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Das Es, das Ich und der böse Wolf


 
 
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wunderkerze
Eselsohr
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Beiträge: 384



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Beitrag31.08.2023 12:58
Das Es, das Ich und der böse Wolf
von wunderkerze
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Sie haben mir Papier und Schreibstift hingelegt und gesagt, ich soll es aufschreiben. Handschriftlich. An der Handschrift könne man erkennen, ob jemand lügt. Herr Dr. Schimmelpfeng, nichts für ungut, aber halten Sie mich für eine Idiotin? Etwas mehr Vertrauen in die weibliche Intelligenz könnten Sie schon haben! Glauben Sie, ich überlege mir nicht jeden Satz zweimal, bevor ich ihn aufschreibe? Gerade Lügen wollen gut überlegt sein! – Verstehe. Der Staatsanwalt hält mich für die Mörderin, weil niemand anderer infrage kommt, und ein Motiv hätte ich auch gehabt. Sie wollen die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, ich soll nichts auslassen, nicht die kleinste Kleinigkeit, und ich soll so schreiben, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Schließlich seien Sie mein Strafverteidiger und müssten wissen, was wirklich passiert ist. Gut, ich schreibe das, was ich weiß, und ich lasse nichts aus, auch wenn ich es nicht weiß. Nicht die kleinste Kleinigkeit. Und ich schreib, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
   Aber wundern Sie sich über nichts.

   1

   Jemand kniff mich in den Hintern. Ich blickte an Fat Domingo vorbei in die Glitzerwand mit den Buddeln. Wolf, natürlich. Sein Gesicht, spiegelverzerrt, unter der spitzen Nase das Fantombild einer halbvollen Schnapsflasche, grinste mich über meine linke Schulter einfältig an. Blitzschnell drehte ich mich um und knallte ihm eine. „Autsch!“ rief er und massierte sich übertrieben eifrig die Wange, „auf die andere auch noch eine!“
   „Das könnte dir so passen, du Arschgeige!“, rief ich, „Aber dann mit Schlagring, und du spuckst Zähne!“ Der dicke Barmann grinste fettig. „Halt du dich da raus, Alter!“, fauchte ich ihn an, „und wisch dir mal das Eigelb aus dem Mundwinkel!“
   Wolf lachte gequetscht. Das tat er immer, wenn er nicht mehr weiter wusste, der Halbidiot. Zum Beispiel, als ich ihn erwischte, wie er ins Waschbecken pinkelte. Schwatzte irgendwas von desinfizierender Wirkung. Hätte ihn damals ohrfeigen können, na, jetzt war´s nachgeholt . . ,
   Früher, als wir noch zusammen waren, da brachte mich diese halbgare Lache und sein Geschwafel regelmäßig zur Weißglut. Hey, wenn jemand über seine eigene Dummheit herzhaft lacht – okay, dann hat er wenigstens noch etwas Grütze im Kopf. Aber dieses hirnlose Kich-Kich-Kich, das war so verklemmt, so schauerlich verklemmt wie der ganze Kerl. Und dann diese dummen Sprüche, wie: Ich kann auf alles verzichten, nur nicht auf den Luxus, oder: Hat keinen Zweck, dass ich an mir arbeite, hab einfach zu viele Fehler. So´n Quatsch! Wo er die wohl her hat? Auf seinem Mist können sie nicht gewachsen sein, dafür ist er viel zu denkfaul. Hätte ich ihn früher durchschaut, wäre mir vieles erspart geblieben. Ja, hätte hätte hätte . . . Dabei hätte ich gewarnt sein müssen. Er aß salzlos und keine Eier, vermutlich, weil er genug an seinen eigenen hatte. Vor allen Dingen: Ich hätte ihn nicht mehr am Hintern – im wahrsten Sinne des Wortes!

