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Nordlicht Waldschrätin
Beiträge: 3755
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19.04.2010 02:13 Zeitenhilfe verzweifelt gesucht von Nordlicht
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Kann mir jemand bitte klipp und klar sagen, wie es sich mit Folgendem verhält.
Wenn die Handlung von einem autobiografischen Text in der Vergangenheit spielt, schreibt man dann korrekterweise gnadenlos alles in der Vergangenheit, was die Beschreibung von Orten oder seit Urzeiten sich immer gleich abspielenden Geschehen angeht?
Die Antwort darauf scheint mir "ja" zu sein, aber ich finde, das hört sich im Text dann falsch an...
Zwei Beispiele:
"Acht Tage nachdem der Grizzly sich noch seinen Weg über das Eis erzwungen hatte, brach unser Teil vom See auf. Ebenso wie das Zufrieren leise, fast heimlich geschieht, passiert auch das Aufbrechen ohne Drama."
Ist bei Seen schon immer so gewesen und wird auch immer so sein, da die Strömung fast unmerklich ist. Vergangenheit oder Gegenwart?
"Der massive Klotz, der Mount Minto ist, erhob sich am Nordende des Sees wie ein Mahnmal."
Da zu schreiben, "der Mount Minto war", hört sich für mich an, als sei er inzwischen zu Sand zerbröselt.
Hiiiilfe!!!
_________________ If I waited for perfection, I would never write a word - Margaret Atwood |
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Michael Anti-Lyriker
Beiträge: 734
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19.04.2010 03:06
von Michael
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Hallo Nordlicht.
Also klipp und klar kann ich dir das jetzt wahrscheinlich nicht sagen, aber ich denke, dass du beides verwenden kannst.
Nehmen wir mal deine Beispiele:
Zitat: | "Acht Tage nachdem der Grizzly sich noch seinen Weg über das Eis erzwungen hatte, brach unser Teil vom See auf. Ebenso wie das Zufrieren leise, fast heimlich geschieht, passiert auch das Aufbrechen ohne Drama." |
Ich denke mal, es sollte passierte heißen, nicht passiert, oder?
Bei dem Beispiel hört sich die Präsensform irgendwie besser an. Also so, wie du es geschrieben hast. Aber "geschah" passt dort auch sehr gut, finde ich.
Zitat: | "Der massive Klotz, der Mount Minto ist, erhob sich am Nordende des Sees wie ein Mahnmal."
Da zu schreiben, "der Mount Minto war", hört sich für mich an, als sei er inzwischen zu Sand zerbröselt.
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-wenn es jetzt nur um diesen Satz geht, würde ich das fettgedruckte einfach wegstreichen und an anderer Stelle erwähnen, dass der Mount Minto ein fetter Klotz war.
Aber ich persönlich würde in solchen Fällen die Vergangenheitsform anwenden, sofern ich auch in dieser Form schreibe. (Obwohl sich im ersten Beispiel die Gegenwartsform etwas besser anhört)
Also klipp und klar konnte ich dir leider nicht sagen, was besser ist. Sei mir deswegen nicht böse. Ich kann dir leider nur sagen, wie ich es machen würde.
lg
Michael
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DasProjekt Exposéadler
Beiträge: 2898 Wohnort: Ørbæk, Nyborg, Dänemark
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19.04.2010 06:11
von DasProjekt
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Ich denke, das ist zuletzt immer eine Ermessensfrage von Autor und Lektorat. Aber ich warne: Ulf Schiewe's "Bastard von Tolosa" ist in der Ich-Perspektive geschrieben, und zwar so, dass er diese Ecken, die dir Kopfzerbrechen bereiten (Dinge, die immer so waren und immer so sein werden), im Präsenz schreibt. Und das hat mich an diesem Buch unwahrscheinlich irritiert und mir den Lesenerv geraubt! (Gut, mit noch der Besonderheit, dass der Ich-Erzähler die Geschichte mit einem Abstand von ein paar Jahrzehnten erzählt, wohingegend für uns der ganze Spaß 900 Jahre zurückliegt, was dann an einigen Stellen noch verzwickter wurde, weil für damals das Präsenz richtig war, für heute nicht mehr, weil Dinge sich nun doch geändert haben ... es war für mich einfach ein heilloses Durcheinander!)
Also ist es nicht nur eine Ermessens-, sondern auch eine Geschmacksfrage, wie es beim Leser ankommt!
