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Brieftreue


 
 
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Retlaw
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 86
Beiträge: 45
Wohnort: Land Brandenburg


Beitrag07.12.2023 15:51
Brieftreue
von Retlaw
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Brieftreue
Robert und Juliane gingen, kaum dass sie volljährig waren, ihre eigenen Wege. Als sich ihre Wege zufällig kreuzten, war es, wenn nicht Liebe auf den ersten, so auf den zweiten oder dritten Blick.
Also heirateten sie und die Liebe wuchs mit jedem Tag, den sie zusammen waren.
Dann kam die Zeit, da er wegen einer beruflichen Weiterbildung in eine andere Stadt musste. Weinend bat sie ihn, mindestens einmal in vierzehn Tagen zu schreiben. Robert versprach es und umarmte seine Juliane. Sie winkte noch, als der Zug längst nicht mehr zu sehen war.
In den kommenden Tagen wartete sie mit Ungeduld auf seinen ersten Brief.
»Was für mich dabei?« rief sie dem Briefträger hinter dem  Gartentor mit gespielter Gleichgültigkeit zu.
»Mal sehen«, sagte der junge Mann freundlich und sortierte in seiner Umhängetasche. Er suchte lange nach dem, was er längst zwischen den Fingern hielt.
Juliane sah ihm, der kaum älter als sie sein mochte, aufmerksam zu, endlich zog er den ersehnten Brief ans Licht.
»Hier!« triumphierte er, hob ruckartig den Kopf, dass seine Mütze nach hinten rutschte und braunes, lockiges Haar sichtbar wurde.
»Ein gewichtiges Papier, mindestens drei Seiten«, sagte er und lachte.
Sie riss ihm den Brief aus der Hand und dankte flüchtig. Dazu seufzte sie erleichtert und sah ihn mit einem Lächeln an, das ihn verlegen machte. Dann verschwand sie im Hausflur.
     Robert schrieb, es ginge voran, er hätte sich gut eingelebt. Auch, dass sie ihm fehle und er sie über alles liebe.
    Darauf schrieb sie ihm jede Woche und regelmäßig kam die Antwort. Sie freute sich auf den Briefträger, den sie vor der Haustür erwartete, weil das Briefkastenschloss am Gartentor dahinrostete, sich nicht mehr öffnen ließ.
  Der Briefträger nahm den mehr Weg gern in Kauf, denn immer fand sich Zeit für ein Schwätzchen. Sie redeten über die scheußlichen Wege, über ihren zu verwildern beginnenden Garten, über ein längst notwendiges Postauto und derlei Dinge mehr.
   Es vergingen Monate und die kälteren Tage häuften sich. An einem dieser  Tage, als der Briefträger, heftig auf die Kälte schimpfend, ihr mit klammen Fingern den Brief überreichte, sagte sie: »O, sie sind aber durchgefroren!«
Sie ergriff seine Hände und rieb die geröteten Finger. »Kommen sie ins Haus, ich mach einen Kaffee, oder besser, einen zünftigen Grog, der wird gut tun.«
Der Briefträger nahm seine Dienstmütze ab, kratzte sich am Hinterkopf, blickte abwechselnd auf ihr enges Samtkleid und in ihr hübsches Gesicht.
   »Lieb von ihnen, aber eigentlich...«
   »Na, ein viertel Stündchen wird ihren Dienstplan nicht  durcheinander bringen.«
   »Also gut, eine Fünfzehn zum warm machen.«  
Er stellte seine Tasche im Hausflur ab und hing die Mütze auf den Garderobenhaken.
Sie bat ihn, im Wohnzimmer Platz zu nehmen, füllte die Gläser mit heißem Wasser, goss einen übergroßen Schluck Rum dazu und setzte sich neben ihn.
Das heiße Getränk wärmte, also zog er seine Jacke aus, hängte sie mit Sorgfalt über die Stuhllehne.
Sie redeten lange miteinander, aus der viertel Stunde wurde eine ganze, und als er aufbrach, war seine Schüchternheit verflogen.
   »Die verlorene Zeit hole ich mit Leichtigkeit auf«, rief er ihr zu und radelte, einen Schlager vor sich hin trällernd, mit seinem gelben Fahrrad davon.
Juliane winkte noch, als er längst nicht mehr zu sehen war. Roberts Brief lag auf dem Küchentisch, sie würde ihn später lesen.
Juliane schrieb nun täglich eine Karte an Robert. Kurze Grüße, die Frage »wie geht’s« und dazu Neuigkeiten aus dem Dorf und dass er sich keine Sorgen machen müsse, ihr ginge es gut.
Auch Robert schickte täglich liebe Grüße aus der fremden Stadt und Juliane wartete mit immer größerer Ungeduld auf den Briefträger. Sie lud ihn täglich ins gute Zimmer, machte ihm Grog an kalten und Kaffee an warmen Tagen und manchmal hielt sie einen Schnaps bereit.

