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Teil 13 Auslandsdeutsche und Behördenlauf


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag31.03.2008 00:25
Teil 13 Auslandsdeutsche und Behördenlauf
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Im „Glacier“ war es auch, wo ich Mario und David kennenlernte.
David hatte halblanges Haar und macht keinen sonderlich vertrauenswürdigen Eindruck. Er sagte mir, dass man einen Transiteur braucht, um die Autos aus dem Zoll zu holen. Jan sollte sich nach einem umschauen, aber der Beste sei Tonton, der Onkel seiner Frau.
Ich hatte von David den Eindruck, dass sich seine Geschäfte stark am Rande der Legalität bewegten und dieser erste Eindruck von ihm war nicht der Beste.
Er war mit einer Madagassin verheiratet, hatte wohl früher ein eigenes Hotel und sei bei Tierschmuggel erwischt worden. Er erzählte mir, er hatte alles verloren und nun machte er eben Geschäfte, hatte Ausreiseverbot, weil ein Verfahren seit einigen Jahren gegen ihn lief.

Diese madagassische Familie hatte David voll im Griff, erklärte mir Mario, denn sie haben David geholfen, als er am Ende war und nun kassierten sie bei jedem Geschäft mit ab. „Sobald David Geld hat, hält die Familie die Hand auf. Mach mit ihm keine Geschäfte und gib ihm kein Geld.“ warnte mich Mario.
Mit Mario verband mich Berlin. Er kam aus Kreuzberg. Auch er erzählte mir seine Geschichte.

Mario war mit seiner Frau und seinen Kindern in Afrika mit dem Wohnmobil unterwegs und sie hatten in Afrika mehrere Jahre zugebracht, eines Tages musste es Madagaskar sein. Sie gingen nach Madagaskar und hatten den Traum autark auf dem Land zu leben, Selbstversorger und Bauern zu sein, sie wollten eine Schule bauen für Kinder.
Mario war sehr dünn, hatte die langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und die Hosen und Hemden waren nicht nur kunterbunt, auch etliche Nummern zu groß.
Er erzählte sympathisch und locker und wir lachten über seine Geschichten. Vieles hatte Hand und Fuß, was er sagte und für einiges bekam ich einen neuen Blickwinkel. Er war früher Sozialarbeiter und Sozialpädagoge. Sein Hobby war die Astrologie. Lernte er jemanden kennen, fragte er zuerst nach dem Geburtsdatum. Ein Thema, über das wir immer wieder diskutierten.
Sein Traum bekam in Madagaskar Gegenwind und sein Geld ging zu ende. Seine Frau flog nach Deutschland um zu arbeiten, Geld zu schicken, damit er die Existenz weiter aufbauen konnte. Er sagte, sie blieb immer länger in Deutschland. Bald hatte er den Eindruck, dass sie in Madagaskar nur noch Urlaub machte und ihr Leben in Deutschland lief. Er bemerkte auch, dass sie aus der Wohngemeinschaft ausgezogen sei, in Berlin eine eigene Wohnung hatte und dort wohl nicht allein lebte. Er sagte mr „Als sie dann zurück kam, gab es einen Riesenkrach. Ich stellte sie vor die Wahl: entweder - oder! Sie entschied sich für "oder" und flog zurück. Seitdem bin ich allein mit meiner Wirtschafterin, einer älteren Madagassin.“
Sein Grundstück sei mitten in der Pampa, weit und breit nichts als Natur und ich würde mich wundern, wie ruhig er lebt, wenn ich käme. Ja, er erzählte fast sein ganzes Leben und ich sagte ihm, dass Jan auf mich wartet - in Majunga...

Wenige Tage später kam von Jan die Nachricht, das Schiff sei nun wirklich eingetroffen. Jan nahm mit Tonton Kontakt auf. Die Autos musste man bewachen lassen. Jan durfte selbst nicht in den Hafen, aber Tonton orderte ein paar Leute, die aufpassten.
Nun brauchten wir dringender als zuvor die Unterlagen vom Finanzministerium in Tana für den Zoll in Mahajanga, auf die ich schon so lange wartete.

