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Das Haus der Kugeln


 
 
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Felix
Geschlecht:männlichEselsohr
F

Alter: 36
Beiträge: 338



F
Beitrag08.06.2009 01:23
Das Haus der Kugeln
von Felix
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ok, so viel zu meinem Vorsatz im Jahr 2009 wesentlich mehr Texte zu produzieren. Seit September ist es nichts mehr geworden, aber endlich habe ich wieder eine Geschichte auf die Beine gekriegt.
Eigentlich ist es der zweite Teil einer längeren Geschichte, die ich erst einmal auf den Titel Lex Custer getauft habe.
(Wer sich nicht mehr an den ersten Teil erinnern kann: http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?t=11849)

Hier gehts also weiter mit Lynchs Reise, seit er aus den Ruinen von Las Vegas aufgebrochen ist, um die Mörder seiner geliebten Alma und die Schlächter seiner Herde zu finden. Ich werde den Text in zwei Teilen reinstellen.
Viel Spaß wink


Das Haus der Kugeln

Der Sandsturm war plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung hereingebrochen. Die feinen scharfen Körnchen hatten jede Spur verwischt und den Horizont zu einer wirbelnden Masse aus Braun und Rot werden lassen. Inmitten dieser tosenden Naturgewalt hockte Lynch Decter unter einem Felsvorsprung und barg eine Tote in seinen Armen.
Kuss der Wüste – so nannten die Hirten diese Sandstürme, von denen jedes Jahr ihre Viehherden bedroht wurden, welche sie nach Las Vegas führten.

Wenn die Wüste dich küsst, dann schließt du besser die Augen, Junge, und wartest bis ihre Liebkosungen vorbei sind.
Die Worte des alten Sandsammlers waren nach all den Jahren noch immer präsent in Lynchs Gedächtnis – in diesem Moment stärker denn je. Er hatte selbst schon genug solcher Stürme durchgestanden, um zu wissen, dass es reiner Wahnsinn war, sich in ihren Schlund zu begeben. Nur Irre und Sandsammler, wie der alte Hobo, ließen sich freiwillig küssen.

Eine andere Gewissheit war jedoch weitaus beunruhigender: Er war vom Weg nach Telavera abgekommen und hatte sich inmitten des sandigen Chaos verirrt. Lynch gestattete es sich nicht darüber in Verzweiflung oder gar Panik auszubrechen. In seiner Verfolgung der unbekannten Frevler würde er dadurch vielleicht zurückgeworfen werden, aber solange er sein Ziel klar vor Augen hatte, konnte er es nur erreichen.

Grunzend griff Lynch nach dem Wasserschlauch an seiner Seite und nahm einen Schluck von dem verrinnenden, inzwischen brackigen Wasser, um seine ausgedörrte Mundhöhle anzufeuchten. Der kurze Moment, in dem er das schützende Mundtuch zur Seite schob und die rissigen Lippen öffnete, genügte, um einen Schwall Sandkörner in Nase und Mund fegen zu lassen. Hustend und schnaubend zwang Lynch sich trotzdem zu einigen schmerzhaften Schlücken, bevor er sich tiefer in seinen kleinen Unterschlupf zurückzog und den Sturm zwischen zusammen gekniffenen Augenlidern beobachtete.

Als der Wind schließlich nachließ und die Körner sich zu legen begannen, wusste Lynch nicht, wie lange er gewartet hatte. Mit der toten Alma in seinen Armen und mit seinen Gedanken alleine, war er den lockenden Stimmen der Geister bedrohlich nahe gekommen, die noch immer nach dem toten Mädchen gierten.
Er hatte sich zwingen müssen, nicht auf die Stimmen zu hören, ihnen nicht zu antworten – eine Herausforderung, die in der Einsamkeit der Wüste nicht leicht fiel, zumal die astralen Stimmen sogar das Tosen des Windes übertönt hatten.

Nun aber verkam der Sturm langsam zu einer gewohnten glühend heißen Brise und lediglich ein dunstiger Vorhang aus Sand lag noch in der Luft. Erleichtert stemmte sich Lynch auf die Beine und zog Alma die Wolldecke von Kopf und Körper, mit der er die Tote vor dem Kuss der Wüste geschützt hatte.
Zumindest ihren Körper kann ich schützen, schoss es ihm durch den Kopf.
Weitere Gedanken vergeudete er nicht an die unbestimmte und unsichtbare Gefahr, die im Hintergrund darauf wartete, dass er einen Fehler beging und sowohl Alma als auch sich ihrer Gier aussetzte.

Vorsichtig legte er das tote Mädchen quer über den Sitz seiner Indian Four und zerrte mit rissigen Händen die Seile fest, die sie auf dem Motorrad halten sollten. Während er nun selbst aufstieg und den Mundschutz vom Gesicht zog, warf er einen Blick auf den Horizont und die vor ihm liegende Wüste. Vielleicht war es gar kein so großer Zeitverlust, dass sie vom Weg abgekommen waren, denn es war gut möglich, dass der Sturm sogar den gebrechlichen Weg nach Telavera, eine aufgeplatzte alte Pflasterstraße, komplett mit Sand bedeckt hatte.

Es galt einen neuen Weg zu finden, doch irgendwo würde man schon hin gelangen, wenn man stets dem Horizont folgte. Nun konnte Lynch nur noch hoffen, dass sich nicht zu viel Sand im Getriebe seiner Maschine festgesetzt hatte, denn er hatte nur eine schützende Wolldecke zur Verfügung gehabt.
Tatsächlich sprang der Motor der Indian röhrend an, als Lynch den Zündschlüssel drehte, doch ein leises Stottern im sonst so majestätischen Klang ließ ihn nichts Gutes ahnen.


Die Sonne hing bereits schwer und rot über dem Horizont, als der Motor der Indian mit einem letzten Röcheln seinen Dienst versagte und Lynch mit seinem toten Ballast allein in der Wüste Nevadas zurück ließ. Zum Glück brachte der Abend auch kühlere Temperaturen und der Hirte nahm sich einen Moment Zeit, um den blutroten Horizont zu betrachten und seine Lage zu überdenken.
Cowboyromantik. Lynch hatte den Begriff einmal in einem der reisenden Zirkusse gehört, als er sich dort einen Film aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts angesehen hatte. Dem Zirkusdirektor war das Wort beinahe wehmütig über die Lippen gekommen, doch Lynch konnte dem ganzen nichts romantisches abgewinnen, kannte er dieses verdammte Leben doch selbst allzu gut.
Noch brachte der Abend eine angenehm milde Luft, doch schon bald würde die Luft in der Wüste bitterkalt werden, nur um am nächsten Morgen wiederum zu einem Schmelzofen zu mutieren. Aasfresser und andere unliebsame Gäste konnten nicht lange auf sich warten lassen, denn Almas Leichnam war für sie eine willkommene Abwechslung.

Zumindest für die Nacht brauchte der Hirte einen Unterschlupf, in dem er neuen Proviant besorgen und vielleicht sogar jemanden finden konnte, der ihm den Weg nach Telavera wies.
Die Wüste schien jedoch kein Mitleid mit seiner Lage zu haben, denn während Lynch unter einem Sternenhimmel dahin zog, der sich langsam tiefblau färbte, offenbarte sie ihm nur weitere Felsen, Sand und Skorpione.
Die massige Indian mit der toten Last auf ihrem Sitz ließ sich zudem immer schwieriger durch die aufgehäuften Dünungen schieben, sodass dem Hirten schon sehr bald alle Muskeln schmerzten, bevor ihn eine große Müdigkeit überkam.

Erst jetzt ging Lynch auf, dass er sich seit Almas Tod beinahe keinen Schlaf mehr gegönnt hatte, den sein Körper nun erbittert einfordern wollte. So bemerkte er auch zunächst nicht, dass der sandige Grund durch den aufgebrochenen Beton einer Landstraße abgelöst wurde. Der Hirte brauchte einen Moment, um seine Überraschung zu überwinden, beinahe hätte er sich über die Straße geschleppt, ohne sie zu registrieren. Mit neu erwachter Aufmerksamkeit blickte er nun in beiden Richtungen die Straße hinab, in der Hoffnung ein Fahrzeug zu erblicken.

Schnell bemerkte er, dass diese Hoffnung vergeblich war, denn die Straße schien schon seit der Zeit den Zeiten der Ersten Republik nicht mehr häufig genutzt zu werden. Dann jedoch erblickte Lynch in nördlicher Richtung eine hohe Reklametafel, die wie ein wegweisender Stern am Straßenrand leuchtete und lockte.
Vielleicht war es nur eine Einbildung, vielleicht eine Falle von Banditen, die auf verzweifelte Reisende wie ihn hofften, vielleicht aber auch seine Rettung. Lynch griff unter sein Hawaiihemd, um den Colt im Holster zu lockern und beschloss, es darauf ankommen zu lassen.


Haus der Kugeln.
Das A und das L waren erloschen und einige andere Glühbirnen flackerten bedrohlich, dennoch konnte Lynch die von einem blinkenden Colt eingefasste Leuchtschrift aus einigen hundert Metern Entfernung lesen. Ein gewaltiges Schild, mitten in der Wüste, darauf eine meilenweit sichtbare Schrift – der Hirte konnte sich keinen Reim auf diese seltsame Erscheinung machen.
Seine Verwirrung nahm noch zu, als er schließlich den stählernen Fuß des Schildes erreichte und unter dem Vorsprung eines gewaltigen Felsens, ganz in der Nähe, eine kleine morsche Holzhütte erblickte. In der Dunkelheit flackerten die milchigen Fenster der jämmerlichen Behausung in den roten und gelben Farben der Leuchtschrift und erweckten den gespenstischen Eindruck dämonischer Augen.

