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Rike Eselsohr
Alter: 45 Beiträge: 254
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18.06.2008 20:26 In weichen Daunen von Rike
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In weichen Daunen
Sie wollte barfuss durch den Regen laufen, auf offener Straße tanzen,
nackt in die Wellen stürzen und sich dann im blassen Mondlicht wild
und hemmungslos einem Fremden hingeben.
Sie wollte sich über eine Wiese wälzen, die Ameisen kribbelnd
auf ihrer Haut spüren und laut aufschreien vor leichtsinnigem Vergnügen. Aus einem fahrenden Auto wollte sie sich lehnen, die Augen schließen
und den Fahrtwind spüren - auf ihrem Gesicht,
in ihren Haaren und in ihrem Herzen.
Die Arme weit ausbreiten und sich einfach fallen lassen.
So als bestünde das Leben aus nichts anderem als weichen Daunen,
die einen nach jedem waghalsigen Sprung sanft auffangen und fedrig leicht zudecken, wenn man sich zum Dornröschenschlaf zusammenrollt.
Oh, sie hat das alles schon oft getan. Seit vielen Jahren schon hat sie es immer und immer wieder erlebt - in ihren Träumen, ihren Gedanken
und ihren Phantasien. Sie hat viele fremde Männer geliebt,
sich mit ihnen im Dünensand gewunden, unter prickelnden Wasserfällen leidenschaftlich herumgeknutscht und im stachligen Heu forschende Hände und noch einiges mehr gespürt.
Sie blickte auf viele Spritztouren in alten Käferkabrios und schnittigen Ferrarikarosserien mit entsprechend schnittigen Fahrern zurück.
Immer wieder sah sie sich im Regen von Pfütze zu Pfütze hüpfen, ihren Kopf in den Nacken legen und sich an dem himmlischen Nass satt trinken.
Sie erlebte sich tanzend im hellen Sommerkleid auf Marktplätzen, in engen südländischen Gassen und auf Verkehrsinseln stark befahrener Hauptstraßen. Oft schon landete sie in den Daunen und alles war so leicht, so schwerelos, so unschuldig und frei.
Beim Gedanken an die krabbelnden Ameisen durchlief sie jedes Mal ein kribbliger Schauer und sie musste sich unwillkürlich schütteln.
So auch jetzt, als sie mit einer Tasse schwarzem Kaffee im Morgenmantel am Küchentisch sitzt.
„Frierst du?“, fragt er und schaut besorgt von seiner Zeitung hoch.
„Nein“, schüttelt sie den Kopf, „ich musste nur gerade an etwas denken.“
Vor dem Fenster sieht sie zwei Zöpfe auf und ab hüpfen. Es sind die Zöpfe ihrer Enkelin, die zu Besuch ist. Sie schaut zu und spürt ihr Herz im Takt mithüpfen.
„Müssen wohl schöne Gedanken sein“, dringt es da wie von Fern an ihr Ohr. Sie wendet sich ihm zu und merkt, dass er die Zeitung bei Seite gelegt hat und sie lächelnd beobachtet.
„Du wirkst gerade sehr glücklich, meine Liebste“, stellt er fest, „und eben hast du vor dich hin gesummt.“
„Was denn?“, fragt sie ehrlich überrascht.
Er steht auf und tritt hinter ihren Stuhl. Er schiebt seine Hände unter ihren Morgenrock und umfasst leicht aber fordernd ihre kleinen, noch immer festen Brüste. Er küsst ihren Nacken und sie spürt sein leicht bärtiges Kinn kratzend an ihrem Hals.
Sein Mund kommt so nahe an ihr Ohr heran, dass sie seinen Atem erregend ihre Ohrmuschel streifen spürt, als er mit seiner männlich heiseren Stimme flüsternd zu singen beginnt: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten, kein Mensch kann sie wissen, … Verrätst du mir, was dich so glücklich macht?“, haucht er ihr ins Ohr.
Sie dreht sich zu ihm um, nimmt seinen Kopf in beide Hände, legt ihre Stirn auf die seine und setzt seinen Gesang fort: „Es bleibe dabei, die Gedanken sind frei!“
Dann versinken sie in einem innigen Kuss, der ihrer beider Herzen vollkommen aus dem Takt bringt.
Vor dem Fenster tanzen die Zöpfe freudig unbeschwert weiter hin und her.
„Nach 39 Jahren Ehe bin ich noch genau so verrückt nach dir, wie am ersten Tag“, flüstert er, als er ihr den Morgenrock über die Schultern streift und ihren nackten Körper in seiner vollkommenen Reife betrachtet.