Diese Tage im Hotel waren so öde und zogen sich dermaßen hin. Ich wartete auf die Papiere für den Zoll, hatte jeden zweiten Tag die Hoffnung, endlich den ersehnten Stempel zu bekommen, um abreisen zu können - in Richtung Majunga.
Ich sehnte mich so sehr nach einem eigenen zu Hause. Abends heimkommen...das wär’s doch! Ich fühlte mich wie in einer Warteschleife. Es passierte nichts und was passierte war zu langsam. Das war wie das Fahren mit angezogener Handbremse. Ich wartete darauf, dass der Knoten platzte und es endlich los ging.

Am Abend im Hotelzimmer war es wie an jedem Abend ruhig, einsam. Langsam erinnerte mich dieser Ort an das Gasthaus im Spessart. Alles ist dunkel, nur die Notbeleuchtung brannte. Im Zimmer war ein trübes Licht. Alles war totenstill. Kein Auto, keine Nachbarn, keine Stimmen von Angestellten oder Gästen. Nur das Knacken der Holzverkleidung, ab und zu das Lachen eines Gekkos. Ich lag wach auf dem Bett und meine Gedanken drehten sich um Erlebtes, um Träume, um Jan.
Immer wieder um Jan.
Im Nachtschrank lag eine kleine Ausgabe der Bibel. Atheistisch erzogen, war ich noch nie mit der Bibel so direkt in Berührung gekommen. Eine Schulfreundin habe ich oft in die Kirche begleitet. Viele Dinge waren mir bekannt, gehörten zum Allgemeinwissen, doch gelesen hatte ich die Bibel noch nicht. Als ich sie in die Hand nahm, dachte ich an die verschiedenen Ausgaben der Bibel, die mein Vater sein eigen nannte. Warum war ich nie auf die Idee gekommen, sie zu lesen?
Die nächsten Abende verbrachte ich nun mit dem Studium der Bibel. Ich las sie nicht nur einmal. Einen Abschnitt nach dem anderen nahm ich mir vor und dachte darüber nach. Fand viele Aussagen und Lektionen, die übertragbar waren und als Lebenshilfe gesehen werden konnten. Gern hätte ich mich mit jemandem darüber ausgetauscht. Doch in war allein, allein mit meinen Gedanken, Erfahrungen, Erkenntnissen und meinem höheren Selbst.
Ich hatte mich früher mit verschiedenen Religionen auseinander gesetzt. Nun fand ich mehr an Weisheit, als ich vermutet hatte. Meine Gedanken wurden zu Gesprächen. Wenn ER mich hierher führte, es zuließ, dass ich hierher kommen durfte, dann würde ER mir auch helfen.
Im Neuen Testament stand geschrieben, du sollst dir die Dinge bestellen. Du sollst bitten, dann wird dir gegeben. Nun, dann wollte ich das auch tun.
Mit Fanja sprach ich über einige meiner Gedanken.
Sie erzählt mir dabei, daß es einen Pfarrer, Papa Pedro, gab. Er hat ca. 20.000 Obdachlose aus der Stadt geholt, ihnen Land gegeben und ermöglicht, ein neues Leben zu führen. Er hatte sie zu sich aufs Land geholt, sie haben Arbeit, Essen, ein Dach über dem Kopf, die Kinder können zur Schule gehen. Diesen zu unterstützen, das würde sich lohnen. Fanja sagte, er hat eine charismatische Ausstrahlung. Ich wollte ihn unbedingt irgendwann kennen lernen.
Ich begann nun täglich zu beten. Meine Gespräche mit IHM gaben mir das Gefühl, nicht allein zu sein, gaben mir Vertrauen und Zuversicht.