Mit einem Anflug von Erleichterung stellte Lynch die Indian mitsamt der Leiche im abkühlenden Sand ab, nur  um sich kurz darauf mit äußerster Vorsicht dem scheinbar verlassenen Häuschen zu nähern. Mit einem leisen Klicken fuhr der Colt aus seinem Halfter – sollten hier Banditen auf verirrte Wanderer warten, so hatten sie den Falschen angelockt.
Lynch konnte es nicht vermeiden, dass Steinchen unter seinen Stiefelsohlen knackten, jedoch zeigte sich noch immer keine Regung im Inneren der Hütte. Sie schien den Hirten weiterhin durch ihre flackernden Fenster zu beobachten.

Als Lynch schließlich bis auf wenige Meter an die Hütte herangekommen war, entdeckte er unweit, im flackernden Licht der Leuchtschrift, eine Holzbude, die an ein Kassenhäuschen erinnerte. Mit gerunzelter Stirn änderte der Hirte seinen Kurs, um das Innere des kleinen Verschlags zu untersuchen, als plötzlich die Tür der Hütte aufflog, und der Lauf einer Schrotflinte aus dem dunklen Innern auftauchte.
„Ganz genau Mistkerl, das ist die richtige Richtung. Wenn du nichts unanständiges vorhast und dir dein Leben lieb ist, dann legst du jetzt den Colt zur Seite und kaufst dir eine Karte.“

Erschrocken war Lynch mitten in seiner Bewegung stehen geblieben und hatte die Hände gehoben. Nun schob er langsam den Colt zurück ins Halfter und machte Anstalten, sich vollends zur Tür und der Stimme aus der Dunkelheit umzudrehen.
„Nein nein, brav die Augen nach vorne richten und bezahlen. Erst dann bekommst du was zu sehen.“
Mit einem leisen Fluch stapfte Lynch zu dem morschen Bretterverschlag und entdeckte dort auf einer Theke tatsächlich eine rostige Kassette und eine Rolle vergilbter rosa Eintrittskarten. Daneben stand ein kleines Pappschild, auf das man in roter Farbe „Eintritt: 5 Dollar“ geschrieben hatte.

„Das ist doch lächerlich, verdammt. Ich brauche hier draußen Hilfe und will keine beschissenen Karten kaufen, wofür auch immer. Schon mal was von Gastfreundschaft gehört?“, knurrte der Hirte, während er dennoch einen Schein in die Kassette legte und sich eine der Kärtchen abriss. „Sind Sie jetzt zufrieden?“

In seinem Rücken raschelte etwas, und als sich Lynch nun mit einem Gesichtsausdruck umdrehte, der äußerste Verärgerung verriet, erblickte er auf der winzigen Veranda der Hütte den anderen.
„Willkommen im Haus der Kugeln Sir. Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Anreise.“
Im Halbdunkel der Nacht konnte Lynch nicht besonders viel erkennen, doch der Kerl, der ihn nun so schmierig angrinste, war schmächtig und trug eine Brille mit runden Gläsern. Der Hirte wusste nicht, was er von dem Fremden halten sollte, es konnte noch immer sein, dass es sich um einen irren Einsiedler handelte. Am liebsten hätte Lynch seiner Wut freien Lauf gelassen, doch da der Mann noch immer die Schrotflinte in Händen hielt und er selbst Hilfe brauchte, besann er sich eines besseren.

Die Eintrittskarte wie ein Zeichen des Friedens weit vor sich gestreckt, stapfte Lynch auf die Veranda zu, auf der ihn der Mann nun keineswegs ablehnend, sondern geradezu freudig erwartete.
„Also gut, ich hab getan, wozu Sie mich gezwungen haben. Werden Sie mir nun helfen?“
„Natürlich werde ich das tun, Besucher und Reisende sind mir immer willkommen. Anthony Hersey, zu ihren Diensten.“

Misstrauisch ergriff Lynch die dargebotene Hand, ohne aber die gesenkte Schrotflinte ganz aus den Augen zu verlieren.
„Lynch Decter, ich hab da vorne ein kaputtes Motorrad und ein totes Mädchen.“
„Oh wie furchtbar“, Herseys Lächeln war auf der Stelle verschwunden, „bringen Sie sie rein, bevor die Geier kommen...oder schlimmeres.“
Mit einem dankbaren Grunzen tippte Lynch an die Krempe seines Stetsons und trug Alma behutsam in das Innere der Hütte, vorbei an Hersey, der ihm hilfsbereit die Tür offen hielt.

Aus den Augenwinkeln erhaschte der Hirte nun einen besseren Blick auf seinen Gastgeber. Herseys Hemd war zerknittert und fleckig, genauso die Weste, die er darüber trug. Das braune Haar halb lang und strähnig, unter der Nase deutete sich der hässliche Schatten eines Schnauzbartes an. Alles in allem passte der Mann in diese Gegend, entschied Lynch. Er war öde und unauffällig, genau wie die ganze verdammte Wüste.

Das Innere der Hütte wurde tatsächlich nur vom Flackern der Neonleuchten und einer einzelnen weiteren Petroleumlampe erhellt, sodass Lynch den Raum nur in seinen geisterhaften Umrissen wahrnehmen konnte.  
„Sie müssen entschuldigen, Mr. Decter, ich bevorzuge die Dunkelheit. Wenn man den ganzen Tag über der unerbittlichen Sonne ausgesetzt ist, heißt man jeden Schatten willkommen.“
Lynch quittierte den Kommentar lediglich mit einem Grunzen und hievte Alma auf den schweren Holztisch, nachdem er alle Bücher und andere Gegenstände von der Tischplatte gewischt hatte.

„Glauben Sie wirklich, dass Sie dem Mädchen noch helfen können? Sie ist tot ...“, gab Hersey vorsichtig zu bedenken.
„Das weiß ich selbst, aber da steckt noch mindestens eine Kugel in ihrem Körper. Ich will nicht, dass ausgerechnet die das letzte sind, was von ihrem Körper übrig bleibt. Haben sie ne Pinzette oder ähnliches? Die könnte ich gebrauchen.“
Während Lynch der Toten das Oberteil auszog und nach den Einschusswunden suchte, gesellte sich sein Gastgeber zu ihm an den Tisch.
„Wie hieß das arme Ding?“
„Alma.“ Geistesabwesend fuhren Lynchs Finger über die mit Blut verkrustete Haut des Mädchens und ertasteten drei Wunden, wo sich die Kugeln in ihr Fleisch gefressen hatten.
„War sie...Ihre Tochter?“
„Mein Gott, das hoffe ich doch nicht ...“
Viel Spaß wink



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Fahrender Gaukler
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Beitrag13.06.2009 02:30

von Fahrender Gaukler
Antworten mit Zitat

Moin Felix!

Zitat:
Kuss der Wüste – so nannten die Hirten diese Sandstürme, von denen jedes Jahr ihre Viehherden bedroht wurden, welche sie nach Las Vegas führten


Zum einen würde ich die Bedrohung noch unmittelbarer und aktiver herausstellen, als durch das ziemlich steife und meiner Meinung nach auch ein wenig phantasielose "bedroht werden". Auf Anhieb fiele mir da etwas ein in Richtung:

... Sandstürme, die jedes Jahr einen Großteil ihres Viehs dahinrafften.

Zum anderen würde ich den nachgeschobenen Relativsatz rausschmeißen, da er sowohl überflüssig ist, als auch das Satzgefüge erschwert.

Zitat:
Wenn die Wüste dich küsst, dann schließt du besser die Augen, Junge, und wartest bis ihre Liebkosungen vorbei sind.


Diesen Satz würde ich kursiv setzen, da es sich ja offensichtlich um den Ausspruch eines anderen - nämlich den des Sandsammlers - handelt, den sich Lynch nun ins Gedächtnis ruft.

Zitat:
Grunzend griff Lynch nach dem Wasserschlauch an seiner Seite und nahm einen Schluck von dem verrinnenden, inzwischen brackigen Wasser, um seine ausgedörrte Mundhöhle anzufeuchten.


Mundhöhle ist ungewöhnlich, aber ist "ungewöhnlich" gleichbedeutend mit "gut"? Wäre es nicht vielleicht sogar sinnvoller, sich auf das nahe liegende zu konzentrieren und die Zunge zu befeuchten? Oder den Rachen. Oder die Kehle. Mundhöhle jedenfalls ist mir persönlich zu allgemein.

Zitat:
Der kurze Moment, in dem er das schützende Mundtuch zur Seite schob und die rissigen Lippen öffnete, genügte, um einen Schwall Sandkörner in Nase und Mund fegen zu lassen.


Das ist recht passiv beschrieben. Kannst du bestimmt auch noch aktiver. Kleiner Gedankenanstoß meinerseits:

... genügte einem Schwall Sandkörner, um in (seine) Nase und (seinen) Mund einzudringen.

Zitat:
Er hatte sich zwingen müssen, nicht auf die Stimmen zu hören, ihnen nicht zu antworten – eine Herausforderung, die in der Einsamkeit der Wüste nicht leicht fiel, zumal die astralen Stimmen sogar das Tosen des Windes übertönt hatten.


Plusquamperfekt ist korrekt, doch in diesem Fall kannst du meiner Meinung nach auch das Präteritum gebrauchen. Vorausgesetzt, die astralen Stimmen sind in der Lage, das Tosen des Windes immer zu übertönen.

Zitat:
Zumindest ihren Körper kann ich schützen, schoss es ihm durch den Kopf.


