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Satyr Gast
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06.04.2008 12:49 Tipps vom Literaturagenten von Satyr
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Tipps vom Literaturagenten
Von Satyr
Während Roman Federer lustlos im orthografielosen Manuskriptfragment eines TV-Stars blättert, läutet das Telefon. Obwohl der Literaturagent Berge unverwertbarer Manuskripte im Keller liegen hat, greift er erwartungsvoll zum Hörer. Vielleicht benötigt ja gerade in diesem Augenblick ein zukünftiger Nobelpreisträger seine Hilfe?
"Ist da die Agentur Federer? Ja? Hier spricht Silvia Leibschön. Sie handeln doch mit Literatur, ja? Ich habe ein Buch geschrieben, ich meine: Gedichte und Geschichten, die in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis sehr gut ankommen, wirklich ganz hervorragend und..."
"Wie war doch bitte Ihr Name?", fragt Feder, der instinktiv fühlt, dass er auf den Nobelpreisträger noch wird warten müssen. "Leibschön, Silvia Leibschön, ich möchte nur fragen, ob ich Ihnen das Manuskript schicken soll, ja? Oder vielleicht am besten zu Ihnen fahre, weil man da natürlich..."
"Gedichte und Geschichten?", unterbricht Federer sie. Silvia Leibschön erblasst. Der Mann kennt natürlich die literarische Qualität ihres Schaffens nicht, deshalb sagt sie mit fester Stimme: "Also keine normalen Gedichte und Allerweltsgeschichten, sondern sehr einfühlsame lyrische Gedichte von Liebe, Treue und..."
"Gedichte und Geschichten will heute kaum noch jemand. Da müssten Sie schon einen Namen haben, einen prominenten versteht sich! Wie alt sind Sie denn?" Silvia Leibschön erschrickt, sagt dann aber zögernd: "Achtundfünfzig". "Und die Haarfarbe?", fragt Federer. "Brünett, mit etwas Grau." "Nein", antwortet Federer, "da sehe ich keine Chance. Für Gedichte wollen die Verlage im Augenblick nur eine junge Wilde, maximal achtundzwanzig, entweder superblond, rot oder rabenschwarz." Silvia Leibschön erstarrt.
"Hallo, sind Sie noch da?", ruft der Literaturagent in die Muschel. "Schreiben Sie doch einen Roman!" "Einen Roman?", fragt Silvia Leibschön. "Ja!" "So ähnlich wie die Pilcher?", fragt die kommende Autorin hoffnungsfroh.
"Nein, nein, Cornwall ist verbraucht, aber Italien ist immer en vogue und Nordportugel im Kommen. Schade, dass Sie keine Skandinavierin sind. Die lassen sich im Augenblick am besten vermarkten, wegen der Schwermut, Sie verstehen?"
"Ich bin ... aus Gelsenkirchen", sagt Silvia Leibschön zögernd. "Gelsenkirchen..." Federer pfeift durch die Zähne. "Gelsenkirchen..., ja warum schreiben Sie denn keinen Krimi, der in einer ehemaligen Bergbaugrube spielt? Der arbeitslose Steiger lockt den Personalchef seines früheren Arbeitgebers mit Hilfe seiner bildhübschen Schwester in die aufgelassene Grube - der Rest ist klar!"
"Krimis liegen mir überhaupt nicht", antwortet Livia Leibschön. "Dann schreiben Sie doch einen dramatischen Liebesroman aus dem Revier. Aber nicht mit Bergmännern, sondern mit IT-Yuppies, die um die Tochter eines berühmten Elektronikbosses kämpfen. Dazu ein bisschen dunkle Börsen- oder Immobiliengeschäfte, Karrieregeilheit - wer das Mädchen kriegt, wird auch Vizepräsident - und natürlich darf im Ruhrpott der Fußball nicht fehlen."
"Aber von Fußball verstehe ich überhaupt nichts!", ruft Silvia Leibschön ensetzt. "Das müssen Sie auch nicht, aber von Schalke und Dortmund werden Sie wohl schon gehört haben!"