Jeden Tag aufs Neue fuhr ich in diese Stadt, die von weitem so schön aussah und langsam zu einer Hassliebe wurde. Immer wieder Termine. Täglich führte mich mein Weg ins Internetcafe.
Ich musste meine Mails abschicken, wenn es denn die Internetverbindung zuließ.
Im Internetcafe platzten mir regelmäßig die Nerven. Meine deutsche Ungeduld und Erwartungshaltung prallten auf die madagassische Gelassenheit.
Das kannst du dir nicht vorstellen, erst wartest du fünf Minuten bis sich eine Seite öffnet, dann wartest du wieder fünf Minuten bis du eingeloggt bist. Dann dauert es weitere zehn Minuten bis deine Mails erscheinen, dann weitere fünf Minuten bis sich eine Mail öffnet. Nach weiteren fünf Minuten öffnet sich die Seite, um antworten zu können. Aber nur wenn du Glück hast, denn zwischendurch war einfach mal die Verbindung weg und du bist offline. Das war besonders prickelnd, wenn du gerade die Mail abschicken willst. Dir geht der Hut hoch. Aber entweder deine Nerven halten durch, oder du kriegst keine Mail abgeschickt. Ich sage dir, das stärkt!
Was ich lernen musste war Geduld und Gelassenheit. Aber der Lernprozess war schwierig. Hier tickten die Uhren etwas anders.
In Deutschland hieß es: Zeit ist Geld. Wenn ich den Spruch interpretiere mit „Vergeudest du deine Zeit, vergeudest du dein Geld.“ So müsste es hier heißen: „Vergeudest du deine Zeit für Geld, vergeudest du dein Leben.“
Um die innere Ruhe zu bewahren, sagte ich mir, okay, es sollte nicht sein, dass ich diese Mail jetzt abschicke. Wenn etwas nicht funktionierte, dann versuchte ich am nächsten Tag noch einmal.
Ich versuchte nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Ich versuchte, mich weniger aufzuregen und daran zu glauben, dass alles seinen Sinn hat.
Auch der Mobilfunk konnte eine Geduldsprobe sein. Jan versuchte mich anzurufen. Ich hörte ihn, er hörte mich nicht. Oder er hörte mich, ich hörte ihn nicht, oder es kam eine nette Stimme, die sagte, "Sorry, wir haben Netzprobleme" Das war aber normal.
Toll! Und alles kostete Geld. In Null Komma Nix waren deine Einheiten verbraucht.
Wenn man endlich den anderen verstand, dann sagte man ganz schnell, was zu sagen war, bevor die Verbindung wieder abbrach. Oder man schickte den Rest noch per SMS hinterher. Doch auch hier war nicht gesagt, dass sie ankam. Stand im Übertragungsbericht "in Arbeit", dann dauerte es entweder wenige Minuten bis ein "übertragen" kam, oder man konnte es abhaken.

