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[Rom] MALEFICIUM (Kapitel 1: Das Sühnkreuz)


 
 
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denLars
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 31
Beiträge: 522
Wohnort: Düsseldorf
Extrem Süßes!


LOONYS - Die Vergessenen Rosen der Zeit
Beitrag09.03.2007 20:36
[Rom] MALEFICIUM (Kapitel 1: Das Sühnkreuz)
von denLars
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Kapitel 1
Das Sühnekreuz

1447
Trier, Deutschland

Die Sonne blickte hinter dem Horizont hervor und tauchte die Welt in ein rötliches Zwielicht, das die Schatten der Nacht vertrieb und die Bewohner Triers aus ihren Häusern lockte.
Fensterläden wurden unter lautem Knarzen geöffnet und der Inhalt von Nachttöpfen wurde in hohen Bogen aus den Fenstern geschleudert und landete auf der Straße, wodurch sich schon jetzt der widerliche, süße Geruch von menschlichen Urins über die Stadt legte.
Lukas biss herzhaft in einen Apfel, der ihm von Adil gereicht wurde. Die beiden Jungen lehnten an der Mauer eines Kontors, der den Marktplatz Triers säumte. Adil betrachtete die Menschenmengen, die geschäftig über den Marktplatz eilten.
"Was treibt den Sohn eines Sultans hierher?"fragte Lukas kauend.
Adil blickte in die aufgehende Sonne und seine Augen wurden starr und glasig. Eine Träne rann über Adils Wange und glitzerte in der Sonne. Der Sultanssohn wischte sie sich weg und sah Lukas durchdringend an.
"Glaubst du an den Gott der Christenheit?"fragte er.
"Natürlich glaube ich an den Allmächtigen!", entgegnete Lukas, "Aber ich glaube nicht an die Kirche und ihre Methoden."
Ein kurzes, trauriges Lächeln huschte über Adils Gesicht.
"Du bist weise, Lukas! Das muss man dir lassen."
"Auch wenn du mir schmeichelst, so hast du noch immer nicht meine Frage beantwortet, Adil."
"Ich muss zu deinem Vater. Ich habe mit ihm etwas Wichtiges zu bereden!"sagte Adil kurz angebunden und seine Augen funkelten. Lukas versuchte das Funkeln zu deuten. Es war Hass, der in den Augen Adils aufleuchtete, Hass und Kummer.
"Was willst du von meinem Vater?"fragte Lukas, während er sich daran erinnerte, dass sein Vater vor zwei Jahren selbst ins Heilige Land gepilgert war.
"Die Zeit wird es dir zeigen! So wie die Zeit alles zeigt!",sprach Adil in Rätseln und stellte sich vor Lukas, dann reichte er ihm seine Hand, "Wir werden uns wiedersehen, Lukas von Hohenfels! Vielleicht wirst du es dann sein, der mir das Leben retten wird!" Lukas schüttelte Adils Hand, ihre Blicke begegneten sich. Dann drehte sich Adil abprupt um und verschwand in der wogenden Menge aus Marktfrauen, Mägden, Kaufmännern, Bettlern, Reisenden, Mönchen, Gesellen und allerlei anderen Gestalten.
Lukas blickte ihm überrascht und verwirrt nach, verlor ihn dann aber aus den Augen. Was ist dies nur für ein merkwürdiger Zeitgenosse gewesen?, fragte er sich und warf das Kerngehäuse des Apfels achtlos auf den Boden. Zu gegebener Zeit würde er seinen Vater, der in seinem Schloss nördlich von Trier lebte, nach diesem Adil fragen. Doch nun interessierte es Lukas viel mehr, was aus Meyfart geworden war. Am besten sah er erstmal im Haus des Inquisitors nach.
Schnellen Schrittes lief Lukas über den Hauptmarkt und in südliche Richtung durch die Judengasse, die von stattlichen Häuschen gesäumt wurde. Das Haus des Inquisitors lag neben der Benediktiner-Abtei Sankt Matthias.
Die Judengasse mündete direkt vor dem Kloster. Die altehrwürdige Abtei war von Obstgärten umgeben, in denen Vögel saßen und muntere Melodien sangen. Das Haus des Inquisitors lag links neben dem Kloster. In ihm lebten Meyfart und Lukas, seit Lukas vor vier Jahren von seinen Eltern hierher gschickt wurde, um von Meyfart zu lernen.
Das zweistöckige Fachwerkhaus mit den roten Dachziegeln war von einer mannshohen, efeubewachsenen Mauer aus grobgehauenen Steinquadern umgeben. Ein kleines Törchen, in dem sich der hochgewachsene Meyfart immerzu ducken musste, um nicht gegen die Mauer zu stoßen, was er jedoch oft vergaß, führte durch die Mauer in den Garten des schönen Häuschens.
Lukas löste einen Schlüsselbund von seinem Gürtel, trat zum Tor und steckte einen rostigen Schlüssel ins Schloss. Es quietschte und knarrte, als er den Schlüssel herumdrehte und schließlich das Törchen aufstieß.
Lukas steckte den Schlüssel weg und betrat den Garten des Hauses, der einen nicht allzu schönen Anblick bot. Der Kräutergarten lag brach, da Meyfart lieber seinen Studien nachging, als Kräuter zu sähen. Die Blumenbeete waren von Unkraut überwachsen, da auch Lukas es nicht für nötig befand, sich allzu oft aus der Schreibstube oder der Bibliothek zu entfernen.
Eine Trauerweide stand im Garten. Der blütenlose Baum war schwarz, die Äste wirkten verkrüppelt, sodass der traurige Anblick des Baumes seinem Namen alle Ehre machte.
Die Tür zum Haus stand offen, es musste also jemand hier sein.
Während Lukas durch die Tür ins Haus trat, überlegte er ob es tatsächlich Meyfart sein konnte, oder es doch nur Hanna, die Magd war, die sich um den Haushalt kümmerte.
Lukas schloss die Tür hinter sich und sah sich in dem Ess- und Wohnraum um, der das ganze Erdgeschoss einnahm. Die Decke des Raumes war durch die Feuerstelle und den Kamin rußgeschwärzt, der Boden mit Stroh ausgelegt.
Auf dem langgezogenen Esstisch in der Mitte des Raumes saß eine weiße Katze mit buschigen, dichten Fell. Am Herd in der hinteren Ecke des Raumes stand Hanna die Magd und rührte in einem Topf.
"Maria Magdalena!", begrüßte Lukas die weiße Katze und trat zu dem Tier an den Tisch. Langsam näherte er seine Hand, doch kurz bevor er Maria Magdalena, die Katze des Inquisitors streicheln konnte, schlug ihm die Katze in einer blitzschnellen Bewegung die klauenbewehrte Pfote über die Hand.
Ruckartig zog Lukas seine Hand weg.
"Verdammtes Biest!"heulte er auf und besah seinen Handrücken, auf dem deutlich vier blutige Striemen zu sehen waren.
Hanna, die ihn beobachtet hatte, lachte schallend, die Hände in ihre rundlichen Hüften gestemmt.
"Lach nicht so!"fuhr Lukas sie an und scheuchte Maria Magdalena davon. Doch die blonde, etwa 30-jährige Magd mit dem rundlichen Körper lachte nur noch lauter.
"Lach nicht so!"schrie Lukas aufgebracht, wobei sich sein Kopf rot färbte und ihm die braunen, kurzen Haare zu Berge standen.
Der eher sanftmütige, ruhige Lukas konnte schnell aufbegehren, so wie in dieser Situation, wenn ihm etwas nicht passte.
"Sag mir lieber, ob Meyfart da ist!" sagte Lukas, nun schon in deutlich ruhigerem Tonfall.
Hannas Lachen war zu einem stummen Grinsen verkommen.
"Dassis aber zu komisch, Herr Lukas! De Maria wird euch nie mögen!", sagte die Magd in der einfachen Sprache des Volkes, "Aber is schon recht! Der Herr Meyfart is oben in seinem Studierzimmer! Kam inner Nacht ganz zerbeult nach Hus! Is nich jut zu sprechen, der alte Knabe!"
"Macht nichts! Eigentlich ist er nie gut zu sprechen!"murrte Lukas, immer noch sauer und lief durch das Zimmer zu einer schmalen, steilen Treppe, die ins obere Stockwerk führte.
Während er die Stiege hinaufstackste, hörte er Hanna hinter sich kichern. "Dieses blöde Weib..."zischte er leise, als er das Ende der Treppe erreichte und sich in einem kleinen Gang befand von dem drei Türen in andere Zimmer führten.
Lukas nahm direkt die erste Tür links und trat in das Schreibzimmer von Johannes Meyfart. Als er den Inquisitor erblickte, konnte er sich nur schwerlich ein Lachen verkneifen. Meyfart saß, Bandagen wie einen Turban um seinen Kopf geschwungen, an seinem Schreibpult. Sein linkes Auge war geschwollen und blau, zahlreiche Schürfwunden, Beulen und blaue Flecke verunstalteten das Gesicht des Inquisitors.
"Sieh mich nicht an wie ein Esel, Lukas!",begrüßte Meyfart seinen Lehrling ruppig, "Sag mir lieber, wo du dich rumgetrieben hast!"
"Ein Maure, ein Sultanssohn hat mich aus dem Gasthof errettet!"antwortete Lukas.
"Also ein Heide! O tempora, o mores! Jetzt dürfen die hier schon frei herumlaufen! Es war mir klar, dass du dich mit solchen Teufelsanbetern abgibst!"
"Aber ohne ihn, wäre ich tot! Er hat mir das Leben gerettet, Meister!"
"Sei's drum! Der Teufel hat viele Gesichter! Vielleicht wollte er dich nur erretten, um dich zu verführen!"
"Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli!",entgegnete Lukas, "Warum versteht ihr nicht, Herr? Er ist ein Mensch wie wir...""Schweig, Lukas! Schweig und verschwinde auf deine Kammer! Ich habe Kopfschmerzen und nicht den Nerv, mit dir einen Diskurs über den Glauben zu führen!"fauchte ihn der Inquisitor an und machte eine verscheuchende Handbewegung.
"Mit dem allergrößten Vergnügen!"zischte Lukas mit glimmenden Augen und verschwand durch die Tür, die er so kräftig zuschlug, das das ganze Haus erzitterte.
Wütend lief er durch den Gang zu seiner Kammer, die am Ende des Flures lag. Er öffnete die Tür, schloss sie und ließ sich der Länge nach auf seine mit Stroh gefüllte Matratze fallen. Erst jetzt bemerkte er, wie müde er doch war. Die Schlägerei und die Verbrennung steckten noch tief in seinen Knochen und seinen Gedanken. Durch das kleine, einzige Fenster im Raum erklang das Lachen von Jungen, die draußen im Klostergarten spielten und herumtollten. Wie gerne würde Lukas auch dort unten sein und Ball spielen oder die Benediktiner in den Wahnsinn treiben.
Doch er hatte keine Freunde, mit denen er spielen konnte. Seine einzigen Freunde waren hier in dieser Kammer.- Es waren Bücher.
Auf einem Regal in der Wand standen sie, die einzigen Freunde, die er hatte:
Ovid, Horaz, Cicero, Vergil, Homer und Aristoteles. Und während er an seine Freunde dachte, schlossen sich ihm die Augen und er fiel in die dämmernde Dunkelheit des Schlafes.

