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Runa Phaino
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
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Beiträge: 10
Wohnort: Berlin


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Beitrag06.06.2015 12:54
Baumblick
von Runa Phaino
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Baumblick
Ich bin ein Baum und dies ist mein Raum. Seit einhundert Jahren schon. Mit meinen Wipfeln spielt der Wind, fliegt sie durchpflügend über die Wellen, die plätschern unten an den Stamm.
Herum um mich ist Weite, ist Wasser, ist eine Wand. Gräser und Blumen, ein schmaler Weg und ein Backsteinhaus, dabei: ein kleiner Streifen Land. Nicht alles war schon immer da. Ach, - die Blumen. Doch sind sie anders, jedes Mal.
Neben mir geht die Sonne auf, Tag für Tag. Und neben mir geht sie unter, auf der anderen Seite und dann ist es Nacht. Mal ist´s der Schnee, mal die Blätter, die meine Zweige nach unten beugen. Es geht vorüber, es schmilzt, mit der Zeit wird alles anders.

Doch die Blätter, meine Kinder, sie streiten. Sie rascheln und rauschen, sie fliegen fort und zerzausen. So sprechen sie, die das Wasser sehen:
„Dieser See, das einzig Wahre, das Ewige, das Beständige. Auch regnet es auf uns herab, auf uns alle. Also glaubt dem Wasser.“
Und so antworten jene, welche das Backhaus sehen:
„Es gibt wohl Wasser von oben, doch keines von unten. Eine Sammlung von Wasser existiert nur in kleinen Flächen, niemals aber ist es so, wie ihr es sagt. Bestand hat nur dieses Haus, sein Gras und die Blumen vor dem Haus.“
Die aber ins Weite sehen, sagen:
„Wohl gibt es Wasser und Blumen, doch ein Haus, - was soll das sein? Wir sehen es nicht, also gibt es kein Haus. Und das Wasser in seiner Sammlung, wir können es erahnen. Mag es möglich sein. Doch zu behaupten, es gäbe ein Haus – das ist eine Lüge!“
So streiten sie über die Wahrheit, über Richtig und Falsch, doch einig sind sie: Tag und Nacht sind für alle gleich.

Und wenn es Herbst wird, dann verlassen sie mich. Lassen mich kahl und nackt zurück.
Meint doch ein jedes, ihm sei die Richtung gegeben. Meint doch ein jedes, sein Weg wäre klüger. Meint doch ein jedes, sein Blick wäre wahr.

Einst war ich klein, ein Samenkorn allein. Licht und Wasser ließen mich entstehen, machten mich zu dem, der ich jetzt bin: alt und groß. Nie brauchte ich viel, war immer genügsam. Meine dunkle Rinde ein guter Schutz.

Törichte Blätter. Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt. Sehen nicht, dass sie alle sind vom gleichen Baum mit denselben Wurzeln.
Und dann, einst, wenn sie sich lösen und ihr Samen auf guten Grund fällt, ja, dann ...

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tronde
Klammeraffe
T


Beiträge: 522

Das goldene Aufbruchstück Das silberne Niemandsland


T
Beitrag07.06.2015 00:40

von tronde
Antworten mit Zitat

Hallo!
Schönes Parabel mit lyrischem Anfang.
Der Schluss irriert mich, weil die Blätter keine Samen haben. Vielleicht: Doch wenn sie Samen wären, auf guten Grund gefallen, dann, ja dann ...

Grüße
tronde
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Runa Phaino
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
R


Beiträge: 10
Wohnort: Berlin


R
Beitrag07.06.2015 14:34

von Runa Phaino
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Tronde!

