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Paradox


 
 
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Chantal
Geschlecht:weiblichSchneckenpost

Alter: 32
Beiträge: 10
Wohnort: Duisburg


Beitrag29.09.2009 09:37
Paradox
von Chantal
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich liege auf den kalten Fliesen.
Mein warmer Körper schmiegt sich an die harten Steine. Orangefarbenes Straßenlaternenlicht fällt auf mein Gesicht. Kaltes, beängstigendes, furchtbares Licht. Draußen fahren in unregelmäßigen Abständen Autos die lange, geradlinig verlaufende Straße entlang. Ich höre und höre sie doch nicht.
Meine Augen halb geschlossen auf einen Punkt fixiert. Glasig und nichtssagend sind meine Augen in diesem Moment. In diesen Stunden.
Mein Kopf schwer. Mein Brustkorb zugeschnürt von der Last des Lebens. Meines Lebens.
Ich bin müde und doch schlaflos. Ich fühle und denke nichts und bin dennoch geistig anwesend und in Bewegung. Ich denke zu vieles, zu schnell. Ich fühle alles und deshalb doch wieder nichts.
Wenn so viele Gefühle gegensätzlicher Natur in einem Moment über jemanden herfallen, ist es als ob man mitten im Meer steht, von allen Seiten mit heranrollenden Wellen umringt, die allesamt hoch wie Wolkenkratzer sind. Man wartet darauf von einer Macht niedergestreckt zu werden, der man ausgeliefert ist. Man bangt um sein Leben und freut sich zeitgleich auf Erlösung von dem Gefühl der Hilf- und Machtlosigkeit. Man sieht Wellen von Selbstmitleid, Neid, Einsamkeit, Bedrängnis, Sehnsucht, Widerwille, von Liebe und von Hass auf sich zurasen. Man wartet auf den Augenblick in dem die Wellen ihr Ziel erreichen. Ihre Kräfte sich entladen und sie auf einen selbst herunterströmen. Man ist hin- und hergerissen, ob man seinem Schicksal weiterhin zusehen oder ob man seinen Blick lieber von dem Schauspiel abwenden soll. Es ist als wäre man Statist in seinem eigenen Leben statt die Hauptrolle zu spielen. Gerade entschließe ich mich die Augen zu schließen, als ich merke, dass es bereits zu spät ist. Das Wasser ist binnen weniger Sekunden kilometerweit an mich herangekommen. Die gewaltigen Wassermassen bäumen sich noch ein Stück mehr auf, wachsen gen Himmel. Die Wellen brechen alle im gleichen Moment über das arme Häufchen Elend, das Ich, herein. Noch während man denkt das Leben sei vorbei, stellt man fest, dass man noch lebt. Donnerndes Getöse dringt an meine Ohren. Man traut sich kaum den Blick nach oben zu wenden, aus Angst das Wasser würde genau über einem ausharren, um den Augenblick der Ungewissheit, der Angst, noch ein wenig hinauszuzögern. Es kommt mir vor wie eine kleine Ewigkeit, in der ich hilflos dastehe, als ich mich doch dazu überwinden kann einen Blick zu riskieren.
Die Wellen nehmen sich gegenseitig die Kraft. Die Gefühle schalten sich gegenseitig aus.
Die unvorstellbar großen Wassermengen klatschen über mir unaufhörlich gegeneinander.
Was bleibt sind einzelne Tröpfchen, die auf den kleinen Menschen herabrieseln, der wie in einer Schutzblase die Wellen über sich zusammenschlagen sieht. Die unscheinbaren Tröpfchen sind das einzige, was von den riesigen Wellen, bei mir ankommen. Tropfen namens Verwirrtheit.
Verwirrtheit ist schlimmer als jede der gewaltigen Wellen, die auf mich zu kamen. Gegen alles kann man kämpfen. In Gedanken und im Leben. Aber wie soll man gegen irgendetwas kämpfen, wenn so viel in einem ist, dass man nicht mehr weiß, was richtig und falsch, was gut und was schlecht ist? Wenn man nicht mehr weiß, wer man selbst ist?
Wenn man keinen Gedanken, kein Gefühl mehr greifen kann, weil alles schon wieder durch etwas anderes ersetzt wird, wenn man gerade die Hand danach ausstreckt. Dann kann man nichts ordnen, nicht versuchen zu verstehen – nicht kämpfen.

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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag29.09.2009 13:45

von Alogius
Antworten mit Zitat

Hi,

sprachlich ist der Text solide, da habe ich nur einige Anmerkungen, die gleich folgen.

