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Kurzgeschichte aus der Innenstadt


 
 
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 944
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag22.12.2014 16:13
Kurzgeschichte aus der Innenstadt
von Christof Lais Sperl
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Eine Geschichte aus der Fußgängerzone

Als Lais eilig den Bahnhofsvorplatz betritt, liegt der noch im fahlen, winterlichen Morgenlicht. Zu warm ist es, und das Jahr noch zu jung, um Hoffnung auf Frühling zu machen. Lais entledigt sich seiner Jacke und überquert den großen Platz in Richtung Innenstadt. Ein Iro nähert sich seitlich, steht nun im Wege und holt Luft, Lais anzusprechen. Nein, ich hab’ keinen Euro! bemerkt Lais, bevor der Büschel die Stimme erheben kann, schnell beteuert der Iro empört, bloß die Uhrzeit erfahren zu wollen. Lais dreht sich um. Hinter ihm liegt das barocke Bahnhofsgebäude im Sonnenaufgang, die riesige Uhr muss stehengeblieben sein, keiner kümmert sich. Lais kann die Zeit nur schätzen, schlägt zirka acht vor. Mäckesmüll, Dosen, Flaschen, Kippen, gelbe Kotze auf dem hinterm Iro liegenden Weg, den Lais im Zickzack weiter in Richtung Innenstadt fortsetzt. Lais ist noch durch ein Asphaltband rasender Autos von der Fußgängerzone getrennt: Premiummänner lassen große Motoren aufheulen, wenn immer sich Gelegenheit dazu ergibt, bratzen schon bei gelb im ersten Gang auf siebzig, bevor sie vor der nächsten roten Ampel wieder scharf in die Eisen gehen werden müssen. Stillstand. Blubbern auf zwölf Zylindern durch das Wummern und Zischen der Audiosysteme. Die Premiummänner lassen aufheulen. Eine Rockerbande mit Weltkriegshelmen schlängelt sich wie eine Stahlgewitterbande motorisierter, bösartig lauter Nazis hinter dem Geländer am Ampelübergangs links und rechts an den nunmehr langsam kriechenden Autos vorbei. Junkies wollen Geld bei Rot. Ich heiß' Sedi, sagt ein Mädchen. Für was zu Essen. Ampel grün. Rüberhetzen, schon wieder rot, eine Oma würde das nicht schaffen. Stinkende Mobilität geht vor. Der schnelle Sprung aufs kaugummiberotzte Ufer. Durch da. Die schnurgerade Straße vor Kopf voller Handyläden in niedrigen Nachkriegsbuden mit Flachdächern, geduldeter Wettbüros, Tatooverschläge, vietnamesischer Nailstudios,  billiger Bierschwemmen. Und alle zwanzig Meter Spielsalons auf jeder Straßenseite, allesamt mit der debil grinsenden, gelbweißen Sonne am Eingang. Geöffnete Türen, doch der schwere, kranke Dunst lässt sich kaum mit der kühleren Frischluft mischen. Aschfahle Automatendaddler, mit ewig glimmender Kippe und Kaffee aus dem Plastikbecher, jeder drei Maschinen parallel am laufen, keine Frau zu sehen, sie starren auf wirbelnde Scheiben, blinkenden Super-Sieben- und Stoppknöpfe. Dröge Daddelmelodien, blublubblub, dudeludelu, wie Kraniche, bitte nicht, erst ab achtzehn, kann süchtig machen, mehr Informationen finden Sie, vierundzwanzig Stunden geöffnet. Duftspendergeruch. Eine Stadt voller Idioten, denkt es sich in Lais. Durchgedrängt mit Leuten, die ihre festgelegte Rolle spielen, schnell zu Käufen hindurchfliehen, telefonierend, rennend arbeitend an light-Kippen ziehen. Schnell noch am Handy ein paar Millionen zwischen den sich links und rechts aufragenden Machttürmen verschieben, oder als unsichtbares Stadtmöbel und Hamsemal resigniert dahinlebeln.

Die mühsam erworbenen Ideen passen nicht zu meiner Zeit, denkt es sich in Lais. Jetzt ist alles geil, die Kinder sprechen das Wort jetzt gei-jel aus, alles, was sie nicht fragend intoniert mit hallooo? abkanzeln ist gei-jel. Digital: Hallo? oder gei-jel. Der Zustand vollständiger Uninformiertheit gehört, gesamtgesellschaftlich gesehen, natürlich auch in dieselbe ärgerliche Kategorie, siehe Zladko, Elvers und Konsorten, also all das Sprachverstümmelnde, was die Mühle medialen Quarks an Figuren hervorzubringen nicht umhinkommen kann, aber trotzdem zuverlässig Quote liefert. Deshalb ist auch die Tankstellen-Sauf-Glatze fast schon in der Mitte der Container-Gesellschaft angekommen. Jedenfalls hat sie niemand daran gehindert. Klar, der neubürgerliche Mittelstand auf seinem Lebensweg zwischen Tattoostudio und BMW will auch von irgendwas leben, und sei es vom sächsischen Nazishop. Ein kaltes, langes Land im Norden hat umsonst gegen die Verwendung seiner Fahne geklagt. Es hatte in seiner Geschichte schon einmal eine Flaggenverwirrung durchlebt. Wozu also nicht noch einmal die Historie wiederholen? Und kurz nachdem das Utöya-Massaker verübt war, haben sie in Ostdeutschland, frecherweise natürlich gleich einen Brevik-Laden eröffnet, man kann ja mal probieren, wie unverschämt diejenigen sein dürfen, die immer das Wort vom Gutmenschen und dem  vom das-darf-man-doch-wohl-noch-sagen im Munde führen, und sich dabei nicht einmal die Frage stellen, ob sie sich folglich zu den Schlechtmenschen zählen lassen wollen.



Meiner, unser aller Indifferenz sei also Dank: Im Zentrum sind sie eingetroffen, in dem sich auf der Volksbühne der seichten Claqueure rot, grün, schwarz und gelb, am Vorabend neuen politischen und religiösen Wahns, Dümmliches hörend, Dämliches grölend, fußballbegeistert alles drängt und auf die Füße tritt, diesem Tummelplatz hysterischer Träumer von Kingston, dieser immergleichen und langweiligen Ödnis namens Mitte, in der angeblich jedweder Urnengang, egal mit wem, gewonnen werden kann, und an deren Wahlabenden sich fast jede Partei zu den Gewinnern zählt, obwohl sie nicht mal den Entwurf einer Zukunft präsentieren kann und sieben Prozent verloren hat. Lassen Se mich mal durch! Egal, wo du das Kreuz auch machst, du wirst immer nur das fade Merkeltum bekommen, denkt’s sich in Lais beim Weiterrennen. Dort vorne baut man schon die Bühne auf. Der Ausdruck Public Viewing im Zusammenhang mit dem nicht totzukriegenden, ubiquitären Ärgernis namens Sport ist übrigens auch wieder so eine idiotische Sprach-Verdrehung, die im Amerikanischen eine öffentlich zugängliche Aufbahrung einer Leiche bezeichnet. Das ist aber egal. Hauptsache es klingt irgendwie nach Englisch und Rudelbegeisterung! Flat! Handy Null Euro! Zwischen all den Schrottetablissements in ihren schreienden Farben die Praxis Dr. med. Irgendwer. Obwohl, Wissenschaft gilt vielen überhaupt nichts mehr, muss Lais denken, denn man glaubt, Ärzte und Pharmabranche wollen mit ihren Impfungen bloß die Kinder vergiften. Man schluckt Bachblüten und Globuli, Akademisches steht schwer verständlich all dem Esoterikbrei im Weg, und dennoch will sich jeder mit universitären Attributen schmücken und legt sich wohlklingende Berufsbezeichnungen voller Diplome zu; da sitzt dann einer als Podologe in seiner Praxis, wo Oma längst noch in die Fußpflege gegangen war. Egal, wenn’s wirklich mal weh tut, sitzt man mit Morphinhoffnung doch wieder im Wartezimmer zwischen all den anderen Omas, die nur zum Zeitvertreib hingehen, und so häufig den Arzt wechseln, wie sie mit den Zeitschriften und ihrer Diagnose nicht mehr zufrieden sind.

Buchhandlung links. Ein Relikt. Kann man noch was entdecken. Schon Broch schreibt in der Massenwahntheorie dass unmittelbar vor einer neuen Katastrophe, wie es beispielsweise eine österreichische Reinkarnation mit Quadratbart wäre, eine Periode der idiotisch leichtlebigen Vergnügung und irrationalen Träumerei, eine schöne Zeit von Spiel und Sport und Frömmelei, eine Art der Goldmond- und Tulpenstolz-Seligkeit vorausgeht. Keiner hat mehr die Kraft eine Position anzunehmen und das, was man als Parteien bezeichnet ist nur noch Karrierevehikel und gleicht sich wie ein Ei dem anderen. Lediglich kollektive Erektionen geistern zwei, drei Tage durch die Medienwelt, um dann schnell wieder im gesellschaftlichen Unterholz zu verschwinden. Zum ersten Mal ein deinem Leben weißt du nicht mehr, ob und was du wählen sollst, fragst dich, ob die jeweilige Opposition überhaupt noch den Willen hat, eine Regierung abzulösen oder nicht einfach nur gutdotiert mitklüngeln will, und all das, ohne Zukunft zu entwerfen. Und sind nicht die schwächlichen Versuche der sich für fortschrittlich und links haltenden, mit ihrem fast als lächerlich zu bezeichnenden Klamauk des Mainstreaming Politik zu gestalten, zur clownesken Zirkusnummer verkommen, in der vom Direktorat Vorschläge wie demjenigen gemacht werden, aus dem Martinsfest einen Sonne-Mond-und-Sterne-Tag zu machen - bloß um keinen der Menschen zu verprellen, deren überreizte Reaktion man einfach mal so in die Zukunft herauspostuliert?  Könnte es nicht sogar sein, dass all das engagierte Streben für sprachliche und sonstige Chancengleichheiten  - Rad Fahrende versus Radfahrer - nicht in Wahrheit, wie die neuen, angepassten Grünen, längst schon schwarze Trojaner der Rechten sind, philosophische Angelhaken, die die Dummen unter den Linken anbeißen lassen, um sich später fingerzeigend über sie lustig machen zu können? Aber Ätsch! Du, Lais, hast die Physiologie asiatischer Sprachen eingehend studiert und lächelnd erkannt, dass in ihnen das weibliche Element hochgradig mit allerlei Partikeln und Pronomen markiert ist. Doch wie ist die Situation der Frauen denn nach tausenden Jahren mandeläugiger Sprachgeschichte? In den meisten Fällen ist sie Pustekuchen, denn die bloße Markierung im Sprachlichen führt nicht zwangsläufig zur Besserung sozialer Gegebenheiten. Bist du überrascht von allem? Bereitet es dir Angst, wie ich in deinen  gläsernen Kopf blicke, dir  aus dem Mund spreche, wenn du überhaupt mit jemandem redest, und auswendig wie ein Lieblingslied kenne, was du schon tausendmal in wachen Nächten vor dich hingedacht hast?

