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Wasserwaage Eselsohr
Alter: 107 Beiträge: 224 Wohnort: Terra incognita
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05.06.2012 16:56 die Möwen von Wasserwaage
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flügel hängen rückenab
morgenwind zerzaust gefieder
augen tauen unter last
im sturzflug schreien liebeslieder
träume zerrieben
an meerblauen hecken
schnitte die blutige federn bedecken
in dünung verhangen:
brotfarbenes licht
sand berührt schwingen - sanft mut erlischt
Weitere Werke von Wasserwaage:
_________________ ich vergebe der Sprache, den Worten und mir |
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Nina Dichterin
Beiträge: 5012 Wohnort: Berlin
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05.06.2012 19:34
von Nina
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huch, das sehe ich ja erst jetzt - du hast eins meiner gedichte als lyrikempfehlung in deiner signatur. ich fühle mich geehrt. ganz lieben dank!
(falls jemand vorbeischauen und / oder kommentieren möchte
http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?t=35472)
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nun mal zu deinem gedicht hier. die erste strophe habe ich im zweiten anlauf als sehr rhythmisch empfunden. es klingt fast fröhlich, obwohl es um gar nichts fröhliches geht. da ist ein jemand traurig zerzaust. unter einer last. die schreienden liebeslieder haben es mir angetan. ich kann sie hören bis hier.
in der nächsten strophe gibt es einen bruch. im wahrsten sinne des wortes. da hat sich etwas ausgeträumt, in langem ermüdenden kampf. das gefieder ist blutig. klanglich unterscheidet es sich von der ersten strophe. es ist viel passiert. die formulierung: schnitte, die blutige federn bedecken ... ist zum dran hängenbleiben, aber anders, als die schreienden liebeslieder. denn um dieses bild greifen zu können, mache ich nicht einfach mein herz auf, sondern auch meine gedanken versuchen sich zu orientieren. schnitte, die bedecken. das klingt unlogisch. gemeint ist sicher, dass die blutigen federn die schnitte bedecken, die auf der haut sind. ich weiß nicht, inwieweit du an deinen gedichten noch etwas verändern möchtest, willst - jedenfalls denke ich, dass du in dieser zeile evtl. noch mal feilen könntest. vielleicht empfindest du es aber auch so als klar. ich verstehe natürlich, was gemeint ist hier, aber mich hat es erstmal herausgeworfen.
hach, seufz. die letzte strophe. traurig, sehr traurig. der mut erlischt, die sanftmut erlischt und damit wohl auch, die sanftmut und auch die liebeslieder. etwas stirbt, könnte ich mir als letzte zeile vorstellen.
gefällt mir, dein gedicht. es ist traurig. also das gedicht. ich mag es. die liebe, die liebe ...
liebe grüße
*davonflatter*
nina
_________________ Liebe tut der Seele gut. |
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lilli.vostry Wortschmiedin
Beiträge: 1219 Wohnort: Dresden
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05.06.2012 23:35 aw:möwen von lilli.vostry
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Hallo Wasserwaage,
dein Gedicht berührt mich. Die erst heftig wilden, dann leise zarten, wehmutsvollen Bilder und der Tonfall; das Fliegen wollen und nicht mehr können mit den Möwen - die eigentlich allen Winden bei jedem Wetter standhalten - ihre Schönheit, Verletzlichkeit, Hin und Hergetriebensein und Zerissenheit spiegeln die teils spröden Zeilen gut wider. Selbst wenn mir "himmelblaue Hecken" und "Schnitte die blutige Federn bedecken" etwas weit hergeholt erscheinen und sich etwas bemüht reimen.
Das "brotfarbene Abendlicht" find ich interessant, da noch nie gehört, und sehe es als Sinnbild, dass da jemand mehr als ihm lieb war Sand in die Augen gestreut bekam, der im Nachhinein heftig Staub aufwirbelt, so dass die Flügel erst mal ganz matt und kraftlos herabhängen und der Sanftmut verlöscht. Doch vielleicht kommt dann ein anderer Mut, denn Möwen sind wie gesagt nicht nur anmutige, sondern auch sehr wetterfeste Tiere, ich mag sie auch sehr.
