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Felix Eselsohr
F Alter: 36 Beiträge: 338
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F 20.01.2008 02:34 Männerballett von Felix
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Männerballett
Viele hatten ihn bereits ungläubig gefragt, warum er sein Wirtshaus ausgerechnet an diesem Ort errichtet hatte.
Es war eine trostlose Gegend, regelrechtes Niemandsland. Grau, Braun und Schwarz waren die vorherrschenden Farbtöne der Landschaft. Niemals würde sich auch nur ein einziger Gast an seinen Tresen verirren, hatten ihm all diese Schwarzseher prophezeit.
Wenn der Wirt nun an diese Worte dachte, konnte er ein vergnügtes Schmunzeln unter seinem buschigen Vollbart nicht verbergen. Versonnen ließ er den Blick durch den Schankraum schweifen, an dessen Tische sich junge Männer und Kerle mittleren Alters tummelten, redeten und lachten.
Zugegeben, es fanden ausschließlich Männer hierher, aber das ergab sowieso eine gemütlichere Atmosphäre.
Draußen donnerte es dumpf drei Mal hintereinander. Als der Wirt aufblickte sah er, dass sich wieder ein Nebelschleier, einem Vorhang gleich, vor die Fenster des Hauses gelegt hatte.
Das war der einzige wirkliche Nachteil, dachte der Wirt bei sich, der ständige Krach und der so typische Nebel.
Mit einem Kopfschütteln widmete er sich wieder dem Polieren seines Tresens, als plötzlich die Tür aufflog und drei weitere Jugendliche hustend und außer Atem in seinen Schankraum stolperten.
„N’Abend Jungs“ grüßte er sie, ohne von seiner Arbeit aufzublicken.
Drei Rucksäcke wurden zu Boden geworfen und drei durstige Kerle setzten sich an den Tresen.
Als der Wirt dieses Mal aufsah, musterte er die müden und mit Schlamm verkrusteten Gesichter von Xaver, Mickey und Alain. Ein deutsches, ein irisches und ein französisches Gesicht blickten deprimiert drein.
„Na Jungs, wie war das Spiel heute? Wer gewinnt?“ fragte der Wirt lächelnd auf Esperanto.
Die Gäste seiner Taverne sprachen in der Plansprache oder lernten es zumindest.
Jedes Mal, wenn sie kamen, stellte er den Jungen diese Frage und jedes Mal erhielt er eine mehr oder weniger ergiebige Antwort. Heute ließen sich die Drei wieder nur zu einer vagen Erwiderung hinreißen. Noch immer hing die trübe Stimmung schwer über ihren Köpfen.
Die Stirn des Wirtes zog sich in kleine Falten, er mochte es nicht seine Gäste in solch einer Stimmung zu sehen.
„Okay, was ist passiert?“
„Alains Bruder ist gestorben. Ziemlich plötzlich“ antwortete Xaver leise, während Mickey geknickt auf den Tresen starrte.
Der Wirt gab ein unwilliges Brummen von sich. Er hatte Alains Bruder nicht gekannt, jedenfalls konnte er sich nicht an solch eine Person erinnern, dennoch legte sich ein Schatten auf sein Gesicht. Der Wirt fühlte mit all seinen Gästen, deshalb war er der Mann hinter dem Tresen.
„Tut mir echt Leid für dich Alain. Für euch zwei auch“ sagte er mit einem Blick auf Xaver und Mickey, „wie sieht’s aus? Hilft euch ein Bier?“
Beim aufmunternden Klang seiner Stimme stahl sich langsam ein heimliches Lächeln auf die Gesichter der drei Jungen.
„Vielleicht.“
Drei Krüge Bier wurden auf den Tresen geknallt.
