, an denen bunte Tafeln befestigt werden. An dieser Stelle kurz verwaist, warten sie auf  die nächste Generation riesenhafter Bilder und lächelnder Gesichter, die bald für Neues werben werden. Im Auto goldgerahmte Bilder von Rat selbst. Als Soldat. Als Mönch. Rats Frau, seine Kinder. Die Lizenz. Bäume werden weniger, Beton nimmt zu. Pfeiler. Autobahnen in mehreren Ebenen durchqueren Stelenfelder aus glitzernden Wolkenkratzern und den grünen Kreuzen der Kliniken. Ganz unten Straßenleben. Kinder, die im Lärm der Laster und Motorradtaxis schlafen.

Junge Mädchen, fast noch Kinder, wischen übermüdet und gelangweilt  die Gänge im Flughafen, schnell durch die Vuitton- und Chanel-Hölle  zum Flugsteig. Oben sind die aus der ersten Klasse, die dürfen immer zuerst einsteigen, eine Treppe führt zum oberen Deck. Ein junger Kerl aus der First ist auf der kleinen Stiege stehen geblieben und grinst von oben herab all die Loser an, die sich unten in der Economy drängen müssen. Im Flugzeug gibt es kein Liegen auf der Seite, vielleicht nur bei denen oben in der First. Hier unten  rauscht der Lärm der Triebwerke von überall her direkt in den Kopf hinein. Selbst Lesen ist schwierig, ich starre elf Stunden auf den Monitor, was sonst. Höhe elftausend, Geschwindigkeit eintausend km/h, Zeit zum Ziel sieben, Zeit am Ziel zehn, Zeit am Ausgangspunkt siebzehn. Landung.

Der Flughafen funktional-prosaisch, so deutsch, dass er schon satirisch wirkt, steht als Zutritt in ein Land, das es längst schon nicht mehr gibt, Reminiszenz an  eine ordnungsgemäß zu nennende, klassische TÜV-Geprüftheit, die vor langer Zeit das ganze teutonische Ding am Laufen hielt, bevor sie Brustimplantate aus gefährlichem Industriesilikon für den Einbau in menschliche Wesen zertifiziert, und einen tödlichen Staudammbruch in Brasilien zu verantworten hatten.

Koffer klatschen auf die große Null aus Gummilappen. Glück hat, dessen Tasche nicht dem tristen Standard entspricht. Wer sich das eigene Auto auch nur in grau oder schwarz vorstellen kann, hat auch beim Gepäck seine Bestimmung gefunden.

S8, deutsche und englische Durchsagen, aber nur bis zur ersten Station, exit to the left in the direction of travel, wer hat sich diesen steindummen Namen Gateway Gardens ausgedacht. Liebe Stadtplaner*innen: Fehlt nur noch Runway Rabbits, Railway Martens oder Tower Parks zur allumfassenden Glückseligkeit. Die Skala ist nach unten offen, Leute. Ab den Gardens kommen die Durchsagen dann nur noch auf German, da hat man die Anglowelt hinter sich gelassen. Klar, wer in den Gardens wohnt ist bis dahin fremdsprachlich voll bedient, danach kommt, zur Beruhigung,  Deutschland pur. Nur noch, sozusagen.

Hauptbahnhof, ICE mit Gleiswechsel, alle hasten zur Plattform nebenan, geänderte Wagenreihung plus Verspätung,  da fühlt man sich gleich zu Hause, zum Glück kein Anschlusszug, der verpasst werden könnte. Blondes Mädchen am Fenster-Zweiersitz, ist da noch frei, ist this seat taken, die hört nix, Ohrstöpsel, Gesten, Stöpsel raus, ja noch frei, feuchte Wimpern, hagere Größe, sie nimmt den klirrenden Rucksack weg vom Sitz am Gang. Eine Träne.

Blecherne Klänge scheppern mittig aus dem Blue-Tooth-Bereich am langhaarigen Mädchenkopf. Schluchzen, Ab und an die Bierflasche. Vor mir steht einer auf, Genre leistungsbereiter FDP-Hoffnungsträger, aber nett sieht der trotzdem aus, deutet mit einer Seitenbewegung seines Kopfes zum Fenstermädchen, zieht die Augenbrauen hoch, ich soll mich  dich mal kümmern flüstert der, wie denn, ich kenne die doch gar nicht. Ey ist was los, weinst du, traue ich mich. Ich bin sonst immer Angsthase, gerade bei Frauen, jetzt erst recht, ich sechzig, die keine zwanzig, was soll man das sagen. Sieze nicht mal, obwohl ich das Siezen immer als Safe Space für Alte verteidige. Scheiß Duzerei immer überall. Obwohl ja das herablassende Du in Opposition zum Sie damit getilgt ist. In diesem Falle passt das Duzen allerdings besser. Das ganze Adrenalin vom schlaflosen Flug ist drin, nimmt die Ängste, die Blonde macht mit dem Feuerzeug eine neue Pulle auf, setzt ganz steil von weit oben aus an, Flasche fast senkrecht Richtung Speiseröhre. Draußen schwappen Stromkabel als Fahrtbild von unten nach oben und von oben zurück, im Mädchenauge Stromkabel und Tränen, die Wimpern schmieren schon ihre Tusche aufs untere Lid, was ist los. Sie sagt, eigentlich habe ihr jemand etwas sehr Lustiges geschickt, bloß alles Tränen vom Lachen, aber so traurig vom Mädchen selbst gesagt. Wenn ich was für dich tun kann, sag mir mal bescheid, sie schluchzt und dankt, das nächste Bier, nun schon ziemlich betrunken, wenn ich jetzt aussteige, ist die das perfekte Opfer für irgendeinen perversen geilen Abschlepper der Hilflosen, was will man tun, immerhin give me five ist noch drin und tschüß. Der FDP-Typ ist nicht mehr zu sehen, ich muss raus, Ziel erreicht, sozusagen. Der ICE bremst ab, und ein kleines Mädchen hält ihren Eltern Vorträge über Kinderbücher. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.



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Lais
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Beitrag26.12.2022 14:08

von Gast
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Hi Christof,
 Daumen hoch
ich habe den Text gerne gelesen. Er schildert gut die Verschiedenheit der beiden Welten. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass mich deine Schreibweise auf der langen Distanz ermüdet, ohne den Grund für diese Vermutung genauer benennen zu können. Vielleicht ist es der abrupte Wechsel von szenischen Elementen zu reflexiven, gesellschaftskritischen Passagen, der mich etwas überfordert.  Nun könntest Du einwenden: Genau dieser Wechsel ist beabsichtigt.

