Marvelous Heroes

[MaschineBaby]

Marvelous Heroes

Kapitel Eins

Der Fernseher läuft. Nachrichten. Musik. Kochshow. Serie. Cartoon. Alles Bullshit in grellen Farben. Mein Finger bleibt bei einer Doku hängen, "Wo sind sie jetzt?". Geht um mich und die alte Gang. Früher. Unsere Kostüme sehen lächerlich aus, glänzend und dunkel. Was haben wir uns bloß dabei gedacht? Der Zottelkopf ist natürlich Hauptaugenmerk. Dabei bestand er doch auch nur aus paar Scheiß Krallen und Wutausbrüchen. Hat immer nur sinnlos gemetzelt, wie ein (haha) Tier.
Die Kommentarstimme ist weiblich, klingt fast schon entzückt als sie seine Opferliste aufzählt. Tja, die Gesellschaft entscheidet eben immer, ob du Monster oder Held bist. Was fürn Beschiß! Jetzt zeigen sie Bilder von mir, und unwillkürlich tasten meine Finger an die Schläfen, wo die Brille war. Naja, Vergangenheit ist eben Vergangenheit. Brauche das Mistding jetzt nicht mehr. Hatte mir eh immer Kopfschmerzen verursacht. Tja, wenn man die Welt immer nur mit nem verdammten Rotstich sieht. Da erschrickst du gar nicht so sehr, wenn der Andere anfängt zu bluten. Sieht eh nur grau aus. Und so wie ich es damals durch den Visor sah, war die Welt eh ein Meer aus Blut.
Ein Lachen kriecht meinen Hals empor, gluckst zwischen meinen Lippen hervor wie ein heftiges Aufstoßen nach viel fettigem Fleisch. Die Art, wo durch den Druck deine Kehle schmerzt. Schmeckt auch irgendwie so ähnlich. Das Lachen, meine ich. Abgestanden eben und im Begriff zu verfallen. Meine Kämpfe sehen in der Glotze nicht mal schlecht aus. Wer auch immer erzählt, die Kameras würden dich fett machen, hat soviel Ahnung davon wie ein Spatz vom Crack kochen. Wir haben damals ein paar Typen ordentlich eins in die Fresse gegeben, das muss der Neid uns lassen. Ein Lächeln drängt sich in mein Gesicht, aber ich wette, es sieht schmierig aus und glänzt vor Selbstzufriedenheit. Bin eben irgendwo tief drin immer noch der alte Narr. Aber eben nur tief drin. Wo kein Licht hinfällt und niemand sich freiwillig hintraut.
Die Sturmbraut schwebt über den Bildschirm, ganz Herrin über Blitz und Donner. Aber wenn du dich in einem alten Ziegelhaus verschanzt hattest, was hatte sie dann noch zu bieten? Nicht mehr als die Umwelt selbst und gegen die haben wir ja die verdammten Häuser erfunden. So hat sie es dann auch erwischt. So hat es die meisten von uns erwischt. Wir waren nur im Team gut, aber nach....

Jeans Gesicht erscheint kurz im Fernseher und ich werfe die Fernbedienung mit aller Gewalt gegen die Scheibe. Das Plastikrechteck zersplittert und die Bildröhre bekommt einen winzig dunklen Fleck, der leise und irgendwie elektrisch zischt. Streifen ziehen sich über das Bild, dann wird es dunkel. Mein Atem geht schnell und flach, es ist mehr ein Vibrieren in meiner Brust. Verdammte Jean! Nach all den Jahren und ich werde immer noch nicht damit fertig. Wieso war sie nicht im Flugzeug geblieben?
Wieso hatte sie sich geopfert?

Und was viel schlimmer war, wieso ist sie nicht tot geblieben?

Dark Phoenix war ein Albtraum, eine so mächtige Feindin. Sie hatte fast das gesamte Team ausgelöscht, bevor Kotelettenfresse sie filettierte. Der verdammte Bastard!
Danach wurde alles anders. Gentherapie, wir wurden ausgelöscht. Keine Mutanten mehr, der Homo Sapiens hatte gewonnen. Rogue ging freiwillig, weil sie endlich mal ficken wollte. Bobby wurde von ihr angesteckt, weil die "Therapie" auch nur wieder ein Virus war. Einmal in der Kiste mit ihr und jetzt trinkt er sein Bier an einem heißen Sommertag genauso lauwarm und schal wie wir. Idiot!
Beast und Gambit wurden gezwungen und resozialisiert. Soviel ich weiß, ist Gambit jetzt Hütchenspieler in der Bronx und Beast arbeitet irgendwo als Sekretärsgehilfe. Aber die andere Gang hat auch schön dick ihr Fett abbekommen. Magneto sitzt im Altersheim und wackelt den ganzen Tag mit Schachfiguren.

Toller Trick, auf zur Weltherrschaft!

