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jim-knopf Dichter und Trinker
Alter: 35 Beiträge: 3974 Wohnort: München
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01.11.2009 15:49 VII. b) Was ist eine gute Metapher? von jim-knopf
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Was ist eine gute Metapher?
Nach dem Kapitel „Was ist ein guter Reim“ folgt nun das nächste Forumslyrikergemeinschaftsprojekt. Ich habe wieder einmal alle möglichen Stimmen eingeholt und diesmal ging es – wie oben natürlich schon zu lesen – um die Frage: Was ist eine gute Metapher? Andere haben für mich hier also schon die Arbeit gemacht, ich habe nur gesammelt, geordnet und hier und da ein wenig ergänzt. Gedichtbeispiele hab ich auch noch rausgesucht. Mein besonderer Dank gilt hier Alogius, der eine fast komplette Gliederung für dieses Kapitel abgeliefert und sich unheimlich viel Arbeit gemacht hat. Genau wie im Übrigen auch Caecilia. Besten Dank freilich auch an die anderen Helfer: Femme-fatale223, Scheinheilige, Eredor, Enfant Terrible, EdgarAllanPoe und Mr.Pink.
Und was ist nun eine gute Metapher?:
Erstmal allgemein: Wie schon beim Reim ist das ganze natürlich sehr subjektiv und jeder Leser hat eine andere Vorstellung von einer guten Metapher. Die unten aufgestellten Merkmale sind also keine festen Regeln, sondern lediglich Richtlinien, an die man sich – möchte man es nicht – auch gar nicht zu halten braucht. Nur damit kein falscher Eindruck entsteht. Hier wird kein Patentrezept für eine funktionierende Metapher geliefert (das ist leider unmöglich). Dennoch sehr lesenswert, wie ich finde.
Zitat: | Ich denke, etwas Allgemeingültiges zur Güte der Metaphern in der Lyrik zu verfassen, das ist kaum möglich. Zeichnet eben Grenzenlosigkeit für mich die Güte von Lyrik aus. Und wie sollte ich wissen, was für wen grenzenlos ist, wo wessen Grenzen aufhören. Schließlich verdichten Metaphern das Unsagbare, das Schwebende. Jede Metapher, die dem zuarbeitet, ist also meiner Meinung nach eine gute. |
Im Folgenden dennoch ein paar Richtlinien, wie eine gute Metapher sein könnte:
Unverbraucht:
Lassen wir Zitate sprechen:
Zitat: | Nichts halte ich im Gebrauch von Metaphern für fataler, als ein oft benutztes Bild mal wieder zu lesen. Unverbraucht meint also, dass die Metapher etwas Neues bieten sollte oder einen bekannten Kontext ad absurdum führen muss, um neu zu wirken. Natürlich gibt es klassische Metaphern, die gerade in Gedichten immer mal wieder auftauchen. Werden diese geschickt dosiert, spricht da auch gar nichts gegen. Schade ist es einfach, wenn Metaphern wenig originell sind. |
Zitat: | Eine gute Metapher zeichnen für mich aus: Originalität, Tiefe und Bildhaftigkeit. Das bedeutet: Zuerst wirkt jene Metapher am stärksten, die nicht ausgelutscht ist, die durch ihre Unkonventionalität die Phantasie anregt - nur ein solches Bild kann zum Nachdenken bringen. Natürlich muss sie auch eine gewisse Tiefe haben, die beim Nachdenken ausgelotet werden kann; es muss eine Resonanz in Form von Gefühl oder eine neue Erkenntnis beim Betrachten der Metapher kommen - ich möchte nicht etwas klischeehaft mit dem Sinn auf dem Silbertablett serviert werden. |
Zitat: | Wie ich schon sagte, Metaphern dürfen nicht zu abgedroschen sein. Das senkt die Freude, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie müssen möglichst unverbraucht sein, um ihre Kraft entfalten zu können. Erst dann kann man sich mit ihnen auseinanderzusetzen, vor allem ohne den schlechten Einfluss, den eine bestimmte Metapher, die in vielen anderen Gedichten gebraucht wurde, mit sich bringt. Wenn die Metapher nämlich unverbraucht ist, kann man die Assoziationen, die man aus anderen Gedichten noch in Erinnerung hat, nicht miteinander vermengen. |