Ein paar Erbsen:
ich soll mich dich mal kümmern
ich sechzig, die keine zwanzig, was soll man das sagen
Wenn ich was für dich tun kann, sag mir mal bescheid

LG
DLurie
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Christof Lais Sperl
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Beitrag26.12.2022 14:52
Lurie
von Christof Lais Sperl
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Danke für die berechtigte Kritik! Ich denke, eine Abrundung könnte nicht schaden!
Schönen Feiertag noch und guten Rutsch!
CLS


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Lais
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Beitrag26.12.2022 14:57

von Gast
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Hallo @Christof Lais Sperl, mir gefällt dieser atemlose Erzählstil, diese Aneinanderreihung von Eindrücken, Szenen, Übergängen ... also: Unweihnachtliches, fröhliches Winken aus der Fankurve! Daumen hoch²
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Christof Lais Sperl
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Beitrag26.12.2022 15:03
Thx
von Christof Lais Sperl
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Danke, Purple, ich arbeite trotzdem noch mal dran! ; )

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Christof Lais Sperl
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Beitrag26.12.2022 16:25
Flüssiger
von Christof Lais Sperl
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Ich habe den Auszug flüssiger zu gestalten versucht.

Weinen nach Gateway Gardens

Die Schlappen gehören allen. Gummilatschen, auf die irgendwer einen persönlichen Anspruch erheben könnte, gibt es nicht. Da nimmt jeder, was gerade herumliegt: Rote, schwarze, blaue. Die müsste man nachts schon unterm Bett verstecken, doch die gehören nicht ins Haus. Schuhe sind Teil vom Schmutz, die stellt man nach draußen. Zu den unter den  Autos dösenden und am Eingang lungernden Hunden, die früh um vier schon aufs Frühstück warten und durch die Glastür jede Bewegung verfolgen, mit schiefgelegtem Kopf, um besser erkennen zu können, was drinnen abläuft, und ob man was abstauben kann. Jeden Morgen allerlei zerfetzte Reste von Reissäcken, Plastiktüten, angenagten Wasserflaschen, zerknabberten Sandalen, ich habe welche in einer Tasche an einen Haken gehängt, unerreichbar für die Bande, hab mir auf dem Markt schon zweimal neue holen müssen, die Händlerfamilie hat die zerknabberten alten Schuhe gleich immer lachend zurückgenommen.

Rat kommt schon um fünf, da muss ich los du früh ins Bett. Nächtliches Seitenschlafen unbekleidet auf der Liege. Das rechte Ohr auf der Kissenrolle, gewöhnt sich das linke Ohr allmählich ans Rauschen der Klimaanlage. Beim Umdrehen auf die linke Seite flutet der Lärm umso lauter an, bis es auch dieser Seite gelungen ist, ihn wieder herunterzuregeln. Das Hirn ist derweil damit beschäftigt, Gedanken wieder in den Schlaf zu lenken. Schlafen ist vertieftes Denken.

Der Wecker. Kaffee am Tisch, dessen Beine wegen der Ameisen in wassergefüllten Schüsseln stehen. Ohne den Wasserring bildet sich sofort eine Straße aus Insekten. Jetzt kommt ein Lichtschein. Rat schon an der Einfahrt, Bellen, da muss keiner klingeln, man sieht die Scheinwerfer durch die Streben an der Einfahrt. Mit der Fernbedienung kann ich das Tor zur Seite fahren lassen, muss nur aufpassen, dass die Hunde nicht wieder weglaufen, doch die Freude am grüngelben Corolla wiegt im Hundehirn stärker als die Möglichkeit, am langen Wegrand zur Tankstelle herumzuschnuppern. Wie ein Wirbel umtosen sie das vorsichtig einfahrende Auto. A boiling cloud of dogs hat William Faulkner mal geschrieben, was ziemlich genial ist. Die Räder bringen den Kies zu asthmatischem Knirschen. Rat fährt sofort los. Krung Thep, Flughafen. Muss heim. Zum Glück ist am Ziel gerade Sommer, da muss man sich temperaturmäßig nicht so furchtbar umstellen. Rat bremst öfter ab, denn all die herrenlosen Hunde rennen über die Landstraße, an der die Mönche schon begonnen haben, in ihren Körben und Töpfen Essen zu sammeln. Links, rechts, die vielen vogelgespickten Gitter, an denen bunte Tafeln befestigt werden. An dieser Stelle kurz verwaist, warten sie auf  die nächste Generation riesenhafter Bilder und lächelnder Gesichter, die bald für Neues werben werden. Im Auto goldgerahmte Bilder von Rat selbst. Als Soldat. Als Mönch. Rats Frau, seine Kinder. Die Lizenz fürs Taxi. Bäume werden weniger, Beton nimmt zu. Pfeiler. Autobahnen in mehreren Ebenen durchqueren Stelenfelder aus glitzernden Wolkenkratzern und den grünen Kreuzen der Kliniken. Ganz unten Straßenleben. Kinder, die im Lärm der Laster und Motorradtaxis schlafen.

Junge Mädchen, fast noch Kinder, wischen übermüdet und gelangweilt  die Gänge im Flughafen, schnell durch die Vuitton- und Chanel-Hölle  zum Flugsteig. Oben sind die aus der ersten Klasse, die dürfen immer zuerst einsteigen, eine Treppe führt zum oberen Deck. Ein junger Kerl aus der First ist auf der kleinen Stiege stehen geblieben und grinst von oben herab all die Loser an, die sich unten in der Economy drängen müssen. Im Flugzeug gibt es kein Liegen auf der Seite, vielleicht nur bei denen oben in der First. Hier unten  rauscht der Lärm der Triebwerke von überall her direkt in den Kopf hinein. Selbst Lesen ist schwierig, ich starre elf Stunden auf den Monitor, was sonst. Höhe elftausend m, Geschwindigkeit eintausend km/h, Zeit zum Ziel sieben, Zeit am Ziel zehn, Zeit am Ausgangspunkt siebzehn. Fahrwerkbrummen, Landung.

Der Kopf ist müde, er bringt die Dinge nur bruchstückartig zusammen. Da das nun schon Vergangene und Ferne immer noch so nah ist, zählen erste Eindrücke im faulen Vergleichsmodus, der dem Gemüt nicht zuviel abverlangt: Der Flughafen funktional-prosaisch, so deutsch, dass er schon satirisch wirkt, steht als Zutritt in ein Land, das es längst schon nicht mehr gibt, denke ich, und bin ganz überrascht, wie schnell aus Abwägen schon wieder Theoretisieren wird. Hatte ich mir nicht vorgenommen, etwas entspannter an den Alltag heranzugehen?