                                                                          *
Rom, Italien
1 Woche später...

Papst Nikolaus V. sah von seinem Balkon aus über die Dächer Roms, die im rötlichen Licht des Sonnenuntergangs leicht schimmerten. Die Glocken der Sixtinischen Kapelle riefen hell läutend zur Sext auf, wodurch einige Tauben erschrocken vom Glockenturm aufflogen und gen Horizont flogen, schwarze Schatten im Licht der Sonne.
Der Papst,dessen bürgerlicher Name Tommaso Parentucelli war, nippte an einem silbernen Weinpokal, der auf dem Balkonsims stand. Er nickte anerkennend über die Qualität des Rebsaftes und stellte das Gefäß zurück auf den Balkonsims.
Mit hängenden Schultern schritt er zurück in sein Gemach und ließ sich kraftlos und mit hängenden Schultern auf die Knie fallen. Er faltete die Arme und blickte zu einem goldenen Kreuz an der Wand hinauf.
"Große Sünden lasten auf meinen Schultern, Herr...",begann er mit brüchiger Stimme zu sprechen,
"Témpora mútantúr nos ét mutámur in íllis, Herr! Und dieses Zeiten zwangen mich zu diesem Schritt! So viel Grausamkeit und Gewalt herrscht in dieser Welt und ich selbst, der Bischof Roms, habe noch mehr Leid in dieser Welt gesäht. Herr, vergib mir meine...."Die Tür zur Kammer öffnete sich und Kardinal Adriano Lotrani betrat den Raum. Der sonnengebräunte, auffallend gutaussehende junge Mann mit italienischen Gesichtszügen überreichte dem Papst einen versiegelten Umschlag.
"Es ist vollbracht, Pater!",sagte Lotrani, verbeugte sich und verließ den Raum.
Der Papst zerriss das Siegel und faltete das Pergament auseinander.

"Fortes fortuna adiuvabat!
  Der Befehl ist ausgeführt, o Herr, der du sitzt auf dem Stuhle Petri und herrscht über die Christenheit!
  Das Rad der Fortuna wurde ins Rollen gebracht, bald schon wird die elende Verräter, die da wissen um unser Geheimnis gerichtet werden, ohne das ein Verdacht auf uns fällt!
  Ich habe bereits einen Brief an den Inquisitor Meyfart geschrieben! Nun brauchen wir nur noch das    Schicksal walten zu lassen, Herr!

                                                                                                   -Gottesstreiter"


Die grünen Augen des Papstes loderten vor Entsetzen über seine eigene Schandtat. Die Sonne war am Horizont verschwunden Nacht waltete über Rom, der Geruch von Flammen und Öl drang in das Gemach, da auf dem Petersplatz die Feuer entzündet wurden.
"Dum spiro, spero!", hauchte Nikolaus V, "Solange ich atme, hoffe ich! Herr, lass einen Funken Hoffnung aufspringen und mögen meine Taten gesühnt werden!"
Der Papst blickte hinauf zum sternenklaren Himmel, an dem es funkelte und blitzte.

 
                                                                            *

Trier, Deutschland
2 Wochen später...

