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Mr. Curiosity Exposéadler
Alter: 35 Beiträge: 2545 Wohnort: Köln
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05.11.2010 00:44 Kleinstadtfragmente von Mr. Curiosity
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Kleinstadtfragmente
im sommer wächst alles zu allegorien
heran: die sterile melancholie der
seife wenn der nachbar sein auto wäscht, sich noch nichts
spiegelt längst polierter scheiben, der einkauf der
alten dame, sie hat alles besorgt,
für einen sonntag portionierter geselligkeit.
Im sommer herrscht die zerfallene treppe
als metonymie unsres hauses. Hier oben
sehe ich über die zäune die fremden,
ihre durchgepauste gelassenheit,
wenn sie ihm den kaffee bringt und
ihr lächeln in seine ordner heftet.
In den gartenzaunvolieren flattert
Der tratsch. uns ist das schweigen
die haut. wie flöhe: Das kläffen, gelächter,
rasensprenger und manchmal auch
deine finger auf meinem gesicht,
die worte die sich nicht mehr fangen lassen.
der supermarkt macht zu. ein einsamer
einkaufswagen treibt auf dem parkplatz.
plastiktüten, schlaffe segel, schwimmen
im grau. kein stern, um den weg zu lesen.
da tobte ein sturm durch ein leben
und wirbelte vasen gegen die wand.
an der tankstelle hole ich mir und dem wagen
den schnaps für die kommenden stunden
wir umrunden meine sehnsucht um fünf
am morgen, am bahnhof wo wir uns einst sahen,
zwischen fernsucht und heimsucht,
zwischen uhren und flatternden mänteln.
wenn ich dir sage, dass mich manchmal des nachts,
wenn ich rauschhaft die landstraßen rase, vage
traurigkeit überkommt:
dann meine ich einzig, die leitpfosten ähneln
allmählich im fernlicht unseren momenten;
und diese straße wird im feuer münden.
Weitere Werke von Mr. Curiosity:
_________________
"Wenn du Schriftsteller sein willst, dann sag, dass du der Beste bist ...
Aber nicht, solange es mich gibt, kapiert?! Es sei denn, du willst das draußen austragen."
(Ernest Hemingway in "Midnight in Paris") |
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fictionality Wortedrechsler
Alter: 45 Beiträge: 56 Wohnort: Schwarzwald
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05.11.2010 06:26
von fictionality
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Habe den Text mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Hier was mir aufgefallen ist:
Positiv:
1. "Im Sommer wächst alles zu Allegorien" - schön!
2. "... ihr Lächeln in seine Ordner heftet" - noch schöner!
3. "In den Gartenzaunvolieren flattert der Tratsch" - gefällt mir außerordentlich gut.
Negativ:
"... hole ich mir und dem Wagen den Schnaps ..." Warum dem Wagen?
Insgesamt ein sehr gelungener Text. Vielleicht hast du ja Interesse, ein paar Texte für mein Lyrikmagazin einzureichen: www.lyrikzeitschrift.de ... Würde mich freuen!
Gruß, Sven
_________________ Die Ewigkeit ist nicht beweisbar.
Autorenseite: svenklöpping.de
Lyrikseite: lyrikzeitschrift.de |
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prophet Klammeraffe
Beiträge: 515 Wohnort: überall
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05.11.2010 09:38
von prophet
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Hi,
wenn du mir nachsiehst, dass ich heute zu faul bin für rezensionsgeschwängerte Exkurse in die Tiefen der lyrischen Walhalla,
so darf ich sagen, dass mir der Text ausnehmend gut gefällt, deine plastischen Bilder, fast schon expressionistisch gefärbt, verschlüsselt und doch herzensleicht zu kapieren, für mich ein klasse Text.
LG p.
_________________ Ich habe es stets abgelehnt, verstanden zu werden. Verstanden werden heißt sich prostituieren. Fernando Pessoa
Sprüche klopfen ist leichter als Worte dichten. prophet
Ich fordere nichts von Dir außer Deinem Respekt. prophet
Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger. Kurt Tucholsky |
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Mr. Curiosity Exposéadler
Alter: 35 Beiträge: 2545 Wohnort: Köln
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06.11.2010 13:50
von Mr. Curiosity
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Danke euch beiden.
@fictionality:
Wäre ich sehr interessiert dran. Eventuell könntest du mir bei der Auswahl ein bisschen helfen (?) Ich habe ja kein Bild davon, welche Art von Lyrik ihr verlegt.
@prophet:
Danke auch dir. Wenn es expressionistisch gefärbt ist, dann unbewusst ^^ Immerhin bin ich Fan von u.a. dieser Richtung.
LG David
_________________
"Wenn du Schriftsteller sein willst, dann sag, dass du der Beste bist ...
Aber nicht, solange es mich gibt, kapiert?! Es sei denn, du willst das draußen austragen."