Der alte, rechtwinklige Flughafen eine Reminiszenz an die ordnungsgemäß zu nennende, klassische TÜV-Geprüftheit, die vor langer Zeit das ganze teutonische Ding am Laufen hielt, bevor sie Brustimplantate aus gefährlichem Industriesilikon für den Einbau in menschliche Wesen zertifiziert, und einen tödlichen Staudammbruch in Brasilien zu verantworten hatten. Vielleicht sollte ich mir das einmal als Memory anlegen, um es in einem späteren Text zu verwerten. Doch der Schweinehund ist stärker, und die Überlegung wird mit ziemlicher Sicherheit in irgendeiner schlaflosen Nacht wieder hochkommen. Erst mal durch die Kontrolle für EU Citizens, die bloß noch aus einem alutürbewehrten Gesichtsscan besteht, der Zoll schaut nur noch, ob alles reibungslos einströmen kann. Ich frage mich. Was passieren würde, käme ich als per Haftbefehl Gesuchter in die Schleuse, ob dann eine Gitterbox von gefählich schnell von oben herab fiele?

Koffer klatschen auf die große Null aus Gummilappen. Glück hat, dessen Tasche nicht dem tristen Standard entspricht. Wer sich das eigene Auto auch nur in ängstlichem grau oder schwarz vorstellen kann, hat auch beim Gepäck seine Bestimmung gefunden. Im Abseits ein verängstigter Hund, der mit entsetztem Blick aus seiner Transportbox herausstarrt.

S8, deutsche und englische Durchsagen, aber nur bis zur ersten Station, exit to the left in the direction of travel, wer hat sich diesen steindummen Namen Gateway Gardens ausgedacht, muss ich mir ein jedes Mal denken, wenn ich diese Linie und nicht den Fernbahnhof nehme. Liebe Stadtplaner*innen überlegt sich das in mir: Fehlt nur noch Runway Rabbits, Skyline Bridges, Railway Martens oder Tower Parks zur allumfassenden Banker-Glückseligkeit. Die Skala ist nach unten offen, Leute. Ab den Gardens kommen die Durchsagen dann nur noch auf German, da hat man die Anglowelt und ihren Airport längst hinter sich gelassen. Klar, wer in den Gardens wohnt ist bis dahin fremdsprachlich voll bedient, danach kommt, zur Beruhigung, Deutschland pur. Nur noch, sozusagen. Aber was soll die Denkerei, es gilt erst einmal den Fernzug zu erreichen, wer sich in Deutschland auskennt, darf allerdings bequem auf dessen verlässliche Verspätungsneigung setzen, atmet sich das in mir auf.

Ein Hauptbahnhof. ICE mit Gleiswechsel, alle hasten zur Plattform nebenan, geänderte Wagenreihung plus Verspätung,  das wird nichts mit dem Le-Crobag-Sandwich nach der langen Reiszeit, sei es drum, da fühlt man sich erheitert gleich zu Hause, zum Glück gibt es für mich heute keinen Anschlusszug, der verpasst werden könnte. Blondes Mädchen am Fenster-Zweiersitz, ist da noch ein Platz frei, is this seat taken, die hört nix, Ohrstöpsel, Gesten, Stöpsel raus, ja noch frei, feuchte Wimpern, hagere Größe, sie nimmt den klirrenden Rucksack weg vom Sitz am Gang. Eine Träne.

Blecherne Klänge scheppern mittig aus dem Blue-Tooth-Bereich am langhaarigen Mädchenkopf, Schluchzen, Ab und an die Bierflasche. Im Rucksack klirrt noch mehr. Vor mir steht einer auf, Genre leistungsbereiter FDP-Hoffnungsträger, aber nett sieht der trotzdem aus, deutet mit einer Seitenbewegung seines Kopfes zum Fenstermädchen, zieht die Augenbrauen hoch, ich soll mich mal kümmern flüstert der, wie denn, ich kenne die doch gar nicht. Hat sie mit ihm etwas zu tun? Ey ist was los, weinst du, traue ich mich. Ich bin sonst immer Angsthase, gerade bei Frauen, jetzt erst recht, ich sechzig, die keine zwanzig, was soll man da schon sagen. Sieze nicht mal, obwohl ich das Siezen in Privatdebatten immer als Safe Space für Alte verteidige. Scheiß Duzerei immer überall, sag ich da gerne. Obwohl das herablassende Du in Opposition zum respektuösen Sie damit ja vorteilhaft getilgt ist. So kann man das schließlich auch sehen. Bin ja nicht so. In diesem Falle passt das Duzen allerdings besser. Ich muss ja direkt an die arme Seele ran. Das ganze Adrenalin vom schlaflosen Flug ist in der kommunikativen  Bewegung drin, nimmt die Ängste, die Blonde macht mit dem Feuerzeug eine neue Pulle auf, setzt ganz steil von weit oben aus an, Flasche fast senkrecht Richtung Speiseröhre. Draußen schwappen Stromkabel als Fahrtbild von unten nach oben und von oben zurück, im Mädchenauge Stromkabel und Tränen, die Wimpern schmieren schon ihre Tusche aufs untere Lid, was ist los. Sie sagt, eigentlich habe ihr jemand etwas sehr Lustiges geschickt, wären bloß alles Tränen vom Lachen, aber so traurig vom Mädchen selbst gesagt, wer glaubt das. Wenn ich was für dich tun kann, sag mir mal Bescheid, sie schluchzt und dankt, das nächste Bier, nun schon ziemlich betrunken, noch betrunkener als vorher schon, wenn ich jetzt aussteige, ist die das perfekte Opfer für irgendeinen perversen und geilen Abschlepper der Hilflosen, vielleicht pirscht er schon durch die Gänge, was will man tun, immerhin give me five ist noch drin mit dem Mädchen und tschüß. Sie ganz überrascht, dass sich überhaupt ein Jemand für ihr Elend interessiert. Der FDP-Typ ist nicht mehr zu sehen, ich muss raus, war der vielleicht mit ihr zusammen, ich aber Ziel erreicht sozusagen. Der ICE bremst ab, ein kleines Mädchen hält ihren Eltern Vorträge über jüngst gelesene Kinderbücher im Türbereich. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Heim, pennen.


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etcetera
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Beitrag26.12.2022 17:47

von etcetera
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Ich spüre die Stimmung, die Du vermitteln willst, und ich mag sie, aber sie wird doch arg gestört. Man merkt noch die Mühe, die Du Dir machst. Dadurch wirkt das Ganze etwas schwerfällig.
Ich finde (zu viele) verkünstelte Wurmsätze, die am Ende oft etwas anderes ausdrücken, als am Beginn des Satzes.
Waum klemmst Du so etwas zusammen, wie die putzenden Mädchen und den Spurt zum Flugsteig?
Warum nicht:
...die Gänge im Flughafen -Punkt- Schnell durch die...
Zitat:
Rat kommt schon um fünf, da muss ich los du früh ins Bett.