Federers Stimme wirkt jetzt etwas angespannt, als er fortfährt: "Also, der Neffe des Elektronikbosses hat einen Cousin, der ist Verteidiger bei Schalke und hat ein geheimes Liebesverhälntnis mit der Tochter des Zeugwarts von Dortmund. In die Tochter ist jedoch auch ein Stürmer von Dortmund rasend verliebt, rasend! Es kommt zum Lokalderby der beiden Vereine, und was dann passiert, ist doch klar!" "Was passiert denn?", fragt Silvia Leibschön vorsichtig.
"Das ist doch nun wirklich nicht mehr schwer!", ruft Federer entnervt. "Mein Gott, wie viele Tipps soll ich Ihnen denn noch geben? Muss ich den Roman auch noch selbst schreiben?"[/b]
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 44 Beiträge: 18339
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06.04.2008 13:41
von MosesBob
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Hallo Satyr!
Köstlich! Das zergeht wie Mohnkuchen und Himbeermarmelade auf der Zunge. Die auktoriale Erzählweise passt hervorragend, der Dialog ist nicht nur überaus erheiternd sondern auch sehr lebhaft. Die Mimik von Federer und Silvia konnte ich mir astrein vorstellen - in etwa so wie in diesen alten Schwarz/Weiß-Krimis, wenn sich der Bildschirm diagonal teilt und man beiden Personen beim Telefonieren zuschauen kann ... nur halt in Farbe und Dolby Sorround.
Ach ja: Zwischendurch wird aus Silvia übrigens einmal Livia.
Herzlich Dank für diese Unterhaltung!
Beste Grüße,
Martin (kein Schalker, kein Dortmunder, sondern Lauterer)
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse) |
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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06.04.2008 13:49
von Enfant Terrible
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Ich fand es stilistisch wie vom Humor und Inhalt auch klasse, eine bissige Satire über die Forderungen des Marktes. Tatäschlich ist es so, dass Autoren zu Maschinen degradiert werden, die am besten die Persönlichkeit und die Schreibe haben müssen, die sich eben vermarkten lässt - traurig, denn dadurch werden Schriftsteller in ihrer Freiheit eingeengt, schreiben eigentlich wirklich nicht mehr von allein.
Das hast du sehr gut thematisiert, gefällt mir! Auch die Dynamik zwischen der unsicheren, verängstigten Möchtegern-Autorin und dem besserwisserischen Gesprächspartner!
Auf so etwas muss man erst mal kommen!
_________________ "...und ich bringe dir das Feuer
um die Dunkelheit zu sehen"
ASP
Geschmacksverwirrte über meine Schreibe:
"Schreib nie mehr sowas. Ich bitte dich darum." © Eddie
"Deine Sprache ist so saftig, fast möchte man reinbeißen." © Hallogallo |
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Uenff Klammeraffe
Alter: 31 Beiträge: 952 Wohnort: Berlin
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06.04.2008 16:48
von Uenff
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Gefällt ihm. Gefällt ihm sogar sehr.
Du schreibst plastisch, und sehr dynamisch.
Und der letzte Satz-
uenff will mehr von dir lesen!
Und er hofft dass es in der Realität nicht so läuft.
Uenff
_________________ --No offense--
Molon labe
Become the madness you want to see in the world.
After enlightenment, the laundry.
Freiheit liegt in der Zerstörung des Ichs. Hat halt Karl gesagt. |
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silvie111 Eselsohr
Alter: 38 Beiträge: 203 Wohnort: Tübingen
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06.04.2008 18:53
von silvie111
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Super. Hab mich selten so köstlich amüsiert.
Der Lesefluss in der Geschichte ist perfekt, da passt alles, da flutscht alles. Was will man da noch sagen? Perfekt!
ach ja, hab noch nen kleinen Fehler gefunden:
LG,
silvie
PS: Will mehr!
_________________ Wer ein langes Buch schreibt, hatte keine Zeit ein kurzes zu schreiben
(Die Stadt der träumenden Bücher) |
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Dichternarzisse Eselsohr
Beiträge: 217 Wohnort: Banghazi-Bruessel-Zürich
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07.04.2008 15:25
von Dichternarzisse
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Ich bin sprachlos.
Ich gebe zu das ich beim Lesen entrüstet gelacht habe. Den Agenten finde ich erstmals so gemein und unfreundlich, andereseits kann ich mir vorstellen wie viele andere derartige Schrifsteller anrufen und seine Ungeduld ist mehr als nur begreiflich.
Was dein Styl angeht, gefällt mir!