Gedanken als solche erkennbar machen, das macht es dem Leser einfacher. Kursiv böte sich auch hier an.

Zitat:
Nun konnte Lynch nur noch hoffen, dass sich nicht zu viel Sand im Getriebe seiner Maschine festgesetzt hatte, denn er hatte nur eine schützende Wolldecke zur Verfügung gehabt.


Hat er doch immer noch, oder? wink Das "gehabt" kannst du streichen. Allerdings kannst du den Satz auch umschreiben, um deutlicher herauszustellen, dass "nur eine Decke" ein Problem darstellte. Mal wieder ein kleiner Denkanstoß von mir:

... festgesetzt hatte, denn eine weitere Wolldecke, die ihn schützte, stand ihm nicht zur Verfügung.

Zitat:
Lynch konnte es nicht vermeiden, dass Steinchen unter seinen Stiefelsohlen knackten, jedoch zeigte sich noch immer keine Regung im Inneren der Hütte.


Denke mal, du meinst eher "knirschten"?

Zitat:
Erschrocken war Lynch mitten in seiner Bewegung stehen geblieben und hatte die Hände gehoben.


Auch hier kannst du auf den Plusquamperfekt verzichten. Schildere es chronologisch.

Erschrocken hielt Lynch mitten in der Bewegung inne und hob die Hände. Dann schob er ...

Zitat:
Mit einem dankbaren Grunzen tippte Lynch an die Krempe seines Stetsons und trug Alma behutsam in das Innere der Hütte, vorbei an Hersey, der ihm hilfsbereit die Tür offen hielt.


Hä? Wo hat er die denn jetzt so schnell her? Nee, lass ihn die Tote erst mal holen, bevor du ihn sie reintragen lässt. wink

Zitat:
Während Lynch der Toten das Oberteil auszog und nach den Einschusswunden suchte, gesellte sich sein Gastgeber zu ihm an den Tisch.


Auf die Frage nach der Pinzette scheint der Gastgeber ja nicht weiter eingegangen zu sein. lol2 Absicht?


Fazit: Gefällt mir ganz gut, der Text, inbesondere dem Szenario. Allerdings weist er in seiner jetzigen Fassung noch einige stilistische Mängel auf. Neben den von mir aufgezeigten wäre da z.B. noch die Tatsache, dass du sehr oft von Alma als "die Tote", "das tote Mädchen", "die tote Last", etc sprichst, was auf mich einen etwas phantasielosen Eindruck macht. Zwar wechselst du häufig das Substantiv, das Adjektiv bleibt aber meist das gleiche - "tot".

Weiterhin ist mir auch aufgefallen, dass dein Protagonist innerhalb des Abschnitts mindestens drei Mal grunzt. Das könnte man zwar noch unter Stilmittel, bzw. Leitmotiv verbuchen, auf mich wirkt das aber irgendwie zu gewollt. So als ob du deinen Prota unbedingt als einen coolen Hund darstellen wolltest, der niemals mehr sagt, als unbedingt nötig. Und die Wortwiderholung von "Grunzen" empfinde ich als störend.

Aber da sind auch noch andere Wortwiederholungen, die du mit ein wenig Hirnschmalz eliminieren könntest. Ich bemühe mich mal, dir alle aufzuzeigen:


Zitat:
Das Haus der Kugeln

Der Sandsturm war plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung hereingebrochen. Die feinen scharfen Körnchen hatten jede Spur verwischt und den Horizont zu einer wirbelnden Masse aus Braun und Rot werden lassen. Inmitten dieser tosenden Naturgewalt hockte Lynch Decter unter einem Felsvorsprung und barg eine Tote in seinen Armen.
Kuss der Wüste – so nannten die Hirten diese Sandstürme, von denen jedes Jahr ihre Viehherden bedroht wurden, welche sie nach Las Vegas führten.

Wenn die Wüste dich küsst, dann schließt du besser die Augen, Junge, und wartest bis ihre Liebkosungen vorbei sind.
Die Worte des alten Sandsammlers waren nach all den Jahren noch immer präsent in Lynchs Gedächtnis – in diesem Moment stärker denn je. Er hatte selbst schon genug solcher Stürme durchgestanden, um zu wissen, dass es reiner Wahnsinn war, sich in ihren Schlund zu begeben. Nur Irre und Sandsammler, wie der alte Hobo, ließen sich freiwillig küssen.

Eine andere Gewissheit war jedoch weitaus beunruhigender: Er war vom Weg nach Telavera abgekommen und hatte sich inmitten des sandigen Chaos verirrt. Lynch gestattete es sich nicht darüber in Verzweiflung oder gar Panik auszubrechen. In seiner Verfolgung der unbekannten Frevler würde er dadurch vielleicht zurückgeworfen werden, aber solange er sein Ziel klar vor Augen hatte, konnte er es nur erreichen.

Grunzend griff Lynch nach dem Wasserschlauch an seiner Seite und nahm einen Schluck von dem verrinnenden, inzwischen brackigen Wasser, um seine ausgedörrte Mundhöhle anzufeuchten. Der kurze Moment, in dem er das schützende Mundtuch zur Seite schob und die rissigen Lippen öffnete, genügte, um einen Schwall Sandkörner in Nase und Mund fegen zu lassen. Hustend und schnaubend zwang Lynch sich trotzdem zu einigen schmerzhaften Schlücken, bevor er sich tiefer in seinen kleinen Unterschlupf zurückzog und den Sturm zwischen zusammen gekniffenen Augenlidern beobachtete.

Als der Wind schließlich nachließ und die Körner sich zu legen begannen, wusste Lynch nicht, wie lange er gewartet hatte. Mit der toten Alma in seinen Armen und mit seinen Gedanken alleine, war er den lockenden Stimmen der Geister bedrohlich nahe gekommen, die noch immer nach dem toten Mädchen gierten.
Er hatte sich zwingen müssen, nicht auf die Stimmen zu hören, ihnen nicht zu antworten – eine Herausforderung, die in der Einsamkeit der Wüste nicht leicht fiel, zumal die astralen Stimmen sogar das Tosen des Windes übertönt hatten.

Nun aber verkam der Sturm langsam zu einer gewohnten glühend heißen Brise und lediglich ein dunstiger Vorhang aus Sand lag noch in der Luft. Erleichtert stemmte sich Lynch auf die Beine und zog Alma die Wolldecke von Kopf und Körper, mit der er die Tote vor dem Kuss der Wüste geschützt hatte.
Zumindest ihren Körper kann ich schützen, schoss es ihm durch den Kopf.
Weitere Gedanken vergeudete er nicht an die unbestimmte und unsichtbare Gefahr, die im Hintergrund darauf wartete, dass er einen Fehler beging und sowohl Alma als auch sich ihrer Gier aussetzte.

Vorsichtig legte er das tote Mädchen quer über den Sitz seiner Indian Four und zerrte mit rissigen Händen die Seile fest, die sie auf dem Motorrad halten sollten. Während er nun selbst aufstieg und den Mundschutz vom Gesicht zog, warf er einen Blick auf den Horizont und die vor ihm liegende Wüste. Vielleicht war es gar kein so großer Zeitverlust, dass sie vom Weg abgekommen waren, denn es war gut möglich, dass der Sturm sogar den gebrechlichen Weg nach Telavera, eine aufgeplatzte alte Pflasterstraße, komplett mit Sand bedeckt hatte.

Es galt einen neuen Weg zu finden, doch irgendwo würde man schon hin gelangen, wenn man stets dem Horizont folgte. Nun konnte Lynch nur noch hoffen, dass sich nicht zu viel Sand im Getriebe seiner Maschine festgesetzt hatte, denn er hatte nur eine schützende Wolldecke zur Verfügung gehabt.
Tatsächlich sprang der Motor der Indian röhrend an, als Lynch den Zündschlüssel drehte, doch ein leises Stottern im sonst so majestätischen Klang ließ ihn nichts Gutes ahnen.


Die Sonne hing bereits schwer und rot über dem Horizont, als der Motor der Indian mit einem letzten Röcheln seinen Dienst versagte und Lynch mit seinem toten Ballast allein in der Wüste Nevadas zurück ließ. Zum Glück brachte der Abend auch kühlere Temperaturen und der Hirte nahm sich einen Moment Zeit, um den blutroten Horizont zu betrachten und seine Lage zu überdenken.
Cowboyromantik. Lynch hatte den Begriff einmal in einem der reisenden Zirkusse gehört, als er sich dort einen Film aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts angesehen hatte. Dem Zirkusdirektor war das Wort beinahe wehmütig über die Lippen gekommen, doch Lynch konnte dem ganzen nichts romantisches abgewinnen, kannte er dieses verdammte Leben doch selbst allzu gut.
Noch brachte der Abend eine angenehm milde Luft, doch schon bald würde die Luft in der Wüste bitterkalt werden, nur um am nächsten Morgen wiederum zu einem Schmelzofen zu mutieren. Aasfresser und andere unliebsame Gäste konnten nicht lange auf sich warten lassen, denn Almas Leichnam war für sie eine willkommene Abwechslung.

Zumindest für die Nacht brauchte der Hirte einen Unterschlupf, in dem er neuen Proviant besorgen und vielleicht sogar jemanden finden konnte, der ihm den Weg nach Telavera wies.
Die Wüste schien jedoch kein Mitleid mit seiner Lage zu haben, denn während Lynch unter einem Sternenhimmel dahin zog, der sich langsam tiefblau färbte, offenbarte sie ihm nur weitere Felsen, Sand und Skorpione.
Die massige Indian mit der toten Last auf ihrem Sitz ließ sich zudem immer schwieriger durch die aufgehäuften Dünungen schieben, sodass dem Hirten schon sehr bald alle Muskeln schmerzten, bevor ihn eine große Müdigkeit überkam.