Verstehe ich gar nicht, selbst mit einem korrekt gesetzten Komma ist es noch unklar!
Zitat:
Nächtliches Seitenschlafen

Na ja, schon verständlich, aber sehr gekünstelt. Vorschlag: (Nachts) In Seitenlage  (unbekleidet - nackt?)  auf der Liege  (schlafen?)
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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag26.12.2022 18:19
Etcetera
von Christof Lais Sperl
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Danke für die Kritik. Vielleicht kann ich das noch ein wenig entschwurbeln. Du hast auch noch Fehler entdeckt.  "Du" = "und".
Mitunter vielleicht ein zu geschraubter Stil.
Ich sehe mir das noch mal an.
Vielen Dank und Grüße von Christof


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Lais
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Christof Lais Sperl
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Beitrag27.12.2022 12:33
Bereinigung
von Christof Lais Sperl
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Nach erfolgter, guter Kritik von Etcetera und Lurie habe ich wie folgt gebessert. Man sehe das als Teil eines Wrkes, welches aus einer großen Zahl solcher Teile besteht. Null Fiktion.

Weinen nach Gateway Gardens

Die Schlappen gehören allen. Gummilatschen, auf die irgendwer einen persönlichen Anspruch erheben könnte, gibt es nicht. Da nimmt jeder, was gerade herumliegt: Rote, schwarze, blaue. Die müsste man nachts schon unterm Bett verstecken, doch die gehören nicht ins Haus. Schuhe sind Teil vom Schmutz, die stellt man nach draußen. Zu den unter den  Autos dösenden und am Eingang lungernden Hunden, die früh um vier schon aufs Frühstück warten und durch die Glastür jede Bewegung verfolgen. Mit schiefgelegtem Kopf, um besser erkennen zu können, was drinnen abläuft, und ob man was abstauben kann. Jeden Morgen allerlei zerfetzte Reste von Reissäcken, Plastiktüten, angenagten Wasserflaschen, zerknabberten Sandalen. Ich habe welche in einer Tasche an einen Haken gehängt. Unerreichbar für die Bande. Hab mir auf dem Markt schon zweimal neue holen müssen. Die Händlerfamilie hat die zerknabberten alten Schuhe gleich immer lachend zurückgenommen.

Rat kommt schon um fünf, da muss ich los. Also früh ins Bett. Die letzte Nacht unbekleidet auf der Liege im Autan-Aroma. Das rechte Ohr auf der Kissenrolle, gewöhnt sich das linke Ohr allmählich ans Rauschen und Scheppern der Klimaanlage. Beim Umdrehen auf die linke Seite flutet der Lärm umso lauter an, bis es auch dieser Seite gelungen ist, ihn wieder herunterzuregeln. Das Hirn ist derweil damit beschäftigt, Gedanken wieder in den Schlaf zu senken. Schlafen ist Schwimmen auf Erinnerung.

Der Wecker. Kaffee am Tisch, dessen Beine wegen der Ameisen in wassergefüllten Schüsseln stehen. Ohne den Wasserring bildet sich sofort eine Straße aus Insekten. Jetzt kommt ein Lichtschein. Rat ist schon an der Einfahrt angelangt. Bellen. Bei der Aufregung muss keiner klingeln. Man sieht die Scheinwerfer durch die Streben am Portal. Mit der Fernbedienung kann ich das Tor zur Seite fahren lassen. Muss nur aufpassen, dass die Hunde nicht schon wieder weglaufen, doch die Freude am grüngelben Corolla wiegt im Hundehirn stärker als die Möglichkeit, am langen Wegrand zur Tankstelle herumzuschnuppern. Wie ein Wirbel umtosen sie das vorsichtig einfahrende Auto. A boiling cloud of dogs hat William Faulkner mal geschrieben, was ziemlich genial ist. Die Räder bringen den Kies zu asthmatischem Knirschen. Rat fährt sofort los. Krung Thep, Flughafen. Ich muss schon wieder heim. Zum Glück ist am Ziel gerade Sommer, da muss man sich temperaturmäßig nicht so furchtbar umstellen.

Rat bremst öfter ab, denn all die herrenlosen Hunde rennen über die Landstraße, an der die Mönche schon begonnen haben, in ihren Körben und Töpfen Essen zu sammeln. Links, rechts, die vielen vogelgespickten, jetzt sinnlos beleuchteten Gitter, an denen bunte Tafeln befestigt werden. An dieser Stelle kurz verwaist, warten sie auf  die nächste Generation riesenhafter Bilder und lächelnder Gesichter, die bald für Neues werben werden. Flockige Wolken aus Insekten in Lichtkegeln. Im gekühlten Auto goldgerahmte Bilder von Rat selbst. Als Soldat. Als Mönch. Rats Frau, seine Kinder. Die Lizenz fürs Taxi. Bäume werden weniger, Beton nimmt zu. Pfeiler. Autobahnen in mehreren Ebenen durchqueren Stelenfelder aus glitzernden Wolkenkratzern und den grünen Kreuzen der Kliniken. Ganz unten das immerwährebnde Straßenleben. Kinder, die im Lärm der Laster und Motorradtaxis schlafen.

Junge Mädchen, fast noch Kinder, wischen übermüdet und gelangweilt  die Gänge im Flughafen. Schnell durch die Vuitton- und Chanel-Hölle  zum Flugsteig. Oben werden die aus der ersten Klasse sitzen, die dürfen immer zuerst einsteigen, eine Treppe führt zum Oberdeck. Ein junger Kerl aus der First ist auf der kleinen Stiege stehen geblieben und grinst von oben herab all die Loser an, die sich unten in der Economy drängen müssen. Im Flugzeug gibt es kein Liegen auf der Seite, vielleicht nur bei denen oben in der First. Hier unten  rauscht der Lärm der Triebwerke von überall her direkt in den Kopf hinein. Selbst Lesen ist schwierig, ich starre elf Stunden auf den Monitor, was sonst. Höhe elftausend m, Geschwindigkeit eintausend km/h, Zeit zum Ziel sieben, Zeit am Ziel zehn, Zeit am Ausgangspunkt siebzehn. Fahrwerkbrummen, Landung.

Der Kopf ist müde, er bringt die Dinge nur bruchstückartig zusammen. Da das nun schon Vergangene und Ferne immer noch so nah ist, zählen erste Eindrücke im faulen Vergleichsmodus, der der Gemütsmaschine nicht zuviel abverlangt: Der Flughafen funktional-prosaisch, so deutsch, dass er schon satirisch wirkt, steht als Zutritt in ein Land, das es längst schon nicht mehr gibt, so denkt ich das in mir. Bin ganz überrascht, wie schnell aus Abwägen schon wieder Theoretisieren werden kann. Hatte ich mir nicht vorgenommen, etwas entspannter an den Alltag heranzugehen?

