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Übungstext: Mutter

 
 
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Gabi
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1216
Wohnort: Köln


Beitrag12.02.2008 18:15
Übungstext: Mutter
von Gabi
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo, auch ich möchte mich beteiligen und setzte ein Stück ein. Der Text ist schon etwas älter. Manche von euch kennen ihn vielleicht auch noch.  Wink


Zum letzten mal sah Gina ihre Mutter vor fünfzehn Jahren, doch der Tag haftete in ihrem Gedächtnis, als wäre es gestern gewesen.

Vergeblich klingelte sie an der Haustür. Nach einer Weile fiel ihr ein, dass sie den Haustürschlüssel in ihrem Schulrucksack aufbewahrte. Sie kramte zwischen den Büchern, um ihn zu finden. Die Tür war nicht zweimal abgeschlossen, also musste ihre Mutter zu Hause sein.
„Mama, bist du da?“ rief sie und erhielt keine Antwort.
Gina betrat das Wohnzimmer, ein merkwürdiger Geruch schlug ihr entgegen.
Sie sah ihre Mutter seitlich auf dem Boden hinter dem Tisch liegen. Das Gesicht hatte sie zur Couch gewandt. Gina sah nur den Rücken und das rote, ungekämmte Haar.
Adrenalin schoss durch ihren Körper und ließ sie unwillkürlich zittern
„Bitte nicht!“ flehte sie. „Bitte nicht schon wieder!
„Mama?“ fragte sie leise und die Schläge ihres Herzens hallten in ihrem Kopf wieder.
 
Erst zögerte sie, fasste dann aber doch den Mut und rüttelte mit zitternder Hand leicht an der Schulter. Nichts geschah, ihre Mutter reagierte nicht.


Sie hörte kein Atmen, kein Stöhnen oder sonstige Lebenszeichen, nur die gespenstige Stille umgab sie. Gina rannte in den Flur zum Telefon und wählte die Nummer ihres älteren Bruders.
„Thomas, du musst sofort kommen, ich glaube Mama ist tot!“ schrie sie in das Telefon. Tränen der Hilflosigkeit rannen ihr über die Wangen und ihre Hand zitterte so sehr, dass ihr der Hörer aus der Hand fiel. Sie ließ ihn liegen und rannte auf den Balkon, wobei sie sich bemühte, nicht auf den Leib ihrer Mutter zu schauen.

An der Brüstung stehend, hielt sie Ausschau nach dem weißen Fiesta ihres Bruders. Sie wusste nicht, ob sie vor Kälte oder Angst zitterte. Es war nur eine viertel Stunde, bis er endlich auf den Parkplatz fuhr, doch es kam ihr vor, wie eine Ewigkeit.
In ihrem Kopf schlugen die Gedanken Purzelbäume.
Diesmal hatte ihre Mutter es geschafft und niemand konnte sie mehr retten.
Nachdem ihr Bruder aus dem Auto gestiegen war, lief sie in den Hausflur, vorbei an ihrer Mutter, den Blick fest auf den Wohnzimmerschrank gerichtet.

Zwei Stufen auf einmal nehmend, stürzte Thomas die Treppe hinauf.
Gina blickte in sein wachsbleiches Gesicht, bevor er sie in den Arm nahm.
„Sie muss nicht tot sein, vielleicht ist sie nur bewusstlos. Komm Gina!“

Er war erst achtzehn und es fehlte ihm an der notwendigen Reife eines Erwachsenen, um in dieser Situation seiner Schwester die notwendige Ruhe zu vermitteln. Mit großen Schritten eilte er zur Wohnungstür, als wollte er das, wovor er sich immer gefürchtete hatte, hinter sich bringen. Gina lief hinter ihm her und als sie im Wohnzimmer standen, stockte Thomas kurz, bevor er sich über den Körper der Mutter beugte.

„Mama, hörst du mich?“ Seine Stimme steigerte sich.
Auch er rüttelte an der Schulter und wieder rührte sich nichts.
„Wir müssen sie drehen!“ Das Zittern seines Körpers übertrug sich auf seine Stimme.
Der Versuch sie auf den Rücken zu drehen schien nicht einfach zu sein, denn er brauchte beide Hände dazu.
Gina starrte in das Gesicht der Mutter. Die Augen waren verschlossen, als wäre sie bewusstlos oder schlief. Ihre Lippen violett gefärbt und Blut sickerte bläschenbildend aus den Mundwinkeln. Dann wanderte Ginas Blick zu den Beinen. Sie waren starr und das Knie war immer noch genau so angewinkelt, wie in der Position der Seitenlage.

Gina wand den Blick von ihr ab, der Schmerz und die Angst, die ihr Herz umklammerten waren unerträglich. Doch auch wenn sie nicht hinsah, der Anblick ihrer Mutter hatte sich unauslöschlich in ihr Gehirn gebrannt.

„Wir müssen den Notarzt rufen!“
Panisch stürmte Thomas zum Telefon und wählte die 110.
„Sie müssen so schnell, wie möglich kommen, ich glaube meine Mutter ist tot!“ jammerte er in den Hörer.
„Falsche Nummer, die Nummer der Feuerwehr, 112?.. Sie leiten es weiter. Danke!“
Er gab noch die Adresse durch und unterdrückte dabei ein Schluchzen, doch das hörte Gina nicht mehr, denn sie schloss leise ihre Zimmertür.
Kurz darauf kam Thomas herein, setzte sich zu ihr auf das Bett und legte den Arm um sie. Er schwieg und das Ticken der Wanduhr war das einzige Geräusch, dass sie vernahm, während sie apathisch auf die Tür starrte. Jeder Sekundentakt des Zeigers hämmerte einen Nagel in ihr Gehirn. Sie hatte das Gefühl ihr Kopf würde zerbersten.
Zehn Minuten später klingelte es an der Haustür, der Notarzt mit den Sanitätern war eingetroffen.
Thomas führte sie in das Wohnzimmer und verschloss die Tür, er wollte nicht sehen, wie sie vergeblich nach einem Herzschlag suchten.

Der Notarzt betrat in seiner neongelben Weste ihr Zimmer. Er hielt den Kopf gesenkt, während er die Worte sprach, die ihr immer wieder in den Ohren hallten.
„Die Angehörige ist verstorben. Mein Beileid.“


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Brynhilda
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Wohnort: Oderint, dum probent.


Edgar Allan Poe (1809 bis 1849) - Zum 200. Geburtstag
Beitrag12.02.2008 18:19

von Brynhilda
Antworten mit Zitat

Liebe Gabi!

Ich habe aus deinem Beitrag einen eigenen Thread gemacht. So ist es übersichtlicher, und man kann den Text auch besser kommentieren.

Liebe Grüße,
Brynhilda
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Gabi
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1216
Wohnort: Köln


Beitrag12.02.2008 18:34

von Gabi
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke Brynhilda. Das ist eine gute Idee. So langsam nimmt dieses Board doch Form an.

L.G.
Gabi


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