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Paradigma Klammeraffe
Alter: 54 Beiträge: 959 Wohnort: Östlich von Westfalen
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07.01.2013 21:36 Zwei Ich-Erzähler? von Paradigma
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Nach einer etwas längeren Diskussion hier im Hause könnte ich etwas fachkundigen Input vertragen.
Ich schreibe gerade einen längeren Text über etliche Kapitel. Ursprünglich sollte es einen eingeschränkt auktorialen Erzähler geben, dessen Erzählperspektive die Hauptfigur ist.
Dieselbe ist nun aber - zu mindestens am Anfang - eine ganz liebe, harmoniebedürftige Person mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, leicht zu verunsichern und am liebsten ginge Sie jedem Konflikt aus dem Weg. Dabei ist die Außenwirkung der Person deutlich stärker, als sie sich selber wahrnimmt. Von außen betrachtet ist sie jung, hübsch, talentiert und auf dem Weg zum Erfolg, sie muss es nur erst selber realisieren.
Kurz: Schon nach 3 Kapiteln finde ich die Hauptdarstellerin und ihre ewigen Selbstzweifel langweilig wie geschnittenes Brot. Nun gibt es da natürlich auch einen jungen Mann, der sich um ihre Aufmerksamkeit bemüht. Dieser hat natürlich ein ganz anderes Bild von ihr, und ist selber auch mit einer guten Portion Zynismus und Melodramatik gesegnet. Auch dieser Mann spielt eine tragende Rolle.
Deswegen habe ich das erste Kapitel, in der beide Hauptfiguren vorkommen, kurzerhand aus der Ich-Perspektive des jungen Mannes erzählt - und ja, das funktioniert großartig.
Das geht aber eben nicht immer, denn es gibt ja einige Kapitel, wo die Prota alleine ist. Außerdem möchte ich ja schon ihre Entwicklung möglichst nah aufzeichnen. Von daher wechselt nach der ersten Sequenz die Erzählperspektive in die Ich-Perspektive der Prota. Die weiteren Kapitel können tatsächlich abwechselnd von beiden Hauptfiguren jeweils aus der Ich-Perspektive erzählt werden.
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Ein rhythmischer Wechsel zwischen zwei Ich-Erzählern. die jeweils schon eine ganz eigene Sprache und ganz unterschiedliche Arten die Welt zu sehen haben - funktioniert das?
Klar, ein auktorialer Erzähler kann aus der Perspektive mehrerer Personen berichten, das geht sogar innerhalb der gleichen Sequenz. Aber mir fällt ums verrecken kein Beispiel ein, wo sich zwei Ich-Erzähler szenenweise abwechseln. Sind euch Beispiele bekannt? Haltet ihr diese Möglichkeit für sinnvoll? Was spricht dagegen?
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Möglich wäre es auch, für jede der beiden Hauptfiguren eine eigene Prämisse zu setzen und damit ihm Prinzip zwei verschiedene, aber miteinander verflochtene Geschichten zu erzählen. Damit hätte in meinen Augen auch der Wechsel der Erzählperspektive mehr innere Logik. Wie seht ihr das?
Grübelnd,
Para
_________________ Schreib den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt auch den zweiten lesen will.
William Faulkner |
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Akiragirl Dünnhäuterin
Alter: 33 Beiträge: 3632 Wohnort: Leipzig
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07.01.2013 21:58 Re: Zwei Ich-Erzähler? von Akiragirl
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Paradigma hat Folgendes geschrieben: |
Ein rhythmischer Wechsel zwischen zwei Ich-Erzählern. die jeweils schon eine ganz eigene Sprache und ganz unterschiedliche Arten die Welt zu sehen haben - funktioniert das? |
Ob es funktioniert oder nicht, hängt davon ab, wie gut du das umsetzen kannst. Möglich ist es aber auf jeden Fall; ich habe das bei meinem Roman auch so gemacht und bisher hat sich zumindest noch keiner beschwert, dass er durcheinandergekommen wäre.