Der alte, rechtwinklige Flughafen eine Reminiszenz an die ordnungsgemäß zu nennende, klassische TÜV-Geprüftheit, die vor langer Zeit das gemütliche teutonische Ding bequem am Laufen hielt, bevor sie Brustimplantate aus gefährlichem Industriesilikon für den Einbau in menschliche Wesen zertifiziert, und einen tödlichen Staudammbruch in Brasilien zu verantworten hatten. Vielleicht sollte ich mir das einmal als Memory anlegen, um es in einem späteren Text zu verwerten. Doch der Schweinehund ist stärker. Das Handy bleibt in der Tasche. Die Überlegung wird mit ziemlicher Sicherheit in irgendeiner schlaflosen Nacht von ganz allein wieder hochkommen. Erst mal durch die Kontrolle für EU Citizens, die bloß noch aus einem alutürbewehrten Gesichtsscan besteht: Der Zoll schaut nur noch, ob alles reibungslos einströmen kann. Ich frage mich, was passieren würde, käme ich als per Haftbefehl Gesuchter in die Schleuse, ob dann eine Gitterbox gefährlich schnell von oben auf mich als Beute herab fiele?

Koffer klatschen auf die große Null aus Gummilappen. Glück hat, dessen Tasche nicht dem tristen Standard entspricht. Wer sich das eigene Auto auch nur in ängstlichem grau oder schwarz vorstellen kann, hat beim Gepäck ebenfalls seine Bestimmung gefunden. Im Abseits ein verängstigter Hund, der mit entsetztem hellblauem Blick aus seiner Transportbox herausstarrt.

S8, deutsche und englische Durchsagen, aber nur bis zur ersten Station, exit to the left in the direction of travel, wer hat sich diesen steindummen Namen Gateway Gardens ausgedacht, muss ich mir ein jedes Mal denken, wenn ich diese Linie, und nicht den Fernbahnhof mit den großen Zügen nehme. Liebe Stadtplaner*innen überlegt sich das in mir: Fehlt nur noch Runway Rabbits, Skyline Bridges, Railway Martens oder Tower Parks zur allumfassenden Finanz-Glückseligkeit. Die Skala ist nach unten offen, Leute. Ab den Gardens kommen die Durchsagen dann nur noch auf German, da hat man die Anglowelt und ihren Airport längst hinter sich gelassen. Klar, wer in den Gardens wohnt ist bis dahin fremdsprachlich voll bedient, danach kommt, zur Beruhigung, Deutschland pur. Nur noch, sozusagen. Aber was soll die Denkerei. Erst einmal den Fernzug erreichen. Wer sich in Deutschland auskennt, wir tun das zur Genüge, ich nenne uch mal Freunde, darf sich auf verlässliche Verspätungsneigung setzen. So atmet es sich in mir auf.

Ein Hauptbahnhof. ICE mit Gleiswechsel. Alle hasten zur Plattform nebenan. Geänderte Wagenreihung plus Verzögerung,  das wird nichts mit dem Le-Crobag-Sandwich nach der langen Reiszeit. Sei es drum, da fühlt man sich erheitert gleich zu Hause. Zum Glück gibt es keinen Anschlusszug, der verpasst werden könnte. Der Zug bringt mich bis nach Hause. Ich wuchte die Tasche ins Gepäckregal. Blondes Mädchen am Fenster-Zweiersitz, ist da noch ein Platz frei, is this seat taken, die hört nix, Ohrstöpsel, Gesten, Stöpsel raus, ja noch frei,. Feuchte Wimpern, hagere Größe, sie nimmt den klirrenden Rucksack weg vom Sitz am Gang. Eine Träne.

Blecherne Klänge scheppern mittig aus dem Blue-Tooth-Bereich am langhaarigen Mädchenkopf. Schluchzen. Ab und an die Bierflasche. Im Rucksack klirrt Nachschub. Vor mir steht einer auf. Genre leistungsbereiter FDP-Hoffnungsträger, aber nett sieht der trotzdem aus, deutet mit einer Seitenbewegung seines Kopfes zum Fenstermädchen, zieht die Augenbrauen hoch, ich soll mich mal kümmern, flüstert der. Lippenlesen. Wie denn, ich kenne die doch gar nicht. Fragen, die einem immer zu spät einfallen. Treppenwitze: Hat sie mit dir etwas zu tun? Ey ist was los, was weinst du, traue ich mich. Der Hammer. Nicht der rote Nothammer am Fenster. Sondern ich. Bin sonst immer Angsthase, gerade bei Frauen, müsste doch jetzt erst recht sein. Ich sechzig, die keine zwanzig, was soll man da schon sagen. Kommt doch alles immer gleich blöd rüber. Sieze nicht mal, obwohl ich das Siezen in Privatdebatten immer als Safe Space für Alte verteidige. Scheiß Duzerei immer überall, sag ich da gerne. Obwohl das herablassende Du in Opposition zum respektuösen Sie damit ja vorteilhaft weggetilgt ist. So kann man das schließlich auch sehen. Bin ja nicht so rigide. Sondern theoretisch offen: Erkenntnis von heute ist immer der Irrtum von morgen. In diesem Falle passt das Duzen allerdings besser. Ich muss ja direkt an die arme Seele ran. Das ganze Adrenalin vom schlaflosen Flug ist in der kommunikativen  Bewegung drin, nimmt die Ängste, die Blonde macht mit dem Feuerzeug eine neue Pulle auf, setzt ganz steil von weit oben aus an, Flasche fast senkrecht Richtung Speiseröhre. Draußen schwappen Stromkabel als Fahrtbild von unten nach oben und von oben zurück. Im Mädchenauge Stromkabel und Tränen, die Wimpern schmieren schon die Tusche aufs untere Lid. Was ist los. Kann ich was für dich tun. Sie sagt, eigentlich habe ihr jemand etwas sehr Lustiges geschickt, wären bloß alles Tränen vom Lachen. Doch so traurig vom Mädchen selbst gesagt. Wer glaubt das. Wenn ich später noch was was für dich tun kann, sag mir Bescheid. Sie schluchzt und dankt mit erhobener, riesenhafter Hand. Das nächste Bier, nun schon ziemlich angeschickert, noch betrunkener als vorher schon. Wenn ich jetzt aussteige, ist die das perfekte Opfer für irgendeinen perversen geilen Abschlepper von hilflosen großen Mädchen mit viel Sommerhaut. Vielleicht pirscht er schon durch die Gänge. Was will man tun, immerhin give me five ist noch drin mit dem Mädchen. Und tschüß. Sie ganz überrascht, dass sich überhaupt ein Jemand für ihr Elend interessiert. Blickt mir durch die Wimpernschmiere hinterher. Ich sehe sie durch die rappelnde Glastür am Ausgangsbereich. Der FDPler ist nicht mehr zu sehen. Ich muss raus, war der vielleicht mit ihr zusammen. Ich aber jetzt Ziel erreicht sozusagen. Der ICE bremst ab. Ein kleines Mädchen hält ihren Eltern naseweise Vorträge über jüngst gelesene Kinderbücher im Türbereich. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.

