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Ist Schreiben für dich ein isolierter oder ein kommunikativer Akt?

 
 
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Nayeli Irkalla
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 41
Beiträge: 1083
Wohnort: Ruhrgebiet
Extrem Süßes!


Beitrag21.02.2016 22:12
Ist Schreiben für dich ein isolierter oder ein kommunikativer Akt?
von Nayeli Irkalla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

In einem anderen Thread wird darüber diskutiert, ob man für ein Publikum oder sich selbst schreibt. Über diese Frage bin ich hier schon häufiger gestolpert. Ich weiß, wie ich sie für mich selbst beantwortet habe - trotzdem bin ich neugierig darauf, was eine Diskussion zu diesem Thema ergibt.

Meine These ist immer gewesen, dass Geschichten etwas sind, was ursprünglich mündlich erzählt wurde. Auf Larp-Festivals habe ich Erfahrung als mündliche Geschichtenerzählerin sammeln können und gemerkt, wie schwierig und wichtig es ist, Geschichten so zu erzählen, dass die Zuhörer sich darin wiederfinden und mir folgen (wollen). Es gibt in den Fantasy-Welten viele Leute, die von sich selbst erzählen wollen, aber oft tun sie es auf einschläfernde Weise. Einige wenige beherrschen die Fähigkeit, ihre Zuhörer zum Schweigen zu bringen und sogar nach weiteren Geschichten verlangen zu lassen. Wie machen sie das? Ich habe sie immer beobachtet und versucht, von ihnen zu lernen. Die wichtigste Lektion: Die Erzähler, denen man zuhört, stellen immer eine emotionale, kommunikative Ebene zwischen ihren Zuhörern und sich her. Sie verwandeln die Geschichte in ein gemeinsames, verbindendes Erlebnis, statt sich einfach hinzusetzen, zu reden und von ihrem Gegenüber zu erwarten, dass es sich die Mühe macht, ihren ausschweifenden Überlegungen auch ohne emotionales Involviertsein zu folgen. Die Geschichte besteht bei den von mir bewunderten mündlichen Erzählern nicht nur aus Worten und Handlung, sondern wird zu einem kommunikativen Akt, einem gemeinsam geteilten Geheimnis.

Mit diesem Hintergrund erschien es mir immer logisch, auch niedergeschriebene Geschichten als kommunikativen Akt zwischen Erzähler und Verzaubertem zu begreifen. Die ersten Leseerfahrungen, die die meisten von uns machen, beruhen ebenfalls darauf, dass ein geliebter Mensch uns vorliest - und oft genug wird das gegenseitige Vorlesen später auch ein schöner Bestandteil einer Liebesbeziehung. Ich erinnere mich auch an meine Zeit als Teenager oder in einer WG, wo wir teilweise im Wohnzimmer saßen, zwei Menschen lasen in ihrem Buch, und hin und wieder erzählte man sich besonders schöne Passagen nach oder las ein paar gelungene Absätze vor. Immer wieder vertiefte sich das Gefühl: Schöne, wahre und tiefe Geschichten sind etwas, was man mit anderen Menschen teilt.

Deswegen erscheint mir die Vorstellung, eine Geschichte (nicht ein persönliches Tagebuch!) nicht für einen potentiellen Leser zu schreiben, um ihn zu verzaubern, zu berühren, aufzuwühlen, zum Lachen oder Weinen zu bringen, höchst merkwürdig. Wenn jemand sagt, er schreibe nur für sich selbst, denke ich immer zunächst an ein privates Tagebuch. Geschichtenerzählen ist doch etwas Kommunikatives, was ohne ein Hin und Her zwischen Leser und Erzähler zumindest auf der geistigen Ebene gar nicht funktionieren kann? Nicht zuletzt deswegen mag ich auch die Leserunden bei Lovelybooks so. Eine Geschichte ist für mich immer etwas, was zwischen zwei Menschen hin und her flimmert, etwas, was von einem für einen anderen erzählt wird. Ergo schreibe ich für Leser und nicht für mich selbst - und ich würde es selbst dann tun, wenn ich Millionärin wäre und keinerlei finanzielle Interessen damit verfolgen müsste. Geschichten sind etwas, was man für andere erschafft. So fühlt es sich tief in mir richtig an.

