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Dieses Werk wurde für den kleinen Literaten nominiert Die Schweißabtupferin


 
 
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Dat Bell'sche
Geschlecht:weiblichErklärbär
D

Alter: 47
Beiträge: 4
Wohnort: München


D
Beitrag27.01.2011 18:14
Die Schweißabtupferin
von Dat Bell'sche
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Neue Version »

Die Schweißabtupferin

Mist, schon wieder zu spät! Dass ich es aber auch nie schaffe, einmal annähernd pünktlich zu sein. Schlitternd und völlig außer Atem komme ich in der Lobby zum Stehen. Meine Füße brennen in den nagelneuen hochhackigen Pumps, die ich unbedingt heute Abend tragen musste, weil nur dieses bösartige Schuhwerk zu diesem sündhaft überteuerten Outfit passt, das ich mir heute Abend zu tragen in den Kopf gesetzt habe. Dazu kneifen die Haarspangen meiner mühsam zusammen gezauberten blonden Hochsteckfrisur empfindlich in meine Kopfhaut. Selber schuld. Also beiße ich die Zähne zusammen, straffe meinen Körper und versuche, möglichst elegant das schmerzhafte Pochen meiner Fußsohlen zu ignorieren. Gott sei dank sitze ich bald.
Möglichst unauffällig schiebe ich mich durch die Schwingtür in den Saal, wo an einem Tisch in der Mitte schon ungeduldig meine beiden Freundinnen warten. Mein Lächeln wirkt etwas gequält, als ich mich steifen Schrittes an den anderen Tischen vorbei schlängele. Der Schmerz in meinen Füßen wandert langsam aber sicher in meinen Schädel. Aber hey, ich sehe in meinem kleinen Schwarzen heute wirklich fabelhaft aus – mal ganz abgesehen von der Pein, die mir ins Gesicht geschrieben steht.
Endlich komme ich an unserem Tisch an und lasse mich unendlich erleichtert auf den freien Stuhl neben meiner Freundin mit dem strengen Blick nieder. „Wieviel habe ich verpasst?“, frage ich schuldbewusst und winke schon mal hektisch nach der Kellnerin, die ich ein paar Tische weiter entdecke. Ich verzehre mich geradezu nach einer ordentlichen Dosis trockenen Martinis – zusammen mit einer Portion Aspirin-Stoff wirkt er Wunder gegen jegliche Art von Schuhgebrechen.
„Nicht viel“, antwortet die Freundin, deren Augen vor Begeisterung glänzen und sich nicht vom Sänger auf der Bühne lösen können. „Lediglich ein Lied und ein persönliches Ständchen von ihm anlässlich meines Geburtstags. Wenigstens er weiß ihn zu würdigen – im Gegensatz zu gewissen anderen Anwesenden.“
Autsch, das sitzt. Perfekt gezielt, abgeschossen und getroffen, gesellt sich der Stachel meiner Freundin gleich neben mein schlechtes Gewissen und macht es sich da bequem. Mittlerweile halte ich mich für nicht mehr ganz so fabelhaft und schrumpfe auf meinem Sitz. Vielleicht gelingt es mir irgendwann ja doch noch unsichtbar zu werden oder ich entdecke das Geheimnis der Zeitreise. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings verschwindend gering. Also murmele ich betreten eine Entschuldigung und studiere verhalten die Getränkekarte. Ich sitze noch immer auf dem Trockenen. Das wird ein langer Abend. Er hat schon qualvoll begonnen, setzt sich schmerzhaft fort und wird ein böses Ende nehmen.
Auf der Bühne steht ein Elvis-Impersonator und schmettert gerade hingebungsvoll irgendeine seiner alten Balladen. Ich mag ihn nicht, also Elvis, meine ich. Warum ich dann hier bin? Wegen besagtem Geburtstag, natürlich. Meine überaus begeisterungsfähige Freundin von gegenüber schmilzt wieder einmal dahin wie Eis in der Sonne und ich bin mir nicht sicher, was der Grund dafür ist: ihre für mich nicht nachvollziehbare Elvisversessenheit oder dieser Imitator, der dem jungen Elvis zugegebenermaßen ziemlich ähnlich sieht und auch stimmlich das Wasser reichen kann.