Erst jetzt ging Lynch auf, dass er sich seit Almas Tod beinahe keinen Schlaf mehr gegönnt hatte, den sein Körper nun erbittert einfordern wollte. So bemerkte er auch zunächst nicht, dass der sandige Grund durch den aufgebrochenen Beton einer Landstraße abgelöst wurde. Der Hirte brauchte einen Moment, um seine Überraschung zu überwinden, beinahe hätte er sich über die Straße geschleppt, ohne sie zu registrieren. Mit neu erwachter Aufmerksamkeit blickte er nun in beiden Richtungen die Straße hinab, in der Hoffnung ein Fahrzeug zu erblicken.

Schnell bemerkte er, dass diese Hoffnung vergeblich war, denn die Straße schien schon seit der Zeit den Zeiten der Ersten Republik nicht mehr häufig genutzt zu werden. Dann jedoch erblickte Lynch in nördlicher Richtung eine hohe Reklametafel, die wie ein wegweisender Stern am Straßenrand leuchtete und lockte.
Vielleicht war es nur eine Einbildung, vielleicht eine Falle von Banditen, die auf verzweifelte Reisende wie ihn hofften, vielleicht aber auch seine Rettung. Lynch griff unter sein Hawaiihemd, um den Colt im Holster zu lockern und beschloss, es darauf ankommen zu lassen.


Haus der Kugeln.
Das A und das L waren erloschen und einige andere Glühbirnen flackerten bedrohlich, dennoch konnte Lynch die von einem blinkenden Colt eingefasste Leuchtschrift aus einigen hundert Metern Entfernung lesen. Ein gewaltiges Schild, mitten in der Wüste, darauf eine meilenweit sichtbare Schrift – der Hirte konnte sich keinen Reim auf diese seltsame Erscheinung machen.
Seine Verwirrung nahm noch zu, als er schließlich den stählernen Fuß des Schildes erreichte und unter dem Vorsprung eines gewaltigen Felsens, ganz in der Nähe, eine kleine morsche Holzhütte erblickte. In der Dunkelheit flackerten die milchigen Fenster der jämmerlichen Behausung in den roten und gelben Farben der Leuchtschrift und erweckten den gespenstischen Eindruck dämonischer Augen.

Mit einem Anflug von Erleichterung stellte Lynch die Indian mitsamt der Leiche im abkühlenden Sand ab, nur um sich kurz darauf mit äußerster Vorsicht dem scheinbar verlassenen Häuschen zu nähern. Mit einem leisen Klicken fuhr der Colt aus seinem Halfter – sollten hier Banditen auf verirrte Wanderer warten, so hatten sie den Falschen angelockt.
Lynch konnte es nicht vermeiden, dass Steinchen unter seinen Stiefelsohlen knackten, jedoch zeigte sich noch immer keine Regung im Inneren der Hütte. Sie schien den Hirten weiterhin durch ihre flackernden Fenster zu beobachten.

Als Lynch schließlich bis auf wenige Meter an die Hütte herangekommen war, entdeckte er unweit, im flackernden Licht der Leuchtschrift, eine Holzbude, die an ein Kassenhäuschen erinnerte. Mit gerunzelter Stirn änderte der Hirte seinen Kurs, um das Innere des kleinen Verschlags zu untersuchen, als plötzlich die Tür der Hütte aufflog, und der Lauf einer Schrotflinte aus dem dunklen Innern auftauchte.
„Ganz genau Mistkerl, das ist die richtige Richtung. Wenn du nichts unanständiges vorhast und dir dein Leben lieb ist, dann legst du jetzt den Colt zur Seite und kaufst dir eine Karte.“

Erschrocken war Lynch mitten in seiner Bewegung stehen geblieben und hatte die Hände gehoben. Nun schob er langsam den Colt zurück ins Halfter und machte Anstalten, sich vollends zur Tür und der Stimme aus der Dunkelheit umzudrehen.
„Nein nein, brav die Augen nach vorne richten und bezahlen. Erst dann bekommst du was zu sehen.“
Mit einem leisen Fluch stapfte Lynch zu dem morschen Bretterverschlag und entdeckte dort auf einer Theke tatsächlich eine rostige Kassette und eine Rolle vergilbter rosa Eintrittskarten. Daneben stand ein kleines Pappschild, auf das man in roter Farbe „Eintritt: 5 Dollar“ geschrieben hatte.

„Das ist doch lächerlich, verdammt. Ich brauche hier draußen Hilfe und will keine beschissenen Karten kaufen, wofür auch immer. Schon mal was von Gastfreundschaft gehört?“, knurrte der Hirte, während er dennoch einen Schein in die Kassette legte und sich eine der Kärtchen abriss. „Sind Sie jetzt zufrieden?“

In seinem Rücken raschelte etwas, und als sich Lynch nun mit einem Gesichtsausdruck umdrehte, der äußerste Verärgerung verriet, erblickte er auf der winzigen Veranda der Hütte den anderen.
„Willkommen im Haus der Kugeln Sir. Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Anreise.“
Im Halbdunkel der Nacht konnte Lynch nicht besonders viel erkennen, doch der Kerl, der ihn nun so schmierig angrinste, war schmächtig und trug eine Brille mit runden Gläsern. Der Hirte wusste nicht, was er von dem Fremden halten sollte, es konnte noch immer sein, dass es sich um einen irren Einsiedler handelte. Am liebsten hätte Lynch seiner Wut freien Lauf gelassen, doch da der Mann noch immer die Schrotflinte in Händen hielt und er selbst Hilfe brauchte, besann er sich eines besseren.

Die Eintrittskarte wie ein Zeichen des Friedens weit vor sich gestreckt, stapfte Lynch auf die Veranda zu, auf der ihn der Mann nun keineswegs ablehnend, sondern geradezu freudig erwartete.
„Also gut, ich hab getan, wozu Sie mich gezwungen haben. Werden Sie mir nun helfen?“
„Natürlich werde ich das tun, Besucher und Reisende sind mir immer willkommen. Anthony Hersey, zu ihren Diensten.“

Misstrauisch ergriff Lynch die dargebotene Hand, ohne aber die gesenkte Schrotflinte ganz aus den Augen zu verlieren.
„Lynch Decter, ich hab da vorne ein kaputtes Motorrad und ein totes Mädchen.“
„Oh wie furchtbar“, Herseys Lächeln war auf der Stelle verschwunden, „bringen Sie sie rein, bevor die Geier kommen...oder schlimmeres.“
Mit einem dankbaren Grunzen tippte Lynch an die Krempe seines Stetsons und trug Alma behutsam in das Innere der Hütte, vorbei an Hersey, der ihm hilfsbereit die Tür offen hielt.

Aus den Augenwinkeln erhaschte der Hirte nun einen besseren Blick auf seinen Gastgeber. Herseys Hemd war zerknittert und fleckig, genauso die Weste, die er darüber trug. Das braune Haar halb lang und strähnig, unter der Nase deutete sich der hässliche Schatten eines Schnauzbartes an. Alles in allem passte der Mann in diese Gegend, entschied Lynch. Er war öde und unauffällig, genau wie die ganze verdammte Wüste.

Das Innere der Hütte wurde tatsächlich nur vom Flackern der Neonleuchten und einer einzelnen weiteren Petroleumlampe erhellt, sodass Lynch den Raum nur in seinen geisterhaften Umrissen wahrnehmen konnte.
„Sie müssen entschuldigen, Mr. Decter, ich bevorzuge die Dunkelheit. Wenn man den ganzen Tag über der unerbittlichen Sonne ausgesetzt ist, heißt man jeden Schatten willkommen.“
Lynch quittierte den Kommentar lediglich mit einem Grunzen und hievte Alma auf den schweren Holztisch, nachdem er alle Bücher und andere Gegenstände von der Tischplatte gewischt hatte.

„Glauben Sie wirklich, dass Sie dem Mädchen noch helfen können? Sie ist tot ...“, gab Hersey vorsichtig zu bedenken.
„Das weiß ich selbst, aber da steckt noch mindestens eine Kugel in ihrem Körper. Ich will nicht, dass ausgerechnet die das letzte sind, was von ihrem Körper übrig bleibt. Haben sie ne Pinzette oder ähnliches? Die könnte ich gebrauchen.“
Während Lynch der Toten das Oberteil auszog und nach den Einschusswunden suchte, gesellte sich sein Gastgeber zu ihm an den Tisch.
„Wie hieß das arme Ding?“
„Alma.“ Geistesabwesend fuhren Lynchs Finger über die mit Blut verkrustete Haut des Mädchens und ertasteten drei Wunden, wo sich die Kugeln in ihr Fleisch gefressen hatten.
„War sie...Ihre Tochter?“
„Mein Gott, das hoffe ich doch nicht ...“


So, der Rest ist glaube ich vernachlässigbar. smile Guck mal, ob du damit schon was anfangen kannst.


Gruß,

~~Der Gaukler


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Trenne dich nicht von deinen Illusionen. Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben.

(Mark Twain)
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Beitrag13.06.2009 09:31

von Ana
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Hallo,

der Gaukler hat schon sehr viel stilistisches angemerkt. Daher von mir nur einige *logische* Anmerkungen.

Viehherden in der Wüste? Bei Nevada/Cowboyromantik etc. fallen mir da nur Rinderherden ein. Da Rinder jedoch (von Gras abgesehen) auf sehr viel Wasser angewiesen sind (im Gegensatz zu z. B. Ziegen), ergibt das nach meinem Gefühl ein schiefes Bild.

