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Teil 31 Mobbing und Tiefschläge


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag12.06.2008 20:27
Teil 31 Mobbing und Tiefschläge
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Sebastian hatte das Netzwerk eingerichtet und es funktionierte sehr gut.
Jan war launisch und wenn wir ins Internetcafe kamen, wussten wir vorher nie, was uns erwartete. Hatte er Baguette gekauft oder war er zornig wegen irgendeiner Kleinigkeit?

An einem Sonntag morgen verspäteten wir uns um zehn Minuten. Es war kein Taxi zu bekommen, wir gingen zu Fuß. Wir kamen 8.10 Uhr ins Internetcafe und fanden Jan außer sich.
„Was habt ihr für eine Arbeitsmoral! Das interessiert Euch wohl alles nicht!“ Er schimpfte laut und wüteet herum. Zu guter letzt verkündete er, er schließe hiermit die Firma und begann die Rechner einfach abzubauen.
Ich konnte so ein Verhalten weder verstehen noch nachvollziehen. Ich versuchte zu beruhigen, doch ich kam damit nicht weiter. Erst als ich ihm Widerstand entgegensetzte und ihm zu verstehen gab, dass er weder Anlass dazu, noch das Recht hatte für solch einen Schritt, denn wir sind vier, die das entscheiden, hielt er inne.
In diesem Moment kam ein Kunde, schaute verwirrt auf die abgebauten Rechner und fragte kleinlaut, ob er seinen eigenen mitgebrachten Laptop anschließen dürfe. Natürlich doch.
Jan fing sich wieder und baute alles wieder auf. Solche Situationen erlebten wir dreimal. Erst als wir begannen, ihn damit zu necken, ob er denn schon den Schraubenzieher zum Abbauen für das Wochenende bereit gelegt habe und wir am Sonntag ausschlafen könnten, wenn er das Internetcafe doch sowieso schließen wollte, endeten diese Wutausbrüche.

Doch das Mobbing ging weiter. Hätte ich solch ein Arbeitsklima in einer Firma in Deutschland, ich hätte gekündigt. Aber hier, in dieser Situation war ich nicht unschlüssig und unsicher, ich war stur. Ich WOLLTE mir diesen Traum nicht kaputt machen lassen, nicht nach all dem was wir bereits hinter uns hatten.
Die Gefühle bei der Arbeit sind ebenso wichtig, wie die Emotionen in allen anderen Lebensbereichen. Gefühle sind Gefühle - und wo immer sie uns begegnen, fördert die Auseinandersetzung mit ihnen den inneren Fortschritt.
Manchmal fragte ich mich, wo meine Schmerzgrenze lag, ob da überhaupt eine war. Ich hatte mich nicht als masochistisch in Erinnerung. Aber dann wurde mir klar, dass diese Gedanken unsinnig waren.
Denn so lange ich auf mich aufpasste, meine innere Mitte immer wieder fand, mir Gutes tat, Freude und Spaß am Leben hatte, hatte ich auch die Kraft diesen Weg weiter zu gehen.
Es war wichtig in meiner Freude zu sein. Und ein Schuss Selbstironie ließ mich lachend wieder aufstehen.

Sebastian und ich hatten noch immer kein Geld und wir hangelten uns durch. Wir ernährten uns wieder von Baguette und Brochette. Endlich wurde einer der zwei Bausparverträge aufgelöst und es floß über Cindy ein kleiner finanzieller Segen, der es mir ermöglichte weiter zu investieren und vor allen Dingen durchzuhalten.

Es war ein Dienstagmorgen. Ich kam ins Internetcafe „Antsika“. Die Atmosphäre war außergewöhnlich. Es war ruhig, aber seltsam ruhig. Die Mädels tuschelten und Georgina, die nun tagsüber im Internetcafe putzte und nur noch an zwei Nachmittagen der Woche ins Haus ging, wollte mir aufgeregt etwas erzählen und zeigte immer wieder auf die Tür von Jans Zimmer.
Er selbst saß an einem PC und zeigte sich teilnahmslos. Ich suchte einen Vorwand, um in sein Zimmer zu gehen. Ich wußte nicht, was mich erwartet, aber ich platzte einfach rein und traute meinen Augen nicht. Da saß auf einem Sessel ein Mädchen, ganz offensichtlich vom horizontalen Gewerbe. Sie hatte es sich bequem gemacht, schien sich zu hause zu fühlen. Sie kannte sich aus, es schien nicht ihr erster Besuch zu sein.
Ich ging zurück in den Kundenraum und fragte Jan, was das soll. Er zuckte mit den Schultern. Seine Welt war in Ordnung.
„Jan, du wohnst hier kostenlos. Wenn du auf diese Art und Weise dein Leben gestalten willst, dann suche dir eine andere Bleibe.“ Und laut fügte ich hinzu „Das ist hier ein Firmensitz und kein Bordell!“
In Sekundenschnelle stieg mein Adrenalin und die Enttäuschung, Frust, Wut , Zorn, alle Gefühle, die ich in diesen Wochen immer wieder unterdrückte, zurückhielt, ballten sich zusammen. Zurück in seinem Zimmer ergriff ich die Dame am Arm und zog sie durch die Tür hinaus, durch den Kundenraum und verabschiedete sie energisch auf die Straße.

Als dieses innere Gewitter sich legte, saß ich auf einem Sessel auf dem kleinen überdachten Innhof. Die Wunde kam zum Vorschein, sie war größer, als ich vermutet hätte und sie heilte nicht. Nein. Sie blutete aus einer Tiefe, die mich sprachlos machte.
Es war richtig und wichtig diese Wunde zu spüren. Den Finger auf die verletzte Stelle zu legen und zu fühlen: Ja genau da tut es weh. Nur so würde ich Heilung erfahren können.