Offenbar gibt es jedoch Gegenthesen, wonach manche Geschichten eben nicht primär für ein Publikum geschrieben wurden und gerade dadurch ihre Faszination entwickeln. Diesen Gedanken finde ich spannend, auch wenn er sich mir noch nicht richtig erschließt. Ich würde mich sehr über eine Diskussion zu diesem Thema freuen, gerade auch, wenn jemand die Gegenthese gut und sinnvoll begründet. Ich würde mich freuen, auch über die anderen Facetten mehr zu lesen und so vielleicht mein eigenes bisheriges Wissen über das Schreiben und Erzählen ein bisschen zu erweitern.


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Lange, bevor die Menschen Spiegel erfanden, erzählten sie sich Geschichten und träumten.
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Gerling
Geschlecht:männlichExposéadler
G

Alter: 59
Beiträge: 2368
Wohnort: Braunschweig


G
Beitrag21.02.2016 22:51

von Gerling
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Wenn ich sage, dass ich für mich selbst schreibe, dann meine ich damit, dass ich die Geschichten zu Papier bringe, die ich selbst gerne lesen würde.
Ich sitze also nicht herum und warte darauf zu erfahren, was gerade IN ist und "kopiere" das dann. Vielmehr sind es Geschichten, die sich mir von Innen her aufdrängen.
Natürlich schreibe ich auch für die Leser. Aber eben nicht das, wovon ich meine, damit ihren Nerv zu treffen.


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Ithanea
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 34
Beiträge: 1062

Ei 3 Pokapro 2017


Beitrag21.02.2016 23:07

von Ithanea
Antworten mit Zitat

Ich würde mich weder für die eine oder die andere 'Wahrheit' entscheiden wollen. Es gibt Teile einer Geschichte, oder Zeiten, in denen ein kommunikativer Aspekt im Vordergrund steht und in anderen spielt das keine Rolle, was beim Leser/Zuhörer ankommt oder wie, weil dieser Teil oder diese Geschichte eben so erzählt/geschrieben werden muss, wie es  dasteht (so geht mir das zumindest).*
Nayeli Irkalla hat Folgendes geschrieben:
Meine These ist immer gewesen, dass Geschichten etwas sind, was ursprünglich mündlich erzählt wurde.

Ich glaube, vorher noch sind Geschichten etwas, was im Kopf desjenigen existiert, der sie sich ausdenkt. Da ist ein Geschichtenerdenken, nur um der Geschichte Willen (oder der Sprache, um andere Aspekte der Literatur miteinzubeziehen), nur für sich selbst, um allein darin abtauchen zu können, genauso viel wert und m.E. genauso schlüssig, wie ein Geschichtenerzählen für andere.

*ähnlich wie Gerling. Weil ich sie so haben will.


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Verschrieben. Verzettelt.
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schollek
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 250
Wohnort: Wolke sieben


Beitrag22.02.2016 00:14

von schollek
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Im Rahmen der Belletristik würde ich mich Nayeli voll und ganz anschließen. Bei meinen Reisebüchern ist es etwas anderes. Darin dokumentiere ich unsere Erlebnisse, schlicht und einfach, um sie in erster Linie für uns festzuhalten. Wenn sie nebenbei auch anderen gefallen, um so besser. (Klar, trifft hier nicht das eigentliche Thema, ist viel zu platt für eine tiefgehende Erörterung, für wen man schreibt. Aber auch ein Gesichtspunkt im Randbereich des Schreiberhandwerks)
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Akiragirl
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Beitrag22.02.2016 00:33

von Akiragirl
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Ich glaube, hier werden leider zwei Dinge miteinander vermischt, zumindest lese ich das so zwischen den Zeilen aus dem einen oder anderen Kommentar heraus ...

