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Der Mann, dem niemand zuhören wollte


 
 
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Federfuchser
Leseratte
F


Beiträge: 147



F
Beitrag26.06.2023 13:44
Der Mann, dem niemand zuhören wollte
von Federfuchser
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

“Nun erzählen Sie mal”, sagt der Kommissar, als wär´s ein Plauderstündchen, “warum haben Sie die Frau erschlagen? Und ausführlich, ohne wenn und aber!”
   “Aber gerne doch”, sagt der Mann, “nichts lieber als das” . . .

   “Also. Steh gestern fast ´ne geschlagene Stunde vor der Bushaltestelle – wer nicht kommt, na, zweimal dürfen Sie raten. Der um fünf vor halb, nämlich meiner – war einfach ausgefallen. Warte also geduldig wie´n Stück Schlachtvieh auf den nächsten. Da ruft ´ne knarrige Stimme hinter mir: 'Hallo, Meister!' Ich dreh mich um, steht da ´n alter Arbeitskollege von mir mit ´nem Kopp wie´n reifer Kürbis.
    'Hei!', ruf ich, 'Rudi, lebst du auch noch?' Seinen Nachnamen weiß ich nicht mehr, is auch egal. 'Na und ob', brüllt er und kommt näher, 'wie die Made im Speck!'
   'Sieht man drei Meilen gegen den Wind, Alter', blödel ich, 'platzt ja fast aus dem Anzug. Hoher Blutdruck, fette Leber, ausgeweitetes Arschloch, wie?' Denke, so, damit bist du ihn los, denn der Kerl ist ein ausgemachter Quatschkopp. Doch er lacht nur und röhrt: 'Ja, so ähnlich.'
   Der Bus kommt. Frage den Fahrer beim Einsteigen höflich nach dem Grund der Verspätung – Pustekuchen. Der versteht wieder mal kein Deutsch, der Eimer. Ts, ts, ts . . . Der Öffi in diesem Nest ist einfach ´ne Katastrophe. Setz mich also, und wer setzt sich neben mich? Genau der. Fängt gleich an zu erzählen; von seinen fünf Enkeln beiderlei Geschlechts, alles hochintelligente Koten –
  'Denk denk dir . . . äh . . . wie heiß du nochmal?' Ich sag´s ihm. 'Denk dir, Heino, der Jüngste ist gerade mal eindreiviertel Jahr alt und kann schon 'Dockata' sagen,' und so´n Quatsch. Was interessieren mich Andrerleuts Enkel. `nen Scheißdreck. Hab selbst ´nen Haufen davon. Setz ´ne gelangweilte Miene auf, doch der Mensch schwafelt unverdrossen weiter. Was die Leni alles kann und die Loni schon alles weiß und so weiter und so fort. Ich sitz wie auf glühenden Kohlen. Am liebsten würde ich ihm den Arsch bis zum Haaransatz aufreißen, damit er endlich die Klappe hält. Doch auf einmal schweigt er.
   Ich will nicht maulig sein und sag: 'Übrigens, ich krieg nächste Woche fünf Zähne gezogen. Unter Vollnarkose. Hab schon ´nen richtigen Bammel davor.' Ist natürlich Unsinn, mit meinen Beißern könnte ich Tischkanten zernagen.
   Er sieht mich verständnislos an. 'So?' Dann legt er wieder los. 'Sag mal, Hajo, hättest du Interesse an einer gebrauchten Harley Davidson, Baujahr neunzehn achtundsechzig? Super Gerät. Bin im Moment etwas knapp bei Kasse –'
   Ich spring auf und drücke das Haltesignal. Bloß raus, denk ich, obwohl ich eigentlich zum Schlachthof will. Pansen für den Hund kaufen.
   Kauf also den Pansen und zockel nach Hause. Auf den nächsten Bus zu warten wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Da bin ich zu Fuß schneller. Außerdem kann ich Quatschköppen so elegant ausweichen.
   Denkste.
   Am Städtischen Klinikum wartet schon die nächste Nervensäge auf mich. Ein ehemaliger Kegelbruder mit ´nem Gesicht wie ´ne Dörrpflaume. Verflixt, den hab ich einfach zu spät gesehen. Dass es ihm nicht gut geht sieht ein Blinder in völliger Dunkelheit. Trotzdem frag ich harmlos: 'Hallo, mein Lieber, wie geht’s denn so?' Ich Idiot! 'Ooch', sagt er, 'nicht gut. Geradezu beschissen.' 'Oh', sag ich , 'wo kneift´s denn?'
