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Rainer Zufall
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 70
Beiträge: 801

Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag30.11.2014 14:46

von Rainer Zufall
Antworten mit Zitat

Liebe Leute, ihr macht mich fertisch. So viele Antworten, so viel Gegensätzliches.

Also ich geh das mal der Reihe nach durch, dauert aber noch bisschen, deshalb wollte ich schnell schon mal Dankeschön sagen und, nein, ich hab euch nicht vergessen, ich brauch nur immer ein bisschen was länger.

Aber bevor ich loslege: BN, du treueste aller Seelen, du setzt dich ja wirklich total mit dem Text auseinander. Also dafür fühl dich echt mal auf ein schönes frisches Weizenbier eingeladen so ein internettiges leider nur, aber immerhin.
Nur: Wehe, du sagst noch ein einziges Mal IMHO oder sowas Ähnliches. Ich denk echt, mich tritt was, wenn ich das höre. Wessen Meinung soll das denn sein, was du da vertrittst? Die von deiner Katze? Oder machst du hier eine Anspielung, die ich nicht raffe, genauso wie das mit dem Etikettieren? Hab ich irgendwas Blödes zu dir gesagt in einer meiner Antworten? Wenn ja, es tät mir Leid und wäre keine Absicht gewesen.
Aber bitte schreib NIE wieder IMHO! Schlimmer kann man ja nicht relativieren, was man meint.
Bis denn später
Zufall
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Rainer Zufall
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 70
Beiträge: 801

Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag01.12.2014 12:23

von Rainer Zufall
Antworten mit Zitat

Hallo Jenni
hatte dir ja schon mal geantwortet. Herzlichen Dank für das Beschäftigen mit meinem Text, für das Lesen und die Gedanken.

Zitat:
wäre das für mich einer dieser vielen Texte gewesen, die eine durchaus interessante Geschichte erzählen, sie auch gekonnt erzählen, aber zu wenig Tiefgang oder Nachhall oder "darüber hinaus" enthalten, um in meiner Bewertung weit oben zu landen.

Schade, dass der Text nicht mehr für dich geben konnte, dafür habe ich mich über den gelungenen Zitat-Einbau gefreut. Fand ich nämlich gar nicht so einfach.

 
Zitat:
nur unter unbewusster Loyalität stelle ich mir etwas .. unbewussteres vor. Etwas anderes als die Beziehung zu einem Mann, der sie abserviert hat, und die Gefühle zu dem doch in Folge sicherlich intensiv bedacht worden sind.

Naja, normalerweise besucht man nicht den Typen, der einen verlassen hat, bei seiner neuen Frau. Ich denke, wenn man das selbst schon erlebt hat, da gehen so viele merkwürdige und widerstreitende Gefühle und Haltungen eine Mischung ein, und warum nicht unbewusste Loyalität gegenüber dem Mann, dem man immer zur Seite stand, trotz der Wut, die man auf ihn hat. Also für mich ist die Gefühlslage da nicht so eindeutig, aber hab ich wohl nicht deutlich genug rübergebracht.

Dass ich zuviel erklären würde, sagst du, und nicht nur in dem eher berichtenden Teil, sondern auch in dem Dialog. Hmmm, ich dachte das nicht oder bin mir jedenfalls dessen nicht bewusst. Man geht seinen Text ja immer auf Wiederholungen oder Redundantes durch. Und ja klar, ich würde mir durchaus zutrauen, dass ich zu sehr erkläre und zu weitschweifig bin. Man kennt sich ja schon ein bisschen länger. smile Und trotzdem auch wenn ichs durchgucke. Schiet, mir fällts halt einfach nicht auf. Ich könnt mich auf den Kopf stellen.
Gefreut hab ich mich über dein Lob der Figuren und dass die für dich nachvollziehbar waren.

Zitat:
Sind (so tiefe, dauerhafte) Narben nicht weiß statt fleischfarben? Und warum beschreibst du sie so optisch, wenn die Erzählerin sie gerade ertastet?

Gerade die Farbe hab ich bewusst gewählt. Fleischfarben heißt, man sieht die Narben nicht unbedingt. Also dir fiel ja die irritierende Beschreibung auf, war schon extra von mir so gesetz, um zu verdeutlichen, dass es sich um psychische Narben handelt. Aber leider hab ich es einfach im Verlauf der Geschichte nicht hingekriegt, das für alle Leser deutlich zu machen, sondern sie fehlgeleitet. Meine Hoffnung war, dass der Leser das Irritierende merkt und dann Stückchen für Stückchen, spätestens in der Pinselstichszene auf das Symbolische stößt. Bei den meisten Kommentatoren ist das nicht aufgegangen, dieser Plan. Bin nun leider wieder unsicher geworden, wie ich damit umgehen soll, u.a. durch Lupus Kommentar. Geht grad dauernd hin und her. Furchtbar. Sprachlich gucke ich noch, ein paar Hinweise ha,be ich ja gekriegt, wo ich zuviel oder zu bombastisch schreibe. Aber ich lass das auch noch bisschen einwirken.
Liebe Jenni, lass es dir gut gehen, und bis dann.


Lieber Constantine,
auf dich liebenswürdigen Kerl hatte ich schon gewartet. Hab mich gefreut, dass du reingeschneit bist.  
Danke, dass dir der Titel gefiel, auf den bin ich nämlich richtig stolz.

Beim Anfang würdest du einen kleinen Abschnitt gänzlich wegnehmen. Ich denk  drüber nach. Bei mir hatte der eine Funktion, bereitet nämlich vor, dass es sich um eine Gefühlsdeformierung handelt. Ich weiß nicht, wenn ich das weglasse, denken die Leser noch mehr, ich führe sie auf den Holzweg.

Zitat:
Ich denke, aufgrund der Zeichenbegrenzung, konntest du nicht zu sehr ins Detail gehen, was die Liebe zwischen Marrais und Lydie und den "Austausch" mit deiner Protagonistin angeht. Finde ich schade, denn genau das, finde ich, ist einer, wenn nicht sogar der Kern der Geschichte.

Ja, da hast du wirklich einen Punkt bei mir erwischt. Eigentlich entspricht es auch eher der  Art, wie ich normalerweise Geschichten schreibe, stärker auf die Entwicklung der Figuren einzugehen. Aber nach langem Hin und Her hab ich mich nun doch dagegen entschieden. Hier steht  etwas anderes im Mittelpunkt, das ist das ursprüngliche Thema, also  Aufbruch – hier verstanden als das Aufbrechen psychischer Anteile. Also musste die rotzige Art der Prota im Vordergrund stehen, ihr sich Wappnen gegen jedes Mitleid gegenüber der Rivalin, ihre Wut also. Und die wird ihr durch die Situation mit Marais heraus“geschnitten“. Und da kann ich auch nicht aus einer anderen Perspektive schreiben.

 
Zitat:
Sie sieht in Lydie eine Angestellte (abwertend) und unterdrückt den Impuls (eine Wortwiederholung, die das Zitat vielleicht etwas mehr in die Geschichte einbetten soll?) Lydie sympathisch zu finden. Allein schon hier zeigt sich eine Voreingenommenheit und eine Unmöglichkeit, das es eine "ménage a trois" werden könnte.

Das mit dem Einbetten des Zitats hab ich nicht verstanden. Impuls ist ein Wort, das man hin und wieder gebraucht. Ich vermutlich sogar recht oft. Hier hat es doch einen ganz anderen Zusammenhang als im Zitat?
Und: Sie will doch nie eine menage a trois, warum sollte das hier als Kriterium angelegt werden?  

Zitat:
Was ich generell vermisse, ist eine Emotionalität bzw. sind Innenansichten in der Rückblende, was das Wiedertreffen mit Marrais angeht. Ist sie überwältigt, diesen bärenstarken Mann wieder zu sehen? Ist sie wütend? geht in ihr vor? Stattdessen spürt sie seine Hände, seinen Mund, wie ein starker, warmer Wind.

Das Bild von dem warmen Wind soll es ausdrücken, sie ist einerseits überwältigt von ihm, andererseits hat sie ambivalente Gefühle, Zorn, alles mögliche. Also darauf wollte ich nicht so ganz genau mehr eingehen, anderen war ich ja so schon zu übererklärend, also ich denke auch, dass ich in eine ganz andere Hauptlinie abdampfen würde, wenn ich deiner Idee nachginge, diesen Punktgenauer auszuführen.

Zitat:
Warum sollte die sich Gedanken um Lydie machen? Lydie ist ihr unsympathisch, steht für sie im Rang unter ihr (Angestellte) und ist eigentlich ein Fremdkörper, der zwischen ihr und Marrais steht.

Wenn man einen Impuls, jmd sympathisch zu finden, unterdrückt, dann hat man ihn gehabt. Also drängen sich ihr Gedanken, Gefühle  der Rivalin gegenüber auf,  man erkennt sie an der Art, wie sie sie sieht. Beispielsweise die Stelle mit dem Tablett, irgendjemand fand das zwar ein schiefes Bild, aber egal jetzt mal, die Icherzählerin nimmt wahr, dass Lydie sich schützen will, ihren Bauch bedroht sieht. Und das macht die Figur der Icherzählerin aus meiner Sicht auch überhaupt erst interessant oder nachvollziehbar. Wenn sie nur reinschwarz wäre und nicht einen Sprenkel Mitleid oder Empathie aufkäme, die ganze Figur hätte die charakterliche Vielschichtigkeit einer Stubenfliege. Also an der Kante bleibe ich stur.
Auch bei Marrais interpretierst du die durchaus vorhandenen Impulse (da, schon wieder!) und seine Besorgnis gegenüber Lydie völlig weg. Die sind selbstbezogen, die beiden Hauptfiguren, unsympathisch, getrieben, und moralisch überhaupt nicht korrekt. Aber sie sind nicht einschichtig. Das Nachvollziehbare, von dem andere geschreiben haben, das kommt durch diese Getreibenheit zustande, aber die wirkt umso besser, aus meiner Sicht, wenn man eben auch eine andere Facette der Figur andeutet.
Zitat:
für deine Protagonistin die Nebenbuhlerin, die sie ihr Stöhnen hören lässt, um ihr zu zeigen, dass Marrais mit ihr nun das Bett teilt,

Naja warum wohl? Das ist genau der Punkt: Das kann Wut oder Groll aus Menschen machen, dass sie mit Absicht jemand anderem weh tun und genau wissen, was sie da tun, weil sie selbst litten wie ein Schwein. Und es soll zeigen, dass sie fast genau so viel Bezug zur Rivalin hat wie zu Marrais.
Ein bisschen anders, aber im Prinzip ähnlich auch in der Situation danach, Marrais ist von seiner Kunst getrieben, das heißt aber nicht, dass er sich nicht um Lydie gekümmert hätte. Also ich finde du übertreibst in die Gegenrichtung.

