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1991
Wortedrechsler

Beiträge: 55
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 06.02.2017 21:36 Lob der Hermetik? von 1991
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"Hermetische Lyrik werden Gedichte genannt, deren semantische Ebene sich einem unmittelbaren Verständnis entzieht." (wikipedia)
Wenn ich "lyrisch" schreibe – was dann passiert, wenn ich mit der Prosa nicht vorankomme –, ist das Geschriebene meist durchdrungen von privaten Bildern, Bildkombinationen, die in meinem Kopf Sinn machen, aber beim Leser wahrscheinlich Fragezeichen hinterlassen. Hermetisch also?
Als Lyrik-Touristin frage ich mich deshalb, wie mit lyrischer Privathermetik umzugehen ist. Bzw. mal unbedarft gefragt.: Wann funktioniert so was?
Wie wisst ihr, ob das, was ihr da schreibt, (noch) funktioniert (für andere) oder nicht?
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dürüm Wolf im Negligé
 Alter: 46 Beiträge: 978 Wohnort: Cape Town
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 06.02.2017 21:45
von dürüm
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Super Frage.
Antwort:
Im Allgemeinen durch Feedback von Lesern. Wenn deren Feedback mit Deiner Intention übereinstimmt, dann war es nicht hermetisch
Wenn drei verschiedene Leser drei verschiedene Interpretationen Deiner Lyrik anbieten, dann war es wohl entweder zu "diffus" mehrdeutig, oder zu hermetisch.
Was nicht heißt, dass das nicht ginge.
Viele Dichter werden auch erst posthum quasi "erläutert", durch jemanden, der solche privat-hermetischen Formulierungen übersetzen kann. Stichwort historischer bzw. autobiographischer Kontext.
Hilft Dir das weiter? Oder brauchst Du ein Beispiel?
Sonst frag einfach nochmal!
Gruß
Kerem
_________________ Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.
(Oscar Wilde)
Der Willige wird vom Schicksal geführt. Der Störrische geschleift.
(Seneca) |
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1991
Wortedrechsler

Beiträge: 55
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 07.02.2017 16:12
von 1991
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Hallo Kerem,
hab vielen Dank, dass du dich auf meine Nachfrage zur "hermetischen Lyrik" gemeldet hast. Mittlerweile hat mich die Besorgnis eingeholt, dass die Frage vielleicht doch etwas zu naiv dahergekommen ist. Als hätte ich ebenso fragen können, wie man als Maler mit Abstraktion in abstrakten Gemälden umzugehen hat und wie man merkt, ob das Gemälde, an dem man gerade arbeitet, abstrakt, abstrakt genug bzw. zu wenig abstrakt ist usw.
Du hast mich jedenfalls verstanden: Ich habe mich gefragt, ob ein lyrischer Text trotz privater Chiffren/Bilder funktioniert. Der Tipp mit dem Leserfeedback leuchtet mir ein.
Vielleicht besteht die Herausforderung bei "hermetischer Lyrik" also darin, neben der ganz privaten Symbolik, die nur für den Autor und für Eingeweihte erkennbar und verständlich ist, eine zweite Bedeutungsebene für den "unbedarften" Leser anzubieten -- also Bilder zu generieren, die jenseits der Privatbedeutung, stark oder interessant oder faszinierend genug sind, auch beim fremden Anderen etwas in Gang setzen …?
Damit wäre aber das hermetische Gedicht streng genommen nicht mehr hermetisch (?).
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Tula
Klammeraffe

Beiträge: 891 Wohnort: die alte Stadt
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 10.04.2017 00:51
von Tula
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Hallo
schade, dass sich hier niemand meldet. Die Frage ist berechtigt und als Thema hochinteressant.
Als Hobbydichter und 'nicht-Fachmann' wage ich zu vermuten, dass es nicht allein 'private Bilder' sind, die das Gedicht hermetisch machen. Dann sind es einfach nur sinnvolle Bilder, die dennoch dem anderen verschlossen bleiben, weil er/sie den Hintergrund nicht kennt. Solche Werke möchte ich auch nicht lesen, denn ich muss davon ausgehen, dass der Autor an einer breiteren Leserschaft wenig interessiert ist. Also nur 'Selbstreflektion'.
Der Einsatz von Chiffren, die auf den ersten Blick unverständlich wirken, ist etwas anderes. Denn sie können auf mich, den Leser, immer noch einen Eindruck machen, ein Stimmungsbild vermitteln, die der Absicht des Gedichtes in seiner Gesamtheit entsprechen. Mit anderen Worten: ich kann ein düsteres Gedicht lesen / schreiben, ohne dass es im Detail leicht zu interpretieren ist. Sprachliche Qualität macht ein solches dennoch zu einem Leseerlebnis. Da denke ich z.B. an einige von Benn.
Die Frage bleibt, ob die Leser sich bei solchen nicht über 'verunglückte Metaphern' beschweren (vor allem, wenn das Werk von einem Hobbydichter kommt und das Gedicht abwerten. Ein schmaler Grad...
Gute Frage zurück: ist das heute noch 'modern' ?
LG
Tula
_________________ aller Anfang sind zwei ...
(Dichter und Leser) |
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James Blond
Eselsohr
 Alter: 70 Beiträge: 448 Wohnort: HAMBURG
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 27.04.2017 15:37
von James Blond
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Ich denke, man ist hier einer falschen Vorstellung aufgesessen, wenn man davon ausgeht, die Verschlossenheit, Unerklärbarkeit oder Vieldeutigkeit hermetischer Lyrik entspringt einer privaten Ideenwelt, die einem Leser nicht zugänglich ist. Tatsächlich ist sie oft auch dem Autor selbst nicht zugänglich. Das, was wie eine Botschaft aus einer anderen Welt erscheint, ist die grundsätzliche Formulierung des fehlenden Vertrauens gegenüber sprachlichen Äußerungen, in der eine tiefgreifende Sprachskepsis zum Ausdruck kommt, die ihre Wurzeln in der Skepsis gegenüber jeglicher Welt hat.
Hermetische Dichtung sucht, diesen "Sprung in der Welt" nachzuvollziehen und zu versprachlichen, indem sie sich den üblichen und gewohnten Mechanismen einer Verständnisbildung entzieht. MaW: Hermetische Dichtung will nicht auf herkömmliche Weise verstanden, auch nicht dechiffriert werden, sondern etwas bleiben, das nicht verstanden werden kann und gerade dadurch der Wahrheit am nächsten kommt, weil diese (in mehrfacher Hinsicht) "unfassbar" ist.
Grüße
JB
_________________
Was soll ich mit guten Freunden?
Ich bräuchte bessere Feinde! |
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1991
Wortedrechsler