Als Beispiele für Romane mit wechselnden Ich-Perspektiven fallen mir "Ich und die anderen" oder "A long way down" ein; es gibt ganz bestimmt noch einige mehr, auf die ich nur gerade nicht komme
_________________ "Man bereut nicht, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat." (Mark Aurel) |
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Gast
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07.01.2013 22:05 Re: Zwei Ich-Erzähler? von Gast
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Hallo Para,
kurz und knapp:
Paradigma hat Folgendes geschrieben: | Ein rhythmischer Wechsel zwischen zwei Ich-Erzählern. die jeweils schon eine ganz eigene Sprache und ganz unterschiedliche Arten die Welt zu sehen haben - funktioniert das? |
Ich finde: Ja.
Zitat: | Aber mir fällt ums verrecken kein Beispiel ein, wo sich zwei Ich-Erzähler szenenweise abwechseln. Sind euch Beispiele bekannt? |
Spontan fällt mir "Die Frau des Zeitreisenden" ein. War und ist erfolgreich. Ich gestehe, ich hab's nicht ganz gelesen, aber das lag nicht an den Ich-Perspektiven, sondern an allem anderen.
Zitat: | Haltet ihr diese Möglichkeit für sinnvoll? |
Ja, durchaus. Ich bin ja ein bekennender Ich-Perspektiven-Junkie, und ich finde, dass es eine absolut reizvolle Möglichkeit ist, den unterschiedlichen Erzählton verschiedener Charaktere aufs Papier zu bringen.
Zitat: | Was spricht dagegen? |
Meiner Einschätzung nach nichts. Man liest zwar in Foren immer wieder, dass die Ich-Perspektive angeblich so verpönt ist, aber meiner Erfahrung nach sehen die Verlage / Agenturen das absolut nicht so. Auch bei mehreren Ichs, sofern die Erzählstimmen möglichst klar voneinander abgegrenzt sind.
Zitat: | Möglich wäre es auch, für jede der beiden Hauptfiguren eine eigene Prämisse zu setzen und damit ihm Prinzip zwei verschiedene, aber miteinander verflochtene Geschichten zu erzählen. Damit hätte in meinen Augen auch der Wechsel der Erzählperspektive mehr innere Logik. Wie seht ihr das? |
Das verstehe ich jetzt nicht so ganz - vielleicht müsste man dazu mehr über den Inhalt wissen ... Bei nur zwei Charakteren, die ja ohnehin unterschiedliche Motivationen haben und Ziele verfolgen, ist es meines Erachtens aber durchaus okay, wenn das Gesamtprojekt nur eine Prämisse hat. (Ist bei obenstehendem Beispiel meiner Meinung nach auch nicht anders.)
Liebe Grüße
Sonja
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Sun Wukong Eselsohr
S Alter: 44 Beiträge: 459
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S 07.01.2013 22:17
von Sun Wukong
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Oh je, dazu fällt mir ein Buch ein, dass ich mir mit einer Bekannten wechselseitig vorgelesen habe im Jahre 1999:
Come together. Kann gut sein, dass das ein Seller damals war, kapitelweise wird aus Männchen/Weibchen-Perspektive geschrieben, inhaltlich kann ich leider nichts mehr dazu sagen.
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lupus Bücherwurm
Alter: 56 Beiträge: 3913 Wohnort: wien
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07.01.2013 22:18
von lupus
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wenn - wie du es ausgeführt hast - die Stimmen tatsächlich zu unterscheiden sind, und/oder du andere 'Tricks' anwendest, damit die Differenzierung möglich wird: ein eindeutiges JA.
Alles geht, wenn's gut gemacht ist
_________________ lg Wolfgang
gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben
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"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi |
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Paradigma Klammeraffe
Alter: 54 Beiträge: 959 Wohnort: Östlich von Westfalen
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07.01.2013 22:53
von Paradigma
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Na, das beruhigt mich
Doch, die beiden sollten an der Stimme schon gut auseinander zu halten sein: Er "spricht" kurz und knapp, mit einem etwas sarkastischen Unterton, er wertet seine Mitmenschen sehr stark. Wenn er handelt, dann aus innerem Antrieb, weil er WILL.