Was ich (die ich Autobiografien nicht mag, aber das sei mal an den Rand gestellt) an deiner Stelle machen würde, wäre ein striktes Umstellen der Konstruktion. Die Dinge, die du im Präsenz schreiben willst, weil sie allgemeingültige Vorgänge beschreiben (das Zufrieren und Aufbrechen des Sees zum Beispiel), die würde ich ganz an den Anfang setzen. Des Kapitels, der Szene, des Absatzes, wie auch immer. Und dann in der Narrative auf das zu beschreibende Geschehen schwenken und damit in die Vergangenheitsform. Es wirkt geordneter. Zu Anfang, im Präsenz, setzt du die Szene, stellst Dinge fest, die zum Verständnis dessen, was kommt, wichtig sind, und wenn das geklärt ist, erzählst du deine Geschichte.
Zitat: | "Acht Tage nachdem der Grizzly sich noch seinen Weg über das Eis erzwungen hatte, brach unser Teil vom See auf. Ebenso wie das Zufrieren leise, fast heimlich geschieht, passiert auch das Aufbrechen ohne Drama." |
Der erste Satz fällt weg. Die Szene mit dem Grizzly war schon, oder kommt noch, keine Ahnung. Dein Absatz würde beginnen mit:
Zitat: | Ebenso wie das Zufrieren leise, fast heimlich geschieht, passiert auch das Aufbrechen des vereisten Sees ohne Drama. |
Und dann leise an den Grizzly erinnern, aber schon darauf hinarbeiten, wohin du willst, ohne dem verflixten Bären allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Zitat: | Wasser begann sich in den Vertiefungen zu sammeln, die die Tatzen des Grizzlys ins Eis gedrückt hatten. Feine weiße Linien zeigten sich unter der Oberfläche, wurden zu Rissen. ... |
Etc pp, weiß ja nicht, was du jetzt erzählen willst.
_________________ 25. Mai 2017 - Kim Henry "Be Mine Forever" |
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Nordlicht Waldschrätin
Beiträge: 3755
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19.04.2010 18:48
von Nordlicht
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Also klipp und klar eindeutig zweideutig?! hmm *seufz*
Danke Michael, für Deine Gedanken dazu
Deine Idee ist super, Projekt! Kann ich an vielen Stellen so machen, denke ich, ohne den Text arg zu verwarzen. Prima, dank Dir
Die Stellen, wo es absolut nicht in den Textfluss passt, es so umzustellen, mache ich dann einfach nach meinem Gutdünken. Wird ja nicht der entscheidende Grund sein, wenn am Ende keiner das Manuskript annimmt, dass sich an fünf Stellen diese Zeitensache je nach Geschmack etwas seltsam liest. Hoffe ich
_________________ If I waited for perfection, I would never write a word - Margaret Atwood |
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Gast
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27.04.2010 20:15
von Gast
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Zitat: | Kann mir jemand bitte klipp und klar sagen, wie es sich mit Folgendem verhält.
Wenn die Handlung von einem autobiografischen Text in der Vergangenheit spielt, schreibt man dann korrekterweise gnadenlos alles in der Vergangenheit, was die Beschreibung von Orten oder seit Urzeiten sich immer gleich abspielenden Geschehen angeht?
Die Antwort darauf scheint mir "ja" zu sein, aber ich finde, das hört sich im Text dann falsch an...
Zwei Beispiele:
"Acht Tage nachdem der Grizzly sich noch seinen Weg über das Eis erzwungen hatte, brach unser Teil vom See auf. Ebenso wie das Zufrieren leise, fast heimlich geschieht, passiert auch das Aufbrechen ohne Drama."
Ist bei Seen schon immer so gewesen und wird auch immer so sein, da die Strömung fast unmerklich ist. Vergangenheit oder Gegenwart?
"Der massive Klotz, der Mount Minto ist, erhob sich am Nordende des Sees wie ein Mahnmal."
Da zu schreiben, "der Mount Minto war", hört sich für mich an, als sei er inzwischen zu Sand zerbröselt. |
...doch schon ...
