Spaziergang am Abend (Trochäischer Vierheber)

[manehans]

Neulich erst, am frühen Abend,
Dämmerlicht lag auf den Feldern,
drängte es mich aus der Stube.
Ohne Pause schon seit Stunden
eifrig über Versen brütend,
zog es mich hinaus ins Freie.
Frische Luft war jetzt vonnöten!
Denn es wollte kaum gelingen,
was seit Tagen in mir kramte.
Eine Hebung oder Senkung,
schwache Silben oder starke?
Alles war ein Durcheinander.  
Köstlich legte sich erfrischend,
Abendluft auf meine Wangen,
lockte mich ins nahe Wäldchen,
das ich gern und oft besuchte.
Starke Wurzeln hoher Buchen
ruhten müde auf der Lichtung.
Hier verharrte ich ein Weilchen,
weil die Ruhe mich berührte.
Sah auf kahle Erlenzweige,
die dem Winter tapfer trotzten,  
doch - mit ihren prallen Knospen
schon den nahen Frühling spürten.
Lange stand ich still und lauschte.
Rechts von mir, am Rand der Ulmen,
im Geäst der Vogelkirsche ,
regte sich ein schwacher Schatten.
Da! - Mit lauten Flügelschlägen
fuhr mit ängstlich-schrillen Rufen  
ein Fasan - ich stand erschrocken -
in die Luft und fand das Weite.
Langsam schritt ich wieder vorwärts,
hörte den Fasan noch meckern,
als ein Neues mich bewegte.
Unter einer hohen Tanne,
die ich selbst vor Jahren pflanzte,
hoppelte ein kleiner Hase.
Erst nach vorn und dann zur Seite.
"Felix", hörte ich mich rufen,
"welche Unrast, welche Eile?"
(Nun, der Leser sollte wissen,
dass wir beiden uns gut kennen.
Ohne Posse  -  dieser Hase
hat mich in sein Herz geschlossen.)
Als der Kleine mich erblickte,
machten seine großen Ohren
einen kurzen Schlag nach hinten.
Diese feine Geste zeigte,
dass er mich sofort erkannte.
Achtsam blieb er reglos sitzen.
Seine riesengroßen Augen
stellten wortlos eine Frage:
Was zu dieser späten Stunde,
ich im Wald zu suchen habe.
Nun, erst war ich ziemlich ratlos,
da ich keine Antwort hatte.
Dann erzählte ich ihm zögernd
von den Sorgen in der Stube,
wie ich tagelang mich plagte,
Verse richtig zu gestalten,
wie ich mit den falschen Hebern
und mit zweifelhaften Senken
keine Lösung finden konnte.
Felix nahm den Kopf zur Seite:
"Aufgemerkt, du Hausbewohner",
hörte ich ihn leise grummeln,
"bei den Hebern und den Senken
könnte ich dir wahrlich helfen.
Achte nur auf meine Sprünge!"
Ohne noch groß rumzufaxen,
was ich gar nicht von ihm kannte,
spannte Felix seinen Rücken,
zog den Hinterleib nach unten,
bog das Schwänzchen, seine Blume,
sacht nach oben in die Höhe.
Dann begann er sich zu trollen.
Anfangs langsam und dann schneller,
und im steten Hasenrhythmus
ging es fort und immer weiter,
bis dann - hinter dichtem Buschwerk-
Dunkelheit ihn bald verschluckte.
Ich stand fassungslos und staunte.
War es wahr, was ich erkannte?
Dieser Hase wies die Lösung,
die ich schon so lange suchte?
Mit den Hinterbeinen hohe
und im Abgang flache Sprünge?
Erst das Hohe, dann das Tiefe,
erst das Große, dann das Kleine?
Ja, das war des Rätsels Lösung!
Fröstelnd suchte ich den Heimweg
in der kühlen Abendstunde.
Freute mich schon auf die Stube,
freute mich aufs Fabulieren.

[Arminius]

Ist ja fast schon eine halbe Ballade. Sehr schön! Gern gelesen. Ich glaube, ich sollte jetzt auch mal an die frische Luft...