Heim. Pennen geht nicht. Das Adrenalin schiebt Frage um Frage nach oben. Ist man denn  eigentlich der Meister im Oberstübchen. Und gibt es einen freien Willen, wenn man nicht einmal den Kopf abschalten kann. Gäbe es keinen freien Willen, gäbe es kein Bungee-Jumping. Manchmal ist das Denken ziemlich frei, wenn man es fessellos braucht, kommt aber wieder Stillstand. Der Schlaf kommt nicht durch. Nur tiefes Dösen. Eine Melodie breitet sich in der Wohnung aus. Klavierklänge mäandern durch die Räume. Gehören bestimmt zum dösigen Traum, denkt sich das in mir bis zur Oberfläche. Das Klavier hört gar nicht auf zu klimpern. Immer wieder dieselbe öde Melodie. Zu konstant für einen Traum. Im Traum wäre schon längst was passiert. Könnte es das Handy sein. Ich finde in der eigenen Wohnung nicht den Weg aus dem Schlafzimmer. Stoße an. Woher kommt der Klingelton. Meine Tochter ist dran. Ich kann ihrer Erzählung nicht folgen. Ruf mich morgen wieder an.


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Beitrag27.12.2022 18:45
Re: Bereinigung
von Gast
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Hi Christof,

liest sich gut für mich. Ich könnte mir auch vorstellen, ein längeres Opus in diesem Stil zu lesen.  
Da hast du jetzt noch den Aspekt des Denkens, welches man weder abschalten oder von allen Fesseln befreien kann, explizit mit reingenommen. Finde ich auch gut.

Ich habe noch ein paar kleinere Vorschläge zum Text.      

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:

Der Kopf ist müde, er bringt die Dinge nur bruchstückartig zusammen. Da das nun schon Vergangene und Ferne immer noch so nah ist, zählen erste Eindrücke im faulen Vergleichsmodus, der der Gemütsmaschine nicht zu viel abverlangt: Der Flughafen funktional-prosaisch, so deutsch, dass er schon satirisch wirkt, steht als Zutritt (verkörpert/versinnbildlicht den Zutritt?) in ein Land, das es längst schon nicht mehr gibt, so denkt ich das in mir. Bin ganz überrascht, wie schnell aus Abwägen schon wieder Theoretisieren werden kann. (wie schnell Impressionen sich bei mir schon wieder zu Abstraktionen verdichten?)
 Hatte ich mir nicht vorgenommen, etwas entspannter an den Alltag heranzugehen?

Der alte, rechtwinklige Flughafen eine Reminiszenz an die ordnungsgemäß zu nennende (?), klassische TÜV-Geprüftheit, die vor langer Zeit das gemütliche teutonische Ding bequem am Laufen hielt, bevor sie Brustimplantate aus gefährlichem Industriesilikon für den Einbau in menschliche Wesen zertifiziert, und einen tödlichen Staudammbruch in Brasilien zu verantworten hatten.
(...)
Koffer klatschen auf die große Null aus Gummilappen. Glück hat, dessen Tasche nicht dem tristen grauschwarzen Standard entspricht. Wer sich das eigene Auto auch nur in ängstlichem grau oder schwarz vorstellen kann, hat beim Gepäck ebenfalls seine Bestimmung gefunden. Im Abseits ein verängstigter Hund, der mit entsetztem hellblauem Blick aus seiner Transportbox herausstarrt.
(...)
 Ab den Gardens kommen die Durchsagen dann nur noch auf German, da hat man die Anglowelt und ihren Airport längst hinter sich gelassen. Klar, wer in den Gardens wohnt ist bis dahin fremdsprachlich voll bedient, danach kommt, zur Beruhigung, Deutschland pur. Nur noch, sozusagen. Aber was soll die Denkerei. Erst einmal den Fernzug erreichen. Wer sich in Deutschland auskennt, wir tun das zur Genüge, ich nenne uch mal Freunde, darf sich auf verlässliche Verspätungsneigung setzen. So atmet es sich in mir auf.
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LG
DLurie
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etcetera
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Beiträge: 157



Beitrag27.12.2022 19:00

von etcetera
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Genau! Ist jetzt viel besser, man fühlt sich direkt mitgenommen und gleitet schön hindurch. Weiter so!
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Beitrag27.12.2022 20:22
Danke
von Christof Lais Sperl
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Liebe Leute,  vielen Dank! Gute Ideen!

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Beitrag28.12.2022 10:34
Kritik
von Christof Lais Sperl
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DLurie, ich werde deine Vorschläge übernehmen und dann weiterarbeiten.
Gruß CLS


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Beitrag31.12.2022 12:36
Teil 2
von Christof Lais Sperl
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Nach Gateway kommt nun der 2. Teil
Triggerwarnung. Nichts für Zartbesaitete.



Der Mackelige

Dreizwoeins der letzte Sprung auf der Haustreppe. Die Mutter wartet schon in der Eingangstür. Musst du immer so schnell laufen. Kann das Luft schnappen nicht ertragen, da wird mir ganz anders, wie oft soll ich das noch sagen. Kannst doch beim Vater sitzen und warten, dann musst du das Schnaufen nicht aushalten. Warum sie sich immer so am Atmen aufhängt. An der Grundstücksmauer läuft jemand vorbei. Guten Tag, sagt die Mutter, schiebt noch Stoffelbauer hinterher, gerade so schnell und laut, dass der Unfreundliche die vier Silben unbedingt noch hören muss. Auch der gehört noch erzogen, wie dein Vater, dieses Wort mit verächtlicher Betonung, fast ironisch, der tagein tagaus seine Melodien pfeift. Die Tür fällt ins Schloss. Die Außenseite des Schlüsselkastens ist mit Kratzern übersät, wenn man beim Laufen richtig durchzieht, zittern beim Aufschließen Hände und Finger. Der Vater, durch den Spalt der Wohnzimmertür wie immer schemenhaft an seinem Platz erkennbar, will sich aus seinem Elend rauspfeifen. Mit stupiden Tönen und gerundeten Lippen zurechtrücken, was am Leben nicht mehr ausgebessert werden kann. Pfeift der wieder, sagt die Mutter. Sein Leben lang herumgepfiffen statt etwas Richtiges zu tun. Das wird bei dir auch nicht besser werden. Punkt zwölf wartet er auf Mittagessen, scharrt schon mit den Hufen. Wasser für den Nescafé ist von ihm schon aufgesetzt, sodass man nach dem kaum verschlungenen Essen das Getränk schnell herunterbringen kann, ohne noch viel reden zu müssen. In der Küche klappert das Geschirr, und der Vater sitzt und pfeift im Wohnzimmer. Auch Seifenreste kann die Mutter nicht ertragen. Alle müssen solche Rückstände in Küche und Bad sorgsam entfernen. Um fünf ist Abendbrot. Und um viertel nach dann auch endlich erledigt. Ein Tag weniger. Ein Tag näher am Tod. Pfeifen, Tagesschau, Film, Bettruhe.