Zitat:
Für mich hättet du viele Möglichkeiten gehabt das innere Hin und Her in deiner Protagonistin zu beschreiben, stattdessen verlierst du dich in Plakativem. Und auch wenn mir deine Idee mit der Extraktion der Wut in Kunst gefällt, so wäre das für mich eine andere Geschichte geworden. Die Leidenschaft, die du Marrais beim Extrahieren gibst, hätte ich mir durchgängig in deiner Protagonistin gewünscht. Irgendwie habe ich das Gefühl, hättest du Marrais oder auch Lydie als Hauptcharakter genommen und aus seiner/ihrer Perspektive erzählt, wäre deine Geschichte um einiges interessanter geworden.

Dass ich da sehr plakativ bin, stimmt. Ist so ein bisschen meine Eigenart wie auch das Weitschweifige vielleicht. Irgendwann werde ich mir das sicherlich abgewöhnt haben, aber so ein bisschen Eigenart muss der Mensch ja auch haben. Also versprochen, lieber Constantine, auf das Plakative achten!!!
Ansonsten ist da sicherlich was dran, dass man das alles auch ganz anders machen kann, also aus der Perspektive von Marrais oder Lydie schreiben. Wäre eine interessante Sache, aus Marrais Sicht zu schreiben. Aber im Moment bin ich daran interessiert, die von mir gewählten Ausgangspunkte zu bedenken und dort zu verbessern, wo ich es nachvollziehen kann. Ich finde auch, dass du dir widersprichst, wie soll die Leidenschaft in der Icherzählerin sich erhöhen, wenn ich aus Lydies oder Marrais Perspektive schreibe?
Ganz abgeneigt bin ich, aus Lydies Perspektive zu schreiben, puhh, also das  weiß ich überhaupt nicht, was das geben soll. Das wäre moralisch sehr integer, aber ich fürchte, das würde eine einzige Tränensoße werden, die mir gar nicht gefiele.
Vielen lieben Dank Constantine für die Dinge, die dir gefallen haben, für deine Verbesserungsvorschläge, für das „gern gelesen“, sogar für den Punkt,den ich vielleicht von dir bekommen hätte,  darüber musste ich aber auch ein bisschen schmunzeln, weil mir das mit den Punkten im Nachhinein so herzlich wurscht ist.
Vor allem aber lieben Dank für deine genaue Durchsichtung der Textstellen, die du rauskicken würdest. Da ist Zeug dabei, was ich auf jeden Fall übernehme werde, einiges das ich ganz vorne auf der Abschussliste habe. Ich geh das eins zu eins durch und überleg das für mich. Unter anderem auch vor dem Hintergrund, dass beispielsweise Jenni von Übererklärung sprach oder hobbes von zu berichtend an einzelnen Stellen. Vielleicht frag ich dich dann auch noch mal, wenn das für dich okay ist, falls ich mit einer Überlegung nicht klar komme. Zu allererst aber muss ich mir eine Sache ganz dringlich überlegen, und das ist eben die Narbensache und das Haptische. Wäre lupus mit seiner Argumentation nicht gekommen, ich hätte es vermutlich schon geändert. Aber lupus hat mich völlig irritiert, weil er auf einmal ein paar Stellen ganz genau so liest, wie ich sie verstanden haben wollte.
Also mein Kopf, das arme Schwein, raucht.
Viele liebe Grüße an dich Constantine und noch einen schönen Advent.



Hallo Einar,
Schön, dass du reingeschaut hast.
Ich hab mich gefreut, dass mein Text dich zu unterhalten wusste, besonders über den Sog, der sich entwickelte. Das hast du gut zusammengefasst, was ihre Besessenheit betrifft.
Zitat:
Ob dein Text Punkte bekommen hätte, ist müßig und wohl kaum noch unbeeinflusst zu klären.

Na also da geb ich dir zu 100 % Recht. Spielt außerdem eh keine Rolle. Und ich glaube Constantine hatte einfach nur ein bisschen rumüberlegt, wieviel ihm mein Text wohl wert gewesen wäre. Einfach mal so ein kleines Gedankenspielchen.
Viele Grüße an dich und hab noch ein schönes Wochenende.


Hallo Lupus,
als ich deinen Kommentar las, dachte ich, jemand haut mir einsachtig auf den Kopf. Das war, als könntest du viel besser erklären als ich, was ich wollte. Nee, das schien nicht nur so, du hast es auch gemacht.

Zitat:
die Tatsache, dass die Prota zu Beginn so tut, als handle es sich um echte Narben, entspricht ihrer Wahrnehmung, verwirrt aber in der Tat.
Aber: das reizvolle an diesem Text ist, dass sichim Laufe des Lesens immer mehr herausstellt, dass es Wunden an der Seele sind (...). Dass die Prota diese Wunden auch noch beschreibt (haptisch und optisch) zeigt mE wie sehr sie darunter leidet. Und stilistisch ist das einwandfrei - der Text würde alles verlieren, bliebe diese Beschreibung aus, denn das eben ist der Blick ins Innere der Prota.

Ganz genau so war das gemeint, deshalb auch die Fleischfarbe der Narbe.
Und womit du mich jetzt total verunsicherst, das ist der Punkt, dass du auch noch schreibst, der Text würde verlieren, wenn ich diese Beschreibung wegließe.
Ich hatte mir ja als Kompromiss überlegt, dass ich die Beschreibung so lasse, wie ich sie gemacht habe, dass ich nur dazu schreibe, dass die anderen Menschen die Narben nicht sehen, nur spüren können. Wie ich das dann mit der Bluse löse (ihrer Unschuldsfarbe) weiß ich noch nicht, denn eigentlich war das auch nicht nur auf der Echtheitsebene, sondern diese reinweißen Blusen, die haben ja auch immer was Adrettes, Unschuldiges, das jedenfalls sollte ihren Versuch charakterisieren, zu überleben in einer Welt, in der man ohne das Verhaltens- und Gefühlsrepertoire der Wut schlecht überleben kann. Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte durch diese Klarlegung gleich zu Anfang dann auch verschlechtere, die Irritation für den Leser wäre zwar beseitigt, aber das langsame Herausfinden, dass es psychische Narben sind, das hätte sich dann halt auch erledigt. Also ich weiß einfach noch nicht genau. Vielleicht kommt mir irgendwann die Idee.

Auch die Sache mit dem Dorf hast du schön erklärt. Hauptsache ohne ihn war der Punkt. In meinem Kopf war auch noch die Idee, dass man an der Wahl der Entfernung auch als Leser auf die Idee kommen kann, dass sie sich etwas vormacht in ihrer Eigenständigkeit ihm gegenüber.

Zitat:
Ist nicht eines der Charakteristika der Trivial- oder Schemenliteratur die Zeichnung von schwarz-weiß-Charakteren, die Darstellung von Personen, die des Lesers Erwartungen erfüllen? Hier gehst du einen durchaus entgegen gesetzten Weg.

Das war zumindest meine Absicht. Ich denke immer, ein Zeichen einer guten Geschichte ist, dass die Figur nicht eindimensional ist. Ganz egal, ob man das nun U oder E-Literatur nennt. Ich denke, auch eine gute Horrorgeschichte profitiert durchaus davon, wenn man die Helden etwas angraut oder umgedreht, einen Protagonisten hat, der unsympathisch ist, der aber nicht reinschwarz ist. Man sollte ihn nachvollziehbar machen, man muss ihn nicht mögen oder lieben, seinen Helden, aber man sollte ihn niemals verachten oder ihn gar der Lächerlichkeit preisgeben. Nein, man sollte schon zu einer merkwürdigen Perspektive bereit sein. Ehrlich gesagt ist es das, was mir mit am meisten gefällt am Schreiben, dass man sich überlegt, welche Gedanken oder Gefühle eine Person wohl antreiben könnten.
Danke danke für dein Lob, deine Sicht, die für mich jetzt zwar wieder alles auf den Kopf gestellt hat, aber ist ja andererseits auch was Gutes beim Schreiben.
Ich  weiß noch, wie wahnsinnig ich mich gefreut hatte über deinen Kommentar und dein Lob. Ich war da echt stolz und erleichtert, weil du das halt auch genau so gesehen hattest, wie ich das verstanden haben wollte. In dem Moment dachte ich einfach, Gottseidank, so völlig in die Irre bist du jetzt doch nicht getappt, Zufall.
Also ich tüftele und räsonniere und schau, was sich als Ergebnis herausbilden wird.
Dir aber noch mal schönen Dank für deinen Mut und auch für deine Sicherheit in der Textbetrachtung, mit der du einfach mal so sagst, du würdest das Haptische nicht rausnehmen. Ich bin eh so eine arge Zweiflerin meinen Texten gegenüber, das hat einerseits was Gutes, dann ist man nämlich auch selbstkritisch und nicht so bockig, auf der anderen Seite stellt man halt auch unheimlich schnell alles in Frage. Und durch dich hab ich jetzt noch mal was zu denken gekriegt in eine ganz andere Richtung.
You made my day. Viele liebe Grüße von Zufall.


Und HalloRieka, schön, dass du dich noch mal gemeldet hast, na klar kann man mit Leseiendrücken eine Menge anfangen. Man überprüft schließlich dadurch seine Intentionen und ob das, was man wollte, beim Leser angekommen ist.

Liebe firstoffertio,  das fand ich schade dass du die Geschichte gar nicht mochtest, weil sie dir zu konstruiert vorkam. Auch die Figuren haben dir nicht gefallen.  Aber eines muss ich auch sagen, ich hab ja schon so manchen Text von dir gelesen, ich glaube wir liegen einfach auch sehr weit auseinander in unserem Geschmack. Wenn ich vorher hätte wetten müssen, dann hätte ich gesagt, first ist viel lakonischer als ich, die mag das nicht. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden. Vielleicht beim nächsten Mal. Gefreut habe ich mich auf jeden Fall, dass du es gelesen hast.
Lass es dir gut gehen.


Hallo Mardii:
Zitat:
So, ich hoffe, du konntest etwas mit meiner Kritik anfangen und sie war nicht etwa zu hart und ungerechtfertigt.

Um Gottes Willen, nein, das war nicht zu hart, sondern freundlich und sachlich vorgetragen. Also da mach dir mal keine Sorgen, trotzdem fand ich die Frage zum Schluss sehr liebenswürdig und fürsorglich. Find ich einfach schön.