Okay, ich hatte mich, mein Ego durchgesetzt, aber ich erkannte meine Machtlosigkeit einmal mehr. Ich war verletzt. Das innere Kind kniete nieder und weinte.
Das kleine Mädchen in mir, das so gern lachte, wurde scheu und zog sich zurück.
Das Gute an solchen Tagen war, auch sie gingen vorüber.

Doch die Wut, die mich so plötzlich überfallen hatte, schockierte mich. Die Wut ist ein beängstigendes und machtvolles Gefühl. Sie macht deutlich auf Grenzen aufmerksam, die ich ziehen sollte.
Einmal mehr spürte ich in mir eine Kraft, die so unerbittlich war, die Unsicherheit und Rückzug oder Aufgeben niemals zuließ.
„Was uns nicht umbringt, macht uns stark.“
Diese Kraft war nicht jene sanfte, die aus der inneren Zufriedenheit strömte, es war eine andere Art Power, ein geballte Kraft, die mich größer werden, die mich über mich hinauswachsen ließ.
Es war die Kraft aus meinem Willen heraus. Mein Wille, mir hier ein Leben aufzubauen, eine Firma aufzubauen und diesen Weg ungeachtet der Hindernisse und Widerstände zu gehen.

Ein freudige Erlebnisse im Juni waren einige Pakete aus Deutschland. Eine Freundin schickt mir Tee und Kräuter, sowie Samen. Am gleichen Tag kamen auch das Päckchen mit dem Ersatzteil für meinen PC, sowie das Geburtstagspaket von meinem Exmann Ben für Sebastian.

Du bezahltest für ein Paket 50.000 FMG. Normalerweise. Auf der Quittung standen jeweils 25.000 FMG.
In Deutschland würdest du nun dein Paket frisch fröhlich unter den Arm nehmen und gehen, nicht so in Madagaskar. Denn jetzt kam der Zollbeamte. Er schnitt mit einem Messer das Paket auf und schaute sich alles an, wurschtelte es danach wieder rein und wenn du Glück hattest, musstest du zwar nichts bezahlen, „aber ein Cadeau (franz. Geschenk) sollte man schon geben“, wurde mir gesagt, denn "kleine Geschenke erhalten die Freundschaft".
Sebastian war frustriert und wütend, dass ein Fremder, auch wenn er vom Zoll war, in seinem Geburtstagspaket herum wühlte. Das sind doch die Augenblicke, die man normalerweise zu hause genießt. Das Paket öffnen und neugierig freudig auspacken...
Als wir dann samt Pakete zu hause angelangt waren, legte sich auch seine Verärgerung und wir freuten uns über die vielen nützlichen und unnützen Kleinigkeiten aus der Heimat.

In den neuen Geschäftsräumen wurden wir sehr schnell mit einem Problem vertraut, dass wir im Haus noch nicht kannten. Die Stromschwankungen und -ausfälle.
Die hiesige Stromgesellschaft JIRAMA schaffte es nicht, eine kontinuierliche Stromversorgung zu liefern. Die fast täglichen Stromausfälle von fünf Minuten bis hin zu mehreren Stunden machten uns zu schaffen. Unter den extremen Stromschwankungen leideten die technischen Geräte.
Jemand erklärte uns, dass immer ein Stadtteil abgestellt wurde, damit der Rest der Stadt mit Strom versorgt werden konnte. Es gäbe sogar einen richtigen Plan für diese Maßnahme. Man könne ihn bei JIRAMA einsehen.
Mit Rondro ging ich dann auch zu JIRAMA, um diesen besagten Plan zu bekommen. Dort erhielten wir die Auskunft, dass es einen solchen Plan nicht gäbe. Diese Ausfälle seien nur Wartungsarbeiten, ganz routinemäßig.
Aha. Routinemäßig.
Aber wenn es wieder einmal zu Wartungsarbeiten kommen würde, dann sei man bereit, einen Mitarbeiter zu uns zu schicken, der uns über den bevorstehenden Stromausfall informieren würde. Diese Geschichte sorgte fortan als eine beliebte Anekdote für Lacher.
Nur die Realität war nicht so witzig.
Die Stromschwankungen waren derart heftig, dass immer wieder technische Geräte den Geist auf gaben und so der kontinuierliche Geschäftsbetrieb erheblich gestört wurde.

Wir waren stolz auf unser Internetcafe "Antsika".
Während bei uns die Kunden mittlerweile die Sitzecken füllten, weil sie auf einen freien PC - Platz warteten (manche warten über eine Stunde) , stand der Besitzer eines anderen Internetcafes (ca. 50 m entfernt) vor der Tür und wartete auf Kundschaft.

Wir befanden uns auf einer Reise ins Abenteuer. Es sollten Ereignisse eintreten, die wir zu diesem Zeitpunkt nicht absehen konnten, gute und schlechte. So sehr wie ich die schmerzhaften Ereignisse akzeptieren und loslassen musste, so sollte ich auch solche guten Momente genießen und mich daran erfreuen. Und dies tat ich auch, ganz bewusst.



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Rennschnitzel
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Alter: 33
Beiträge: 1010
Wohnort: Württemberg


Sir Winterblast
Beitrag12.06.2008 20:54

von Rennschnitzel
Antworten mit Zitat

Zitat:
Unter den extremen Stromschwankungen leideten die technischen Geräte.


Litten. Ansonsten toll. Daumen hoch


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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag12.06.2008 21:22

von teccla
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Stimmt, haste recht. Danke!

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