   Die Pinte war bis auf zwei notorische Frühtrinker, die ziemlich abseits und mit ausdruckslosen Bulldoggenvisagen über der Theke hingen, leer – uns beide und Fat Domingo ausgenommen.
  „Wo brennt´s denn nun schon wieder?“, fragte ich. Natürlich hatte Wolf mich nicht hierher gebeten, um mir ein Bier zu spendieren. Irgendetwas lief bei ihm wieder mal schief.
   „Mord“, sagte er tonlos.
   „Soso Mord“, sagte ich, „ein Mord ist natürlich für eine Mordkommission eine verteufelt unangenehme Angelegenheit.“
   Entweder verstand er meine Ironie nicht, oder er hörte wieder mal nicht zu.
   „Dieser schon“, sagte er nach einer Weile.
   Ich: „Was, dieser schon?“
   Er: „Es ist kein gewöhnlicher Mord.“
   Ich: „Kann man sich an Mord gewöhnen?“
   „Herrgottnochmal! So mein ich´s doch nicht!“
   „Wie meinst du es dann?“
   „Ich . . . ähhh –“
   „Mehr fällt dir dazu nicht ein?“
   „Nun ja . . . “ Wolf ergriff sein Bier und trank so hastig, dass er sich verschluckte und husten musste.
  Allmählich verlor ich die Geduld. Diese Dämlichkeit war einfach peinlich. Sogar Fat Domingo grinste hinter vorgehaltenem Putztuch.
    „Na schön, beziehungsweise nicht schön“, sagte ich, „nur, was hab ich mit der Sache zu tun? Du bist schließlich Mord-Bulle und wirst dafür auch noch bezahlt!“
   „Habt ihr schon einen Verdächtigen?“
   „Ja.“ Er wischte sich den Schaum vom Mund.
   „Na dann spute dich schnell, Schwager, und hurtig festgenommen!“ Damit sich keine Missverständnisse einschleichen: Wolf war immer noch einfacher Kommissar, dabei hätte er dienstaltersmäßig schon längst OK oder sogar Häuptling sein müssen.
   „Festgenommen ist schon, und gestanden wurde auch“, sagte er kleinlaut.
   Ich: „Ja warum baggerst du mich dann an?“
   Ein längeres Schweigen. Dann er: „Ich brauch deine Hilfe als Frau.“
   „Wie, kriegst du alleine keinen mehr hoch?“, fragte ich mit maximaler Kälte. „Dann such dir eine andere! Ihr habt doch zwei neue Praktikantin-ninnen –“
   „Herrgottnochmal, ich meine nicht das! Und könntest du mal zwei Sekunden aufhören, diesen scheiß Blödsinn zu quatschen und einfach nur zuhören?“
   „Gebongt, Sir, ich höre!“
   „Die Frau hat zwar zugegeben, ihren Mann vom Leben zum Tode befördert zu haben, aber sie bestreitet, eine Mörderin zu sein. Sie behauptet, nicht sie habe ihren Mann getötet, sondern ihr Es.“
   „Soso, ihr Es . . . Das solltest du mir jetzt aber genauer erklären.“
   „Gerne. Das Es ist nach Freud die Seelen-Instanz des Unterbewusstseins und Sitz der dunklen Triebe; zum Beispiel des Tötungstriebs. Sie behauptet, sie habe in Trance gehandelt. Der Hypnotiseur, bei dem sie wegen unerklärlicher Schmerzen in Behandlung ist, habe ihr Es übermächtig werden lassen, und dieses übermächtige Es habe sie zu der Tat verleitet. Fakt ist, eine halbe Stunde, nachdem sie die Sitzung verlassen hatte, saß ihr Mann mit durchgeschnittener Kehle im Rollstuhl, daraufhin alarmierte sie die Polizei.Und da ist weit und breit niemand, der ein Motiv gehabt haben könnte. Sie schwört, sie könne sich an den Tathergang überhaupt nicht erinnern.“
   „Ein Mord in Trance . . .  Ts ts ts . . . Auf Ideen kommen die Leute! Hältst du das für möglich?“
   „Wichtig ist, was das Gericht davon hält. Unmöglich scheint es nicht zu sein. Der Mörder von Bob Kennedy sagte aus, er habe in einem posthypnotischen Auftrag gehandelt.“
   „Für mich ist der Fall klar! Sie will ihren Tatterich loswerden und filetiert ihm die Kehle – nichts Neues unter der Sonne.“
   „Das schon, aber die Methode ist neu! Das Problem ist nämlich, solange ihr das Gericht keine Schuld nachweisen kann, kann sie nicht verurteilt werden. Noch nicht einmal aufgrund von Schuldunfähigkeit. Außerhalb der Hypnose ist sie völlig normal, und ihre strafrechtliche Weste ist blütenweiß.“