Die einzige Sorge deines Protas bzgl. des Motorrades betrifft Sand im Getriebe. Aber was ist mit dem Benzin?

Verwesung setzt im Sommer selbst in unseren Breiten schnell ein. Aufgeblähte Bäuche, Blauverfärbung, Gärgeräusche, Gestank - ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Dame aussieht/müffelt, wenn sie wenigstens einen Tag bei 40° - 50° durch die Wüste kutschiert wird. Ich weiß, das wirkt (im Film) und liest (im Buch) alles sehr romantisch, aber die Wirklichkeit ist anders. Wenn dein Held schon darauf besteht, sie trotz alll dieser Umstände mitzuschleppen, dann lass ihn wenigstens (ein kleines bisschen wenigstens) unter den natürlichen Verwesungsprozessen leiden.  Embarassed

Zuletzt: Die Wüste lebt! Besonders durch Insekten. Und die werden wiederum durch Aasgeruch (deine Leiche) und den Ausdünstungen eines Warmblüters (dein Held) ebenfalls angezogen.


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Liebe Grüße

Ana
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Felix
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Beitrag13.06.2009 17:35

von Felix
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Moin ihr zwei

erst einmal zum Gaukler:

Erst einmal ein Dankeschön für die große Mühe.
Jetzt wo du es sagst, puh. Ich hab den TExt mehrere Male Korrektur gelesen und um ehrlich zu sein ist es mir gar nicht so sehr aufgefallen, aber das ist ja irgendwann auch kein Wunder mehr.
Das Angesprochene wird selbstverständlich verbessert und hier noch einmal reingestellt, dem ganzen folgt dann auch der zweite Teil wink

Noch ne Kleinigkeit zu Lynchs Verhalten: In der Tat ist das wortkarge Lynchs Verhaltensweise, bis zu einem gewissen Grad ist das hier auch eine Art Trash und ich versuche Klischees zu bedienen, aber das heißt natürlich nicht, dass die Sprache drunter leiden soll. Mir ist selbst aufgefallen, dass ich das Wort häufig benutzt hab und suche seitdem nach Optionen.
Murren oder mit der Zunge schnalzen wären vielleicht passender Ersatz. Ich werde mal drüber nachdenken

Und jetzt zu Ana

Du hast eigentlich die große Logiklücke angesprochen, an der ich schon die ganze Zeit knacke. In der Tat müsste Alma schon längst eine unkenntliche übel riechende Masse sein, aber bis zu diesem Punkt in der Geschichte brauchte ich sie noch.
Im nächsten Kapitel wird das Mädel unter die Erde gebracht, spätestens dann muss es sein, aber trotzdem muss ich da irgendwas ändern. Schwieriger Punkt.

Was das Rind und die Wüste angeht, so ist Nevada ja keine Sandwüste, sondern eher steinig und hat ziemlich viele Gräser und Steppensträucher aufzuweisen. Das gleiche gilt für Flüsse, den einen oder anderen gibt es auch da. Das ganze mag für die Rinder nicht besonders nahrhaft sein, aber es sind auch keine kräftigen Prachtexemplare, die da nach Las Vegas gebracht werden wink
Diese Opferungen werde vor allem aus Angst und >Respekt vor den Geistern vorgenommen, die Hirten versuchen die Tiere um jeden Preis dorthin zu bringen.
Warum das überhaupt so ist wird ja noch geklärt.

Zum Benzin: In den Staaten zu der Zeit ist Benzin ne ziemlich knappe Sache, aber die Städtchen der Gegend verfügen noch darüber und geben es besonders an die Hirten, denn deren Vorankommen ist ja immens wichtig.

So, morgen oder übermorgen gibts die überarbeitete Version. Nochmal danke für die Kritik, jetzt weiß ich wenigstens, dass die Logiklücken so auffällig sind, wie ich befürchtet hatte wink

mfg

Felix


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Ana
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Beitrag13.06.2009 21:14

von Ana
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Hallo Felix,

habe ein wenig geknabbert, was mich an deiner Antwort störte - jetzt habe ich es  Idea

du schriebst:

Zitat:
Was das Rind und die Wüste angeht, so ist Nevada ja keine Sandwüste, sondern eher steinig und hat ziemlich viele Gräser und Steppensträucher aufzuweisen


wie passt das aber dann mit dem zusammen:

Zitat:
Der Sandsturm war plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung hereingebrochen. Die feinen scharfen Körnchen hatten jede Spur verwischt und den Horizont zu einer wirbelnden Masse aus Braun und Rot werden lassen.


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Ana
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Felix
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Beitrag14.06.2009 12:09

von Felix
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Stimmt, der Begriff bedarf tatsächlich einer Verbesserung. Ich könnte mir vorstellen, dass auch in einer Steppe bei starkem Wind Stein- und Sandverwehungen entstehen. Aber du hast recht, das muss ich nochmal überdenken.

Wie gesagt, es wird überarbeit wink


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Fahrender Gaukler
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Beitrag14.06.2009 12:21

von Fahrender Gaukler
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Moin Felix,

freut mich, dass ich helfen konnte. Ist schon richtig; während der Überarbeitungen verliert man gerne mal aus den Augen, was man eigentlich noch verbessern wollte. Passiert mir auch ständig. Die stilistischen Schnitzer sind ja hier auch nicht so grob. Versuche das nächste Mal aber zumindest auf Wortwiederholungen zu achten. Gab hier im Forum irgendwo einen Link zu einem tool, dass einem die meist benutzen Wörter anzeigt. Hieß glaube ich "Text stat". Das könnte was für dich sein. Und weil ich es nie müde werde, auf meinen Lieblingslink zu verweisen: www.synonyme.woxikon.de . Da kannst du die Wörter dann eingeben, zu denen du eine Alternative suchst. Lohnt sich. smile

Zitat:
Noch ne Kleinigkeit zu Lynchs Verhalten: In der Tat ist das wortkarge Lynchs Verhaltensweise, bis zu einem gewissen Grad ist das hier auch eine Art Trash und ich versuche Klischees zu bedienen,


Ach so, dass das Trash ist, wusste ich nicht. In dem Fall ist der "coole Hund" bereitwillig akzeptiert. wink


Gruß,

~~Der Gaukler


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Felix
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Beitrag14.06.2009 21:55

von Felix
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So, hier mal die erste überarbeitete Version des ersten Abschnitts. Für mich selbst war der Abschnitt im Endeffekt wieder ein Beweis, dass zumindest ich nicht schreiben sollte, wenn ich zu viele andere Dinge um die Ohren habe. Die Qualität leidet leider doch.
Egal, ich hab mir Mühe gegeben es zu verbessern.
Ach ja, die Gedankengänge und Erinnerungen stehen im Originaltext kursiv, ich vergesse nur immer ganz gerne, dass dieses beim Einfügen hier nicht übernommen wird wink




Der Sturm war plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung hereingebrochen. Die feinen scharfen Körnchen hatten jede Spur verwischt und den Horizont zu einer wirbelnden Masse aus Braun und Rot werden lassen. Inmitten des tosenden Windes hockte Lynch Decter unter einem Felsvorsprung und barg eine Tote in seinen Armen.
Kuss der Steppe – so nannten die Hirten diese Naturerscheinungen, die jedes Jahr ihre Viehherden auf dem Weg von Little Rock nach Las Vegas dezimierten.

Wenn die Steppe dich küsst, dann schließt du besser die Augen, Junge, und wartest bis ihre Liebkosungen vorbei sind.
Worte des alten Sandsammlers waren nach all den Jahren noch immer präsent in Lynchs Gedächtnis – in diesem Moment stärker denn je. Er hatte selbst schon genug solcher Stürme durchgestanden, um zu wissen, dass es reiner Wahnsinn war, sich in ihren Schlund zu begeben. Nur Irre und Sandsammler, wie der alte Hobo, ließen sich freiwillig küssen.
Die
Eine andere Gewissheit war jedoch weitaus beunruhigender: Er war vom Weg nach Telavera abgekommen und hatte sich inmitten des kargen Chaos verirrt. Lynch gestattete es sich nicht darüber in Verzweiflung oder gar Panik auszubrechen. In seiner Verfolgung der unbekannten Frevler würde er dadurch vielleicht zurückgeworfen werden, aber solange er sein Ziel klar vor Augen hatte, konnte er es nur erreichen.

Fluchend griff Lynch nach dem Wasserschlauch an seiner Seite und nahm einen Schluck von dem verrinnenden, inzwischen brackigen Wasser, um seinen ausgedörrten Rachen anzufeuchten. Als er das schützende Mundtuch zur Seite schob, füllte sich sein Mund beinahe sofort mit grobkörnigem Sand. Hustend und schnaubend zwang Lynch sich trotzdem zu einigen schmerzhaften Schlücken, bevor er sich tiefer in seinen kleinen Unterschlupf zurückzog und den Sturm zwischen zusammen gekniffenen Augenlidern beobachtete.

Als der Wind schließlich nachließ und die Körner sich zu legen begannen, wusste Lynch nicht, wie lange er gewartet hatte. Mit der toten Alma in seinen Armen und mit seinen Gedanken alleine, war er den lockenden Stimmen der Geister bedrohlich nahe gekommen, die noch immer nach dem Mädchen gierten.
Er musste sich zwingen, nicht auf die Stimmen zu hören, ihnen nicht zu antworten – eine Herausforderung, die in der Einsamkeit Nevadas nicht leicht fiel, zumal die astralen Stimmen sogar das Tosen des Windes übertönten.