Meine Versuche, die Kellnerin auf mich aufmerksam zu machen, um endlich eine Bestellung aufgeben zu können, scheitern kläglich.
Dafür wird wer Anders aufmerksam. Ich krame in meiner prall gefüllten Handtasche nach meiner Kamera, um mit ein paar Fotos hinterher meine Freundin wieder versöhnlich stimmen zu können. Interesse heucheln gehört zu meinen leichtesten Übungen.
Ich nestele gerade an meiner Kamera herum, um dieses Spektakel bildlich festzuhalten, da gibt Elvis eine Stellenanzeige auf. Schweißabtupferin, dringend gesucht! Mit einem mokanten Lächeln schwingt er die Hüften durch die Reihen mit dem Hinweis, dass es gar nichts nützen würde, wenn man sich jetzt plötzlich in ein angestrengtes Gespräch mit dem Tischnachbarn vertiefen würde oder seinen unbändigen Durst stillen müsste, auch akutes Schrumpfen der Körpergröße würde ihn nicht davon abhalten, den Job zu vergeben.
Die Elvisbesessene lächelt erwartungsfroh und ich beginne gedanklich mit Stoßgebeten. Oh Herr, lass diesen Kelch bitte an mir vorübergehen. Ich tue weiterhin das, was ich die ganze Zeit schon getan habe: Ich übe mich in unauffälligem Verhalten. Als der Tadel im Gesicht meiner gestrengen Freundin zu meiner Rechten verschwindet und einem breiten, schadenfrohen Grinsen weicht, frage ich sie vorsichtig. “Er steht neben mir, oder?” Sie nickt und kann sich kaum noch halten. Ich schaue unsicher zur Seite und tatsächlich – da steht er in seinem güldenen Jackett und schwingt ein weißes Handtuch, das er mir mit den Worten “Hier bin ich an der richtigen Adresse” in die Hand drückt.
„Ich will den Job Freiwilligen bestimmt nicht wegnehmen“, hauche ich kleinlaut und schiebe das Handtuch über den Tisch zu der Elvis-Närrin mit dem enttäuschten Gesicht.
Die restlichen Damen sind erleichtert, dass sie aus dem Schneider sind und sich wer anderes blamieren darf. Mit einem Kopfschütteln legt er das weiße Frottee wieder in meine Hände und ich seufze schwer. Ich muss da jetzt durch. Und so tupfe ich mit leicht säuerlichem Gesicht diesem männlichen Subjekt mit dem boshaften Glitzern in den braunen Augen das Gesicht wieder trocken. Meine Wangen glühen, ich bin sicher, dass ich feuerrot angelaufen bin, aber ich schaffe es noch, Elvis um ein Wasser zu bitten – meine Kehle ist plötzlich so trocken. Juchu und jetzt klappt es auch mit der Bedienung. Völlig ausgedörrt stürze ich das ganze Glas mit dem kühlen Nass herunter.
Ich lehne mich zurück, versuche wirklich ernsthaft das Geschehene zu vergessen und konzentriere mich wieder auf die Show. Der Typ singt live mit Musik vom Band, die Haare zu einer beeindruckenden Tolle hoch gesprayt.
Ich entspanne mich etwas. Aber damit es ja nicht zu schön wird, darf ich gleich noch mal ran. Den Elvis vor Publikum zu geben, muss eine echt schweißtreibende Arbeit sein. Beim neuerlichen Tupfen singt er mir diesmal noch ein kleines Ständchen: “Are you lonesome tonight…?“ Ich geb’ dir gleich ‘are you lonesome’! Der Typ hat es schon wieder geschafft, meinen Kopf in eine Tomate zu verwandeln. Das muss aufhören!
Nach einer kleinen Pause, bei der er sich in seinen weißen, hautengen Las-Vegas-Dress gezwängt hat, ist er noch immer nicht fertig mit mir. Jetzt zerrt er mich sogar mit zu sich nach vorn, wo er demonstrativ den Reißverschluss seines Overall bis zur kritischen Grenze nach unten zieht, um mir mehr Fläche für meine Arbeit zur Verfügung zu stellen. Ich bin ja so dankbar…