Das eine ist: Ich schreibe Geschichten, von denen ich möchte, dass sie gelesen werden und dass der Leser sie unterhaltsam findet. Dabei ist es für mich erstmal zweitrangig, dem Leser irgendwelche Eigenschaften anzudichten. Ich z.B. stelle mir immer vor, ich schreibe für Leute die genauso "ticken" wie ich selbst; somit achte ich darauf, Fehler zu vermeiden, die mich selbst in Büchern stören (an den Haaren herbeigezogenes Ende, allzu perfekte Figuren usw) und Dinge einzubringen, die ich toll finde.

Das andere ist: Ich schreibe Geschichten für eine ganz bestimmte Leserschaft, einen ominösen "Durchschnittsleser" oder "den Markt". Jetzt muss ich meinen eigenen Geschmack zurückstellen und vielleicht auch Dinge einbringen, die ich selbst gar nicht toll finde.

Beides sind für mich Arten, "für Leser" zu schreiben, aber ich gehe eben von unterschiedlichen Lesern aus. Deshalb heißt "für andere" schreiben für mich nicht unbedingt, mich irgendwelchen Marktregeln unterwerfen zu müssen, sondern in erster Linie nachvollziehbar, plastisch und spannend zu schreiben.


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nebenfluss
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Beitrag22.02.2016 02:23

von nebenfluss
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Für mich ist das Schreiben kein isolierter Prozess, sondern das Resultat einer Inspiration, die ich wiederum aus Büchern oder anderen Medien, aus Träumen, aus Begegnungen oder Beobachtungen meiner Umwelt beziehe und auf die ich mit einem Text reagiere. Ich konzentriere mich auf diese Inspiration und ihre Bedeutung innerhalb des Werks. Ich schreibe nicht für mich selbst, sondern für die Existenz dieser Geschichte, die ich allerdings auf eine Weise erzählen möchte, die mir selbst gefällt.

Natürlich hoffe ich generell auch auf Leser, aber sie müssen dann eben das Werk so nehmen, wie es meiner Meinung nach geschrieben gehört. Ich orientiere mich also nicht an einer möglichst breiten Zielgruppe, deren Bedürfnisse oder Geschmack ich zu erraten versuche, sondern eher an dem Gedanken, dass anderen das gefallen sollte/könnte, was mir selbst auch gefällt. Insofern ist die Preisgabe meiner Texte immer eine Art Suche nach Gleichgesinnten.

Der Gedanke einer Dienstleistung am Leser tritt erst bei der Vermarktung ein, z. B. auf einer Lesung. Hier kommt der "Lagerfeuer"-Faktor ins Spiel. Es gibt unzählige Autoren, die toll schreiben, aber nicht in der Lage sind ihre Texte gut vorzulesen, oder, genauer gesagt: so zu erzählen, dass sie ihr Potenzial entfalten. Weil sie Lampenfieber haben, weil sie kein Selbstvertrauen haben, weil sie sich aufs Lesen konzentrieren statt aufs Publikum - kurz: weil sie sich nicht damit auseinandersetzen, dass eine Lesung eine eigenständige Inszenierung des Textes ist und die Zuhörer erwarten, dass man seine zusätzlichen Ausdrucksmöglichkeiten (Stimme, Gestik, Mimik, Inanspruchnahme des Raums) nutzt. Ein richtig guter Erzähler kann auch AGB oder die Zutatenliste einer Nudelpesto spannend vortragen.

Vor den seltenen Gelegenheiten, meine Texte öffentlich zu lesen, sichte ich sehr genau, welche sich dafür eignen und welche nicht, und halte es für völlig legitim, vor dem Spiegel zu üben.
Auf den Gedanken, dass sich jede meiner Geschichten auch auf einer Veranstaltung oder an einem Lagerfeuer erzählen lassen müsste, käme ich dagegen nicht. Letzten Endes hat man im Kontakt mit Zuhörern immer das Problem des festgelegten Tempos, des Zeitfensters und der zurücklehnenden Konsumhaltung der Zuhörer. Da das Publikum alles schnell erfassen muss, kann man hier (eine ausgesprochen akademische Zuhörerschaft bzw. literarisches Fachpublikum mal ausgenommen) nur Geschichten erzählen, die auf einen gemeinsamen Erfahrungsschatz mit dem Publikum zurückgreifen. Man muss unterhalten, den Text gewissermaßen leben und damit eine Interpretation vorgeben. Im Grunde ist es wie das Witze-Erzählen auf einer Party, nur ohne Konkurrenz durch Musik oder andere Gäste, weshalb die Witze deutlich länger sein dürfen - eine Pointe ist aber fast unabdingbar.