„Kopf hoch Leute, wenigstens hat es Alains Bruder schnell hinter sich gebracht. Es hätte auch langsam und qualvoll sein können. Außerdem“, der Wirt zwinkerte und umfasste mit einer Handbewegung den gesamten Schankraum, „außerdem habt ihr noch mich, das Wirtshaus und all die anderen Jungs hier.“
Diese Worte schienen wenigstens ein wenig Trost zu beinhalten, denn mit einem weinenden und einem lachenden Auge stürzten Xaver, Mickey und Alain ihr Bier herunter.
„Ich könnt’ noch eins vertragen“ Mickey wagte sich an ein leichtes Grinsen.
„Definitiv.“
„Oh ja.“
Der Wirt schmunzelte. Leere Krüge gingen und volle Krüge kamen.
„Ihr drei habt mal wieder noch mehr Probleme, stimmt’s?“
Einhelliges Murmeln war die Antwort. Der Wirt seufzte, wie so häufig am Tag, goss sich selbst ein Bier ein und stützte sich auf den Tresen. Dieses Gespräch würde noch etwas dauern.
Tatsächlich redeten sie noch mehrere Stunden über Verluste, Sorgen und Kummer und der Wirt stellte nicht zum ersten Mal fest, wie viel Last diese jungen Leute mit sich herumtrugen.
Nach und nach verschwand jedoch diese Last unter den Worten des Wirtes und wahrscheinlich noch viel mehr unter dem Einfluss des Alkohols.
Ein paar Stunden später standen die drei Jungs wankend, aber scheinbar erleichtert auf und griffen nach ihren Rucksäcken.
„Danke, Wirt“ Alain hatte anscheinend ein bisschen sehr viel getrunken.
„Nichts zu danken. Bezahlen könnt ihr später.“
Wehmütig lächelnd verfolgte der Wirt, wie die drei nach draußen schlurften – für den Moment von ihren Sorgen befreit – und jeder seines Weges ging.
Nur kurz fuhr durch die geöffnete Tür der grässliche Donner mit geballter Wucht in den Schankraum. Beinahe verschwanden unter seinem Grollen das Knattern und die Rufe.
Als die Tür wieder ins Schloss fiel und so die äußere Welt von seinem Tresen fern hielt, verweilte der Wirt für einen Moment, um erneut den Blick über die anderen lachenden Gäste schweifen zu lassen.
Bisher hatte es noch beinahe keiner von ihnen geschafft später zu zahlen.
Doch das war dem Wirt egal, genauso wie ihm all die kritischen Stimmen egal gewesen waren.
Sollten die Leute doch behaupten was sie wollten, dachte der Wirt beim Spülen der Krüge, sie alle hatten Unrecht.
Es war immer etwas los zwischen den Gräben von Verdun.
_________________ -Show me a hero and I will write you a tragedy-
F.S. Fitzgerald |
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Gabi Reißwolf
Alter: 54 Beiträge: 1216 Wohnort: Köln
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21.01.2008 21:32
von Gabi
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Hallo Felix!
Dein Stil gefällt mir. Grobe Fehler hab ich jetzt nicht entdeckt. Das einzige was mich stört, ist das Tod des Bruders so schnell mit einem Bierchen mal eben banalisiert wird. Auch die Worte des Wirtes, dass er es wenigstens schnell hinter sich gebracht hätte. Na, ja ich weiß nicht so recht.
L.G.
Gabi
_________________ "Das hier ist mein Dach und mein Tag!" (Oma Thea macht die Fliege) |
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Felix Eselsohr
F Alter: 36 Beiträge: 338
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Gewaexhausgewaex Wortedrechsler
Alter: 38 Beiträge: 86 Wohnort: Jena
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25.11.2009 00:23
von Gewaexhausgewaex
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Abend,
sicher etwas überaschend für dich, wenn da einer so 'ne "alte" Geschichte hier ausgräbt, aber ich mag einfach nicht ständig nur nach dem Neusten zu schauen. Also:
Die ganze Zeit beim Lesen, wollte ich wissen, um was es bei dieser Erzählung geht. Um die Heiligkeit des Barkeepers? Und am Ende kam es dann: Zitat: | Es war immer etwas los zwischen den Gräben von Verdun. | Eine perfekte Pointe! Und erst als ich sie las, erkannte ich die Melancholie, der Story, in ihrer glanzvollen Gänze.
