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Dieses Werk wurde für den kleinen Literaten nominiert Nikator


 
 
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Felix
Geschlecht:männlichEselsohr
F

Alter: 36
Beiträge: 338



F
Beitrag30.01.2010 00:03
Nikator
von Felix
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es hat gedauert, aber jetzt gibts auch mal wieder einen Text von mir. Ich hab lange mit mir gehadert, ob ich ihn in dieser Form überhaupt reinstellen soll. Manchmal drücken wesentlich weniger Worte mehr aus, aber ich habe mich jetzt doch erstmal für die längere Version entschieden. Aber jetzt erstmal zur Geschichte wink

Nikator

„Also ist es endlich entschieden?“
„Es hat den Anschein. Aber gräme dich nicht, Lysimachos, alter Freund. Wenn die Götter wollen, werde ich euch bald folgen.“
„Gut...gut, es wird Zeit, dass die Hetaíren wieder zusammen reiten. Über vierzig Jahre ...“
„Entrichte den anderen meinen Gruß. Eine letzte Reise muss ich noch unternehmen, bevor ich zu euch stoße.“
„Ich weiß. Die Reise muss da enden, wo sie begonnen hat, was? Bevor du sie antrittst, habe ich noch eine Bitte Seleukos.“
„Was?“
„Gib mir die Münzen. Der verdammte Fährmann will bezahlt werden.“

* * *

Er wusste bereits, dass der Wein vergiftet war, als er den Rand des goldenen Kelchs an die Lippen setzte. Auf der anderen Seite des wertvollen Tisches aus glänzendem Kirschbaumholz saß Ptolemaios, genannt Keraunos - der Blitz, und prostete ihm mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen zu.
„Auf deinen Sieg, Seleukos...Nikator.“
Hinter dem letzten Wort hatte sich ein Spott verborgen, der Seleukos nicht entgangen war. Früher, vor Jahren, hätte er dem anmaßenden Jüngling den Stahl seines Schwertes in die Eingeweide gerammt, aber früher hätte er wohl auch kaum den schweren roten und überaus giftigen Wein an die Lippen gesetzt. Jetzt leerte er den Kelch in einem Zug – eine alte Angewohnheit, die er nach Jahrzehnten des harten Lagerlebens nicht mehr loswerden konnte. Als auch der letzte Tropfen seine Kehle herunter geronnen war, leckte er sich über die Lippen, die vom Wind der asiatischen Weiten spröde und rissig geworden waren. Seleukos Lächeln war müde, auch wenn seine Gedanken noch scharf waren.

„Ich danke dir, Ptolemaios. Sieger über Sieger...ein gebührender Titel, findest du nicht?“
„In der Tat, Großkönig“, wieder war da dieser Hohn, „ein gebührender Titel für den wahren Erben Alexanders.“
Einen Scheiß gebe ich auf deine Zustimmung, dachte Seleukos im Stillen. Nach Außen trug sein Gesicht die Maske eines alten Mannes, dessen Verstand von der Zeit vernebelt worden war.
„Und dennoch glaube ich, dass mir die Götter nicht mehr viel Zeit lassen werden, um meinen Sieg auszukosten. Das Schicksal wollte es, dass ich ein Leben lang kämpfen musste...das fordert seinen Tribut.“
Ptolemaios spitze Nase blähte sich, als er ein leises Schnauben von sich gab.
„Die wahrlich großen Krieger sterben nicht. Ist Alexander etwa wirklich gestorben, damals in Babylon? In uns allen lebt er weiter...in dir lebt er weiter, Sieger. Also musst du auch weiter leben.“ Sein junger Gastgeber nahm einen dezenten Schluck seines eigenen Weines und deutete mit eine fragenden Geste auf Seleukos geleerten Kelch. Als der alte Mann den Kopf schüttelte zuckte Ptolemaios lediglich die Schultern und umfasste mit einer Bewegung seiner vor Schmuck glänzenden Hände den gesamten Palastgarten, Makedonien und die Welt.

„Perdikkas, Antipatros, Antigonos, meinen Vater Ptolemaios...du warst der hungrigste Wolf im jungen Rudel. Und nun auch noch der Triumph über Lysimachos, deinen letzten Rivalen. Wie ein Löwe hast du gekämpft auf dem Schlachtfeld, erzählen sich deine Soldaten. Und das mit einundachtzig Jahren.“ Keraunos deutete mit dem Goldkelch und einem beinahe feminin schlanken Finger auf seinen Gegenüber. „Ein Gott wie du wird ewig leben.“
Das leichte Stechen, das sich bereits jetzt in Seleukos Eingeweiden breit machte, strafte Ptolemaios' Worte Lügen. Der letzte der Gefährten Alexanders hatte genug von dem Geschwafel über Siege, Triumphe und Unsterblichkeit, ebenso wie von diesem anmaßenden Jüngling. Zu viele dieser triefenden, leeren Worthülsen waren in den letzten vierzig Jahren gefallen. Auch durch ihn.
Für wie verwirrt hält er meinen Geist?, schoss es ihm grimmig durch den Kopf und automatisch schloss sich seine rechte Hand mit überraschender Kraft um den Kelch. Sein junger Gastgeber schien nicht zu verstehen, dass Seleukos ihm ebenso gut hier und jetzt die Eingeweide aus dem Leib reißen konnte. Die jüngeren Generationen waren zu einem Haufen verweichlichter Intriganten verkommen, die ihre Ziele nur noch mit giftigen Worten und ebenso giftigen Substanzen erreichen konnten. Armes Makedonien.  
Der alte Mann seufzte leise und fuhr sich mit der anderen Hand durch das schüttere Haar, das längst nicht mehr in langen Wellen auf seine Schultern fiel. Keine weiteren Toten mehr.