Sorry, ist ein wenig viel geworden. Eines meiner Probleme: Ich kann mich nicht mal eben kurz fassen. Und falls ihr euch trotzdem durchquält: Kann man sich in die Person hinein versetzen?

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LadyBetty
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
L

Alter: 29
Beiträge: 5
Wohnort: Sagt dir Olymp was?


L
Beitrag27.01.2011 18:28

von LadyBetty
Antworten mit Zitat

Ja, man kann sich gut in die Person hineinversetzen und ich finde die Geschichte echt gut! Und dieser Elvis ist jawohl mega unspmpathisch!  Laughing

Liebe Grüße!


_________________
Witzigkeit im Übermaß, ist des Menschen größter Schatz!
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Amarenakirsche
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 30
Beiträge: 394
Wohnort: tief im Westen


Beitrag27.01.2011 18:53

von Amarenakirsche
Antworten mit Zitat

Hallo Dat Bell'sche!

Mir gefällt deine Geschichte ebenfalls sehr gut. Deine Protagonistin wirkt authentisch und am Ende leidet man förmlich mit ihr.
Mir kommt sie vor wie jemand, der sich sehr bemüht nicht aufzufallen und wenn, dann nur positiv. Deswegen quält sie sich mit ihren Schuhen, Haarnadeln und so weiter.
Außerdem sind ihr ihre Freundinnen sehr wichtig, weswegen sie auch ein schlechtes Gewissen hat, weil sie zu spät kommt.
Ist das der Eindruck, den du vermitteln wolltest?

Jetzt zum Stil:

Du schilderst sehr ausführlich und genau, sodass der Leser sich die Situation gut vorstellen kann.

Im ersten Teil habe ich mich allerdings von Adjektiven überflutet gefühlt.
Dat Bell'sche hat Folgendes geschrieben:

Schlitternd und völlig außer Atem komme ich in der Lobby zum Stehen. Meine Füße brennen in den nagelneuen hochhackigen Pumps, die ich unbedingt heute Abend tragen musste, weil nur dieses bösartige Schuhwerk zu diesem sündhaft überteuerten Outfit passt, das ich mir heute Abend zu tragen in den Kopf gesetzt habe.

Manche davon sind meiner Meinung nach nicht unbedingt notwendig. Pumps sind immer hochhackig.

Dat Bell'sche hat Folgendes geschrieben:
Dazu kneifen die Haarspangen meiner mühsam zusammen gezauberten blonden Hochsteckfrisur empfindlich in meine Kopfhaut.


Das soll zu den Adjektiven erst einmal reichen. Ich würde mir an deiner Stelle anschauen, welche davon dringend notwendig sind.
Aber das soll nur eine Anregung sein, das musst du selber wissen.


Dat Bell'sche hat Folgendes geschrieben:
neben meiner Freundin mit dem strengen Blick

Das hat mich irritiert. Zuerst wusste ich nicht, ob du deine Prota oder ihre Freundin meinst. Kannst du den Freundinnen nicht Namen geben? So wirkt es etwas distanziert.
Auch hier:
Dat Bell'sche hat Folgendes geschrieben:
die Freundin, deren Augen vor Begeisterung glänzen

Gibt es einen Grund, warum du keine Namen nennst? Weder von der Hauptperson noch von ihren Freundinnen?

Den Satz find ich klasse:
Dat Bell'sche hat Folgendes geschrieben:
Perfekt gezielt, abgeschossen und getroffen, gesellt sich der Stachel meiner Freundin gleich neben mein schlechtes Gewissen und macht es sich da bequem.


Den auch:
Dat Bell'sche hat Folgendes geschrieben:
Vielleicht gelingt es mir irgendwann ja doch noch unsichtbar zu werden oder ich entdecke das Geheimnis der Zeitreise.


Die ganze Elvis-Geschichte und das Schweißabtupfen finde ich dagegen sehr gelungen.

Dat Bell'sche hat Folgendes geschrieben:
Ich bin ja so dankbar…

Wunderbar ironischer Abschluss! Smile

Ich hoffe, du kannst mit meiner Kritik etwas anfangen.
liebe Grüße,
die Amarenakirsche
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Deckard
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
D


Beiträge: 23



D
Beitrag27.01.2011 21:23
Fehlende Ausgangsbestrebung
von Deckard
Antworten mit Zitat