Die "Quall" bis zur Aufklärung war zwar nicht so prickelnd, aber letztenendes war das Warten lohnendswert!
Leider empfinde ich den Titel als unpassend - zwar schön das ich (also der Leser) an etwas anderes Gedacht habe, aber im Nachhinein passt er eben nicht so gut, zielt in die falsche Richtung, wirkt wie fehl am Platz, wirkt auch so gezungen originel.
Zitat: | Ein deutsches, ein irisches und ein französisches Gesicht blickten deprimiert drein. | Hier eine schöne Vereinigung von Anspielung und Botschaft in einem Satz... die tiefsitzende Verbundenheit ähnlicher Kulturkreise (ähnlich dem Sprichwort, dass alle Menschen auch nur mit Wasser kochen, oder -menschlicher- in allen auch "nur" Blut fließt) und das Soldaten auch nur Spielzeuge dummer Elefanten sind.
Und dies...
Zitat: | Es war eine trostlose Gegend, regelrechtes Niemandsland. Grau, Braun und Schwarz waren die vorherrschenden Farbtöne der Landschaft. Niemals würde sich auch nur ein einziger Gast an seinen Tresen verirren, hatten ihm all diese Schwarzseher prophezeit. | ...ist eine wundervolle Komposition!
Da bekommst du 'n Bienchen in 's Mutti-Heft
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Felix Eselsohr
F Alter: 36 Beiträge: 338
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F 25.11.2009 16:29
von Felix
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Moin ghg,
meine Güte, da hast du aber tief gegraben. Da hat man schon seit längerem keinen vernünftigen Text mehr auf die Beine gekriegt und hier reingestellt und dann kriegt man dennoch positives Feedback. Also meinen herzlichen Dank
Zitat: | Leider empfinde ich den Titel als unpassend - zwar schön das ich (also der Leser) an etwas anderes Gedacht habe, aber im Nachhinein passt er eben nicht so gut, zielt in die falsche Richtung, wirkt wie fehl am Platz, wirkt auch so gezungen originel. |
Der Titel stammt nicht wirklich von mir. Ich habe mal in irgendeinem Geschichtsbuch gelesen, dass der erste Weltkrieg von manchen Soldaten spöttisch so genannt wurde (wenn ich mich richtig erinnere). Mir gefiel die Bezeichnung, hat was zynisches, und eigentlich ist die Geschichte daraufhin um den Titel herum entstanden.
Jetzt wo du ihn wieder rausgeholt hast sehe ich, dass ich zwar mit dem Titel, aber dafür mit der restlichen Umsetzung nicht mehr ganz zufrieden bin. Lob hin oder her. Das übliche eben
mfg
Felix
_________________ -Show me a hero and I will write you a tragedy-
F.S. Fitzgerald |
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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28.11.2009 05:51
von BlueNote
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Hi!
Der Text ist nicht schlecht geschrieben. Am Schluss fragte ich mich allerdings schon, ob denn die Kneipe tatsächlich mitten im Kriegsgebiet, quasi in der Schusslinie liegen soll? Rauch, rattern, Einschläge. Zwischendurch ein paar Bierchen, dann geht es wieder ab in die Gräben. Und der ständige Krach ist schon ein kleiner Nachteil - aber nur ein kleiner . Dass der Wirt sein Wirtshaus wohl kürzlich erst "errichtet" hat, fand ich auch merkwürdig.
Trotz der paar Ungereimtheiten ein gut zu lesender Text.
BN
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Felix Eselsohr
F Alter: 36 Beiträge: 338
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