Neues und Nachdenkliches, alles was vor allem auf Intellektualität ausgerichtet ist, gibt man dagegen den Leuten besser zu lesen als zu hören.


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sleepless_lives
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Beitrag22.02.2016 06:41

von sleepless_lives
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Ich nehme mal an der "kommunikative Akt" ist nicht philosophisch oder medientheoretisch gemeint, denn dann würde die Diskussion hier andere Schwerpunkte entwickeln, zum Beispiel ob Kommunikation über das schriftliche Medium eindimensional ist, in eine Richtung geht, oder nicht. Angesichts der Geschichte des Schreibens und angesichts des Monopols der Fähigkeit zu schreiben, das (in Europa) lange Zeit auf die Kirche und die Adel beschränkt war, stellt das durchaus ein wichtiges Thema dar.
 
Aber in dem Thread geht es wohl darum, wie man persönlich das Schreiben empfindet und das auch nicht mit Blick auf die tatsächliche Situation beim Schreiben. Ich denke doch, dass die meisten alleine schreiben, auch wenn es im öffentlichen Raum ist, und auch nicht jeden vollendeten Satz sofort der restlichen Welt lautstark mitteilen. Also geht es um die subjektive Vorstellung während des Schreibens.

Ich persönlich denke dabei nie an einen oder mehrere Leser, weder abstrakt noch konkret. Es ist immer das Gefühl - ein wenig dramatisch ausgedrückt -, dass die Geschichte selbst erzählt werden will, bis hin zu einem subjektiv erfahrenen Kontrollverlust. Natürlich muss man beim Schreiben aus handwerklichen Gründen die Rolle eines fiktiven Lesers einnehmen, um automatisch, nicht bewusst ablaufend feststellen zu können, welche Informationen im Text benötigt werden, um dem Geschehen folgen zu können. Aber das ist doch recht anders von der Vorstellung eines Publikums, zu dem man spricht. Es ist eher die Vorstellung von sich als Zuhörer, der von sich selbst die Geschichte erzählt bekommt.

Das war bei mir früher bei den Theaterstücken, die ich geschrieben habe, nicht anders (selbst in einem Fall, als die Proben zu dem Stück schon begannen, als es noch nicht vollendet war). Ich habe sie beim Schreiben gesprochen gehört, konnte manche Sachen auf der Bühne sehen, aber da war nie ein imaginäres Publikum. Ähnlich bei der Regie. Der Gedanke an das Publikum ist hier sogar ziemlich tödlich, hemmt die Arbeit, erweckt unnötige Sorgen und ist vor allem völlig sinnlos (Ausnahmen, besondere Situationen bestätigen die Regel).  

Streng genommen schließt die angenommene Wichtigkeit der sozialen, interaktiven Situation beim Erzählen die Vorwegnahme beim Schreiben aus. Wenn es wirklich vom Ort, von der Zeit, von den Umständen, den Menschen im Publikum und der einhergehenden Gruppendynamik abhängt (wie im mündlichen Erzählen oder im Theater), dann kann man das nicht berücksichtigen. Es ist ein komplexes Gefüge, dass sich aus tausenden von einzelnen Faktoren ergibt und sich nicht ein einziges Mal exakt wiederholen wird. Man wird nie wissen, wann, wie, wo, in welcher Stimmung der konkrete Leser, ein realer Mensch, kein Marketing-Konzept, den Text lesen wird. Allein der biographische Hintergrund dieses Menschen würde ausreichen, um es uneinschätzbar zu machen, und das ist nur ein Teil der Gesamtsituation. Im Theater wurde das früh erkannt: Die Vorstellung ist nicht der Text. Keine Vorstellung gleicht exakt der nächsten, die Interaktion mit dem Publikum verändert sorgsam Einstudiertes, der zugrundeliegende Text bleibt gleich. Generell wird das nicht als Betriebsunfall oder notwendiges Übel angesehen, sondern ist erwünscht.       