Luises Gedankenwelt war eingesperrt in einer dunklen, engen und feuchten Kammer.
Die Tür der Kammer war zugeschlossen mit dem Schloss des Schmerzes und der Verzweiflung, unmöglich zu öffnen. Die Mauern der Kammer waren erbaut aus dem Gestein des Hasses und der Wut, die sich auf den Inquisitor und seine Bande bezog, die vor ihr an einem langen Tisch saßen und sie beobachteten.
Ihre Hände waren auf den Rücken gefesselt, das lederne Band schnitt ihr in die Handgelenke und ihre Finger waren taub und unbeweglich. Nackt stand sie vor den Lackeien der Kirche, deren Blicke ihr die Schamesröte ins Gesicht trieben.
Doch es waren nicht der Hass, die Verzweiflung und der dumpfe Schmerz, der von den eisernen Daumenschrauben und den Peitschenhieben der Folterknechte herrührte, die sie zur Verzweiflung brachten.
Der Schmerz war längst nur noch ein vages, taubes Gefühl und machte nur noch durch ein dumpfes, monotones Pochen in ihrem Kopf auf sich aufmerksam. Auch die Verzweiflung über ihre Situation und der Hass auf den Inquisitor waren nicht das Schlimmste in der Kammer, in der ihre Gedanken festgehalten wurde.
Es war die Angst, die sie beinahe in den Wahnsinn trieb. Es war die Angst um ihr Kind, das sie in ihrem Bauch trug, den Schatz des Lebens, wohl behütet in ihrem gewölbten Leib. Doch das Feuer des Scheiterhaufens würde auch nicht vor ihrem Schatz, ihrem Kind, dem einzigen, was ihr noch blieb, halt machen.
"Bekenne!", drang die Stimme des Inquisitors Meyfart durch ein winziges Fenster, hochoben in der Wand der dunklen Kammer aus Angst, Verzweiflung und Schmerz, in der Luises Gedanken gefangen waren, "Bekenne, dass du es warst, die das Kind von Wilfriede Hubner verzaubert und umgebracht hast!"
Luise wand sich in ihren Fesseln und blickte sich in der Folterkammer des Hexenturmes verzweifelt um, auf der Suche nach Augen, aus denen vielleicht Mitleid oder gar Freundlichkeit sprachen.
Als erstes besah sie den Inquisitor Johannes Meyfart, der, die Beine überkreuzt, an der Mitte des großen Tisches saß, der quer vor ihr stand. Der Inquisitor trug seine schwarze Kutte mit den weißen Ärmeln und der weißen Halskrause, durch die er wie eine Krähe wirkte, die sich auf alles stürzte, was wehrlos und totgeweiht war. Auf dem Schoß des Inquisitors hatte sich eine weiße, pelzige Katze eingerollt, die seelig schlummerte und immer wieder von den nervösen Händen Meyfarts gestreichelt wurde.
Luise sah in die eisblauen Augen des Inquisitors, senkte aber rasch wieder den Blick, da sie der Argwohn und der offenkundigen Abscheu in den Augen Meyfarts nicht lange standhielt.
"Bekenne deine Schandtat und deinen Bund mit dem Satan! Bekehre dich wieder zum rechten Glauben, dann ist dir eine schmerzlose Exekution durch das Schwert versprochen!"
"Nein!", entgegnete Luise entschlossen und wimmerte laut auf, als ein Folterknecht mit einer Gerte auf ihren Rücken einschlug.
"Lasst mich...., ich!...", ein Peitschenschlag war so stark, das Blut aus der Wunde spritzte und den Fußboden eindeckte, "Ich kenne diese Frau und ihr Kind, diese Hubner nicht einmal! Nein,....!"Die Daumenschrauben wurden enger gezogen und ein widerliches Knacken ertönte, als Luises Daumennägel entzwei brachen. Luise schrie und kreischte, Tränen kullerten über ihre rosigen Wangen, doch das Echo der Schreie verlor sich schnell in dem fensterlosen, dunklen Kellergewölbe unter dem Hexenturm von Trier. Luise sank auf dem Boden zusammen, Blut quoll aus den Daumenschrauben, ihr Körper war von Peitschenstriemen und Beulen übersäht, ihr Haar hing hr schweißverklebt ins Gesicht.
"Mein Kind!...",wimmerte Luise und deutete mit den Augen auf ihren gewölbten Bauch. "Ich bin bereit zu gestehen! Nur tut ihm nichts an! Lasst ihn mich gebären und,.....und,...bringt ihn in ein Waisenhaus!"
"Ausgeschlossen!",entgegnete Meyfart, ohne eine Miene zu verziehen, allerdings krallten sich seine Hände krampfhaft in das Fell von Maria Magdalena, seiner Katze.
"Es dürfen nicht noch mehr Ketzer in die Welt gesetzt werden! Es wird mit dir sterben, Hexe!"
"Nein ,Herr!"kreischte Luise und robbte, so gut es ihr ihre Fesseln ermöglichten, nackt und blutverschmiert auf Meyfart zu und buckelte dann vor ihm flehend den Rücken, richtete sich auf und blickte ihm verzweifelt in die Augen.
"Habt ihr denn kein Herz? Mein Kind! Es hat doch nichts getan! Ich habe nichts getan....!", die beiden grobschlächtigen Folterknechte packten sie von hinten an den Schulterblättern undd zogen sie zurück auf einen metallenen Stuhl in der Mitte des Raumes.
Meyfart schloss kurz die Augen, atmete tief durch, dann sah er auf.
"Ihr wollt behaupten, dass ihr nichts getan habt?",fauchte Meyfart sie an und sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Fratze. "Eure ehrbare Nachbarin, Lieselotte Schöngraf, die Frau des Schmiedes, hat euch dabei beobachtet, wie ihr, das Kind von Wilfriede Hubner unterm Arm, auf einem Besen davongeflogen seid!"
"Sie....sie lügt! Sie mag mich nur nicht, weil ich ihr einst übel nachgeredet habe! Deshalb hat sie mich angeklagt, die arrogante..., O wie konnte sie nur!", schluchzte Luise und blickte abermals mit tränengefüllten und vom Weinen rötlichen Augen in die Runde. Diesmal blieb ihr Blick an den lebhaften, grünen Augen eines beleibten Jungen mit kurzen, braunen Haaren hängen,der neben Meyfart saß, einen grünen Wams trug und mit einer Feder eifrig auf ein Pergament kritzelte.
Doch immer wieder sah Lukas von seiner Arbeit auf und blickte sie mit traurigen Augen an. Dann beobachtete Luise, wie er dem Inquisitor einen verächtenden Blick zu warf und ihm Etwas ins Ohr flüsterte.
"Die Folter macht die Hexe!", flüsterte Lukas in Meyfarts Ohr, "Soll diese unschuldige Frau wirklich ein Kind entführt und ermordet haben! Seht sie euch doch an! Sie ist hochschwanger!"
"Schweig!", zischte Meyfart und trat Lukas gegen das Schienbein, dann richtete er seine kalten Augen wieder auf Luise.
"Bist du geständig?", fragte er.
"Nein! Ich gestehe nur, wenn meinem Kind nichts widerfährt!", entgegnete Luise schluchzend und mit brüchiger Stimme, aber mit trotzig erhobenen Kinn.
Ein überlegenes Lächeln huschte über Meyfarts Gesicht, sanft strich er über Maria Magdalenas Fell.
"Nun, wenn das so ist, dann darf ich dir, Luise, wohl eben mal unser Arsenal an Foltergeräten vorstellen:
Wir haben zum einen die Kopfzwinge, deren Metallring mit Stacheln besetzt ist und dir den Kopf zerquetscht, dann könnten wir, falls du nicht geständig bist die Streckbank verwenden, vielleicht aber auch die Säge, bei der du kopfüber aufgehängt und der Länge nach entzwei gesägt wirst. Aber wir haben noch viel mehr, hör einfach nur mal diese klingenden Namen: Armbund, Brustreißer, Eiserne Jungfrau, Spanischer Bock und nicht zu vergessen die Nürnberger Teller!"
Die anderen Männer, die an dem langen Holztisch saßen, sahen Meyfart nach seiner Aufzählung furchterfüllt und entsetzt an, da er sie mit solch ruhiger und gelassener Stimme aufgesagt hatte, so als würde er nur über das Wetter plaudern.
Jakob I. von Sierk, der Bischof von Trier, der am Ende des Tisches saß, musterte Meyfart nervös. "Muss...muss das wirklich sein, Johannes? Mein Magen ist schon länger ein wenig angeschlagen!",sagte der Bischof vorsichtig.
"Keine Angst, heiliger Vater!", beschwichtigte ihn Lukas, "Der Hexenturm von Trier ist nicht im Besitz solcher Gerätschaften. Unser ehrenwerter inquisitor a Sede Apostolica specialiter deputates,", diese Worte spie Lukas verächtlich heraus, ",hat diese Aufzählung nur durchgeführt, um Luise Gerreber geistig zu verunsichern."
Jakob von Sierk nickte verstehend.
Neben dem Bischof saßen noch einige bischöfliche Kanzler und Kommissare an dem Tisch, sowie der feiste Eckart Schwabing, der weltliche Richter Triers.
"Nun gut!",sagte Meyfart und blickte wieder die schlanke Luise mit den roten Haaren und der blassen, von Sommersprossen und Eiterpickeln übersähten Haut an, die dort nackt und gefesselt vor ihm saß,"Da du nicht gestehen willst, sehe ich mich dazu...."
Luise schrie plötzlich auf, krümmte sich und sackte aus dem Stuhl auf den kahlen Steinboden.
Blut und Fruchtwasser drangen aus ihrem Schoß und besprenkelten ihre Schenkel, Luise zuckte und schrie laut, wobei sich ihr Unterleib aufbäumte.
"Sie...sie gebärt! Sie kriegt ein Kind!",rief Lukas nach einem kurzen Moment des hilflosen Taumelns, in dem die umstehenden Männer ohne Rat auf Luise geblickt hatten. "Ihr müsst etwas tun, Meyfart!", fuhr Lukas seinen Meister an, "Sie wird sterben, wenn ihr keine Hebamme holt!"
Immer mehr Blut strömte aus Luises Leib und verteilte sich in einer Lache um ihre Schenkel.
"Aber ich dulde keine Hebammen hier! Sie stehen auch im Pakt des Teufels! Vielleicht macht sie ja auch nur einen üblen Trick und spielt uns etwas vor, damit eine Hebamme, eine Gespielin Satans, ihr zr Flucht verhilft!", mutmaßte der Inquisitor.
Lukas fuhr aus seinem Stuhl hoch. Die ganze peinliche Befragung lang hatte er stillschweigend die Wut über die Ungerechtigkeit, die Luise erfuhr, in seinem Inneren versteckt, doch nun drängte dieser Zorn in Wogen durch seinen Leib.
"Sie....sie sind kein Mensch, Meyfart! Seht euch an, wozu dieser Wahnsinn führt! Seht es euch an? Hat Jesus so etwas gepredigt? Hat Gott so etwas gewollt? Wollte er, dass....?`"
Meyfart verpasste Lukas eine schallende Ohrfeige, wodurch er nach hinten taumelte und gegen einen bischöflichen Kommisär stieß.
"Aus meinem Augen! Verdammter Lump!", schrie Meyfart Lukas an, "Ich habe dich gelehrt und ernährt! Und das ist der Dank? Du verfällst den Lehren der Häresie? Du hinterfragst das Handeln der Kirche? Du lehnst dich gegen deinen Meister auf?"Der Inquisitor deutete auf die Tür.
"Raus!"
Lukas machte eine obszöne Geste in die Richtung Meyfarts und verschwand aus dem Kellergewölbe, das von den Schreien der gebärenden Luise erfüllt wurde.


