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undine Schneckenpost
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Beiträge: 7
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U 16.07.2023 16:53 2. Einstand von undine
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Es klopfte an der Tür von Carls Büro. Ohne den Kopf zu heben, rief er mit kräftiger Stimme: “ Ja bitte.” Seine Augen aber hefteten sich weiter auf die aktuellen Berichte, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Die darin enthaltenen Zahlen des letzten Quartals und die Prognosen für das nächste stimmten ihn zufrieden. Auch entwickelten sich die Verhandlungen mit der Fastfoodkette, die er im vergangenen Monat geschickt eingefädelt hatte, in die richtige Richtung.
Seine Frau Anne trat herein und schloss hinter sich die Tür. Sie schritt zu ihm an den Tisch und setzte sich in einen der beiden Sessel. Carl hob das Gesicht, lächelte und sprach:
“Anne, Du hattest wie immer den richtigen Riecher. In ganz Amerika fallen die Preise für Rindfleisch. Durch den ausgiebigen Regen in Brasilien wuchs genug Gras für die Tiere. Das hat nun Auswirkungen bis hier in die Staaten.”
Aber seine Frau blieb unbeeindruckt. Anne kannte ihren Mann. Bald würde er mit jedem einzelnen Viehzüchter bis an deren Schmerzgrenze verhandeln, denn das liebte er. Wenn es ums Geschäft ging, machte Carl keinen Unterschied zwischen Freund und Feind.
Vergnügt nahm er den Telefonhörer zur Hand, drückte auf einen Knopf und wies seine Sekretärin am anderen Ende der Leitung an, ihm eine Tasse Kaffee zu bringen. Dann schaute er zu seiner Frau und fragte: “Möchtest Du auch eine Tasse?”
Aber Anne schüttelte energisch den Kopf und antwortete streng: “Carl, ich muss mit Dir reden.”
Carl legte den Hörer zurück auf das Telefon, griff mit beiden Händen an den schweren Tisch und drückte sich mitsamt dem Drehstuhl langsam von ihm ab. Er nahm eine bequeme Sitzhaltung ein und fragte: “Was gibt es, Schatz?”
“Ich möchte Dir ein Angebot unterbreiten.”
Als er dies hörte, spitzte er die Ohren, setzte sich kerzengerade auf, fasste erneut an die Kante und zog sich mit dem Stuhl zurück zum Tisch. Mit einem fetten Grinsen beugte er sich ein Stück vor und fragte: “ Privat oder geschäftlich?”
Früher wäre sie auf seine kleinen Neckereien eingegangen. Da spielten sie so manches Spiel. Geschäftlich war es oft guter Cop, böser Cop. Anne war die Böse. Wie ein Fleischer klopfte sie die Geschäftspartner weich. Carl spielte den seriösen Part. Er
unterbreitete ein Angebot, welches den Anderen ein gutes Gefühl bereitete. Es war wie bei einem Produkt, dessen Preis man zuerst überhöht, um es später durch Rabatte bis auf den gewünschten Preis zu senken. So glaubte jeder, dass es ein gutes Geschäft sei. Oder sie gaben sich als voneinander unabhängige Interessenten aus. Anne sprach zuerst mit dem Objekt der Begierde. Sie lotete die Stärken und Schwächen der Person aus, checkte fachliche Kompetenzen und erkundigte sich über die Gewohnheiten bei Geschäftsverhandlungen. Diese Informationen teilte sie anschließend ihrem Mann mit und beide heckten einen Plan zur feindlichen Übernahme aus. Carl musste dann nur noch den Sack zu machen.
Aber was Anne heute mit ihrem Mann zu besprechen hatte, war keine Spielerei. Ihr war, als hätte sie den Mount Everest zu besteigen. Es würde ihre ganze Kraft fordern, aber sie hatte sich gut vorbereitet. Es ging um die Zukunft der Firma.
“Carl, bevor ich mit dem Aufsichtsrat rede, möchte ich Dir mein eines Prozent unserer Gründeraktien zum Kauf anbieten.”
Zuerst dachte Carl, es wäre ein Scherz. Er beäugte seine Frau scharf. Kein Lächeln lief über ihre Lippen und ein Blick wie eine glatte Felswand baute sich vor ihm auf. Diese Art von Ruhe strahlte sie nicht oft aus und Carl erinnerte sich. Nun rötete sich sein Gesicht und er schnappte nach Luft. Laut knurrte er:
“Sag mal, spinnst Du?”
Aber bevor Anne erwidern konnte, klopfte es von außen kurz an die Tür. Wie von allein ging sie auf und Carls Sekretärin schwebte mit dem Tablett herein. Sie schritt zu Carl an den Tisch und stellte die Kaffeetasse an die Stelle, auf die Carl mit dem Finger zeigte. Seinen Kaffee trank er immer schwarz, aber mit zwei Stück Zucker. Als die Vorzimmerdame sich aus dem Raum entfernte, schauten ihr Carl und Anne ungeduldig nach. Die Tür schloss sich und Anne besänftigte:
“Seien wir doch mal ehrlich, Carl. Die Firma war immer Dein Baby.”
Weitere Werke von undine:
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Haro Eselsohr
Beiträge: 388 Wohnort: Pfalz
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16.07.2023 17:40 Re: 2. Einstand von Haro
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Hallo Undine!
Spannender Einstieg. Ich würde auf jeden Fall weiterlesen wollen.
Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen, und zwar ein Perspektivenwechsel. Die Geschichte spielt aus der Sicht von Carl, aber dann kommt:
undine hat Folgendes geschrieben: | Ihr war, als hätte sie den Mount Everest zu besteigen. |
Das ist aus der Sicht von Anne.