Beiträge: 55
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 28.04.2017 22:02
von 1991
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Danke, JB.
Ich habe dir eine private Nachricht gesendet – ich glaube, sie hat dich noch nicht erreicht.
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menetekel
Exposéadler
 Alter: 103 Beiträge: 2397 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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 13.05.2017 17:17
von menetekel
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1991 hat Folgendes geschrieben: | Hallo Kerem,
Vielleicht besteht die Herausforderung bei "hermetischer Lyrik" also darin, neben der ganz privaten Symbolik, die nur für den Autor und für Eingeweihte erkennbar und verständlich ist, eine zweite Bedeutungsebene für den "unbedarften" Leser anzubieten -- also Bilder zu generieren, die jenseits der Privatbedeutung, stark oder interessant oder faszinierend genug sind, auch beim fremden Anderen etwas in Gang setzen …?
Damit wäre aber das hermetische Gedicht streng genommen nicht mehr hermetisch (?). |
Ein Hallo in die Runde,
ich beweifle, dass private Symbolik überhaupt existiert.
Jedes Symbol hat hat seinen Ursprung und trägt die Bedeutung in seiner Entstehungskultur oder Religion.
Hermetische Lyrik stellt die natürliche Nachfolge des Symbolismus dar (gottbegnadeter Vertreter: Stefan George) und entzieht sich noch mehr dem Verständinis.
Hatte der Symbolismus immerhin das Symbol, die (verschüttete) Seelensprache der Völker, chiffriert der hermetische Dichter bis ins Unkenntliche (Celan). Gleichwohl wird niemand ernsthaft bezweifeln wollen, dass Celan einer der großartigsten Dichter aller Zeiten ist.
Die Grenzen beider Stilrichtungen sind natürlich fließend.
Zur Sprache selbst hat James Blond bereits einen lesenswerten Kommentar verfasst.
Manche bezeichnen Hermetische Dichtung übrigens auch als "Nebeldichtung." Das gefällt!
m.
_________________ Alles Amok! (Anita Augustin) |
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Stimmgabel
Papiertiger

Beiträge: 4370 Wohnort: vor allem da

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 13.05.2017 18:30
von Stimmgabel
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... das Ding der Hermetik ist ja im Besonderen ... die metaphorische Wortkargung
Greift Fleur in den honiggelben Rücken, auf der Parbank, spiegelt sich im Auf und Ab, geht.
Gruß Stimmgabel ...
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_________________ Gabel im Mund / nicht so hastig... |
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Abari
Alla breve
 Alter: 42 Beiträge: 1883 Wohnort: ich-jetzt-hier
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 11.07.2017 22:11
von Abari
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Stimmgabel hat Folgendes geschrieben: | -
... das Ding der Hermetik ist ja im Besonderen ... die metaphorische Wortkargung
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Ich finde, nicht unbedingt, wie der bereits erwähnte Celan beweist. Er geht ja nicht von der Normsprache ab, spannt aber so kühne, "absolute Metaphern", das einem schon vom Hinschauen schwindlig wird. Und er erschafft Assoziationsketten, die mit "normalen" sprachlichen Mitteln einfach nicht zu erreichen sind.
Für mich stellt die hermetische Dichtung das dar, was ihr Name schon sagt: einen in sich abgeschlossenen, nicht mit üblichem Verständnis von Dichtung zu erreichenden Teil der Dichtkunst. Sie lotet die Möglichkeiten der Sprache nicht nur aus (wie es die Konkrete Poesie versucht), sondern gebiert sie als solches neu, indem sie deren Gesetzmäßigkeiten, z.B. die Metapher, in die Hand nimmt, sie durchleuchtet, zerlegt und durch neue Gesetze ersetzt. Anders lässt sich die Schwierigkeit, zu beschreiben, was Celan eigentlich sprachlich macht, nicht erklären; man behilft sich mit den Namen der alten Gesetze, indem man sie erweitert (s. o.), trefflich finde ich diese Hilfsmittel aber nicht. Aber sie vermitteln wenigstens ein Verständnis der Vorgänge, die da stattfinden, und das ist ja schon mal etwas.
LG
a.
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