Ich probierte eine SMS an meine Freundin in Deutschland zu schicken. Keine Reaktion. War sie nicht angekommen? Eine SMS an Ben wurde von ihm sofort beantwortet. Er konnte meine SMS empfangen und ich die seine. Ich fand heraus, dass es nicht nur vom Mobilfunknetz abhängig war, ob die SMS ihren Empfänger erreichten, sondern auch von anderen, mir unbekannten Faktoren. Nicht jeder Nummernblock eines Netzes war auserwählt mit Madagaskar kommunizieren zu können.
Mich interessierten die Preise für den Versand von SMS nach Deutschland. Mit Fanja suchte ich einen Shop des Mobilfunkanbieters auf. Sie übersetzte meine Frage nach dem Preis.
Der Verkaufsberater schaute mich ungläubig an. Hatte ich etwas falsch gemacht?
War diese Frage ein Fehler?
Fanja diskutierte heftig mit ihm. Immer wieder seltsame Blicke in meine Richtung. Ich wurde unsicher und fragte Fanja, wo das Problem war. Sie sagte mir, er glaube nicht, dass ich SMS nach Deutschland verschickt hätte, das sei technisch nicht möglich.
Aha, wenn es technisch nicht möglich war, dann war es vielleicht auch technisch nicht möglich, diese SMS zu berechnen.
Wir standen im Laden, ich versuchte Fanja zu bewegen, mit mir dieses Geschäft zu verlassen, denn eine weitere Unterhaltung war nicht notwendig.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Wir verabschiedeten uns von dem Verkäufer. Vor dem Geschäft hielt ich ein Ohr zu, um Jan verstehen zu können. Er berichtete mir, er hätte zwei Eckhäuser ausgesucht und sei unterwegs, um herauszufinden, wer der Besitzer ist und ob man diese mieten kann.
Er wollte einen Termin vereinbaren für die Besichtigung und Verhandlung um den Mietpreis. So etwas konnte Wochen dauern, aber ich hoffte, wir würden das schneller bewältigen. Die kommerzielle Mietvertrag für die Firma war die Grundvoraussetzung für die Firmengründung. Die Firmengründung war wiederum die Voraussetzung für die nächste Visaverlängerung.
Und wieder setzte ich mich unter Zeitdruck. Noch hatte ich nicht die Ruhe, abwarten zu können.
Ich hätte den Zoll auch in Tana abwickeln und mit den fertigen Papieren nach Majunga fahren können. In Tana sollte es günstiger sein und einfacher, wurde mir gesagt. Doch es hieß auch, der Zoll Majunga würde diese Art nicht mögen, deshalb würde man mit Schikanen rechnen müssen.
Mit Schikanen muss man immer und überall rechnen. Ich bekam viele Geschichten erzählt.
Von Torsten, von anderen Deutschen, von David und Mario. Alles glaubte ich auch nicht, doch an jeder Geschichte könnte ein Körnchen Wahrheit sein. Ich wurde vorsichtig, versuchte Fehler zu vermeiden, soweit es mir möglich erschien. Warnungen und Ratschläge schlug ich nicht in den Wind, sondern versuchte sie zu beachten und versuche auch meine Erwartungshaltungen und Denkmuster zu korrigieren.