   Scheiße. Jetzt fängt er an, mir haarklein seine Gebrechen zu erklären. Irgend ´ne Thrombose in irgend ´nem Bein. Haben ihn schon zweimal operiert, beim dritten mal hätten die Ärzte gleich wieder zugemacht. Und so weiter und so fort. Er kommt näher, fasst mich am Ärmel und sagt tränenfeucht: 'Kann jetzt nur noch gerademal hundert Meter gehen.' Plötzlich stutzt er. 'Sag mal, Hinnerk, was riecht denn hier so verdächtig? Bist du das?'
   Nee, ich bin´s nicht, der Pansen ist´s. Bin schon ´ne ganze Weile bei dieser Affenhitze damit unterwegs. Hätte vielleicht doch ein Taxi nehmen sollen. 'Entschuldige', sag ich. Senk scheinheilig den Blick und murmele: 'Mir haben sie vor drei Wochen das halbe Arschloch weggeschnitten. Darmkrebs. Da passiert´s schon mal.' Ist natürlich totaler Quatsch. Wenn ich eins kann, dann kontrolliert scheißen. Wollte nur mal sehen, wie der alte Ego reagiert. Der blickt mich überrascht an, dann knödelt er: 'Ha, da kommt mein Bus!' Dreht sich um und humpelt los.
   Verdammt nochmal, grübel ich im Weitergehen, sehe ich so bescheuert aus, oder warum binden mir die Leute ihre Zipperlein unter die Nase, kaum dass sie mich sehen? Hab selbst genug damit zu tun, nicht vom Steigbügel zu fallen. Und warum hört keiner zu, wenn ich mal mein Leid klage? An meinen blauen Augen kann´s doch wohl nicht liegen. Eher, weil ich zu gutmütig bin und geduldig zuhöre. Halten mich wohl für ´nen nützlichen Idioten, den man getrost vollmüllen kann.
    Beschließe, den nächsten, der mich mit seinen Gebrechen zumüllt, die kalte Schulter zu zeigen.
  Sollte aber anders kommen, und zwar ganz anders, um nicht zu sagen: Geradezu bizarr. Bin schon fast vor der Haustür, da kommt mir ´n bekanntes Schreckgespenst entgegen: Figur wie´n verhungerndes Rufzeichen, Haare streng nach hinten gekämmt, mürrische Schweinsäuglein, Gesicht wie´n Frettchen, ganz in Schwarz. Fräulein von Haaß, eine Bekannte meiner Frau. Für mich der Inbegriff verknöcherten Gouvernantentums. Außerdem ist sie nicht ganz richtig im Kopf. Welche ältere Frau lässt sich denn heute noch mit Fräulein anreden. Streicht bei amtlichen Anschreiben regelmäßig Frau durch und schreibt Fräulein dahinter. Na ja, jedem Tierchen sein Pläsierchen. Mir soll´s recht sein. s´gibt Schlimmeres auf der Welt.
   'Ist Ihre Frau zuhause?, näselt sie, ohne mir auch nur den Hauch einer Begrüßung zu gönnen. 'Nee, die ist auf der Intensivstation.' Ha! Wenn eine Frau in dieser Stadt gesund und munter ist, dann Erika. Die amüsiert sich sogar noch beim Kotzen. In Wirklichkeit ist sie gerade mit dem Köter auf dem Turnierplatz. Ja, der Köter. Mit dem unterhält sie sich mehr als mit mir. Und wenn ich mal ´nen Satz riskiere, unterbricht sie mich gleich.
   Doch die Schwarze Witwe gibt nicht auf. 'Ach . . . Schade, ich hätte Erika gerne kurz gesprochen. Wann kommt sie denn wieder?'
   Ich mag Leute nicht, die immer alles 'kurz' machen wollen und dann wie Rotz am Ärmel auf dem Sofa kleben. Bringen mich sofort auf die Zinne. In diesem Moment schießt mir eine heiße Idee durch den Kopf. Jetzt krieg ich dich, Alte, denk ich, und zwar gewaltig. 'Ooch', sag ich, 'kann nicht mehr lange dauern. Sie macht nur ´nen kleinen Krankenbesuch. Aber kommen Sie doch erst mal ´rein. ´ne kleine Erfrischung gefällig?' 'Ach, lassen Sie mal', schnarrt sie, 'ist doch nicht nötig.' 'Nun kommen Sie schon', sag ich, 'der Hund beißt nicht.'
   Ich schließ die Tür auf, wir gehen rein. Oha, denk ich, die stinkt ja noch mehr als der Pansen. Nämlich nach Mottenkugeln. Passt, denk ich, wonach soll ´ne alte Jungfer schon riechen. Ich bring den Pansen weg und frag: 'Frau von Haaß', frag ich, 'was darf´s denn sein? Eistee, Sekt oder andere warme Ge –' 'Fräulein, nicht Frau, junger Mann, bitte', unterbricht sie mich scharfzüngig, 'mein Name ist Fräulein Marie-Louise von Haaß, geborene Wachtelweizen.'