So richtig verstanden hab ich den Hauptpunkt deiner Kritik nicht. Das ging so ein bisschen hin und her mit deiner Erwartung, die aber dann doch nicht eingehalten wurde. Also was für mich als Hinweis dann aber klar rauskam, war , dass dir meine dramatische Art zu schreiben und zu beschreiben nicht gefällt, oder du sie kritisch siehst, dieses dick Aufgetragene.  Und sicherlich gibt es Anteile in der Geschichte, die so sind. Constantine schrieb von Plakativem. Zum Teil gebe ich dir Recht. Nicht nur, dass ich auch ein bisschen so bin und schreibe (meine Eigenart). Sondern hier habe ich es z.T ganz bewusst so gesetzt. Ich finde auf der anderen Seite überhaupt nicht, dass in der Szene, als die Protagonistin ankommt, irgendwas dramatisch geschrieben wäre. Nee, aus meiner Sicht ist das sehr zurückhaltend und karg. Ich bin also verwundert, dass die Geschichte hier doch auf die plakativen Stellen reduziert wird oder siehst du die Dialoge in der Mitte auch so dick aufgetragen? Ich mocht gerade den Wechsel sehr gerne, weil das ja mit ihrer Befindlichkeit zu tun hat. Ich wollte eine sehr gefühlsbetonte Frau zeigen, die sich zum Teil sehr zurücknimmt, vernünftig und abgeklärt erscheinen will, in der aber Liebe, Wut, Groll nach oben kochen, durch die Umstände, durch den Fehler, zu Marrais gegangen zu sein. Ich finde es gerade richtig, durch die Sprache diese verschiedenen Facetten ihrer Persönlichkeit anzudeuten. Hmm, naja, ist wohl bei den meisten nicht bemerkt worden. Und das ist natürlich eine blöde Sache, da hat man dann wohl was falsch gemacht als Autor. Oder doch nicht? Sollte man die Geschichte eher ganz einstampfen? Oder was ändern? Was sollte man dann aber ändern? Die Fragen waren jetzt natürlich nicht an dich gestellt, sondern an mich. smile Ist nur ein Ausdruck davon, dass es mir ausgesprochen schwer fällt,  den richtigen Weg für diese Geschichte hier zu finden.

Das Irrsinnige des Malers siehst du richtig, allerdings ist seine Aktion auch symbolisch zu sehen. Ich weiß nicht, ob man mit den Metallhülsen der Pinsel tiefe Wunden reißen kann, aber in der Geschichte steht nichts davon, dass er erst mal die Haare aus dem Pinsel rausrupft, um dann mit dem Metallteil auf sie loszugehen. Und es steht da, dass aus ihr, aus den Wunden  Wut, also ein Gefühl, entweicht, nicht Blut, Fleischklumpen, Hautfetzen und sonstwas. Also wie kann man das denn nicht symbolisch sehen? Mich verblüfft das mittlerweile völlig. Vielleicht sollte ich es ganz stark betonen, dass Marrais das alles mit den Pinselhaaren macht, also den Leser mit der Nase draufstoßen. Ach, weiß der Kuckuck, dann ist das bestimmt wieder übererklärt. Du merkst an meinem Ausbruch, liebe Mardii, dass ich echt nicht richtig weiß, wie ich es hinkriegen soll, dass es von den meisten verstanden und vielleicht ein Stück weit gemocht wird.

Zitat:
Ich fragte mich deshalb, warum sie am Schluss so allein und gebrochen ist.

Weil er sie nicht liebt, sondern bei Lydie bleibt. Weil er sie abweist. Weil die Situation mit Marrais (sein Nichtlieben, ihre Schuld) sie so traumatisiert hat, dass sie sich nicht mehr traut, Wut zu empfinden. Wenn man das mal nicht wortwörtlich nimmt, sondern als das Erleben einer Person sieht.
Danke, Mardii für das Auseinandersetzen mit der Geschichte, und fürs Gedanken machen.
LG Zufall


Hi noch einmal BlueNote,
vielen Dank für das Raussuchen der Stellen. Ich guck das durch, vielleicht (hoffentlich) fällt mir was ein. Im Moment bin ich mir überhaupt nicht sicher, wie das ausgeht, aber dass es mich umtreibt, das merkst du ja. Und vielen Dank auch für dein Lob, was einige Stellen angeht. Tut gut, das zu hören.

Zitat:
Thematisch und oft auch formulierungstechnisch hast du dich m.E. bei deinem Beitrag fast ausschließlich auf der U-Schiene bewegt.
(…)

Na ja, der Text will "E" sein, der Autor möchte, dass er "E" ist, (…) Ich finde aber dennoch Vieles daran "U". Immer noch!

Aber ist das eigentlich wichtig?

Na ja, dir anscheinend.

Nein, eigentlich nicht, denn das Thema ursprünglich aufgebracht, das hast du, ich hab nur ein paar deiner Aussagen infragegestellt und mich gegen deine Einschätzung zur Wehr gesetzt, weil ich es anders sehe. Ich hab das Gefühl, du bist dich so ein bisschen am Rechfertigen. Das musst du mir gegenüber aber gar nicht. Wie gesagt, ich seh das einfach anders als du. Weder ist das Thema eines, das man in ernsthafter Literatur nicht verwenden dürfte, noch ist es die Sprache. Ich habe aber zum Teil auch einen völlig anderen Geschmack als das, was grad so gängig ist und Preise gewinnt.  Ich hab mir zum Beispiel mal ein paar Texte runtergeladen vom MDR-Literaturpreis. Gewonnen hat ihn 2014 Stefan Ferdinand Etgeton mit seiner Kurzgeschichte "stechen oder wie ich einmal nach halle zog". Auch den Publikumspreis hat er gewonnen. Ich selbst bin über den ersten Absatz nicht hinausgekommen (so ungefähr). Da ist viel Gutes drin, sehr viel Plakatives übrigens auch, aber mit so einer nervigen und formellen Schreibe, das halt ich auf die Dauer nicht aus- Lad ihn dir mal runter, würd mich interessieren, was du von dem Text hältst.

Zitat:
Die Beschreibung der "Gefühlswallungen" der Protagonisten machen u.a. den Text für mich zu einer U-Geschichte. Dann das für U typische Thema: Wer liebt wen und wer liebt wen nicht? Die übersteigerte Beschreibung von Gefühlen, die blumigen Formulierungen, die wenig zurückgenommene Sprache.

Wenn du in meine Antwort an Mardii schaust, wirst du sehen, dass ich das nicht so ganz teile. Ich habe viele blumige und bilderreiche Formulierungen. Das ist einfach meine Art, ich spreche glaube ich auch oft so, dass ich etwas durch ein Bild erkläre. Aber dieser Tonfall zieht sich in der Geschichte nicht durch, sondern ich habe ein wenig damit gespielt. Näheres in der Antwort an Mardii.

Zitat:
Damit mir dein Text zu 100 % gefällt, müsstest du schon ein paar Dinge ändern. Aber wozu?! Wenn dir der Text so gefällt, wie er ist, ist das doch in Ordnung. Mir gefällt Vieles, aber nicht alles. Das ist aber auch ein Stück weit Geschmackssache.

Da hast du sicherlich Recht. Ich bin vielleicht oft  ein bisschen übergenau und möchte was verbessern, wenn es Kritik hagelt, und das war ja hier der Fall. Aber ich denke, das ist auch richtig, den eigenen Text ernsthaft zu reflektieren und einer Kontrolle zu unterziehen, ihn auf die Wirkungen und Irritationen, die er auslöst, zu überprüfen. Also wenn ich mich dann irgendwann entscheide, ihn so zu lassen, wie er jetzt ist, dann muss das mit meinem Gefühl übereinstimmen. Und das tut es halt noch nicht.
Also vielen Dank noch mal für deine intensive Beschäftigung mit meinem Text.
Aber hörst du, bitte nie mehr IMHO sagen. Humble heißt bescheiden, gering, ärmlich und to humble heißt demütigen, erniedrigen. Also man hat doch einen Grund, eine Meinung, eine Position zu vertreten, warum muss man sie denn gleich auf so eine fürchterliche Weise zurücknehmen. Ist ein komischer Wildwuchs manchmal diese Netzsprache.
Ich fürchte aber gleichzeitig auch, du veräppelst mich hier ein bisschen mit deinem IMHO, ich weiß aber gar nicht, warum, du blauer Schelm. Lass es dir gut gehen, BlueNote, ich schick dir ein paar Adventsplätzchen und trink mit dir ein wEUzenbier.
Liebe Grüße von Zufall
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag02.12.2014 00:19

von Constantine
Antworten mit Zitat

Liebe Rainer,

die Vielfalt an unterschiedlichen Leseansätze und Meinungen macht es dir nicht gerade leicht und ich drücke dir die Daumen, dass die für dich wichtigen Dinge, die der Intention deines Beitrags helfen, rausextrahierst. Zumindest hast du erfahren, was zum Großteil funktioniert und welche Aspekte eher wenigen aufgefallen sind und etwas Justierung bedürfen. Auch wenn du es sicherlich weißt (und vorallem in gegenwärtigen Zehntausendergewand der E-Literatur), allen Kritikern (mich eingeschlossen) wirst du es nicht recht machen können und musst du auch nicht.
Danke für deine Rückmeldung und ich werde versuchen auf deine Anmerkungen ein wenig einzugehen:

Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Beim Anfang würdest du einen kleinen Abschnitt gänzlich wegnehmen. Ich denk  drüber nach. Bei mir hatte der eine Funktion, bereitet nämlich vor, dass es sich um eine Gefühlsdeformierung handelt. Ich weiß nicht, wenn ich das weglasse, denken die Leser noch mehr, ich führe sie auf den Holzweg.



Ganz ehrlich, trotz dieses Abschnitts
Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Marrais hat mir meinen Zorn genommen, meinen Groll, ihn in Bilder verwandelt, in leuchtende Karmesinfelder und blaugischtende Formen.
Und ich taumele durch die Welt, hilflos, verwundbar, suche nach meiner Wut, suche nach Hass, suche nach dem, was mich ganz sein lässt.
waren viele Leser auf dem Holzweg. Insofern stelle ich dessen Funktion laut deiner Argumentation in Frage. Aber unabhängig davon nimmst du mMn mit diesen Sätzen einiges vorweg (du wiederholst dich auch im Endabschnitt, was ihre Leere und Wutsuche angeht), womit du mir die Spannung deiner Geschichte nimmst. Hier erfahre ich, was Marrais mit ihr getan hat und worin ihre Existenz in der Gegenwart kämpft. In der symbolischen Wut-Extraktionsstene bist du für mich näher dran an diesem Bild, passt für mich auch von der Dramaturgie besser und erlaubst mir als Leser dann aus der Rückblende zum Ende hin den Zustand deiner Prota in der Gegenwart selbst zu interpretieren.
 


Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Constantine hat Folgendes geschrieben:

Ich denke, aufgrund der Zeichenbegrenzung, konntest du nicht zu sehr ins Detail gehen, was die Liebe zwischen Marrais und Lydie und den "Austausch" mit deiner Protagonistin angeht. Finde ich schade, denn genau das, finde ich, ist einer, wenn nicht sogar der Kern der Geschichte.