   „Was ist denn mit dem Hypnotiseur? Offensichtlich hat der einen Kunstfehler gemacht und die Trance nicht rechtzeitig beendet.“
   „Er behauptet: Doch, habe er. Und wenn schon, einen Mord habe er ihr auf keinen Fall eingeredet, wer so etwas denke, habe von seinem Beruf Null Ahnung. Wie dem auch sei, zu bewiesen ist weder das eine noch das andere.“
   Ich schüttelte ungläubig der Kopf. „Mensch Wolf! . . . Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen! Ich vermute mal, die Alte führt euch ganz schön an der Nase herum!“
   „So einfach würde ich es mir nicht machen. Die Frage ist doch: Kann ein Hypnotiseur einen Menschen so beeinflussen, dass aus Tötungsfantasien Taten werden?“
   Wolf konnte schon, wenn er wollte! Aber meistens wollte er nicht.
   „Ich sehe die Sache so“, fuhr er fort, „die Frau pflegt seit zehn Jahren ihren halbseitig gelähmten Mann, hingebungsvoll bis zur Selbstaufgabe, denn schließlich hat er seine Gesundheit für die Familie ruiniert, glaubt sie. Eines Tages sagt der Sohn oder die Tochter: 'Mutter, keiner lebt ewig, auch Vater nicht. Und dann lässt du es dir auf deine alten Tage nochmal richtig gut gehen! So fit wie du noch bist!' Doch die Tage verrinnen, und der Vater denkt nicht ans Sterben. Zwischenzeitlich hat sie sogar den Eindruck, dass er sie noch überleben wird.
   Da taucht zum ersten mal der Gedanke auf: Wenn er doch endlich sterben würde! Kein schlimmer Gedanke, denn er beinhaltet keinerlei Tötungsabsicht, und in dieser Situation nur zu verständlich. Doch allmählich wird aus dem Gedanke unbemerkt ein Vorsatz; eingekapselt wie ein Tuberkulose-Erreger liegt er in ihrem Unterbewusstsein und wartet auf eine Gelegenheit zum Ausbruch.“
   Wolf trank den Rest seines Bieres und bestellte ein neues plus Klarem.
   „Und du meinst“, sagte ich, „der Hypnoseonkel hat dem Bazillus ohne es zu wollen zum Ausbruch verholfen.“
   „Weiß ich nicht. Bisher ist es ja nur eine Arbeitshypothese. Aber ich gäbe viel darum, ich könnte sie verifizieren.“
   „Na Mann Gottes, dann geh doch zu dem Hypnotiseur und fühl ihm auf den Zahn!“
   Wolf kippte den Kurzen, machte „Ahhhh!“ und sagte: „Das geht leider nicht. Der Proband muss eine Frau sein. Soll meine Hypothese vor Gericht Bestand haben, muss die Recherche unter Originalbedingungen stattfinden.“
   „Soso, ich soll also das Versuchs-Karnickel spielen und mich hypnotisieren lassen.“
   „Wenn du so nett wärst, ja.“
   „Wieso kommst du gerade auf mich? Warum nimmst du nicht deine –“
   „Ich kenne niemanden außer dir, der einem solchen Experiment gewachsen wäre. So wie ich dich erlebt habe und immer wieder erlebe, denke ich mal, du bist hypnosefest. Außerdem bist du    Detektivin.“
   „Nicht ungefährlich, das Experiment“, wand ich nach kurzer Überlegung ein.
   „Sicherlich. Ist mir durchaus bewusst. Gerade bei dir.“
   Ich sah ihn verblüfft an. „W-wie meinst du das?“ Ich muss ziemlich dusslig aus der Wäsche gelinst haben, denn plötzlich lachte Wolf laut auf. Ich hätte ihn am liebsten –
   „Mein Gott, Violetta!“, prustete er, „ich bin doch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert! In der letzten halben Stunde wolltest du mich mindestens zweimal erwürgen! Deine Augen haben es mir verraten!“
   Jetzt war die Katze aus dem Sack. Der Kerl hatte mich sie ganze Zeit verarscht! Diese vorgetäuschte Hilflosigkeit hatte nur dazu gedient, mich rum zu kriegen. Eine schwarze Rachewolke hüllte mich ein. Na warte, Halunke!
   Ich ließ mir nichts anmerken und tat so, als dächte ich nach. „Hmmnunja . . . Das will gut überlegt sein.“
   „Was gibt es da viel zu überlegen?“, drängte er, „sag ja oder nein, aber sag was!“
    „Gut, ich mach das. Aber unter einer Bedingung!“
   „Und die wäre?“
   „Dass du mich nie wieder anbaggerst! Und dann wäre da noch die Honorarfrage.“