Nun aber verkam der Sturm langsam zu einer gewohnten glühend heißen Brise und lediglich ein dunstiger Vorhang aus Sand und Steinchen lag noch in der Luft. Erleichtert stemmte sich Lynch auf die Beine und zog Alma die Wolldecke von Kopf und Körper, mit der er die Tote vor dem Kuss der Steppe geschützt hatte.
Zumindest ihren Körper kann ich schützen, schoss es ihm durch den Kopf.

Weitere Gedanken vergeudete er nicht an die unbestimmte und unsichtbare Gefahr, die im Hintergrund darauf wartete, dass er einen Fehler beging und sowohl Alma als auch sich ihrer Gier aussetzte.

Vorsichtig legte er seine Geliebte quer über den Sitz seiner Indian Four und zerrte mit rissigen Händen die Seile fest, die sie auf dem Motorrad halten sollten. Während er nun selbst aufstieg und den Mundschutz vom Gesicht zog, warf er einen Blick auf den Horizont und die vor ihm liegende Weite. Vielleicht war es gar kein so großer Zeitverlust, dass sie vom Weg abgekommen waren, denn es war gut möglich, dass der Sturm sogar den gebrechlichen Weg nach Telavera, eine aufgeplatzte alte Pflasterstraße, komplett mit Sand und Geröll bedeckt hatte.

Es galt einen neuen Weg zu finden, doch irgendwo würde er schon hin gelangen, wenn er stets dem Horizont folgte. Nun konnte Lynch nur noch hoffen, dass sich nicht zu viel Sand im Getriebe seiner Maschine festgesetzt hatte, denn er hatte nur eine schützende Wolldecke zur Verfügung gehabt.
Tatsächlich sprang der Motor der Indian röhrend an, als Lynch den Zündschlüssel drehte, doch ein leises Stottern im sonst so majestätischen Klang ließ ihn nichts Gutes ahnen.


Die Sonne hing bereits schwer und rot über dem Horizont, als der Motor der Indian mit einem letzten Röcheln seinen Dienst versagte und Lynch allein in der Einsamkeit Nevadas zurück ließ. Zum Glück brachte der Abend auch kühlere Temperaturen und der Hirte nahm sich einen Moment Zeit, um den blutroten Horizont zu betrachten und seine Lage zu überdenken.
Cowboyromantik. Lynch hatte den Begriff einmal in einem der reisenden Zirkusse gehört, als er sich dort einen Film aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts angesehen hatte. Dem Zirkusdirektor war das Wort beinahe wehmütig über die Lippen gekommen, doch Lynch konnte dem ganzen nichts romantisches abgewinnen, kannte er dieses verdammte Leben doch selbst allzu gut.
Noch brachte der Abend eine angenehm milde Luft, doch schon bald würde die Luft bitterkalt werden, nur um am nächsten Morgen wiederum zu einem Schmelzofen zu mutieren. Aasfresser und andere unliebsame Gäste konnten nicht lange auf sich warten lassen, denn Almas Leichnam war für sie eine willkommene Abwechslung. Der widerlich süßliche Geruch nach Verwesung stieg auch Lynch immer stärker in die Nase. So schwer es ihm fiel, bald musste er sie unter die Erde bringen.

Zumindest für die Nacht brauchte der Hirte außerdem einen Unterschlupf, in dem er neuen Proviant besorgen und vielleicht sogar jemanden finden konnte, der ihm den Weg nach Telavera wies.
Die Steppe schien jedoch kein Mitleid mit seiner Lage zu haben, denn während Lynch unter einem Sternenhimmel dahin zog, der sich langsam tiefblau färbte, offenbarte sie ihm nur weitere Felsen, Sand und Skorpione.
Die massige Indian mit der zusätzlichen Last auf ihrem Sitz ließ sich zudem immer schwieriger durch die mit  großen Steinen, Geröll und Sträuchern übersäte Ebene schieben, sodass dem Hirten schon sehr bald alle Muskeln schmerzten, bevor ihn eine große Müdigkeit überkam.

Erst jetzt ging Lynch auf, dass er sich seit dem Überfall beinahe keinen Schlaf mehr gegönnt hatte, den sein Körper nun erbittert einfordern wollte. So bemerkte er auch zunächst nicht, dass der sandige Grund durch den aufgebrochenen Beton einer Landstraße abgelöst wurde. Der Hirte brauchte einen Moment, um seine Überraschung zu überwinden, beinahe hätte er sich über die Straße geschleppt, ohne sie zu registrieren. Mit neu erwachter Aufmerksamkeit blickte er nun in beiden Richtungen die Straße hinab, in der Hoffnung ein Fahrzeug zu erblicken.

Schnell bemerkte er, dass diese Hoffnung vergeblich war, denn die Straße schien schon seit der Zeit den Zeiten der Ersten Republik nicht mehr häufig genutzt zu werden. Dann jedoch erblickte Lynch in nördlicher Richtung eine hohe Reklametafel, die wie ein wegweisender Stern am Straßenrand leuchtete und lockte.
Vielleicht war es nur eine Einbildung, vielleicht eine Falle von Banditen, die auf verzweifelte Reisende wie ihn hofften, vielleicht aber auch seine Rettung. Lynch griff unter sein Hawaiihemd, um den Colt im Holster zu lockern und beschloss, es darauf ankommen zu lassen.


Haus der Kugeln.
Das A und das L waren erloschen und einige andere Glühbirnen flackerten bedrohlich, dennoch konnte Lynch die von einem blinkenden Colt eingefasste Leuchtschrift aus einigen hundert Metern Entfernung lesen. Ein gewaltiges Schild, mitten im Nirgendwo, darauf eine meilenweit sichtbare Schrift – der Hirte konnte sich keinen Reim auf diese seltsame Erscheinung machen.
Seine Verwirrung nahm noch zu, als er schließlich den stählernen Fuß des Schildes erreichte und unter dem Vorsprung eines gewaltigen Felsens, ganz in der Nähe, eine kleine morsche Holzhütte erblickte. In der Dunkelheit flackerten die milchigen Fenster der jämmerlichen Behausung in den roten und gelben Farben der Leuchtschrift und erweckten den gespenstischen Eindruck dämonischer Augen.

Mit einem Anflug von Erleichterung stellte Lynch die Indian im abkühlenden Sand ab, nur  um sich kurz darauf mit äußerster Vorsicht dem scheinbar verlassenen Häuschen zu nähern. Mit einem leisen Klicken fuhr der Colt aus seinem Halfter – sollten hier Banditen auf verirrte Wanderer warten, so hatten sie den Falschen angelockt.
Lynch konnte es nicht vermeiden, dass Steinchen unter seinen Stiefelsohlen knirschten, jedoch zeigte sich noch immer keine Regung im Inneren der Hütte. Sie schien den Hirten weiterhin durch ihre flackernden Fenster zu beobachten.

Als Lynch schließlich bis auf wenige Meter herangekommen war, entdeckte er unweit, im flackernden Licht der Leuchtschrift, eine Holzbude, die an ein Kassenhäuschen erinnerte. Mit gerunzelter Stirn änderte der Hirte seinen Kurs, um das Innere des kleinen Verschlags zu untersuchen, als plötzlich die Tür des Häuschens in seinem Rücken aufflog und der Lademechanismus einer Schrotflinte betätigt wurde.
„Ganz genau Mistkerl, das ist die richtige Richtung. Wenn du nichts unanständiges vorhast und dir dein Leben lieb ist, dann legst du jetzt den Colt zur Seite und kaufst dir eine Karte.“

Erschrocken blieb Lynch mitten in der Bewegung stehen und hob die Hände. Langsam schob er den Colt zurück ins Halfter und machte Anstalten, sich vollends zur Tür und der Stimme aus der Dunkelheit umzudrehen.
„Nein nein, brav die Augen nach vorne richten und bezahlen. Erst dann bekommst du was zu sehen.“
Mit einem leisen Fluch stapfte Lynch zu dem morschen Bretterverschlag und entdeckte dort auf einer Theke tatsächlich eine rostige Kassette und eine Rolle vergilbter rosa Eintrittskarten. Daneben stand ein kleines Pappschild, auf das man in roter Farbe „Eintritt: 5 Dollar“ geschrieben hatte.

„Das ist doch lächerlich, verdammt. Ich brauche hier draußen Hilfe und will keine beschissenen Karten kaufen, wofür auch immer. Schon mal was von Gastfreundschaft gehört?“, knurrte der Hirte, während er dennoch einen Schein in die Kassette legte und sich eine der Kärtchen abriss. „Sind Sie jetzt zufrieden?“

In seinem Rücken raschelte etwas, und als sich Lynch nun mit einem Gesichtsausdruck umdrehte, der äußerste Verärgerung verriet, erblickte er auf der winzigen Veranda den anderen.
„Willkommen im Haus der Kugeln Sir. Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Anreise.“
Im Halbdunkel der Nacht konnte Lynch nicht besonders viel erkennen, doch der Kerl, der ihn nun so schmierig angrinste, war schmächtig und trug eine Brille mit runden Gläsern. Der Hirte wusste nicht, was er von dem Fremden halten sollte, es konnte noch immer sein, dass es sich um einen irren Einsiedler handelte. Am liebsten hätte Lynch seiner Wut freien Lauf gelassen, doch da der Mann noch immer die Schrotflinte in Händen hielt und er selbst Hilfe brauchte, besann er sich eines besseren.