Lais, du hast doch gelesen, dass der Terror der Siebziger um die dreißig Menschen das Leben gekostet hat und dieser Tatsache den Gedanken gegenübergestellt, dass seit der Wiedervereinigung allein in den zweiundzwanzig Jahre nach der Wende um die hundertsechzig Menschen durch  braune Gewalt gestorben sind. Einen Schwarzen haben sie sogar aus dem Zug geworfen. Doch statt Sonntagsreden und Lippenbekenntnissen fällt der Merkelrepublik, fiel auch vorher dem berufsgelassenen Bastakanzler außer Betroffenheitslyrik und einem nicht wirklich ernst gemeinten Aufstand der Anständigen fast gar nichts ein. Rotwein. Zigarre. Ganz im Gegenteil: Mit brauner Ware wird Geld gemacht, und das heiligt allemal die Arbeitsplätze am Standort Deutschland. Im Internet, in offiziellen Shops - Stajner, Konstabler, Störfunk - das ganze Programm in Fraktur. Auf den Demos läuft Mancinis Panther, der Soundtrack zu den zunächst als Dönermorde von Polizisten euphemistisch heruntergespielten knappen Dutzend an tödlichen Anschlägen. Ermittler, die engagiert gegen gewalttätige Rechte ermitteln, werden zu Radar-Kontrollen an Straßenkreuzungen verbannt, und damit wie in französischen Krimis kaltgestellt, denn: Ermittlungen gegen Nazis sind schlecht für den Fremdenverkehr und im Zweilfel steht der Gegner immer links. Da zerrt man gern jeden Pfarrer, der gegen das Braune protestiert von den Kadi, und da aus fadenscheinigen Vorwänden Selbstlähmung wird, und dem spätestens 1914 wieder aufgetauchten Untoten namens Rechtsblindheit gegen Nazis aller Art, ihrer Propaganda und Geschäftchen niemand wirklich etwas entgegensetzen will, schlägst du in schlafloser Nacht ein Kunstprojekt für die nächste Documenta vor - und wir sind gespannt, wie lange die Performance von den Behörden unbehelligt durchgezogen werden könnte: Der RAF-MART! Mit T-Shirts samt  Stern und Maschinengewehr, Modellen zerschossener alter Mercedes-Limousinen, mit Konterfeis von Baader, Meinhof, Ensslin, Raspe, Meins. Mit linksradikalen Stickern, Postern, Buttons, Fahnen, Granaten-Muffins, Schleyer-Konterfeis, Rio-Reiser-Chorabenden und CDs der noch zu gründenden Band Die toten Kapitalisten. Ihr bildet dazu auch noch die rote Jugendorganisation MAKAWEKA (Macht kaputt, was euch kaputtmacht) mit Zeltlager, Volxküche und politischen Schulungen im Stalin-Zelt, infiltriert Kitas und Grundschulen (Die rote Pippi), bietet Che-Guevara-Abenteuerurlaube in der nachgebauten Baracke des großen Zigarren-Comandante und wartet gespannt, wie lange der Verfassungsschutz das Ding noch röcheln ließe. Vor dem Laden müsste eine rote Stoppuhr im Design der Schuldenuhr laufen, die die Zeit bis zur Schließung erfasst. Und ihr feiert und wartet dabei, wie lange sie brauchen, um den selbstverständlich auf US-Servern gehosteten Onlineshop kampf.com vom befreundeten Geheimdienst abschalten zu lassen.


Seicht und zeitgeistfreundlich geht’s auch bei denen zu, die sich gern als Christen geben. The Spirit impels us 4ward 2wards others; the fire of his love makes us missionaries of God’s charity. CU tomorrow nite – BXVI simst der Papst - und die Jugend jubelte kürzlich noch zum Rehabilitator der Leugner, schwenkte dazu das unvermeidliche weißblaue Brezen- und Leberkäs-Banner - wir denken im folgenden nur noch blauweiß, das ärgert das Bergvolk da unten- und verteilte zu Ostern mit erhobenen Händchen wie einst Charles de Gaulle die endorphingetränkten Jubelstimmchen, die in der dünnen Luft zwischen Piazzale Flaminio Valle und Aurelia nach dünnem Handballturniergeschrei klangen. Lais, wie schlimm wird es noch kommen? Hoffung entsteht zwar im Anblick des Franziskus, der allerdings nun zeigen muss, was an zukunftsweisendem Denken und frischem Wind verwirklicht werden kann. Wir wünschen ihm alles Gute, denn die längste Zeit noch seid ihr für den Frieden auf die Straße gegangen, doch nun ihr euch bloß noch Beicht-apps und Klingelglockentöne runter, zahlt für das knarzige Gequake und freut euch auch noch! Zu was sind große Teile der Menschheit bloß geworden? Zu einer unbesiegbar zähen Ansammlung der Getreuen von Billigkack & Irgendwas samt den Zwangsadjektiven Kult und Event als kostenlosem Dip als Flat-Dreingabe. Was bist für ein Gefolgsmann, Lais? Bayern, Dortmund, Sarrazin? Oder immer noch Mitglied im Verein der hochbezahlten alten Männer, die gern in den verstiegenen Kellern millionenschwerer Residenzen hinter dunklen Türen kleinen Menschen an die Flöte fassen?

Braucht denn noch jemand ein Gedankenwerk, das den geschundenen Leichnam eines zu Tode Gefolterten zu seinem höchsten Zeichen macht und das Marterinstrument an alle Wände hängt? Man sollte sich an den großen historischen und umstürzlerischen Jesus als lebenden Menschen erinnern, das wäre gemäß der Evolutionsregeln von Religion im Sinne eines back to the roots noch ziemlich schlau, aber leider passt dieser Jesus dem etablierten Klerus gar nicht in dem Kram. Hat ihnen noch nie wirklich gepasst. Denn er war Sozialrevolutionär, ein ätzender Kritiker, heucheleifeindlicher Konsumverweigerer, ein Asket, der gern mit Prostituierten redete, Reiche verabscheute und Tempel samt Wechselbuden stürmte und Tische umschmiß. Tot ist er als verklärtes Bild biegsamer und bequemer zu vermarkten, da jeder in ihm sehen soll, was genehm ist. Nun ja, auch wunderbare Menschen gib es in der gläubigen Schar, keine Frage. Aber zu wenige um an die Überlegenheit von Religion zu glauben,  denn die unwissende Masse macht ihnen mit ihrem erdrückenden Kontingent sowieso alles wieder kaputt. Und außerdem: Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts, das ist doch die aporische Frage aller Fragen, der sich niemand stellt.

Weiter weiter, keine Rast, Lais, denn wichtige Meldungen aus der konjunktionsarmen BLÖD brettern an der Ecke vorn ins vorüberschweifende Auge. Ja noch mal! BLÖD, BLUT, BLIND musste und muss das Ding immer noch heißen, obwohl die Chefetage sich mittlerweile zum Hipsterteam aus dem Silicon Valley samt Rauschebärten und Nerdbrillen umstylen lassen hat. BLÖD, denn wir schätzen Manne, den Liebling Kreuzberg und Becker (aber nur den Jurek).  BLÖD meldet, dass ein überbezahlter Rasenläufer mit Kurzhose unter nationaler Anteilnahme ein Silikonsternchen ehelicht! Oder doch lieber das Originalidiom? Bum Bum Becker, Deutschland jaaa!!! Müntes Neue! Er führt sie an der Hand, küsst sie, bewundert sie so verliebt. Schießerei. Krebs-Drama um Raissa. Willy Millowitsch. Und pro Seite gefühlte sechsundsechzig Mal Sex: Sex-Luder in Fahrerlounge! Geheime Sex-Geständnisse der Spielerfrauen! Bizarrer Sex-Krieg im Sex-Prozess um Sexhexe! Der Wetterfrosch - Deutschlands Sex-Monster! So was lesen die. Ohne zu kotzen. Und zahlen dafür, als wären Sätze Klingeltöne. Die Franzosen leisten sich keinen solchen Dreck, die haben nur ihren France Soir. Der liest sich im Vergleich zur BLÖD aber wie ein Intellektuellenmagazin, aber nicht nur weil Französisch intelligent klingt, wenn es nicht gerade von bretonischen Politikern oder ehemaligen Sexsymbolen kommt. Wenn uns Späthippies schon nichts mehr bleibt, dann eint uns wenigstens noch der uferlose Groll auf diese Mitteilungsposaune, die in  der letzten Zeit noch viel gefährlicher geworden ist als jemals zuvor, denn sie gibt sich irgendwie links, kritisiert Managergehälter und serviert leicht zu erlegende Kollateralpersonen wie Wulff als Bauernopfer ab, besorgt aber in Wirklichkeit das Geschäft der äußersten Rechten. Jakob Augstein hat nicht umsonst geschrieben, dass die Zeitung noch bedrohlicher geworden ist durch das, was sie laut verschweigt!




Die Besorgungen sind gemacht, heim, Glotze an, zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, alle Angaben wie immer ohne Gewähr, der glanzgegelte Koksmann kommt schon wieder. Bekannt als moralinsaurer Sofa-Chefankläger und notorischer Funk- und Fernsehschwätzer, der sich, lang bevor er mit dichten Pupillen, voller Birne, Nase und einigen Nutten im Hotel erwischt wird, als eine Art grinsender Caesar Flickermann des Öffentlich-Rechtlichen mit den Altnazis und Parteifreunden solidarisiert, indem er früh schon, als wirklich fast alle bundesrepublikanischen NS-Rentner mit ihren dicken Pensionen noch lebten, in dessen Altherren-Sammelpartei eintritt, und den verfrühten Oswald Metzger gibt, also gleich ohne Umweg nach rechts oben flutscht. Und dann: Rauf aufs Talkshow-Sofa. Ruf aus den Lehrstuhl der Öffentlichen. Rücken an Rücken. Aasiges Grinsen und Sich-Aalen im Rampenlicht. Hoch zu den jüdischen Vermächtnissen und  brutalstmöglichen Aufklärern! Wo sitzt denn da das Rückgrat, meine Damothern? Ranicki musste wenigstens noch aus pekuniärem Antrieb zur Zeitung für kluge Köpfe und ihren Altnaziempfängen, aber der Koksmann hatte doch vorher schon jede Menge Knete in der Tasche. Nun ja, er fand das wohl spannend: Dunkler Teint, gegeltes Haar, französische Sozialisation und dann auch noch christdemokratisch! Wie wenn Woody Allen Mitglied bei der NRA würde, klingt das. Oder wie Cohn-Bendit in der NPD. Er ist nach dem hessischen Spruch mit den Vermächtnissen ja dann ausgetreten, aber nicht wirklich, nur den Landesverband, nicht den Verein hat er gewechselt. Welch starker Charakter! Chapeau möchte man fast sagen. Aber keine Angst, liebe Konservative, für euch kommt auch noch was ganz Leckeres:  I.M. Notar, PDS und  Stasi-Schäferhunde kriegen extra für euren persönlichen Höhepunkt auch noch ihr Fett weg! Das war nur der erste Streich - daher nun flugs zurück zum gesamtgesellschaftlichen Thema, an dem wir uns hier abzuarbeiten versuchen: Da macht, zweitens, ein Nussknackergesicht mit Pinkelprinz-Fresse im christlich-abendländischen, also leitkulturellen Kohlschen Titten-TV die steilste Rampensau-Karriere, indem es als Fernsehselektator diverse Arschgeweihte und andere Bildungsferne, die oft weder singen noch einen zusammenhängenden Satz zurechtstammeln  können, vom Schreibtisch aus grinsend abserviert: Mein Hintern furzt besser, als du singst! Du kommst weiter. Und bei dir schaumermal. Der Nussknacker selber aber? Texte mit, nun ja, Tiefgang: Chéri Chéri Lady! Beeindruckend! War das nicht um Längen besser, da wenigstens Franglais, als später das Wadde hadde dadde du von der anderen millionenschweren Grinsebacke? Das muss die Apokalypse entscheiden und die kommt noch früh genug. Drei grinsen, einer gewinnt.