„Wenn du entschuldigst, Ptolemaios. Die Reise hierher hat mich ermüdet. Wenn es dir nichts ausmacht würde ich gerne im Schatten der Bäume einen kleinen Mittagsschlaf machen.“
Sein Gastgeber nickte wohlwollend und konnte einen hoffnungsvollen Blick auf Seleukos' leeren Kelch nicht verhindern.
„Natürlich, Nikator. Es war ein langer Weg von Kurupedion hierher.“ Ptolemaios' seidene Gewänder raschelten leise, als er sich von seinen Stuhl erhob und einem Sklaven bedeutete Karaffe und Kelche vom Tisch zu entfernen. „Ruhe dich ein wenig aus. Ich werde den Dienern sagen, dass sie deine Gemächer herrichten sollen.“
Seleukos nickte dankbar und erhob sich ebenfalls, um Keraunos' Handgelenk zu umfassen. Bewusst schloss sich sein Griff wie der einer Schraubzwinge.
„Ich danke dir, Freund. Nach diesem erlesenen Wein werde ich sicher gut schlafen können.“

Für einen Moment hatte sich Ptolemaios' Gesicht ob der Kraft des Alten in Überraschung verzogen. Schnell kehrte jedoch die Maske des jovialen Gastgebers zurück und er versuchte seinerseits den Druck zu erwidern.
„Davon gehe ich aus, Gastfreund. Willkommen zurück in Makedonien.“
Seleukos lächelte matt und beobachtete Keraunos, während dieser bereits mit wehenden Gewändern in das Innere seines Palastes eilte. Als er endlich allein im weitläufigen Garten war, wurde seine Miene finster.
„Ptolemaios, alter Knabe, wie konntest du nur zulassen, dass deine Eurydike solch ein Balg in die Welt scheißt? Als ob Makedonien nicht schon genug Probleme hätte.“
Leise fluchend schlurfte der Herrscher der Seleukiden zu einer ausladenden Eiche herüber, die ihre Wipfel in einer Ecke des ummauerten Gartens ausstreckte. Bereits kurz nach der Ankunft hatte er seine Rüstung gegen bequemere Palastkleidung getauscht, doch noch immer schien das Gewicht von Leder und Stahl auf seinen morschen Knochen zu ruhen. Vielleicht waren es aber auch nur die Auswirkungen des Giftes, das schon bald seine Wirkung erzielen würde. Seleukos merkte, wie seine Beine schwächer, sein Blick trüber wurde.

Dankbar lehnte er sich an den Stamm der Eiche und ließ sich langsam an ihm zu Boden sinken. Mit einem Ächzen streckte er die Beine von sich, ohne darauf zu achten, ob seine Gewänder durch Flecken besudelt wurden. Als er hinauf sah in das Blattwerk des alten Baumes, durch das die grelle Sonne in schmalen Streifen fiel, und seine Finger in die Erde seiner Heimat griffen, fühlte er zum ersten Mal seit seiner Kindheit Frieden.
Eine lange Reise ging hier zu Ende. Eine Reise, die ihn vor über sechzig Jahren an den Hof Philipps geführt hatte, auf die er gemeinsam mit dessen Sohn Alexander bis an das Ende der Welt gegangen war, die ihm den Thron eines gewaltigen Reiches eingebracht hatte und deren Straße mit unzähligen Leichen gepflastert worden war.

Der gealterte Gott seufzte leise und ließ die grobkörnige Erde wie den Sand in einer Uhr durch seine Finger rieseln. Als nur noch ein paar Klumpen in seiner Handfläche verblieben waren, ballte er die Hand zur Faust und ließ den Zeitstrom versiegen.
„Nikator...einsamer Sieger über Sieger, bei Tyche.“
Seleukos merkte, wie ihm die Sinne zu schwinden begannen. Keraunos' Gift entfaltete seine ganze Wirkung. Mit einer fahrigen Bewegung fischte er zwei Münzen aus einem Beutel an seinem Gürtel und hielt sie ins Licht. In dem polierten Silber strahlte ihm ein jüngeres Selbst entgegen, aus dessen wilder Haarmähne die Widderhörner des Zeus-Ammon hervor stachen. Das Gesicht kantig und makellos; die Augen blickten in die Ferne, neuen Kämpfen und Siegen entgegen.