Der Text ist stark beladen mit Adjektiven. Ich sage nicht "überladen", denn dein Text braucht diese übertriebenen Gefühlsschilderungen. Die Adjektive ersetzen etwas, das als Einführung in die Geschichte gelten könnte. Fast jeder Satz führt zu einer neuen Situation, fast jeder Satz erheischt erneutes Hineinversetzen des Lesers, das macht die Geschichte anstrengend.
Worum geht es der Pro?
Mein erster Eindruck war, du müsstest mehr Absätze setzen, aber das ist unrichtig, du hast die Absätze richtig gesetzt. Aber das Gefühl des anstrengenden Lesens kommt ja irgendwoher. Es fehlt mir als Leser etwas, das ich in die nächsten Sätze mitnehmen kann, das mir Denk- und Fühlarbeit erspartund das ist gewöhnlich das vom Konflikt ausgelöste Ziel des Pro, also dieses "Darum geht es", die Kompassnadel der Geschichte. So geben mir deine vielen Adjektive ersatzweise den Stoff zum Denken, ich bleibe bei der Stange, lese weiter.
Eine vernünftige Geschichte braucht so etwas wie eine Ausgangslage.
Eine klare unerfreuliche Situation der Pro, mit einem eindeutigen Reparaturbedürfnis der Pro bei uneindeutigem Ausgang der Geschichte.
Dein aufdringlicher Elvis, der am ehesten als unerfreuliches Ereignis, das man loswerden MUSS, herhalten könnte, erscheint zum Einen spät in der Geschichte.
Zum andern ist seine Existenz nur mäßig störend, die Nöte der Pro, ihn loszuwerden, wenig zwingend. Es sei denn, jede männliche Annäherung an eine Frau sei selbstverständlicherweise unerträglich und reiche für das unerträgliche Unwohlbefinden der Pro. Ist das so?

Ich glaube, wenn du Elvis früher und "handgreiflicher" einführen könntest, und eine Pro, der jede Art von Berührung verhasst ist, würde deine Geschichte an Konfliktstärke gewinnen.
Ich hoffe, du konntest mit meinen Gedanken etwas anfangen.
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Ilona
Klammeraffe
I


Beiträge: 558
Wohnort: irgendwo in Hessen


I
Beitrag27.01.2011 22:14

von Ilona
Antworten mit Zitat

Der Titel ist einfach nur genial Very Happy  eine Persiflage auf all die unzähligen Historienschinken, die die Buchhandlungen überschwemmen (es gibt auch gute, aber so manche ... brrrr!)

An dem was Deckard sagt ist viel dran. Mach Dir mal Gedanken um die Personen die da agieren. Will die Prota überhaußt dorthin? Scheinbar nicht, weshalb brezelt Sie sich dann auf? Was ist mit dem Geburtstag der Freundin, hat sie den vergessen, wie steht sie zu der Frau? Da klingt so was genervtes an. Das müßte in die Eingangssituation.

Die Prota kommt an (steht schon da) und sie denkt..... Diese Denke sollte dann den Leser auf die Sitation im Saal einstimmnen. Ein paar Sätze zur Freundin wären auch hilfreich. (War ein Beispiel, Du kannst das auch ganz anders aufziehen)

Schau Dir Deinen Stil noch mal an. Das leicht affektiert-dramatische kommt echt gut, aber nicht jeder Satz ist der Knaller schlechthin. Streich doch bei den unauffällligeren ein paar Adjektive, dann bleibt Dein Stil und es liest sich ruhiger.

Grüße von

Ilona
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Dat Bell'sche
Geschlecht:weiblichErklärbär
D

Alter: 47
Beiträge: 4
Wohnort: München


D
Beitrag28.01.2011 01:01
Die Schweißabtupferin
von Dat Bell'sche
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für die Kritik. Ihr habt Recht. Habe es noch einmal überarbeitet.