Um Weihnachten herum die Super-8-Filme, ein jährliches Ritual, der Sohn weiß schon was kommt, das Rasseln der Jalousien, mit Sicherheit die Tränen, Großvater, der makellose alte Kämpfer für das Proletariat, immer auf der richtigen Seite, der ewig Gute, Sozialdemokrat, Maler, Dichter, Arbeiterbildung, Atheismus, die erste Schreibmaschine der Siedlung. Das Parteibuch an unbekannter Stelle im Haus eingemauert, wegen all dem Nazidreck und seinen Suchkötern, nie hat jemand das Buch im Mauerloch gefunden. Nun kommt die Schlüsselszene: Großvater nach dem schweren Infarkt langsam um die Hausecke schleichend, der Sohn, noch kleiner Junge, schiebt ihm einen Gartenstuhl zurecht. Die Großmutter mit Kopftuch und Blümchenkleid am Tisch hantierend, die hatte nicht viel zu sagen. Man weiß nichts von ihr. Sie war ein Hintergrund. Wie schön du deinem Opa immer geholfen hast. Schluchzen der Mutter. Der Opa winkt schwach und löst sich im orangefarbenen, von weißen Punkten durchzogenen Geflimmer am Schmalfilmende auf. Mutter stürzt nun aus dem Wohnzimmer, Vater hat bereits begonnen, Leinwand und Projektor pfeifend abzubauen. Wie die simple Melodie die Tragödie verwischt. Die Mutter höhnisch in der Diele: Ja, ja, ein mackeliger Kerl war das, ein mackelicher Kerl, so hat er das immer ausgesprochen. Aber ich nicht mal Lippenstift. Kino oder Jüngelchen, hat er mir stets gesagt, sind alles Schlechtigkeiten, Mädchen. Um sechs bist du zu Hause, oder es setzt was. Deine Oma musste putzen gehen. Irgendwie musste man die Kinder ja durchbringen. Und wenn deine Oma putzen war, Junge, ging es mit weichen Knien runter in den Keller, wenn der Vater nicht auf Schicht war. Da warteten Vater und der mackelige Kerl auf mich. Das heißt, Großvater ging mit mir ins Gewölbe hinunter, und dann kam der Mackelige einfach dazu. Er kam zum Vorschein. Hier ist er, der mackelige Kerl, Mädchen. Schau ihn dir an, den Kerl in meiner Hand. Seitdem kann ich Keuchen und Seifenschaum nicht mehr ertragen. Und deshalb bin ich so plemplem, wie ich bin, Junge.

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Beitrag31.12.2022 17:50

von wohe
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Zitat:
mir gefällt dieser atemlose Erzählstil, diese Aneinanderreihung von Eindrücken, Szenen, Übergängen
Mir auch.
Erzeugt viel Spannung, man taucht in den Text ein und kommt schwer wieder raus. Sehr gut.
Ich bin von Deinem Stil sehr angetan, er ist geeignet für Kurzgeschichten und Kurzprosa, aber nicht für lange Texte. Da dürfte er ermüden (ermüden nicht im Sinne von Langeweile, sondern von puh, jetzt mal anders).
Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Nichts für Zartbesaitete
Stimmt. Harte Dröhnung, aber trotzdem gut.
Bitte weiter so.

MfG Wohe]
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Christof Lais Sperl
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Beitrag31.12.2022 18:27
Wohe
von Christof Lais Sperl
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Ich danke dir/euch! Eine Frage: Ich habe um die hundert solcher Texte in der Schublade. Gern würde ich die in einer großen Arbeit zusammenstellen. Von Freunden Erzähltes und selbst Erlebtes. Die Klammer ist ein Leben. Die Protas würden aber auch in ruhigerem Fahrwasser selbst zu Wort kommen. Viele Sichtweisen aus vielen Blickwinkeln erzeugen. Meint ihr, das könnte hinhauen?
Guten Rutsch erstmal!
LG CLS


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Beitrag01.01.2023 16:03
Re: Wohe
von Gast
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Ich danke dir/euch! Eine Frage: Ich habe um die hundert solcher Texte in der Schublade. Gern würde ich die in einer großen Arbeit zusammenstellen. Von Freunden Erzähltes und selbst Erlebtes. Die Klammer ist ein Leben. Die Protas würden aber auch in ruhigerem Fahrwasser selbst zu Wort kommen. Viele Sichtweisen aus vielen Blickwinkeln erzeugen. Meint ihr, das könnte hinhauen?
Guten Rutsch erstmal!
LG CLS

Hallo Christof,

wenn ich Dich richtig verstehe, würdest Du Dich und mehrere andere Personen, die über ihr Leben berichten, zu Wort kommen lassen. Gibt es denn auch irgendwelche thematischen Klammern nach denen Du die vielen Sichtweisen aus vielen Blickwinkeln strukturieren könntest? Wenn du die einzelnen Perspektiven nur unvermittelt hintereinander aufreihst, droht m.E. die Gefahr, dass das Ganze auf die lange Distanz irgendwann beliebig auf den Leser wirkt.

LG und ein frohes Neues!
DLurie
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Beitrag01.01.2023 17:15
DLurie
von Christof Lais Sperl
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Genau das beschäftigt mich momentan sehr stark.  Eine Möglichkeit wäre das Einziehen einer Zeitleiste.
Ich würde die Zeit an der Sprachvariante und der geschichtlichen Situation festmachen.
Wichtig,  darüber nachzudenken.  Insofern wertvoller Einwand!
VLG C


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Beitrag01.01.2023 17:24

von Dyrnberg
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Souveräner, konsequenter, ungewöhnlicher Stil. Kluge Beobachtungen. Authentische Erzählstimme.

An dem Text gibt es in meinen Augen kaum etwas zu kritisieren. (Und wenn, dann nur Kleinigkeiten, die bei einem Korrektorat mit wenig Mühe zu beheben sind.)

Für eine Veröffentlichung in einem Verlag stellt freilich das Format/Gerne ein Hindernis dar, denn: Es ist kein Roman. Es ist eher wie ein Brennglass, das aufs Leben gerichtet ist. Wahrscheinlich eher für Verlage mit Fokus auf Kunst interessant. Helfen würde wohl - so meine Sicht der Dinge - eine thematische Klammer, die "enger" ist als "das Leben". Spielt denn beispielsweise alles in einer Stadt?


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wohe
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Beitrag01.01.2023 17:27

von wohe
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Viele Sichtweisen aus vielen Blickwinkeln ... Meint ihr, das könnte hinhauen?
Klar. Klingt interessant.
DLuries Idee mit den Themenklammern halte ich für gut und empfehle selbst eine gewisse Vielfalt (s.o.), z.B. indem Du jedem Prota einen eigenen Stil zuordnest.
Also nix wie los.