In Österreich ist, zum dritten, gerade ein eloquenter Schönheitsbruder des Nussknackers - wenn auch mit weniger Falten im Achtzigergesicht - betrunken mit hundertsiebenundvierzig in einer geschlossenen Ortschaft ums Lebensmensch-Leben gekommen. Eine saubere Abwrackarbeit vom gut katholisch verheirateten Feschisten (Zeit online) und seiner Ortstafel-Besessenheit. Lais, du hattest zum Zeitpunkt der TV-Meldung gerade ein Twix™ gegessen und dir ganz esoterisch gedacht: Ich sollte öfter mal einen rotgoldenen Schokoriegel essen, wenn dann immer gleich was passiert. Oder gleich ein Fünferpack drauf einwerfen,  denn viel hilft viel. Die Ösis hatten übrigens mal ein tolles Plakat zum Thema: Raider heißt jetzt Wix. Nun ja, bei uns in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Schwalm-Eder schlagen sie die Ausländer auf der Straße gleich direkt tot, während sie im Ösiland nicht eigenhändig morden sondern die Operation nur verbal vorbereiten. Sie sitzen in Gremien und Parlamenten, verteilen Ressentimenthäppchen und warten dann in ihren sakkobedeckten edel-T-Shirts ab, was auf der Straße passiert. Ihr heimlicher G’söchter hatte natürlich eines der anständigen Autos - als solche hatte der von einer spanischen Telefongesellschaft geschmierte FDP- Politiker Mutweib einmal ganz marktliberal die deutschen Fabrikate bezeichnet: Und er, der Twix, war ja ein echter deutschnationaler Phaetonfahrer, denn österreichische Autos gibt’s ja leider nicht. Nur a bisserl zu angegast war er die Kurve angegangen, mit Gas haben wir ja Erfahrung. Und auch die NPD hat Plakate mit Gas geben. Ganz der jungdynamische Bleifuß, denn so sind sie, die freiheitlich rasenden Leistungsschwänze und SS-Verehrer ohne detaillierte StVo-Kenntnisse. Auch mancher Entwicklungshelfer fährt heute gern nobel wie man immer wieder liest: Mit der Riesenschüssel von Audi von Berlin nach Afrika brettern und den guten armen Mohren dann was vom Klimaschutz erzählen. Hauptsache das Logo ist gut designt. Die Jungdynamiker  warten auf die Ölkrise, wie sie selbst sagen, damit die Autobahn endlich wieder unterschichtfrei ist. Sind aber trotzdem, siehe Twix, dann irgendwie doch zu blöd zum Fahren wenn’s wirklich mal drauf ankommt! So einen kann man als Führer nicht verwenden, liebe Leute.

Dein alter Zahnarzt, ein leistungswilliger und lauter Dauertelefonierer, sagte mal in der Blüm-Zeit am Apparat, so hieß das damals noch, du hörtest alles, schon kopfüber im Behandlungsstuhl, mit: Arno wollen wie mit deiner Piper oder meiner Cessna zur Demo nach Bonn fliegen? Der nagte wie alle Kollegen auch ganz furchtbar am zahnärztlichen Hungertuch und semmelte immer mit siebzig durch die Dreißigerzone. Wahrscheinlich zum Sprit sparen, um was fürs Flugbenzin auf die Seite legen zu können. So sind sie. Früher einen forschen Pimmel, heute einen Porsche-Fimmel. Fragt mich jetzt nicht von wem das ist. Klingt aber irgendwie nach Erhardt.

Sie haben dem schönen Hussein-Freund, Antisemiten verstehen sich schließlich entlang der Achse des Bösen über Grenzen hinweg, dann  ein Kerzenmeer samt Foto-Altären bereitet, und schnitten nebenbei und ganz christlich abendländisch einem Komikerpaar, Stermann und Grissemann, mal eben schnell die Bremsleitungen durch, denn die hatten Kritik gewagt an der schluchzenden ORF-TV-Übertragung in nordkoreanischer Fasson, wie Roman Rafraider das Gepräge so treffend genannt hat. Kritik an dieser kärntnerischen Servilität in der Kreuzmoschee, der großen Mützenversammlung und ihren  unverständlichen Lateinlitaneien wollte keiner hören. Ein Mann bat im Kerzenmeer um Vergebung der Sünden. Bei dem, da braucht’s ja eine Sündenvergebungsmaschine, die wie eine Tibetanische Gebetsmühle mit Turbolader, eine Kettensäge oder Maschinengewehr funktioniert. Allen wird doch sowieso irgendwann vergeben werden, da muss sich doch eh keiner mehr anstrengen. Wozu dann  den Religionsmumpitz überhaupt noch durchziehen, wenn’s gar nicht mehr drauf ankommt? Die Sonne über Kärnten sei untergegangen, hieß es im großen Beerdigungsbahnhof. Stermann und Grissemann spielten im TV dazu passende Klageweiber, wie sie sich auf serbischen Friedhöfen krümmen und gegen Geld zwischen den Kreuzen rumheulen. Also ratsch, wie gesagt, die Bremsleitung. Zweihundertsiebzig Euro.

Auf das eine oder andere Gestirn kann man getrost verzichten. Man kann Figuren schnitzen. Unters Dach vom Heiligenhäuschen damit, und an die Landstraße, hinter die deutsch-slowenische Ortstafel, damit man sie nicht sehen kann und wenigstens mal ein Dorfund dranpisst. Nun haben sie sogar noch eine Gebetsliga zur Heiligsprechung im Netz eingerichtet, von der allerdings niemand so recht zu sagen weiß, ob sie ernst gemeint ist oder nicht. Allerdings war der Schnellfahrer, dass muss man ihm zugute halten, wenigstens immer schon so ein richtig aufrichtiger Reaktionär, ein ehrlicher, gepflegt aussehender, sportlicher Wadenbeißer mit verbaler Stärke überm grünbraunen Janker, dieser vereinheitlichten Tarnkluft aller bürgerlichen Neofaschisten aus Nord und Süd. An dem konnte man sich reiben und wusste was, man kriegt, wenn’s nicht gerade eine marode Bank war. Nicht so wie bei den Rollkragenträgern von der Jugendorgnisation, den geborenen Bundeskanzlern, die heimlich verpönte Zeitungen lesen, immer locker daherkommen, schon mit dem Diplomatenkoffer in der Hand vernetzt aus der Muttermuschi gestiegen sind, und dann nur heimlich im Ortsverein, also sozusagen unter der Hand,  gegen jeden mit einem Ö im Namen hetzen, der nicht zufällig Profifußballer ist.

Obwohl, so manche haben’s ja auch verdient, dass man ihnen ein wenig an den Karren fährt. Schön, dass die Jungkonservativen für dich draufhauen, Lais. Da brauchst du dich als Machiavellist nicht selbst anzustrengen, da sollte man alle Idioten für sich und gegeneinander laufen lassen. Wo bei all dem Ungemach persönlicher Einschätzungen noch diejenigen die schlimmsten sind, die tagelang durch die Fußgängerzone latschen und die Wahrheit mit Löffeln gefressen haben. Bei denen fängt zur ganzen Schmach auch noch jeder Satz mit dem Wort Möge an. Es ist einfach nur gefährlich, wenn man denen mit der Toleranz entgegentritt, die für den blauweißen Bierzeltkatholizismus nicht gelten soll. Neulich hat der Wulff im Schafspelz, also der von Niedersachsen und erste  feel-good-president aus der Prä-Gauck-Ära, eine Türkischstämmige zur Ministerin gemacht. Und da hat die gleich mal gefordert, die Kruzifixe aus den Klassenzimmern zu entfernen, und das auch noch als CDU-Tusse. Das gab ein Geheul von tausend Sirenen, wie damals, als sich Göring-Eckardt einen Toyota gekauft hat. Da hat eine von Christdemokratie und Deutschland-Mechanismen wohl eher wenig verstanden. Naivität also auch auf Migrantenebene: In Deutschland angekommen, gleich mal rin in de CDU, aber von allem trotzdem nix kapiert. Ein Trauerspiel opportunistischer Karrieregründe. Die Rechten wissen auch nicht mehr wohin mit all den Doofen. Brötchen, Bier, Zähneputzen, CD von Pavement, Lais ist müde und schläft sofort ein. Die Gedanken werden konkreter, ermüden, nehmen Gestalt an, es gibt kein Zurück, er träumt einen tiefen Traum, in dem er, wie in einem Computerspiel, die volle Kontrolle hat. Er dreht sich, und die Landschaft dreht sich mit. Er will geradeaus und geht geradeaus. Er tut, was er will. Ein Kontrolltraum. Man kann das trainieren. Lais will das tun.



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Lais
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Tjana
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Beitrag22.12.2014 17:55

von Tjana
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Hallo Christof Lais,

ich habe mir wirklich Mühe gegeben. Aber die zwei beim Lesen zuerst aufgetauchten Gedanken siegten dann leider doch:
1. Zu lang, viel zu lang
2. Zu viele Themen, teils  anklagend verpackt, meist nur angerissen.

Ich als der Leser wusste nicht mehr, welchem Gedanken ich folgen soll, verbrüdernd oder ablehnend. Und das gehört dazu, um bei Deinem Lais bleiben zu können.
Einige seiner Gedanken kenne ich selbst und konnte sie beim Lesen gut  nachvollziehen, aber  diese Flut hat mich regelrecht weg geschubst. Übrig blieb: Der Lais ist aber übermäßig mies drauf. Das kann nicht von Dir gewollt gewesen sein, oder?

