Armer Mann

[wohe]

„Also“, sagte Wohe. Schon mal gefährlich, dieser Anfang. Charlotte hasste Sätze, die mit »also« begannen, schließlich handelte es sich meist um Wiederreden.
Dennoch: „Also, Männer haben’s auch nicht gerade leicht.“
„Sag bloß.“ Ihr Zeigefinger bohrte sich in seine Richtung. „Und du bist einer von denen, stimmt’s?“
Wohe überlegte. Kindheit mit Hosen statt Röcken, Pubertät mit Pickeln statt glatter Haut und Faconschnitt statt Pferdeschwanz. Außerdem Besitzer eines sehr größenflexiblen Organs und zeugungsfähig. Er war überzeugt, ein Mann zu sein.
Hatte er es leicht? Nein. Ganz bestimmt nicht. Er musste arbeiten, was er hasste, fürchtete sich vor dem Infarkt, was er stetig perfektionierte und ertrug sogar Charlottes Launen, was er wegen des Selbsterhaltungstriebs allerdings nie so formulieren würde.
Also: „Ja.“
„Na toll. Mein armer Mann liegt im Sessel und hat die Füße schön hoch auf den Hocker gelegt, damit sie ja nicht mit dem dreckigen Teppich in Berührung kommen. Du hast heute den halben Tag frei und wolltest die Wohnung machen und was hast du gemacht? Nichts!“ Sie zeigte auf den Staubsauger, der mitten im Wohnraum ruhte und zog mit dem Finger eine Straße in den Staub, der den Fernseher bedeckte.
Sie war nach der Arbeit und dem Einkauf und dem Schlangestehen bei der Post und dem Stau auf der Stadtautobahn deutlich schlechter Laune und irgend jemand musste das jetzt ausbaden. Typischerweise Wohe.
„Was zum Teufel hast du getrieben?“
Tatsächlich hatte Wohe sauber machen wollen, musste aber vorher noch joggen, um dem Infarkt zu entgehen und sich dann davon ausruhen, um ebenfalls dem Infarkt zu entgehen und dann konnte er Charlotte ja wohl kaum ungeduscht empfangen und als bekennender Dauerduscher dauerte das etwas und dann musste er noch schnell Kaffee und so trinken, um ihr ein elanvoller Galan sein zu können und danach hatte er zu überlegen, wie er sie bespaßen konnte und dann war sie plötzlich auch schon wieder aufgetaucht.
Überdies war die Wohnung eh sauber!
„Ähm“, sagte er, „Stress. Und so richtig gut geht es mir auch nicht.“
„Was ist los?“
„Weiß nicht. Irgendwie ist mir komisch. Vielleicht die Arbeit oder ich habe mich beim Training übernommen oder so.“
„Und?“
„Ich überlege, ob ich zum Arzt gehen sollte.“ Wohe besah sich sein Spiegelbild im Wohnraumfenster und fand: er sah deutlich leidend aus.
Charlotte musste das ähnlich empfinden. „Bleib sitzen.“ Sie stellte die Einkäufe weg und schnappte sich den Staubsauger.
Wohe atmete auf. Er lehnte sich zurück, griff nach dem Cognacschwenker und nahm einen Schluck »und so«.

[Gast]

Nicht Dein Ernst @wohe:

[Fistandantilus]

[Arminius]

So richtig aus dem Leben gegriffen !

[Skatha]

'Szenen aus dem Leben einer Ehe'

Habs auch gern gelesen, amüsant.


Eine Erbse:
Wiederreden - Widerreden

[wohe]

Hi Freunde,

freut mich, dass Euch der Text gefällt - sowas tut dem Ego gut.
"Widerrede" war natürlich gemeint - danke.
Mir ist noch aufgefallen: Den Schluss hätte ich besser so gestaltet, dass Charlottes Antwort nicht aus "Bleib sitzen" besteht, sondern aus "Armer Mann".

MfG Wohe

[ausgefuchst]

Lustig geschrieben. Gefällt mir gut

Einzig diesen Teil würde ich doch in 2-3 Sätze aufteilen, war mir persönlich etwas lang.

[wohe]

Hi ausgefuchst,

es stimmt, dass der Satz, insbesondere in Vergleich zum Rest, zu lang ist, aber mein Gedanke war, durch die vielen aneinander gereihten Punkte einen "das und das und das und was denn noch alles-Effekt" zu erzeugen, also das künstliche Herbeisuchen von Argumenten herauszustellen, wie es Leute, die sich vor etwas drücken wollen, gerne tun.
War dann wohl zuviel des Guten. Danke für Deinen Hinweis.

MfG Wohe

[Skatha]