Um uns das ganze vorstellen zu können und von der Theorie ein klein wenig wegzugehen, hier mal zwei Gedichtbeispiele mit sehr gelungen Metapher (finde ich zumindest). Unverbraucht, ungewöhnlich und sehr tief ist diese Tretmienen-Metapher von Albert Ostermaier:
Der lauf der dinge
wieder so ein tag wo nichts läuft
ausser in die luft zu gehen
mit zwei tretmienen unter den sohlen &
der fortgeschrittenen hoffnung
auf den nächsten gedanken
sprung der dich aus der haut
fahren lässt wenn du deine
beine wieder auf dem boden
hast & auf die stelle trittst die
dir endlich die entfaltung gibt von
der du immer geträumt hast
an tagen wie diesen wo nichts läuft
geht immer was & seis ein teil
von dir
(Quelle: Albert Ostermaier. Fremdkörper hautnah. Gedichte. Suhrkamp Verlag. Frankfurt a. M. 1997)
Das zweite Gedicht ist von Rolf-Dieter Brinkmann. Bekanntlich einer der meistkritisierten, aber auch bedeutendsten deutschen Lyriker des 20. Jahrhunderts.
Chiquita-Banana-High
Die endlose Variation von Blumen
wenn es Blumen sind, aber es sind
keine Blumen. Es ist Papier. Es ist
Geschrei. Es ist ein kleiner Augen-
blick, in dem sich nichts bewegt.
Wir sehen, wie die Läden um halb
sieben jeden Tag von neuem schließen
und es wird ganz still. Der Schnee
fällt auf uns und bedeckt uns ganz.
Jetzt sind wir beide völlig naß
(Quelle: Rolf-Dieter Brinkmann. Standphotos. Gedichte 1962-1970. Rowohlt Verlag GmbH. Reinbek b. H. 1980)
Schauen wir uns den letzten Teil an und stellen wir uns vor, wie der Satz „Der Schnee fällt auf uns und bedeckt uns ganz“ in einem weniger modernen, romantisierenden Naturgedicht auf uns wirken würde. Zwar muss der Satz nicht unbedingt als Metapher gesehen werden, der Einfachheit halber aber wollen wir das nun annehmen. Wie würde der Satz auf uns wirken? Ziemlich klischeehaft wahrscheinlich, abgelutscht, als „schlechte Metaphorik“ würden wir es eventuell bezeichnen. Hier in diesem Gedicht ist das anders. Allein schon der darauf folgende, letzte Satz scheint die ganze Metaphorik ins lächerliche zu ziehen und ihm dadurch aber das klischeehafte zu nehmen. Wir sehen also, dass eine Metapher immer von ihrem Umfeld (also vom restlichen Text) abhängig ist. Dem Autor ist dies hier sicher bewusst gewesen, nicht umsonst hat er diese Metapher in ein so modernes Umfeld gepackt.
Sinnvoll:
Eine Metapher muss an genau der Stelle, an der sie steht, sinnvoll sein:
Zitat: | Damit meine ich, dass die Metapher in einem Kontext zum Text stehen muss. Wo sie überflüssig ist (d.h. lediglich Raum füllt oder Tiefe suggerieren soll), gehört sie nicht hin. Manches muss nicht in Bildern gesagt werden, anderes schon. Dort, wo eine Metapher eine Aussage vertiefen, komprimieren, andeuten oder verschlüsseln soll, ist sie bestens aufgehoben - das meint "sinnvoll". Es bezieht sich auf Platzierung, aber ebenso auf quantitative Dosierung. Zu viele Metaphern können einen Text auch überladen, weil sie nichts Besonderes mehr sind. |
Zitat: | Eine Metapher, die den Sinngehalt eines Gedichtes verschleiert und dem Leser unnötigen Ballast aufdrückt, ist schlecht. |
Hier ist es schwer, passende Beispiele zu bringen. Es müssen Negativbeispiele sein um das Gesagte zu verdeutlichen. Allerdings können gerade hier die Meinungen sehr weit auseinander gehen. Ist eine Metapher an einer bestimmten Stelle überflüssig? Ist sie es nicht? Eine eindeutige Antwort darauf kann es wohl nicht geben.