                                                                        *

Meyfart massierte sich die Schläfen und überblickte mit unruhigen Augen das Geschehen, kurz nachdem Lukas den Raum verlassen hatte. "Holt den Medicus! Holt den Medicus!", rief der Bischof, "Holt die Hebamme! Holt die Hebamme!", rief ein Sekretär.
Wie kann mir so etwas nur geschehen?, fragte sich Meyfart, schloss die Augen für einen Moment,

"Ich darf keine Fehler machen, ich darf keine Fehler machen! Ich darf ihn nicht enttäuschen....'Du darfst keine Fehler machen, du darfst keine Fehler machen!' ...Ein Peitschenschlag... Der kleine Meyfart zuckte zusammen,schrie , sein Hintern war gerötet.'Enttäusche mich nicht! Ich bin dein Vater! Ich habe dich geboren und dich ernährt! Ich will sehen, dass das alles auch was gebracht hat!'....Ein weiterer Peitschenschlag, noch härter. Ein weiter Schrei, noch lauter.'Du darfst keine Fehler machen, Johannes! Sei perfekt wie dein Vater! Du darfst keine Fehler machen....Ich darf keine Fehler machen, ich darf keine Fehler machen..."

Meyfart öffnete die Augen und blinzelte kurz verwirrt. Doch nach wenigen Momenten hatte er sich gefasst, stand auf und erhob die Stimme.
"Ruhe! Ich lasse eine Hebamme kommen!", rief er gegen das Geschrei der Luise, den Disput des Bischofs mit seinen Kommisär und die Rufe seines Vaters, die durch seine Gedanken rauschten, an.
Meyfart deutete mit dem Finger auf einen geharnischten Wächter, der neben der Tür zur Folterkammer stand, ein hagerer Rotschopf mit dunkelunterlaufenen Augen.
"Kennst du eine Hebamme in der Nähe?", fragte Meyfart ihn.
"Ja, klar, mein Herr! Die Frau meines Schwagers ist Hebamme!"
"Gibt es Anzeichen, dass sie mit dem Teufel im Bunde stehen könnte?"
"Weiß Gott! Auf gar keinen Fall! Sie ist eine reine Christenfrau, so gläubig wie die heilige Jungfrau selbst!"
"Das will ich für dich hoffen!", entgegnete Meyfart drohend, "Wenn es auch nur einen einzigen Zwischenfall gibt, dann verknote ich dir deinen Pimmel so, das er dem gordischen Knoten alle Ehre macht!", Meyfart machte eine kurze Handbewegung, "Und jetzt hol eine Hebamme! Spurte dich! Und ihr Anderen! Alle raus hier! Geburten sind nichts, bei dem Männer beiwohnen dürfen."So eilte der Wachmann aus der Folterkammer, gefolgt vom Bischof, seinen Kommisären und Kanzlern, sowie Meyfart. Nur Luise blieb in der Kammer, in ihrem eigenen Blut liegend, durch die Wehen schreiend und zuckend.
"Ich darf keine Fehler machen!", raste es durch Meyfarts Kopf, "Ich darf keine Fehler machen!"
Der Hexenturm von Trier war vor vielen Jahren von Bischof Jakob von Sierk erbaut worden lassen, der seit seiner Kindheit eine Heidenangst vor Hexen hatte, da seine Mutter ihm immer eingeredet hatte, die Hexe würde kommen, falls er nicht sein Mahl verspeißen würde.
Der Turm war an die Stadtmauer Triers gebaut worden, deshalb war im obersten der vier Stockwerke eine kleine Wachstube, in der die Stadtwächter nachts ruhten. Darunter, in der dritten Etage, lagen mehrere Zellen und die Büros der Sekretäre von Meyfart. Im zweiten Stockwerk befand sich das Arsenal an Foltergeräten, säuberlich in einer Kammer weggesperrt, daruter lag das Büro von Meyfart und ein großer, gemütlicher Versammlungsraum, in dem sich in diesem Moment der Bischof, seine Kanzler und Meyfart einfanden.
Das Feuer prasselte warm im Kamin, auf einem großen, wuchtigen Tisch, der fast den ganzen Raum einnahm standen dampfende Krüge Weinbrand, verfeinert mit Nelken und Honigblüten, sowie ein Laib Brot und gebratener Speck.
Meyfart ließ Maria Magdalena von seinem Arm und die Katze kuschelte sich miauend vor dem warmen Kamin ein, während der Inquisitor die Tür der Kammer schloss.
"Die Bemerkung über das Geschlechtsorgan und den gordischen Knoten will ich aber nicht gehört haben!", sagte der Bischof tadelnd, allerdings mit erhobenen Mundwinkeln, als er sich etwas Brot abbrach und Weinbrand einschenkte.
"Entschuldigt, Herr!", sagte Meyfart kleinlaut und mit gesengten Blick, was wieder einmal den Respekt und die Furcht zeigte, die er vor Jakob von Sierk hatte.
"Lass uns über Lukas von Hohenfels reden, Johannes! Er ist ein tüchtiger Bursche, oder?", der Bischof biss herzhaft in das Brot und spülte mit Weinbrand nach.
"Ja, das ist er! Und ich kann ihm nicht mehr viel beibringen. Doch leider widerruft er immer wieder die Hexenlehren! Er weigert sich sogar anzuerkennen, dass es überhaupt Hexen gibt!"
Als der Bischof diese Worte vernahm, verschluckte er sich und musste mehrmals laut husten und röcheln, bis ihm ein Kommissär auf den Rücken schlug und ihn erlöste.
"Danke...!",sagte der Bischof heiser, erhob dann aber direkt die Stimme, "Natürlich gibt es Hexen! Sie sind überall! Die Buhlinnen Satans kriechen durch die Schatten! Wir müssen sie alle töten!", entrüstete sich Jakob von Sierk und nippte an seinem Pokal.
"Was sollen wir nun mit ihm machen? Novize im Kloster?""Ja, ich glaube das wäre der richtige Weg!", antwortete Meyfart nickend.
Die Tür öffnete sich und ein Wächter trat ein, einen Brief in Händen haltend. "Für Johannes Meyfart! Eine vermummte Gestalt hat ihn gerade abgegeben und ist sofort wieder verschwunden!", erklärte sich der Wachmann und überreichte Meyfart den Umschlag aus teurem Pergament.
Der Inquisitor runzelte die Stirn, betrachtete das Siegel und seine Augen weiteten sich.
"Das ist das Siegel des Papstes! Der Brief ist vom heiligen Vater oder einem seiner engsten Vertrauten!"
Der Bischof spitzte gespannt die Ohren. "Mach schon auf! Mach schon auf!", rief er fast wie ein kleines Kind.
Meyfart riss den Umschlafg auf und faltete den Brief auseinander.
Die Augen des Inquistors huschten über die Zeilen und ein breites Lächeln huschte über seine faltigen Züge, als er aufsah und den Bischof mit freudig glänzenden Augen ansah.
"Was steht drin?", fragte dieser.
"Roma locuta, causa finita!", entgegnete Meyfart, "In Willisau in der Schweiz geschehen mysteriöse Ereignisse, bei denen nur der Satan und seine Gespielinnen mitgewirkt haben müssen, so grausam und unerklärlich sind sie. In einer Höhle wurde ein Liebespaar gefunden, der Sohn des Fürsten von Willisau und ein Milchmädchen, beide tot, ohne ein Anzeichen von Gewalt! Das Zeichen des Teufels, der Kopf des Ziegenbockes wurde an die Wand gemalt.
 Des weiteren wurde ein Schmied in der Nähe der Höhle gefunden, von Wölfen zerfleischt, die Leute vermuten einen lykathrophen, einen Werwolf. Vielleicht alles nur ein Zufall, doch auf jeden Fall ist es äußerst beängstigend.
Auf persönlichen Geheiß des Papstes sollen ich und mein Gehilfe dorthin reisen und die Rätsel aufklären und den Schuldigen finden. Das ist unglaublich..."Meyfart lachte laut, seine Augen leuchteten.
Der Bischof hingegen legte dei Stirn in Falten und seine Augen schimmerten nachdenklich.
"Wer hat den Brief geschrieben?",fragte er.
"Hier steht nur 'Gottesstreiter'", antwortete Meyfart, "Wieso fragt ihr? Ist etwas nicht rechtens? Das ist das Siegel des Papstes! Wenn ich diesen Auftrag ausführe, ist mir ein Platz in Rom sicher!" Meyfart wurde träumerisch.
"Natürlich ist es rechtens!", sagte Jaob von Sierk nachdenklich, "Es ist nur merkwürdig, dass sich der Papst mit so einer Nichtigkeit beschäftigt. Es passt zu vielen, dass in der letzten Zeit passiert...."
"Was meint ihr damit?"
Das grobkantige Gesicht des Bischofs wurde vom flackernden Feuern in diffuse Schatten getaucht.
"Dunkle Geschichten, mein Lieber, dunkle Geschichten....Voll von Dunkelheit und Arglist, deren Wurzeln tief zurückdringen in die Erde der Zeit. Dunkle Geschichten, die ich nicht wage, ausszusprechen...."Der Bischof sah auf, blickte Meyfart an."Geh nach Willisau, mein alter Freund, doch hüte dich vor der schwarzen Frau und erinnere dich an diese Worte: Medio tutissimus ibis!