Viele Grüße, Lilli - Wortschmiedin
_________________ Wer schreibt, bleibt und lebt intensiver |
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palomina Leseratte
Beiträge: 197
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12.06.2012 13:31
von palomina
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Liebe WeWe,
nun wage ich mich endlich an deine Möwen heran, sie sind so unglaubliche Tiere. In Morgensterns Möwenlied scheinen sie alle Emma zu heißen und lehren uns, ja was , Demut?
Bei Tschechow wird die Möwe zum Symbol für Tristess und Tod, für das Erstarren-Müssen alles Lebendigen, auch des Menschen.
Und Richard Bachs eigenwillige Möwe Jonathan schließlich glaubt an die Herrlichkeit des Fliegens, die große Freiheit für alle Möwen.
Den Seefahrern bringen sie die Botschaft: das Land ist nicht mehr weit. Es heißt aber auch, in ihnen lebten ertrunkene Kameraden weiter...
Doch eigentlich will ich ja etwas zu deinem Gedicht schreiben. Deine Möwen haben wohl stürmische Zeiten hinter sich; müde sind sie, zerzaust, von schreienden Liebesliedern im Sturzflug begleitet, in ihnen kreischt noch Verzweiflung
Dann nicht mehr; blauen Hecken - der Himmel, das Meer scheinen sich verdichtet zu haben, zu beengen zu begrenzen... Nun sind Hecken ja für Möwen keine wirklichen Hindernisse, aber mit blutigem Gefieder und diesen (Ein-)Schnitten, den zerriebenen Träumen... Resignation spüre ich und noch mehr Müdigkeit, Schwere, die zu Boden drückt.
Das brotfarbene Licht hat sich mich sofort eingeprägt, beim ersten Überfliegen deines Textes, es sticht hervor, ragt aus dem Meer-Sand-Möwen-Bild, so ungewöhnlich: und doch habe ich gleich einen Eindruck, eine Empfindung. Brotfarben muss es sein am Morgen, wenn eine ferne Sonne durch dichten Nebel ungewiss zu erahnen ist, brotfarben, wie eine Fortsetzung des Sands nur nicht greifbar. Nicht "sandfarben", schreibst du, wie die Wüste, Öde, Leere..., da steckt noch ein Erinnern an das Nährende, Gute, ein Anklang an goldgelben wogenden Weizen, der Duft von Verwurzeltsein und Heimat, von Schweiß und Arbeit, von Hunger und Sattwerden und von rechtschaffenem Genuss.
In diesem brotfarbenen Licht steckt für mich trotz allem Hoffnung, trotz Sand in den Schwingen und dem abschließenden "erlischt". Was immer da erlischt, es erlischt nicht ganz, weil da noch immer etwas da ist, das lebt.
Nina schrieb, dass der erste Abschnitt sich sehr rhythmisch liest, dem stimme ich zu. Als fröhlich empfinde ich es nicht. In Kreuzreim -assonanz mit wechselnden Kadenzen klingen die Verse aus. "rückenab" und "unter last" ziehen mich schon ziemlich hinunter, in "zerzaust Gefieder" und "schreien Lieder" klingt noch der Rest eines Kampfes an, der längst entschieden ist, Verletzungen ziehen Zorn und Verzweiflung nach sich, Wunden schmerzen.
Im zweiten Abschnitt lässt du die Lieder assonant nachklingen in "zerrieben", wechselst zum Daktylus und baust die Verse langsam immer mehr aus, ein Akzeptieren der Hecken, Aufgeben der Träume, Sich-Abfinden mit dem, was ist.
Der letzte Abschnitt ist klanglich besonders gestaltet, Vokale klingen nach und binden Worte aneinander: - verhangen - sand - sanft; dünung - berühren; licht - erlischt;
Andereseits wird aus "verhangen" - "schwingen", für mich eine Aufwärtsbewegung, ein kleiner klanglicher Lichtblick.
Und damit möchte ich gern schließen, mit einem Lichtblick auf die Möwen, die sich immer wieder in die Freiheit emporschwingen (jedenfalls glaube ich das! )
Liebe Grüße, palomarina
_________________ Es ist schon Gras gewachsen
über unsren Himmel.
An manchen Stellen ist es blau
und gleich daneben ausgebrannt.
(palo 2011) |
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