Die anderen hatten alle eine Gentherapie, gewollt oder mit Hilfestellung. Juggernaut war ein harter Brocken. Den haben paar Polizisten in nem Provinzkaff gefangen, als er schlief. Haben ihn in ihre Ausnüchterungszelle gesperrt und da hockte schon der kleine Leech. Der war ja zu nichts nütze, mutantenmäßig gesehen, und saß dort schon den dritten Tag. Sollte zur Therapie abgeholt werden mit dem Sammeltransport. Das Militär machte sich da schon nicht mehr die Mühe mit Einzeleskorte. Zu teuer. Also Juggernaut kommt in der Zelle zu sich, sieht den kleinen Leech und ist sofort auf hundertachtzig. Hatte ihm ja ne schöne Beule zu verdanken, damals im Mutantenkrieg. Er springt also auf, rennt rüber und will Leech durch die Wand hauen. War ja nie ein großer Intellekt, der Mann. Er erwischt auch tatsächlich den kleinen Bengel und beide krachen in die Wand. Leech war natürlich sofort mausetot, aber Juggernaut nicht ganz. Bei der Geschwindigkeit und mit Leechs Kräften brach er sich fein säuberlich den Schädel. Zweimal. Ist dann wohl an seinem eigenen Blut erstickt oder so. War auf jeden Fall lang und eklig. Recht so! Verdammter Freak!

Als das Militär an meine Tür klopfte, machte ich mit nem fiesen Kater auf. Jean war tot und dann doch wieder nicht, meine Freunde fielen im Kampf gegen sie um wie die Fliegen und ich wußte sowieso nichts mehr mit meinem Leben anzufangen. Also wer da ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein, okay?
Sie waren alle etwas angespannt wegen meinem Stoppelbart und dem allgemein desolaten Zustand. Vom Mundgeruch ganz zu schweigen. Sie stehen also stramm vor meiner Tür, die Sonne blinzelt rot auf mich runter durch die Brille und ein Arzt im Humvee hinter ihnen zieht schon eine Spritze auf. Ich kratze mich am Kopf, zieh die Brille auf die Nasenspitze, nicht ohne die helle Panik in ihren unvorbereiteten Gesichtern zu bemerken und zwinkere ihnen zu.

Meine Augenfarbe ist graublau und sie sehen jede Facette dieser schönen Farbe.

Ich nehme die Brille ab und sie sehen, daß sie hier überflüssig sind. Meine Kraft konnte ich immer nur durch die Augen bündeln, aber sie waren nie ihre Quelle. Meine Gefühle waren die Quelle, besonders der Haß und die Wut. Aber jetzt sind meine Augen und ich, Cyclops, zum selben Ergebnis gekommen...

Wir sind ausgebrannt.
Und außerdem sahen unsere Kostüme wirklich dämlich aus.

Übrig geblieben ist nur noch Scott, der keinen Sommer mehr sieht und jetzt einen Drink braucht. Ich schiebe mich aus dem Sessel, ziehe den Fernseherstecker aus der Buchse und trete in den Flur. Meine eine Hand greift nach der Jacke, die andere die Türklinke. Mein Schlüssel klimpert in der Hosentasche und hinter mir fällt die Tür ins Schloß. Draussen ist es feucht und halbdunkel, acht Uhr abends an einem halbverregneten Maitag. Ich schwinge mir die Jacke über die Schulter und stapfe durch die dunklen Schatten Richtung Bar. Auf meinem Weg blicke ich die Häuserschluchten hinauf und wünsche mir für einen kurzen Moment meinen Visor zurück.
Manchmal war es doch ganz nützlich, dieses ewige rote Glühen der Welt.
Manchmal ist soviel Farbe doch besser als soviel Grau.

[Felix]

Moin Maschine,

tja ich bin mir noch nich ganz sicher, was ich sagen soll.
Schreiben kannst du, keine Frage. Dein Stil ist sicher - ich mag die resignierte, zynische, agehackte Art von Cyclops.
Dann natürlich auch das Thema, für das ich immer was übrig habe. Ein schöner Abgesang auf das Goldene Zeitalter der Superhelden, in diesem Fall jetzt mal die X-Men.

In abgewandelter Form hat Watchmen das Thema ja schon aufgegriffen, aber ich vermute mal, dass du hier noch auf etwas anderes raus möchtest als auf die Rolle eines möglichen Superhelden innerhalb der Gesellschaft.
Allerdings vermute ich das auch nur, sicher bin ich mir noch nicht. Andererseits sieht es natürlich stark nach Fan Fiction und vor allem nach etwas längerem aus (scheint ja nur Kapitel Eins zu sein).
Es ist wirklich solide und die Grundidee finde ich interessant. Aber wahrscheinlich müsste ich für ne endgültige Meinung noch mehr lesen.

[Märchenprinz]

Hi Maschine.

Mir gehts wie Felix. Äußerst lesenswert. Selten so einen zynischen und direkten Charakter getroffen wie Cyclops.
Stilsicher getroffen.

Gerne mehr davon.

liebe Grüße
Stephan