Der alte Mann schnaubte verächtlich und schüttelte die restlichen Erdbrocken aus seiner Handfläche. Als er einen Diener erblickte, der im Schatten der Kolonnade am Rand des Gartens entlang huschte, rief er ihn mit einem Winken zu sich. Der Angesprochene zögerte zunächst, schien er doch zu wissen, um wen es sich bei dem Greis unter dem Baum handelte. Unsicher verharrte er auf der Stelle und blickte zwischen Garten und Säulengang hin und her.
„Komm her verdammter Mistkerl, oder ich lasse dich auspeitschen bis du Blut flennst!“, donnerte Seleukos und mobilisierte ein letztes Mal alle Kräfte seiner schwächer werdenden Stimme. Mit einem Kichern nahm er zur Kenntnis, dass die Sprache des Militärlagers noch immer seine Wirkung zeigte. Mit geducktem Kopf eilte der Diener zu ihm herüber und berührte bei der anschließenden Verbeugung beinahe den Boden mit seiner Stirn.
„Herr?“
„Willst du einen Gott sterben sehen, Junge?“
Der Diener blinzelte verständnislos und wusste nichts zu erwidern. Seleukos lachte rau und drückte ihm die beiden Münzen in die Hände.
„Das Fährgeld. Du weißt was du zu tun hast...und verdammt will ich sein, wenn du nur daran denkst, es für dich zu behalten.“
Mit einem letzten warnenden Blick schloss er die Augen und verschränkte die Arme über der Brust. Während er langsam in eine andere Welt herüber driftete spürte er noch immer die Präsenz des Dieners, der gehorsam darauf wartete, dass der Sterbende aufhörte zu atmen. Seleukos grunzte zufrieden und genoss ein letztes Mal die warmen Strahlen der Sommersonne auf seiner Haut. Sie würden da sein und warten; sie alle. Wahre Größe – der Styx war nur ein weiterer Weg, es gab noch viele Welten zu erobern.



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Alogius
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Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag30.01.2010 12:20

von Alogius
Antworten mit Zitat

Moin,

mit großer Freude hab ich Deinen Text gelesen, muss ich sagen. Die Diadochen bzw. Epigonen Alexanders als Vorlage für eine den Legenden, der Historie und Mythen entsprechende und doch sich entfernende Geschichte zu nehmen, ist eine gute Idee. Eine Mammutidee, möchte man meinen, die Du aber äußerst gut umgesetzt hast.

Sprachlich finde ich insgesamt zu einer (fast) Bestwertung:
Die Dialoge sind glaubwürdig, wirken nicht gestelzt, sondern erfrischend und angemessen. Dieser Stil erinnert an die derben und epischen Dialoge eines G. R. R. Martin, der es geschafft hat, Anleihen aus irdischer Hsitorie in einen neuen und eigenen Kontext zu fügen. Ich will Dich nicht vergleichen (und damit unter Druck setzen^^), doch der Text erinnert in den Dialogen eben daran, kann ich ja nichts für - Deine Schuld und gut so. wink
Auch die Beschreibungen, die einleitenden Sätze, der Mittelteil und das geniale Ende treffen zielgenau.
Die vielen Namen könnten einen Leser ohne Vorwissen irritieren, aber mit Denkarbeit und eventueller Kurzrecherche ist das bei interessierten Lesern sicher kein Problem.

Bis auf ein paar Kleinigkeiten sehr gelungen.

Gern gelesen,

Tom


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Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt.
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Felix
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Alter: 36
Beiträge: 338



F
Beitrag30.01.2010 20:18

von Felix
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Moin Tom,

und danke für deine überaus positive Kritik, das lindert meine Zweifel an der Geschichte doch ein wenig wink
In der Tat sind die Diadochen und Epigonen ein verdammt interessantes Thema, das bisher viel zu wenig behandelt wurde. Aber wie du schon gesagt hast: Das ganze könnte einen wirklich schwer zu bewältigenden Umfang annehmen. Trotzdem wollte ich mich mal ran trauen, denn die Idee wie es Seleukos am Ende ergangen sein könnte war einfach zu verlockend.

Mit dem sprachlichen Lob hast du mich jetzt tatsächlich unter Druck gesetzt wink Ich muss zugeben, dass ich Martins Art Dialoge zu schreiben im Hinterkopf hatte (sie passt hier einfach am besten). Aber dass ich es dann auch so gut treffe...puh, gut zu wissen.

Und was die vielen Namen angeht: Ja, ohne Vorkenntnisse ist es wirklich etwas unübersichtlich. Aber ich hoffe ja auch, dass die Geschichte Interesse weckt und zu weiterer Recherche anregt. Wenn das klappt is alles paletti.

Ich bedanke mich für neun Federn wink

Felix


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F.S. Fitzgerald
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