Edit: Ich war beim Schreiben mal wieder zu langsam.
@C.L.S.  Zeitleiste und Sprachvariante = gut.
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Christof Lais Sperl
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Beitrag02.01.2023 10:20
Stile
von Christof Lais Sperl
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"Jeder Prota ein Stil" und Zeitleiste, engere thematische Fassung, ich denke, das ist's. Ich danke euch und mache mich dran!
VLG CLS


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Beitrag02.01.2023 16:02
Anderer Ton
von Christof Lais Sperl
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Diese Folge habe ich nun in einem anderen Ton, den einer weiteren Person, umgeschrieben. Ich hoffe, das Zeitkolorit wird auch sprachlich spürbar.

Tierquäler

Keine Jüngelchen und Schlechtigkeiten. Das war alles, was der zu sagen hatte. Immer der propere Kämpfer in vorderster Front. Kein Rauchen, kein Alkohol, jede Weinbrandbohne, die sie ihm untergeschoben haben, hat er sofort auf den Teppich gespuckt. Da gab es keine Gnade. Jeder Kerl am Gartenzaun ein Jüngelchen. Selbst, wenn der nur mit dem - Drahtesel haben wir früher gesagt - langsam am Haus vorbeifuhr und uns anglotzte. Der wusste immer am besten, was für mich gut zu sein hatte. Deshalb bin ich nur bis vierzehn in die Dummschnuttenanstalt gegangen. Daher kann ich auch kein Englisch. Er hat zu Hause mit seinen Büchern und Gedichten kulturell zwar immer den ganz großen Zinnober gemacht, aber fürs Mädchen sollte Volksschule reichen. Damit das Mädchen keine Flausen in den Kopf kriegt, hieß das. Da konnte ich eben nur bei dem geizigen alten Reff und ihrem Gesellen-Dummchen in die Lehre gehen. Gefunden hätte ich überall was. Die Stelle bei der Alten hatte er mir aber selbst ausgesucht. In einer halben Stunde konnte ich den Laden zu Fuß erreichen. Die Vormittage haben wir in der feuchten und muffig riechenden Werkstatt mit dem Bügeln der Filzausschnitte verbracht. Die alte Schabracke war krankhaft neugierig und hatte einen Klumpfuß. Deshalb hatte sie keinen Mann mehr gekriegt und war auf alles böse, was irgendeinen Kerl kriegen konnte. Es gab ja sowieso zu wenige Männer. Alle im Krieg umgekommen. Nach der Mutter haben die geschrieen, dort im Krieg, vor dem Sterben, hab ich gelesen. Außerdem musste immer an allem gespart werden. Sie hat überall wo es ging, das Licht ausgeschaltet. Sogar bei Familientreffen. Da sollte dann die ganze Bagage im Dunkeln sitzen. Aber Hauptsache, sie konnte sich selbst zehn Stücke Zucker in den Kaffee tun. Es gab zwar ein Radio, aber das durfte nur eingeschaltet werden, wenn Kundschaft kam. Manchmal musste die Alte Besorgungen machen, und wir waren zu zweit im Laden. Dann habe ich mit der Gesellin immer das Gerät heimlich eingeschaltet. Bis die die Musik kam, haben wir ins magische Auge gestarrt. Oft kam Freddy Quinn. „Wo die hohen Masten in den Schiffen steh’n“. So was war zu Hause auch verboten: Schlagermist, hieß es. Erlaubt war nur Klassik. Oder was man dafür hielt. Nachmittags musste ich mit dem Rad des Ladens fertiggestellte Hüte ausfahren. Einen Turm von Schachteln auf dem Gepäckträger wie ein Zirkusartist über das holprige Pflaster balancieren. Als Putzmacherin im Sinne des Erfinders. Das Rad hatte einen Rockschutz. Die feinen Damen aus der Hottwolleh  waren fast immer ganz frech, und Trinkgeld gab’s auch keins von den Frauen Doktor und Konsorten. Bei manchen hat nur das Dienstmädchen die Tür aufgemacht und ich musste draußen warten. Zu manchen Leuten musste ich auch am hellen Sonntag im guten Kleid bis nach Wilhelmshöhe hinauf fahren. Die hatten sonst keine Zeit. Hutverzierungen, Bänder, Anstecknadeln und anderen Schnickschnack hatte ich in einem Umhängebeutel dabei. Alles war auf Rechnung. Die Alte hätte uns Mädchen das Bargeld der Kundschaft nicht anvertraut. Abends musste ich dann immer gleich nach Ladenschluss die halbe Stunde nach Hause rennen. Selbst wenn es Bindfäden geregnet hat. Das Rad gehörte ja zum Laden. War ich mal fünf Minuten zu spät, hatte der Vater schon an der offenen Haustür gestanden und gleich gefragt, ob ich  schon wieder Jüngelchen getroffen hätte.

Schminke habe ich mir immer heimlich in einem Täschchen mitgenommen, wenn er auf Schicht war, und ich mal allein weg konnte. Hätte er die Schminke im Gesicht gesehen, hätte es sofort Arrest gegeben. Hat mich mal ein Kerl auf dem Rad mitgenommen und ich war schneller als üblich zurück, habe ich hinterm Bahnwärterhäuschen, am Tunnel oder an einer der Säuferbuden gewartet und abgeschätzt, bis es Zeit war, zurückzukehren. Alles andere hätte mich verdächtig gemacht. Damals fuhren noch richtige Dampfloks. Bei Wind aus der falschen Richtung musste ich immer die Wäsche im Garten abnehmen.

Der Kurt wollte mich am liebsten jeden Tag begleiten. Er hatte die gleiche Strecke. Kurt war aber Tierquäler. Das wusste ich. Er hatte es uns als Kindern schon vor Jahren vorgemacht. An Insekten, Kaninchen, Hunden, Katzen. Mit Gesindel soll man erst gar nichts anfangen. Solche Sadisten machen später auch was mit Menschen. Die haben sie nicht alle an der Erbse. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Es ist auch nie etwas Vernünftiges aus dem geworden. Der soll sogar im Kittchen gelandet sein.

Die Gesellin hatte wie so viele hier einen hugenottischen Namen. Die hieß Culles. Also Küll ausgesprochen. Sie sprach das aber immer wie Kü aus, weil sie von Französisch keine Ahnung  hatte, aber ganz vornehm tun wollte. Ein Kriegsgefangener hat mir später mal erzählt, dass das Wort in dieser falschen Aussprache Hintern oder noch was Gröberes bedeutet. Das hat mich dann heimlich gefreut.

Meine Brüder durften immer alles. Ich nichts. Als Mädchen waren wir alle nichts. Und ich war ein Mädchen für alles.

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