Ja, da hast du wirklich einen Punkt bei mir erwischt. Eigentlich entspricht es auch eher der  Art, wie ich normalerweise Geschichten schreibe, stärker auf die Entwicklung der Figuren einzugehen. Aber nach langem Hin und Her hab ich mich nun doch dagegen entschieden. Hier steht  etwas anderes im Mittelpunkt, das ist das ursprüngliche Thema, also  Aufbruch – hier verstanden als das Aufbrechen psychischer Anteile. Also musste die rotzige Art der Prota im Vordergrund stehen, ihr sich Wappnen gegen jedes Mitleid gegenüber der Rivalin, ihre Wut also. Und die wird ihr durch die Situation mit Marrais heraus“geschnitten“. Und da kann ich auch nicht aus einer anderen Perspektive schreiben.

Für mich hast du mehrere Aufbruch-Bilder in deiner Geschichte:
- deine Protagonistin macht sich auf zu ihrem früheren Liebhaber.
- Marrais als Künstler in der Schaffenskrise erhält im Laufe der Geschichte wieder seinen "Groove"
- die Prota wird im gleichen Schritt "aufgebrochen", erleidet ein psychisches Trauma (symbolische Narben/ Verdrängung/ Emotionsverlust/ Leere) und
- begibt sich auf der Suche nach sich selbst (insofern auch ein Verarbeitungsprozess, um die verdrängten Emotionen wiederzufinden und um das seelische Leiden irgendwie zu überwinden)
Worum es mir aber in diesem Zusammenhang ging, war:
Ich finde, deine Einbindung des Zitats ist dir nicht optimal gelungen, weil mir noch einiges dazu fehlt. Wodurch ich mir eine bessere Integration erhoffen würde, wäre eine stärkere, emotionalere Ausarbeitung der (beginnenden) Liebe zwischen Marrais und Lydie und der gleichzeitigen Trennung der Muse (natürlich aus der Sicht deiner Protagonistin).


Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Constantine hat Folgendes geschrieben:

Sie sieht in Lydie eine Angestellte (abwertend) und unterdrückt den Impuls (eine Wortwiederholung, die das Zitat vielleicht etwas mehr in die Geschichte einbetten soll?) Lydie sympathisch zu finden. Allein schon hier zeigt sich eine Voreingenommenheit und eine Unmöglichkeit, das es eine "ménage a trois" werden könnte.


Das mit dem Einbetten des Zitats hab ich nicht verstanden. Impuls ist ein Wort, das man hin und wieder gebraucht. Ich vermutlich sogar recht oft. Hier hat es doch einen ganz anderen Zusammenhang als im Zitat?
Und: Sie will doch nie eine menage a trois, warum sollte das hier als Kriterium angelegt werden?

Im Conrad-Zitat wird von Impuls gesprochen und du wiederholst diesen Ausdruck in Bezug auf Lydie. In beiden Fällen sind die Zusammenhänge für den erwähnten Impuls andere und dadurch entsteht für mich eine Ungenauigkeit und eher eine Beliebigkeit, bezogen auf das Zitat. Da passt was dann nicht, wenn sich die Impuls-Motivation zwischen Zitat (bezieht sich auf Protagonistin und Marrais) und dem zweiten Impuls (bezieht sich auf Protagonistin und Lydie) unterscheiden. Das meinte ich, als Kritiker deiner Einbettung des Zitats und der Annahme, einerseits könnte eine Dreierbeziehung entstehen, andererseits ist sie unmöglich.
Da du nun den Ausdruck "Impuls" gerne öfter verwendest, sehe ich dies in deinem Beitrag bezogen auf deine Protagonistin und dem Zitat leider als ein Dilemma an.
 

Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Constantine hat Folgendes geschrieben:
Was ich generell vermisse, ist eine Emotionalität bzw. sind Innenansichten in der Rückblende, was das Wiedertreffen mit Marrais angeht. Ist sie überwältigt, diesen bärenstarken Mann wieder zu sehen? Ist sie wütend? Was geht in ihr vor? Stattdessen spürt sie seine Hände, seinen Mund, wie ein starker, warmer Wind.

Das Bild von dem warmen Wind soll es ausdrücken, sie ist einerseits überwältigt von ihm, andererseits hat sie ambivalente Gefühle, Zorn, alles mögliche. Also darauf wollte ich nicht so ganz genau mehr eingehen, anderen war ich ja so schon zu übererklärend, also ich denke auch, dass ich in eine ganz andere Hauptlinie abdampfen würde, wenn ich deiner Idee nachginge, diesen Punktgenauer auszuführen.

Ja, ich kann deine Bedenken und auch die Meinung der anderen nachvollziehen. Ich denke, meine Aussage lässt sich dadurch erklären, dass mir, wie ich etwas weiter oben bereits erwähnt habe, die damalige Verbundenheit zwischen Marrais und seiner Muse und der Trennung aufgrund der Liebe zu Lydie etwas untergeht und ich mir dann hier an dieser Stelle etwas "innere Aufgewühltheit" erhofft habe, denn sie sieht Marais nach vielen Jahren wieder. Du erzählst aus ihrer Perspektive und sie unterdrückt ihre Antipatie Lydie gegenüber, aber Marrais gegenüber könnte sie etwas mehr "auftauen". Schließlich hat sie sich laut Conrad-Zitat aufgrund des inneren Konflikts zu Marrais begeben. Für mich bist du (bzw. deine Protagonistin) an dieser Stelle einfach zu "kalt". Auf mich als Leser überträgt sich in dieser Szene nichts. Leider. Andere Leser spüren die Szene. Insofern, alles ok, du kannst es nicht allen Lesern recht machen. Passt.

Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Constantine hat Folgendes geschrieben:
Warum sollte die sich Gedanken um Lydie machen? Lydie ist ihr unsympathisch, steht für sie im Rang unter ihr (Angestellte) und ist eigentlich ein Fremdkörper, der zwischen ihr und Marrais steht.

Wenn man einen Impuls, jmd sympathisch zu finden, unterdrückt, dann hat man ihn gehabt. Also drängen sich ihr Gedanken, Gefühle  der Rivalin gegenüber auf,  man erkennt sie an der Art, wie sie sie sieht. Beispielsweise die Stelle mit dem Tablett, irgendjemand fand das zwar ein schiefes Bild, aber egal jetzt mal, die Icherzählerin nimmt wahr, dass Lydie sich schützen will, ihren Bauch bedroht sieht. Und das macht die Figur der Icherzählerin aus meiner Sicht auch überhaupt erst interessant oder nachvollziehbar. Wenn sie nur reinschwarz wäre und nicht einen Sprenkel Mitleid oder Empathie aufkäme, die ganze Figur hätte die charakterliche Vielschichtigkeit einer Stubenfliege. Also an der Kante bleibe ich stur.
Auch bei Marrais interpretierst du die durchaus vorhandenen Impulse (da, schon wieder!) und seine Besorgnis gegenüber Lydie völlig weg. Die sind selbstbezogen, die beiden Hauptfiguren, unsympathisch, getrieben, und moralisch überhaupt nicht korrekt. Aber sie sind nicht einschichtig. Das Nachvollziehbare, von dem andere geschreiben haben, das kommt durch diese Getreibenheit zustande, aber die wirkt umso besser, aus meiner Sicht, wenn man eben auch eine andere Facette der Figur andeutet.

Ich vermute hier auch den gleichen Grund für meine Anmerkung wie bei der Szene des ersten Wiedersehens nach Jahren zwischen deiner Prota und Marrais. Vor Jahren muss Marais ein liebevoller Mann gewesen sein, sowohl zuerst für deine Prota und dann für Lydie. Dieses Liebevolle in Marias, was Lydie angeht, spüre ich nicht. Kann ich eigentlich auch nicht spüren, weil es aus der Perspektive deiner Protagonistin erzählt wird. Die Protagonistin wird dies aber beobachtet haben und in ihr müsste Groll und Neid aufgestiegen sein, entweder damals, als Marrais Lydie kennen- und liebengelernt hat, oder in einer liebevollen Geste Marrais' an Lydie während des beschriebenen Besuchs. Was die Vielschichtigkeit deiner Charaktere angeht, fehlt mir ein Kontrast von früher zu heute oder eine Andeutung dessen: Wie waren Marrais und die Prota früher (vielleicht vor Lydie oder die Zeit als Muse/Künstler zu Ex/Künstler wurden), wie sind sie beim Besuch? Aber auch hier, andere Leser fanden die Dynamik der Charaktere nachvollziehbar, somit auch hier: Passt.

Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Constantine hat Folgendes geschrieben:

für deine Protagonistin die Nebenbuhlerin, die sie ihr Stöhnen hören lässt, um ihr zu zeigen, dass Marrais mit ihr nun das Bett teilt,

Naja warum wohl? Das ist genau der Punkt: Das kann Wut oder Groll aus Menschen machen, dass sie mit Absicht jemand anderem weh tun und genau wissen, was sie da tun, weil sie selbst litten wie ein Schwein. Und es soll zeigen, dass sie fast genau so viel Bezug zur Rivalin hat wie zu Marrais.
Ein bisschen anders, aber im Prinzip ähnlich auch in der Situation danach, Marrais ist von seiner Kunst getrieben, das heißt aber nicht, dass er sich nicht um Lydie gekümmert hätte. Also ich finde du übertreibst in die Gegenrichtung.

So ganz bekomme ich deine Charakterisierung bzw. Argumentation nicht verknüpft. Wie ich bereits in diesem Falle meinte, erschließt sich mir nicht, wie sich Marais überhaupt in Lydie verlieben konnte, wenn ihm die Protagonistin als Muse und als Liebhaberin einen Golddienst erwiesen hat. Die verschmähte Liebhaberin und Muse. Ok. Aber Lydie muss irgendetwas haben, worauf deine Protagonistin neidisch ist, es nicht zu haben, denn sonst hätte sie Marrais nicht verlassen. Da fehlt mir etwas und von deiner Geschichte bekomme ich bezogen auf Lydie keinen Anhaltspunkt, was es sein könnte, wovon sich Marias vor Jahren hat angezogen gefühlt, um sich von seiner Muse zu trennen. Da muss etwas vorgefallen sein, etwas gewesen sein damals, wodurch dieser Bruch/diese Trennung eingeleitet worden ist und deine Protagonistin Groll und Wut und Neid gegenüber Lydie empfindet. Die Figur des Marrais, der einerseits sagt, er liebt Lydie und möchte Vater werden, zeigt mir in der ganzen Besuchsszene keinerlei Wärme seiner Frau gegenüber. er teilt mir der Protagonistin das Bett und eigentlich ist Lydie nicht mehr da. Lydie stöhnt und erleidet eine Fehlgeburt und wird klanglos aus deiner Geschichte entsorgt. Ich finde nicht, dass ich hier übertreibe, was Marrais angeht.


Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Constantine hat Folgendes geschrieben:

Für mich hättet du viele Möglichkeiten gehabt das innere Hin und Her in deiner Protagonistin zu beschreiben, stattdessen verlierst du dich in Plakativem. Und auch wenn mir deine Idee mit der Extraktion der Wut in Kunst gefällt, so wäre das für mich eine andere Geschichte geworden. Die Leidenschaft, die du Marrais beim Extrahieren gibst, hätte ich mir durchgängig in deiner Protagonistin gewünscht. Irgendwie habe ich das Gefühl, hättest du Marrais oder auch Lydie als Hauptcharakter genommen und aus seiner/ihrer Perspektive erzählt, wäre deine Geschichte um einiges interessanter geworden.

Dass ich da sehr plakativ bin, stimmt. Ist so ein bisschen meine Eigenart wie auch das Weitschweifige vielleicht. Irgendwann werde ich mir das sicherlich abgewöhnt haben, aber so ein bisschen Eigenart muss der Mensch ja auch haben. Also versprochen, lieber Constantine, auf das Plakative achten!!!
Ansonsten ist da sicherlich was dran, dass man das alles auch ganz anders machen kann, also aus der Perspektive von Marrais oder Lydie schreiben. Wäre eine interessante Sache, aus Marrais Sicht zu schreiben. Aber im Moment bin ich daran interessiert, die von mir gewählten Ausgangspunkte zu bedenken und dort zu verbessern, wo ich es nachvollziehen kann. Ich finde auch, dass du dir widersprichst, wie soll die Leidenschaft in der Icherzählerin sich erhöhen, wenn ich aus Lydies oder Marrais Perspektive schreibe?
Ganz abgeneigt bin ich, aus Lydies Perspektive zu schreiben, puhh, also das  weiß ich überhaupt nicht, was das geben soll. Das wäre moralisch sehr integer, aber ich fürchte, das würde eine einzige Tränensoße werden, die mir gar nicht gefiele.
Vielen lieben Dank Constantine für die Dinge, die dir gefallen haben, für deine Verbesserungsvorschläge, für das „gern gelesen“, sogar für den Punkt,den ich vielleicht von dir bekommen hätte,  darüber musste ich aber auch ein bisschen schmunzeln, weil mir das mit den Punkten im Nachhinein so herzlich wurscht ist.
Vor allem aber lieben Dank für deine genaue Durchsichtung der Textstellen, die du rauskicken würdest. Da ist Zeug dabei, was ich auf jeden Fall übernehme werde, einiges das ich ganz vorne auf der Abschussliste habe. Ich geh das eins zu eins durch und überleg das für mich. Unter anderem auch vor dem Hintergrund, dass beispielsweise Jenni von Übererklärung sprach oder hobbes von zu berichtend an einzelnen Stellen. Vielleicht frag ich dich dann auch noch mal, wenn das für dich okay ist, falls ich mit einer Überlegung nicht klar komme. Zu allererst aber muss ich mir eine Sache ganz dringlich überlegen, und das ist eben die Narbensache und das Haptische. Wäre lupus mit seiner Argumentation nicht gekommen, ich hätte es vermutlich schon geändert. Aber lupus hat mich völlig irritiert, weil er auf einmal ein paar Stellen ganz genau so liest, wie ich sie verstanden haben wollte.

Ich bin jetzt niemand, der sagt, nie plakativ schreiben. Nein. Das kann ich nicht uneingeschränkt als Formel geltend machen, sondern es kommt von Fall zu Fall darauf an, ob es stilistisch passt oder nicht. Hier ist jetzt meine Meinung, dass es nicht passt.

Ich verstehe vollkommen, dass du bei deiner Protagonistin bleiben möchtest. Was deinen Einwand betrifft, dass ich mir widerspreche, so meinte ich eher "entweder oder". Wenn du bei der Perspektive deiner Protagonistin bleibst, dann würde mir mehr Leidenschaft besser gefallen. Aus der Perspektive von Marrais oder Lydie geht das natürlich nicht, das war ein neuer Gedankengang/eine neue Idee.

Dass ich dich ein wenig zum Schmunzeln gebracht habe, freut mich, aber ich bin nun mal ein ehrliche Haut. Hast aber recht, ist wurscht.

Ich drück dir die Daumen für die Überarbeitung.

LG,
Constantine
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Rainer Zufall
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Beitrag02.12.2014 09:37

von Rainer Zufall
Antworten mit Zitat

Lieber Constantine,

boaahhh, was für eine lange Antwort, und das mitten in der Nacht.

Zitat:
die Vielfalt an unterschiedlichen Leseansätze und Meinungen macht es dir nicht gerade leicht und ich drücke dir die Daumen, dass die für dich wichtigen Dinge, die der Intention deines Beitrags helfen, rausextrahierst.

Das stimmt.

Den ersten Abschnitt überdenke ich nochmal mithilfe deiner neuen Anmerkungen. Ich muss überprüfen, ob der Text für mich dann noch stimmt. Denn an der Rahmenhandlung lag mir was, obwohl sie was vorwegnimmt. Besser kann ich es momentan nicht begründen.Aber ich schau.

Zitat:
Ich finde, deine Einbindung des Zitats ist dir nicht optimal gelungen, weil mir noch einiges dazu fehlt. Wodurch ich mir eine bessere Integration erhoffen würde, wäre eine stärkere, emotionalere Ausarbeitung der (beginnenden) Liebe zwischen Marrais und Lydie und der gleichzeitigen Trennung der Muse (natürlich aus der Sicht deiner Protagonistin).

Meine Begründung hatte dir zwar nicht eingeleuchtet, aber die Schwerpunktsetzung habe und werde ich definitiv nicht anstreben. Wäre etwas ganz anderes, und hätte mit meiner Geschichte nichts mehr zu tun.

Zitat:
Im Conrad-Zitat wird von Impuls gesprochen und du wiederholst diesen Ausdruck in Bezug auf Lydie. In beiden Fällen sind die Zusammenhänge für den erwähnten Impuls andere und dadurch entsteht für mich eine Ungenauigkeit und eher eine Beliebigkeit, bezogen auf das Zitat. Da passt was dann nicht, wenn sich die Impuls-Motivation zwischen Zitat (bezieht sich auf Protagonistin und Marrais) und dem zweiten Impuls (bezieht sich auf Protagonistin und Lydie) unterscheiden. Das meinte ich, als Kritiker deiner Einbettung des Zitats und der Annahme, einerseits könnte eine Dreierbeziehung entstehen, andererseits ist sie unmöglich.

Och nee, Constantine, da find ich dich sehr übergenau, oder in Zufallssprech: du friemelst dir grad was zusammen. smile Im Zitat steht bestimmt auch das Bindewort "und", welches in meiner Geschichte sicherlich noch häufiger vorkommt als "Impuls". Also eine Wortgleichheit als Dilemma zu bezeichnen, naja, das tilgt schon jeden Zusammenhang.

Zu Marrais Gefühlen: Der ist in der Situation, als die Icherzählerin kommt, genervt. Er will malen. Kann aber nicht. Will Vater sein, das kriegt er aber auch nicht hin. Er ist sauer auf Lydie, weil sie so in ihrer Schwangerschaft aufgeht, sonst würde er nicht so über sie sprechen: „Sie merkt das gar nicht, sie ist viel zu beschäftigt damit, trächtig zu sein.“ Er sah traurig aus bei diesen Worten.
Eine liebevolle Geste in dieser Stimmung? Passt für mich einfach nicht.

Zitat:
Wie ich bereits in diesem Falle meinte, erschließt sich mir nicht, wie sich Marais überhaupt in Lydie verlieben konnte, wenn ihm die Protagonistin als Muse und als Liebhaberin einen Golddienst erwiesen hat.

Constantine, das wäre eine andere Geschichte. Klar, man kann die schreiben, aber das hat mit dem Ausschnitt hier nichts mehr zu tun. Und warum man seine Liebesgefühle nicht auf jemand anderes richtien sollte, weiß ich auch nicht. Der Marrais sagt wortwörtlich, dass er die Icherzählerin nicht liebt, sie war wohl für ihn eine Gefährtin, er hat mit ihr geschlafen. Sie war Muse. Aber in die Lydie hat er sich dann  verliebt. Aber noch einmal, das wäre eine andere Geschichte.

Zitat:
Da muss etwas vorgefallen sein, etwas gewesen sein damals, wodurch dieser Bruch/diese Trennung eingeleitet worden ist und deine Protagonistin Groll und Wut und Neid gegenüber Lydie empfindet.
Du kennst verlassene Frauen nicht.
Also ich hab das ja gesehen, dass dir ein paar mehr Hintergründe bei Marrais (genauso wie bei der Icherzählerin) fehlen. Ich kann deine Argumantation nachvollziehen, dass es interessant und spannend wäre, diesen Mann, beide Figuren, noch mehr auszuleuchten. Für dich scheint das unabdingbar. Und vielleicht ist es das sogar, Aber im Moment jedenfalls entscheide ich mich nach wie vor für die Kürze. Das hat auch einen pragmatischen Grund. Ich muss ja keine Wettbewerbsvorgabe mehr erfüllen, könnte also in die Quantität und in die Tiefe gehen. Klar. Aber das mach ich sonst immer. Gerade das Kurze reizt mich jetzt hier auch. Und ich muss eh noch überlegen, was ich mit so ein paar anderen Kritikpunkten mache. Ob ich überhaupt noch was daraus mache. Also gegen Rückblenden, Innenschau im längeren Maß habe ich mich momentan definitiv entschieden, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich deine Überlegungen falsch finde, sondern eher was damit, dass ich mich durch die Kürze angespornt sehe, auch so kurz zu bleiben. Ich überdenke das aber trotzdem noch.
Feier schön Advent, du ehrliche Haut, du. Da musst ich wieder lachen, als ich das las. Das sollte man sich mal als Faschingskostüm überlegen. Was würd man denn da anziehen, wenn man als ehrliche Haut geht. Okay, ich hör schon auf, nur noch eins, der Adventskalneder hier, der ist echt klasse. Guck mal rein.
LG Zufall
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lilli.vostry
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Beitrag03.12.2014 02:20
aw:Pinselstiche
von lilli.vostry
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Hallo Rainer Zufall,

ich habe Deine Geschichte mit Interesse gelesen, der Titel ist reizvoll, zugleich irreführend und wie es der Maler dann auch ausführt auf der lebenden Leinwand seiner Ex- und Wiedermuse. Exzessiv, rauschhaft, die drastische Schilderung legt nahe, dass es nicht real sein kann, dennoch ist man versucht es zu glauben, für möglich zu halten.
Daher wirkt es vielleicht auch mehr wie U als E, weil Handlung und Wortwahl sehr direkt und ausführlich beschrieben werden, wenig reflektiert wird und der Leser zu viel fertig vorgesetzt bekommt - außer der Frage, ob die Pinselorgie nun real ist oder nicht.