   Puh, denk ich, hoffentlich kommt Erika bald zurück, diesen Teufelsbraten überleb ich nicht. 'Wenn es nicht zu viel Mühe macht, bringen Sie mir ein Glas veganes Wasser.' Natürlich, denk ich, wieso bin ich nicht schon früher darauf gekommen! Mottenkugeln und veganes Wasser. Die neue Diät für alte Jungfern, die ungeöffnet zurückgehen. Ich bring das Wasser, wir setzen uns.
   Und schon fängt sie an zu schwadronieren. Was einer gesagt oder nicht gesagt hat, was sie darauf geantwortet oder nicht geantwortet hat, und so´n Scheiß. Herr im Himmel, denk ich, erlöse mich von dem Übel Amen. Doch der Herr im Himmel hat anscheinend Besseres zu tun, als ´nem armen Würstchen aus der Bedruille zu helfen. Da muss sich das Würstchen schon selber helfen. Ich höre also noch ´ne Weile geduldig zu; schließlich ist sie eine Bekannte meiner Frau, und man will ja nicht unhöflich sein.
    Ich will ein Wörtchen sagen. 'Mein Bauvorhaben –', sag ich. Da wechselt sie das Thema und fängt an, von einem Mietnomaden zu erzählen, der sich in einer ihrer Wohnungen festgesetzt hat. Will seine Miete nicht zahlen und pipapo – als ob ich nicht wüsste, was ´n scheiß Mietnomade ist. Dabei wird ihre Stimme immer schriller, und ich denk schon: Gleich zerspringt das Glas. Und – ich muss zweimal hinsehen, eh´ich´s begreif – ihre Augen sind feucht. Ha, da hört sich doch alles auf, denk ich gallig, so ein Aas. Vorhin, beim Wort Intensivstation, hat sie nicht mit der Wimper gezuckt, und jetzt, beim schnöden Mammon, werden ihr die Augen feucht. Alter, jetzt ist es soweit, denk ich bei mir, heraus damit.
  'Wissen Sie schon das Neuste?', unterbrech ich sie brutal und fang an, mir die Hose aufzuknöpfen, 'seit Pfingsten nehm ich Viagra. Es geht doch nichts', sag ich und grinse schief, 'über einen knackigen Ständer.' Ist natürlich wieder mal Unsinn, dergleichen Hilfsmittel hab ich wahrscheinlich erst als Leiche nötig. Ich blick sie an, sie blickt mich an. Ha, was kommt jetzt?, denk ich. Knallt sie mir eine, oder läuft sie schreiend raus? Dabei seh ich, dass sie überhaupt nicht so alt aussieht, wie sie sich gibt. Sie beugt sich vor und säuselt lüstern: 'Ja warum denn nicht? Viagra? Wenn´s hilft?' Dann fängt sie an, sich zu entkleiden.
   Ha!, denk ich, nicht mit mir!  Steh auf, ergreif die dicke Blumenvase auf dem Tisch und knall sie ihr über den Schädel. Sie sackt zusammen und bleibt reglos liegen. Hat sich was mit Ständer, denk ich.”
   Der Beklagte schweigt.
   “Ja um Himmelswillen, warum haben Sie die Frau denn erschlagen?”, fragt der Kommissar irritiert, “ich sehe keinen Grund.”
    “Ja verdammt nochmal, warum wohl?”, faucht der Mann. “Damit mir endlich mal jemand zuhört!”



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Es ist nicht schlimm, alt zu werden, man muss nur jung dabei bleiben.
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Günter Wendt
Geschlecht:männlichExposéadler


Beiträge: 2865



Beitrag26.06.2023 15:53

von Günter Wendt
Antworten mit Zitat

„ hochintelligente Koten –“

Ah. Münster oder Münsterland. Alte Heimat.

Ein rotzfrecher Text. Aber gut. 👍🏽
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wohe
Geschlecht:männlichKlammeraffe
W

Alter: 71
Beiträge: 641
Wohnort: Berlin


W
Beitrag26.06.2023 16:24

von wohe
Antworten mit Zitat

Zitat:
“Damit mir endlich mal jemand zuhört!”

Die Pointe ist Spitze.
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