Das Paradoxon deute ich im Zusammenhang mit dem vorhandenen Wunsch, zu kämpfen, aber nicht kämpfen zu können - weil eben die Verwirrung entsteht, die schwerer wiegt als die im Text genannte Last des Lebens. Das hast Du gut herausgestellt. Zumal auch die Sinne und das Denken, wie auch das Wachsein und Müdesein paradox einander gegenüber gestellt werden. Das finde ich gut umgesetzt.
Was den Text aber in seiner Wirkung, trotz des mächtigen Bildes der hereinbrechenden Wellen, schmälert, ist die Inkonsequenz des Gesagten:
Zwar werden der Zwiespalt, die Verwirrung, der damit vergebliche Kampf und das Paradoxe darin gezeigt (auch nachvollziehbar), aber dann geht der Text nicht konkreter in die Tiefe, vielleicht mit Beispielen oder tiefer steigenden Bildern.
Insgesamt also eine gute Idee, eine bis zur genannten Grenze interessante Umsetzung, die mangels Konsequenz an Wirkung verliert.
Ich bin (zum Glück) kein Psychologe, aber manch einer mag die Bilder und den Text auch als Initiationskrise oder (pubertäres?) Erwachen deuten - das ist nicht wertend gemeint, sondern nur eine Vermutung! Kann also auch Blödsinn sein, was ich da denke. wink

Anmerkungen:

Zitat:
Kaltes, beängstigendes, furchtbares Licht.

Beängstigend und furchtbar -> doppelt?

Zitat:
(...)Autos die lange, geradlinig verlaufende Straße(...)

"geradlinig" ist aus meiner Sicht eine überflüssige Information.

Zitat:
Meine Augen halb geschlossen auf einen Punkt fixiert. Glasig und nichtssagend sind meine Augen in diesem Moment. In diesen Stunden.

Aus meiner Sicht unnötig gestreckt.
Gegenvorschlag:
"Meine Augen sind in diesen Stunden auf einen Punkt fixiert. Glasig und nichtssagend."

Zitat:
Ich bin müde und doch schlaflos.

Gefällt mir. Auch ein Paradoxon.

So auch hier:
Zitat:
Ich fühle und denke nichts und bin dennoch geistig anwesend und in Bewegung. Ich denke zu vieles, zu schnell. Ich fühle alles und deshalb doch wieder nichts.


Von hier
Zitat:
Wenn so viele Gefühle (...)

bis
Zitat:
Die Gefühle schalten sich gegenseitig aus.

bricht dann der gesamte "paradoxe Apparat" auf das Ich ein. Das ist sehr gut durch das Wellenmotiv gezeigt, aus dem am Ende auch die Verwirrung erwächst.
"Wasser" und "Wellen" kommt relativ oft vor in dieser Passage. Muss man vielleicht etwas reduzieren.
Der letzte Satz der Passage ("Die Gefühle schalten...") fasst alle Eindrücke von zuvor knapp zusammen.

Zitat:
Tropfen namens Verwirrtheit.

"Verwirrung" gefiele mir besser.
Dennoch hast Du den Sprung von den Wellen zu den Tropfen, also den gegensätzlichen hereinbrechenden Gefühlen bis zu dem, was daraus entsteht (die Verwirrung) gut umgesetzt in eine Bilderflut.

Zitat:
Dann kann man nichts ordnen, nicht versuchen zu verstehen – nicht kämpfen.

Ein toller Satz zum Abschluss.

Wäre es hier und da konkreter, wie schon erwähnt, wäre der Text noch besser - so fehlt etwas. Was aber da ist, ist schon sehr gut.

Danke
Gruß
Tom


_________________
Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt.
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Chantal
Geschlecht:weiblichSchneckenpost

Alter: 32
Beiträge: 10
Wohnort: Duisburg


Beitrag29.09.2009 14:08

von Chantal
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hey Alogius,
ich habe mich sehr über deinen langen Kommentar gefreut und bin dir dankbar für deine Mühe und versuche deine Verbesserungsvorschläge bei folgenden Texten zu berücksichtigen  Wink
Ich habe aber noch ein paar Erklärungen und zwar wollte ich den Text so offen wie möglich halten, ich wollte keine Geschichte damit verbinden, sozusagen nichts Vorausgehendes mit einbinden, um den Inhalt des Textes für jeden greifbar zu machen, es sollte nicht nur auf manche Menschen zutreffen, sondern auf so viele wie möglich. Dass ich in den Text generell oft Verstärkungen und übertriebene Bilder eingebaut habe, liegt daran, dass ich darstellen wollte, dass man in solchen Situationen alles noch viel schlimmer findet als es ist. Und zu dem Wort geradlinig: Die Realität sollte einen großen Kontrast zu der Meeresszene bilden, die Welt nimmt immer ihren normalen Lauf, egal wie durcheinander und schlecht das Leben eines Einzelnen verlaufen mag. So eben auch mit der Straße im Vergleich zum aufgewühlten Meer.
Mit der Wortwahl in Bezug auf Verwirrtheit stimme ich dir zu, werde es augenblicklich ändern.
Und um auf das Motiv zusprechen zukommen, den Text habe ich wirklich geschrieben als es mir nicht so gut ging und jung war/bin ich obendrein   Laughing Aber ich fand das was dabei rauskam war kein schlechtes Ergebnis und ich bin mir sicher, dass es jedem Menschen mindestens einmal im Leben so ergeht.
Noch einmal vielen Dank für deine ehrliche und konstruktive Antwort,
liebe Grüße, Chantal
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