Auch die Geschichte an sich erscheint mir recht widersprüchlich.
Der Maler hat sie abserviert wegen einer anderen, muss er dann nicht ihren Zorn fürchten; wieso lassen sich beide sofort derart intensiv wieder aufeinander ein als wäre nichts? Wieso fehlt ihm überhaupt ihre Wut? Aus den ersten Textpassagen geht nicht hervor, dass sie als seine Muse ihn damit besonders antrieb in seiner Kunst...
Oder wurde ihm das erst im - sehr soliden - Zusammenleben mit Lydie klar, mit der er eine Familie will, was aber Leidenschaft bei der Kunstausübung und im Leben ausschließt?! Und muss es das?

Die Szene mit dem toten Kind kommt mir zu abrupt und unvermittelt und der folgende Pinselstich-Malrausch wie ein Abreagieren, Schmerz zufügen, zerstören und verzweifelt etwas Verlorenes (die malerische Inspiration) wiederfinden wollen... Die Frau empfindet Schmerz, Lust und Genugtuung zugleich, hat sie doch einen Moment wieder Macht über ihn und trägt zugleich die Pinsel-Seelen-Stiche davon, die fortan sie, ihren Körper und ihr Leben und Persönlichkeit zeichnen werden.
Ein wenig irritiert dann schon ihr Satz: das Bild war wunderschön (dass er auf der Leinwand malte, nachdem er sie vorher bis ins Innerste verletzte!!) Unpassend der Ausdruck m.E.

Das Bild mit der herausströmenden Wut - blassblau - finde ich auch seltsam. So kräftig wie diese beschrieben wird und dann diese blasse Farbe? Ich hatte eher tiefrot vor Augen, aber das wäre wohl schon zu klischeehaft. Obwohl man nun mal vor Wur rot anläuft... Blassblau verbinde ich eher mit Resignation, Ohnmacht...

Mit dem Schlussteil komme ich auch nicht ganz klar. Würde ich entweder ganz weglassen oder anders formulieren, was die Angst mit ihr macht, denn die kann sie kaum mit weißen Blusen überdecken. Es wirkt zu aufgesetzt und schmälert den Gesamteindruck.

Soweit von mir.
Gute Nacht Grüße,
Lilli


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Rainer Zufall
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Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag03.12.2014 11:25

von Rainer Zufall
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Liebe lilly,

obwohl es mich wahnsinnig gefreut hat, dass du vorbeigeschaut hast (bist ja sonst eher in der Lyrik) hats mich jetzt doch auch arg vom Stuhl gehauen. Aber danken will ich dir ganz ganz arg, denn du kannst ja schließlich nichts dafür, dass ich mittlerweile völlig wirr im Kopf bin und auch schon gar nicht mehr weiß, wie ich bestimmte Stellen der Geschichte erklären oder begründen soll.
Ich bin mir mit dieser Pinselgeschichte mittlerweile so unsicher geworden, am liebsten würde ich sie löschen. Aber irgendwie finde ich das auch falsch.
Ich habe im Moment keine Idee, wie ich sie verändern soll. Die Ratschläge oder Eindrücke der Kommentatoren sind zum Teil so gegensätzlich. Nur mal dein Ratschlag, das Ende zu streichen, Constantine dagegen findet den Anfang redundant.
Also mir fehlt da meine eigene Sicherheit, mir das aus den Kommentaren rauszupicken, was meiner Zielsetzung dient. Das habe ich so dolle noch nie erlebt.
Also ich glaube, so sehr ich mir das auch wünsche, ich krieg hier grad keine fundierte Antwort zustande.
Im Moment neige ich dazu, Geschichte und alle Überlegungen einfach mal abzulegen, ein bisschen zu warten und dann eine Entscheidung zu treffen. Ich habe das schon oft erlebt bei Geschichten, dass man sie besser weiterschreiben konnte, wenn man sie mal vier Wochen nicht angerührt hat. Dann sieht man Schwachstellen, aber auch sein Ziel vielleicht viel besser. Vielleicht/Hoffentlich ist das hier auch so.
Also sieh es mir bitte nach, wenn ich auf viele deiner Eindrücke gerade wirklich keine Erklärung mehr weiß.

Zitat:
Exzessiv, rauschhaft, die drastische Schilderung legt nahe, dass es nicht real sein kann, dennoch ist man versucht es zu glauben, für möglich zu halten.

Okay, da könnte ich an der Beschreibung was ändern, haben ja auch andere angemerkt, dass sie dies für realistisch hielten. Wenn einen jemand nur bepinselt, dann kann die Verletzung nicht mehr real sein.

Zu dieser leidigen U/E-Schiene sag ich jetzt nichts mehr, das wirst du verstehen, ist für mich einfach ausgereizt. Ich weiß selbst nicht genau, ob ich noch jemals an diesem speziellen Wettbewerb teilnehmen werde. Und wenn doch, dann sicherlich nicht mit einer Geschichte wie dieser, nein, da würde ich mich dann doch eher anpassen und anders ausprobieren.
Aber das hat jetzt überhaupt nichts mit deinen Bemerkungen zu tun, sondern das hatte ich mir schon lange vorher überlegt.

Zitat:
Auch die Geschichte an sich erscheint mir recht widersprüchlich.
Der Maler hat sie abserviert wegen einer anderen, muss er dann nicht ihren Zorn fürchten; wieso lassen sich beide sofort derart intensiv wieder aufeinander ein als wäre nichts? Wieso fehlt ihm überhaupt ihre Wut? Aus den ersten Textpassagen geht nicht hervor, dass sie als seine Muse ihn damit besonders antrieb in seiner Kunst...

Vielleicht liegt das am Alter, aber ich kenne zahlreiche Beziehungen, in denen die ehemaligen Sexpartner trotzdem eine Freundschaft aufrechterhalten, weitermachen wollen, nur auf einer anderen Ebene. Das war es auch, was ich mir unter der Loyalität vorstellte, die sie antreibt, zu ihm zu gehen. Ob es Liebe oder Wut ist, das würde sie sich selbst nicht zugestehen, hat sie doch (im nächsten Ort) eigentlich mit ihm abschließen wollen. Ihre Motive, zu ihm zu gehen, sind widersprüchlich, es ist einerseits der Gedanke, als Muse wieder "tätig" sein zu können, vielleicht auf diese Weise über die Rivalin zu triumphieren, aber mit ihm eben nichts zu haben, aber unkonventionelle Beziehungen zu führen. Andererseits hat sie sich die Lieben nicht eingestanden auch nicht die Intensität der Wut. Aber genau deswegen lässt sie sich auch auf ihn ein.
Ich weiß auch nicht, wird wohl den meisten irgendwie nicht klar, wie ich das meine und es bringt ja auch nichts, es immer hinterher zu erklären.

Zitat:
Oder wurde ihm das erst im - sehr soliden - Zusammenleben mit Lydie klar, mit der er eine Familie will, was aber Leidenschaft bei der Kunstausübung und im Leben ausschließt?! Und muss es das?

Weiß ich nicht, ob es das muss, aber das ist eine ganz andere Frage, die über die Geschichte hier hinausweist. Er konnte es nicht, und das steht auch in in der Geschichte. Marrais selbst sagt es.

Zitat:
Ein wenig irritiert dann schon ihr Satz: das Bild war wunderschön (dass er auf der Leinwand malte, nachdem er sie vorher bis ins Innerste verletzte!!) Unpassend der Ausdruck m.E.

Ich verstehe, was du meinst, geschrieben hatte ich ihn, weil sie ihm in der Kunstverbindung ganz nah ist. Selbst im Schmerz sieht sie die Qualität seiner Bilder. Die Kunst, seine Bilder, das ist ja der Hauptpunkt zwischen den beiden.

Zitat:
Das Bild mit der herausströmenden Wut - blassblau - finde ich auch seltsam. So kräftig wie diese beschrieben wird und dann diese blasse Farbe? Ich hatte eher tiefrot vor Augen, aber das wäre wohl schon zu klischeehaft. Obwohl man nun mal vor Wut rot anläuft... Blassblau verbinde ich eher mit Resignation, Ohnmacht...

Das war der Grund. Bei Rot hätte jeder gesagt, was für eine vorhersehbare Farbe. Und Blau verbinde auch ich mit Resignation, daher wählte ich sie, denn die Farbe kommt ja auch erst am Schluss, wenn die Wut wirklich rausgeht, darunter dann liegt die Angst.

Zu den weißen Blusen fällt mir ehrlich gesagt jetzt nichts mehr ein. Nein, sie kann natürlich nicht ihre Ohnmacht mit einem Stoff kaschieren. Es war lediglich ein Bild dafür, dass sie den Menschen nicht mehr mit Selbstbewusstsein, Durchsetzungskraft und dem Quäntchen notwendiger Aggressivität begegnen kann. Sie geht damit um, vermeidet Konflikte, weil sie sich nicht wehren kann, denn sich zu wehren, wenn es nötig ist, es wird ihr nicht gelingen, und das ist ihre Tragik.

Also vielen Dank noch mal, liebe lilly für die Gedanken, die du hier gelassen hast.
Mach es gut.
lg Zufall
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Rainer Zufall
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Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag14.12.2014 13:58

von Rainer Zufall
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So, jetzt ist die Geschichte gut abgehangen wie ein Braten.
Ich hab den Anfang gekürzt, das erscheint jetzt vielleicht noch irritierender, weil es immer noch so haptisch ist und immer noch wie echte Narben wirkt, aber durch die Schlussszene sollte sich aufklären, dass es symbolisch zu verstehen ist.
Weshalb?
1. Leuchtete mir Constantines Argument ein, dass trotz der Wutanspielungen niemand den symbolischen Charakter der Narben verstanden hatte. Also kann ich die Dopplungen auch rausnehmen udn ihnen nicht so ein Gewicht verleihen. 2. Ich seh die Irritation jetzt mal positiv rum. Auch in anderen Geschichte wird zu Anfang eine Scheinrealität aufgebaut, die sich im Nachhinein anders auflöst. Muss man halt mitmachen wollen, aber jedenfalls lass ich den Leser jetzt nicht mehr im Stich und keiner wird jetzt mehr behaupten, die Pinselstechszene am Schluss wären echte Verletzunglen. Rückschluss also, wenn da keine Verletzungen waren, können die Narben auch nur geistig/psychisch sein.
Außerdem hab ich auch sonst noch ein bisschen gekürzt, bin dem einen oder anderen Verbesserungsvorschlag nachgegangen. An anderen Stellen bin ich stur geblieben, wenn ich auch nachvollziehen konnte, warum die Kritik kam.

Ja - jetzt bin ich ganz schön froh. Nicht mehr verwirrt und dorchenanner.
Vielen Dank noch mal an euch alle für die Kommentare und die zahlreichen Gedanken, die ihr bei der Geschichte gelassen habt.
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Rainer Zufall
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Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag14.12.2014 14:02

von Rainer Zufall
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Pinselstiche

Die weichen, fleischfarbenen Wulste schmerzen nicht, wenn ich sie mit den Fingern ertaste und ihre Kuppen von rechts nach links verschiebe. Wie verrückte Ornamente ziehen sie sich über meinen Brustkorb. Ich verberge sie unter weißen Blusen, unter bauschigen Spitzen, die an den Rändern mit Paspeln eingefasst sind. Blusen, die mir das Gefühl geben, ich könnte noch einmal von Neuem beginnen.
 