Forts. folgt

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wunderkerze
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wohe
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Beitrag31.08.2023 16:28

von wohe
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Zitat:
„Na schön, beziehungsweise nicht schön“, sagte ich, „nur, was hab ich mit der Sache zu tun? Du bist schließlich Mord-Bulle und wirst dafür auch noch bezahlt!“
   „Habt ihr schon einen Verdächtigen?“
   „Ja.“ Er wischte sich den Schaum vom Mund.
Wenn die Prota fragt, müssen “ nach ! und „ vor Habt raus.
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Günter Wendt
Geschlecht:männlichExposéadler


Beiträge: 2865



Beitrag01.09.2023 09:39
Re: Das Es, das Ich und der böse Wolf
von Günter Wendt
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wunderkerze hat Folgendes geschrieben:
Wendt ]

   



Die Zitierfunktion ist im Eimer.

Wollte nur sagen, dass der Text einwandfrei ist.
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Gast







Beitrag01.09.2023 10:14

von Gast
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Moin wunderkerze,

 Daumen hoch Das liest sich sehr gut und macht mich wirklich neugierig auf den Fortgang!

LG
DLurie
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Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

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Beitrag01.09.2023 15:38

von Arminius
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Gut geschrieben. Aber nach dem ersten Dialog erwartet man einen Volltrottel, einen Schwachmaten allererster Güte. Und plötzlich ist der Mann von der Mordkommission! Blink. Eine sehr unerwartete Wendung. Aber immerhin eine Überraschung.
Genauso extrem die Ich-Erzählerin. Welch für eine Furie! Für eine Detektivin ist die mir eigentlich zu überdreht, zu wenig abgeklärt. Ob es hier auch eine überraschende Wendung geben wird?