Gut strukturiert:
Zitat: | Das meint, die Metapher sollte mit den anderen Metaphern des Textes harmonieren und nicht etwa einen Bruch verursachen - es sei denn, dieser ist inhaltlich und formal gewünscht (dann muss es aber passen) oder eine Kollision grundverschiedener Bilder ist notwendig, um eine oder mehrere, vielleicht gar widersprüchliche Aussagen zu unterstreichen. |
Zitat: | In einem romantisch angehauchten Gedicht kann nicht plötzlich von der Edelstahlspüle gesprochen werden, wenn vorher die Naturbilder bedient wurden. |
Eine gut durchstrukturierte Metapher kann sich auch vom Anfang bis zum Ende des Gedichtes durchziehen, ohne den Faden zu verlieren oder an der einen oder anderen Stelle störend wirken. Derartige Metaphern sind auch einwandfrei durchstrukturiert. Ein Beispieltext dazu von Rilke:
Zitat: | Beispiel: Rainer Maria Rilkes "Herbst". Also hier eine Metapher des Sterbens, des Lebensendes, die Rilke konsequent bis zum Gedichtschluss durchzieht. Das nenne ich eine gute Metapher. |
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
(Quelle: Rainer Maria Rilke. Die Gedichte. Insel Verlag. Frankfurt am Main und Leipzig. 2006)
Gewichtend:
Zitat: | Die Metapher soll Gewicht tragend sein. Tragend, weil sie die Last der Aussage transportieren muss, sie muss also intensiv sein, geradezu spürbar, nicht nur mit dem Intellekt. Unersetzbar muss sie erscheinen und auch sein, weil sie nicht nach Regeln erkannt wird, sondern nach kontextueller Bedeutung. |
Hier könnten wir wieder unser allererstes Beispiel von Albert Ostermaier heranziehen. Auch hier würde der Text mustergültig passen.
Stimmig:
Zitat: | Die Metapher muss in sich stimmen. Ein falsches Bild (durch einen falschen Sinnzusammenhang, unpassende Kombinationen) kann eine Metapher ruinieren. Sie ist dann "schräg". Natürlich kann dieser Effekt erwünscht sein. Das muss erkennbar sein, dem Inhalt und der Aussage folgend. |
Zitat: | Eine gute Metapher ist für mich eine solche, die nachvollziehbar bleibt. Das heißt, sie darf nicht zu abgehoben klingen. |
Vielleicht das wichtigste Kriterium einer guten Metapher. Sie muss stimmig sein und dem Leser im Idealfall ein Kopfnicken beibringen.
Zitat: | Eine gute Metapher verursacht ein Nicken des Kopfes, eine schlechte ein Schütteln. |
Ein Beispieltext von Hilde Domin:
Frage
Nach dem kleinen Zusammenstoß
– ein Druck der Lippe genügt –
wenn ich eine Wolke werde
oder ein Schiff ohne Anker
auf deinem Meer
oder, ganz einfach,
eine andere Form
für dich,
was wird aus dir?
Und wie vermeidest du´s,
am nächsten Morgen
ein wenig befangen zu sein?