Marrais.
Ich war seine Muse, seine Gefährtin, seine Schülerin. Bis er sich entschloss, Lydie zu lieben.
Als ich las, ich solle kommen, hatte ich mir längst ein neues Leben aufgebaut. Voller Groll, doch ohne ihn. Er schrieb, es sei falsch gewesen, mich wegzuschicken, er könne nicht mehr malen, jetzt bekomme Lydie auch noch ein Kind. Er brauche mich. Bitte. Wollte ich ihm helfen? Oder ihnen schaden? Ich verteidige mich nicht. Ich hatte keine klare Vorstellung davon, was ich wirklich wollte. Vielleicht war es ein Impuls unbewusster Loyalität oder die Konsequenz eines dieser ironischen Zwänge, die in den Gegebenheiten der menschlichen Existenz lauern. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sagen. Aber ich ging hin.
Er wohnte einen Ort weiter, in Coligny. Als ich vor das Haus trat, kam mir Lydie schon entgegen. Eine große, dunkle Frau, die ich für eine Angestellte hielt, wäre da nicht der grotesk geschwollene Bauch gewesen. Sie reichte mir die Hand, weiß, schwammig, doch das Lächeln, das schief in ihrem Gesicht haftete, sah nett aus. Ich unterdrückte den Impuls, sie sympathisch zu finden, und fragte nach Marrais.
„Er ist im Atelier.“ Sie wischte eine Haarsträhne hinter das Ohr und zeigte auf eine dunkel gestrichene Tür. Ich hatte längst geöffnet, da hing ihre Hand noch immer in der Luft.  
Marrais stand vor einem Bild, er trug einen farbverschmierten Monteursanzug, in der Hand hielt er drei Pinsel, deren Haare verklebt waren. Ungeduldig wedelte er mich in den Raum.
„Lydie ist schwanger“, sagte er.
„Hätt ich gar nicht gemerkt.“
„Lass das, es steht dir nicht.“
Und schon umarmte er mich, ein erstickendes, bärenhaftes Umschließen, das nach Farben roch und nach Schweiß. Ich spürte seine Hände auf meinem Rücken, seine Lippen, die meinen Mund aufbrachen, genauso ungestüm, wie er Brötchen mit den Händen zerteilte, um das Weiche herauszurupfen. Marrais. Ein Mann wie ein warmer, starker Wind.
Ich deutete zur Tür, schnappte nach Luft und fragte: „Was ist mit ihr? Stört es sie nicht, wenn du mich küsst? So küsst?“
„Sie merkt das gar nicht, sie ist viel zu beschäftigt damit, trächtig zu sein.“ Er sah traurig aus bei diesen Worten. Dann zeigte er mir seine Bilder. Aufeinandergeschichtete Kuben in schmutzigen Tönen, darin schlierige Öffnungen, in denen sich Schatten wanden. Die Farben waren matt, über allem klebte eine mehlige Schicht.
„Schmierst du jetzt Lebensmittel auf die Leinwände?“
Er zuckte mit den Schultern und starrte aus dem Fenster.
„Wie kannst du so einen Dreck hinpfuschen“, sagte ich. „Wo ist der Glanz geblieben, der Schimmer der Haut, wenn du Menschen malst? Das hier“, ich suchte nach Worten, „sieht tot aus.“
Marrais drehte sich um. „Es ist tot“, sage er. „Ich krieg nichts mehr hin, seit du weg bist. Alles, was ich anfange, wird schal. Ich male Lehmstöcke, in denen Menschen brüten. Ich liebe Lydie, ich will Vater sein, aber ich weiß nicht, wie. Es ist gut, dass du da bist. Lass uns trinken und essen.“
Als Lydie nach uns ins Esszimmer trat, hielt sie ein Tablett vor sich, als schütze sie damit ihren Bauch. Ihr Gesicht wirkte gedunsen und fleckig. Sie brachte Rotwein und Fleisch. Wir sprachen kein Wort.

Am Morgen räumte ich das Atelier auf. „Schön sieht das aus“, sagte Lydie. „Er hat mir erzählt, dass du die Einzige bist, die genau weiß, wie er es haben will. Mich jagt er raus, wenn ich aufräumen will.“ Sie lachte unsicher.
„Das ist kein Wunder“, sagte ich, „ich war ja lange seine Assistentin. Bis er dich kennengelernt hat.“
„Und jetzt bist du wieder da.“
„Ja“, sagte ich.
In der Nacht kam Marrais zu mir. Aus dem Raum nebenan drangen leise Geräusche. Ein Stöhnen, vielleicht nur ein Schnarchen. Ich achtete nicht darauf. Ich war damals vor Kummer fast gestorben, doch das hatte keinen gekümmert. Und mit Sicherheit nicht Lydie.
Er küsste mich. Und während er mich umschlang, vernahm ich es wieder. Ein Wimmern und Stöhnen. Ich presste mich an ihn, bis ich endlich in seiner Bärengestalt versank. Irgendwann sagte er zu mir: „Ist das Lydie? Ruft sie?“
„Es ist nichts“, flüsterte ich. „Nur die Geräusche eines alten Hauses.“ Dann verschloss ich seine Ohren mit meinen Küssen. Und tief in mir war da auch die Freude daran, Lydie meine Lust hören zu lassen und wie gut es ihm tat, bei mir zu sein.
Gegen Morgen hörte ich lautes Schreien. Lydie hatte eine Fehlgeburt erlitten, das Kind war tot. Marrais rief einen Krankenwagen, der sie abholte. Oder das, was von ihr übrig war. Ich sah sie davonfahren. Ihr blasses Gesicht. Die strähnigen Haare.

Er stand im Atelier vor einer Leinwand, die über und über mit Farbe bedeckt war. Sie tropfte herunter, sammelte sich in den Ritzen des Holzbodens. Staubgrün auf Rost, keine gute Farbwahl. Er sah hoch, als ich eintrat. Seine Augen sahen stumpf aus wie die Farben seiner Bilder.
„Jetzt habe ich nichts mehr“, seine Stimme erstarb.
„Du hast deine Kunst“, sagte ich. „Und mich.“
„Meine Kunst“, sagte er, „nennst du das Geschmiere Kunst? Und was soll ich mit dir? Da ist nichts, das weißt du. Ich dachte, wenn ich dich noch einmal liebe, wenn ich deine Kraft spüre, dann wüsste ich wieder, wie ich malen muss. Aber es geht nicht. Jetzt ist alles weg.“   
„Na und“, sagte ich, „keine dreckigen Kuben mehr. Und Kinder kriegt man auch von anderen Frauen.“
Er sah mich an, als entdeckte er ein hässliches Insekt, dann wandte er sich ab.
„Die Sorge für Lydie fällt dir ja früh ein. Meine Kraft spüren“, ich schnaubte, „bin ich deine Motivationsfotze?“ Mit Wucht trat ich gegen eines der Bilder.
„Ich habe dir nichts vorgemacht.“
„Hast du nur darum mit mir geschlafen?“
„Ich weiß es doch nicht. Vielleicht Erinnerung. Es tut mir leid. Mit dir konnte ich malen, aber sie liebe ich.“
„Du kannst nicht mehr malen. Mit ihr nicht und ohne sie auch nicht.“ Ich lachte, bis es mich schüttelte. „Du hast dich verloren an eine schwangere Frau. Du bist fade und dick wie ein Sack Mehl. Und genauso sehen deine Bilder aus.“ Wieder trat ich zu, zerbrach noch eine Leinwand und noch eine, warf Farbtuben durch den Raum, quetschte andere in meinen Fäusten, rot, blau, gelb, verschmierte sie auf den Leinwänden, den Möbeln, seiner Brust.
Er bewegte sich nicht, ließ alles über sich ergehen, bis er mich an der Schulter packte. Etwas Neues war in sein Gesicht getreten. „Das ist es“, sagte er, „das hat mir gefehlt.“
„Meine Wut?“, schrie ich. „Die kannst du haben. Ich schenke sie dir.“
Marrais griff nach meiner Hüfte, zwang mich vor ihn und riss meine Bluse auseinander. Dann packte er einen Pinsel, hob ihn hoch, die Borsten auf meine Brust gerichtet wie ein Messer. Ich erstarrte. Dann fuhr er über meine Haut. Kreise, Linien, ein wildes Geschling von Formen. Ich hielt still, ein Gefühl der Erleichterung durchzog mich, ein sanfter, stechender Schmerz überall dort, wo mich die Haare des Pinsels berührten. Sie drangen ein, als wären sie aus Stahl, schnitten Rinnsale, die immer dunkler wurden. Marrais murmelte, dann küsste er mich und malte weiter mit immer heftiger werdenden Strichen, hackte ein auf meine Brust, brach sie auf, tiefer und tiefer, nur mit den Haaren des Pinsels, bis Wut aus mir herausströmte und schließlich blassblauer Rauch. Befreiend war das, schmerzhaft und gut, und ich hielt still, bis ich merkte, dass ganz weit unten etwas Anderes war. Marrais betrachtete mich, dann den Pinsel, der in seiner Hand vibrierte, dann trat er zur Leinwand und malte. Er malte wie in einem Rausch, seine Farbe war mein Zorn, sein Pinsel meine Schuld, er verwandelte sie in leuchtende Karmesinfelder und blaugischtende Formen.  

Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Oder aus Lydie.
Seitdem suche ich. Nach meiner Wut und meinem Groll. Erst war es gut. Ich konnte nicht mehr böse sein. Mit nichts und niemandem. Noch nicht einmal mit mir. Doch als ich auf andere Menschen traf, und ihre Worte mich verletzten oder ihr Blick, da war ich hilflos, ein Wurm, dessen Haut spürte, was die anderen ihm taten. Da hätte ich meine Wut gebraucht. Um mich zu wehren. Doch mir blieb nur das Andere, das unter der Wut, und das war Angst.
Seitdem taumele ich durch die Welt, hilflos, verwundbar, kleide mich unschuldig und jung. Und verziehe mein Gesicht zu einem sanften Lächeln, damit sich keiner an mir stört.
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Jack Burns
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Beitrag14.12.2014 21:15

von Jack Burns
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Hallo Rainer Z.