Die Schweißabtupferin

Mist, schon wieder zu spät! Dass ich es aber auch nie schaffe, einmal annähernd pünktlich zu sein. Und das ausgerechnet heute. Geburtstage meiner Freunde überrumpeln mich jedes Jahr wie aus dem Hinterhalt – so auch der heutige, der meiner besten Freundin.
Ich hab’s nicht so mit Zahlen. Plötzlich ist ein Jahr um und ich stehe ohne Geschenk da, ohne gratuliert zu haben, manchmal sogar, ohne überhaupt anwesend zu sein. Völlig außer Atem komme ich in der Lobby zum Stehen. Meine Füße brennen in den nagelneuen Pumps, die ich unbedingt heute Abend tragen musste, weil nur dieses bösartige Schuhwerk zu diesem Outfit passt, das zu tragen ich mir heute in den Kopf gesetzt habe. Dazu kneifen mich die Haarspangen meiner blonden Hochsteckfrisur empfindlich. Selber schuld. Also beiße ich die Zähne zusammen, straffe meinen Körper und versuche, das schmerzhafte Pochen meiner Fußsohlen zu ignorieren. Gott sei dank sitze ich bald.
Dieses Jahr sollte alles anders werden. Der Las-Vegas-Show-Abend war meine Idee gewesen, Katrin übernahm die Organisation und ich den Rest. Was genauer gesagt einfach nur mein pünktliches Erscheinen zum gesungenen Glückwunsch eines Elvis-Imitators gewesen wäre. Ich bin so unfähig.    
Möglichst unauffällig schiebe ich mich durch die Schwingtür in den Saal, wo an einem Tisch in der Mitte schon ungeduldig meine beiden Freundinnen warten. Mein Lächeln wirkt etwas gequält, als ich mich steifen Schrittes an den anderen Tischen vorbei schlängele. Der Schmerz in meinen Füßen wandert langsam aber sicher in meinen Schädel. Aber hey, wenigstens sehe ich heute wirklich fabelhaft aus. So, wie man nur aussehen kann, wenn man einen Geburtstag einmal nicht vergessen hat und sich in einer letzten Schrecksekunde irgendetwas überwerfen musste. Mein Stolz darüber verpufft, als ich einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr riskiere. Mein Zeitmanagement stinkt.
Endlich komme ich an unserem Tisch an, gratuliere Diana und umarme sie beschämt. Ich hasse es, so im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Ich bin lieber einfach nur dabei. Dann lasse ich mich unendlich erleichtert auf den freien Stuhl neben Katrin nieder. „Wie viel habe ich verpasst?“, frage ich schuldbewusst und winke schon mal hektisch nach der Kellnerin, die ich ein paar Tische weiter entdecke. Ich verzehre mich geradezu nach einer ordentlichen Dosis trockenen Martinis – er wirkt Wunder gegen jegliche Art von Schuhgebrechen und Schuldgefühlen.
„Nicht viel“, antwortet Diana, deren Augen vor Begeisterung glänzen und sich nicht vom Sänger auf der Bühne lösen können. „Lediglich ein Lied und ein persönliches Ständchen von ihm anlässlich meines Geburtstags. Wenigstens er weiß ihn zu würdigen – im Gegensatz zu gewissen anderen Anwesenden.“
Autsch, das sitzt. Perfekt gezielt, abgeschossen und getroffen, gesellt sich der Stachel meiner Freundin gleich neben mein schlechtes Gewissen und macht es sich da bequem. Mittlerweile halte ich mich für nicht mehr ganz so fabelhaft und schrumpfe auf meinem Sitz. Vielleicht gelingt es mir irgendwann ja doch noch unsichtbar zu werden oder ich entdecke das Geheimnis der Zeitreise. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings verschwindend gering. Also murmele ich betreten eine Entschuldigung und studiere weiter die Getränkekarte. Ich sitze noch immer auf dem Trockenen. Das wird ein langer Abend. Er hat schon qualvoll begonnen, setzt sich schmerzhaft fort und wird ein böses Ende nehmen. Ich fürchte, ich habe den Bogen überspannt. Wie viele Enttäuschungen kann eine Freundschaft verkraften?
Auf der Bühne steht der Elvis-Impersonator und schmettert gerade hingebungsvoll irgendeine seiner alten Balladen. Ich mag ihn eigentlich nicht, also Elvis, meine ich. Warum ich dann hier bin? Wegen besagtem Geburtstag, natürlich. Während ich lieber in der Gegenwart lebe bzw. ihr hinterher renne, liebt Diana die 50er und 60er Jahre. Dieser Teil ihrer Persönlichkeit wird mir wohl immer suspekt bleiben, aber sie ist mir trotzdem wichtig. Und immerhin redet sie noch mit mir, im Gegensatz zur schmollenden Katrin neben mir und diversen anderen Menschen, die ich bereits vergrault habe. Wie das immer passiert, ist mir ein Rätsel.