Sie schaut ihn an - ihren Mann, dem sie vor so vielen Jahren die Treue geschworen und auch gehalten hat.
In jeder Falte um seine Augen erkennt sie ein Stück ihres gemeinsamen Weges. Seite an Seite im Glück und im Leid. Ein warmes Gefühl fließt aus seinen Augen durch ihren Körper, breitet sich aus und erfüllt sie ganz.
Es ist die Liebe in ihrem kostbarsten Gewand, gewoben vom gemeinsam gesponnenen Garn des Lebens.
Sie gibt sich ihm hin, genießt seine vertrauten Liebkosungen und seinen vertrauten Körper, den einzigen, den sie in ihrem Leben je berührt und verführt hat.
Er lädt sie auf seine Arme, trägt sie die paar Stufen hinauf ins Schlafzimmer. Gemeinsam fallen sie in die frisch aufgeschüttelten Daunen.
_________________ Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt obdachlos die Unvergänglichkeit (R. M. Rilke) |
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Pismo Eselsohr
Beiträge: 212 Wohnort: Berlin
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20.06.2008 18:09
von Pismo
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Hallo Rike,
deine Geschichte hat mir wirklich gut gefallen!
Sehr flüssig, sehr sicher geschrieben und gut zu lesen.
Wer wünscht sich nicht im Alter noch so glücklich mit dem Auserwählten zu sein?
Hoffentlich...
LG,
Pismo
_________________ Autoren sollten stehend an einem Pult schreiben. Dann würden ihnen ganz von selbst kurze Sätze einfallen.
Ernest Hemingway |
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MrMister7 Gänsefüßchen
Alter: 68 Beiträge: 23 Wohnort: da drüben
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20.06.2008 22:23
von MrMister7
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Ich hätte keine Ruhe für ..., wenn der/die Enkel vor dem Fenster herumturnen. Kinder sind unberechenbar und kommen schon mal in ungünstigen Momenten angerannt. "Oma, der Paul hat mich gehaun - was macht'n ihr da?"
_________________
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Rheinsberg écrivaine émigrée
Alter: 64 Beiträge: 2251 NaNoWriMo: 35000 Wohnort: Amman
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27.06.2008 12:21
von Rheinsberg
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Gefiel mir auch sehr gut - aber MrMister hat schon geschrieben, was mir spontan in den Sinn kam...
_________________ "Write what should not be forgotten…" Isabel Allende
"Books are written with blood, tears, laughter and kisses. " - Isabel Allende
"Die größte Gefahr ist die Selbstzensur. Dass ich Texte zu bestimmten Themen gar nicht schreibe, weil ich ahnen kann, welche Reaktionen sie hervorrufen." - Ingrid Brodnig |
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Merlinor Art & Brain
Alter: 72 Beiträge: 8670 Wohnort: Bayern
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27.06.2008 13:26
von Merlinor
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Ich mag das, auch wenn es nicht mein Genre ist.
Und ich glaube, die Enkel würden das schon verkraften, würden vermutlich „Möööp“ schreien und wieder in den Garten rennen. Kinder sind nicht dumm ...
Nein, ich finde die „Daunen“, sowohl in der Fantasie als auch im wirklichen Leben gefunden, schon einen sehr schönen Gedanken.
Rike, Du triffst auf so unterschiedliche Weise doch immer wieder ins Schwarze!
Herzlich
Merlinor
_________________ „Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“
MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942 |
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Möwe Leseratte
M
Beiträge: 125 Wohnort: Norddeutschland
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M 29.06.2008 13:32
von Möwe
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Wunderschön!
Zuerst habe ich mich ja gewundert, warum der Text in der Belletristik steht, da ich den Anfang eher dem lyrischen Bereich zugeordnet hätte.
Warum mir der Text so gut gefällt? Na, da geb' ich dir einfach mal deine eigenen Worte zurück:
Zitat: | alles war so leicht, so schwerelos, so unschuldig und frei |
LG Möwe
_________________ Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein. (Albert Einstein) |
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Rike Eselsohr
Alter: 45 Beiträge: 254
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30.06.2008 20:55
von Rike
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Hey,
ich danke euch allen! War ein paar Tage nicht online und hab gar nicht gemerkt, dass ich Kommentare bekommen habe!
Um so mehr freue ich mich jetzt und bin stellenweise richtig gerührt!
Habe jetzt Ferien und wieder mehr Zeit fürs Forum! Da freue ich mich schon drauf!
Wir lesen uns
Rike
_________________ Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt obdachlos die Unvergänglichkeit (R. M. Rilke) |
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