[manehans]

Es freut mich Arminius, dass dir meine Erzählverse gefallen.
Gruß manehans

[Skarabäus]

Hallo manehans!

Und da sage noch jemand dass Hasenpfoten Glück bringen sei Aberglaube.  
Wunderbar wie leicht dir nach der erhellenden Lektion von Meister Lampe die trochäischen Vierheber fallen. Hat der Gute in seinem Terminkalender vielleicht noch Zeit für mich?  

Aber im Ernst: Mit Vergnügen habe ich Dich auf deinem Spaziergang begleitet. Besonders gefallen haben mir die Leichtigkeit mit der die Erzählung vorangeht und das Augenzwinkern, das an vielen Stellen hinter den Worten hervorlugte.

Viele Grüße
Skarabäus

[manehans]

Hallo Skarabäus,
mit sehr feinen Worten lobst du diese Verse. Danke!
Hinter Meister Lampe verbirgt sich ferdi/Soleatus,  der mich vor längerer Zeit in die Kunst, trochäische Vierheber aufzuschreiben, eingewiesen und begleitet hat. Bei der Gelegenheit auch an ihn noch einmal vielen Dank dafür.
Gruß manehans

[Soleatus]

Hallo Manehans!

Das liest sich doch gut, es fließt ruhig und unaufgeregt durch die Verse und hält den Leser trotzdem aufmerksam. Mehr kann man nicht verlangen ... Der Inhalt an sich ist recht spezifisch, vom einem Versfreund mehr an andere Versfreunde und weniger an die Allgemeinheit gereichtet; aber eben nicht nur. (Dass ich einen Auftritt habe hier, lese ich doch erstaunt!)

Ich schreibe, obwohl eigentlich gar nicht nötig, noch eine Anmerkung zu den Versschlüssen. Könntest du dir vorstellen, da noch etwas mehr Abwechslung hineinzubringen durch ein gelegentliches einsilbiges Wort? Also zum Beispiel statt "dass wir beiden uns gut kennen" ließe sich schreiben "dass wir beiden gut bekannt sind"; da wäre dann einmal ein "schwaches e" am Versende durch einen anderen Vokal ersetzt, aber eben auch das zweisilbige Wort, was so häufig den Vers schließt, vermieden. Außerdem rutschte in genau diesem Vers dann das "gut" auf die Hebung, was mir eher dem Sinn zu entsprechen scheint?!

Gruß,

Soleatus

[Perry]

um die Spur das Hasens aufzugreifen, bleibt die Hoffnung, dass er keinem Fuchs etc. begegnet, denn dann müsste er wohl einige Haken schlagen, um ihm zu entkommen.
Spaß beiseite, mir gefällt die Darstellung der Geschichte gut, auch wenn ich als eher freier Schreiberling statt Hebungen mehr auf spannende Zeilenumbrüche und locker eingestreute Alliterationen setze. Aber jeder darf und soll sich seine lyrischen Anforderungen selbst aussuchen.
Konstruktiv bin über "ein Neues" gestolpert, da wäre mir "was Neues" näher gewesen.
LG
Perry

[manehans]

Hallo Soleatus,
du weißt schon noch, dass du vor etlichen Jahren, die letzten fünf war ich ja mental krankheitsbedingt außer Gefecht gesetzt, entscheidend meine Versarbeiten beeinflusst und geformt hast.
So wundert es nicht, dass du auch diesmal wieder einen bedenkenswerten Aspekt hinsichtlich der Verschlüsse ins Spiel  bringst. Den Impuls nehme ich dankenswert auf, wenngleich mir bewusst ist, dass eine solche Umstrukturierung,  wenn auch nur hier und da, Zeit in Anspruch nehmen wird. Danke für deine
anerkennenden und konstruktiven Hinweise.

Hallo Perry,
auch dir ein Dankeschön für deine Worte.
Ein Neues - was Neues ? Mal sehen, ob ich das wirklich ändern möchte.

Beste Grüße manehans