Du hast nicht vorangestellt, was für eine Art Text es ist. Deshalb kann ich nur meinen Eindruck benennen: Er reicht für mehrere Kolumnen. Falls es Teil eines Romans sein sollte, hätte ich noch früher aufgehört, zu lesen.

Sorry, aber bei der Länge des Textes kann ich im Moment nur einen Gesamteindruck anmerken. Hoffe, es hilft trotzdem ein wenig.
LG Tjana
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Magnus Soter
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Beitrag23.12.2014 02:44

von Magnus Soter
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Hallo Christof,

ich habe nach den ersten zwei oder drei Absätzen nur noch ganz grob überflogen.
Würdest du bitte erst einmal erklären, um was für eine Art von Text es sich hier handeln soll. Wird das mal ein Roman, oder bleibt es eine Gesellschaftskritik? Das ist für mich auf jeden Fall too much. Am Anfang dachte ich noch, mal was anderes. Aber dann hätte mal eine Handlung kommen müssen. Das Einzige an Handlungen, was ich auf die Schnelle rausgelesen habe, ist, dass Besorgungen gemacht wurden und die Glotze eingeschaltet wurde.

Vielleicht ist das aber auch Kunst ...

Gruß, Klaus


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Zeitenträumer
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Beitrag23.12.2014 08:18

von Zeitenträumer
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Hallo Christof,

Ich habe den ersten Absatz gelesen. Und ich muss sagen: obwohl du eine Stimmung erzeugst, bleibt bei mir nichts hängen, und ich habe keine Lust, weiter zu lesen. Es gibt keinerlei Handlung (ich habe auch den Rest überflogen), sondern es scheint hier keinesfalls, wie es der Titel suggeriert, um eine "Geschichte" zu gehen, sondern vielmehr um eine Art fensterhafte Gesellschaftsstudie. Diese mag durchaus gelungen sein, aber ohne Handlung wird es zumindest für mich unmöglich, dran zu bleiben.
Alles, was ich bisher von dir gelesen habe, legt nahe, dass hier irgendjemand über die Gesellschaft herum-reflektiert. Nur: Dieser jemand bist du. Als Autor. Das alles liest sich wie ein lyrisch angehauchter Sachtext über unsere Gesellschaft. Lais, wie dein eventueller Protagonist offenbar heißt, tritt nur als Name auf, du könntest ihn streichen und niemand würde ihn vermissen. Tut mir sehr leid, aber so kann ich, trotz deiner unbestreitbaren sprachlichen Eleganz, nichts mit den Texten anfangen.
Vielleicht könntest du dem Leser etwas deutlicher machen, warum er deine Texte lesen sollte. Abgesehen von der interessanten und virtuosen Sprache sehe ich bisher keinen Grund.

Beste Grüße,

David
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Magnus Soter
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Beiträge: 284



Beitrag23.12.2014 09:10

von Magnus Soter
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Zeitenträumer hat Folgendes geschrieben:
Lais, wie dein eventueller Protagonist offenbar heißt, tritt nur als Name auf, du könntest ihn streichen und niemand würde ihn vermissen.

Das bringt es auf den Punkt.


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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag23.12.2014 10:18
Liebe Leute
von Christof Lais Sperl
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Vielen Dank für die Kritik. Ich würde natürlich aus dem Lais noch mehr rausholen, er ist weder mies drauf noch droht er, sich demnächst umzubringen. Allerdings ist die Themenwahl einem literarischen Publikum kaum vermittelbar und eher in einer politischen Zeitschrift anzusiedeln. Es war ein Versuch, den Fluß von Gedanken abzubilden. Sollte es sich lohnen, weiterzuarbeiten, werde ich den Text ändern.  Ansonsten bin ich ein sehr lustiger Mensch und kann auch humorvoll sein. Dies kam einfach so aus mir heraus. LG   CLS

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Lais
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03mtep13
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Beitrag23.12.2014 11:50

von 03mtep13
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Hallo Christof,

der Text ist in meinen Augen weder Fisch noch Fleisch. Eine Geschichte im herkömmlichen Sinn ist es nicht, da ist zu wenig Handlung, zu wenig vom Protagonisten (wurde schon erwähnt). Eine Beschreibung einer Umgebung, der Innenstadt ist es auch nicht. Es wirkt wie ein Sammelsurium aus diversen Eindrücken und Gedanken.
Zugute halten muss ich dir, dass der Text grundsätzlich gut geschrieben ist. Aber man wird nicht mitgerissen, weil es keinen roten Faden hat.

Wenn du etwas aus dem Text machen willst, solltest du dir überlegen, in welche Richtung du gehen willst.
Geschichte, dann muss ein großer Teil der Überlegungen raus und eine straffe Handlung rein, vielleicht auch Dialoge, die auflockern, der Protagonist muss stärker eingebunden werden.
Wenn du allerdings eine Darstellung der heutigen Welt, einer "modernen" Innenstadt mit all ihren Facetten haben willst, musst du die Beschreibungen und Überlegungen konkretisieren und zu einer durchgehenden Argumentation formen. Der Protagonist sowie eine explizite Handlung sind dann zu verbannen, das Ganze von weiter weg zu betrachten.

Soweit meine Meinung. Schreiben kannst du, das sieht man, aber du solltest es besser strukturieren.

mfg
Paul


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Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.

Albert Einstein
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lupus
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Beitrag23.12.2014 12:34

von lupus
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Ich mag diesen Stil, diese Art zu schreiben, sich beim Schreiben einfach treiben zu lassen. Ganz offensichtlich wird aber dann doch korrigierend eingegriffen - klar: soll ja auch 'literarisch' sein. Und das ist gut so.

Lais also geht in die Stadt und - wohl angeregt von den Leuten, die er trifft - beginnt nach zu denken, zu überlegen und kommt, wie es nun mal so ist vom Hundertsten ins Tausendste.

Schön auch, dass mit diesem Assoziativen Schreiben vom Hundertsten ins Tausendste Politisches  thematisiert wird. Nicht immer 100%ig durchdacht vielleicht, aber genau das macht den Reiz aus eines Gedankenflusses, es regt dazu an, sich selbst Gedanken zu machen, man erkennt eigene Gedanken wieder, man erkennt Widersprüche zum eigenen Denken und es animiert zum Nachdenken über Erzähler-Autor-Prota-Differenzen. Super gemacht. Und: es wird höchste Zeit, dass Schreibende sich wieder 'politisieren', Stellung beziehen, angreifen, sich angreifbar machen. Das ist gut so.

Deine Wortwahl, die Satzstrukturen ... vom Feinsten.

Aber: du nimmst dir sehr viel deiner Aussagekraft - sprachlich wie inhaltlich - dadurch, dass du mit einer Adjektiv-Lawine arbeitest. Nichts gegen Adjektive im Allgemeinen, aber hier ist es mE einfach zu viel, die Sätze wirken dadurch künstlich aufgebläht, der Inhalt  - gerade hier, wo es sich nicht um eine Geschichte im klassischen Sinn handelt, besonders wichtig - verliert sich ein bisserl. Hier müßtest du mE etwas an der sprachlich-inhaltlichen Balance arbeiten.

Nun, lang ist es, aber: was ist schon lang? 10 Seiten? 20 Seiten? 350? 700 Seiten? Als Geschichte funktioniert es nicht, aber das ist dir mit Sicherheit selber klar, als Kapitel in einem Roman aber durchaus.

lgl


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lg Wolfgang

gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben

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Christof Lais Sperl
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Beitrag23.12.2014 13:33
Ballon
von Christof Lais Sperl
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Danke für eure wertvollen Kritiken. Damin kann ich was anfangen. Die Adjektivflut ist meine Schwäche, doch will ich immer auch sehr ganeu bleiben. Frohe Festtage und guten Rutsch an alle!
LG, CLS


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Lais
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nebenfluss
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Beitrag23.12.2014 15:57
Re: Liebe Leute
von nebenfluss
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Allerdings ist die Themenwahl einem literarischen Publikum kaum vermittelbar und eher in einer politischen Zeitschrift anzusiedeln. Es war ein Versuch, den Fluß von Gedanken abzubilden.

Das würde ich so nicht sagen, zumal ja der Stadtbummel (in der Ich-Form) Elemente eines "stream of consciousness" aufweist, also als ein literarisches Verfahren daherkäme, ebenso wie der innere Monolog, in den du vor dem Fernseher wechselst (hoffe, ich täusche mich hier nicht in den Begriffen - dass es literarisch betrachtet ein hochwertiger Text ist, ebenso wie deine anderen, steht für mich jedenfalls außer Frage).

Aber gut, du sprachst von der Themenwahl.
Das lässt mich fragen: Welche Themenwahl?

Das ist ein gesellschaftspolitischer Rundumschlag, bei dem eigentlich nur noch die Prophezeiung einer finalen Öko-Katastrophe fehlt. Und der gerade dewegen sehr an die Panorama-Interviews mit den Pegida-Demonstranten erinnert: Alles anreißen, alles Scheiße finden, aber die Ursachen nur dort beleuchten, wo einem gerade was zu einfällt, von Verbesserungsvorschlägen ganz zu schweigen. Die Wahllosigkeit ist es gerade, mit der sich Lais in meinen Augen selbst diskreditiert - wo man sich unterschiedslos über die heutige Jugendsprache, alternative Medizin, Sport, die Medien, Politik und Religion echauffiert, wo ein Einzelerlebnis aus der Blüm-Zeit (!) als Beweis für die aktuelle Dekadenz ganzer Berufsstände bemüht wird, da ist wohl Unzufriedenheit Lebenselixier. Weshalb Lais sich dann auch vor die Glotze hockt und seine Vorurteile bestätigen lässt.
In der Zeit haben andere, die das Programm auch doof finden, ihren Fernseher längst verschrottet und nutzen ihre Zeit, um ihre Ideen voranzutreiben - und damit zu dieser vertanen Chance:
Zitat:
Die mühsam erworbenen Ideen passen nicht zu meiner Zeit, denkt es sich in Lais.

Über diese Ideen, die in eine andere Zeit gepasst hätten, wüsste ich gerne mehr!
Ich gehöre nicht zu denen, die meinen, ein Prota müsse unbedingt möglichst sympathisch sein, doch will der Leser irgendwo identifikationsstiftend andocken.

Ich würde sagen: entweder Kernaussage herausarbeiten und Weggehobeltes, wo es lohnt, als künftige Themen im Hinterkopf behalten (eine satirische Story im Milieu der Jugendorganisation MAKAWEKA könnte ich mir z. B. gut vorstellen).
Oder Lais' Ideen in den Vordergrund stellen und ihn (im Rahmen eines längeren Prosawerks) dafür kämpfen lassen.

Ich hoffe, das klang jetzt nicht zu fies. Viel Positives fällt mir ja (immer wieder) auf bei dir: Virtuoser Umgang mit Sprache, Fantasie, Engagment, außerdem kannst du gut Milieus skizzieren. Hier fehlt aber noch der Haken, mit dem du deine Leser an Land ziehen könntest.