Die Eintrittskarte wie ein Zeichen des Friedens weit vor sich gestreckt, stapfte Lynch auf die Veranda zu, auf der ihn der Mann nun keineswegs ablehnend, sondern geradezu freudig erwartete.
„Also gut, ich hab getan, wozu Sie mich gezwungen haben. Werden Sie mir nun helfen?“
„Natürlich werde ich das tun, Besucher und Reisende sind mir immer willkommen. Anthony Hersey, zu ihren Diensten.“

Misstrauisch ergriff Lynch die dargebotene Hand, ohne aber die gesenkte Schrotflinte ganz aus den Augen zu verlieren.
„Lynch Decter, ich hab da vorne ein kaputtes Motorrad und ein totes Mädchen.“
„Oh wie furchtbar“, Herseys Lächeln war auf der Stelle verschwunden, „bringen Sie sie rein, bevor die Geier kommen...oder schlimmeres.“
Mit einem dankbaren Murren tippte Lynch an die Krempe seines Stetsons und schritt zurück zur Indian, um die Seile zu lösen, die seine Geliebte auf dem Motorrad festhielten. Hersey hielt ihm die Tür auf, als er mit der Last auf seinen Armen eintrat.

Aus den Augenwinkeln erhaschte der Hirte nun einen besseren Blick auf seinen Gastgeber. Herseys Hemd war zerknittert und fleckig, genauso die Weste, die er darüber trug. Das braune Haar halb lang und strähnig, unter der Nase deutete sich der hässliche Schatten eines Schnauzbartes an. Alles in allem passte der Mann in diese Gegend, entschied Lynch. Er war öde und unauffällig, genau wie die ganze verdammte Steppe.

Das Innere der Behausung wurde tatsächlich nur vom Flackern der Neonleuchten und einer einzelnen weiteren Petroleumlampe erhellt, sodass Lynch den Raum nur in seinen geisterhaften Umrissen wahrnehmen konnte.  
„Sie müssen entschuldigen, Mr. Decter, ich bevorzuge die Dunkelheit. Wenn man den ganzen Tag über der unerbittlichen Sonne ausgesetzt ist, heißt man jeden Schatten willkommen.“
Lynch quittierte den Kommentar lediglich mit einem Grunzen und hievte Alma auf den schweren Holztisch, nachdem er alle Bücher und andere Gegenstände von der Tischplatte gewischt hatte.

„Glauben Sie wirklich, dass Sie noch etwas für das Mädchen tun können? Der Verwesungszustand  ...“, gab Hersey vorsichtig zu bedenken.
„Das weiß ich selbst, aber da steckt noch mindestens eine Kugel in ihrem Körper. Ich will nicht, dass ausgerechnet die das letzte sind, was von ihrem Körper übrig bleibt. Haben sie ne Pinzette oder ähnliches? Die könnte ich gebrauchen.“
Während Lynch der Toten das Oberteil auszog und nach den Einschusswunden suchte, gesellte sich sein Gastgeber zu ihm an den Tisch.
„Wie hieß das arme Ding?“
„Alma.“ Geistesabwesend fuhren Lynchs Finger über die mit Blut verkrustete Haut des Mädchens und ertasteten drei Wunden, wo sich die Kugeln in ihr Fleisch gefressen hatten.
„War sie...Ihre Tochter?“
„Mein Gott, das hoffe ich doch nicht ...“


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Felix
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Beitrag16.06.2009 21:56

von Felix
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Nachdem ich noch n bisschen dran gefeilt habe hier also der zweite und letzte Teil des Kapitels wink


Hersey sah Lynch einen Moment lang verwirrt an, dann jedoch konzentrierte auch er sich auf die Wunden der Leiche. Entschlossen schob er die Hände des Hirten beiseite, die eher planlos als hilfreich über deren Oberkörper wanderten.
„Lassen Sie mich das machen Mr. Decter. Ich habe Instrumente hier, um die Kugeln zu entfernen.“ Er eilte zu einem massiven Holzschrank in einer anderen Ecke des Raumes, aus dem er eine alte bauchige Ledertasche hervor kramte, die er nun zum Tisch trug.
„Sind Sie Arzt oder sowas?“ Lynch beobachtete, wie der andere die Tasche abstellte und in ihr nach den richtigen Instrumenten zu suchen begann.
„Nun ja, so ähnlich. Ich war Sanitäter.“
„Dann waren Sie dabei. Sie haben auch in Armisteads Krieg gekämpft.“
„Pah, wer hat das nicht getan? Obwohl ich weniger gekämpft, als vielmehr die armen Schweine versorgt habe, die das Pech hatten kämpfen zu müssen. Das Glück des Sanitäters. Kugeln wie diese habe ich zu tausenden entfernt. Bei Nashville, Redwood Market, Belle Prospect ...“

Hersey hielt pikiert inne, als er Lynchs kehliges Lachen hörte.
„Was gibt es da zu lachen?“
„Schon gut, eigentlich gar nichts. Nur lustig, wie Lebenswege aneinander vorbei laufen und sich doch irgendwann kreuzen. Hab bei Redwood Market beinahe mein linkes Bein verloren. Kann mich nicht mehr an das Gesicht des Sanis erinnern, der mich damals gerettet hat. Wer weiß, vielleicht waren's ja Sie.“
Der ehemalige Sanitäter hatte eine kleine Pinzette und ein Skalpell aus der Tasche gefischt, mit denen er nun vorsichtig die erste Kugel entfernen wollte. Während er dies tat, huschte ein bitteres Lächeln über sein Gesicht.
„Das glaube ich weniger. Es sei denn Sie sind mit Bosrow marschiert.“
„Ah, einer von der Gegenseite. Sie haben für die Barone gekämpft?“
„Ja, ich war einer von den Bösen würdet ihr Siedler wohl sagen.“

„Ich sage überhaupt nichts mehr, außer dass das alles eine einzige Scheiße war. Scheiß auf Armistead.“
„Wahre Worte.“
Die nächsten Minuten verbrachten die beiden schweigend, während Hersey auch die anderen beiden Kugeln aus Almas Körper entfernte und Lynch ihm dabei so gut er konnte half. Schließlich lagen alle vier Geschosse  auf dem Tisch. Noch immer klebte Blut an ihnen.
„Eine Schande“ Hersey schlurfte zu einem Wasserbecken herüber und wusch sich die Hände. „Wer hat das getan?“
„Wenn ich's wüsste. Fremde, Banditen...Frevler. Sie haben sie getötet und anschließend meine ganze Herde umgebracht. Ein verdammtes Blutvergießen. Aber das werde ich auch anrichten, wenn ich sie gefunden habe.“

Hersey trat wieder an seine Seite und betrachtete das Mädchen sorgenvoll, während er sich die schlanken Hände abtrocknete.
„Sie war nicht von hier oder?“
„Nein, ich habe sie aus einem Puff in Tijuana geholt. Ihr Zuhälter hatte was dagegen, aber die Liebe und eine Kugel zwischen den Augen beseitigen wohl jedes Hindernis...so gut wie jedes.“
„Eine Mexikanerin? Die werden hier auch nicht mehr gerne gesehen...vielleicht waren es Rassisten.“
Wieder wurde Lynch mit einem strafenden Blick bedacht, als er bellend auflachte.
„Einer der Fremden war schwarz. Eine schöne Scheiße wäre das.“
„Wollen Sie in unseren Zeiten noch die Existenz von irgendetwas bestreiten, Mr. Decter?“ der Einsiedler lächelte ironisch, schmiss das Tuch zur Seite und ließ sich auf einen der schweren Holzstühle fallen. „Sie sind Hirte, was?“
„Wie kommen sie darauf?“
„Sie haben gerade ihre Herde erwähnt, auch tot. Den Alten von Vegas wird das wohl kaum erfreut haben.“
„Ich habe ihm die Lage erklärt und er hat sich wirklich außerordentlich verständlich gezeigt.“
Kurz huschte so etwas wie ein Lächeln über die schmalen Züge seines Gastgebers und Lynch fiel auf, dass es diesem Mann wohl als einzigem gelang in einer Gegend wie dieser bleich wie ein Gespenst zu sein. Das Lächeln war jedoch schnell verflogen und sein Gastgeber wurde wieder ernst.

„Sie haben den heiligen Mann des Westens und wahrscheinlich auch die Geister verärgert. Sie müssen Rache nehmen. Aber mit einer Leiche und einer kaputten Maschine könnte sich dies als schwierig erweisen.“
„Erzählen Sie mir was neues, Doc.“ Murrend begann Lynch in Zimmer herum zu wandern und eigenhändig nach Alkohol zu suchen. „Ich habe gehofft hier Hilfe zu finden und die hab' ich auch bekommen. Ich bin ihnen dankbar für das, was Sie für Alma getan haben, aber das genügt mir nicht. Ich brauche jemanden, der meine Indian repariert, ich brauche Proviant, aber vor allem muss ich den verdammten Weg nach Telavera finden. Dort kann ich alles weitere regeln und meine Verfolgung wieder aufnehmen.“
Im diffusen Lichtschein war Lynch auf eine halb leere Flasche Whiskey gestoßen, die er nun gemeinsam mit zwei Gläsern auf den Tisch knallte und einschenkte. Während er sich Hersey gegenüber hinsetzte, schob er eines der Gläser herüber. „Ich werde die Kugeln, die Sie aus ihrem Körper geholt haben, behalten und den Schweinen zurückgeben, die das getan haben. Jede einzelne.“