Ich würde also die These aufstellen, dass in Wirklichkeit jeder für sich selbst als Leser schreibt, unter Umständen beeinflusst von externen Vorgaben, wenn die Orientierung am Markt hereinspielt. Und dieser eine Leser (ich) ist gleichermaßen das Problem wie die Chance.


nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Neues und Nachdenkliches, alles was vor allem auf Intellektualität ausgerichtet ist, gibt man dagegen den Leuten besser zu lesen als zu hören.

Ich bin mir da weniger sicher. Angehende Studenten sind (noch) kein ausgesprochenes akademisches Publikum und doch wurde traditionell ein Großteil des Wissens mündlich vermittelt - je nach Fach mit mehr oder weniger visuellen Hilfen. Man müsste mal schauen, ob man an Daten über Audiobook-Verkäufe drankommt. Ich hab das Gefühl, dass die Leute einen schwierigeren Text eher hören als lesen würden. Vielleicht weil man eine zusätzliche Hilfe bekommt, in Form der Interpretation der geschriebenen Sätze durch den Vorlesenden.


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Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

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Nayeli Irkalla
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Extrem Süßes!


Beitrag22.02.2016 08:18

von Nayeli Irkalla
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sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Ich nehme mal an der "kommunikative Akt" ist nicht philosophisch oder medientheoretisch gemeint, denn dann würde die Diskussion hier andere Schwerpunkte entwickeln, zum Beispiel ob Kommunikation über das schriftliche Medium eindimensional ist, in eine Richtung geht, oder nicht. Angesichts der Geschichte des Schreibens und angesichts des Monopols der Fähigkeit zu schreiben, das (in Europa) lange Zeit auf die Kirche und die Adel beschränkt war, stellt das durchaus ein wichtiges Thema dar.


Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht so gemeint ist. Das, was ich bisher über Kommunikationstheorie gelernt habe, bezog sich primär auf Informationsvermittlung und darauf (auf deutsch gesagt), wie man die Beziehungsebene möglichst raushält und sich auf die Sachebene konzentriert. Das ist bei emotionalen Konflikten und bei einem beruflich-fachlichen Miteinander im sozialen Bereich durchaus sehr hilfreich - aber lässt sich nur begrenzt auf das Geschichtenerzählen übertragen. Weißt du mehr über kulturwissenschaftliche Hintergründe des mündlichen Erzählens und seine Bedeutung für soziale Bindungen und so? Ich wäre neugierig. Ganz naiv und unwissenschaftlich frage ich mich zum Beispiel auch, welche soziale Bedeutung die "Geschichten" haben, die viele Jüngere so bereitwillig bei Facebook posten und teilen.

Früher gab es mal die These, dass eine Geschichte primär belehren und informieren solle. Auch das finde ich spannend, weil der Geschichte damit eine ganz andere Kommunikationsabsicht unterstellt wird - eine, wenn mich mein Halbwissen nicht täuscht, die von Oscar Wilde z. B. mit seinem Primat der Schönheit vor der Moral unterlaufen werden sollte?


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Ruby Smith
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Beitrag25.02.2016 17:45

von Ruby Smith
Antworten mit Zitat

Ich finde die Frage, welche Nayeli Irkalla hier aufgeworfen hat äußerst Interessant und auch die Entwicklung der Diskussion darunter.

Ich sehe es ähnlich wie Nayeli,
Zitat:
dass Geschichten etwas sind, was ursprünglich mündlich erzählt wurde.


Gleichzeitig denke ich aber auch, dass viele Geschichten zunächst einmal nur für denjenigen da sind, der sie sich ausdenkt. So war es bei mir früher. Ich habe mir Geschichten für mich ausgedacht, ohne einen möglichen Zuhörer/Leser miteinzuplanen. Erst als ich die Geschichte aus dem Kopf auf Papier gebannt habe, kam in mir der Gedanke an einen Leser auf.