Frohes Fest und guten Rutsch!


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Christof Lais Sperl
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Beitrag23.12.2014 16:25
Themenwahl
von Christof Lais Sperl
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Hallo Nebenfluss, klasse Kritik!
Da ist viel dran, ich sollte noch mehr konkretisieren und meißeln. Den Vergleich mit Peg.. finde ich übrigens klasse, ich denke genau so darüber und fordere auch immer Vorschläge statt Fahnenschwenken.
Alles Gute und guten Rutsch!
LG   CLS


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Lais
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Christof Lais Sperl
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Beitrag26.12.2014 12:39
Erzählung aus dem Kopf 26.12.14
von Christof Lais Sperl
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Heute habe ich nun meine Geschichte erzählerischer gestaltet und verschlankt. Zudem habe ich versucht, Ungereimtheiten zu verdeutlichen.

Eine Geschichte aus der Fußgängerzone
Als Lais den Bahnhofsvorplatz eilig betritt, liegt der noch im fahlen, winterlichen Morgenlicht. Zu warm ist es, und das Jahr noch zu jung, um Hoffnung auf Frühling zu machen. Lais, der sich für diesen Tag einiges vorgenommen hat, entledigt sich seiner Jacke und überquert den großen Platz in Richtung Innenstadt. Er hat sich am Vorabend nicht betäubt, und ein morgendlich beschwingter Teil seiner Seele will prahlerisch die Kraft zeigen, mit der er ihn durch den Tag schieben kann. Nicht ablassen heißt es für Lais: Der Dämon, der ihn niederdrücket, wartet hinterhältig auf Gelegenheit, von all der brodelnden Wut getrieben, den Weg nach oben zu gehen. Lais sieht den langen Schatten, der ihm uneinholbar vorauseilt. Meist ist Lais allein in seinen Gedanken verloren, doch oft durchzieht der Niederdrücker sein Gemüt, und will Oberhand gewinnen. An schlechten Tagen taucht er als körperliche, zweite Seele auf, die Lais vom späten Vormittag bis zur Nacht begleitet. Lais kann das Dasein des Schattens spüren, ihn dabei nicht sehen, und auch kein Mitmensch nimmt den dunklen Gefährten wahr.


Ein Iro dringt seitlich in Blickfeld, steht nun im Wege und holt Luft, Lais anzusprechen. Nein, ich hab’ keinen Euro! bemerkt der im Weitergehen, bevor das Spitzenbüschel, in gespielter Empörung beteuernd, die Stimme erheben kann, bloß die Uhrzeit erfahren zu wollen. Lais dreht sich um. Hinter ihm liegt das barocke Bahnhofsgebäude schwarz im späten Sonnenaufgang, die riesige Uhr muss stehengeblieben sein, keiner kümmert sich. Lais denkt an den Fahrplan, kann die Zeit nur schätzen, und schlägt dem Iro zirka zehn vor.

Mäckesmüll, Dosen, Flaschen, Kippen, gelbe Kotze auf dem hinterm Iro liegenden Weg, den Lais im großzügigen Zickzack weiter in Richtung Innenstadt fortsetzt. Rechts von ihm muss er Platz lassen, Lais ist noch durch ein Asphaltband rasender Autos von der Fußgängerzone getrennt: Premiummänner lassen nebeneinander argwöhnisch große Motoren aufheulen, wenn immer sich Gelegenheit dazu ergibt, bratzen schon bei gelb im ersten Gang auf siebzig, bevor sie vor der nächsten roten Ampel wieder scharf in die Eisen gehen. Nun aber Stillstand. Tiefes Blubbern auf zwölf Zylindern durch das Wummern und Zischen der Audiosysteme. Die Premiummänner lassen wieder aufheulen, als  sich eine Rockerbande mit Weltkriegshelmen wie eine Stahlgewitterbande motorisierter, bösartiger und lauter Nazis hinter dem Geländer am Ampelübergangs links und rechts an den nunmehr langsam kriechenden Autos vorbeischlängelt. Junkies wollen noch schnell ein bißchen Geld bei Rot. Ich heiß Sedi, sagt ein Mädchen. Für was zu Essen. Ampel grün. Rüberhetzen, schon wieder rot, Eine Oma würde das nicht schaffen, sagt er Schatten. Stinkende Mobilität geht vor. Der schnelle Sprung aufs kaugummiberotzte Ufer. Irgendein Irrer schimpft tuberkulös vor sich hin. Durch da. Rechts etwas Platz lassen. Die schnurgerade Straße vor Kopf voller Handyläden in niedrigen Nachkriegsbuden mit Flachdächern, geduldeter Wettbüros, Tatooverschläge, vietnamesischer Nailstudios, billiger Bierschwemmen. Und alle zwanzig Meter Spielsalons auf jeder Straßenseite, allesamt mit der debil grinsenden, gelbweißen Sonne am Eingang. Geöffnete Türen, doch der schwere, kranke Dunst aus den Spielos lässt sich kaum mit der kühleren Frischluft mischen. Aschfahle Automatendaddler, mit ewig glimmender Kippe und Kaffe aus dem Plastikbecher auf verchromten Barhockern, jeder drei Maschinen parallel am laufen. Keine Frau zu sehen, die Männer starren auf wirbelnde Scheiben, blinkende Super-Sieben- und Stoppknöpfe. Dröge Daddeldudelmelodiesn durchkneten den ekelerregenden Raum, bitte nicht, Neonlicht, erst ab achtzehn, kann süchtig machen, mehr Informationen finden Sie, vierundzwanzig Stunden geöffnet. Duftspendergeruch. Blaukräuselnde, qualmende Aschenbecher mit glimmenden Kippen. Eine Stadt voller Idioten, denkt es sich in Lais. Können die da nicht raus? Die Türen stehen offen. Wie kann ein Mensch sein Leben so verplempern? Spielen, nicht um zu gewinnen, sagt der Schatten. Spielen, um immer mehr zu verlieren. Und sei es Lebenszeit. Eine Stadt durchgedrängt mit Leuten, die ihre festgelegte Rolle geben, schnell zu Käufen hindurchfliehen, telefonierend, rennend arbeitend schnell noch mal an der light-Kippe ziehen, bevor sie im nächsten Eingang verschwinden, schnell noch am Handy ein paar Millionen zwischen den sich links und rechts aufragenden Machttürmen verschieben, oder als unsichtbares Stadtmöbel und Hamsemal resigniert dahinlebeln. Lais sieht nur noch Oben und Unten. Zwischentöne gibt es nicht.

Der Schatten fängt schon an, wieder laut in Lais zu denken: Die mühsam erworbenen Ideen passen nicht zu deiner Zeit, denkt es sich jetzt in Lais. Old fashioned und aus der Mode. Die Wut nagt schon an seiner Kraft, den Tag gut gestimmt zu überstehen. Was ist denn heute? Jetzt ist alles geil, die vorübereilenden Kinder sprechen das Wort nunmehr gei-jel aus, alles, was sie nicht fragend intoniert mit hallooo? abkanzeln ist es. Binäres Denken, Lais. Hallo? oder geil.

Der Zustand vollständiger Uninformiertheit gehört, gesamtgesellschaftlich gesehen, natürlich auch in dieselbe ärgerliche Kategorie, siehe Zladko, Elvers und Konsorten, also all das Sprachverstümmelnde, was die Mühle medialen Quarks an Figuren hervorzubringen nicht umhin kann, aber trotzdem zuverlässig Quote liefert, all das Gebrüll zieht sich nun durch Lais Gedankenwelt. Ein hübsches Mädchen blickt durch ihn hindurch. Schon beginnen die Wellen in Lais Kopf, übereinander zu schlagen. Deutsche Billigkneipe. Die Sauf-Glatze an der Tanke ist fast schon in der Mitte der Container-Gesellschaft angekommen, denkt es sich in ihm. Jedenfalls hat sie niemand daran gehindert. Klar, die Mitte auf ihrem Lebensweg zwischen Tattoostudio, BMW und Dermatologen will auch von irgendwas leben, und sei es von den Steuern aus dem Nazishop. Ein kaltes, langes Land im Norden hat umsonst gegen die Verwendung seiner Fahne geklagt, sagt der Begleiter in Lais, als er an irgendeinem Outdoor-Laden vorbeikommt, der ein Stückchen Natur mitten im Asphaltqualm simulieren soll. Bäckerei mit Naturholzregal. Biobrötchen im SUV holen! Das lange Land hatte in seiner Geschichte schon einmal eine Flaggenverwirrung durchlebt. Wozu also nicht noch einmal die Historie wiederholen? Und kurz nachdem das Utöya-Massaker verübt war, haben sie im Osten frecherweise natürlich gleich einen Brevik-Laden eröffnet, man kann ja nie wissen und mal probieren, wie unverschämt diejenigen sein dürfen, die immer das Wort vom Gutmenschen und dem vom schwarzrotgoldenen das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfen im Munde führen, und sich dabei nicht einmal die Frage stellen, ob sie sich folglich zu den Schlechtmenschen zählen lassen wollen. Lais will selbst denken und den Tag retten, doch unaufhörlich drängt der Schatten weiter seinen Monolog nach vorne, deiner, unser aller Indifferenz sei also Dank: Im Zentrum sind all die Haltungslosen eingetroffen, in dem sich auf der Volksbühne der seichten Claqueure rot, grün, schwarz und gelb, am Vorabend neuen politischen und religiösen Wahns, Dümmliches hörend, Dämliches grölend, fußballbegeistert alles drängt und auf die Füße tritt, diesem Tummelplatz hysterischer Träumer von Jamaica, dieser immergleichen und langweiligen Ödnis namens Mitte, in angeblich nur der jedweder Urnengang, egal mit wem, gewonnen werden kann, und an deren Wahlabenden sich fast jede Partei zu den Gewinnern zählt, obwohl sie nicht mal traut, den Entwurf einer Zukunft zu skizzieren, und gerade zehn Prozent verloren hat. Lassen Se mich mal durch! Sagt Lais. Egal, wo du das Kreuz auch machst, du wirst immer nur das salzlos fade Merkeltum bekommen, denkt’s sich in Lais beim Weiterrennen. Der Schatten zeigt nach vorn: Dort baut man schon die Bühne auf. Großbildschirm, Bierbecher, Straßeneckenpisser.  Public Viewing im Zusammenhang mit dem nicht totzukriegenden, ubiquitären Ärgernis namens Sport als Ausdruck zu verwenden, ist auch wieder so eine idiotische Sprach-Verdrehung, die im Amerikanischen bloß die  öffentlich zugängliche Aufbahrung einer Leiche bezeichnet. Das ist aber egal, mein Freund. Hauptsache es klingt irgendwie nach Englisch und Rudelbegeisterung zugleich! Flat! Handy! Tablet Null Euro! und, guck mal, zwischen all den Schrottetablissements in ihren schreienden Farben die Praxis Dr. med. Irgendwer. Seltsam, ein Arzt an dieser elenden Stelle, absonderlich, denn Wissenschaft gilt vielen überhaupt nichts mehr, zwingt es Lais zu denken, man glaubt, Ärzte und Pharmabranche wollten mit ihren Impfungen bloß die Kinder vergiften, schluckt Bachblüten und Globuli, wo Akademisches als zu schwer verständlich all dem Esoterikbrei im Wege steht, und dennoch will sich jeder mit universitären Attributen schmücken, wo gar keine sind, und legt sich wohlklingende Berufsbezeichnungen voller Diplome zu. Da sitzt dann einer als Podologe in einer Praxis, wo Oma die längste Zeit noch in die Fußpflege gegangen war. Egal, wenn’s wirklich mal weh tut, sitzt man mit Morphinhoffnung doch wieder im Wartezimmer zwischen all den anderen Omas, die nur zum Zeitvertreib hingehen, und so häufig den Arzt wechseln, wie sie in ihrer Einsamkeit mit den Zeitschriften und der Diagnose nicht mehr zufrieden sind.