Sein Gegenüber schwieg lange und konzentrierte sich auf den Whiskey, an dem er noch immer bedächtig nippte, als Lynch bereits das dritte Glas herunter kippte.
„Sie haben noch einen langen Weg vor sich, Decter. Ich bin kein Mechaniker, ihre Maschine kann ich nicht reparieren. Aber ich habe Proviant und ich werde ihnen zeigen, wie Sie von hier aus nach Telavera gelangen. Und ich werde ihnen noch etwas anderes zeigen.“ Plötzlich sah Hersey mit einem Schmunzeln von seinem Glas auf. Entschlossen stellte der Einsiedler den Whiskey zur Seite ohne ihn weiter zu beachten und erhob sich. „Kommen Sie. Ich könnte mir denken, dass sie wissen wollen, wofür Sie die Karte gekauft haben.“

Der Korridor, der tiefer in den Fels führte, an den sich die kleine Hütte kauerte, war niedrig und eng. Nur einige kümmerliche Funzeln beleuchteten die unbehauenen Steinwände, von denen die Gesichter berühmter Persönlichkeiten aus vergilbten Fotos und rissigen Bildern auf sie herunter blickten. Hersey ging schweigend voran, und so nahm sich Lynch die Zeit, um die einzelnen Porträts aus anderen Zeiten näher zu betrachten.
Er hatte nie eine besonders gute Schulbildung genossen und so erkannte der Hirte auch nur wenige der dargestellten Personen auf den ersten Blick.
Abraham Lincoln, John F. Kennedy und dessen Bruder Robert – große Staatsmänner der Ersten Republik, die sogar er aus seinen alten Schulbüchern kannte. Schließlich auch Männer und Frauen des Dakota-Zwischenfalls und des Armistead-Krieges: Alicia Clowdeye und Präsident Oliver Barniff. Der größte Teil der dargestellten Gesichter war für Lynch jedoch eine unbekannte Masse, mit der er nichts verbinden konnte.

„Erzherzog Franz Ferdinand, der österreichische Thronfolger“, erklang Herseys Stimme, als Lynch mit ratlosem Blick vor einem der verblichenen Porträts stehen blieb und gedankenverloren über seine Koteletten strich. „Erschossen in Sarajevo, 1914.“
„Mhm...“, murmelte der Hirte desinteressiert und wandte sich ohne einen weiteren Blick von dem Bild ab, um Hersey zu folgen.
Dieser war inzwischen in einer größeren Höhle stehen geblieben, die von einem Geäst aus Balken getragen wurde, und hatte sich lächelnd umgedreht.
„Sie interessieren sich nicht besonders für Geschichte, nicht wahr Mr. Decter?“
„Die Geschichte hat mir drei Kugeln, zehn Narben und sechs Jahre an der Front verpasst. Entschuldigen Sie, wenn ich mich n bisschen von ihr distanziere“, antwortete Lynch geistesabwesend, denn er versuchte mit den Augen das diffuse Halbdunkel in der Höhle zu durchdringen, die im Moment lediglich durch das Licht aus dem Gang beleuchtet wurde.
In einiger Entfernung hörte er das leise Lachen seines Gastgebers, gefolgt von einem Klicken, woraufhin mehrere Neonröhren flackernd ansprangen. Lynch musste vor ihrem grellen Licht zunächst die Augen zusammen kneifen, doch wurde er trotzdem schnell gewahr, womit die kleine Höhle mitten im Nirgendwo angefüllt war.
Die Leuchtwerbung hatte nicht gelogen.

In der Mitte des Raumes und an seinen Wänden standen kleinere und größere Vitrinen, die jeweils eine einzige Patrone einer Pistole oder eines Gewehrs beinhalteten. Wie kleine Kunstwerke, bleierne Unikate anderer Zeiten, lagen sie auf Samtkissen oder begannen nun sich auf kleinen elektrischen Scheiben zu drehen.
„Ein verdammtes Museum...“, gingen Lynch seine Gedanken leise über die Lippen. Der Hirte war sich Herseys neugierig-verschmitztem Blick bewusst, mit dem sein Gastgeber ihn vom Eingang her verfolgte, doch ließ er sich bei der Inspektion jeder einzelnen Vitrine nicht weiter stören.
„In der Tat, ein Museum. Das Haus der Kugeln“, erklang die Stimme des anderen in seinem Rücken. „Es sind die ganz kleinen Dinge, die die Welt verändern, und hier habe ich sie alle zusammen getragen.“ Der Einsiedler unterbrach sich kichernd. „Nun ja, was heißt alle. Ich reise noch immer suchend durch die Welt.“
Lynch riss seinen Blick von einer runden mit Blut verkrusteten Pistolenkugel los, vor deren Vitrine er gebückt gestanden hatte, und drehte sich nun mit verständnislosem Blick zu Hersey um.

„Sie sammeln Patronen? Da hätte ich auch noch ne ganze Menge für Sie ...“
„Nicht irgendwelche Patronen, Mr. Decter. Kugeln, die mit der Wucht ihres Aufpralls Wellen im gemächlichen Fluss der Geschichte geschlagen haben!“ Herseys euphorische Stimme hallte von den kalten Wänden wieder, als er mit der Faust in die offene Handfläche schlug, um seine Worte zu unterstreichen. Plötzlich waren seine Augen von Leben ergriffen und Lynch beschlich das Gefühl, dass dieser Mann nicht so farblos war, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte.
Hersey hatte sich inzwischen zu ihm gesellt und deutete auf die scheinbar ziemlich alte Kugel, die der Hirte eben noch betrachtet hatte.
„Das kleine Ding dort hat das Leben von Gustav Adolf von Schweden beendet. Ein großer König, aber das kleine, das beinahe unsichtbare, hat ihn gefällt. Verstehen Sie, was ich sagen will? Traditionen, Institutionen, Reiche, die Geschichte selbst, geraten im Bruchteil einer Sekunde ins Wanken, wenn nur eines dieser unscheinbaren Projektile sein Ziel trifft.“
„Tja, wenn Sie meinen ...“ Lynch verfolgte mit gelassenem Blick den anderen, der nun die Vitrinen mit dem Stolz eines Besitzers abschritt.
„Hier haben wir die Kugel, die Lincoln tötete, direkt neben der, die das Leben von Indira Gandhi beendete. Derjenigen, die den großen Mahatma tötete, jage ich noch immer hinterher.“ Der Veteran warf Lynch ein triumphierendes Lächeln zu, bekam als Antwort jedoch nur einen verständnislosen Blick. Mit einem resignierten Seufzen öffnete er eine der anderen Vitrinen und trug die darin befindliche Patrone mit Spitzen Fingern zu seinem Gast herüber, um sie ihm direkt vor die Augen zu halten.
„Alte Geschichte, längst verstaubt und vergessen, ich weiß. Aber dieses Schätzchen hier dürfte auch Sie interessieren. Wegen dem Blut, das an dieser Kugel klebt, sind Sie in den Krieg gezogen.“

Lynch schnalzte mit der Zunge und gab ein leises Grunzen von sich, während er Hersey die Patrone vorsichtig aus der Hand nahm und näher betrachtete.
„Wollen Sie sagen, dass ...“
„...dies die Kugel ist, die Mr. Oliver Barniff, letzter Präsident der Ersten Republik, mitten ins Herz traf. Abgeschossen vom Verräter Sam Spiatznik.“
„Manchmal ist der Jude tatsächlich der Böse.“ Jetzt hatte sich auch auf Lynchs Gesicht ein interessiertes Schmunzeln geschlichen und der Hirte gab die Patrone nur ungern seinem Besitzer zurück. „Wie...wie sind Sie an all diese Kugeln gekommen?“
„Oh ich habe mich durch die Welt, dunkle Keller und staubige Archive gewühlt wie damals durch das aufgeplatzte Fleisch verletzter Soldaten. Immer auf der Suche nach dem tödlichen kleinen Teil. Die Wege waren nicht immer legal, aber notwendig. Das Sterben bei Belle Prospect und all den anderen Orten war...inspirierend.“
Die Erinnerung an den Krieg ließ beide Männer schlagartig ernst werden und hinterließ eine unangenehme Stille. Schließlich war es der Hirte, der nach einem Moment des Nachdenkens die Stille brach.

„Schön und gut, aber warum zeigen Sie mir all das hier? Bestimmt nicht, damit sich der verdammte Kauf dieser Eintrittskarte gelohnt hat.“
„Weil ich ihnen eine dieser Kugeln schenken will. Wir tauschen. Ich darf eine der Patronen behalten, die ihre geliebte Alma töteten und sie bekommen ihr Schicksal zurück.“ Mit entschlossener Miene drückte Hersey dem Hirten die Kugel aus Spiatzniks Waffe in die Hand. „Als diese Kugel zum ersten Mal abgefeuert wurde, hat Sie ihr Leben verändert. Vielleicht schafft sie es noch ein zweites Mal.“
Kurz zuckten Lynchs Mundwinkel in die Höhe, als er die rauhe Oberfläche des Geschosses in seiner Handfläche fühlte. „Ein ganz schön beschissener Tausch für Sie, Hersey. Die Kugel, die einen Präsidenten tötete, gegen jene, die das Leben eines unbekannten mexikanischen Mädchens beendete? Schätze ich muss ihnen dankbar sein.“
Sein Gastgeber nickte und wandte sich mit einem leisen Schmunzeln zum Gehen.
„Sie fragen sich, wie ich an all diese Kugeln gekommen bin, Mr. Decter? Von mancher habe ich den Pulverdampf bereits gerochen, bevor es andere taten. Und manchmal habe ich ihn noch immer gerochen, nachdem andere ihn längst vergessen hatten. Noch kennt die Welt nicht das Kaliber, dass ihre Alma getötet hat. Aber ich bin mir sicher, bald wird es soweit sein.“


_________________
-Show me a hero and I will write you a tragedy-

F.S. Fitzgerald
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