Wer lebt am glücklichsten? Ein philosophisches Märchen

[Dorothee]

Eine helle Mondnacht
"Ich lebe, um hier auf der Erde meine Pflicht zu erfüllen", sagte stolz die Sonnenblume.

"Was für ein langweiliges Leben. Ich genieße mich und werde dabei bewundert und anerkannt." Stolz, von ihrer Würde erfüllt, sah die glutrote Rose an dem starken Stamm der Sonnenblume empor.

Überlegen drehte diese ihr Gesicht der Rose zu.

"Meine Erfüllung finde ich, wenn ich möglichst viele Körner zum Reifen bringe! Deine Schönheit vergeht. Sie ist nur ein Genuss auf Zeit. Meine Körner aber sind nahrhaft und nützlich für mich selbst, Menschen und Tiere, und sie leben oftmals noch lange nach meinem Tod weiter..."

"Ich habe meine ganze Freude an meinem Leben hier und jetzt. Meine Erfüllung ist mein Lebensgenuss."

Die Rose lächelte süß und wissend. Geringschätzig blickte die Sonnenblume auf ihre schöne Nachbarin herab.

"Nur der Nutzen zählt... Dein Lebensgenuss interessiert niemanden!"

"Doch... ich selbst koste ihn in vollen Zügen aus."

Der Mond, der sie aufmerksam beobachtet hatte, fragte sich:  "Wäre ich jetzt lieber Rose oder Sonnenblume?"
Er lächelte still in sich hinein. ' Wenn ich es mir wünschen könnte, wäre ich beide in einer Gestalt, dann wäre ich nützlich, hochangesehen und dabei voller Lebensfreude...'

[Lonlav]

Irgendwie erinnert mich das an Andersen, da gibt es ein Märchen, in dem sich ein blühender Apfelzweig mit einem Löwenzahnpflänzchen streitet. Die Argumente sind auch im Wesentlichen dieselben, und das Fazit ist ähnlich, da ein Mädchen beide pflückt und zusammen in eine Vase stellt um sie beide nebeneinander zu bewundern.
Wenn ich mich nicht irre, kann man dies hier als eine Metapher auf die verschiedenen Selbstauffassungen der Frau auffassen, oder? (Männer schließe ich jetzt mal aus, weil sie traditionell nicht mit Blumen assoziert werden).
Dann könntest du das eventuell noch ein bisschen konkreter auf diese Situation ausarbeiten (und vielleicht sogar ein bisschen bissig, als eine Art heutige Antwort auf Andersen)?
Oder ging es dir hier einfach um die Märchenstimmung?