An einem Freitag, ich wartete bei einer Tasse Kaffee auf Fanja, erzählte mir ein Deutscher
„Das ist hier so üblich. Jeder kleine Beamte hat Vollmachten und erlaubt sich Dinge. Haben sie keine Lust deine Akte zu suchen, sagen sie, sie brauchen alle Unterlagen noch einmal, oder sie schicken dich noch hier hin und dorthin. Wenn du jemanden fragst, sagt er dir, 'so etwas braucht man gar nicht, geh wieder hin und sage das'. Oder sie wissen nicht Bescheid, was sie mit dir machen sollen, dann heißt es erstmal 'komm morgen wieder' ...'ach das ist noch nicht bearbeitet, komme übermorgen wieder.' Du sitzt manchmal wegen einem Stempel die ganze Woche auf irgendeinem Amt rum.“ Er ließ anscheinend seinem Frust freien Lauf.
“Ja,“ sagte ich und dachte an die Unterlagen für den Zoll. „ein Hoch der deutschen Bürokratie!“
“Das Witzige ist aber,“ plauderte er weiter „als 'vazaha' (Ausländer) gehst du einfach rein, du wartest nicht, wie die Einheimischen. Sie trauen sich nicht, vor dir rein zu gehen. Sie lassen dich vor und schauen dich ehrfurchtsvoll an.“
“Rassismus verkehrt.“ sagte ich Kopf schüttelnd. Die Unterhaltung wurde abrupt unterbrochen. Das Handy klingelte. Jan rief an.
“Ich habe ein Haus in Aussicht,“ sagte er aufgeregt, „aber es sieht innen katastrophal aus. Man müsste viel Geld rein stecken, Wände raus reißen usw., damit etwas Wohnliches draus wird.“ “Oje, das kann ja 'ne Hütte sein...“
“Nein, so schlimm ist es nicht. Zum Mieten gibt es nur Häuser von Moslemen. Das heißt, die Häuser müssen koscher bleiben, also kein Ausschank von Alkohol, keine laute Musik usw. geeignet bestenfalls für 'ne Teestube. Die Aussichten für eine Musikbar mit Internetcafe sind also nicht besonders gut.“
Das hört sich nicht gut an.
“Jan, ich hatte dir geschrieben, dass ich dringend eine Kopie der Fahrzeugpapiere brauche. Du wolltest sie faxen. Hast du es versucht?“
“Ich wollte sie auch faxen. Ich stand mit Rondro, der Deutschlehrerin, in der Post und versuchte den Beamten dort klar zu machen, dass ich ins Internet faxen will, auf einen deutschen Server, damit du es als Mail bekommst und ausdrucken kannst.“ Das begriffen sie nicht, stritten herum, wegen dem Tarif. Der wurde nach Land berechnet. Sie wunderten sich, was das für eine Vorwahl sei und diskutierten mit Jan, diese Vorwahl sei nicht Deutschland, die gäbe es nicht. Er gab dann irgendwann auf.
„Ich schicke die Kopien per Kurier an Torsten. Die Adresse habe ich ja.“
Wenige Tage später übergab mir Torsten die Papiere. Wunderbar! Endlich hatte ich alle Unterlagen zusammen.
Wieder einmal ging ich mit Fanja zum Finanzministerium, direkt zu dem Beamten, bei dem wir das Dossier abgegeben hatten. Der Mann meinte, wir müssten auf den Transporter 118 % Zoll bezahlen, weil dieser noch nicht lange genug in unserem Besitz war. Ich machte einen Riesenaufstand. Er zeigte mir Gesetze und wollte nun auch noch den Opel mit Zoll belasten.
Fanja versuchte mich zu beruhigen, während ich ihm erklären wollte, dass ich von der madagassischen Botschaft andere Auskünfte bekommen hatte. Doch es interessierte ihn nicht. Er schaute mich nicht an. Ich wertete dieses Verhalten als Ignoranz. Es machte mich wütend.
Erst ein Jahr später erfuhr ich, dass dieses Verhalten von Respekt zeugte. Ein Schüler schaut dem Lehrer nicht in die Augen, er sieht an ihm vorbei. Damit zeigt er seinen Respekt.
Da stand ich nun mit meinem deutschen Verständnis der Dinge und regte mich auf. Ich schimpfte auf deutsch, dass einerseits der madagassische Präsident nach Deutschland kommt, um Investoren zu werben und einem andererseits Schwierigkeiten bereitet werden, die ihres gleichen suchen. Die drei Beamten in diesem Büro verstanden mich nicht. Sie sahen einander an und lachten. Ich war wütend und hilflos.
Ein junger Mann, der unserem Gesprächspartner direkt gegenüber saß, verstand mich jedoch. Er gab Fanja ein Zeichen.
Wir verließen das Büro. Er leitete uns durch das Haus zu einem anderen Büro. Er stellte uns einem Beamten vor, der der Chef sein sollte. Dieser wollte nun alle Unterlagen dort behalten einschließlich meines Reisepasses. Ich sagte „Nein, ich lasse meinen Pass nicht hier.“
Er schickte uns wieder in ein anderes Büro, auch hier die Entscheidung, dass ALLE Unterlagen dort bleiben sollten.
Als Ausländer war ich jedoch verpflichtet, meinen Pass immer bei mir zu haben, sonst käme ich schnell mal für drei Tage in Haft. So etwas war schon einigen Ausländern passiert.
Also wieder Protest von mir.
Lautes Diskutieren.
Fanja, offensichtlich ratlos, redete auf mich ein. Ich blieb stur und griff dann einfach nach den Unterlagen und meinem Reisepass. Ich steckte alles ein und begründete es
„Am Wochenende ist sowieso keiner hier. Keiner arbeitet am Samstag oder Sonntag. Jetzt ist Freitagnachmittag. Der Chef, der es bearbeiten und abstempeln soll, ist schon im Wochenende, also reicht es, wenn ich die Unterlagen Montag früh wieder abgebe. Und dann bekommen sie auch den Reisepass wieder von mir.“
“Aber das geht nicht Angela. Das ist nicht üblich!“
“Nein, Fanja, nicht mit mir! Ich bin allein in Tana und kann die Sprache nicht. Komme ich in eine Kontrolle ohne Papiere, ist keiner da, der weiß, wo ich bin oder der mich suchen würde. Bis da einer merkt, dass ich in Haft bin, weil ich ohne Papiere gelaufen bin. Nein, mache ich nicht. Das Risiko gehe ich nicht ein.“
Unter den verblüfften Blicken steckte ich meine Unterlagen kurzer Hand in die Tasche. Dann setzte eine heftige madagassische lautstarke Diskussion ein.
Fanja war fix und fertig und sehr wütend auf mich, weil ich so frech gehandelt hatte. Die Beamten haben ihr große Vorwürfe gemacht. Mir war das egal. Es waren schließlich madagassische Gesetze, an die ich mich hielt.