Danke für Dein Feedback! Du hast Recht, das mit den Blättern geht so nicht. Hier eine überarbeitete Version:


Ich bin ein Baum und dies ist mein Raum. Seit einhundert Jahren schon. Mit meinen Wipfeln spielt der Wind, fliegt sie durchpflügend über die Wellen, die plätschern unten an den Stamm.
Herum um mich ist Weite, ist Wasser, ist eine Wand. Gräser und Blumen, ein schmaler Weg und ein Backsteinhaus, dabei: ein kleiner Streifen Land. Nicht alles war schon immer da. Ach, - die Blumen. Doch sind sie anderes, jedes Mal.
Neben mir geht die Sonne auf, Tag für Tag. Und neben mir geht sie unter, auf der anderen Seite und dann ist es Nacht. Mal ist´s der Schnee, mal die Blätter, dann viele Früchte, die meine Zweige nach unten beugen. Es schmilzt, es weht davon, mit der Zeit wird alles anders.

Doch die Blätter, sie streiten und verwirren meine fruchtigen Kinder.
So sprechen die Blätter, die das Wasser sehen:
„Dieser See, das einzig Wahre, das Ewige, das Beständige. Auch regnet es auf euch herab, auf uns alle. Also glaubt dem Wasser.“
„So wollen wir den Blätter glauben, die dort wachsen, wo die Sonne untergeht“, sagen meine Kinder.
Jene Blätter aber, die das Backhaus sehen, sprechen:
„Es gibt wohl Wasser von oben, doch keines von unten. Eine Sammlung von Wasser existiert nur in kleinen Flächen, niemals aber ist es so, wie die anderen Blätter sagen. Bestand hat nur dieses Haus, sein Gras und die Blumen vor dem Haus.“
Dann entzweien sich meine Kinder, ein manches wird gar faul dabei und fällt ab.
Die Blätter aber, die ins Weite sehen, sagen:
„Wohl gibt es Wasser und Blumen, doch ein Haus, - was soll das sein? Wir sehen es nicht, also gibt es kein Haus. Und das Wasser in seiner Sammlung, wir können es erahnen. Mag es möglich sein. Doch zu behaupten, es gäbe ein Haus – das ist eine Lüge!“
Und meine Kinder erröten wegen ihrer Unwissenheit, werden reif und schwer.


Die Blätter aber streiten über die Wahrheit, über Richtig und Falsch, über den einzigen Blick.
Und wenn es Herbst wird, dann verlassen sie mich. Lassen mich kahl und nackt zurück.
Meint doch ein jedes, ihm sei die Richtung gegeben. Meint doch ein jedes, sein Weg wäre klüger. Meint doch ein jedes, die Sonne scheine nur für sich.

Einst war ich klein, ein Samenkorn allein. Licht und Wasser ließen mich entstehen, machten mich zu dem, der ich jetzt bin: alt und groß. Nie brauchte ich viel, war immer genügsam. Meine dunkle Rinde ein guter Schutz.

Törichte Blätter. Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt. Haben vergessen, dass sie alle am gleichen Baum hängen, dass sie alle dieselben Wurzeln haben. Erzählen meinen Kindern nur die Wahrheit, die sie sehen.
Doch wenn die Früchte sich lösen und ihr Samen auf guten Grund fällt, ja, dann …
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Jack Burns
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1443



Beitrag07.06.2015 21:26

von Jack Burns
Antworten mit Zitat

Hallo Runa Phaino
Das ist eine gut durchdachte Parabel, die einen schönen lyrischen Ton trägt, ohne zu schwülstig zu wirken. Vielleicht hattest Du ein Bild des Stammbaums der Menschheit vor Augen, beim Dichten. Bei mir entstand es beim Lesen.

Gruß
Martin


_________________
Monster.
How should I feel?
Creatures lie here, looking through the windows.
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Runa Phaino
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
R


Beiträge: 10
Wohnort: Berlin


R
Beitrag08.06.2015 04:29

von Runa Phaino
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ja, ganz genau. Cool Bin sehr erfreut, dass du das Rauslesen konntest.

Bild der Menschheit mit all ihren Denksystemen. Hab in letzter Zeit viel über das "Universum" gelesen, - das war ja auch mal winzig klein.

Viele Grüße


Runa
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