Meine überaus begeisterungsfähige Freundin schmilzt wieder einmal dahin wie Eis in der Sonne und ich bin mir nicht sicher, was der Grund dafür ist: ihre für mich nicht nachvollziehbare Elvisversessenheit oder dieser Imitator, der dem jungen Elvis zugegebenermaßen ziemlich ähnlich sieht.
Ich krame in meiner prall gefüllten Handtasche nach meiner Kamera, um mit ein paar Fotos hinterher meine Freundin wieder versöhnlich stimmen zu können. Ich nestele gerade am Fotoapparat herum, um dieses Spektakel bildlich festzuhalten, da gibt Elvis eine Stellenanzeige auf. Schweißabtupferin, dringend gesucht! Mit einem mokanten Lächeln schwingt er die Hüften durch die Reihen mit dem Hinweis, dass es gar nichts nützen würde, wenn man sich jetzt plötzlich in ein angestrengtes Gespräch mit dem Tischnachbarn vertiefen würde oder seinen unbändigen Durst stillen müsste, auch akutes Schrumpfen der Körpergröße würde ihn nicht davon abhalten, den Job zu vergeben.
Die Elvisbesessene lächelt erwartungsfroh und ich beginne gedanklich mit Stoßgebeten. Oh Herr, lass diesen Kelch bitte an mir vorübergehen. Ich tue weiterhin das, was ich die ganze Zeit schon getan habe: Ich übe mich in unauffälligem Verhalten. Als der Tadel im Gesicht der gestrengen Katrin verschwindet und einem breiten, schadenfrohen Grinsen weicht, frage ich sie vorsichtig. “Er steht neben mir, oder?” Sie nickt und kann sich kaum noch halten. Ich schaue unsicher zur Seite und tatsächlich – da steht er in seinem güldenen Jackett und schwingt ein weißes Handtuch, das er mir mit den Worten “Hier bin ich an der richtigen Adresse” in die Hand drückt.
„Ich will den Job Freiwilligen bestimmt nicht wegnehmen“, hauche ich kleinlaut und schiebe das Handtuch über den Tisch zu der Elvis-Närrin mit dem enttäuschten Gesicht.
Die restlichen Damen sind erleichtert, dass sie aus dem Schneider sind und sich wer anderes blamieren darf. Alle Blicke ruhen auf mir, was sich wie Schmirgelpapier auf meiner Haut anfühlt. Mit einem Kopfschütteln legt er das weiße Frottee wieder in meine Hände und ich seufze schwer. Ich erkenne, dass diese Blamage meine persönliche Strafe ist. Ich muss da jetzt durch und vielleicht vergessen meine Tischgenossinnen darüber den enttäuschenden Anfang des Abends. Und so tupfe ich mit leicht säuerlichem Gesicht diesem männlichen Subjekt mit dem boshaften Glitzern in den braunen Augen das Gesicht wieder trocken.
Meine Wangen glühen, ich bin sicher, dass ich feuerrot angelaufen bin, aber ich schaffe es noch, Elvis um ein Wasser zu bitten – meine Kehle ist plötzlich so trocken. Juchu und jetzt klappt es auch mit der Bedienung. Völlig ausgedörrt stürze ich das ganze Glas mit dem kühlen Nass herunter.
Ich lehne mich zurück, versuche wirklich ernsthaft das Geschehene zu vergessen und konzentriere mich wieder auf die Show. Der Typ singt live mit Musik vom Band, die Haare zu einer beeindruckenden Tolle hoch gesprayt. Ich bin wirklich erleichtert, als der Saal wieder mit der Dunkelheit verschmilzt und sich alle nur noch auf die Bühne konzentrieren. Diana ist im siebten Himmel und nur das zählt.
Ich entspanne mich etwas. Aber damit es ja nicht zu schön wird, darf ich gleich noch mal ran. Den Elvis vor Publikum zu geben, muss eine echt schweißtreibende Arbeit sein. Beim neuerlichen Tupfen singt er mir diesmal noch ein kleines Ständchen: “Are you lonesome tonight…?“ Ich geb’ dir gleich ‘are you lonesome’! Der Typ hat es schon wieder geschafft, meinen Kopf in eine Tomate zu verwandeln. Das muss aufhören! Innerlich winde ich mich in der Aufmerksamkeit aller und schlucke meine Übelkeit entschlossen nach unten. Ich schwöre feierlich, ich werde mit Sicherheit nie wieder einen Geburtstag vergessen. Ich werde pünktlich sein und zuverlässig. Ich gelobe Besserung!
Doch er ist noch immer nicht fertig mit mir. Jetzt zerrt er mich sogar mit zu sich nach vorn, wo er demonstrativ den Reißverschluss seines Overalls bis zur kritischen Grenze nach unten zieht, um mir mehr Fläche für meine Arbeit zur Verfügung zu stellen. Welch wirkungsvolle Gedächtnisstütze! Ich bin ja so dankbar…
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Amarenakirsche
Geschlecht:weiblichEselsohr