Wenn mir die Nerven platzten in einer der Amtsstuben, dann nutzte das gar nichts. Man schaute mich verwundert an und verstand diese Reaktion nicht. Manche lachten amüsiert. Andere schüttelten den Kopf. Aber es brachte rein gar nichts. Es konnte sogar passieren, dass man dich noch etwas länger warten ließ.
Die deutsche Genauigkeit und Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit von Terminangaben und die deutsche Ungeduld mussten wir hier ablegen. Mit dieser Erwartungshaltung und Einstellung kam ich nicht weiter, ich zerrieb nur meine Nerven. Also lieber Zähne knirrschend lächeln und abwarten.
Alles eine Sache der Geduld und die hatte ich nun gar nicht. Vielleicht war das die Lektion, die ich lernen sollte.
Fatal war die deutsche Einstellung, dass auf die Frage, wann etwas abgeholt werden kann, eine klare konkrete Antwort erwartet wurde.
In Madagaskar war man zu höflich, um zu sagen, dass es länger dauert. So wurde man alle zwei Tage auf ein Neues vertröstet. Man gab lieber falsche Auskünfte, als zugeben zu müssen, es nicht zu wissen, eine Absage zu erteilen oder gar eine negative Auskunft. Man wollte nicht das Gesicht verlieren. Ich habe gehört, in asiatischen Ländern sei es ähnlich.

An diesem Freitagnachmittag, nach dieser Aufregung lud ich Fanja ein, auf ein kaltes Getränk, um das erhitzte Gemüt abzukühlen. Man sah sehr selten einen Madagassen wütend oder derart emotional. Alles war nicht ihre Schuld und ich wollte ihre Stimmung wieder aufheitern. Wir plauderten, worüber Frauen sich so austauschen...Thema Nummer Eins: die Männer.
Wir stellten fest, dass die verheirateten Männer in Madagaskar auf die gleiche Art und Weise den Kontakt knüpften wie in Deutschland auch: „Meine Frau versteht mich nicht“. Wir lachten bei dieser Feststellung herzlich. Fanja sagte: „Die Frauen sind hier schlimm dran, wenn sie heiraten. Die Männer gehen fremd, sind ja Männer...Frauen dürfen das nicht, sind ja Frauen. Auch Scheidung ist eine Schande. Eine Scheidung als Frau ruiniert dich beruflich und gesellschaftlich.“
“Weißt du,“ sagte sie eindringlich „die Frauen schlucken die Untreue aus Liebe. Sie haben auch Angst vor einem Leben ohne Mann, denn ein Mann im Haus bedeutet: versorgt sein.“
Ich sagte ihr „Mein Jan würde mich nie betrügen.“



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Gabi
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Beitrag31.03.2008 16:19

von Gabi
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Du erzählst toll, Angela. Zu keiner Zeit langweilig und immer möchte ich wissen wie es weitergeht. Daumen hoch

L.G.
Gabi


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teccla
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Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag31.03.2008 18:06

von teccla
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke, das ist ein schönes Kompliment!

Viele Grüsse
angela


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