                                                                          *

"Diese verdammten Scheißviecher von Luftratten! Geht dahin, wo ihr her kommt! Und hört auf, auf meinen Turm zu kacken, beim heiligen Laurentius! Verdammte Scheiße!", brüllte Dario in den Himmel hinauf, was bei seinem italienischen Akzent zu komisch klang und sah den Tauben nach, die gurrend davonflogen.
Dario blickte den Falken auf seinem Arm an. "Komm schon, Nicodemus! Hol dir die Drecksviecher!", rief der Italiener und entließ Nicodemus in die Lüfte, wo der Vogel kreischend den Tauben nachjagte.
Lukas blickte über die Zinnen der Spitze des Hexenturmes und erkannte die Hebamme, die schnellen Schrittes in den Turm eilte.
"Sie ist da!", verkündete er, "Hoffentlich kann sie helfen!"
Dario wandte sich zu ihm um. Der junge Mann war schlank, hochgewachsen und hatte geschwungene Augenbrauen und rabenschwarze Haare, sowie dunkle Augen und Lachfältchen um Mund und Augen, die ihn sympathisch wirken ließen.
Dario stammte aus Italien, aus einem Dorf in der Po-Ebene. Doch in den italienischen Aufständen war er vertrieben worden und hatte in Trier Zuflucht gesucht, wo er sich nun als Turmwächter verdingte. Trotz des gering bezahlten Berufes konnte Dario sich ohne zu lügen als wohlhabend bezeichnen, wodurch er sich auch Nicodemus, seinen Falken leisten konnte, denn er hatte schon so viele Frauen gehabt, das er sie nicht mit seinen Händen aufzählen konnte und einige seiner Geliebten waren reich gewesen und hatten eine beträchtliche Mitgift in die Ehe gebracht.
"Dieser Meyfart sollte mal ordentlich durchgeprügelt werden! Man sollte seinen Schwanz hier an den Turm nageln und den Inquisitor ein wenig herunterbaumeln lassen!", rief Dario und sah kopfschüttelnd der Hebamme nach, die unten im Turm verschwand, wobei er einen hochinteressierten Blick auf ihr rundliches Hinterteil warf.
"Dario...!", zischte Lukas und knuffte ihm in die Seite, "Du hast doch deine letzte Liebschaft erst gestern verlassen!"
"Ach, Lukas! Du kennst doch meine Philosophie: Die Liebe ist wie,...", Lukas unterbrach ihn und setzte den Satz fort, da er die Philosophie tatsächlich schon auswendig kannte, so oft hatte Dario sie wiederholt.
"Die Liebe ist wie das Leben! Jeder Tag ist ein anderer und so sollte es auch an jedem Tag eine andere Frau sein!", Lukas äffte dabei hervorragend Darios Akzent nach.
Er und Dario hatten sich kennengelernt, als Dario hier um eine Arbeit als Turmwächter gebeten hatte. Damals konnte er noch kein Wort Deutsch, musste gestikulieren und auf Latein reden, das er in Florenz studiert hatte. Das Deutsche hatte ihm Lukas beigebracht, während Dario es immer noch vergebens versuchte, ihm im Gegenzug in der Kunst der Liebe zu unterweißen.
Auch wenn Dario dazu neigte, oft gotteslästerlich zu fluchen, so war er doch intelligent und gebildet. Lukas hatte ihn oft gefragt, ob er nicht auf der Scholae als docus arbeiten wolle oder das Amt eines Kanzlers einnahm. Doch Dario hatte immer erwidert, was ihm das denn bringe. Er war zufrieden, schließlich brauchte er nur den ganzen Tag auf dem Turm zu sitzen und mit Nicodemus Falken zu jagen und wurde durch seine Liebschaften trotzdem wohlhabend.
"Was soll mir das Leben noch bringen?", pflegte Dario stets zu sagen.
Lukas blickte über die Dächer der Stadt hinweg. Vom Hexenturm aus hatte man einen wunderbaren Blick über Trier, das nun voller Leben war. Nicodemus, der Falke kreischte und kam, einen Taubenkörper im Schnabel, zurückgeflogen.
Der Vogel nahm auf Darios Arm Platz und ließ sich genüßlich streicheln. "Brav, Nicodemus! Ein Scheißer weniger!", lobte ihn Dario.
Lukas stützte sich mit dem Arm auf einer Zinne ab und legte sein Kinn auf die Handfläche, den Blick auf den Horizont gerichtet. Wie gerne würde er auskehren in die Welt dort draußen und all sein Wissen gebrauchen, das er sich in den vielen Jahren des Studierens angeeignet hatte.
Dario verreiste oft, erst gestern war er von einer langen Reise aus den Alpen wiedergekehrt. Deshalb mochte Lukas es auch sehr, wenn Dario von seinen Reisen berichtete. Vor allem wenn Dario über Italien schwärmte, das Darios Berichten zufolge ein Paradies aus vollbusigen, rassigen  Frauen, fließenden Honig und himmlischer Auen und Wälder war.
"Wie steht es mit der Liebe?", fragte Dario.
"Wie soll's schon stehen! Nichts! Rein gar nichts! Ich bin zu fett und viel zu sehr in meine Studien vertieft, als dass ich mich um sowas kümmern müsste.""Ach, ach! Lukas du selbstbemitleidendes Häufchen Elend! Du magst vielleicht nicht den Charme und die maskuline Schönheit eines Dario haben, ", sagte er, während er sich durch das lockige, schwarze Haar fuhr, "dafür hast du aber Schneid, Bürschen! Und das ist eine Gabe, die heutzutage nur noch selten zu finden ist! Ritter und Fürsten verstecken sich in den Schlachten lieber hinter ihren Truppen und ich glaube, dass es  neben dem Bischof kaum jemanden gibt, der sich traut, Meyfart so seine Meinung zu sagen.""Hört, hört!", sagte Lukas, nicht gerade ermutigt.
Dario legte ihm eine Hand auf die Schulter. "L?avevo previsto! Du alter Griesgram!"
Der Italiener spürte plötzlich, wie Lukas von kurzen Erschütterungen durchzuckt wurde. "Was ist los? Lukas?" Dario packte Lukas, drehte ihn herum und blickte ihm ins Gesicht, das von Tränen überströmt war.
Lukas fühlte sich plötzlich eingefangen in einem dunklen Käfig. Es gab niemanden, der ihn liebte. Es gab niemanden, für den er wichtig war....Doch dies waren nur kurze Gedankenströme, dann sah er wieder das Gesicht von Luise vor sich, ihren geschundenen Körper, ihre Augen, ihre tränenerfüllten Augen.
Dario fuhr ihm durchs Haar, legte ihm den Arm um die Schulter. "Beruhig dich, Junge! Beruhig dich!"sprach er ihm zu. "Hast du heute nachmittag schon was vor?"fragte Dario. "Nein!", entgegnete Lukas und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
"Dann lass uns zum Sühnekreuz gehen und dort ein paar Hasen jagen, das macht doch Spaß? Dann habe ich noch eine Überraschung für dich!""Gut....Ich komme mit!", schniefte Lukas, dervon Dario aus seinem Käfig befreit wurde.
"Dann lass uns gehen!", sagte Dario und breitete die  Hände aus, so als wolle er das ganze, morgendliche Trier, ja sogar die ganze Welt umarmen gerade, "Der Tag ist noch jung!"