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wunderkerze
Eselsohr
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Beiträge: 384



W
Beitrag03.09.2023 20:39

von wunderkerze
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2
   Ehrlich gesagt: Der Auftrag reizte mich. Das war doch mal was anderes als dieses öde Herumsitzen im heißen Auto oder in stinkigen Lokalen, nur um einen wildfremden Menschen, der mir nichts getan hat und der mir, ehrlich gesagt, am Arsch vorbeigeht, fototechnisch abzuschießen. Da kriegst du auf die Dauer geschwollene Füße. Eine verdeckte Recherche beim Hypnotiseur. Unter Hypnose! War mir noch nie vorgekommen. Würde für jemanden, der sich aufs Schreiben versteht, bestimmt eine gute Story abgeben.
   Schon am Montag suchte ich die Adresse dieses

                                                                U. E. Klein,

                                                Heilpraktiker für Psychotherapie
                                                           Hypnosetherapie
                                                                alle Kassen
                                                              Sprechzeiten . . .

aus dem Internet heraus und bat um ein Vorstellungstermin. Wurde auch ohne viel hin und her gewährt: Donnerstag, 10 Uhr 30.
   Ein bisschen aufgeregt war ich schon, als mir der Psycho-Therapeut zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte. Ihr Druck war kräftig, aber nicht unangenehm, die Hand selbst trocken-spröde, wie aus Pappe.
    „Schön, dass Sie zu mir gefunden haben“, näselte er und gab die meine wieder frei. Er wies auf ein weinrotes Plüschsofa. „Bitte, nehmen Sie doch Platz und machen Sie es sich bequem!“ Ich nahm Platz und machte es mir bequem, Klein zog einen Stuhl heran und setzte sich mir gegenüber; dann sah er mich mit freundlichen Augen aufmerksam an. Ein Gesicht wie ein frisch gepflügter Acker.
   „Frau Fröchtenicht“, fragte er, „weshalb kommen Sie zu mir?“
  „Kann ich offen reden?“, sagte ich bewusst dümmlich.
  Er lächelte sanft, „Dafür bin ich ja da.“
  „Seit einiger Zeit plagen mich immer öfter Tötungsfantasien, die mit rasenden Kopfschmerzen verbunden sind“, log ich. „Ich versuche dagegen anzugehen, aber ich schaffe es einfach nicht. Morgens wache ich schweißgebadet auf, weil ich gerade meinen Ex erwürgt habe. Der Traum war so realistisch, dass ich zum Handy greife und die Polizei verständigen will. Erst nach und nach wird mir klar, dass es nur ein Traum war. Mein Schädel fühlt sich an, als sei darin gerade eine Bombe explodiert.“ Ich schwieg und blickte ihn erwartungsvoll an.
   „Offenbar eine mentale Störung infolge eines Knalltraumas“, stellte Klein mit fachmännischer Miene fest. „Wo war das?“
   „In Afghanistan“, log ich tapfer weiter.
   „Sind Sie denn nach ihrer Rückkehr aus dem Einsatzgebiet nicht psychologisch betreut worden?“
   „Doch, doch, und anfangs hatte ich auch keine Probleme. Allerdings . . . nach einiger Zeit stellten sich diese furchtbaren Fantasien ein, und mit ihnen kamen die Schmerzen. Eine Freundin riet mir, es doch einmal mit Hypnose zu versuchen.“
   „Und wen genau bringen Sie im Traum um?“
   „Wie ich schon sagte, meinen verflossenen Lebensgefährten.“
   „Haben Sie dazu einen besonderen Grund?“
   „Das ist es ja eben!“, rief ich und seufzte herzhaft, „nein! Er ist nicht besser und nicht schlechter als die anderen Herren der Schöpfung! Er ist eben nur ein Mann! Anscheinend hat er den Rausschmiss noch nicht verkraftet. Er läuft mir nach.“
   Klein zog die Stirne Kraus. „Stalkt er Sie?“
   „Nein, aber er ist kurz davor. Er kommt immer wieder mit irgendwelchen trivialen Sachen, die ich für ihn erledigen soll.“ Ich erzählte ihm noch dies und das, und er fragte mich dies und das. Schließlich erhob er sich. „Gut, Frau Fröchtenicht, ich nehme Sie als Patientin an. Lassen Sie sich im Vorzimmer einen Termin geben.“