Lais biegt nun um die Ecke, fast hat er sein Ziel erreicht. Er hat ja nicht vergessen, was er tun wollte, links eine Buchhandlung. Ein Relikt, in dem man noch was entdecken kann, ohne Eso-Regal oder Lebenshilfeecke wie bei Thalia und Hugendubel. Ein TV-Laden. Was flimmert? RTL II und Ski Alpin. Nach Luft ringende Mitzis und Vronis in Siegertreppchenglück und engen Schneeanzügen. BILD für’s Auge. Rosafarbene Mannermützen. Im Hintergrund keine Berge, sondern Audi, VW, bwin, Pepsi, Burger Queen. Schon Broch schreibt in der Massenwahntheorie dass, du hast sie doch im Kopf, unmittelbar vor einer neuen Katastrophe, wie es beispielsweise eine österreichische Reinkarnation mit Quadratbart wäre, eine Periode der idiotisch leichtlebigen Vergnügung und irrationalen Träumerei, eine schöne Zeit von Spiel und Sport und Frömmelei, eine Art der Goldmond- und Tulpenstolz-Seligkeit vorausgeht. Keiner hat mehr die Kraft eine Position anzunehmen und das, was man als Parteien bezeichnet sind nur noch positionslose Karrierevehikel, die Meinungsfelder strategisch günstig besetzten und sich wie ein Ei dem anderen gleichen. Denn keiner mehr weiß die überkomplexe Antwort. Lediglich kollektive Erektionen geistern als Wegwerfprodukte zwei, drei Tage durch die Medienwelt, um dann schnell wieder im gesellschaftlichen Keller zu verschwinden. Zum ersten Mal ein deinem Leben weißt du nicht mehr, ob und was du wählen sollst, fragst dich, ob die jeweilige Opposition überhaupt noch den Willen hat, eine Regierung abzulösen, oder nicht einfach nur gutdotiert mitklüngeln will, und all das, ohne Zukunft zu entwerfen. Ist alles zu komplex geworden, so unüberschaubar, dass nicht einmal der Profi noch weiß, an welcher Schraube gedreht werden soll? Und sind nicht die schwächlichen Versuche der sich für fortschrittlich und links haltenden, mit ihrem fast als lächerlich zu bezeichnenden Klamauk des Mainstreaming Politik zu gestalten, zur clownesken Zirkusnummer verkommen, in der vom Direktorat Vorschläge wie demjenigen gemacht werden, aus dem Martinsfest einen Sonne-Mond-und-Sterne-Tag zu machen - bloß um keinen der Menschen zu verprellen, deren überreizte Reaktion man einfach mal so in die Zukunft herauspostuliert?  Könnte es nicht sein, dass all euer engagiertes Streben für sprachliche und sonstige Chancengleichheiten  - Rad Fahrende versus Radfahrer - nicht in Wahrheit, wie die neuen, angepassten Grünen, längst schon schwarze Trojaner der Rechten sind, philosophische Angelhaken, die die Dummen unter den Linken anbeißen lassen, damit man sich später fingerzeigend über sie lustig machen kann?

Lais hat schon ein wenig Hunger, das spürt er noch in sich, will den Schatten wegschütteln, der an ihm klebt und in ihm nagt.  Drüben ein Thai-Imbiß. Na ja, ein bisschen hält er’s noch aus. Physiologie asiatischer Sprachen, denkt sich’s:  Du hast lächelnd erkannt, dass in ihnen das weibliche Element hochgradig mit allerlei Partikeln und Pronomen markiert ist. Doch wie ist die Situation der Frauen denn nach tausenden Jahren mandeläugiger Sprachgeschichte, Lais? In den meisten Fällen Pustekuchen, denn die bloße Markierung im führt genau so wenig zur Besserung sozialer Gegebenheiten, wie die Erfindung geschlechtsneutraler Wörter. Bist du überrascht von allem? Bereitet es dir Angst, wie deinen  gläsernen Kopf schon wieder nach unten steuere, die Gedankenmühle noch schneller drehen lasse, dir aus dem Mund spreche, mich in dir spreche wenn du mit Zeitgenossen redest, und auswendig wie ein Lieblingslied schon kenne, was du tausendmal in wachen Nächten vor dich hingedacht hast?

Kahles, übertätowiertes Türstehertum vor der nächsten deutschen Vierundzwanzigstundenkneipe. Drin allerlei schon am Morgen Besoffenes. Der Sportkanal hängt mit einem verqualmt flimmernden Dynamospiel über der Theke. Der Vorposten im türkischen Viertel. Man hält sich für besser, bewohnt allerdings die gleichen Viertel und hängt als Kontrast die Fahnen mit dem Adler aus den blinden Fenstern. Lais wird es im Vorübergehen ungemütlich. Ohne die Jacke lässt der Schweiß in nun frösteln. Er beschleunigt seinen Schritt um Hitze zu schaffen. Terror der Siebziger, sagt der Schatten, der auch schneller geworden ist: Hat dreißig Menschen das Leben gekostet. Dieser Tatsache den Gedanken gegenüberstellen, dass seit einundneunzig um die hundertsechzig Menschen durch  braune Gewalt gestorben sind, das macht dir wütende Freude, oder? Einen Schwarzen haben sie sogar aus dem Zug geworfen, stand im SPIEGEL. Doch statt Sonntagsreden und Lippenbekenntnissen fällt der Merkelrepublik nichts mehr ein. Es sei denn, Menschen singen unter schwarzrotgoldenen Fahnen marschierend Weihnachtslieder und schimpfen dumpf vor sich hin, ohne in Ermangelung von Intelligenz Vorschläge zu machen. Da heißt’s dann flugs: Die kommen aus der Mitte der Gesellschaft, und stellen berechtigte Fragen, die man ersnst nehmen muss. Seltsam. Als in Bonn hunderttausende demonstriert haben, wurden sie als fünfte Kolonne Moskaus abgekanzelt. Heute also ganzes Gegenteil, denn Braun geht immer: Mit Naziware wird gutes Geld gemacht, und das heiligt allemal die Arbeitsplätze am Standort Deutschland. Internet, offizielle Shops - Stajner, Konstabler, Störfunk - das ganze Programm in Frakturschrift lieferbar. Auf den Demos läuft Mancinis Panther, der Soundtrack zu den tödlichen Anschlägen vor Zwanzigzwanzig, und die Demo will niemand verbieten. Ermittler, die engagiert nachforschen, werden zur Radar-Kontrolle an Straßenkreuzungen verbannt und wie in französischen Krimis kaltgestellt: Ermittlungen gegen Nazis sind schlecht für den Fremdenverkehr und im Zweifel steht der Teufel immer links. Da zerrt man gern jeden Pfarrer, der gegen die Kacke protestiert, von den Kadi, und da aus fadenscheinigen Vorwänden Selbstlähmung wird, und dem spätestens 1914 wieder aufgetauchten, Weimarer Untoten namens Rechtsblindheit gegen Rechte aller Art, ihrer Propaganda und Geschäftchen niemand wirklich etwas entgegensetzen will, schlägst du in schlafloser Nacht ein Kunstprojekt für die nächste Documenta vor - und wir sind gespannt, wie lange die Performance von den Behörden unbehelligt durchgezogen werden könnte: Der RAF-MART! Mit T-Shirts samt  Stern und Maschinengewehr, Modellen zerschossener alter Mercedes-Limousinen, mit Konterfeis von Baader, Meinhof, Ensslin, Raspe, Meins. Mit linksradikalen Stickern, Postern, Buttons, Fahnen, Ahler Wurscht in Bombenform, Schleyer-Konterfeis, Rio-Reiser-Chorabenden und CDs der noch zu gründenden Band Die toten Investmentbanker. Ihr bildet dazu auch noch die rote Jugendorganisation MAKAWEKA (Macht kaputt, was euch kaputtmacht) mit Zeltlager, Volxküche und politischen Schulungen im Stalin-Zelt, infiltriert Kitas und Grundschulen (Die rote Pippi), bietet Che-Guevara-Abenteuerurlaube in der nachgebauten Baracke des großen Zigarren-Comandante und wartet gespannt, wie lange der Verfassungsschutz das Ding noch röcheln ließe. Vor dem Laden müsste eine rote Stoppuhr im Design der Schuldenuhr laufen, die die Zeit bis zur Schließung erfasst. Und ihr feiert und wartet dabei, wie lange sie brauchen, um den, selbstverständlich  US-Servern gehosteten, Onlineshop kampf.com vom befreundeten Geheimdienst abschalten zu lassen.




All die Leute, die uns mit ihren müden und verzerrten Gesichtern hier entgegenkommen, haben entweder keine Ahnung oder es ist ihnen alles schon egal. Fraß hinschmeißen. Brot und Spiele. Funktioniert immer. Lais möchte ein Bild betrachten, aber der Schatten drängt ihn an einen Zeitungsstand weiter vorn. Weiter weiter, keine Rast, Lais, denn wichtige Meldungen aus der konjunktionsarmen BLÖD brettern an der Ecke vorn ins vorüberschweifende Auge. Ja noch mal! BLÖD, BLUT, BLIND musste und muss das Ding immer noch heißen, obwohl die Chefetage sich mittlerweile zum Hipsterteam aus dem Silicon Valley samt Rauschebärten und Nerdbrillen umstylen lassen hat. BLÖD, denn wir schätzen Manne, den Liebling Kreuzberg und Becker (aber nur den Jurek).  BLÖD meldet, dass ein überbezahlter Rasenläufer mit Kurzhose unter nationaler Anteilnahme ein Silikonsternchen ehelicht! Oder doch lieber das konjunktionsarme Originalidiom? Bum Bum Becker, Deutschland jaaa!!! So was lesen die, ohne zu kotzen. Und zahlen noch dafür, als wären Sätze Klingeltöne. Die Russen benutzten in der Sowjetzeit die Prawda als Klopapier, und zum Zigarettendrehen. Die Franzosen leisten sich gar keinen Boulevard-Dreck. Die haben nur ihren France Soir. Der liest sich im Vergleich zur BLÖD aber wie ein Intellektuellenmagazin, aber nicht nur, weil Französisch ziemlich intellektuell klingt, wenn es nicht gerade von bretonischen Politikern oder ehemaligen Sexsymbolen kommt, die jedes Eselchen retten, jeden Araber aber am liebsten rausschmeißen würden. Nein, die Sätze sind besser geschrieben. Wenn uns Späthippies schon nichts mehr bleibt, dann eint uns wenigstens noch der uferlose Groll auf diese laute Mitteilungsposaune, die in  der letzten Zeit noch viel gefährlicher geworden ist als jemals zuvor, denn sie gibt sich linkspopulistisch, kritisiert Managergehälter und serviert leicht zu erlegende Kollateralpersonen wie Wulff als Bauernopfer ab. Besorgt in Wirklichkeit allerdings das Geschäft der äußerst Rechten. Augstein Junior hat nicht umsonst geschrieben, dass die Zeitung noch bedrohlicher geworden ist durch das, was sie laut verschweigt!