                                                                   *

Nördlich von Trier,
1447

Tausende von Eiskristallen hatten sich zu Schneeflocken komprimiert, die kleinen Kunstwerken gleich gen Boden sanken und sich sanft über die Hügel und Wälder nördlich von Trier legten, die dadurch so aussahen, als hätte jemand einen riesigen Eimer voll teurem Salz verschüttet, das sich nun über die Landschaft gelegt hatte.
Der kleine Bach, der neben der Straße entlangführte war nur noch ein kleines, flüsterndes Rinnsal zwischen eingefrorenen, schweigenden Wassermassen. Diego, der eine Armbrust geschultert hatte und Nicodemus auf seinem rechten Arm hielt, fröstelte vor Kälte und zog seinen grauen Umhang enger.
Der Falke auf seinem Arm schüttelte sich Schneeflocken vom Gefieder und wetzte seinem Schnabel an Diegos Lederhandschuh.
Lukas, der Diego folgte, rieb seine Hände einander und betrachtete stillschweigend das naturgegebene Schauspiel. Die Mittagssonne war schon fast am hügeligen Horizont verschwunden, wie eine Kerze, deren Leuchtkraft immer mehr schwand.
Auf einem der Hügel am Horizont konnte Lukas die Silhouette einer Burg erkennen, schwarz im Licht der sinkenden Sonne. Dies war Burg Hohenfels, die Residenz seines Vaters Kurt. Dort lebte Lukas Familie, sein Bruder, sein Vater, seine Schwester.
Er konnte sich kaum daran erinnern, wann er sie das letzte Mal gesehen hatte, meinte aber, es wäre das vergangene Osterfest gewesen. Er mochte seinen Vater und seinen Bruder nicht, die beide stolze Ritter mit athletischen Körpern waren, stets umjubelt von den Frauen und ihn ständig wegen seiner Faulheit und seiner Fettleibigkeit hänselten.
Lukas war sogar froh gewesen, als er der Schüler von Meyfart werden und die Burg hinter sich lassen durfte, auch wenn die Gesellschaft Meyfarts der seines Bruder und Vaters nicht sehr vorzuziehen war.
Der von Birken und Tannen gesäumte Weg machte eine Biegung und verlief nicht mehr parallel zu dem kleinen Bach, der einige Meilen entfernt in den Rhein floss.
"In Italien haben wir nicht solche arschkalten Winter!", murrte Dario und klapperte mit den Zähnen, "Da friert man sich nicht den Schwanz ab wie hier!"
"Deshalb habt ihr dort wohl auch alle so hitzige Gemüter wie du!", lachte Lukas, als sie dem Weg folgend aus dem Wald traten und sich auf einer weitläufigen Ebene wiederfanden die im Schatten der Burg Hohenfels lag und die von dem Pfad mittig durchteilt wurde.
Mitten auf der Ebene war ein Kreuz aus grobgehauenen Steinen. "Das Sühnekreuz!", verkündete Lukas ehrfurchtsvoll.
"Was ist ein Sühnekreuz?", fragte Dario.
"An dem Ort eines Verbrechens wird von der Familie des Opfers ein Sühnekreuz aufgestellt, durch das die Seele des Täters auf ewig in der Hölle brennen wird!", erklärte Lukas und hockte sich auf das Kreuz.
"Bei uns machen wir das viel einfacherer mit einer Blutsfehde! Bis nur noch eine Familie übrig ist!",verkündete Dario und legte die Armbrust ab.
"Wer wurde hier denn umgebracht?", fragte er Lukas und setzte seinem Falken eine kleine Haube ab, die dem Tier den Blick genommen hatte.
"Mein Onkel, Klaus von Hohenfels!", sagte Lukas mit tonloser Stimme."Er war ein Naturwissenschaftler, ein Forscher. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Er verkündete meinem Vater, das er einen Durchbruch in seinen Forschungen gemacht habe, die er unverzüglich testen müsse. Deshalb ist er des Nachtens noch hierher gelaufen...""Und?", fragte Dario.
"Am nächsten Tag wurde er von meinem Bruder Daniel gefunden. Er war tot, man hatte ihm den Schädel eingeschlagen.""Was waren seine Forschungen?"Daniel streifte sich eine Kette, an der ein goldenes, großes Kreuz befestigt war vom Hals und nestelte an dem Kreuz herum, bis es klickte und sich das Schmuckstück der Länge nach öffnete.
"Mein Onkel Klaus wollte, dass ich seine Forschungen weiterbetreibe!"
Lukas zeigte Dario den Inhalt des Kreuzes. Schwarzes, feines Pulver.
"Schießpulver!", verkündete Lukas stolz, "Ich allein habe die Formel dafür!"
"Wer war der Mörder deines Onkels?"
"Meyfart sollte den Fall aufklären, mit Unterstützung der Stadtwache. Doch der Mörder wurde nie gefasst. Man fand nur einen einzigen Hinweis..."
"Welchen?"
Lukas deutete auf eine Linde am Rande der Lichtung. "Dort war der rote Widderkopf aufgemalt- Das Zeichen des Teufels!"
Dario erstarrte, seine dunklen Augen weiteten sich erschrocken und er wurde noch bleicher, was nicht an der winterlichen Kälte lag.
"Was ist los?", fragte Lukas.
Dario schüttelte sich kurz, erwachte aus seiner Erstarrung und blickte Lukas an.
"Dunkle Geschichten, mein Freund, dunkle Geschichten von schwarzen Frauen und verschlungenen Pfaden! Nichts, was ich dir erzählen sollte."
 "Das verstehe ich nicht, Dario!"
Die Miene des Italieners war düster. "Ist auch nicht so wichtig!"
Er nahm die Armbrust, versuchte unbeschwert zu lächeln und entließ Nicodemus in die Lüfte.
"Wollen doch mal sehen, ob ein paar Hasen....", Dario verstummte, da er plötzlich Hufschlag und Wiehren vernahm.
"Was zum neunmalgeschwänzten und dreimalgefickten Teufel sind denn das für Idioten?"; fragte sich Dario, als sie drei Reiter erblickten, die aus der Richtung der Burg kamen und über die Ebene auf sie zugalloppierten. Dario spannte vorsichtshalber seine Armbrust, Lukas spähte den Reitern entgegen.
"Das ist mein Bruder! Daniel von Hohenfels!", sagte er angewidert.
"Wenn er sich nicht benimmt, schieß ich ihm einen Bolzen in die Fresse!" Dario legte die Armbrust an, als ihn plötzlich jemand von hinten packte.
Er und Daniel fuhren herum, gleichermaßen erschrocken und überrascht.
"Adil!", entfuhr es Lukas verwirrt.
Der Sultanssohn war aus einer kleinen Erdkuhle geklettert, die Dario und Lukas übersehen haben mussten. Adil kniete hinter dem Sühnekreuz, außer Sichtweite der drei Reiter.
Seine Augen wirkten gehetzt, seine teuren Kleider waren verschmutzt, eine Platzwunde zog sich wie ein roter, zittriger Pinselstrich über Adils Schläfe.
"Lu....Lukas!", stammelte er, seine Worte überschlugen sich, "Du musst mir helfen! Ich rette dein Leben, nun wird es Zeit, das du mir meines rettest!" Angstvoll klammerte er sich an Darios Beinen fest, während die Reiter nur noch wenige Fuß weit von ihnen entfernt waren.
"Was wollen sie von dir?", fragte Lukas.