   3

   Donnerstag, 10 Uhr 30.
   „Öffnen Sie die Gürtelschnalle, schließen Sie die Augen und entspannen Sie sich!“, säuselte Klein mit honigweicher Stimme.
   Ich schloss die Augen, öffnete die Gürtelschnalle und versuchte, mich zu entspannen, allerdings nicht allzu tief.
   „Nun, wo Sie so entspannt daliegen, lassen all Ihre Gedanken und Sorgen fahren. Alles, was Sie beschäftigt und bedrückt, ist jetzt nicht mehr wichtig. Jetzt geht es nur noch darum, alles Schwere und Bedrückende abzuschütteln. Lassen Sie Ihre Gedanken aufsteigen wie bunte Luftballons, alles, was Sie bedrückt werfen Sie in ein tiefes Loch und wälzen einen dicken großen Stein darüber. Sie können es später, wenn Sie wollen, wieder ausgraben, sobald diese Sitzung beendet ist.“
   Klein schwieg, anscheinend, um mich nicht zu überfordern. Dabei fühlte ich, dass er mich anstarrte.
   „Ich möchte, dass Sie sich jetzt nur auf meine Stimme . . . und auf Ihre Atmung konzentrieren. Atmen Sie tief ein . . . und aus. Sie spüren, wie mit jedem Atemzug frische, neue Luft in Ihre Lungen strömt und damit neue Lebensenergie. Atmen Sie mit jedem Ausatmen all die Anspannung aus, die Ihr Herz bedrückt . . .  und mit jedem Einatmen all die Entspannung ein . . . werden Sie leicht . , . ganz leicht . . . versuchen Sie, zu schweben . . .“, und so weiter und so fort.
   Wieder schwieg der Doktor, und ich muss sagen, er verstand sein Handwerk. Ich musste meine gesamte Willenskraft aufbieten, um nicht tatsächlich auf und davon zu schweben.
   „Ich erzähle Ihnen jetzt eine Geschichte“, fuhr Klein mit seiner weichen Stimme fort, „und Sie hören einfach nur zu.“
   So wird das nichts, dachte ich angestrengt, während Klein von Vogelgezwitscher, milder Luft und den ersten warmen Sonnenstrahlen auf der Haut schwafelte, der schafft es und versetzt mich tatsächlich noch in Trance. Wolf wird sich kaputtlachen!
   Plötzlich schrie ich jäh auf. Wolf saß auf meinem Sofa, ein Messer steckte in seiner Kehle. „Jetzt hab ich ihn umgebracht", rief ich „es ist geschehen! Ach, was bin ich doch für ein Mensch! Eine Mörderin!“, zeterte ich, „ach, ach, ach! Armer Wolf!“ Die Hände ringend warf ich mich wie ein Aal in der heißen Pfanne auf der Liege herum.
   Klein war aufgesprungen und hatte sich über mich gebeugt. „Frau Fröchtenicht, wachen Sie auf!“, rief er durchdringend, „Sie haben niemanden umgebracht! Ich zähle jetzt rückwärts von fünf bis null. Bei null schlagen Sie die Augen auf!“
   Ich wollte, aber ich konnte nicht. Irgendetwas in meinem Kopf stimmte nicht. Da war ein spitzer stechender Schmerz gleich hinter meiner Stirn, der sich nur langsam auflöste. Endlich gelang es mir, die Augen aufzuschlagen. Ich blickte auf einen mir völlig unbekannten Mann. „Wer sind Sie?“, fragte ich verdattert.
  „Ich bin Ihr Hypnotiseur“, sagte der Mann.
  Er ging zu dem Tischchen mit dem O-Saft, goss ein und brachte mir das Glas. „Trinken Sie das“, sagte er, „es wird Sie beruhigen.“
   Während ich trank, erkannte ich ihn wieder. Klein. Irgendetwas war schiefgelaufen. Er sah aus, als habe er sich monatelang nur von unreifen Äpfeln ernährt. „Eine Erstverschlimmerung“, sagte er tonlos, „das ist nicht ungewöhnlich, im Gegenteil. Wir kommen also dem Problem so langsam auf die Spur. Ich schlage vor, wir setzten die Behandlung in einer Woche, dieselbe Zeit, fort. Dann werden wir weitersehen.“
   Jetzt brach ich in Tränen aus. „Herr Doktor Klein, helfen Sie mir!“, schluchzte ich, „sonst bringe ich diese Mann tatsächlich noch um!“
   „Die Statur dazu hätten Sie“, sagte Klein wenig beeindruckt und stand auf.

Ende folgt

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wohe
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Beitrag04.09.2023 10:00

von wohe
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Dufte. Unerwartete Entwicklung.
Weiter so - möglichst fix. Jetzt will ich wissen, was folgt.
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Günter Wendt
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Beitrag04.09.2023 10:19

von Günter Wendt
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wunderkerze hat Folgendes geschrieben:
„Offenbar eine mentale Störung infolge eines Knalltraumas“, stellte Klein mit fachmännischer Miene fest. „Wo war das?“


Ein Knalltrauma mit mentalen „Störungen“?

Die Knalltrauma-Dauer ist meistens kurz und begrenzt. Es gibt aber auch Fälle, bei denen sich bis zu drei Monaten bis einem Jahr noch eine Verbesserung messen lässt. In manchen Fällen bleibt nach dem Knalltrauma ein Tinnitus zurück. Dauer und Stärke der Beschwerden sind dabei sehr unterschiedlich.
Erst der Tinnitus, der möglicherweise zurückbliebt, KANN PSYCHISCHE (keine „Mentalen“) Folgen nach sich ziehen.

Das würde ich an deiner Stelle, um auf der „auf der sicheren Seite“ zu diagnostizieren, das umformulieren.
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Arminius
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Beitrag04.09.2023 10:24

von Arminius
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wunderkerze hat Folgendes geschrieben:
Er sah aus, als habe er sich monatelang nur von unreifen Äpfeln ernährt.
Daumen hoch²
Bin neugierig auf die Fortsetzung.


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wunderkerze
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Beitrag04.09.2023 13:19

von wunderkerze
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Hallo Günter Wendt,
danke für den Hinweis. Ich ändere in "furchtbares Erlebnis".

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wunderkerze
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Günter Wendt
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Beitrag04.09.2023 14:51

von Günter Wendt
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wunderkerze hat Folgendes geschrieben:
Hallo Günter Wendt,
danke für den Hinweis. Ich ändere in "furchtbares Erlebnis".


 Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach einem Aufenthalt in Aghanistan wäre denkbar.
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Gast







Beitrag04.09.2023 15:15

von Gast
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Daumen hoch Ich bin auch gespannt, wie es weitergeht!
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wunderkerze
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Beitrag06.09.2023 17:23

von wunderkerze
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4

   Als ich zuhause ankam, war ich pitschnass. Es regnete in Strömen. Vom Vorgarten aus sah ich, dass in meinem Wohnzimmer Licht brannte. Mein erster Gedanke: Einbrecher! Ich wusste genau, dass ich das Licht ausgemacht hatte, als ich die Wohnung verließ. Ich sammelte meine Kräfte, straffte meine Bauchmuskulatur und lief nach oben. Die Wohnungstür war nur angelehnt, und jetzt wusste ich, wer in meinem Wohnzimmer saß: Wolf. Ich erkannte es am Geruch. Ich fühlte Ärger in mir hochsteigen und beschloss, die Rasende zu spielen. Wütend knallte ich die Tür zu und stürmte geradewegs ins Wohnzimmer, ohne die nassen Klamotten zu wechseln.
    Wolf, in Zivil, saß auf dem Sofa, meinen Kirschlikör und zwei Gläser vor sich.
   „Es regnete so furchtbar“, sagte er und grinste schief, „und da bin ich schon mal hochgegangen. Leider warst du noch nicht da.“
   So viel Kaltschnäuzigkeit verschlug mir nun doch die Sprache. Immer mehr zeigte Wolf sein altes Macho-Gehabe.
   „Wie bist du denn hereingekommen?“, fragte ich.
   Er sah mich herausfordernd an. „Na wie wohl. Durch die Tür!“
   Mir platzte der Kragen. „Ich hab nicht gefragt wo!“, schrie ich ihn an, „sondern wie!“ Natürlich! Er besaß ja noch die Zweitschlüssel! Es war zum verrückt werden. „Her mit den Schlüsseln!“, rief ich, ohne seine Antwort abzuwarten, und hielt die Hand auf, „aber ein bisschen plötzlich!“
   Wolf zog sein Schlüsselbund hervor und hielt es mir klimpernd unter die Nase. „Da sind sie, aber meine will ich zurück haben.“
   Jetzt kochte ich wirklich vor Wut. „Du Arsch bildest dir doch nicht ein, dass ich die Schlüssel abklemme! Du hast sie angeklemmt, also klemmst du sie auch wieder ab!“
   Wolf wusste, dass er ohne Schießeisen gegen mich keine Chance hatte und fügte sich. Wölfisch grinsend fummelte er die Schlüssel ab. Hätte er jetzt wieder Kich-Kich-Kich gemacht – ich weiß nicht, ob er dann noch unversehrt an Leib und Leben meine Wohnung verlassen hätte. Glücklicherweise verzichtete er darauf.
   „Erwartest du Besuch?“, fragte ich.
   Er sah mich verständnislos an. Ich kannte diesen Blick. Er tauchte immer dann auf, wenn er nicht mehr nüchtern war. „Ich? Wieso? Nein.“
   „Für wen ist denn das zweite Likörglas bestimmt?“
   „Das zwei –  Ach so! Für dich! Ich dachte, du setzt dich zu mir und erzählst, wie es beim Hypnoseonkel war. Hast du schon etwas herausbekommen?“
   „Ich glaub, du hast sie nicht mehr alle auf der Latte! Ich soll mich zu dir setzen? Den Teufel werde ich tun! Und zu erzählen gibt´s nichts. Die Sitzung wurde vorzeitig abgebrochen. Hypnose ist nichts für mich. Sieh selber zu, wie du deine Hypothese verifizierst.“
  Er griff verärgert zur Likörflasche und zog den Stöpsel heraus. Zwar hätte ich es nicht genau sagen können, aber so leer wie jetzt hatte ich sie nicht in Erinnerung. Er musste ganz schön gepichelt haben. Das war auch der Grund, warum er immer noch Kriminalmeister war und nicht Kommissar oder Häuptling, wie etliche seiner Kollegen im gleichen Dienstalter.
    „Hast du mich gefragt?“, schnauzte ich, „meine Wohnung ist kein Selbstbedienungsladen! Wenn du was haben willst, dann frag gefälligst! Oder bist du im Schweinekoben groß geworden?“
   Sein Gesicht wurde hart. „Hoho, Schweinekoben! Mal nicht ganz so frech, junge Frau!“
   „Du bist ein dermaßen beschissenes Arschloch“, zischte ich ihn an, „dass einem die Worte fehlen!“ Irgendwie kam ich mir in meinem eigenen Wohnzimmer fremd vor.
   Inzwischen hatte sich auf dem Fußboden unter mir eine kleine Pfütze gebildet. „Wenn ich zurückkomme, bist du verschwunden“, sagte ich und ging ins Badezimmer, um mich trocken zu legen. Während ich mir die Haare föhnte wurde mir klar: So leicht wirst du diesen Kerl nicht los. Er klebt an dir wie Rotz am Ärmel. Da musst du schon stärkere Geschütze auffahren und nicht nur Drohungen ausstoßen.
   Da sich nichts tat – ich hatte weder Schritte gehört noch war die Wohnungstür zugefallen – nahm ich an, dass Wolf immer noch auf dem Sofa saß. Um ihm noch etwas Zeit zu geben, goss ich mir in der Küche einen Cappuccino auf, denn ich hatte eine Gänsehaut. Nicht nur vor Kälte, sondern auch als Angst vor der Zukunft. Nur zu gut weiß man doch, welche verheerende Wirkung Stalker von Wolfs Format haben können. Das kann hin bis zum Selbstmord der Verfolgten gehen. Ich hatte gehofft, mich da herausholen zu können, doch das war wohl falsche Hoffnung gewesen. Meinem Ex traute ich mittlerweile alles zu.
   Ich stellte meine nassen Laufschuhe samt den Socken in den Backofen und stellte auf fünfzig Grad ein.
   Die Dielen im Flur knarrten. Aus den Augenwinkeln schielend konnte ich sehen, dass Wolf in der Küchentür erschien. Er lehnte sich lässig an den Türrahmen und starrte mir auf den Hintern. Also war er wieder mal notgeil. Ich ließ mir nichts anmerken, drehte mich um und sagte: „Wolltest du nicht gerade gehen?“
   Ein hämisches Grinsen fraß sich in sein Gesicht. „Wollte ich das?“
   Er löste sich aus dem Türrahmen und kam lauernd auf mich zu. Jetzt grinste er nicht mehr; in seinem Gesicht lag hässliche, nackte Gier. Einen halben Schritt vor mir blieb er stehen; ich roch seinen Likör-Atem. Dann geschah das, was ich befürchtet hatte: Er fasste mich am Arm, drehte mich herum und klatschte mir mit seiner Pranke kräftig auf den Hintern.
   Das war zu viel, und ich verlor die Beherrschung. „Du elender Arschfetischist!“, brüllte ich ihn an und  verpasste ihm blitzschnell einen harten Magenschwinger; Wolf klappte zusammen, ging wie ein nasser Sack zu Boden und knallte mit dem Hinterkopf hart gegen den Küchenschrank.
   Starr vor Schreck und Bestürzung blickte ich auf den leblosen Mann. Dass ich gegen die ehernen Regeln des Kampfsports verstoßen hatte, war jetzt erst einmal ziemlich unwichtig. Wichtig war Wolfs Zustand. Er lag da, wie betäubt, und rührte sich nicht. Doch noch ehe ich zum Handy greifen konnte, schlug er schon die Augen auf. Es war wohl nur die Überraschung und der Stoß gewesen, die ihm kurzzeitig die Besinnung geraubt hatten. Er massierte sich den Hinterkopf und kam ächzend hoch. Jetzt stürzt er sich auf dich, dachte ich und nahm Abwehrstellung ein. Doch nichts dergleichen geschah. Er sah mich giftig an uns zischte: „Das hast du nicht umsonst getan, du Hexe! Dafür bringe ich dich um!“ Dann verschwand er aus der Küche.