Lais reißt sich weiter, zur Rolltreppe, drängt sich ganz rechts an den Handlauf aus warmem Gummi. Doch der Schatten ist schneller, packt Lais hinterrücks und lässt ihn auf dem Weg in die Musikabteilung an einer immensen Wand haltmachen, deren verspiegeltes Ende man im Gewühl kaum mehr erkennen kann, und die vollständig mit Bildschirmen behangen ist, auf denen das immer wieder gleiche Bild eines Schlips und Mantel tragenden, glatzköpfigen Mannes zu sehen ist, der affektierte Armbewegungen in der Art eines Schlagerstars vollführt, und in ein Mirophon singt. Seine Musik klingt wie Führerhauptquartier mit E-Gitarre und Zuckerguß. Angeekelt drängt Lais weiter, reißt den Schatten nun mit sich mit, in den Charts, spricht es sich in Lais, ganz oben, Nummer eins.


Lais nimmt die Neuauflage von Bongo Fury, geht zur Kasse, zahlt, der Schatten, am Mittag nun schon ein wenig schwächer, trottet nur noch nebenher, Lais aber, schon erschöpft, drängt hinaus in die Menge, noch ein paar Konzerttickets, was essen, die Besorgung ist gemacht, heim, schon sechs, Glotze an, die Welt wie sie sie gern hätten,  zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, we feel alright every single dayayayayay, alle Angaben wie immer ohne Gewähr, danke, Lino, eine Nachrichtensendung, die das Unwichtigste des Tages aufbereitet, mehr Informationen finden Sie wie immer im Internet unter zdf.de (der spricht den Satz, als habe er das Internet gerade erst entdeckt), der glanzgegelte Koksmann schon wieder nach der Lifta-Werbung, Schatten, Schatten, erklär mir mehr, klar, bekannt als moralinsaurer Sofa-Chefankläger und notorischer Funk- und Fernsehschwätzer, der sich, lang bevor er mit dichten Pupillen, voller Birne, Nase und einigen Nutten im Hotel erwischt wird, als eine Art grinsender Caesar Flickermann des Öffentlich-Rechtlichen mit den Altnazis und Parteifreunden solidarisiert, indem er früh schon, als wirklich fast alle bundesrepublikanischen NS-Rentner mit ihren dicken Pensionen noch lebten, in dessen Altherren-Sammelpartei eintritt, und den verfrühten Oswald Metzger gibt, also gleich ohne Umweg nach rechts oben flutscht. Und dann: Rauf aufs Talkshow-Sofa. Ruf aus den Lehrstuhl der Öffentlichen. Rücken an Rücken. Aasiges Grinsen und Sich-Aalen im Rampenlicht. Hoch zu den jüdischen Vermächtnissen und  brutalstmöglichen Aufklärern! Wo sitzt denn da das Rückgrat, meine Damothern? Ranicki musste wenigstens noch aus pekuniärem Antrieb zur Zeitung für kluge Köpfe und ihren Empfängen mit all den Altnazis, aber der Koksmann hatte doch vorher schon jede Menge Knete in der Tasche. Nun ja, er fand das wohl spannend: Dunkler Teint, gegeltes Haar, französische Sozialisation und dann auch noch christdemokratisch! Wie wenn Woody Allen Mitglied bei der NRA würde, klingt das, oder wie Cohn-Bendit in der NPD. Er ist nach dem hessischen Spruch mit den Vermächtnissen ja dann ausgetreten, aber nicht wirklich, nur den Landesverband, nicht den Verein hat er gewechselt. Welch starker Charakter! Chapeau möchte man fast sagen. Aber keine Angst, liebe Konservative, für euch kommt auch noch was ganz Leckeres:  I.M. Notar, PDS und  Stasi-Schäferhunde kriegen in der nächsten Geschichte extra für euren persönlichen Höhepunkt auch noch ihr Fett weg, denn das war nur der erste Streich, Leute. Daher nun flugs zurück zum gesamtgesellschaftlichen Thema, an dem wir uns hier abzuarbeiten versuchen: Da macht, zweitens, ein Nussknackergesicht mit Pinkelprinz-Fresse im Kohlschen Titten-TV die steilste Rampensau-Karriere, indem es als Fernsehselektator diverse Arschgeweihte und andere Bildungsferne, die oft weder singen noch einen zusammenhängenden Satz zurechtstammeln  können, vom Schreibtisch aus grinsend abserviert: Mein Hintern furzt besser, als du singst! Du kommst weiter. Und bei dir schaumermal. Der Nussknacker selber aber? Texte mit, nun ja, Tiefgang: Chéri Chéri Lady! Beeindruckend! War das nicht um Längen besser, da wenigstens Franglais, als später das Wadde hadde dadde du von der anderen millionenschweren Grinsebacke? Das muss die Apokalypse entscheiden und die kommt noch früh genug: Drei grinsen, einer gewinnt.


Der Wein wärmt und Lais ist schon bei der zwanzigsten Zigarette angelangt. In Österreich ist, zum dritten, brüllt sich’s im Kopf (nein, der viele Wein beruhigt nicht, und der Schatten ist wieder stärker geworden) gerade ein eloquenter Schönheitsbruder des Nussknackers - wenn auch mit weniger Falten im Achtzigergesicht - betrunken mit hundertsiebenundvierzig in einer geschlossenen Ortschaft ums Lebensmensch-Leben gekommen. Eine saubere Abwrackarbeit vom gut katholisch verheirateten Feschisten (Zeit online) und seiner Ortstafel-Besessenheit. Lais, du hattest zum Zeitpunkt der TV-Meldung gerade ein Twix™ gegessen und dir ganz esoterisch gedacht: Ich sollte öfter mal solche einen rotgoldenen Schokoriegel essen, wenn dann immer gleich was passiert. Oder gleich ein Fünferpack drauf einwerfen,  denn viel hilft viel. Das hat mir gefallen, weil es so zynisch war. Die Ösis hatten übrigens mal ein tolles Plakat zum Thema: Raider heißt jetzt Wix. Nun ja, bei uns in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Schwalm-Eder schlagen sie die Ausländer auf der Straße gleich direkt tot, während sie im Ösiland nicht eigenhändig töten, sondern die Operation nur verbal vorbereiten. Sie sitzen in Gremien und Parlamenten, verteilen Ressentimenthäppchen und warten dann in ihren sakkobedeckten Edel-T-Shirts ab, was auf der Straße passiert. Ihr heimlicher G’söchter hatte natürlich eines der anständigen Autos - als solche hatte der von einer spanischen Telefongesellschaft geschmierte FDP- Politiker Mutweib einmal ganz marktliberal die deutschen Fabrikate bezeichnet: Und er, der Twix, war ja ein echter deutschnationaler Phaetonfahrer, denn österreichische Autos gibt’s ja leider nicht. Nur a bisserl zu angegast war er die Kurve angegangen, mit Gas haben wir alle ja Erfahrung. Und auch die NPD hat Plakate mit Gas geben. Ganz der jungdynamische Bleifuß, denn so sind sie, die freiheitlich rasenden Leistungsschwänze und SS-Verehrer ohne StVo-Kenntnisse. Auch mancher Entwicklungshelfer fährt heute gern nobel wie man immer wieder liest: Mit der Riesenschüssel von Audi von Berlin nach Afrika brettern und den guten armen Mohren dann was vom Klimaschutz erzählen. Hauptsache das Logo ist gut designt. Die Jungdynamiker  warten auf die Ölkrise, wie sie selbst sagen, damit die Autobahn endlich wieder unterschichtfrei ist. Sind aber trotzdem, siehe Twix, dann irgendwie doch zu blöd zum Fahren wenn’s wirklich mal drauf ankommt! So einen kann man als Führer nicht verwenden, liebe Leute.

Dein alter Zahnarzt, ein leistungswilliger und lauter Dauertelefonierer, sagte mal in der Blüm-Zeit am Apparat, so hieß das damals noch, du hörtest alles mit, schon kopfüber mit mir im Behandlungsstuhl: Arno wollen wie mit deiner Piper oder meiner Cessna zur Demo nach Bonn fliegen? Der nagte wie alle Kollegen auch ganz furchtbar am zahnärztlichen Hungertuch und semmelte immer mit siebzig durch die Dreißigerzone. Wahrscheinlich zum Sprit sparen, um was fürs Flugbenzin auf die Seite legen zu können. So sind sie. Früher einen forschen Pimmel, heute einen Porsche-Fimmel. Fragt mich jetzt nicht von wem das ist. Klingt aber irgendwie nach Erhardt. Na ja, in der Praxis habe ich dich dann noch zurückgehalten, war auch besser so, hätte nur wieder Ärger gegeben.

Sie haben dem schönen Hussein-Freund (Antisemiten verstehen sich untereinander entlang der Achse des Bösen über Grenzen hinweg) dann  ein Kerzenmeer samt Foto-Altären bereitet, und schnitten nebenbei und ganz christlich abendländisch einem Komikerpaar, Stermann und Grissemann, mal eben schnell die Bremsleitungen durch, denn die hatten Kritik gewagt an der schluchzenden ORF-TV-Übertragung in nordkoreanischer Façon, wie Roman Rafraider das Gepräge so treffend genannt hat. Kritik an dieser kärntnerischen Servilität in der Kreuzmoschee, der großen Mützenversammlung und ihren  unverständlichen Lateinlitaneien wollte keiner hören. Ein Mann bat im Kerzenmeer um Vergebung der Sünden. Bei dem, da braucht’s ja eine Sündenvergebungsmaschine, die wie eine Tibetanische Gebetsmühle mit Turbolader, eine Kettensäge oder Maschinengewehr funktioniert. Allen wird doch sowieso irgendwann vergeben werden, da muss sich doch eh keiner mehr anstrengen. Wozu dann  den Religionsmumpitz überhaupt noch durchziehen, wenn’s gar nicht mehr drauf ankommt? Die Sonne über Kärnten sei untergegangen, hieß es im großen Beerdigungsbahnhof. Stermann und Grissemann spielten im TV dazu passende Klageweiber, wie sie sich auf serbischen Friedhöfen krümmen und gegen Geld zwischen den Kreuzen rumheulen. Also ratsch, wie gesagt, die Bremsleitung. Im Überlebensfall zweihundertsiebzig Euro.