"Versteck mich! Es ist keine Zeit für lange Erklärungen!", Adil presste sich an den Stein des Kreuzes, versteckt vor den Reitern, seine Brust hob und senkte sich im Sekundentakt, seine Finger zitterten und Atemwolken wurden von ihm stoßweiße ausgeatmet.
Die drei Reiter hielten vor dem Sühnekreuz.
"Lukas, mein gebildetes Brüderchen!", begrüßte sie ein schlanker Junge im selben Alter von Lukas süffisant und hob einen handschuhbewehrten Arm zum Gruße.
Die grünen Augen Daniels hatten verblüffende Ähnlichkeit mit denen von Lukas, allerdings lag in ihnen eine funkelnde, bereitwillige Boshaftigkeit.
"Was treibt dich aus deinem Scriptorium hierher, Brüderchen?", fragte Daniel und musterte Dario und Lukas.
"Was treibt dich hierher, so schnellen Galloppes..., Brüderchen?", folgte prompt Lukas Gegenfrage.
Daniel zuckte mit den Augenbrauen in Richtung Lukas, eine drohende Geste.
"Ach...Ich kann mir die Antwort auf meine Frage schon denken, Brüderchen!", Daniels Augen richteten sich auf Dario, "Wahrscheinlich hast du deine Vorliebe zu Männern entdeckt und wolltest sie hier ausleben. Das soll bei den Gelehrten heutzutage oft vorkommen!", er grinste boshaft.
Dario richtete seine Armbrust auf Daniel. "Noch ein Wort und du darfst dich von deiner hässlichen Fresse verabschieden, du aufgeblasener Hänfling!"
Daniels Begleiter, ein alter Ritter mit kantigen Zügen und Stoppelbart, und ein junger, gedrungener Knappe mit buschigen Augenbrauen und Spitzbart zückten ihre Waffen, ein Breitschwert und einen Bogen.
"Bitte, bitte!", Daniel hob beschwichtigend seine Arme, "Wollen wir hier am Sühnekreuz noch eine zweite Bluttat begehen? Ist hier nicht schon das Blut unseres Onkels geflossen, Lukas?"
Daniels Stimme hatte einen eigenartigen Unterton, durch den man ständig glaubte, er würde lügen oder sich über seine Gesprächspartner lustig machen.
Dario senkte langsam seine Waffe, Daniels Begleiter schoben ihre Waffen langsam wieder in die Scheiden. "Geht doch!", meinte Daniel lächelnd.
"Habt ihr zufällig einen Mauren gesehen? Einen Heiden, einen dreckigen Hund, der auf der flucht ist?"
Lukas blickte kurz hinab zu Adil, der sich noch enger hinter das Sühnekreuz kauerte. Daniel bräuchte nur einige Fuß voranzutraben und er könnte ihn sehen.
"Was hat er getan?", fragte Lukas.
"Er wollte...Kriegsbeute unseres Vaters stehlen! Nur leider haben ihn die Wachen erwischt und er müsste fliehen. Aber ich schwöre, wir kriegen den räudigen Bastard!"Lukas spürte, wie sich Adils Griff vor Wut verkrampfte und eine seiner Hände zum Krummschwert glitt, das er an einem Gurt um die Hüften baumeln hatte. "Ich töte ihn...!", hauchte Adil, seine Finger legten sich um die Waffe, doch Lukas schüttelte kurz, fast unmerklich den Kopf, sodass Adil ein Einsehen hatte, die Finger von der Waffe nahm und sein lebensmüdes Vorhaben einstellte.
"Wir haben niemanden gesehen!", gab Dario kurzangebunden preis.
"Wirklich...?", meinte Daniel mit undeutsamen Tonfall, die Augen auf Dario gerichtet. Doch plötzlich wanderte sein Blick von Dario über das schneebedeckte Sühnekreuz, vorbei an Lukas, der auf dem Kreuz saß und zu einem blutigen Rinnsal, das hinter dem Sühnekreuz hervorlief, dann huschte ein triumphierendes Lächeln über seine blutleeren Lippen.
Lukas blickte zu Adil hinab, dessen Platzwunde diese feine Linie im Schnee gebildet hatte, die Daniel nun entdeckt haben musste.
Langsam trabte dieser am Sühnekreuz entlang, jeden Moment würde er Adil erblicken und dann wusste Lukas nicht, was passieren würde. Er und Dario warfen sich einen kurzen Blick zu, in dem Dario ihm durch ein Zucken seiner Augen erklärte, in den Himmel zu sehen.
Lukas blickte in den blauen, von blass-gräulichen Wolken bedeckten Himmel und erkannte dort oben einen fernen Punkt, der immer näher auf sie zuraste.
Gerade als Daniel das Sühnekreuz umrundet hatte und Adil erblickte, gerade einen Schrei rufen wollend, um seine Gefährten über seine Entdeckung zu informieren, die gerade ihre Waffen zum wiederholten Male zückten, nahm Dario beide Finger in den Mund und pfiff eine helltönende, kurze Melodie, die von dem lauten, schrillen Schrei eines Falken beantwortet wurde.
Nicodemus stürzte vom Himmel hinab, einem gefiederten Meteor gleich und stürzte sich von hinten auf Daniel, zerkratzte ihm mit seinen Krallen die Schultern und pickte auf seinen Hinterkopf ein, bis Blut spritzte. Daniel fiel, wild nach dem Tier schlagend, aus dem Sattel.
Der junge Knappe galloppierte, sein Schwert schwingend auf Dario zu. Dieser richtete seine Armbrust auf den Knappen, drückte ab und der Bolzen der Waffe bohrte sich in die Schulter des Knappen, der im hohen Bogen rücklings aus dem Sattel flog und ächzend im frischen Schnee liegen blieb. "Schnell! Auf die Pferde!", rief Dario Adil und Lukas zu, einen Blick auf den alten Ritter gerichtet, der gerade seinen Bogen spannte.
Dario ließ Nicodemus auf seinem Arm Platz nehmen und schwang sich dann in das Pferd des sich vor Schmerzen am Boden wälzenden Daniel, nicht jedoch bevor er diesem noch einmal kräftig in die Seite getreten hatte.
Lukas und Adil setzten sich auf den kräftigen, braunen Wallach des von dem Armbrustbolzen verwundeten Knappen. Der alte Ritter richtete seinen Bogen auf sie, doch bevor er schießen konnte hatte Adil, der das Pferd äußerst geschickt lenkte, dem Ross bereits die Sporen gegeben und sie galloppierten davon, Dario folgend, während der Pfeil des Ritters an ihnen vorbeizischte und wenige Fußbreit später im Schnee liegen blieb.
Lukas klammerte sich an Adils Hüften fest, denn Reiten war so ziemlich das, was er am schlechtesten konnte. Dario galloppierte den Weg entlang, den sie gekommen waren, hindurch durch die dämmrigen Schatten des Waldes, neben dem gurgelnden Bächlein entlang.
Der Ritter folgte ihnen, das Schnaufen seines schwarzen Schlachtrosses übertönte das leise Musikstück des Waldes. Ein weiterer Pfeil flog durch den abendlichen Wald, fand wieder nicht sein Ziel und bohrte sich in eine schmale Tanne.
Lukas betete so inbrünstig und gottesehrfürchtig wie noch nie zuvor in seinem kurzen Leben, dass er sich eigentlich ein wenig länger gewünscht hatte. Sollte dies alles wegen einer Verkettung unglücklicher Zufälle enden, durch die sie auf diesen Adil getroffen waren, bei dem er ihn der Schuld stand?
Das Surren eines Pfeiles ertönte, gefolgt vom lauten Wiehren ihres Pferdes, das sich aufbäumte und mitleidserregend schnaubend zur Seite kippte.