(Ernest Hemingway in "Midnight in Paris") |
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EdgarAllanPoe Poepulistischer Plattfüßler
Alter: 32 Beiträge: 2356 Wohnort: Greifswald
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08.11.2010 20:48
von EdgarAllanPoe
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Deine Gedichte lese ich immer sehr gerne, David, auch dieses hier. Bis auf die recht sprunghafte - beabsichtigte? - Zeichensetzung und den Fehler, den Sven schon angesprochen hat, habe ich nichts zu beanstanden, außer, dass im fünftletzten Vers eine Präposition fehlt.
Ich lese hier die Bruchstücke eines Kleinstadtlebens, die einem Lyrischen Ich nach einer unbestimmten Zeit wieder in den Sinn kommen. Die Elemente des auf engstem Raum stattfindenden Wohnens erzeugen in ihm keine Geselligkeit, sondern - im Gegenteil - Beengung und Ziellosigkeit, die es durch lange Landfahrt zu beseitigen versucht. Da das Gedicht genau wie der Weg nicht endet, vermute ich jedoch, dass es dazu nicht kommt - es wird immer nur noch suchen und doch nichts finden. Dazu kommt ein nicht näher identifizierbares Du in der letzten Strophe, das auf das Lyrische Ich ebenfalls einen negativen Einfluss ausübt - wenn es auf seiner endlosen Autofahrt schon in "[L]eitpfosten" Bilder der gemeinsamen Zeit zu erkennen denkt, wage ich seine Gesundheit anzuzweifeln; diese Chiffre ist zu verdreht, um sie nachvollziehen zu können. -
Die Ziellosigkeit, die du beschreibst, findet sich auch in den Passagen wieder, in denen du die Bewohner dieser kleinen Stadt beschreibt. Einsamkeit, man freut sich auf die raren Momente, in denen man beisammen sitzen kann - und doch fühlt man sich eingeengt vom eigenen Alleinsein.
_________________ (...) Das Gedicht will zu einem Andern, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Paul Celan
Life is what happens while you are busy making other plans.
- JOHN LENNON, "Beautiful Boy"
Uns gefällt Ihr Sound nicht. Gitarrengruppen sind von gestern. (Aus der Begründung der Plattenfirma Decca, die 1962 die Beatles ablehnte.) |
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phönixe Eselsohr
P Alter: 56 Beiträge: 238 Wohnort: Gelsenkirchen
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P 15.11.2010 11:29
von phönixe
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Hallo David,
es hat mich gefreut den Sprit lesen zu können..(ich glaube hier müsstest du die Moderation bitten, es umzuändern)
hier bei deiner Lyrik kann ich mich wiederfinden, (meine Stadt ist mindestens genauso Groß wie deine, aber ich lebe in einem Vorort in dem die Zeit stehengeblieben ist)
ohne Tanke wäre ich aufgeschmissen ( nicht nur wegen dem Sprit , sondern auch um vergessene Geburtstagsgeschenke nachzuholen)
ich halte deine Wortwahl für ausgezeichnet-
lg phönixe
_________________ Nichts kommt zweimal vor / auch wenn es uns anders schiene / wir kommen untrainiert zur Welt / und sterben ohne Routine. (wislawa szymborska) |
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Mr. Curiosity Exposéadler
Alter: 35 Beiträge: 2545 Wohnort: Köln
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15.11.2010 12:19
von Mr. Curiosity
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@EAP:
Schön, wenn's dir gefällt. Du hast so ziemlich genau das erfasst, was ich rüberbringen wollte.
Zitat: | wenn es auf seiner endlosen Autofahrt schon in "[L]eitpfosten" Bilder der gemeinsamen Zeit zu erkennen denkt, wage ich seine Gesundheit anzuzweifeln; diese Chiffre ist zu verdreht, um sie nachvollziehen zu können. - |
Das ist immer so eine Sache. Ich habe so meine eigene Symbolsprache entwickelt, die dann natürlich für andere Leser chiffrenartige Züge annehmen kann. "Licht" hat in meinen Gedichten sehr oft mit Momenten zu tun, mit Flucht aus dem Alltäglichen. Diese Chiffre ist also sehr breit angelegt:
Zunächst einmal leuchten Leitpfosten, widerspiegeln also diese Momente, die ihm eine Perspektive geben. Andererseits leuchten sie nur sehr schwach, sind zudem noch alle gleichförmig und in gleichen Abständen, was den Wert der Momente wieder relativiert, sie fast als Mechanismus zum Überleben kennzeichnet. Hinzu kommt, dass sie nicht selbst leuchten, sondern nur reflektieren. Dies lässt auch wieder Deutungen offen.
Du hast also Recht, jene Metapher ist komplexer Natur.
@phönixe:
Ich lass das hier einfach mal so.
Ja, auch ich wohne in so einer ähnlichen Kleinstadt. Hier hatte ich jedoch vor allem die amerikanischen Vororte (man denke z.B. an den aus "American Beauty") im Sinn, in einem derer ich mal vier schrecklich öde Monate verbrachte.
LG David
_________________
"Wenn du Schriftsteller sein willst, dann sag, dass du der Beste bist ...
Aber nicht, solange es mich gibt, kapiert?! Es sei denn, du willst das draußen austragen."
(Ernest Hemingway in "Midnight in Paris") |
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