Sie ist eine Beobachterin, nimmt sehr stark Farben, Formen, Stimmungen wahr, sie ist etwas naiv und oft spricht sie einfach aus, was ihr so durch den Kopf geht und tritt damit in den Fettnapf. Ihre "Stimme" ist wesentlich ruhiger, beschreibender, mit langen, fließenden Sätzen.
Na ja, so soll es jedenfalls werden. Ich arbeite noch hart daran.
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Die Frau des Zeitreisenden habe ich gelesen. Hat mir auch sehr gut gefallen. Fand das sehr gekonnt gemacht mit den Zeitsprüngen aber das es aus zwei Ich-Perspektiven erzählt wird ist mir nicht im Gedächtnis geblieben. Womit dann auch klar wird das es möglich ist einen solchen Wechsel völlig harmonisch in einen Roman zu integrieren.
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Lupus, hast du noch ein paar Tipps für mich, mit welchen Tricks die Differenzierung klappt? Ich habe aber eigentlich weniger Sorgen, das der Leser durcheinander kommt - eher, das die Übergänge als Brüche wahrgenommen werden.
Bei der "Frau des Zeitreisenden" findet ja nicht nur ein Wechsel in der Erzählstimme statt, auch Zeitpunkt und Ort werden in jeder Szene völlig neu und ganz systematisch zugeordnet.
Bei mir wechselt die Erzählstimme aber natürlich auch nicht mitten im Text - sondern eben wenn die Handlung später oder an einem anderen Ort weitergeht.
Werde mal sehen ob ich noch eines der anderen genannten Bücher auftreiben kann. DANKE für den bisherigen Input!
Para
_________________ Schreib den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt auch den zweiten lesen will.
William Faulkner |
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Fuchsia Klammeraffe
F Alter: 47 Beiträge: 777
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F 08.01.2013 13:30
von Fuchsia
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"Zerbrechlich" von Jodie Picoult wird von 5 verschiedenen Ich-Erzählern erzählt.
Am Anfang des jeweiligen Kapitels steht der Name der Figur und jede Figur hat eine andere Schriftart, um den Wechsel zu kennzeichnen; aber das wäre gar nicht nötig, die Figuren haben alle eine klar erkennbare eigene Stimme und gefärbte Meinung.
(Wechsel pro Kapitel wohlgemerkt, niemals innerhalb eines Kapitels oder gar einer Szene).
Klappt hervorragend und macht für die Geschichte sehr viel Sinn, denn hier wird das Thema (Abtreibung, wenn man weiß, dass sein Kind behindert zur Welt kommen wird?) von allen Seiten und allen Beteiligten beleuchtet.
Und du als Leser stehst zwischen allen Beteiligten und hast es äußerst schwer, Partei zu ergreifen - oder dir eine Meinung zu bilden. Das zerfetzt dir das Herz.
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Cara Schneckenpost
C
Beiträge: 8
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C 10.01.2013 01:17
von Cara
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Las vor kurzem A. Reynolds "Das Haus der Sonnen" - einen Science-Fiction, in dem ebenfalls aus zwei Ich-Perspektiven (ein Mann und eine Frau) erzählt wird. Der Perspektivenwechsel erfolgte kapitelweise ohne spezielle Ankündigung und erschloss sich aus der Perspektive. Dieses Erzählweise fand ich ganz reizvoll, zumal einige Kapitel auf dieselbe Situation Bezug nahmen.
Der Inhalt des Buches interessiert wohl nur hartgesottene Sci-Fi-Fans, doch die Erzähltechnik - dieselbe Situation aus verschiedenen Perspektiven - birgt einiges an Möglichkeiten. Als Leser erst erschließen zu müssen, aus wessen Perspektive man gerade blickt, hat mir gefallen.
Als Autor kann man leichter Situationen Tiefe geben, da die Darstellung aus zwei Ich-Perspektiven immer etwas Ambivalentes behalten muss.
Einen Versuch zumindest scheint es wert zu sein.
Viele Grüße und Erfolg mit Deinem Projekt
Cara
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