An einem sonnigen Frühlingsmorgen klingelte es an der Haustür. Es war ein Sonntag und Juliane war es gewohnt, an solch einem Tag länger im Bett zu bleiben. Es dauerte also ein Weilchen, ehe sie ihren nackten Körper mit einem Morgenmantel verhüllt hatte.
Sie öffnete, - draußen stand Robert.
Sie wusste in diesem Augenblick nicht, was sie sagen sollte, sah ihn nur an, als erwartete sie eine  Erklärung, warum er heute schon und ohne Vorankündigung gekommen war..
Auch Robert schwieg, machte zögerlich eine Bewegung, als wollte er sie in die Arme nehmen.
Da rief eine fröhliche Stimme aus dem Hintergrund:  »Julchen, wer ist denn da?«
Die Stimme kam aus dem Schlafzimmer, dessen Tür weit offen stand.
Robert sah deutlich die Briefträgeruniform, die ordentlich gefaltet über der Stuhllehne hing.
Robert lächelte, drehte sich um, zog ein Mädchen, das sich bislang Abseits gehalten hatte, vor die Tür und sagte trotzig und erleichtert zugleich:
   »Das ist Christel, die mir deine Post zugestellt hat.«

Ein viertel Jahr später waren Robert und Juliane geschieden. In gegenseitigem Einvernehmen, wie es hieß.

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Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1244
Wohnort: An der Elbe


Beitrag07.12.2023 17:35

von Arminius
Antworten mit Zitat

Schöne Geschichte. Schon im ersten Drittel ahnt man, wohin die Reise gehen wird. Das wohlgefällige Ende erinnert mich an das Ohnsorg-Theater, das meine Mutter gerne geschaut hat.
Apropos: unser Briefträger auf dem Dorf war am Schluss seiner Tour manchmal auch nicht mehr ganz nüchtern.

P.S. ja, ja - die alten Zeiten sind heute angekommen smile extra


_________________
A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
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abentroth
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 257



Beitrag07.12.2023 18:07
Re: Brieftreue
von abentroth
Antworten mit Zitat

Retlaw hat Folgendes geschrieben:
Ein viertel Jahr später waren Robert und Juliane geschieden.

Wenn der Postmann zweimal klingelt, kann das dabei herauskommen wink

Gerne gelesen!

Gruß,
abentroth


PS - Anmerkungen, Korrekturvorschläge

Retlaw hat Folgendes geschrieben:
Robert und Juliane gingen, kaum dass sie volljährig waren, ihre eigenen Wege. Als sich ihre Wege zufällig kreuzten, (...)

Das klingt, als wären sie bis zur Volljährigkeit den Weg (zumindest teilweise - Schule vielleicht?) gemeinsam gegangen. Daher würde ich entweder im zweiten Satz "Als sich ihre Wege wieder zufällig kreuzten, (...)" schreiben. Oder den ersten ganz weglassen und direkt einsteigen mit "Als sich die Wege von Robert und Juliane zufällig kreuzten, war es, wenn nicht Liebe auf den ersten, so (doch) auf den zweiten oder dritten Blick."

Retlaw hat Folgendes geschrieben:
»Na, ein viertel Stündchen wird ihren Dienstplan nicht  durcheinander bringen.«
   »Also gut, eine Fünfzehn zum warm machen.«  

Viertelstündchen. Mit seiner Antwort sind wohl 15 Minuten gemeint? Klingt jedenfalls merkwürdig. Vielleicht "Also gut, um warm zu werden / mich aufzuwärmen."?

Retlaw hat Folgendes geschrieben:
Sie lud ihn täglich ins gute Zimmer (...)

"Gute Stube" kenne ich als Begriff. Gutes Zimmer klingt, als gäbe es nur eins, dass gut (genug für Gäste) ist.

Bzgl. der Dauer ("Es vergingen Monate ..."): Das ist aber eine ungewöhnlich lange berufliche Weiterbildung.



  
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AdaGro
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
A


Beiträge: 71
Wohnort: unbekannt verzogen


A
Beitrag08.12.2023 09:11

von AdaGro
Antworten mit Zitat

Ich würde nicht so viele Kommas benutzen, sondern aus einem langen Satz zwei oder drei kürzere machen.
Ein Text sollte wie eine Melodie sein, kurze und lange Sätze sich
abwechseln.
So hatte man mir es erklärt. Lese den Text laut, dann hörst Du den Unterschied.
LG AdaGro
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Retlaw
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 86
Beiträge: 45
Wohnort: Land Brandenburg


Beitrag16.12.2023 14:32
Brieftreue
von Retlaw
pdf-Datei Antworten mit Zitat

AdaGro hat Folgendes geschrieben:
Die Stimme kam aus dem Schlafzimmer, dessen Tür weit offen stand.

An der Stelle hast du zum Beispiel sehr recht:
Das klingt besser:
"Die Stimme kam aus dem Schlafzimmer. Die Tür stand weit offen."
Das könnte man auch an anderen Stellen machen. Generell lässt sich sagen, dass Stilmittel so unterschiedlich sein können, wie es Gesichter sind. Es wurde auch im Literaturstudium nicht explizit
benannt. Es gibt die unendlich langen Schachtelsätze vieler Weltliteraten, - mir hat diese Art nie zugesagt..
Danke herzlich für deinen Hinweis.
Manfred
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