Abseits des Wettbewerbs traue ich mich an Deinen Text. Das Gezerre um E und U, sowie die Vorgaben machten es mir schwer dort die Werke zu bewerten.
Nun denn;
Die Geschichte gefällt mir sehr gut. Keine der Figuren ist mir sympathisch und das ist gut so. Da ist nichts Gefälliges oder Schöngefärbtes. Die Sprache, die Charakterisierungen überzeugen mich größtenteils.
Es ist zynisch, ein bisschen traurig, kalt, egoistisch ... und irgendwo dazwischen steckt die Romantik des Masochismus.
Das, in den Text geknüppelte, Zitat, hättest Du hier auch weglassen können - stört durch seine Fremdheit.
ich finde nur klitzekleine Elemente, zum Meckern:
Zitat:
die ich für eine Angestellte hielt
ich glaube der Konjunktiv, gehalten hätte, passt besser.
 
Zitat:
seine Lippen, die meinen Mund aufbrachen, genauso ungestüm, wie er Brötchen mit den Händen zerteilte, um das Weiche herauszurupfen. Marrais. Ein Mann wie ein warmer, starker Wind.

gefällt mir sehr gut. Es sagt sehr viel mit verhältnismäßig wenig Worten
Zitat:
Er sah traurig aus bei diesen Worten
.
passt nicht so gut zum sonstigen Erzählton
Zitat:
ich schnaubte, „bin ich deine Motivationsfotze?“ Mit Wucht trat ich gegen eines der Bilder.
  Hier stört mich  "ich schnaubte". Die wörtliche Rede und die anschließende Aktion vermitteln die Wut deutlich genug. Durch das Schnauben wirkt es auf mich Comic-artig übersteigert.

Auf jeden Fall ein Stück, dass auch veröffentlicht werden könnte (sollte).

Grüße
Martin
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag15.12.2014 15:56

von Constantine
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Liebe Rainer,

für mich stellt der verkürzte erste Absatz eine Verbesserung dar.

Zwei kurze Anmerkungen:

Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:

Marrais.
Ich war seine Muse, seine Gefährtin, seine Schülerin. Bis er sich entschloss, Lydie zu lieben.
Als ich las, ich solle kommen, hatte ich mir längst ein neues Leben aufgebaut. Voller Groll, doch ohne ihn. Er schrieb, es sei falsch gewesen, mich wegzuschicken, er könne nicht mehr malen, jetzt bekomme Lydie auch noch ein Kind. Er brauche mich. Bitte. Wollte ich ihm helfen? Oder ihnen schaden? Ich verteidige mich nicht. Ich hatte keine klare Vorstellung davon, was ich wirklich wollte. Vielleicht war es ein Impuls unbewusster Loyalität oder die Konsequenz eines dieser ironischen Zwänge, die in den Gegebenheiten der menschlichen Existenz lauern. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sagen. Aber ich ging hin.
Er wohnte einen Ort weiter, in Coligny. Als ich vor das Haus trat, kam mir Lydie schon entgegen. Eine große, dunkle Frau, die ich für eine Angestellte hielt, wäre da nicht der grotesk geschwollene Bauch gewesen. Sie reichte mir die Hand, weiß, schwammig, doch das Lächeln, das schief in ihrem Gesicht haftete, sah nett aus. Ich unterdrückte den Impuls, sie sympathisch zu finden, und fragte nach Marrais.
„Er ist im Atelier.“ Sie wischte eine Haarsträhne hinter das Ohr und zeigte auf eine dunkel gestrichene Tür. Ich hatte längst geöffnet, da hing ihre Hand noch immer in der Luft.  
Marrais stand vor einem Bild, er trug einen farbverschmierten Monteursanzug, in der Hand hielt er drei Pinsel, deren Haare verklebt waren. Ungeduldig wedelte er mich in den Raum.
„Lydie ist schwanger“, sagte er. <-- ich mag diesen ersten Satz von Marrais nicht. Der Leser hat bereits 2x von dir erfahren, dass Lydie schwanger ist, und hier erneut. Für mich ohne Zusammenhang zur Szene. Marrais steht vor einem Bild, malt, sieht seine ehemalige Muse und sagt als allererstes, dass seine Frau schwanger ist? Nö, liebe Rainer. Würde ich überdenken.
„Hätt ich gar nicht gemerkt.“
„Lass das, es steht dir nicht.“
Und schon umarmte er mich, ein erstickendes, bärenhaftes Umschließen, das nach Farben roch und nach Schweiß. Ich spürte seine Hände auf meinem Rücken, seine Lippen, die meinen Mund aufbrachen, genauso ungestüm, wie er Brötchen mit den Händen zerteilte, um das Weiche herauszurupfen. Marrais. Ein Mann wie ein warmer, starker Wind.
Ich deutete zur Tür, schnappte nach Luft und fragte: „Was ist mit ihr? Stört es sie nicht, wenn du mich küsst? So küsst?“
„Sie merkt das gar nicht, sie ist viel zu beschäftigt damit, trächtig zu sein.“ Er sah traurig aus bei diesen Worten. Dann zeigte er mir seine Bilder. Aufeinandergeschichtete Kuben in schmutzigen Tönen, darin schlierige Öffnungen, in denen sich Schatten wanden. Die Farben waren matt, über allem klebte eine mehlige Schicht.
„Schmierst du jetzt Lebensmittel auf die Leinwände?“
Er zuckte mit den Schultern und starrte aus dem Fenster.
„Wie kannst du so einen Dreck hinpfuschen“, sagte ich. „Wo ist der Glanz geblieben, der Schimmer der Haut, wenn du Menschen malst? Das hier“, ich suchte nach Worten, „sieht tot aus.“
Marrais drehte sich um. „Es ist tot“, sage er. „Ich krieg nichts mehr hin, seit du weg bist. Alles, was ich anfange, wird schal. Ich male Lehmstöcke, in denen Menschen brüten. Ich liebe Lydie, ich will Vater sein, aber ich weiß nicht, wie. Es ist gut, dass du da bist. Lass uns trinken und essen.“
Als Lydie nach uns ins Esszimmer trat, hielt sie ein Tablett vor sich, als schütze sie damit ihren Bauch. Ihr Gesicht wirkte gedunsen und fleckig. Sie brachte Rotwein und Fleisch. Wir sprachen kein Wort.

[...]

Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Oder aus Lydie.
Seitdem suche ich. Nach meiner Wut und meinem Groll. Erst war es gut. Ich konnte nicht mehr böse sein. Mit nichts und niemandem. Noch nicht einmal mit mir. Doch als ich auf andere Menschen traf, und ihre Worte mich verletzten oder ihre Blicke <-- hier fände ich Plural passender. , da war ich hilflos, ein Wurm, dessen Haut spürte, was die anderen ihm taten. Da hätte ich meine Wut gebraucht. Um mich zu wehren. Doch mir blieb nur das Andere, das unter der Wut, und das war Angst.
Seitdem taumele ich durch die Welt, hilflos, verwundbar, kleide mich unschuldig und jung. Und verziehe mein Gesicht zu einem sanften Lächeln, damit sich keiner an mir stört.


LG,
Constantine
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Rainer Zufall
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 70
Beiträge: 801

Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag16.12.2014 06:41

von Rainer Zufall
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Hallo Jack Burns,

dein Lob, oh Mensch, Mann, das ging runter wie Nussbutter.
Zitat:
Es ist zynisch, ein bisschen traurig, kalt, egoistisch ... und irgendwo dazwischen steckt die Romantik des Masochismus.

So hab ich das bisher noch gar nicht gesehen. Aber es stimmt.

Zitat:
Abseits des Wettbewerbs traue ich mich an Deinen Text. Das Gezerre um E und U, sowie die Vorgaben machten es mir schwer dort die Werke zu bewerten.

Kann ich gut verstehen.

Zitat:
Die Geschichte gefällt mir sehr gut. Keine der Figuren ist mir sympathisch und das ist gut so. Da ist nichts Gefälliges oder Schöngefärbtes.

Och, arme Lydie.
Aber ernsthaft jetzt, das fand ich hier grad die Herausforderung, unsympathische Prots zu zeigen, die aber nachvollziehbar sind.

Zitat:
Das, in den Text geknüppelte, Zitat, hättest Du hier auch weglassen können - stört durch seine Fremdheit.

Ja, hast Recht. In der Originalfassung mach ichs weg bzw ändere es total ab. Ist ja jetzt hier nicht mehr nötig.

Zitat:
Zitat:
die ich für eine Angestellte hielt
ich glaube der Konjunktiv, gehalten hätte, passt besser.

gekauft. Hatte schon mal jemand angemerkt.

Zitat:
Zitat:
Er sah traurig aus bei diesen Worten
.
passt nicht so gut zum sonstigen Erzählton

Nee, bin zwar verblüfft, dass du das schreibst, aber nee, das bleibt.

Zitat:
Zitat:
ich schnaubte, „bin ich deine Motivationsfotze?“ Mit Wucht trat ich gegen eines der Bilder.
  Hier stört mich  "ich schnaubte". Die wörtliche Rede und die anschließende Aktion vermitteln die Wut deutlich genug. Durch das Schnauben wirkt es auf mich Comic-artig übersteigert.

Oh ja, du hast sowas von Recht. Das schnauben kommt in die Wörtertonne.

Danke Martin, ich hab mich so gefreut, zwischendrin mochte ich die Geschichte schon gar nicht mehr, weil ich nicht wusste, wohin damit. Jetzt ist sie wieder eingetütet.
Viele Grüße Zufall.


Lieber Constantine,

Zitat:
für mich stellt der verkürzte erste Absatz eine Verbesserung dar.

sauber, am Ende hattest du mich dann doch überzeugt. smile

Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
- ich mag diesen ersten Satz von Marrais nicht. Der Leser hat bereits 2x von dir erfahren, dass Lydie schwanger ist, und hier erneut. Für mich ohne Zusammenhang zur Szene. Marrais steht vor einem Bild, malt, sieht seine ehemalige Muse und sagt als allererstes, dass seine Frau schwanger ist? Nö, liebe Rainer. Würde ich überdenken.

Das stimmt, ich betone das sehr. Mit Absicht. Lydies Schwangerschaft ist ja ua. seine Krise. Er macht auf Familie aber er kommt null damit zurecht. So wie Icherzählerin und Marrais die Schwangere beschreiben oder auf den Sachverhalt eingehen, sagt das ja was über sie aus. Für mich ist das Teil der Charaktersierung. Von daher bleibt es. Aber ich behalte es trotzdem im Hinterkopf.

Lieber Constantine, danke, dass du dich noch mal gemeldet hast. Das war wichtig für mich als Rückmeldung, dass man nicht am Ende was schlimmer oder unverständlicher macht. Und danke auch für die viele viele Arbeit, die du dir mit meinem Text gemacht hast. Du hast was gut bei mir.
Lass es dir gut gehen.
Deine songs sind übrigens toll, hab mal reingehört.
Viele Grüße von Zufall
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag16.12.2014 13:41

von Constantine
Antworten mit Zitat

Danke für deine lieben Worte und dein Lob. Wenn von mir etwas Hilfreiches dabei war, so freut es mich ungemein.
Dir auch alles Gute und wir lesen einander.

LG,
Constantine
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