Hallo Nordlicht,
ist ein gutes Zeichen in Sachen Feingefühl, wenn du (wenn auch ohne Ergebnis) intuitiv erkennst, dass was nicht stimmt! Hier liegt ein selbstgeschaffener Stilkonflikt vor, der durch „sorglose“ Formulierung verstärkt wurde. Zudem hast du möglicherweise eine schlüssige Erzählung (vom Bär) mit einem Zeitraffer beendet, ohne das Thema sauber abzuschließen. Das vermute ich aber nur, weil ich darauf angewiesen war, die Inhalte anhand des kurzen Abrisses im Geiste zu ergänzen. Wie kam ich dazu?
Es war (bei mir) Der Grizzly.
Die Art, in der du dich auf den Grizzly beiziehst, sagte mir, dass er zuvor für ein paar Zeilen eine Rolle gespielt haben dürfte. War es so, hast du dich im Satz „acht Tage (…)“ zeitlich abrupt von ihm distanziert, und dich so in Schwierigkeiten gebracht. Du hast möglicherweis eine laufende Aktion (Beobachtung des Bären) mit einem Zeitraffer abgeschlossen. Ts, ts.
Ist mein Gefühl stimmig, wäre es stilistisch sauberer die Bärengeschichte damit abzuschließen, dass er über den zugefrorenen See davon trottet.
Dieses Vorgehen ermöglicht dir den nahtlosen und zeitlich sauberen Übergang im Stile wie: „Acht Tage später brach das Eis (…)“ Jedoch Ohne noch einmal auf den Bären zu sprechen zu kommen! Der Zusammenhang wäre klar und der zeitliche Konflikt beseitigt.
Allerdings solltest du dir zum „Zufrieren“ und „Tauen“ was einfallen lassen. Vom gelegentlich „krachendem“ Eis während des Tauens einmal abgesehen, erzählst du mit dem stillen Ablauf eine Selbstverständlichkeit. Ein Lektor würde das mit hoher Sicherheit streichen. Gleiches gilt für die Aussage: Das war bei Seen schon immer so. Es gibt riesige Seen, auf denen das Wasser stürmisch wie das offene Meer sein kann, ist also nicht haltbar.
Zum Gebirge.
Auch da hast du dich m.E. schwer vergriffen. So wie du den Berg darstellst, wird er neben dem See zum Statisten. Für einen über viertausend Meter hohen Berg eine ziemlich schräge Einstufung und weit mehr, als nur ein Klotz. Trenne die Aussage vom See: „nördlich des Sees erhob sich der eisfreie Gipfel des (…)“ wäre eine Möglichkeit. Achte darauf den Berg nicht zu verniedlichen und in ein angemessenes Verhältnis zum See zu setzen.
Was die zeitliche Ebene angeht, so könnte dir ein einfache Kniff aus der Patsche helfen. Verankere den Berg an eine Momentbetrachtung und schon bist du aus dem Schneider. Grundsätzlich ist es korrekt die Zeitebene zu halten. Also das Präteritum.
Aber, verankerst du den Berg in eine Momentbetrachtung, liest es sich nicht nur korrekt, sondern wird auch so empfunden. Zeifel kommen gar nicht erst auf. Ein simples Beispiel für eine Momentbetrachtung wäre ein besonders prächtiger Sonnenunter- oder Aufgang. Er ist nicht alle Tage garantiert und schon deshalb bestens im Präteritum aufgehoben.
Übrigens werden so ziemlich alle derartigen Problem durch Stilkonflikte ausgelöst. Sie zu fühlen ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung, sie zu ergründen, ist die damit verbundene Anforderung an die Autoren.
Viel Glück
Bobbi
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Nordlicht Waldschrätin
Beiträge: 3755
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27.04.2010 20:56
von Nordlicht
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Hi Bobbi,
keine Panik, ich habe die beiden Beispiele nicht verbatim aus meinem Text kopiert, sondern zusammengekürzt, um mein Dilemma mit den Zeiten deutlich zu machen. Dafür fand ich die restliche Erzählung, um was es in den beiden Szenen jeweils geht, unwichtig und hab's daher rausgeschnitten
Das Aufbrechen und Zufrieren des Sees bezieht sich ja nur auf unsern See, nicht auf die Oberen Seen oder ähnliche Binnenmeere, von daher finde ich es schon eine gültige Aussage, dass das hier ohne Drama abgeht.
Dank Dir für den Tipp, die Beschreibungen an einer Momentbetrachtung zu verankern! Wird schon noch werden...
_________________ If I waited for perfection, I would never write a word - Margaret Atwood |
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