(Quelle: Hilde Domin. Sämtliche Gedichte. S Fischer Verlag. Frankfurt a.M. 2009)
Offenbar geht es hier um zwei Menschen, die eine Nacht miteinander verbracht haben. Ist nun zumindest meine Interpretation, man möge mir widersprechen. Das LI beschreibt sich nun während dieser Nacht selbst als Wolke und Schiff ohne Anker. Ist dies eine passende Metapher für Geschlechtsverkehr? Ich denke ja. Sofern man im Geschlechtsverkehr nicht das sieht, was heute durch die Massenmedien vielfach propagiert wird. Eine sehr passende und stimmige Metapher also.
Schlicht:
Zitat: | Außerdem finde ich, je schlichter die Metapher, umso besser ist sie manchmal. Zu viel Schnörkel und I-Tüpfelchen nehmen ihr nur den Raum, um zu wirken und zu berühren. Manchmal verschlimmert zu viel Gekünstel um eine Metapher das Ganze sogar noch, weil dann beim Text die Gefahr besteht, dass er in eine ungewollt komische Richtung abdriftet. |
Ein Beispiel von Reiner Kunze:
Namensänderung
Ich bin ein igel
Meine stacheln aber sind blumen ein
kindergeburtstagsstrauch
Schmetterlinge sitzen
auf und ab
Vergiß, mein sohn. Ich bin
dein vater nicht, bin nur
ein igel der
blüht
(Quelle: Reiner Kunze. Gedichte. S. Fischer Verlag. Frankfurt a. M. 2007)
Unheimlich einfach und trotzdem auf seine eigene Art sehr berührend.
Zum Schluss noch etwas Allgemeines zu Metaphern:
Zitat: | Ich glaube viele Dichter beziehen sich mit ihren Metaphern auf schon Dagewesenes. Stelle ich immer wieder fest, wenn ich Sekundärliteratur lese. Manchmal bin ich auch überrascht, wenn ich die gleichen Metaphern in früheren Werken finde, klarer eingesetzt, und dann spätere, die ich nicht verstand, durchsichtiger werden. Dabei kann sich aber das Bild trotzdem unterscheiden oder neu ausgelegt sein. |
Man betrachte nur diesen Text von Günther Eich:
Latrine
Über stinkendem Graben,
Papier voll Blut und Urin,
umschwirrt von funkelnden Fliegen,
hocke ich in den Knien,
den Blick auf bewaldete Ufer,
Gärten, gestrandetes Boot.
In den Schlamm der Verwesung
klatscht der versteinte Kot.
Irr mir im Ohre schallen
Verse von Hölderlin.
In schneeiger Reinheit spiegeln
Wolken sich im Urin.
Geh aber nun und grüße
die schöne Garonne
Unter den schwankenden Füßen
schwimmen die Wolken davon.
(Quelle: http://doehl.netzliteratur.net/mirror/poetscorner/eich1.htm)
Der fett hervorgehobene Teil in der letzten Strophe stellt ein Gedichtzitat von Hölderlin dar. Eich schrieb Gedichte kurz nach dem zweiten Weltkrieg und kritisiert Hölderlin hier ziemlich offensichtlich. Dieser nämlich schrieb im 18. Jahrhundert heroische Kriegsgedichte.
Zitat: | Es gibt auch festgelegte Metaphern. Die Lilie zum Beispiel. Oder die Lemuren. Für mich ist das eine Metapher, bei der ich froh bin, dass es Lexika gibt. |
Genau! Es gibt ein sehr praktisches Lexikon, welches all diese festgelegten Metaphern gesammelt hat und ihre Bedeutung erklärt. Vielleicht keine Pflichtlektüre, aber durchaus sehr interessant. Und zudem ein guter Abschluss für dieses Kapitel.
http://www.amazon.de/Metzler-Lexikon-literarischer-Symbole-G%C3%BCnter/dp/3476021319/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1257080376&sr=1-1
(Bin gespannt, ob sich tatsächlich jemand bis zum Ende durchgeschlagen hat)
_________________ Ich habe heute leider keine Signatur für dich. |
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