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Beitrag28.01.2011 19:16

von Amarenakirsche
Antworten mit Zitat

Die zweite Version gefällt mir noch viel besser als die erste!
Dass du gleich am Anfang schreibst, dass es um den Geburtstag ihrer Freundin geht, finde ich super. Damit ziehst du den Leser viel schneller in die Geschichte hinein.

Und die Freundinnen haben Namen, das finde ich am besten.
Ich kann nicht genau sagen warum, aber jetzt hatte ich das Gefühl deiner Protagonistin viel näher zu sein, irgendwie kann man ihr Handeln noch besser nachvollziehen.
Besonders der Aspekt der Freundschaft und dass viele ihrer alten Bekanntschaften sie verlassen haben - das war mir vorher nicht klar - lässt den Leser die ganze Situation besser verstehen.
Das ist zumindest meine Meinung!

liebe Grüße,
die Amarenakirsche
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Ilona
Klammeraffe
I


Beiträge: 558
Wohnort: irgendwo in Hessen


I
Beitrag29.01.2011 20:15

von Ilona
Antworten mit Zitat

So liest es sich gleich viel besser! Allerdings braucht eine gute Geschichte auch einen guten Schluß, hier hast Du mittendrin abgebrochen.

Also: was macht die gequälte Heldin jetzt? Es wäre doch zu erwarten daß ihr noch was einfällt  Wink

Grüßle


Ilona
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Amarenakirsche
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 30
Beiträge: 394
Wohnort: tief im Westen


Beitrag30.01.2011 10:55

von Amarenakirsche
Antworten mit Zitat

Ich mag deinen Schluss. Smile
Eigentlich geht dann ja das Ganze von vorne los, oder?
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Dat Bell'sche
Geschlecht:weiblichErklärbär
D

Alter: 47
Beiträge: 4
Wohnort: München


D
Beitrag30.01.2011 14:59

von Dat Bell'sche
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Danke für die konstruktive Kritik. Da waren Punkte dabei, an die habe ich beim Schreiben nie und nimmer gedacht.

Die Sache mit dem Ende und was die Protagonistin jetzt zu tun gedenkt, werde ich mal weiterspinnen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, habe ich mir nie weiter als bis zu diesem Punkt darüber Gedanken gemacht.

Kennt ihr das, wenn da eine Geschichte in Dir ist, die unbedingt raus will? Ich hatte nur den Titel und die Situation, die mich ungeheuer gereizt haben. Durch eure Hilfe kamen da plötzlich noch diverse Nebeninformationen dazu. Und jetzt, so fürchte ich, will ich wissen, wie es weiter geht. Und da ist es wieder, eines meiner Probleme: Ich kann mich nicht einfach mal kurz fassen.

Für Anregungen jeder Art bin ich natürlich offen.
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Ilona
Klammeraffe
I


Beiträge: 558
Wohnort: irgendwo in Hessen


I
Beitrag30.01.2011 15:52

von Ilona
Antworten mit Zitat

Man muß sich nicht kurz fassen,aber man darf nicht langweilig werden. Hier wird die Geschichte von einer herzerfrischenden Subjektivität getragen.

Allerdings bist Du nahe daran den roten Faden zu verlieren, und dann bist Du raus aus der Geschichte, der Leser folgt Dir nciht mehr.

Im Prinzip braucchst Du nur:

eine EInleitung, die die Situation und die Prota vorstellt (hat der zweite Teil)
ein Problem (hier hast Du zwei, en Elvis und die Freundin, welches soll es denn sein? Müsstest Du vorher überlegen und entsprechend gewichten)

Die Bewertung (Wie versucht die Prota aus der Nummer wieder rauszukommen) das liest sich hier recht flott und nett, aber eigentlich tut die Prota nichts um aktiv mit der Situation umzugehen. Will heißen, für eine spannende Geschcihte ist das zu wenig)

Lösung: die fehlt ganz.

Ein bisschen mehr Planung im Vorfeld, dann klappt das noch besser

Fazit: der Text lebt von der Sprache und von der chaotischen Prota, die Du sehr gekonnt zeichnest. Eine Geschichte ist es noch nicht, da fehlt noch etwas.

Grüße von

Ilona Wink
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