   5

   Langsam, fast mechanisch, zündete ich mir eine Zigarette an, machte ein paar tiefe Züge und blickte den Rauchkringeln nach, die sich langsam verflüchtigten. Dann ging ich ins Wohnzimmer, setzte mich hinter den Likör und kippte zwei Gläschen. Teufel nochmal, das hätte nicht passieren dürfen, dachte ich. So ein Schlag auf den Solarplexus ist schon eine harte Nummer und ein Grund, jemanden wegen Körperverletzung anzuzeigen. Wieder hallte mir Wolfs wütende Stimme im Ohr: Dafür bringe ich dich um! Scheiße, Scheiße, Scheiße, So nachtragend, wie der Kerl ist, bringt er dich tatsächlich noch um. Den Arschfetischisten wird er dir nicht verzeihen, und den Magenschwinger erst recht nicht. Ich wusste, dass er schon einmal jemanden umgelegt hatte, bei einem Einsatz. Angeblich in Notwehr. Na ja, bekanntlich hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus, schon gar nicht bei einer so eingeschworenen Bruderschaft wie der Polizei. Der Kerl ist imstande und tut´s wirklich.
   Um mich weiter zu beruhigen, gönnte ich mir noch ein Gläschen, dabei stützte ich mich mit der Hand auf dem Sofasitz ab. Die Stelle, auf der Wolf gesessen hatte, war noch warm. Der Kerl hat mehr Feuer im Hintern als im Herzen, dachte ich. Jetzt saß er wieder neben mir, ich blickte ihn streng von der Seite an. Allmählich schrumpfte er in sich zusammen. Als er auf meine Handfläche passte, hielt ich es für das Beste, ihn auf die glühende Herdplatte zu legen und dort verschmoren zu lassen. Schon lag Brandgeruch in der Luft. Ich schnupperte, sprang wie elektrisiert auf und rannte in die Küche. Aus dem Backofen stieg dicker Qualm auf. Die Temperaturanzeige stand auf 200 Grad. Ich stellte auf null und riss die Klappe auf: Meine schönen Sneakers und die Socken waren gerade dabei, sich in Kohle zu verwandeln. Bei der Rangelei vorhin hatte ich wohl ohne es zu merken den Regler verstellt.
   Nach frischer Luft ringend machte das Küchenfenster auf und blickte hinaus. Regen, Regen, Regen. Das ging jetzt schon die ganze Woche so. Die paar Leute, die sich noch nach draußen wagten, schlichen dahin wie geprügelte Hunde. Meine Laune war auf einem Tiefpunkt angelangt. Als nächstes wird er versuchen, dir den Ruf zu ruinieren, dachte ich. Mit dem Nimbus einer Schlägerin kannst du als Detektivin einpacken.
   Ich stellte das Fenster auf Kippe, setzte mich auf einen Küchenstuhl und dachte nach. Irgendetwas musste geschehen. Entweder er oder ich. Nur wie anstellen? Hm-hm . . .
   Kurzentschlossen rief ich Wolf an; er nahm tatsächlich ab. Ich fragte, wie es ihm gehe und entschuldigte mich für mein Verhalten; er könne es mir glauben, ich sei immer noch wie vor den Kopf geschlagen, so etwas hätte einfach nicht passieren dürfen. „Lass uns das Kriegsbeil begraben“, schlug ich vor, „so kann es nicht weitergehen, schließlich lebt der Mensch nur einmal und ist so lange tot“, sagte ich (oder ähnlichen Schwachsinn). Dann lud ich ihn zu kommenden Donnerstag, halb zwölf, zu einem verspäteten Frühstück ein, „da können wir über alles reden.“ Ich deutete an, es müsse ja nicht bei Sekt und Lachs-Brötchen bleiben, schließlich hätte ich noch andere Brötchen zu bieten, „mit allem Drum und Dran!“ Ich merkte richtig, wie sein Handy heiß lief.
   Nach kurzem Zögern sagte Wolf zu.

   6

   Pünktlich, mit gelöstem Hosengürtel, lag ich auf  U. E. Kleins Couch. Es war Donnerstag, kurz nach halb elf. Klein legte los, und ich muss sagen, diesmal empfand ich sein Gesäusel als ausgesprochen angenehm. Auf sein Geheiß hin vergrub ich alle Sorgen unter dem dicken Stein, besonders die mit Wolf. Ich wurde frei und leicht und löste mich von dem Sofa; Klein erzählte wieder eine Geschichte; ich begann zu schweben; bald saß er unter mir und wurde kleiner und kleiner; er erzählte unverdrossen weiter, schon hatte ich das Dachgeschoss erreicht. Plötzlich fing es an zu regnen; ich wunderte mich, denn in Kleins Behandlungsraum hatte ich noch nie Regenwolken bemerkt.
   Als ich wieder zu mir kam, saß ich auf dem Sofa in meinem Wohnzimmer, auf dem Tisch die leere Likörflasche und zwei Gläser. Wolf saß neben mir, sein Kopf war nach hinten gerutscht. Es sah aus, als schliefe er. In seiner Kehle steckte ein Messer.

   7

   So, Herr Doktor Schimmelpfeng, Schluss, aus! Das ist alles, was mir dazu einfällt. Alles andere ist Ihr Bier. – –  Wie, Sie halten mich für unglaubwürdig? So benimmt sich keine vereidigte Detektivin, sagen Sie? Gerade in diesem Beruf muss man kühlen Kopf bewahren, sagen Sie? Ja natürlich muss man das! Herrgottnochmal, begreifen Sie doch endlich! Nicht ICH stehe hier zur Debatte, sondern mein ES! Der gute Doktor Klein hat da wohl ohne es zu wollen etwas durcheinander gebracht. Ich bin die Ruhe selbst, aber mein Es? Würden Sie für Ihr Es, der Seelen-Instanz des Unterbewusstseins und Sitz der dunklen Triebe, die Hand ins Feuer legen, wie man so schön sagt? Na sehen Sie.
   Herr Doktor, ich erwarte, dass Sie mich da heraushauen. Dürfte bei Lage der Dinge und für einen alten Hasen wie Sie doch nicht allzu schwer sein.


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Arminius
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Beitrag07.09.2023 10:22

von Arminius
Antworten mit Zitat

Schön, dieser Wechsel aus Be- und Entschleunigung. Langsam muss man aber aufpassen, die verschiedenen Handlungsebenen richtig zu sortieren: was passiert wirklich, was ist Traum, Vision, Einbildung?
Kleiner Einwand: "Er griff verärgert zur Likörflasche und zog den Stöpsel heraus." Stöpsel weckt eher die Assoziation Badewanne. Korken oder Stopfen? Handelt es sich um eine Karaffe? Die haben ja so eingeschliffene Glasstöpsel. Nur mal so aus Neugier.


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wunderkerze
Eselsohr
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W
Beitrag18.09.2023 17:36

von wunderkerze
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Recht hast du. Ob Stöpsel, Korken, Verschluss ist hier ganz unwichtig, kann also weg.
Gruß W.

« Was vorher geschah1234



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