Hoffe das es in der Realität selten so zugeht.
Liebe Grüsse
Dichternarzisse
_________________ Nimm das Unveränderbare an und ändere das, was unannehmbar ist. Und sei klug genung den Unterschied zu kennen. |
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Dr.Trash Leseratte
Beiträge: 115
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07.04.2008 15:32
von Dr.Trash
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Ich bin mir sicher, dass derlei Telefonate bei Agenten an der Tagesordnung stehen.
Sehr schön geschrieben!
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Olifant Eselsohr
Beiträge: 417 Wohnort: München
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07.04.2008 15:44
von Olifant
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Hi Satyr,
Die Enttäuschung für mich bei diesem Thread war eigentlich nur, dass die einzigen beiden Fehler, die ich gefunden hatte, schon von Silvie und Martin gefunden wurden.
Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich viel mehr aufs Lachen konzentrieren können.
Im Gegensatz zu Terrorkrümel und Dichternarzisse habe ich mit dem Literaturagenten fast mehr Mitleid, als mit der Dichterin aus Gelsenkirchen. Eine derart bissige und durchtriebene Vergraulungstaktik legt sich sicher nur jemand zu, der die beschriebene Szene tagtäglich hundert Mal erleben muss.
Dafür schließe ich mich der allgemeinen Kritik zu hundert Prozent an: Spitzenklasse!
Im Schlusssatz, um den Dialog nicht so in der Luft hängend zu beenden, hätte ich vielleicht noch einen Satz hinzugefügt, der das Telefonat enden lässt.
Ein Satz, in dem der Agent das leise Klicken des aufgelegten Telefonhörers hört.
Die Geschichte ist ein Hammer.
_________________ Liebe Grüße,
Olifant |
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Dichternarzisse Eselsohr
Beiträge: 217 Wohnort: Banghazi-Bruessel-Zürich
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07.04.2008 19:16
von Dichternarzisse
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Ganz im Gegenteil. Ich finde gerade den Schlusssatz so gut.
Kommt mir vor wie in einer Komedieshow bei der die Leute sich so sehr totlachen das eine wirklich Abschliessun völlig unnötig und unbeachtet bleiben würde.
_________________ Nimm das Unveränderbare an und ändere das, was unannehmbar ist. Und sei klug genung den Unterschied zu kennen. |
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Dichternarzisse Eselsohr
Beiträge: 217 Wohnort: Banghazi-Bruessel-Zürich
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08.04.2008 11:11
von Dichternarzisse
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_________________ Nimm das Unveränderbare an und ändere das, was unannehmbar ist. Und sei klug genung den Unterschied zu kennen. |
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Lore Klammeraffe
Alter: 90 Beiträge: 932 Wohnort: Düsseldorf
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08.04.2008 11:23
von Lore
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ich glaube, es gibt keinen Autor, dem dieser Plot und seine Protagonisten nicht gefällt.
Die einen haben es bereits auf ähnliche Weise erfahren und die anderen fürchten es so, dass sie erst gar nicht an einen Verlag herantreten.
Wiederum gilt mein Mitgeühl nicht nur der Gelenkirchnerin, denn wenn ich mir vorstelle, ich sei Literaturagent und man schüttet mich mit all dem Mist zu, der auf dem Gebiet verbrochen wird, dann wird Zynismus vielleicht auch auf deren Seite zum einzigen Mittel der Gegenwehr.
Es muss also genau so schlimm sein, als Agent genau zu wissen, was sich verkaufen lässt und das dann auch den Schreiberlingen aller Coleur vermitteln zu müssen, die das so gar nicht verstehen wollen.
Ausgezeichnet ..und das humorvoll aber punktgenau.
Lore
_________________ Blas Dich nicht auf, sonst bringet Dich
zum Platzen schon ein kleiner Stich
(Nietzsche) |
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Gast
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11.04.2008 11:15
von Gast
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Habe auch sehr gelacht. Wobei ich nicht verstehe, was an dem Agenten gemein oder unfreundlich sein soll. Er sagt nur die Wahrheit.
Ein Hinweis zur Form: Wenn der Sprecher wechselt, sollte man einen Absatz machen. An manchen Stellen mußte ich den Text zweimal lesen, weil ich nicht wußte, wer gerade spricht.
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