Auf das eine oder andere Gestirn kann man getrost verzichten. Man kann Figuren schnitzen. Unters Dach vom Heiligenhäuschen damit, und an die Landstraße, hinter die deutsch-slowenische Ortstafel, damit man sie nicht sehen kann und wenigstens mal ein Dorfund dranpisst. Nun haben sie sogar noch eine Gebetsliga zur Heiligsprechung im Netz eingerichtet, von der allerdings niemand so recht zu sagen weiß, ob sie ernst gemeint ist oder nicht. Allerdings war der Schnellfahrer, dass muss man ihm zugute halten, wenigstens immer schon so ein richtig aufrichtiger Reaktionär, ein ehrlicher, gepflegt aussehender, sportlicher Wadenbeißer mit verbaler Stärke überm grünbraunen Janker, dieser vereinheitlichten Tarnkluft aller bürgerlichen Neofaschisten aus Nord und Süd. An dem konnte man sich reiben und wusste was, man kriegt, wenn’s nicht gerade eine marode Bank war. Nicht so wie bei den Rollkragenträgern von der JU, den geborenen Bundeskanzlern, die heimlich verpönte Zeitungen lesen, immer locker daherkommen, schon mit dem Diplomatenkoffer in der Hand vernetzt aus der Muttermuschi gestiegen sind, und dann nur heimlich im Ortsverein, also sozusagen unter der Hand,  gegen jeden mit einem Ö im Namen hetzen, der nicht zufällig Profifußballer ist.

Obwohl, so manche haben’s ja auch verdient, dass man ihnen ein wenig an den Karren fährt. Schön, dass die Jungkonservativen für dich draufhauen, Lais. Da brauchst du dich als Machiavellist nicht selbst anzustrengen, da sollte man alle Idioten für sich und gegeneinander laufen lassen. Wo bei all dem Ungemach persönlicher Einschätzungen noch diejenigen die schlimmsten sind, die tagelang durch die Fußgängerzone latschen und die Wahrheit mit Löffeln gefressen haben. Bei denen fängt zur ganzen Schmach auch noch jeder Satz mit dem Wort Möge an. Es ist einfach nur gefährlich, wenn man denen mit der Toleranz entgegentritt, die für den blauweißen Bierzeltkatholizismus nicht gelten soll. Neulich hat der Wulff im Schafspelz, also der von Niedersachsen und erste  feel-good-president aus der Prä-Gauck-Ära, eine Türkischstämmige zur Ministerin gemacht. Und da hat die gleich mal gefordert, die Kruzifixe aus den Klassenzimmern zu entfernen, und das auch noch als CDU-Tusse. Das gab ein Geheul von tausend Sirenen, wie damals, als sich Göring-Eckardt einen Toyota gekauft hat. Da hat eine von Christdemokratie und Deutschland-Mechanismen wohl eher wenig verstanden. Naivität also auch auf Migrantenebene: In Deutschland angekommen, gleich mal rin in de CDU, aber von allem trotzdem nix kapiert. Ein Trauerspiel opportunistischer Karrieregründe. Die Rechten und wir alle wissen auch nicht mehr, wohin mit all den Doofen und keiner kann mehr sagen, wie dieses Land eigentlich funktioniert. Ist’s legitim, Lais, den Dummen Ideen anzubieten, die wirklich jeder Trottel nachvollziehen kann, und welche wären das? Was tun mit all den Ausgenutzten, die sich längst schon vom Gemeinsinn verabschiedet haben? Was denen sagen, die noch in dritter Generation auf Ablehnung stoßen und sich folglich leere, fragwürdige Identitäten  schaffen, die bar jeder Geschichte vor sich hindümpeln und nur auf Gelegenheit zum Fressehauen warten? Was tun mit den Forenschäumern, die unter einen Bericht über ein pakistanischstämmiges Supermodel aus Offenbach ätzend posten, dass die „Systempresse“ hier wieder nur das Märchen von der Kulturbereicherung durch „Paßdeutsche“ erzählt, um den wirklich Deutschen weiszumachen, dass alle Einwanderer wertvolle Akademiker und Macher sind? Wie man’s auch dreht, es ist immer falsch, sagt der Schatten, arbeiten sie, nehmen sie den Deutschen die Arbeit weg, tun sie’s nicht, liegen sie ihnen auf der Tasche und sind sie erfolgreich, werden sie zu Chimären der „Lügenpresse“. Ist die Welt, Lais, nicht schon so kompliziert geworden, dass man dem Zufall überlassen sollte, was er als Zukunft sich zusammenwürfeln wird?

Schnelles Brötchen, Bier, Zähneputzen, CD von Pavement, noch mehr griechischer Wein, schenk’ noch mal ein, Zigaretten, es dreht sich schon wieder alles, ich will handeln, aber wie? Wählen, aber wen? Handeln, oder nicht? Lais ist müde und schläft schnell ein, die Gedanken werden fassbarer, ermatten, nehmen Gestalt an, der Schatten ist nun ganz still geworden, alles dreht sich, Lais hat zur Sicherheit ein Bein aus dem Bett hängen lassen, der Fuß berührt den Boden, es gibt kein Zurück, Lais träumt einen tiefen Traum, in dem er, wie in einem Computerspiel, die volle Kontrolle hat. Er dreht sich, und die Landschaft dreht sich mit. Er will geradeaus und geht geradeaus. Er tut, was er will. Ein Luzidtraum. Man kann das trainieren. Lais will das tun. Will was tun.


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Windgesang
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Beiträge: 28
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Beitrag06.01.2015 22:49

von Windgesang
Antworten mit Zitat

Hallo Christof,

Zunächst mal: ich bin durchaus beeindruckt von deiner Sprache, deiner Wortwahl. Da ziehe ich meinen Hut.

Und jetzt etwas detailliertere Kritik...

Ich finde die Stadt an sich gut beschrieben. Aber - und das ist (für mich) ein großes Aber: es ist mir zuviel. Ich komme beim Lesen gar nicht hinterher, mir alles vorzustellen, werde genauso reizüberflutet als würde ich da durch die Straßen laufen - oder vielleicht sogar noch mehr, weil ich mich dem nicht entziehen kann.
Es gibt immer wieder Elemente, die interessant beschrieben sind, die mich in die Situation ziehen - dazu zählen insbesondere die Begegnung mit dem Punk und die Beobachtungen an der Ampel mit den "Premiummännern". Aber allgemein ist es mir zuviel und zuviel beeinflusst durch Lais' negative Haltung zu allem und jedem.

Dann zu Lais selbst: er ist der Beobachter, aber er ist nur wenig mehr. Er hat einen Schatten, okay, offenbar hat er Probleme, aber ansonsten bleibt er gesichtslos. Und schon kurz nach Beginn des Texts beginnt er mich zu langweilen und zu nerven. Nörgelt über alles, weiß alles. Weiß alles über deutsche Politik, über früher und heute, hat eine Meinung über jeden. Da er aber eine starke Draufsicht auf die Welt hat, die er betrachtet, und sich selbst wenig als Teil davon sieht, wird er nicht gerade interessant.
Nach einem weiteren Stück Text denke ich mir, dass Lais jemand wäre, vor dem ich selbst bei einer flüchtigen Begegnung in der S-Bahn flüchten würde, da ihn alles nervt, da er scheinbar über nichts zwei Mal nachdenkt oder es reflektiert (Beispiel: der "Sonne, Mond und Sterne-Tag").
Ich muss den Protagonisten nicht uneingeschränkt sympathisch finde, aber ich muss etwas an ihm finden. Irgendwas. Da Lais in diesem Text nur nörgelt und ansonsten eigentlich keine Eigenschaften besitzt, fehlt mir dieses Irgendwas.

Die Frage für mich ist...
Was möchtest du mit deinem Text? Möchtest du deinen Unmut über politische Entwicklungen äußern? Dann wären vielleicht ein Essay oder ein Kommentar die geeignetere Textform.
Soll dies der Anfang einer längeren Geschichte sein? Dann würde ich mir als Leserin einen sympathischeren und greifbareren Protagonisten wünschen, weniger Draufsicht, mehr Konzentration auf einzelne Schwerpunkte auch bzgl. politischer Ereignisse.

Ich muss leider zugeben, dass ich nach der Hälfte des Textes aufgehört habe wirklich zu lesen, weil es mir einfach zuviel Genervtheit war, zuviel Arroganz... und eindeutig zu wenig Handlung.
Das ist schade, denn ich finde deinen Stil und deine Sprache, wie zu Beginn schon gesagt, überaus ansprechend.  

LG
Windgesang


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Fiction is a necessity.
(Chesterton)
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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag07.01.2015 09:53
Hallo Windgesang
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für die Kritik. Ich glaube, die trifft's. Sicherlich muss ein Protagonist nicht symphathisch sein, aber er muss differenziert sein.
Und die Politik wäre vielleicht in einem Dialog besser aufgehoben.
Ich wollte einen Gedankenfluß, einen psychischen Zustand beschreiben.
Das ist mir wohl nicht gut gelungen.
Der Text enthält auch viel zuvor "Entsorgtes" auf anderen Texten.
Wie die Profis sagen, ist der Papierkorb das Wichtigste. Das sollte ich wohl beherzigen.
LG, CLS


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Zeitenträumer
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Beitrag07.01.2015 13:52

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Zitat:
Möchtest du deinen Unmut über politische Entwicklungen äußern? Dann wären vielleicht ein Essay oder ein Kommentar die geeignetere Textform.

Das halte ich für eine hervorragende Idee!

Denn die Abschnitte, in denen Lais nicht vorkommt, z.B. der über die Bild-Zeitung, lesen sich ganz vorzüglich und sind interessant.

A propos, nur weil es bei dir so selten ist und mir grade auffiel:
Zitat:
Die Franzosen leisten sich gar keinen Boulevard-Dreck. Die haben nur ihren France Soir. Der liest sich im Vergleich zur BLÖD aber wie ein Intellektuellenmagazin, aber nicht nur, weil Französisch ziemlich intellektuell klingt, wenn es nicht gerade von bretonischen Politikern oder ehemaligen Sexsymbolen kommt, die jedes Eselchen retten, jeden Araber aber am liebsten rausschmeißen würden.

 Cool  Kannst das zweite "aber" m. E. einfach streichen.

Beste Grüße,

David
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