Lukas wurde aus dem Sattel geschleudert und schlug unsanft mit dem Rumpf auf die Scheedecke. Ein pochender Schmerz durchzuckte seinen Körper, seine Rippen schmerzten, ein dumpfer Schleier legte sich um seine Wahrnehmung.
Er hörte nur das Rauschen des Bächleins neben sich, das für ihn wie ein reißender Fluß klang. Neben sich hörte er humpelnde Schritte. Durch seinen blutroten Schleier nahm Lukas wahr, wie Adil, der sich gerade von dem Körper des braunen Wallachs befreit hatte, dem ein Pfeilschaft aus dem Hintern ragte, stolpernd, mit gezückten Krummsäbeln an ihm vorbeilief, auf den alten Ritter zu, der aus dem Sattel seines Pferdes gestiegen war, seinen Bogen achtlos weggeworfen hatte und sein Schwert in Händen hielt.
Die Luft roch förmlich nach einem Kampf. Lukas fühlte sich wie in einem Alptraum, er konnte sich kaum Bewegen, selbst das Atmen fiel ihm schwer, so als wäre sein Brustkorb eingequetscht. So blieb ihm nichts anderes, als dem archaischen Schauspiel beizuwohnen, das sich vor ihm abspielte und sich vor immer in seine Gedanken brennen sollte.
Adil humpelte wütend auf den Ritter zu, erhob seine Waffe und ließ sie mit einer flüssigen Bewegung auf den Mann niederfahren. "Für Ägypten!", rief er wütend, wobei seine Stimme beinahe im Klirren der Waffen unterging, da der Alte seine Attacke pariert hatte.
Dario riss sein Pferd herum und ritt zurück zu den beiden Kämpfenden, deren Kampf einem tödlichen Tanz der Klingen ähnelte, der von Funken, Glühwürmchen gleich, umspielt wurde.
Klinge raste auf Klinge, ohrenbetäubendes Klirren folgte. Adil machte eine Drehung, eine Finte, einen Schlag. Der Ritter wich aus, mit einer Geschmeidigkeit, die für sein Alter verblüffend war und rammte Adil im selben Moment seine Klinge in die Seite, die er dem Mauren bis zum Heft in den Körper stieß.
"Nein!", schrie Lukas und stand, trotz der unglaublichen Schmerzen auf.
Der alte Ritter zog sein Schwert mit einem widerlichen, schmatzenden Geräusch aus Adils Körper und wandte sich Lukas zu. Seine Hand und sein Kettenhemd waren von Adils Blut überströmt, der auf dem Pfad niedersank, auf die Lache seines eigenen Blutes gebettet.
Der Ritter erhob seine Waffe und wollte sie auf den hilflosen Lukas niederfahren lassen, da durchbohrte ein Armbrustbolzen seinen Hals, er röchelte, gurgelte und spuckte Blut und fiel schließlich vornüber.
Dario steckte seine Armbrust weg, mit der das tödliche Geschoss abgefeuert wurde, zügelte sein Pferd und stieg aus dem Sattel.
Lukas ließ sich neben Adil auf den Weg sinken.
"Adil...!", flüsterte er.
Ein feines Blutrinnsal lief Adils Mundwinkel hinab, seine Augen waren glasig, sein Atem ging stoßweiße. "So fern von Wärme, so fern von der Hitze meiner Heimat, so fern von Mama! Mama..., ich will nicht sterben!", Trännen rannen über Adils Gesicht.
"Du, du stirbst nicht!", versuchte Lukas zu sagen, doch ein Kloß steckte ihm im Hals.
Adil kramte mit einer Hand zitternd in der Tasche seines Gewandes und holte ein kleines Stück Holz hervor. "Dies, dies ist der Schatz, den ich wiederholen wollte! Dein Vater hat ihn mir genommen! Doch es ist nur ein kleines Stück, der Rest ist noch immer in der Burg, Lukas! Wegen diesem Schatz bin ich hierher gekommen! Er ist wichtiger als mein Leben, ja selbst wichtiger als das Leben von zehn tüchtigen Männern! Er ist der letzte Teil des...!", er hustete und röchelte und drückte Lukas das Holzstück in die Hand.
"Dies ist der größte Schatz der Menschheit! Bring es meinem Vater, irgendwann....Nur bring es ihm, auch wenn du es als alter Greis tun musst! Eine dunkle Verschwörung ist im Gange...Schatten eilen durch die Länder, der Schatten der Kirche!...Medio tutissimus ibis!..."
Adil verstummte, sein Blick wurde fern, entrückt. Er hörte auf zu atmen, das Leben war aus ihm gewichen, viel zulaube niemanden! Und denke immer daran:
Hüte dich vor der schwarzen Frau und erinnere dich daran:  früh.
"Wahrscheinlich hat er nur gefiebert!", meinte Dario.
Lukas hörte ihn nicht mehr. Er wollte nur noch schlafen. Der Schmerz in seinem Körper, der von den plötzlichen Gefühlen verdrängt worden war, meldete sich mit erdrückender Härte zurück und ließ ihn nach hinten überkippen. Lukas Welt versank im dunklen Nichts der Ohnmacht.
Dario wartete, bis Lukas Glieder vor Ohnmacht erschlafften, dann nahm er sich schnell das Holzstück aus seiner Hand und ließ es in seiner Tasche verschwinden.
Es raschelte in den Büschen und Blättern des Forstes, Dario blickte auf und sah eine alte, uralte Frau, die aus den Wäldern trat, auf einen knorrigen Stock gestützt.
"Fürchte dich nicht, der du kommst von der Sonne des Südens! Ich bin Lydia, eine Freundin! Der Junge da ist schwer verletzt! Lass ihn mich mitnehmen zu meiner Hütte und ihn pflegen. Ich werde ihm meine besten Tinkturen verabreichen, denn er trägt den Schicksalshauch an sich.", krächzte die Alte.
"Was ist der Schicksalshauch?"
"Es wird der Moment kommen, an dem er über das Schicksal dieser Welt entscheiden wird. Er ist vorgezeichnet. Alles, was er tut, wurde von den Göttern vorherbestimmt!"
Lydia trat zu Lukas, hob ihn hoch, was für ihr Alter bemerkenswert war und trug ihn mit sich in die Düsterkeit der Wälder. Dario folgte ihnen stillschweigend durch diese Nacht, in der es nach Schnee und Kälte förmlich roch.



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Beitrag13.03.2007 17:25
Re: MALEFICIUM (Kapitel 1: Das Sühnkreuz)
von Ralphie
Antworten mit Zitat

denLars hat Folgendes geschrieben:

1447
Trier, Deutschland

Die Sonne blickte hinter dem Horizont hervor und tauchte die Welt in ein rötliches Zwielicht, das die Schatten der Nacht vertrieb und die Bewohner Triers aus ihren Häusern lockte.
Fensterläden wurden unter lautem Knarzen geöffnet und der Inhalt von Nachttöpfen wurde in hohen Bogen aus den Fenstern geschleudert und landete auf der Straße, wodurch sich schon jetzt der widerliche, süße Geruch von menschlichen Urins über die Stadt legte.


1. Gab es 1447 schon Deutschland?
2. Seit wann kann die Sonne blicken?
3. Trier ist ziemlich bergig. Kann man den Horizont sehen?
4. Warum lockt ein rötliches Zwielicht die Leute aus den Häusern?
5. Haben die Leute keine Jauchegrube, dass sie ihre Nachttöpfe auf der Straße leeren? Wie können sie die Fensterläden öffnen, wenn sie gerade auf die Straße gelockt wurden?
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