Ich denke, dass wir zwischen verschiedenen Ebenen unterscheiden müssen.

Die erste Ebene wäre die Ebene der Geschichte in der eigenen Fantasie.
Hier existiert die Geschichte nur für denjenigen, der sich diese vorstellt. Ein Zuhörer/Leser hat hier überhaupt keine Rolle und ist vollkommen irrelevant, denn es geht nicht um das Erzählen.

Die zweite Ebene wäre die Ebene der aus der Fantasie entstandenen Geschichte, die erzählt werden will (ob nun von demjenigen der sie sich ausgedacht hat, oder aus sich selbst, ist dabei, zumindest für mich, zweitrangig).
Hier existiert die Geschichte zunächst ebenfalls nur in der Fantasie, wird aber vom "Erzähler" dahingehend modifiziert, dass sie für Zuhörer interessant wird und in eine Form kommt, in welcher man sie gut erzählen kann. Demnach handelt es sich hierbei um einen kommunikativen Akt. Denn auf die erzählte Geschichte bekommt man direkt eine Rückmeldung (und bestehe diese in diesem Fall nur aus gespannt lauschenden Zuhörern).

Die dritte Ebene wäre die Ebene der in der Fantasie entstandenen Geschichte, welche auf Papier gebannt wird und Leser erreichen soll.
Hier geht es darum jemandem eine Geschichte, die sich vorher in der eigenen Fantasie befand, durch die Schrift näher zu bringen. Es ist zwar noch immer ein kommunikativer Akt dahingehend, dass ein bestimmter Austausch zwischen Schreibendem und Leser stattfindet, jedoch ist es gleichzeitig ein isolierter Akt, denn man kommt mit dem Leser nicht in Kontakt und bekommt keine direkte, persönliche Reaktion zurück.

Eine mögliche vierte Ebene wäre die Ebene der auf das Papier gebannten Geschichte, welche auf eine Lesung erzählt wird.
Hier wird eine bereits auf Papier vorhandene Geschichte, welche von den meisten, welche diese Lesung besuchen, bereits gelesen wurde, dem Leser noch einmal verbal nähergebracht.


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I'd like to add some beauty to life. I don't exactly want to make people know more... though I know that is the noblest ambition, but I'd love to make them have a pleasanter time because of me... to have some little joy or happy thought that would never have existed if I hadn't been born.

(Anne Shirley - Anne of Green Gables, Lucy Maud Montgomery)
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Taranisa
Geschlecht:weiblichBücherwurm

Alter: 54
Beiträge: 3225
Wohnort: Frankenberg/Eder


Beitrag07.03.2016 15:47

von Taranisa
Antworten mit Zitat

"Geschichten, die mündlich erzählt wurden": Hier fällt mir spontan ein, was ich über die Ausbildung der Druiden gelesen hatte. Die Ausbildung dauerte auch deshalb so lange, weil die Geschichten, aus denen die Zuhörer etwas lernen sollten bzw. die Geschichte vermitteln sollte, auswendig gelernt werden mussten (+ lernen, wie man spannend erzählt).

Es geht mir wie vielen anderen auch:
Meine Geschichten kommen ganz tief aus mir und wollen erzählt werden. Es sind Charaktere und / oder Themen, die mich interessieren und die sicher auch andere spannend finden. (O.K., um das außerhalb des eigenen Umfelds herauszufinden, bin ich aktuell dabei eine Agentur für mein Debüt zu begeistern.)

Ich schreibe sie zuerst für mich und somit eigentlich bereits auch für diejenigen, die (ich klau mal bei Akiragirl) ähnlich "ticken" wie ich.
Natürlich gebe ich mein Bestes, um die Figuren authentisch darzustellen und die Handlung so zu erzählen, dass die Leser mit fiebern und wissen wollen, wie es weitergeht.

Nebenbei hoffe ich auch, den einen oder anderen Denkanstoß zu geben, zum Träumen oder zum Beschäftigen mit der Epoche anzuregen.
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