Viele Grüße
Haro
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2944 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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16.07.2023 17:51 Re: 2. Einstand von Klemens_Fitte
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Nur n kurzer Einwurf meinerseits.
Haro hat Folgendes geschrieben: | Die Geschichte spielt aus der Sicht von Carl |
Wieso?
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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Haro Eselsohr
Beiträge: 388 Wohnort: Pfalz
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16.07.2023 17:53
von Haro
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Weil undine das so angelegt hat. Aber warum, weiß ich nicht.
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2944 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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16.07.2023 18:02
von Klemens_Fitte
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Haro hat Folgendes geschrieben: | Weil undine das so angelegt hat. |
Ist dem so?
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5340 Wohnort: NRW
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16.07.2023 18:29
von Bananenfischin
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Der Thread war wohl versehentlich auf dem roten Teppich gelandet, ich habe in den Einstand verschoben.
Die Perspektive würde ich auktorial nennen, wir schauen in Carls Kopf, wir schauen in Annes, und auch die Erzählstimme wird sichtbar.
So etwas wird ja oft als "Anfängerfehler" bezeichnet, aber es kann natürlich genauso gut auch bewusst so gemacht werden.
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2944 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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16.07.2023 18:40
von Klemens_Fitte
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Bananenfischin hat Folgendes geschrieben: | Der Thread war wohl versehentlich auf dem roten Teppich gelandet, ich habe in den Einstand verschoben. |
Ja, ich hatte noch überlegt, ob ich einen meiner Beiträge melde und die Moderation drauf aufmerksam mache. Aber dann dachte ich, vielleicht reicht's ja auch, wenn ich kommentiere
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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Haro Eselsohr
Beiträge: 388 Wohnort: Pfalz
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16.07.2023 18:54
von Haro
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Haro hat Folgendes geschrieben: | Weil undine das so angelegt hat. |
Ist dem so? |
Nicht?
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2944 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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16.07.2023 20:12
von Klemens_Fitte
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Haro hat Folgendes geschrieben: | Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Haro hat Folgendes geschrieben: | Weil undine das so angelegt hat. |
Ist dem so? |
Nicht? |
Zumindest wundere ich mich über die Bestimmtheit, mit der du diese Zuschreibung triffst.
Und um nicht weiterhin ausschließlich Einzeiler zu schreiben: Nein, der Fakt, dass eine Szene mit einer Figur beginnt, bedingt für mich nicht, der Text "spiele" aus der Sicht dieser Figur. Auch nicht, dass wir Aussagen über die Gemütsverfassung dieser Figur lesen. Fragte man mich, aus Sicht welcher Figur dieser Text erzählt werde, würde ich antworten: Ich lese hier keine Sicht einer Figur. Folglich: es kann natürlich sein, dass der Text aus Carls Sicht erzählt sein soll (das allerdings nicht als Zuschreibung, sondern als Frage, die man undine stellen müsste) – dann wäre aber mE wesentlich mehr zu überdenken als der eine Satz, den du zitierst. Da genügte es auch nicht, die ein oder andere Passage umzuschreiben oder Formulierungen anzupassen, sondern es müsste die gesamte Erzählhaltung und -stimme verändert werden.
Die Rückmeldung "Unbeabsichtigter Perspektivsprung/-wechsel" ist eine der Standardrückmeldungen im dsfo, und in nicht wenigen Fällen ist es Quatsch oder trifft zumindest das dem Text inhärente Problem nicht. Immerhin hat's diesmal dazu geführt, dass ich einen viel zu langen Kommentar unter einen Text geschrieben habe, der mir eigentlich nichts Interessantes bietet.
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5340 Wohnort: NRW
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16.07.2023 20:40
von Bananenfischin
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Ja, ich hatte noch überlegt, ob ich einen meiner Beiträge melde und die Moderation drauf aufmerksam mache. Aber dann dachte ich, vielleicht reicht's ja auch, wenn ich kommentiere |
Um dem Kurzsatz-Pingpong frühzeitig Einhalt zu gebieten, ehe es endlos weitergeht, hatte ich auch etwas zu der Frage geschrieben (an dich gerichtet, Haro, ohne es so gekennzeichnet zu haben), aber nun ja ... Jetzt hast du dich ja zum Glück hinreißen lassen, Klemens.
Undine, klärst du uns auf, ob du den Text bewusst so geschrieben hast?
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
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Haro Eselsohr
Beiträge: 388 Wohnort: Pfalz
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17.07.2023 08:45
von Haro
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Guten Morgen!
Bananenfischin hat Folgendes geschrieben: | Die Perspektive würde ich auktorial nennen, wir schauen in Carls Kopf, wir schauen in Annes, und auch die Erzählstimme wird sichtbar.
[...]
hatte ich auch etwas zu der Frage geschrieben (an dich gerichtet, Haro, ohne es so gekennzeichnet zu haben)
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Ah, ok, ich hatte das nicht auf mich bezogen. Auktorial passt. Spricht man dann nicht von Perspektivenwechsel? Wie Du ja selbst angemerkt hast "mal in dem einen Kopf, mal im anderen"? Aber egal. Geht nicht um mich, sondern um Undine. Die soll ja was mitnehmen aus den Kommentaren.
Viele Grüße
Haro
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undine Schneckenpost
U
Beiträge: 7
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AdaGro Wortedrechsler
A
Beiträge: 71 Wohnort: unbekannt verzogen
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A 19.07.2023 16:05
von AdaGro
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Ich finde den Text nicht schlecht.
Herzlich willkommen.
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