Erna kommt
»Erna kommt!« rief Elfriede und schwenkte einen rosafarbigen Briefumschlag, beklebt mit Marienkäfer und Vergissmeinnicht Bildern.
»Die hat mir noch gefehlt«, murrte Ostfried, er mochte die Vierundachzigjährige nicht sonderlich. Erna war ihm zu eitel, wenn man sie nach dem Alter fragte, log sie sich um einige Jahre jünger. Ihr Gesicht umrahmte weißes, Glasfaser dünnes Haar. Sie aß gut und viel, vorwiegend beim Italiener und sie verschmähte auch nicht den Rotwein. Ihr Schlafzimmer ähnelte einer Künstlergarderobe, und aus dem Badezimmer quollen süße Parfüm-Wolken. Sie besuchte regelmäßig eine private Fußpflege, genehmigte sich Ganzkörpermassagen, gönnte sich wöchentlich eine Dauerwelle und stillte ihr Rheuma leiden mit Pferdesalbe. Gesichtsfalten, sie besaß unzählige, tilgte sie mit Antifaltencreme. Eine üppige Witwenrente erlaubte es ihr, sich modern zu kleiden. Nur auf Schuhe mit Pfennig-Absätzen musste sie wegen ihrer künstlichen Hüftgelenke verzichten.
Erna war dem irdischen Leben zugewandt. Sie trug Sport-Büstenhalter und spielte an heißen Tagen mit dem Gedanken, sich Tanga-Höschen zuzulegen.
Sie reiste schon wenige Tage nach ihrem Brief an.
Ostfried durfte drei Koffer, gefüllt mit Blusen, Röcken, Kleidern und Kosmetikartikeln, vom Bahnhof abholen.
»Die kommt mir nicht ins Haus«, hatte er noch vor Ankunft des Zuges gewettert, aber für die Gastlichkeit war Elfriede zuständig, und die entschied:
»Erna kommt, Erna bleibt!«
Daraufhin hatte Ostfried seine Kreislauftropfen verlangt, dann aber zur Bierflasche gegriffen.
Erna schien ihre neue Besuchsadresse in der Presse veröffentlicht zu haben, die Post schleppte stapelweise Versandhauskataloge und Werbeprospekte ins Haus.
»Wenn das so weiter geht, können wir einen Buchladen aufmachen«, schimpfte Ostfried.
»Es hat aber auch sein Gutes«, beschwichtigte Elfriede. Erna war großzügig, spendierte schon mal einen Fünfziger oder ein Glas Pferdesalbe und Ostfried bekam einen Satz neuer Angelhaken.
So vergingen die Tage. Während Ostfried, betäubt vom Duft der Kamille und dem Lavendel, im Sessel schlummerte, empfing Erna die Vertreter für Accessoires, Dessous, Modeschmuck und Modejournale.
Eines Morgens, Ostfried schmierte sich gerade hausgemachte Quitten-Marmelade aufs Brötchen, klingelte es wieder an der Haustür.
»Wir geben nichts, wir nehmen nichts«, schrie Ostfried.
Aber Elfriede hatte der Blonden mit dem schwarzen Vertreterkoffer bereits geöffnet und Tante Erna rief aus ihrem Zimmer: »Nur immer herein!«
»Jetzt ist endgültig Schluss!« schrie Ostfried und rannte, das mit Quitten-Marmelade beschmierte Küchenmesser im Anschlag, über den Flur.
Als er Ernas Stubentür öffnete, wurde er Zeuge eines ungeheuerlichen Vorganges.
Die Blonde öffnete einen schwarzen Koffer, entnahm ihm ein dünnes, rosiges Damast-Hemdchen mit Spitzenkragen und aufgestickter Rosen.
Sie hielt es Tante Erna triumphierend unter die Nase. »Von QVC, modisch schick, kuschelig weich und garantiert knitterfrei, für nur 140 Euro. Selbstverständlich können sie auch in Raten bezahlen, oder besser noch, mit Vorkasse...«
Dann überreichte sie Erna ihre Visitenkarte.
Erna las und wurde totenbleich, stöhnend fiel sie in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
Das Kärtchen flog Ostfried vor die Füße, er hob es auf und las: »Modische Textilien für die letzte Ruhe« - Beerdigungsinstitut Brigitte Heimgang.